SECHSTES KAPITEL
VIELE ABSCHIEDE

Als die Freudentage vorüber waren, dachten die Gefährten schließlich
daran, in ihre Heimat zurückzukehren. Und Frodo ging zum König, der
mit Königin Arwen am Springbrunnen saß, und sie sang ein Lied von
Valinor, während der Baum wuchs und blühte. Sie hießen Frodo willkom-
men und standen auf, um ihn zu begrüßen, und Aragorn sagte:
»Ich weiß, weshalb du gekommen bist, Frodo: du möchtest in deine
Heimat zurückkehren. Nun, liebster Freund, der Baum wächst am besten
im Boden seiner Vorväter; aber in allen Landen des Westens wirst du
immer willkommen sein. Und obwohl über dein Volk in den Sagen der
Großen wenig Ruhmreiches berichtet wurde, wird es jetzt mehr Ansehen
genießen als viele große Reiche, die nicht mehr sind.«
»Es stimmt, daß ich wieder in das Auenland gehen möchte«, sagte
Frodo, »aber zuerst muß ich nach Bruchtal. Denn wenn in einer so
glückseligen Zeit etwas hätte fehlen können, so vermißte ich Bilbo; und
ich war betrübt, als ich sah, daß er nicht mit Elronds Gefolge gekommen
war.«
»Wundert dich das, Ringträger?« sagte Arwen. »Denn du kennst die
Macht des Dinges, das jetzt zerstört ist; und alles, was durch diese Macht
geschaffen wurde, vergeht nun. Doch dein Verwandter besaß dieses Ding
länger als du. Er ist jetzt alt an Jahren nach den Maßstäben seines Ge-
schlechts, und er wird keine Fahrt mehr unternehmen außer einer.«
»Dann bitte ich um die Erlaubnis, bald zu gehen«, sagte Frodo.
»In sieben Tagen werden wir aufbrechen«, sagte Aragorn. »Denn wir
werden ein weites Stück mit euch reiten, bis in das Land Rohan. In drei
Tagen wird Éomer hierher kommen, um Théoden heimzuholen, auf daß
er in der Mark ruhe, und wir werden mit ihm reiten, um den Gefallenen
zu ehren. Doch jetzt, ehe du gehst, will ich die Worte bestätigen, die
Faramir zu dir sprach, daß du auf immer das Recht hast, dich im Reich
Gondor frei zu bewegen, und deine Gefährten gleichermaßen. Und wenn
es irgendwelche Geschenke gäbe, die ich dir machen könnte und die dei-
ner Taten würdig sind, dann solltest du sie haben; doch was immer du
wünschst, sollst du mit dir nehmen, und ihr sollt mit allen Ehren reiten
und gekleidet sein wie Fürsten dieses Landes.«
Doch Königin Arwen sagte: »Ein Geschenk will ich dir machen. Denn
ich bin die Tochter von Elrond. Ich werde nicht mit ihm gehen, wenn er
zu den Anfurten aufbricht; denn ich habe die Entscheidung von Lúthien
getroffen, und wie sie habe ich das Süße und das Bittere gewählt. Doch an
meiner Statt sollst du gehen, Ringträger, wenn die Zeit gekommen ist und
du es dann wünschst. Wenn deine Verletzungen dich noch schmerzen und
die Erinnerung an deine Bürde schwer ist, dann darfst du in den Westen
gehen, bis all deine Wunden und Müdigkeit geheilt sind. Doch trage nun
dies zur Erinnerung an Elbenstein und Abendstern, mit denen dein Leben
verflochten war!«
Und sie nahm einen weißen Edelstein wie einen Stern, der an einer sil-
bernen Kette auf ihrer Brust hing, und sie legte Frodo die Kette um den
Hals. »Wenn die Erinnerung an den Schrecken und die Dunkelheit dich
quält«, sagte sie, »wird dies dir Hilfe bringen.«
Nach drei Tagen kam, wie der König gesagt hatte, Eomer in die Stadt
geritten, und mit ihm ein éored der schönsten Ritter der Mark. Er wurde
willkommen geheißen; und als sie alle in Merethrond, der Großen Fest-
halle, bei Tisch saßen, sah er die Schönheit der Frauen, die dort waren,
und er war von großem Staunen erfüllt. Und ehe er zur Ruhe ging, ließ er
Gimli den Zwerg rufen und sagte zu ihm: »Gimli, Glóins Sohn, habt Ihr
Eure Axt bereit?«
»Nein, Herr«, sagte Gimli, »aber ich kann sie holen, wenn es not tut.«
»Das sollt Ihr beurteilen«, sagte Éomer. »Denn einige voreilige Worte
über die Herrin des Goldenen Waldes stehen noch zwischen uns. Und nun
habe ich sie mit eigenen Augen gesehen.«
»Nun, Herr«, sagte Gimli, »und was sagt Ihr jetzt?«
»Leider«, sagte Eomer, »kann ich nicht sagen, daß sie die schönste Frau
unter den Lebenden ist.«
»Dann muß ich meine Axt holen«, sagte Gimli.
»Aber zuerst möchte ich folgende Entschuldigung anführen«, sagte
Eomer. »Hätte ich sie in anderer Gesellschaft gesehen, hätte ich alles ge-
sagt, was Ihr wünschen könntet. Doch jetzt will ich Königin Arwen
Abendstern an erster Stelle nennen, und ich bin bereit, meinerseits mit
jedem zu kämpfen, der mir das bestreitet. Soll ich nach meinem Schwert
schicken?«
Da verneigte sich Gimli tief. »Nein, Ihr seid entschuldigt, was mich be-
trifft, Herr«, sagte er. »Ihr habt den Abend gewählt; aber meine Liebe
gilt dem Morgen. Und mein Herz ahnt, daß er bald für immer dahingehen
wird.«
Endlich kam der Tag des Aufbruchs, und eine große und schöne Ge-
sellschaft machte sich bereit, von der Stadt gen Norden zu reiten. Da
gingen die Könige von Gondor und Rohan zu den Weihestätten, und sie
kamen zu den Grüften in Rath Dínen, und sie trugen König Théoden auf
einer goldenen Bahre heraus und gingen schweigend durch die Stadt.
Dann stellten sie die Bahre auf einen großen Wagen, den Reiter von
Rohan umgaben und ihm sein Banner vorantrugen; und Merry als Théo-
dens Schildknappe saß auf dem Wagen und hielt die Waffen des Königs.
Für die anderen Gefährten wurden ihrer Größe angemessene Reitpferde
beschafft; und Frodo und Samweis ritten an Aragorns Seite, und Gandalf
ritt auf Schattenfell, und Pippin ritt mit den Rittern von Gondor; und
Legolas und Gimli ritten wie immer zusammen auf Arod.
Mit ihnen ritten auch Königin Arwen und Celeborn und Galadriel mit
ihrem Volk und Elrond mit seinen Söhnen; und die Fürsten von Dol
Amroth und Ithilien und viele Hauptleute und Ritter. Niemals hatte ein
König der Mark eine solche Begleitung gehabt wie Théoden, Thengels
Sohn, als er in sein Heimatland zurückkehrte.
Ohne Hast und in Frieden gelangten sie nach Anórien und kamen zum
Grauen Wald unter Amon Din; und dort hörten sie ein Geräusch, als ob
Trommeln in den Bergen geschlagen würden, obwohl kein Lebewesen zu
sehen war. Da ließ Aragorn die Trompeten blasen, und Herolde riefen:
»Sehet, der König Elessar ist gekommen! Den Forst von Drúadan gibt
er Ghân-buri-Ghân und seinem Volk auf immer zu eigen; und von nun
an soll ihn kein Mensch ohne ihre Erlaubnis betreten!«
Da schlugen die Trommeln laut und wurden dann still.
Nach einer Fahrt von fünfzehn Tagen erreichte der Wagen von König
Théoden endlich die grünen Felder von Rohan und kam nach Edoras; und
dort rasteten alle. Die Goldene Halle wurde mit schönen Vorhängen ge-
schmückt, und sie war erfüllt von Licht, und dort wurde das prächtigste
Fest abgehalten, das sie seit den Tagen ihrer Erbauung erlebt hatte. Denn
erst nach drei Tagen bereiteten die Menschen der Mark das Begräbnis von
Théoden vor; und er wurde in ein Haus aus Stein gelegt mit seinen Waf-
fen und vielen anderen schönen Dingen, die er besessen hatte, und über
ihm wurde ein großes Hügelgrab errichtet, bedeckt mit Soden aus grünem
Gras und Immertreu. Und nun waren acht Hügelgräber auf der Ostseite
des Gräberfelds.
Dann ritten die Reiter des Hauses des Königs auf weißen Pferden um
das Hügelgrab und sangen zusammen ein Lied von Théoden, Thengels
Sohn, das Gleowine, sein Sänger, gedichtet hatte, und er dichtete kein an-
deres Lied danach. Die getragenen Stimmen der Reiter rührten die Herzen
sogar derjenigen, die die Sprache von Rohan nicht verstanden; doch die
Worte des Liedes ließen die Augen des Volks der Mark aufleuchten, als
sie von ferne wieder die Hufe des Nordens hörten und Eorls Stimme, die
sich über die Schlacht auf dem Feld von Celebrant erhob; und die Ge-
schichte der Könige ging weiter, und Helms Horn erschallte im Gebirge,
bis die Dunkelheit kam und König Théoden aufstand und durch den
Schatten in das Feuer ritt und ruhmreich starb, gerade als die Sonne, die
über alle Hoffnung zurückgekehrt war, am Morgen auf dem Mindolluin
schimmerte.

Aus Zweifel und Finsternis ritt er, singend
Mit blankem Schwert in der Morgensonne.
Hoffnung erweckte er, fiel voller Hoffnung,
Über Tod, über Grauen und Schicksal erhoben
Aus dem Leben zu immerwährender Ehre.

Aber Merry stand am Fuße des grünen Hügelgrabs und weinte, und als
das Lied beendet war, rief er:
»König Théoden, König Théoden! Lebt wohl! Wie ein Vater wart Ihr
zu mir, für eine kleine Weile. Lebt wohl!«
Als die Totenfeier vorüber und die Tränen der Frauen versiegt waren
und Théoden schließlich in seinem Hügelgrab allein zurückblieb, versam-
melten sich viele in der Goldenen Halle zu dem großen Festmahl und ver-
bannten die Trauer; denn Théoden war zu hohen Jahren gekommen und
hatte sein Leben nicht weniger ehrenvoll beschlossen als der größte seiner
Vorfahren. Und als die Zeit gekommen war, da sie nach der Sitte der
Mark auf das Andenken der Könige trinken sollten, trat Éowyn, Herrin
von Rohan, golden wie die Sonne und weiß wie Schnee, vor, und sie
brachte Éomer einen gefüllten Becher.
Dann stand ein Sänger und Kundiger in der Überlieferung auf und
nannte alle Namen der Herren der Mark in der richtigen Reihenfolge:
Eorl der Junge; und Brego, der Erbauer der Halle; und Aldor, der Bruder
Baldors des Glücklosen; und Féa und Fréawine und Goldwine und Déor
und Gram; und Helm, der sich in Helms Klamm verbarg, als die Mark
überrannt wurde; und so endeten die neun Hügelgräber auf der Westseite,
denn in jener Zeit war der Stamm unterbrochen, und danach kamen die
Hügelgräber auf der Ostseite: Fréalaf, Helms Schwestersohn, und Léofa
und Walda und Folca und Folcwine und Fengel und Thengel und als letz-
ter Théoden. Und als Théoden genannt wurde, leerte Éomer den Becher,
und alle, die dort versammelt waren, erhoben sich und tranken auf den
neuen König und riefen: »Heil Éomer, König der Mark!«
Und als das Fest schließlich seinem Ende zuging, stand Éomer auf und
sagte: »Dies ist nun die Totenfeier für König Théoden; aber ich will, ehe
wir gehen, eine frohe Botschaft aussprechen, weil er es mir nicht verübeln
würde, daß ich es tue, denn er war immer ein Vater für Éowyn, meine
Schwester. Höret denn, ihr meine Gäste, schönes Volk aus vielen Reichen,
wie es sich nie zuvor in dieser Halle eingefunden hat! Faramir, Truchseß
von Gondor und Fürst von Ithilien, bittet, daß Éowyn, Herrin von Rohan,
seine Frau sein solle, und sie gewährt es bereitwillig. Darum sollen sie vor
euch allen zusammengegeben werden.«
Und Faramir und Éowyn traten vor und legten ihre Hände ineinander;
und alle tranken auf sie und waren froh. »So«, sagte Éomer, »ist die
Freundschaft zwischen der Mark und Gondor durch ein neues Band gefe-
stigt, und um so mehr freue ich mich.«
»Kein Geizhals seid Ihr, Éomer«, sagte Aragorn, »daß Ihr Gondor das
Schönste aus Eurem Reich gebt!«
Dann blickte Éowyn Aragorn in die Augen und sagte: »Wünscht mir
Glück, mein Lehnsherr und Heiler!«
Und er antwortete: »Ich habe dir Glück gewünscht, seit ich dich zum
ersten Mal sah. Es tut meinem Herzen wohl, dich jetzt froh zu sehen.«
Als das Fest vorüber war, verabschiedeten sich jene, die fortgehen
wollten, von König Éomer. Aragorn und seine Ritter und das Volk von
Lórien und Bruchtal machten sich bereit, weiterzureiten; doch Faramir
und Imrahil blieben in Edoras; und auch Arwen Abendstern blieb hier,
und sie sagte ihren Brüdern Lebewohl. Niemand sah ihr letztes Zusam-
mensein mit Elrond, ihrem Vater, denn sie gingen hinauf in die Berge und
sprachen dort lange miteinander, und bitter war ihr Abschied, der über
das Ende der Welt hinaus dauern sollte.
Und zuletzt, ehe die Gäste aufbrachen, kamen Éomer und Éowyn zu
Merry, und sie sagten: »Lebt nun wohl, Meriadoc aus dem Auenland und
Holdwine der Mark! Reitet nun einem glücklichen Geschick entgegen und
reitet bald zurück, denn Ihr werdet uns willkommen sein!«
Und Éomer sagte: »Die Könige von einst hätten Euch für Eure Taten
auf den Feldern von Mundburg mit Geschenken überhäuft, die ein Wagen
nicht hätte tragen können; und doch wollt Ihr nichts annehmen, sagt Ihr,
außer den Waffen, die Euch gegeben wurden. Damit muß ich mich abfin-
den, denn ich habe fürwahr keine Gabe, die Eurer wert wäre; doch meine
Schwester bittet Euch, dieses kleine Ding anzunehmen zur Erinnerung an
Dernhelm und an die Hörner der Mark bei Anbruch des Morgens.«
Da gab Éowyn Merry ein altertümliches Horn, klein, aber kunstfertig
gearbeitet, ganz aus schönem Silber mit einem grünen Gehänge; und die
Handwerker hatten geschwinde Reiter darauf eingeprägt, und sie ritten in
einer Reihe, die sich von der Spitze bis zum Mundstück um das Horn her-
umzog; und es waren Runen von großer Zauberkraft eingeritzt.
»Dies ist ein Erbstück unseres Hauses«, sagte Éowyn. »Es wurde von
den Zwergen gearbeitet und kam aus dem Schatz von Scatha dem Lind-
wurm. Eorl der Junge brachte es vom Norden mit. Wer es bläst, wenn er
in Not ist, erweckt Furcht im Herzen seiner Feinde und Freude in den
Herzen seiner Freunde, und sie werden ihn hören und zu ihm kommen.«
Da nahm Merry das Horn, denn er konnte es nicht ablehnen, und er
küßte Éowyns Hand; und sie umarmten sich, und so schieden sie für dies-
mal voneinander.
Nun waren die Gäste bereit, und sie tranken den Abschiedsbecher, und
voll des Lobes und der Freundschaft ritten sie von dannen und kamen
schließlich nach Helms Klamm, wo sie zwei Tage rasteten. Dann löste
Legolas sein Versprechen bei Gimli ein und ging mit ihm zu den Glitzern-
den Höhlen; und als sie zurückkamen, war er schweigsam und sagte nur,
daß allein Gimli sie mit passenden Worten beschreiben könne. »Und nie-
mals zuvor hat in einem Wortstreit ein Zwerg den Sieg über einen Elben
davongetragen«, sagte er. »Deshalb laßt uns nun nach Fangorn gehen, um
die Rechnung wieder auszugleichen.«
Vom Klammtal ritten sie nach Isengart und sahen, wie die Ents sich
dort betätigt hatten. Der ganze Steinring war niedergerissen und entfernt
worden, und das Land darinnen war in einen Garten verwandelt, mit
Obstbäumen und anderen Gehölzen, und ein Bach durchströmte ihn; doch
in der Mitte von allem war ein See mit klarem Wasser, und aus ihm er-
hob sich noch immer der Turm von Orthanc, hoch und unbezwinglich,
und sein schwarzer Felsen spiegelte sich in dem Weiher.
Eine Weile saßen die Wanderer dort, wo einst die alten Tore von Isen-
gart gestanden hatten, und dort waren nun zwei hohe Bäume wie Schild-
wachen am Anfang des grün eingefaßten Pfades, der zum Orthanc
führte; und staunend betrachteten sie die Arbeit, die hier getan worden
war, doch kein Lebewesen war weit und breit zu sehen. Aber plötzlich
hörten sie eine Stimme, die Hum-hom, hum-hom rief; und da kam Baum-
bart mit langen Schritten den Pfad herunter, um sie zu begrüßen, und an
seiner Seite war Flinkbaum.
»Willkommen im Baumgarten von Orthanc!« sagte er. »Ich wußte, daß
Ihr kommt, aber ich war oben im Tal bei der Arbeit; da ist noch viel zu
tun. Doch Ihr seid auch nicht müßig gewesen im Süden und im Osten, wie
ich höre; und alles, was ich höre, ist gut, sehr gut.« Dann pries Baumbart
alle ihre Taten, von denen er genaue Kenntnis zu haben schien; und
schließlich hielt er inne und sah Gandalf lange an.
»So«, sagte er, »Ihr habt Euch also als der Mächtigste erwiesen, und
alle Eure Mühen waren erfolgreich. Wo wollt Ihr nun hin? Und warum
kommt Ihr hierher?«
»Um zu sehen, wie Eure Arbeit vorangeht, mein Freund«, sagte Gan-
dalf, »und um Euch für Eure Hilfe bei allem zu danken, die geleistet wor-
den ist.«
»Hum, gut, das ist nur recht und billig«, sagte Baumbart. »Denn die
Ents haben gewiß ihr Teil beigetragen. Und nicht nur, indem sie mit die-
sem, hum, verfluchten Baummörder abgerechnet haben, der hier wohnte.
Denn da war ein großer Ansturm von diesen burárum, diesen übeläugi-
gen, schwarzhändigen, krummbeinigen, hartherzigen, klauenfingrigen,
zottigbäuchigen, blutdürstigen, morimaitesincahonda, hum, na, da Ihr
hastiges Volk seid und ihr voller Name so lang ist wie Jahre der Folte-
rung, dieses Ork-Geschmeiß; und sie kamen über den Strom und herunter
vom Norden und rings um den Wald von Laurelindórenan, in den sie
nicht hinein konnten dank der Großen, die hier sind.« Er verbeugte sich
vor dem Herrn und der Herrin von Lórien.
»Und eben diese üblen Geschöpfe waren mehr als überrascht, als sie
uns draußen im Ödland trafen, denn vorher hatten sie noch nicht von uns
gehört; obwohl das auch von besserem Volk gesagt werden kann. Und
nicht viele werden sich an uns erinnern, denn nicht viele sind uns lebend
entkommen, und die meisten davon hat der Fluß genommen. Aber es war
gut für Euch, denn wenn sie uns nicht getroffen hätten, dann hätte der
König der Graslande nicht weit reiten können, und hätte er es dennoch
getan, so hätte er kein Heim mehr gehabt, in das er hätte zurückkehren
können.«
»Wir wissen es wohl«, sagte Aragorn, »und niemals soll es vergessen
werden in Minas Tirith oder in Edoras.«
»Niemals ist ein zu langes Wort selbst für mich«, sagte Baumbart.
»Nicht, so lange Eure Königreiche bestehen, meint Ihr; aber sie werden
wahrlich lange bestehen müssen, wenn es den Ents als lange erscheinen
soll.«
»Das Neue Zeitalter beginnt«, sagte Gandalf, »und in diesem Zeitalter
mag es sich sehr wohl erweisen, daß die Königreiche der Menschen Euch
überdauern, Fangorn, mein Freund. Doch nun berichtet mir: wie ist es mit
der Aufgabe, die ich Euch gestellt habe? Wie geht es Saruman? Ist er
Orthanc nicht schon leid? Denn ich nehme nicht an, daß er der Meinung
ist. Ihr habet die Aussicht von seinen Fenstern verschönt.«
Baumbart warf Gandalf einen langen Blick zu, einen fast listigen Blick,
fand Merry. »Aha!« sagte er. »Ich dachte mir schon, daß Ihr darauf
kommen würdet. Orthanc leid? Sehr leid zu guter Letzt; aber seinen Turm
war er nicht so leid wie meine Summe. Hum! Ich habe ihm ein paar lange
Geschichten erzählt, oder zumindest etwas, das man in Eurer Redeweise
lang nennen könnte.«
»Warum blieb er denn da, um sie anzuhören? Seid Ihr in den Orthanc
hineingegangen?« fragte Gandalf.
»Hum, nein, nicht in den Orthanc!« sagte Baumbart. »Aber er kam
ans Fenster und hörte zu, weil er sonst keine Nachrichten erhalten
konnte, und obwohl ihm die Nachrichten gar nicht gefielen, war er begie-
rig, sie zu hören; und ich habe dafür gesorgt, daß er alles gehört hat.
Doch habe ich den Nachrichten eine ganze Menge hinzugefügt, über die
nachzudenken gut für ihn war. Er wurde es sehr leid. Er war immer
hastig. Das war sein Untergang.«
»Ich bemerke, mein guter Fangorn«, sagte Gandalf, »daß Ihr mit gro-
ßer Sorgfalt sagt: wohnte, war, wurde. Wie steht es mit ist? Ist er tot?
»Nein, nicht tot, soviel ich weiß«, sagte Baumbart. »Aber er ist fort.
Ja, vor sieben Tagen ist er weggegangen. Ich ließ ihn gehen. Es war
wenig von ihm übrig, als er herauskroch, und was dieses Schlangenge-
schöpf von ihm betrifft, so war er wie ein blasser Schatten. Nun sagt mir
nicht, Gandalf, daß ich versprochen hatte, ihn in sicherem Gewahrsam zu
halten; denn ich weiß es. Aber die Dinge haben sich seitdem geändert.
Und ich habe ihn so lange hier behalten, bis er ungefährlich war und keinen
Schaden mehr anrichten konnte. Ihr solltet wissen, daß ich nichts mehr
hasse, als wenn lebende Wesen in Käfige eingesperrt werden, und nicht
einmal solche Geschöpfe will ich länger im Käfig halten als unbedingt
nötig. Eine Schlange ohne Giftzahn mag kriechen, wohin sie will.«
»Ihr mögt recht haben«, sagte Gandalf. »Aber diese Schlange hatte
noch einen Zahn, glaube ich. Er hatte das Gift seiner Stimme, und ich
vermute, daß er Euch, sogar Euch, Baumbart, überredet hat, da er Euer
weiches Herz kennt. Nun, er ist fort, und da ist nichts mehr darüber zu
sagen. Aber der Turm von Orthanc geht nun wieder an den König, dem
er gehört. Obwohl er ihn vielleicht nicht brauchen wird.«
»Das werden wir später sehen«, sagte Aragorn. »Doch will ich den
Ents dieses ganze Tal geben, mit dem sie tun können, was ihnen beliebt,
solange sie Orthanc bewachen und dafür sorgen, daß keiner ohne meine
Erlaubnis ihn betritt.«
»Er ist zugesperrt«, sagte Baumbart. »Ich veranlaßte Saruman, ihn ab-
zuschließen und mir die Schlüssel zu geben. Flinkbaum hat sie.«
Flinkbaum beugte sich wie ein Baum, der sich im Wind neigt, und gab
Aragorn zwei große schwarze Schlüssel von verschlungener Form, die
mit einem Stahlring verbunden waren.« »Nun danke ich Euch noch
einmal«, sagte Aragorn, »und sage Euch Lebewohl. Möge Euer Wald
in Frieden wieder wachsen. Wenn dieses Tal bepflanzt ist, dann gibt es
noch genug Raum westlich des Gebirges, wo Ihr vor langer Zeit einst
weiltet.«
Baumbarts Gesicht wurde traurig. »Forste mögen wachsen«, sagte er.
»Wälder mögen sich ausbreiten. Aber nicht die Ents. Es gibt keine En-
tings.«
»Doch ist vielleicht Eure Suche jetzt hoffnungsvoller«, sagte Aragorn.
»Lande im Osten stehen Euch nun offen, die lange verschlossen waren.«
Doch Baumbart schüttelte den Kopf und sagte: »Das ist ein zu weiter
Weg. Und dort sind heutzutage zu viele Menschen. Aber ich vergesse
meine guten Umgangsformen! Wollt Ihr nicht hierbleiben und eine Weile
rasten? Und vielleicht würden einige von Euch gern durch den Fangorn-
Forst reiten und ihren Heimweg abkürzen?« Er sah Celeborn und Gala-
driel an.
Aber alle außer Legolas sagten, sie müssen sich nun verabschieden und
entweder nach Süden oder nach Westen aufbrechen. »Komm, Gimli«,
sagte Legolas. »Jetzt will ich mit Fangorns Erlaubnis die verborgenen
Orte im Entwald aufsuchen und Bäume sehen, wie sie nirgends sonst in
Mittelerde zu finden sind. Du sollst mit mir kommen und dein Wort hal-
ten; und so werden wir zusammen wandern bis in unsere Heimatlande in
Düsterwald und jenseits davon.« Damit war Gimli einverstanden, wenn
auch nicht gerade sehr entzückt, wie es schien.
»Dann kommt also hier nun das Ende der Gemeinschaft des Ringes«,
sagte Aragorn. »Dennoch hoffe ich, daß es nicht lange dauern wird, bis
ihr in mein Land zurückkehrt und die Hilfe bringt, die ihr versprochen
habt.«
»Wir werden kommen, wenn unsere Gebieter es erlauben«, sagte Gimli.
»Lebt wohl, meine Hobbits. Ihr solltet jetzt heil und sicher nach Hause
kommen, und ich werde mich nicht wachhalten müssen aus Angst, daß
ihr in Gefahr geratet. Wir werden Nachricht geben, wenn wir können,
und vielleicht können einige von uns sich gelegentlich treffen; aber ich
fürchte, daß wir niemals alle wieder beisammen sein werden.«
Dann sagte Baumbart nacheinander allen Lebewohl, und er verneigte
sich dreimal langsam und mit großer Ehrerbietung vor Celeborn und Gala-
driel. »Es ist lange, lange her, seit wir uns trafen bei Stock oder Stein, A
vanimar, vanimálion nostari!"
sagte er. »Es ist traurig, daß wir uns erst
am Ende treffen. Denn die Welt ändert sich: Ich spüre es im Wasser, ich
spüre es in der Erde, und ich rieche es in der Luft. Ich glaube nicht, daß
wir uns wiedersehen werden.«
Und Celeborn sagte: »Ich weiß es nicht, Ältester.« Aber Galadriel
sagte: »Nicht in Mittelerde, nicht, ehe die Lande, die unter dem Meer lie-
gen, wieder emporgehoben werden. Dann mögen wir uns im Frühling auf
den Weidenwiesen von Tasarinan treffen. Lebet wohl!«
Als letzte von allen sagten Merry und Pippin dem alten Ent auf Wie-
dersehen, und er wurde fröhlicher, als er sie ansah. »Nun, meine lustigen
Leute«, sagte er, »wollt ihr noch einen Trunk haben, ehe ihr geht?«
»O ja, das wollen wir«, sagten sie, und er nahm sie beiseite in den
Schatten eines der Bäume, und sie sahen, daß dort ein großer Steinkrug
stand. Und Baumbart füllte drei Schalen, und sie tranken; und sie sahen,
daß seine seltsamen Augen sie über den Rand seiner Schale anblickten.
»Seid vorsichtig, seid vorsichtig!« sagte er. »Denn ihr seid schon gewach-
sen, seit ich euch zuletzt sah.« Und sie lachten und leerten ihre Schalen.
»Ja, auf Wiedersehen!« sagte er. »Und vergeßt nicht, mir Nachricht
zu geben, wenn ihr in eurem Land etwas von den Entfrauen hört.« Dann
winkte er mit seinen großen Händen der ganzen Gesellschaft zu und ver-
schwand zwischen den Bäumen.
Die Reisenden ritten nun schneller und schlugen den Weg zur Pforte
von Rohan ein; und Aragorn verabschiedete sich von ihnen nahe der
Stelle, wo Pippin in den Stein von Orthanc geblickt hatte. Die Hobbits
waren betrübt über den Abschied; denn Aragorn hatte sie nie im Stich
gelassen und war ihr Führer gewesen in vielen Gefahren.
»Ich wünschte, wir könnten einen Stein haben, damit wir alle unsere
Freunde darin sehen«, sagte Pippin. »Und damit wir mit ihnen sprechen
könnten aus weiter Ferne.«
»Es ist nur noch einer da, den ihr benutzen könntet«, antwortete Ara-
gorn; »denn ihr werdet nicht sehen -wollen, was der Stein von Minas
Tirith euch zeigen würde. Aber den Palantír von Orthanc wird der König
behalten, um zu sehen, was in seinem Reich vor sich geht und was seine
Diener tun. Denn vergiß nicht, Peregrin Tuk, daß du ein Ritter von Gon-
dor bist, und ich entlasse dich nicht aus meinem Dienst. Du gehst jetzt
auf Urlaub, aber es mag sein, daß ich dich wieder rufe. Und denkt daran,
liebe Freunde aus dem Auenland, daß mein Reich auch im Norden liegt,
und eines Tages werde ich dort hinkommen.«
Dann verabschiedete sich Aragorn von Celeborn und Galadriel; und
die Herrin sagte zu ihm: »Elbenstein, durch Dunkelheit bist du zu deiner
Hoffnung gekommen und hast nun alles, was du begehrst. Nütze die Tage
gut!«
Aber Celeborn sagte: »Vetter, lebe wohl! Möge dein Schicksal ein an-
deres sein als meines und dein Schatz bei dir bleiben bis zum Ende!«
Damit trennten sie sich, und es war zur Zeit des Sonnenuntergangs;
und als sie sich nach einer Weile umschauten, sahen sie den König des
Westens auf seinem Roß sitzen, seine Ritter um sich; und die sinkende
Sonne beschien sie und ließ all ihre Hämische wie rotes Gold schimmern,
und Aragorns weißer Mantel wurde in eine Flamme verwandelt. Dann
nahm Aragorn den grünen Stein und hielt ihn hoch, und ein grünes
Leuchten ging von seiner Hand aus.
Bald folgte nun die zusammengeschrumpfte Gesellschaft dem Isen,
wandte sich dann nach Westen und ritt durch die Pforte in die wüsten
Lande dahinter, und als sie sich dann nach Norden wandten, überschritten
sie die Grenze von Dunland. Die Dunländer flohen und versteckten sich,
denn sie fürchteten sich vor elbischem Volk, obwohl eigentlich wenige je
in ihr Land kamen; doch die Reisenden achteten ihrer nicht, denn sie
waren immer noch eine große Gruppe und gut versorgt mit allem, was sie
brauchten; und sie setzten ihren Weg gemächlich fort und schlugen ihre
Zelte auf, wann sie wollten.
Am sechsten Tag seit ihrem Abschied vom König ritten sie durch
einen Wald, der sich an den Bergen am Fuße des Nebelgebirges, das jetzt
zu ihrer Rechten lag, hinunterzog. Als sie bei Sonnenuntergang wieder in
offenes Land kamen, überholten sie einen alten Mann, der sich auf einen
Stock stützte, und er war in graue oder schmutzig-weiße Lumpen geklei-
det, und auf den Fersen folgte ihm noch ein Bettler, gebückt und grei-
nend.
»Nun, Saruman«, sagte Gandalf, »wo gehst du hin?«
»Was kann dir das ausmachen?« fragte Saruman. »Willst du mir
immer noch befehlen, was ich zu tun und zu lassen habe, und genügt es
dir nicht, daß ich gestürzt bin?«
»Du weißt die Antworten«, sagte Gandalf. »Nein und nein. Aber die
Zeit meiner Mühen nähert sich sowieso ihrem Ende. Der König hat die
Bürde übernommen. Wenn du in Orthanc gewartet hättest, hättest du ihn
gesehen, und er hätte dir Weisheit und Milde erwiesen.«
»Dann ist das um so mehr ein Grund, früher weggegangen zu sein«,
sagte Saruman. »Denn keines von beiden ersehne ich von ihm. Wenn du
tatsächlich eine Antwort auf deine erste Frage haben willst: ich suche
einen Weg, der mich aus seinem Reich bringt.«
»Dann gehst du wieder einmal den falschen Weg«, sagte Gandalf, »und
ich sehe keine Hoffnung in deiner Fahrt. Aber willst du unsere Hilfe ver-
schmähen? Denn wir bieten sie dir an.«
»Mir?« sagte Saruman. »Nein, bitte lächele mich nicht an. Dein Stim-
runzeln ist mir lieber. Und was die Herrin betrifft: ihr traue ich nicht; sie
hat mich immer gehaßt und Ränke geschmiedet zu deinen Gunsten. Ich
zweifle nicht daran, daß sie dich auf diesem Weg hergebracht hat, um das
Vergnügen zu haben, sich an meiner Armut zu weiden. Hätte ich recht-
zeitig erfahren, daß ihr mich verfolgt, dann hätte ich euch das Vergnügen
versagt.«
»Saruman«, sagte Galadriel, »wir haben andere Aufgaben und andere
Sorgen als dir nachzustellen. Sage lieber, du habest Glück gehabt; denn
nun hast du eine letzte Gelegenheit.«
»Wenn es wirklich die letzte ist, bin ich froh«, sagte Saruman. »Denn
dann bleibt mir die Mühe erspart, sie wiederum abzulehnen. Alle meine
Hoffnungen sind vernichtet, aber an euren möchte ich nicht teilhaben.
Wenn ihr überhaupt welche habt.«
Für einen Augenblick funkelten seine Augen. »Geht!« sagte er. »Ich
habe nicht umsonst diese Dinge lange erforscht. Ihr habt euch selbst ver-
urteilt, und ihr wißt es. Und wenn ich wandere, wird mir der Gedanke
einigen Trost gewähren, daß ihr euer eigenes Haus niedergerissen habt,
als ihr meines zerstörtet. Und welches Schiff wird euch nun zurücktragen
über ein so weites Meer?« höhnte er. »Ein graues Schiff wird es sein, und
voller Gespenster.« Er lachte, aber seine Stimme war rauh und häßlich.
»Steh auf, du Trottel!« schrie er den anderen Bettler an, der sich auf
den Boden gesetzt hatte; und er schlug ihn mit seinem Stab. »Dreh dich
um! Wenn diese feinen Leute unseren Weg gehen, dann gehen wir einen
anderen. Geh los, sonst gebe ich dir keine Brotrinde zum Abendessen!«
Der Bettler wandte sich um und rappelte sich wimmernd auf: »Armer
alter Gríma! Armer alter Gríma! Immer wird er geschlagen und be-
schimpft. Wie ich ihn hasse! Ich wünschte, ich könnte ihn verlassen!«
»Dann verlaßt ihn doch!« sagte Gandalf.
Aber Schlangenzunge warf Gandalf aus seinen Triefaugen nur einen
Blick voller Angst zu, und dann schlurfte er rasch hinter Saruman her.
Als das unglückliche Paar an der Gruppe vorbeiging, kamen sie zu den
Hobbits, und Saruman blieb stehen und starrte sie an; aber sie sahen
mitleidig auf ihn.
»Ihr seid also auch hergekommen, um euch an mir zu weiden, ihr Bäl-
ger?« sagte er. »Euch ist es gleich, was einem Bettler fehlt, nicht wahr?
Denn ihr habt alles, was ihr wollt, Essen und feine Kleider und das beste
Kraut für eure Pfeifen. 0 ja, ich weiß! Ich weiß, wo es herkommt. Ihr
würdet nicht einem Bettler eine Pfeife voll geben?«
»Ich würde es, wenn ich etwas hätte«, sagte Frodo.
»Ihr könnt haben, was ich noch habe«, sagte Merry, »wenn Ihr einen
Augenblick warten wollt.« Er saß ab und suchte in seiner Satteltasche.
Dann gab er Saruman einen Lederbeutel. »Nehmt, was drin ist«, sagte er.
»Bitte bedient Euch; es kam aus dem Treibgut von Isengart.«
»Meins, meins, ja, und teuer gekauft!« rief Saruman und griff nach
dem Beutel. »Das ist nur eine Teilwiedergutmachung; denn ihr habt mehr
genommen, da wette ich. Immerhin, ein Bettler muß dankbar sein, wenn
ein Dieb ihm auch nur ein Bröckchen seines Eigentums zurückgibt. Na, es
geschieht euch recht, wenn ihr nach Hause kommt und die Dinge im Süd-
viertel weniger gut findet, als ihr es gern hättet. Lange möge euer Land
knapp an Kraut sein!«
»Danke«, sagte Merry. »In diesem Fall will ich meinen Beutel zurück-
haben, der nicht Euch gehört und weit mit mir gewandert ist. Wickelt das
Kraut in einen von euren eigenen Lumpen.«
»Einem Dieb geschieht's recht, wenn ein anderer ihn bestiehlt«, sagte
Saruman, wandte Merry den Rücken, versetzte Schlangenzunge einen
Fußtritt und ging in Richtung auf den Wald davon.
»Na, das gefällt mir«, sagte Pippin. »Ein Dieb fürwahr! Was ist mit
unserem Schadenersatzanspruch wegen Auflauern, Verwunden, uns von
Orks durch ganz Rohan schleppen lassen?«
»Ach«! sagte Sam. »Und gekauft hat er gesagt. Wie, möchte ich mal
wissen? Und was er über das Südviertel sagte, gefiel mir gar nicht. Es ist
Zeit, daß wir zurückkommen.«
»Das ist es gewiß«, sagte Frodo. »Aber wir können nicht schneller
hinkommen, wenn wir Bilbo sehen wollen. Ich gehe zuerst nach Bruchtal,
was immer geschieht.«
»Ja, ich glaube, das wäre besser«, sagte Gandalf. »Aber wehe um Saru-
man! Ich fürchte, aus ihm kann nichts mehr werden. Er ist völlig zu-
grunde gerichtet. Trotzdem bin ich nicht sicher, daß Baumbart recht hat:
ich stelle mir vor, daß er auf kleinliche, gemeine Weise noch irgendein
Unheil stiften könnte.«
Am nächsten Tag gelangten sie in das nördliche Dunland, wo jetzt
keine Menschen wohnten, obwohl es ein grünes und erfreuliches Land
war. Der September kam mit seinen goldenen Tagen und silbernen Näch-
ten, und sie ritten gemächlich, bis sie den Fluß Schwanenfleet erreichten
und die alte Furt fanden, östlich der Wasserfälle, wo der Fluß plötzlich
ins Tiefland hinuntereilte. Weit im Westen lagen im Dunst die Teiche
und Werder, durch die er sich seinen Weg zur Grauflut bahnte: unzählige
Schwäne lebten dort in einer Schilflandschaft.
So kamen sie nach Eregion, und endlich dämmerte ein schöner Morgen
und schimmerte über leuchtenden Nebeln; und als sie von ihrem Lager
auf einem niedrigen Berg hinausblickten, sahen die Reisenden, wie fern
im Osten die Sonne drei Gipfel erfaßte, die zwischen segelnden Wolken
hoch in den Himmel aufragten: Caradhras, Celebdil und Fanuidhol. Sie
waren in der Nähe der Tore von Moria.
Hier blieben sie nun sieben Tage, denn die Zeit war gekommen für
einen weiteren Abschied, der ihnen schwerfiel. Bald würden Celeborn
und Galadriel und ihr Volk nach Osten abbiegen und über den Rothorn-
paß und den Schattenbachsteig hinunter zum Silberlauf gelangen und von
dort in ihr eigenes Land. Bisher hatten sie die westlichen Wege einge-
schlagen, denn sie hatten mit Elrond und Gandalf viel zu besprechen, und
hier verweilten sie jetzt noch, um sich mit ihren Freunden zu unterhalten.
Oft saßen sie noch lange, nachdem die Hobbits in Schlaf gesunken waren,
unter den Sternen zusammen, erinnerten sich der Zeitalter, die vergangen
waren, und all ihrer Freuden und Mühen in der Welt, oder sie berieten
sich über die zukünftigen Tage. Wenn irgendein Wanderer zufällig vor-
beigekommen wäre, hätte er wenig gesehen oder gehört und nur geglaubt,
er erblicke Gestalten, in Stein gemeißelt, Denkmäler vergessener Ge-
schöpfe, die in den nun unbewohnten Landen zurückgeblieben waren.
Denn sie regten sich nicht und sprachen auch nicht mit dem Mund, son-
dern blickten einander ins Herz; und nur ihre Augen bewegten sich und
leuchteten, wenn ihre Gedanken von einem zum anderen gingen.
Doch schließlich war alles gesagt, und sie trennten sich für eine Weile,
bis es für die Drei Ringe Zeit sei, von dannen zu gehen. In ihren grauen
Mänteln waren die Leute von Lórien, die zum Gebirge ritten, bald in den
Felsen und Schatten verschwunden; und diejenigen, die nach Bruchtal ge-
hen sollten, saßen auf dem Berg und schauten ihnen nach, bis aus dem
aufsteigenden Nebel ein Blitz kam; und dann sahen sie nichts mehr.
Frodo wußte, daß Galadriel zum Zeichen des Abschieds ihren Ring hoch-
gehalten hatte.
Sam wandte sich ab und seufzte: »Ich wünschte, ich ginge auch zurück
nach Lórien!«
Eines Abends kamen sie über die Hochmoore und standen, wie es
Wanderern immer schien, ganz unvermutet am Rand des tiefen Tals von
Bruchtal und sahen weit unten die Lampen in Elronds Haus schimmeln.
Und sie stiegen hinunter und überquerten die Brücke und kamen zu den
Türen, und das ganze Haus war voll Licht und Gesang aus Freude über
Elronds Heimkehr.
Zuallererst, ehe sie gegessen oder sich gewaschen oder auch nur ihre
Mäntel abgelegt hatten, machten sich die Hobbits auf die Suche nach
Bilbo. Sie fanden ihn ganz allein in seinem Zimmer. Es war übersät mit
Papieren und Federn und Pinseln; und Bilbo saß auf einem Sessel vor
einem kleinen hellen Feuer. Er sah sehr alt aus, aber friedlich, und schläf-
rig.
Er öffnete die Augen und schaute auf, als sie hereinkamen. »Hallo,
hallo!« sagte er. »Ihr seid also zurückgekommen? Und morgen ist mein
Geburtstag. Wie klug von euch! Wißt ihr eigentlich, daß ich einhundert-
neunundzwanzig werde? In einem Jahr, wenn ich am Leben bleibe, ziehe
ich mit dem Alten Tuk gleich. Ich würde ihn gern schlagen; aber wir
werden sehen.«
Nach der Feier von Bilbos Geburtstag blieben die vier Hobbits noch ein
paar Tage in Bruchtal, und sie saßen viel mit ihrem alten Freund zusam-
men, der jetzt den größten Teil seiner Zeit in seinem Zimmer verbrachte,
abgesehen von den Mahlzeiten. Zu denen kam er in der Regel sehr pünkt-
lich, und er versäumte selten, rechtzeitig dafür aufzuwachen. Wenn sie
mit ihm am Feuer saßen, erzählten sie ihm abwechselnd alles, an was sie
sich von ihren Fahrten und Abenteuern erinnern konnten. Zuerst tat er
so, als schriebe er sich manches auf; aber oft schlief er ein; und wenn er
aufwachte, sagte er: »Wie herrlich! Wie wundervoll! Aber wo waren
wir?« Dann fuhren sie mit der Geschichte von dem Punkt an fort, an dem
er eingenickt war.
Der einzige Teil, der ihn wirklich aufzuwecken und seine Aufmerk-
samkeit wachzuhalten schien, war der Bericht über die Krönung und Hei-
rat von Aragorn. »Ich war natürlich zur Hochzeit eingeladen«, sagte er.
»Und ich habe lange genug darauf gewartet. Aber irgendwie, als es dann
so weit war, fand ich, daß ich hier so viel zu tun hatte; und Packen ist so
lästig.«
Als fast zwei Wochen vergangen waren, schaute Frodo aus dem Fen-
ster und sah, daß es Frost gegeben hatte in der Nacht und die Spinnenwe-
ben wie weiße Netze waren. Da wußte er plötzlich, daß er aufbrechen und
Bilbo Lebewohl sagen mußte. Das Wetter war noch ruhig und schön nach
einem der herrlichsten Sommer, an die die Leute sich erinnern konnten;
aber es war nun Oktober, und bald würde sich das Wetter ändern, es
würde Regen und Wind geben. Und es war noch ein weiter Weg zurück-
zulegen. Dennoch war es eigentlich nicht der Gedanke an das Wetter, der
ihn bewegte. Er hatte das Gefühl, es sei Zeit, in das Auenland zurückzu-
kehren. Sam war auch der Meinung. Erst am Abend zuvor hatte er ge-
sagt:
»Ja, Herr Frodo, wir sind weit herumgekommen und haben eine Menge
gesehen, und doch glaube ich, wir haben keinen besseren Ort gefunden
als diesen. Hier gibt es ein bißchen von allem, wenn du mich verstehst:
das Auenland und der Goldene Wald und Gondor und Königshäuser und
Wirtshäuser und Wiesen und Berge, alles zusammen. Und trotzdem habe
ich irgendwie das Gefühl, wir sollten bald gehen. Ich mache mir Sorgen
um den Ohm, um dir die Wahrheit zu sagen.«
»Ja, ein bißchen von allem, Sam, außer dem Meer«, hatte Frodo geant-
wortet; und jetzt wiederholte er es bei sich selbst: »Außer dem Meer.«
An jenem Tag sprach Frodo mit Elrond, und es wurde vereinbart, daß
sie am nächsten Tag aufbrechen sollten. Zu ihrer Freude sagte Gandalf:
»Ich glaube, ich werde mitkommen. Zumindest bis Bree. Ich will Butter-
blume sehen.«
Am Abend gingen sie zu Bilbo, um ihm Lebewohl zu sagen. »Ja, wenn
ihr gehen müßt, müßt ihr gehen«, sagte er. »Aber es tut mir leid. Ich
werde euch vermissen. Es ist nett, bloß zu wissen, daß ihr hier seid. Aber
ich werde sehr schläfrig.« Dann schenkte er Frodo seinen Mithril-Panzer
und Stich, denn er hatte vergessen, daß er das schon früher getan hatte;
und er gab ihm auch drei Bücher des Wissens, die er zu verschiedenen
Zeiten mit seiner zierlichen Handschrift geschrieben hatte, und auf den
roten Rücken stand: Übersetzungen aus dem Elbischen von B. B.
Sam schenkte er einen kleinen Beutel Gold. »Fast der letzte Tropfen von
der Smaug-Weinlese«, sagte er. »Mag sich als nützlich erweisen, wenn du
daran denkst, dich zu verheiraten, Sam.« Sam errötete.
»Ich habe nicht viel, was ich euch jungen Burschen geben könnte«,
sagte er zu Merry und Pippin, »außer guten Ratschlägen.« Und nachdem
er ihnen ein gerüttelt Maß davon gegeben hatte, fügte er als letzten Punkt
nach Auenland-Art hinzu: »Laßt eure Köpfe nicht zu groß werden für
eure Hüte! Aber wenn ihr nicht bald mit Wachsen aufhört, werdet ihr
feststellen, daß Hüte und Kleider teuer sind.«
»Aber wenn du den Alten Tuk schlagen willst«, sagte Pippin, »dann
sehe ich nicht ein, warum wir nicht versuchen sollen, den Bullenraßler zu
schlagen.«
Bilbo lachte und zog zwei schöne Pfeifen aus der Tasche, mit Mund-
stücken aus Perlmutt und fein gearbeiteten silbernen Beschlägen. »Denkt
an mich, wenn ihr aus ihnen raucht«, sagte er. »Die Elben haben sie für
mich gemacht, aber ich rauche jetzt nicht.« Und dann plötzlich nickte er
ein und schlief ein wenig; und als er aufwachte, sagte er: »Nun, wo
waren wir? Ach ja, Geschenke machen. Dabei fällt mir ein, Frodo, was
ist aus meinem Ring geworden, den du mitgenommen hast?«
»Ich habe ihn verloren, lieber Bilbo«, sagte Frodo. »Ich habe mich sei-
ner entledigt, weißt du.«
»Wie schade«, sagte Bilbo. »Ich hätte ihn gern wiedergesehen. Aber
nein, wie albern von mir! Darum warst du doch weggegangen, nicht
wahr? Um dich seiner zu entledigen. Aber das ist alles so verwirrend,
denn so viel andere Dinge scheinen damit verquickt zu sein: Aragorns
Angelegenheiten und der Weiße Rat und Gondor und Reiter und Südlän-
der und Olifanten — hast du wirklich einen gesehen, Sam? — und Höhlen
und Türme und goldene Bäume und wer weiß was noch alles.
Ich bin offenbar von meiner Fahrt zu schnurstracks zurückgekommen.
Ich finde, Gandalf hätte mich noch ein bißchen herumführen können.
Aber dann wäre die Auktion vorbei gewesen, ehe ich zurückkam, und
dann hätte ich noch mehr Ärger gehabt als so schon. Jedenfalls ist es jetzt
zu spät. Ich glaube, es ist behaglicher, hier zu sitzen und alles erzählt zu
bekommen. Das Feuer ist hier sehr gemütlich, und das Essen ist sehr gut,
und es sind Elben da, wann immer man sie will. Was sonst könnte man
sich wünschen?

Die Straße gleitet fort und fort
Weg von der Tür, wo sie begann,
Zur Ferne hin, zum fremden Ort,

Ihr folge denn, wer wandern kann
Und einem neuen Ziel sich weihn.

Zu guter Letzt auf müdem Schuh
Kehr ich zur hellen Lampe ein

Im warmen Haus zur Abendruh.«

Und als Bilbo die letzten Worte gemurmelt hatte, sank ihm der Kopf
auf die Brust, und er schlief fest.
Der Abend verdunkelte sich im Zimmer, und das Feuer brannte heller;
und sie betrachteten Bilbo, wie er schlief, und sahen, daß er lächelte. Eine
Zeitlang saßen sie stumm da; und dann blickte sich Sam im Zimmer um
und sah die Schatten an der Wand flackern, und er sagte leise:
»Ich glaube nicht, Herr Frodo, daß er viel geschrieben hat, während wir
weg waren. Er wird nun unsere Geschichte niemals schreiben.«
Darauf blinzelte Bilbo mit einem Auge, fast als ob er es gehört hätte.
Dann wurde er wach. »Ihr seht, ich werde immer so schläfrig«, sagte er.
»Und wenn ich Zeit zum Schreiben habe, dann mag ich eigentlich nur Ge-
dichte schreiben. Ich frage mich, Frodo, mein lieber Junge, ob es dir sehr
viel ausmachen würde, die Dinge für mich ein bißchen in Ordnung zu
bringen, ehe du gehst? Suche all meine Aufzeichnungen und Papiere zu-
sammen, und auch mein Tagebuch, und nimm sie mit, wenn du willst. Du
siehst ja, ich habe nicht viel Zeit für die Auswahl und die Bearbeitung
und all das. Laß dir von Sam helfen, und wenn du die Sache in Form ge-
bracht hast, dann komm zurück, und ich sehe es durch. Ich werde nicht
allzuviel auszusetzen haben.«
»Natürlich will ich das!« sagte Frodo, »und natürlich werde ich bald
zurückkommen: es wird nicht mehr gefährlich sein. Jetzt gibt es einen
richtigen König, und bald wird er die Straßen in Ordnung bringen.«
»Danke, mein lieber Junge«, sagte Bilbo. »Da ist mir wirklich ein Stein
vom Herzen.« Und damit schlief er wieder fest ein.
Am nächsten Tag verabschiedeten sich Gandalf und die Hobbits von
Bilbo in seinem Zimmer, denn draußen war es kalt; und sie sagten Elrond
und seinem Gefolge Lebewohl.
Als Frodo auf der Schwelle stand, wünschte Elrond ihm eine gute
Fahrt und viel Glück, und er sagte:
»Ich glaube, Frodo, daß du vielleicht nicht wiederzukommen brauchst,
es sei denn, du kämest sehr bald. Etwa um diese Zeit des nächsten Jahres,
wenn die Blätter golden sind, ehe sie fallen, halte in den Wäldern des
Auenlands nach Bilbo Ausschau. Ich werde bei ihm sein.«
Diese Worte hörte niemand sonst, und Frodo behielt sie für sich.

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