SIEBTES KAPITEL
DENETHORS SCHEITERHAUFEN

Als sich der dunkle Schatten am Tor zurückzog, saß Gandalf immer
noch reglos da. Aber Pippin erhob sich, als ob ein großes Gewicht von
ihm genommen sei; und er stand da und hörte die Hörner, und ihm
schien, daß ihm das Herz vor Freude zerspringen würde. Niemals konnte
er in späteren Jahren ein Horn in der Feme blasen hören, ohne daß ihm
die Tränen in die Augen traten. Aber jetzt fiel ihm plötzlich sein Auftrag
wieder ein, und er rannte los. In diesem Augenblick rührte sich Gandalf
und sprach mit Schattenfell, und gerade wollte er durch das Tor reiten.
»Gandalf! Gandalf!« rief Pippin, und Schattenfell blieb stehen.
»Was machst du denn hier?« fragte Gandalf. »Ist es nicht Vorschrift in
der Stadt, daß diejenigen, die das Schwarz und Silber tragen, in der Veste
bleiben müssen, sofern ihr Herr ihnen nicht Erlaubnis gibt?«
»Das hat er getan«, sagte Pippin. »Er hat mich weggeschickt. Aber ich
habe Angst. Etwas Schreckliches kann da oben geschehen. Der Herr ist
nicht bei Sinnen, glaube ich. Ich fürchte, er wird sich töten und auch
Faramir töten. Kannst du nicht etwas tun?«
Gandalf blickte durch das offenstehende Tor, und er hörte den sich
schon verstärkenden Schlachtenlärm auf den Feldern. Er ballte die Fäuste.
»Ich muß gehen«, sagte er. »Der Schwarze Reiter ist unterwegs, und er
wird noch Unheil über uns bringen. Ich habe keine Zeit.«
»Aber Faramir!« rief Pippin. »Er ist nicht tot, und sie werden ihn
lebendig verbrennen, wenn nicht irgendeiner sie aufhält.«
»Lebendig verbrennen?« fragte Gandalf. »Was für eine Geschichte ist
das? Mach schnell!«
»Denethor ist zu den Grüften gegangen«, sagte Pippin, »und er hat
Faramir mitgenommen, und er sagt, wir müssen alle brennen, und er
wolle nicht warten, und sie sollen einen Scheiterhaufen machen und ihn
darauf verbrennen, und Faramir auch. Und er hat Männer ausgeschickt,
um Holz und öl zu holen. Und ich habe es Beregond erzählt, aber ich
fürchte, er wagt nicht, seinen Posten zu verlassen: er ist auf Wache. Und
was könnte er überhaupt tun?« So sprudelte Pippin seine Geschichte her-
vor, und er berührte Gandalfs Knie mit zitternden Händen. »Kannst du
Faramir nicht retten?«
»Das kann ich vielleicht«, sagte Gandalf, »aber wenn ich es tue, wer-
den andere sterben, fürchte ich. Nun, ich muß hingehen, wenn keine an-
dere Hilfe kommt. Aber Unheil und Kummer wird daraus entstehen.
Selbst mitten in unserer Festung besitzt der Feind die Macht, uns zu
schlagen: denn sein Wille ist hier am Werk.«
Nachdem er sich einmal entschlossen hatte, handelte er dann schnell; er
packte Pippin, setzte ihn vor sich und wendete Schattenfell mit einem
Wort. Die steilen Straßen von Minas Tirith klapperten sie hinauf, wäh-
rend der Kriegslärm hinter ihnen anschwoll. Überall schüttelten die Män-
ner ihre Verzweiflung und Angst ab, griffen zu den Waffen und riefen
einander zu: »Rohan ist gekommen!« Hauptleute schrien, Scharen wur-
den aufgestellt; viele marschierten schon hinunter zum Tor.
Sie begegneten dem Fürsten Imrahil, und er rief ihnen zu: »Wohin
nun, Mithrandir? Die Rohirrim kämpfen auf den Feldern von Gondor!
Wir müssen alle Streitkräfte sammeln, die wir finden können.«
»Ihr werdet jeden Mann brauchen, und noch mehr«, sagte Gandalf.
»Eilt Euch. Ich werde kommen, wenn ich kann. Aber ich habe etwas bei
Herrn Denethor zu erledigen, das keinen Aufschub duldet. Übernehmt
den Befehl in der Abwesenheit des Herrn!«
Sie ritten weiter; und als sie höher kamen und sich der Veste näherten,
spürten sie den Wind auf ihren Gesichtern, und sie erblickten den Schim-
mer des Morgens in weiter Feme, eine zunehmende Helligkeit am süd-
lichen Himmel. Aber sie brachte ihnen wenig Hoffnung, denn sie wußten
nicht, welches Unheil sie erwartete, und sie fürchteten zu spät zu kom-
men.
»Die Dunkelheit vergeht«, sagte Gandalf, »aber noch lastet sie schwer
auf dieser Stadt.«
Am Tor der Veste fanden sie keine Wache. »Dann ist Beregond gegan-
gen«, sagte Pippin hoffnungsvoller. Sie bogen in die Straße zur Geschlos-
senen Tür ein und eilten voran. Die Tür stand weit offen, und vor ihr lag
der Pförtner. Er war erschlagen, und der Schlüssel war ihm abgenommen
worden.
»Werk des Feindes!« sagte Gandalf. »Solche Taten liebt er: der Freund
kämpft mit dem Freund; Zwiespalt der Treue in der Verwirrung der Her-
zen.« Nun saß er ab und bat Schattenfell, in seinen Stall zurückzukehren.
»Denn, mein Freund,« sagte er, »du und ich hätten schon lange auf das
Schlachtfeld reiten sollen, aber andere Dinge halten mich auf. Doch
komm schnell, wenn ich rufe.«
Sie durchschritten die Tür und gingen die steile, gewundene Straße hin-
unter. Es wurde heller, und die hohen Säulen und Standbilder neben dem
Weg zogen langsam vorüber wie graue Gespenster.
Plötzlich wurde die Sülle unterbrochen, und sie hörten unten Schreie
und das Klirren von Schwertern: solche Geräusche waren an den Weihe-
stätten nicht vernommen worden, seit die Stadt erbaut wurde. Schließlich
kamen sie nach Rath Dínen und eilten zum Haus der Truchsessen, das im
Zwielicht unter seiner großen Kuppel aufragte.
»Haltet ein! Haltet ein!« rief Gandalf und sprang auf die Steintreppe
vor der Tür. »Haltet ein mit diesem Wahnsinn!«
Denn da waren Denethors Diener mit Schwertern und Fackeln in
der Hand; doch allein unter dem Vorbau auf der obersten Stufe stand
Beregond, gekleidet in das Schwarz und Silber der Wache; er behauptete
die Tür gegen sie. Zwei von ihnen waren schon unter seinem Schwert ge-
fallen und befleckten die Weihestätten mit ihrem Blut; und die anderen
verfluchten ihn und nannten ihn einen Gesetzesbrecher und Verräter an
seinem Herrn.
Während Gandalf und Pippin noch zu ihnen rannten, hörten sie aus
dem Haus der Toten Denethors Stimme, die rief: »Eilt euch! Eilt euch!
Tut, was ich befohlen habe. Erschlagt mir diesen Abtrünnigen! Oder ich
muß es selbst tun!« Daraufhin wurde die Tür, die Beregond mit der lin-
ken Hand zugehalten hatte, aufgerissen, und hinter ihm stand der Herr
der Stadt, kühn und grimmig; flammend funkelten seine Augen, und er
hatte sein Schwert gezogen.
Doch Gandalf sprang die Stufen hinauf, und die Männer wichen vor
ihm zurück und bedeckten die Augen; denn sein Kommen war, wie wenn
weißes Licht auf eine dunkle Stelle fällt, und er kam voller Zorn. Er hob
die Hand, und Denethors Schwert flog mitten im Hieb hoch, entglitt sei-
ner Hand und fiel hinter ihm in die Schatten des Hauses; und Denethor
trat vor Gandalf zurück wie einer, der bestürzt ist.
»Was soll das, Herr?« fragte der Zauberer. »Die Häuser der Toten sind
kein Ort für die Lebenden. Und warum kämpfen Männer hier an den
Weihestätten, wenn vor dem Tor Krieg geführt wird? Oder ist unser
Feind sogar nach Rath Dínen gekommen?«
»Seit wann ist der Herr von Gondor dir Rechenschaft schuldig?« sagte
Denethor. »Oder darf ich meinen eigenen Dienern keine Befehle geben?«
»Das dürft Ihr«, sagte Gandalf. »Doch andere können sich Eurem Wil-
len widersetzen, wenn er sich als Wahnsinn und Unheil erweist. Wo ist
Euer Sohn Faramir?«
»Er liegt drinnen«, sagte Denethor. »Er brennt, er brennt schon. Sie
haben sein Fleisch in Brand gesteckt. Aber bald werden wir alle ver-
brannt werden. Der Westen hat versagt. Er wird in einem großen Feuer
aufgehen, und alles wird ein Ende nehmen. Asche! Asche und Rauch,
den der Wind davontreibt!«
Als Gandalf den Wahnsinn sah, der ihn befallen hatte, fürchtete er,
Denethor habe bereits irgendein Unheil angerichtet, und er drängte sich
vor, Beregond und Pippin hinter ihm, während Denethor zurückwich, bis
er drinnen neben dem Tisch stand. Aber dort fanden sie Faramir, immer
noch in Fieberträumen, auf dem Tisch liegend. Holz war unter ihm und
ringsum hoch aufgeschichtet, und alles war mit Öl getränkt, selbst Fara-
mirs Kleider und die Decken; doch bis jetzt war noch kein Feuer gelegt.
Dann ließ Gandalf die Kraft erkennen, die verborgen in ihm lag, ebenso
wie das Leuchten seiner Macht unter seinem grauen Mantel verborgen
war. Er sprang auf den Scheiterhaufen zu, hob den kranken Mann leicht
auf und sprang wieder zurück und trug ihn zur Tür. Doch als er das tat,
stöhnte Faramir und rief im Traum nach seinem Vater.
Denethor fuhr zusammen wie einer, der aus einem Zustand der Verzük-
kung wieder zu sich kommt, das Funkeln seiner Augen erlosch, und er
weinte; und er sagte: »Nimm meinen Sohn nicht von mir. Er ruft mich.«
»Er ruft«, sagte Gandalf, »aber Ihr könnt noch nicht zu ihm kommen.
Denn an der Schwelle des Todes muß er Heilung suchen, und vielleicht
findet er sie nicht. Dagegen ist es Eure Aufgabe, hinauszugehen zum
Kampf Eurer Stadt, wo Euch vielleicht der Tod erwartet. Das wißt Ihr im
Grunde Eures Herzens.«
»Er wird nicht wieder aufwachen«, sagte Denethor. »Die Schlacht ist
vergebens. Warum sollten wir uns wünschen, länger zu leben? Warum
sollten wir nicht Seite an Seite in den Tod gehen?«
»Ihr seid nicht befugt, Truchseß von Gondor, die Stunde Eures Todes
zu bestimmen«, antwortete Gandalf. »Und nur die götzendienerischen
Könige unter der Herrschaft der Dunklen Macht verfuhren so, töteten
sich selbst in Stolz und Verzweiflung, ermordeten ihre Sippe, um ihren
eigenen Tod zu erleichtern.« Dann schritt er durch die Tür und brachte
Faramir aus dem Todeshaus heraus und legte ihn auf die Bahre, auf der er
hergetragen worden war und die jetzt unter dem Vorbau stand. Denethor
folgte ihm, stand zitternd da und schaute sehnsüchtig auf das Gesicht sei-
nes Sohnes. Und einen Augenblick lang, während alle still und stumm
waren und den Herrn in seinem Kampf beobachteten, schwankte er.
»Kommt!« sagte Gandalf. »Wir werden gebraucht. Es gibt vieles, was
Ihr noch tun könnt.«
Da lachte Denethor plötzlich. Er stand wieder hochaufgerichtet und
stolz da, trat rasch zu dem Tisch zurück und nahm ein Kissen hoch, auf
dem sein Kopf geruht hatte. Als er dann zur Tür kam, zog er den Kissen-
bezug beiseite, und siehe! er hielt einen palantír in den Händen. Und wie
er ihn hochhielt, schien es jenen, die zuschauten, daß die Kugel von
einer inneren Flamme erglühte, so daß das hagere Gesicht des Herrn wie
von einem roten Feuer beleuchtet war, und es schien aus hartem Stein ge-
schnitten zu sein, scharf mit schwarzen Schatten, edel, stolz und entsetz-
lich. Seine Augen funkelten.
»Stolz und Verzweiflung!« rief er. »Glaubtest du, daß die Augen des
Weißen Turms blind seien? Nein, ich habe mehr gesehen, als du weißt,
Grauer Narr. Denn deine Hoffnung ist nur Unwissenheit. Gehe denn und
bemühe dich zu heilen! Gehe hinaus und kämpfe! Eitel ist es! Für eine
kleine Weile magst du auf dem Schlachtfeld siegen, für einen Tag. Aber
gegen die Macht, die sich jetzt erhebt, gibt es keinen Sieg. Gegen diese
Stadt ist nur der erste Finger seiner Hand ausgestreckt worden. Der ganze
Osten ist in Bewegung. Und eben jetzt trügt dich der Wind deiner Hoff-
nung und trägt auf dem Anduin eine Flotte mit schwarzen Segeln heran.
Der Westen hat versagt. Es ist Zeit für uns alle zu sterben, die wir nicht
Hörige sein wollen.«
»Solche Entschlüsse werden den Sieg des Feindes fürwahr gewiß
machen«, sagte Gandalf.
»Hoffe denn weiter!« lachte Denethor. »Kenne ich dich nicht,
Mithrandir? Deine Hoffnung ist es, an meiner Statt zu herrschen, hinter
jedem Thron zu stehen, im Norden, Süden oder Westen. Ich habe in dei-
ner Seele gelesen und ihre Gedanken erraten. Weiß ich denn nicht, daß du
diesem Halbling befohlen hast, Schweigen zu bewahren? Daß du ihn hier-
her gebracht hast, damit er sogar in meinem eigenen Gemach ein Späher
sei? Und dennoch habe ich bei unseren Gesprächen die Namen und Ab-
sichten all deiner Gefährten erfahren. So! Mit der linken Hand wolltest du
mich für eine kleine Weile als Schild gegen Mordor benutzen, und mit
der rechten diesen Waldläufer aus dem Norden heranbringen, auf daß er
mich verdränge.
Aber das sage ich dir, Gandalf Mithrandir, ich will nicht dein Werk-
zeug sein! Ich bin Truchseß aus dem Hause Anárions. Ich will mich nicht
erniedrigen und der schwachsinnige Kämmerer eines Emporkömmlings
sein. Selbst wenn mir sein Anspruch bewiesen würde, so stammt er den-
noch nur aus Isildurs Geschlecht. Ich will mich nicht einem solchen beu-
gen, dem letzten aus einem zerlumpten Hause, seit langem der Herrschaft
und Würde beraubt.«
»Aber was würdet Ihr Euch denn wünschen«, fragte Gandalf, »wenn
es nach Eurem Willen ginge?«
»Ich möchte, daß die Dinge so bleiben, wie sie zeit meines Lebens
waren«, antwortete Denethor, »und in den Tagen meiner Ahnen vor mir:
in Frieden der Herr dieser Stadt zu sein und nach mir meinen Herrscher-
sitz einem Sohn zu hinterlassen, der sein eigener Herr wäre und kein
Zauberlehrling. Doch wenn das Schicksal mir das verweigert, dann will
ich nichts haben: weder ein erniedrigtes Leben noch geteilte Liebe oder
verminderte Ehre.«
»Mir würde es nicht als eine Verminderung an Liebe oder Ehre erschei-
nen, wenn ein Truchseß das seiner Obhut Anvertraute zurückgibt«, sagte
Gandalf. »Und zumindest solltet Ihr Euren Sohn nicht der Möglichkeit
berauben, selbst eine Wahl zu treffen, solange sein Tod noch ungewiß ist.«
Bei diesen Worten flammten Denethors Augen wieder, und er klemmte
sich den Stein unter den Arm, zog einen Dolch und ging auf die Bahre
zu. Aber Beregond sprang herbei und stellte sich vor Faramir.
»So!« schrie Denethor. »Du hast schon die Hälfte der Liebe meines
Sohnes gestohlen. Jetzt stiehlst du mir auch die Herzen meiner Ritter, so
daß sie mich zuletzt völlig meines Sohnes berauben. Aber zumindest
dabei sollst du dich meinem Willen nicht widersetzen: mein eigenes Ende
zu bestimmen.«
»Kommt her!« rief er seinen Dienern zu. »Kommt, wenn ihr nicht alle
treulos seid!« Da liefen zwei von ihnen die Stufen zu ihm hinauf. Rasch
ergriff er die Fackel, die einer von ihnen in der Hand hatte, und stürzte
zurück ins Haus. Ehe Gandalf ihn hindern konnte, warf er sie auf den
Holzstoß, und im Nu prasselte er und stand in Flammen.
Dann sprang Denethor auf den Tisch, und als er dort von Feuer und
Rauch umringt stand, nahm er den Stab seines Truchseßamtes auf, der zu
seinen Füßen gelegen hatte, und zerbrach ihn auf seinem Knie. Er warf
die Stücke in die Flammen, bückte sich und legte sich auf dem Tisch nie-
der, und mit beiden Händen hielt er den palantír auf der Brust. Und es
hieß, daß jeder Mensch, der später in diesen Stein blickte, wenn er nicht
eine große Willensstärke besaß, um ihn auf ein anderes Ziel zu richten,
nur zwei gealterte Hände sah, die sich in Flammen verzehrten.
Mit Schmerz und Entsetzen wandte Gandalf sein Gesicht ab und schloß
die Tür. Eine Weile stand er sinnend und schweigend auf der Schwelle,
während jene, die draußen standen, hörten, wie das Feuer drinnen gierig
wütete. Und dann stieß Denethor einen lauten Schrei aus, und danach
sprach er nicht mehr und wurde niemals wieder von Sterblichen gesehen.
»So geht Denethor, Ecthelions Sohn, dahin«, sagte Gandalf. Dann
wandte er sich an Beregond und die Diener des Herrn, die erschrocken
dastanden. »Und so gehen auch die Tage des Gondors, das ihr gekannt
habt, dahin; auf Gedeih und Verderb sind sie zu Ende. Böse Taten sind
hier vollbracht worden; aber laßt nun alle Feindschaft, die zwischen euch
liegt, beiseite, denn sie war das Werk des Feindes und vollstreckt seinen
Willen. Ihr seid in einem Netz widerstreitender Pflichten gefangen wor-
den, das ihr nicht geknüpft habt. Doch denkt daran, ihr Diener des Herrn,
die ihr in eurem Gehorsam blind wart, daß ohne Beregonds Treubruch
auch Faramir, Heermeister des Weißen Turms, jetzt verbrannt wäre.
Tragt von diesem unseligen Ort eure Gefährten fort, die gefallen sind.
Und wir werden Faramir, Truchseß von Gondor, an einen Ort bringen,
an dem er in Frieden schlafen oder sterben kann, wenn das sein Schick-
sal ist.«
Dann nahmen Gandalf und Beregond die Bahre auf und trugen sie zu
den Häusern der Heilung, während Pippin mit gesenktem Kopf hinter
ihnen ging. Doch die Diener des Herrn starrten niedergeschlagen auf das
Haus der Toten; und gerade als Gandalf das Ende von Rath Dínen er-
reicht hatte, gab es ein großes Getöse. Als er sich umschaute, sah er, daß
die Kuppel des Hauses barst und Rauch aus ihr aufstieg; und dann stürzte
sie krachend und unter Steingepolter und stiebenden Funken ein; aber un-
vermindert tanzten und flackerten die Flammen noch in den Trümmern.
Da flohen die Diener voll Schrecken und folgten Gandalf.
Endlich kamen sie zurück zur Tür des Truchsessen, und voll Schmerz
schaute Beregond auf den Pförtner. »Diese Tat werde ich immer bereuen«,
sagte er. »Aber ich war rasend in meiner Hast, und er wollte nicht hören,
sondern zog das Schwert gegen mich.« Dann nahm er den Schlüssel, den
er der Hand des Erschlagenen entrissen hatte, und verschloß die Tür. »Er
sollte jetzt dem Herrn Faramir gegeben werden«, sagte er.
»Der Fürst von Dol Amroth hat in der Abwesenheit des Herrn den
Befehl übernommen«, sagte Gandalf. »Aber da er nicht hier ist, muß ich
darüber entscheiden. Ich bitte Euch, den Schlüssel zu behalten und aufzu-
bewahren, bis in der Stadt wieder Ordnung eingekehrt ist.«
Nun endlich kamen sie in die oberen Ringe der Stadt, und im Morgen-
licht setzten sie ihren Weg zu den Häusern der Heilung fort; und das
waren schöne Häuser, die etwas abseits lagen, um Schwerkranke zu hei-
len, doch jetzt waren sie dafür eingerichtet worden, die im Kampf ver-
wundeten Männer oder Sterbenden zu pflegen. Sie standen nicht weit
vom Tor der Veste, im sechsten Ring, nahe an der Südmauer, und über
ihnen lag ein Garten und eine Rasenfläche mit Bäumen, der einzige Ort
dieser Art in der Stadt. Dort wohnten einige Frauen, denen erlaubt wor-
den war, in Minas Tirith zu bleiben, da sie erfahren waren im Heilen oder
im Dienst für die Heiler.
Doch gerade, als Gandalf und seine Begleiter mit der Bahre am Haupt-
eingang der Häuser ankamen, hörten sie einen lauten Schrei, der vom
Schlachtfeld vor dem Tor kam und schrill und durchdringend zum Him-
mel aufstieg und vom Wind davongetragen wurde. So entsetzlich war der
Schrei, daß einen Augenblick lang alle stillstanden, und als er verhallt
war, waren dennoch alle Herzen plötzlich von einer Hoffnung erfüllt, wie
sie sie nicht gekannt hatten, seit die Dunkelheit aus dem Osten gekom-
men war; und es schien ihnen, daß das Licht hell wurde und die Sonne
durch die Wolken brach.
Aber Gandalf s Gesicht war ernst und traurig; er bat Beregond und
Pippin, Faramir in die Häuser der Heilung zu bringen, und er ging weiter
hinauf zu den Wällen; und dort stand er wie eine in Weiß gemeißelte Ge-
stalt in der neuen Sonne und schaute hinaus. Und mit der Sehkraft, die
ihm gegeben war, erblickte er alles, was geschehen war; und als Éomer
von der Spitze seiner Schlachtreihe heranritt und neben denen stand, die
auf dem Feld lagen, da seufzte er, und er zog seinen Mantel wieder um
sich und schritt hinab von den Wällen. Und Beregond und Pippin fanden
ihn, in Gedanken versunken, vor der Tür der Häuser stehen, als sie her-
auskamen.
Sie schauten ihn an, und eine Weile schwieg er. Schließlich sprach er.
»Meine Freunde«, sagte er, »und ihr alle, Volk dieser Stadt und der west-
lichen Lande! Betrübende und ruhmreiche Dinge sind geschehen. Sollen
wir weinen oder froh sein? Entgegen aller Hoffnung ist der Heerführer
unserer Feinde vernichtet worden, und den Widerhall seiner letzten Ver-
zweiflung habt ihr gehört. Aber er ging nicht von dannen, ohne Leid und
bitteren Verlust zu hinterlassen. Und das hätte ich abwenden können,
wäre Denethors Wahnsinn nicht gewesen. So weit hat sich der Einfluß
unseres Feindes ausgedehnt. Aber jetzt erkenne ich leider, wie sein Wille
bis ins Herz der Stadt einzudringen vermochte.
Obwohl die Truchsessen glaubten, es sei ein nur ihnen bekanntes Ge-
heimnis, habe ich lange gewußt, daß hier im Weißen Turm ebenso wie in
dem von Orthanc einer der Sieben Steine aufbewahrt wurde. In den
Tagen seiner Weisheit wagte Denethor nicht, ihn zu gebrauchen oder
Sauron herauszufordern, denn er kannte die Grenzen seiner eigenen Kraft.
Aber seine Weisheit schwand; und ich fürchte, als die Gefahr für sein
Reich wuchs, blickte er in den Stein und wurde getäuscht: mehr als ein-
mal, nehme ich an, seit Boromir starb. Er war zu groß, um von dem Wil-
len der Dunklen Macht unterworfen zu werden, indes sah er nur die
Dinge, die jene Macht ihm zu sehen erlaubte. Das Wissen, das er erlangte,
war ihm zweifellos oft dienlich; doch das Bild von der großen Macht von
Mordor, das ihm gezeigt wurde, nährte die Verzweiflung in seinem Her-
zen, bis sie sein Gemüt zerrüttete.«
»Jetzt verstehe ich, was mir so seltsam erschienen war«, sagte Pippin,
und es schauderte ihm noch bei der Erinnerung, als er davon sprach. »Der
Herr ging hinaus aus dem Zimmer, in dem Faramir lag; und als er zu-
rückkehrte, fand ich ihn zum ersten Mal verändert, alt und gebrochen.«
»In eben der Stunde, da Faramir in den Turm gebracht wurde, sahen
viele von uns ein seltsames Licht in dem obersten Gemach«, sagte Bere-
gond. »Aber wir hatten dieses Licht schon früher gesehen, und seit lan-
gem ging das Gerücht in der Stadt, daß der Herr dann und wann in Ge-
danken mit seinem Feind ringe.«
»Wehe, dann habe ich richtig vermutet«, sagte Gandalf. »So ist Sau-
rons Willen in Minas Tirith eingedrungen; und so bin ich hier aufgehal-
ten worden. Und hier werde ich noch immer bleiben müssen, denn bald
werde ich noch andere Aufgaben haben, nicht nur Faramir.
Jetzt muß ich hinunter und jenen entgegengehen, die kommen. Ich habe
auf dem Schlachtfeld etwas gesehen, das meinem Herzen sehr schmerzlich
war, und größeres Leid mag noch geschehen. Komm mit mir, Pippin!
Aber Ihr, Beregond, solltet in die Veste zurückgehen und dem Führer der
Wache dort sagen, was sich ereignet hat. Es wird seine Pflicht sein,
fürchte ich. Euch aus der Wache zu entfernen; doch sagt ihm, wenn ich
ihm einen Rat geben darf, dann solltet Ihr in die Häuser der Heilung ge-
schickt werden, um der Wächter und Diener Eures Heermeisters zu sein,
wenn er erwacht — wenn das je wieder sein wird. Denn durch Euch wurde
er vor dem Feuer gerettet. Geht nun! Ich komme bald zurück.«
Nach diesen Worten ging er mit Pippin hinab zur unteren Stadt. Und
gerade als sie sich eiligst auf den Weg machten, brachte der Wind einen
grauen Regen, und alle Brände erloschen, und ein großer Rauch stieg vor
ihnen auf.

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