ACHTES KAPITEL
DER WEG NACH ISENGART
So trafen sich im Lichte eines schönen Morgens König Théoden
und Gandalf, der Weiße Reiter, auf dem grünen Gras neben dem
Klammbach wieder. Auch Aragorn, Arathoms Sohn, war da, und
Legolas der Elb und Erkenbrand von Westfold und die Ritter des Goldenen
Hauses. Um sie scharten sich die Rohirrim, die Reiter der Mark; ihr
Erstaunen übertraf ihre Siegesfreude, und ihr Blick war auf den Wald
gerichtet.
Plötzlich erhob sich ein lauter Ruf, und herab vom Deich kamen jene,
die in die Klamm zurückgetrieben worden waren. Es kam der alte Gam-
ling und Éomer, Éomunds Sohn, und neben ihm ging Gimli, der Zwerg.
Er hatte keinen Helm, und um seinen Kopf war ein blutbefleckter Leinen-
verband geschlungen; aber seine Stimme war laut und kräftig.
»Zweiundvierzig, Herr Legolas!« rief er. »Leider ist meine Axt jetzt
schartig: der zweiundvierzigste hatte einen eisernen Kragen um den Hals,
Wie steht es bei dir?«
»Du hast mein Ergebnis um eins übertroffen«, antwortete Legolas.
»Aber ich mißgönne dir die Beute nicht, so froh bin ich, dich auf den
Beinen zu sehen!«
»Willkommen, Éomer, Schwestersohn!« sagte Théoden. »Jetzt, da ich
dich in Sicherheit sehe, bin ich wahrlich froh.«
»Heil, Herr der Mark!« sagte Éomer. »Die dunkle Nacht ist vergangen,
und es ist wieder Tag geworden. Doch der Tag hat seltsame Botschaft ge-
bracht.« Er wandte sich um und blickte erstaunt erst auf den Wald und
dann auf Gandalf. »Wieder einmal kommt Ihr in der Stunde der Not, un-
erwartet«, sagte er.
»Unerwartet?« sagte Gandalf. »Ich habe doch gesagt, ich würde zu-
rückkommen und Euch hier treffen.«
»Aber Ihr habt nicht die Stunde genannt und auch die Art Eures
Kommens nicht vorausgesagt. Seltsame Hilfe bringt Ihr. Ihr seid ein
mächtiger Zauberer, Gandalf der Weiße!«
»Das mag sein. Aber wenn dem so ist, dann habe ich es bis jetzt noch
nicht gezeigt. Ich habe nur guten Rat in der Gefahr gegeben und mir die
Schnelligkeit von Schattenfell zunutze gemacht. Eure eigene Tapferkeit
hat mehr vollbracht, und die kräftigen Beine der Westfold-Mannen, die
durch die Nacht marschiert sind.«
Dann schauten alle mit noch größerer Verwunderung auf Gandalf.
Einige warfen finstere Blicke auf den Wald und fuhren sich mit der Hand
über die Stirn, als ob sie glaubten, ihre Augen sähen anders als seine.
Gandalf lachte lange und fröhlich. »Die Bäume?« fragte er. »Nein, ich
sehe den Wald ebenso deutlich wie Ihr. Aber das ist keine Tat von mir.
Das ist etwas, das über den Rat der Weisen hinausgeht. Besser als mein
Plan und sogar besser als meine Hoffnung hat sich der Ausgang erwiesen.«
»Wenn es nicht Eure Zauberei war, wessen war es dann?« fragte Theo-
den. »Sarumans nicht, das ist klar. Gibt es noch einen mächtigeren Wei-
sen, der uns unbekannt ist?«
»Es ist keine Zauberei, sondern eine weit ältere Macht«, sagte Gandalf.
»Eine Macht, die auf der Erde wandelte, ehe der Elb sang oder der Ham-
mer erklang.«
Eh Erz ward gefunden und Baum gefällt,
Als jung unterm Monde lag die Welt,
Eh Ring ward geschmiedet, war Er schon alt,
Eh Unheil erweckt, ging Er um im Wald.
»Und was mag die Lösung Eures Rätsels sein?« fragte Théoden.
»Wenn Ihr das erfahren wollt, solltet Ihr mit mir nach Isengart kom-
men«, antwortete Gandalf.
»Nach Isengart?« riefen sie.
»Ja«, sagte Gandalf. »Ich kehre nach Isengart zurück, und wer will,
mag mit mir kommen. Dort werden wir vielleicht seltsame Dinge sehen.«
»Aber es gibt nicht genug Männer in der Mark, nicht einmal, wenn sie
alle herangeholt und von Wunden und Müdigkeit geheilt wären, um
Sarumans Feste anzugreifen«, sagte Théoden.
»Trotzdem gehe ich nach Isengart«, sagte Gandalf. »Ich werde nicht
lange dort bleiben. Mein Weg liegt jetzt ostwärts. Erwartet mich in Edo-
ras, ehe der Mond abnimmt!«
»Nein«, sagte Théoden. »In der dunklen Stunde vor der Morgendäm-
merung zweifelte ich, aber jetzt wollen wir uns nicht trennen. Ich werde
mit Euch kommen, wenn das Euer Rat ist.«
»Ich will mit Saruman sprechen, sobald es jetzt möglich ist«, sagte
Gandalf, »und da er Euch großes Unrecht getan hat, wäre es angemessen,
wenn Ihr dabei wäret. Doch wie bald und wie schnell werdet Ihr reiten?«
»Meine Mannen sind müde vom Kampf«, sagte der König, »und auch
ich bin müde. Denn ich bin weit geritten und habe wenig geschlafen. 0
weh! Mein Alter ist nicht vorgetäuscht oder nur Schlangenzunges Einflü-
sterungen zuzuschreiben. Es ist ein Leiden, das kein Arzt völlig heilen
kann, nicht einmal Gandalf.«
»Dann laßt alle, die mit mir reiten sollen, jetzt ruhen«, sagte Gandalf.
»Wir werden uns im Schatten des Abends auf den Weg machen. Das ist
genauso gut; denn mein Rat lautet, daß all Euer Kommen und Gehen von
nun an so geheim wie möglich sein sollte. Doch befehlt nicht vielen Män-
nern, Euch zu begleiten, Théoden. Wir gehen zu einer Unterhandlung,
nicht zu einem Kampf.«
Der König wählte dann Männer aus, die unverletzt waren und schnelle
Pferde hatten, und sandte sie mit der Siegesnachricht in jedes Tal der
Mark; und sie überbrachten auch seine Aufforderung, daß alle Männer,
junge und alte, eiligst nach Edoras kommen sollten. Dort wollte der Herr
der Mark am zweiten Tag nach dem Vollmond eine Versammlung aller,
die Waffen tragen konnten, abhalten. Um mit ihm nach Isengart zu rei-
ten, wählte der König Éomer und zwanzig Mann seines Heerbanns aus.
Gandalf sollten Aragorn, Legolas und Gimli begleiten. Trotz seiner Ver-
wundung wollte der Zwerg nicht zurückbleiben.
»Es war nur ein schwacher Hieb, und der Helm lenkte ihn ab«, sagte er.
»Es brauchte mehr als einen solchen Orkkratzer, um mich zurückzuhalten.«
»Ich werde die Wunde versorgen, während du ruhst«, sagte Aragorn.
Der König kehrte nun in die Hornburg zurück und schlief so friedlich,
wie er seit Jahren nicht geschlafen hatte, und auch seine ausgewählten
Begleiter ruhten. Doch die anderen, alle, die nicht verletzt oder verwundet
waren, begannen eine schwere Arbeit. Denn viele waren im Kampf gefal-
len und lagen tot auf dem Schlachtfeld oder in der Klamm.
Kein Ork war am Leben geblieben; ihre Leichen waren unzählig. Aber
sehr viele der Bergbewohner hatten sich ergeben; und sie hatten Angst
und flehten um Gnade.
Die Menschen der Mark nahmen ihnen die Waffen ab und setzten sie
zur Arbeit ein.
»Helft jetzt, das Unheil wiedergutzumachen, zu dem ihr beigetragen
habt«, sagte Erkenbrand. »Und nachher sollt ihr einen Eid leisten, niemals
wieder bewaffnet die Furten des Isen zu überschreiten oder euch den Fein-
den der Menschen anzuschließen; und dann sollt ihr frei in euer Land zu-
rückkehren. Denn ihr seid von Saruman verführt worden. Viele von euch
haben den Tod gefunden als Entgelt für euer Vertrauen auf ihn; aber hät-
tet ihr gesiegt, wäre euer Lohn nur wenig besser gewesen.«
Die Menschen von Dunland waren erstaunt, denn Saruman hatte ihnen
gesagt, die Menschen von Rohan seien grausam und würden ihre Gefan-
genen lebendig verbrennen.
In der Mitte des Schlachtfelds vor der Hornburg wurden zwei Hügel-
gräber aufgeworfen und alle Reiter der Mark hineingelegt, die bei der
Verteidigung gefallen waren, diejenigen aus den Osttälern auf der einen
Seite und diejenigen aus Westfold auf der anderen. In einem Grab allein
unter dem Schatten der Hornburg lag Háma, der Hauptmann der Wache
des Königs. Er war vor dem Tor gefallen.
Die Orks wurden zu großen Haufen aufgeschichtet, weit ab von den
Hügelgräbern der Menschen, nicht fern vom Saum des Waldes. Und die
Leute waren sehr besorgt; denn die Berge von Aas waren zu groß, um sie
zu begraben oder zu verbrennen. Sie hatten wenig Holz zum Feuerma-
chen, und keiner hätte gewagt, eine Axt an die seltsamen Bäume zu
legen, selbst wenn Gandalf sie nicht davor gewarnt hätte, Rinde oder
Zweig zu beschädigen, wenn sie nicht große Gefahren auf sich laden
wollten.
»Laßt die Orks liegen«, sagte Gandalf. »Der Morgen mag neuen Rat
bringen.«
Am Nachmittag machte sich die Begleitung des Königs bereit, aufzu-
brechen. Das Werk der Bestattung begann gerade erst, und Théoden
trauerte um Háma, seinen Hauptmann, und warf die erste Erde auf sein
Grab. »Großes Unrecht hat Saruman wahrlich mir und diesem ganzen
Land zugefügt«, sagte er. »Und ich werde dessen eingedenk sein, wenn
ich ihn treffe.«
Die Sonne näherte sich schon den Bergen westlich der Talmulde, als
Théoden und Gandalf und ihre Gefährten vom Deich herabritten. Hinter
ihnen hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt, sowohl die
Reiter als auch das Volk von Westfold, alt und jung, Frauen und Kinder,
die aus den Höhlen herausgekommen waren. Mit hellen Stimmen sangen
sie ein Siegeslied; und dann schwiegen sie und fragten sich, was wohl ge-
schehen würde, denn ihre Blicke waren auf die Bäume gerichtet, und sie
fürchteten sich vor ihnen.
Die Reiter kamen zum Wald und hielten an; Pferd und Mann waren
unwillig hineinzureiten. Die Bäume waren grau und drohend, und ein
Schatten oder Nebel lag über ihnen. Die Enden ihrer langen, schleppenden
Zweige hingen herab wie suchende Finger, ihre Wurzeln erhoben sich
vom Boden wie die Glieder seltsamer Ungeheuer, und dunkle Höhlen
taten sich unter ihnen auf. Aber Gandalf ritt weiter und führte die
Gruppe an, und wo die Straße von der Hornburg auf die Bäume stieß,
sahen sie jetzt eine Öffnung wie ein gewölbtes Tor unter mächtigen
Zweigen; durch dieses Tor ritt Gandalf, und sie folgten ihm. Dann merk-
ten sie zu ihrer Verwunderung, daß die Straße weiterrührte und der
Klammbach an ihr entlanglief; und der Himmel darüber war offen und
voll goldenen Lichts. Doch auf beiden Seiten waren die großen Reihen
von Bäumen schon in Dämmerung gehüllt und zogen sich hin bis zu un-
durchdringlichen Schatten; und dort hörten sie das Knarren und Ächzen
von Zweigen und ferne Schreie und das Geräusch wortloser Stimmen, die
wütend murmelten. Kein Ork oder anderes Lebewesen war zu sehen.
Legolas und Gimli ritten jetzt zusammen auf einem Pferd; und sie hiel-
ten sich dicht neben Gandalf, denn Gimli hatte Angst vor dem Wald.
»Es ist heiß hier drinnen«, sagte Legolas zu Gandalf. »Ich spüre einen
großen Zorn um mich. Merkst du auch, wie die Luft in deinen Ohren
pocht?«
»Ja«, sagte Gandalf.
»Was ist aus den elenden Orks geworden?« fragte Legolas.
»Das, glaube ich, wird keiner jemals erfahren«, sagte Gandalf.
Eine Weile ritten sie schweigend weiter; aber Legolas schaute immer
von einer Seite zur anderen und hätte oft angehalten, um auf die Geräu-
sche des Waldes zu lauschen, wenn Gimli es erlaubt hätte.
»Das sind die seltsamsten Bäume, die ich je gesehen habe«, sagte er.
»Und ich habe so manche Eiche aus der Eichel bis zum Siechtum des
Alters heranwachsen sehen. Ich wünschte, ich hätte jetzt Muße, um unter
ihnen herumzuwandern: sie haben Stimmen, und mit der Zeit könnte ich
vielleicht ihre Gedanken verstehen.«
»Nein, nein!« sagte Gimli. »Wir wollen sie in Ruhe lassen! Ich errate
ihre Gedanken schon: Haß auf alles, was auf zwei Beinen geht; und ihr
Gespräch dreht sich um Zermalmen und Erdrosseln.«
»Nicht Haß auf alles, was auf zwei Beinen geht«, sagte Legolas. »Da
irrst du dich, glaube ich. Sie hassen die Orks. Denn die Bäume sind nicht
von hier und wissen wenig von Elben und Menschen. Weit entfernt sind
die Täler, aus denen sie stammen. Aus der Tiefe Fangorns, Gimli, kom-
men sie vermutlich.«
»Dann ist das der gefährlichste Wald in Mittelerde«, sagte Gimli. »Ich
sollte dankbar sein für die Rolle, die sie gespielt haben, aber ich liebe sie
nicht. Du magst sie wundervoll finden, doch ich habe ein größeres Wun-
der in diesem Land gesehen, schöner als jeder Hain und jedes Gehölz, die
je wuchsen: mein Herz ist noch ganz erfüllt davon.
Seltsam ist die Art der Menschen, Legolas! Hier haben sie eines der
Wunder der Nördlichen Welt, und was sagen sie darüber? Höhlen, sagen
sie! Höhlen! Löcher, in die man sich in Kriegszeiten flüchtet, in denen
man Futter aufbewahrt! Mein lieber Legolas, weißt du, daß die Grotten
von Helms Klamm weit und schön sind? Die Zwerge würden eine endlose
Wallfahrt unternehmen, bloß um sie zu betrachten, wenn es nur bekannt
wäre, daß es solche Dinge gibt. O ja, sie würden wahrlich reines Gold
dafür geben, wenn sie nur einen kurzen Blick darauf werfen könnten!«
»Und ich würde Gold dafür geben, um mich davon freizukaufen«, sagte
Legolas. »Und doppelt so viel, um wieder herausgelassen zu werden,
wenn ich mich in ihnen verirrte.«
»Du hast sie nicht gesehen, deshalb verzeihe ich dir deinen Scherz«,
sagte Gimli. »Aber du redest wie ein Narr. Findest du jene Hallen schön,
wo euer König unter dem Berg in Düsterwald wohnt, und bei deren Er-
schaffung Zwerge vor langer Zeit halfen? Sie sind nur elende Löcher im
Vergleich zu den Grotten, die ich hier gesehen habe: unermeßliche Hallen,
erfüllt von einer ewigwährenden Musik des Wassers, das hinuntertröpfelt
in Teiche, so schön wie Kheled-zâram im Sternenlicht.
Und, Legolas, wenn die Fackeln angezündet werden und Menschen auf
den sandigen Böden unter den widerhallenden Gewölben einhergehen, ah,
dann, Legolas, dann glitzern Edelsteine und Kristalle und Adern von
edlen Erzen in den geglätteten Wänden; und das Licht leuchtet durch
Marmorfalten, muschelgleich, durchscheinend wie die lebendigen Hände
der Königin Galadriel. Da sind weiße und safrangelbe Säulen und rosige
wie die Morgenröte, Legolas, geriffelt und verschlungen in traumhaften
Formen; sie streben von vielfarbigen Böden empor zu den Schlußsteinen
des Daches: Flügel, Stränge, Vorhänge, so zart wie gefrorene Wolken;
Speere, Banner, Zinnen von hängenden Palästen! Stille Seen spiegeln sie
wider: eine schimmernde Welt schaut herauf aus dunklen Weihern, be-
deckt mit klarem Glas; Städte, wie Durins Geist sie sich kaum im Schlaf
hätte ausmalen können, erstrecken sich über Prachtstraßen und Säulen-
höfe bis zu den dunklen Winkeln, in die kein Licht dringen kann. Und
plink! ein silberner Tropfen fällt, und die runden Kringel auf dem Glas
lassen alle Türme sich verbeugen, und wie Wasserpflanzen und Korallen
in einer Meeresgrotte wogen sie. Dann wird es Abend: sie verblassen und
verbleichen; die Fackeln ziehen weiter in eine andere Kammer und einen
anderen Traum. Da ist eine Kammer nach der anderen, Legolas; eine
Halle schließt sich an die andere, ein Gewölbe ans andere. Treppe auf
Treppe; und immer weiter führen die gewundenen Pfade hinein in das
Herz des Gebirges. Höhlen! Die Grotten von Helms Klamm! Ein glück-
licher Zufall war es, der mich dorthin verschlug! Es bringt mich zum
Weinen, sie zu verlassen.«
»Dann will ich dir zu deinem Trost wünschen, Gimli«, sagte der Elb,
»daß du den Krieg heil überstehen mögest und zurückkehren kannst, um
sie wiederzusehen. Aber erzähle es nicht deiner ganzen Verwandtschaft!
Nach deiner Schilderung gibt es anscheinend nicht mehr viel für sie zu
tun. Vielleicht sind die Menschen dieses Landes weise, daß sie so wenig
darüber sagen: eine Sippe geschäftiger Zwerge mit Hammer und Meißel
könnte mehr verderben, als die Menschen gemacht haben.«
»Nein, du verstehst das nicht«, sagte Gimli. »Kein Zwerg könnte bei
solcher Schönheit ungerührt bleiben. Niemand aus Durins Geschlecht
würde in diesen Höhlen nach Steinen oder Erz graben, nicht einmal, wenn
Diamanten und Gold dort zu finden wären. Fällst du Haine von blühen-
den Bäumen im Frühling, um Brennholz zu bekommen? Diese Lichtungen
von blühendem Stein würden wir hegen und pflegen und nicht Steine
darin brechen. Mit behutsamer Geschicklichkeit, ein leichtes Klopfen hier
und dort — ein kleiner Felssplitter vielleicht und nicht mehr an einem
ganzen bedachtsamen Tag — so könnten wir arbeiten, und im Laufe der
Jahre würden wir neue Wege bahnen und ferne Kammern erschließen, die
noch dunkel sind und nur als eine Leere hinter Spalten im Fels undeutlich
sichtbar werden. Und Lichter, Legolas! Wir würden Lichter machen, Lam-
pen, wie sie einst in Khazad-dûm erstrahlten; und wenn wir es wünsch-
ten, würden wir die Nacht vertreiben, die dort liegt, seit die Berge er-
schaffen wurden, und wenn wir uns nach Ruhe sehnten, würden wir die
Nacht zurückkehren lassen.«
»Du rührst mich, Gimli«, sagte Legolas. »So habe ich dich noch nie
reden hören. Fast bringst du mich dazu, daß ich es bedauere, die Höhlen
nicht gesehen zu haben. Hör zu! Laß uns ein Abkommen treffen — wenn
wir beide aus den Gefahren, die uns erwarten, heil zurückkehren, wollen
wir eine Weile zusammen wandern. Du sollst mit mir Fangorn besuchen,
und dann werde ich dich begleiten, um Helms Klamm zu sehen.«
»Das wäre nicht der Heimweg, den ich wählen würde«, sagte Gimli.
»Aber ich werde Fangorn ertragen, wenn du mir versprichst, mit zu den
Höhlen zurückzukommen und dich mit mir an ihren Wundem zu er-
freuen.«
»Das verspreche ich dir«, sagte Legolas. »Aber nun müssen wir leider
Höhlen und Wald eine Weile zurücklassen. Schau! Wir kommen zum
Ende der Bäume. Wie weit ist es nach Isengart, Gandalf?«
»Ungefähr fünfzehn Wegstunden, wie Sarumans Krähen fliegen«,
sagte Gandalf. »Fünf vom Ausgang des Klammtals bis zu den Furten,
und von dort noch zehn bis zu den Toren von Isengart. Aber wir werden
heute nacht nicht die ganze Strecke reiten.«
»Und wenn wir dort angekommen, was werden wir da sehen?« fragte
Gimli. »Du magst es wissen, aber ich kann es nicht erraten.«
»Ich weiß es selbst nicht ganz sicher«, antwortete der Zauberer. »Ich
war gestern bei Einbruch der Nacht dort, aber viel mag seitdem geschehen
sein. Dennoch wirst du, glaube ich, nicht sagen, daß die Fahrt vergeblich
gewesen sei — auch wenn die Glitzernden Höhlen von Aglarond zurück-
geblieben sind.«
Schließlich hatten die Gefährten die Bäume hinter sich gelassen und
stellten fest, daß sie auf dem Grund der Talmulde angekommen waren,
wo die Straße von Helms Klamm sich teilt und gen Osten nach Edoras
und gen Norden zu den Furten des Isen führt. Als sie vom Waldsaum
fortschritten, hielt Legolas an und blickte bedauernd zurück. Plötzlich stieß
er einen Schrei aus.
»Da sind Augen!« sagte er. »Augen blicken aus den Schatten der
Zweige heraus. Noch nie habe ich solche Augen gesehen.«
Überrascht von seinem Aufschrei, hatten auch die anderen angehalten
und sich umgewandt; aber Legolas schickte sich an zurückzureiten.
»Nein, nein!« rief Gimli. »Tu, was du willst, in deiner Verrücktheit,
aber laß mich erst absteigen. Ich will keine Augen sehen!«
»Bleib hier, Legolas Grünblatt!« sagte Gandalf. »Geh nicht zurück in
den Wald, noch nicht! Jetzt ist es nicht die richtige Zeit für dich.«
Während er noch sprach, kamen drei seltsame Gestalten zwischen den
Bäumen hervor. Hochgewachsen wie Trolle waren sie, zwölf oder mehr
Fuß groß; ihre kräftigen Körper, stämmig wie junge Bäume, schienen mit
Gewändern oder einer Haut von eng anliegendem Grau und Braun beklei-
det zu sein. Ihre Glieder waren lang, und ihre Hände hatten viele Finger;
ihr Haar war steif und ihre Barte graugrün wie Moos. Sie blickten mit
ernsten Augen um sich, aber sie schauten nicht auf die Reiter; ihr Blick
war nach Norden gerichtet. Plötzlich legten sie ihre langen Hände an den
Mund und sandten schallende Rufe aus, klar wie die Töne eines Horns,
aber melodischer und vielfältiger. Die Rufe wurden beantwortet; und als
sie sich wieder umdrehten, sahen die Reiter, daß andere Geschöpfe von
derselben Art rasch durch das Gras heranschritten. Sie kamen von Nor-
den her, und ihre Gangart erinnerte an watende Reiher, aber nicht ihre
Geschwindigkeit; denn bei ihren langen Schritten bewegten sich ihre
Beine schneller als die Flügel eines Reihers. Die Reiter schrien laut vor
Verwunderung, und einige legten die Hand auf den Schwertgriff.
»Ihr braucht keine Waffen«, sagte Gandalf. »Das sind nur Hirten. Es
sind keine Feinde, tatsächlich kümmern sie sich überhaupt nicht um uns.«
So schien es wirklich; denn als er das sagte, schritten die großen Ge-
schöpfe, ohne einen Blick auf die Reiter zu werfen, in den Wald und ver-
schwanden.
»Hirten?« fragte Théoden. »Wo sind ihre Herden? Was für Leute sind
das, Gandalf? Denn es ist klar, daß sie Euch jedenfalls nicht fremd sind.«
»Es sind die Hirten der Bäume«, antwortete Gandalf. »Ist es so lange
her, seit Ihr den Geschichten am Kamin gelauscht habt? Es gibt Kinder in
Eurem Land, die aus den verflochtenen Fäden der Erzählungen die Ant-
wort auf Eure Frage herausfinden könnten. Ihr habt Ents gesehen, o
König, Ents aus dem Forst Fangorn, den Ihr in Eurer Sprache Entwald
nennt. Habt Ihr geglaubt, der Name sei ihm nur aus bloßer Laune gege-
ben worden? Nein, Théoden, es ist anders: für sie seid Ihr nur eine vorüber-
gehende Geschichte; all die Jahre von Eorl dem Jungen bis zu Théoden
dem Alten zählen wenig für sie; und alle Taten Eures Hauses sind nur
Kleinigkeiten.«
Der König antwortete nicht. »Ents!« sagte er schließlich. »Aus den
Schatten der Sage beginne ich, das Wunder der Bäume ein wenig zu ver-
stehen. Ich erlebe seltsame Tage. Lange haben wir unsere Tiere versorgt
und unsere Felder bestellt, unsere Häuser gebaut, unsere Werkzeuge ge-
schmiedet oder sind hinausgeritten, um Minas Tirith in seinen Kriegen zu
unterstützen. Und das nannten wir das Leben der Menschen, den Lauf der
Welt. Wenig kümmerten wir uns um das, was jenseits unserer Grenzen
lag. Lieder haben wir, die von diesen Dingen berichten, aber wir verges-
sen sie, nur unsere Kinder lehren wir sie, ein Brauch, über den man nicht
viel nachdenkt. Und jetzt sind die Lieder aus seltsamen Gegenden zu uns
gekommen und wandeln sichtbar unter der Sonne.«
»Ihr solltet froh sein, König Théoden«, sagte Gandalf. »Denn nicht nur
das kleine Leben der Menschen ist jetzt in Gefahr, sondern auch das
Leben jener Geschöpfe, die Ihr für einen Sagenstoff gehalten habt. Ihr
seid nicht ohne Verbündete, selbst wenn Ihr sie nicht kennt.«
»Dennoch sollte ich auch traurig sein«, sagte Théoden. »Denn wie
immer das Kriegsglück ausgehen wird, könnte es nicht damit enden, daß
vieles, was schön und wundervoll war, für immer aus Mittelerde ver-
schwinden wird?«
»Das mag sein«, sagte Gandalf. »Das Böse von Sauron läßt sich nicht
völlig beseitigen, und es kann auch nicht so getan werden, als sei es gar
nicht gewesen. Aber solche Tage zu erleben ist unser Schicksal. Laßt uns
nun die Fahrt fortsetzen, die wir begonnen haben!«
Die Gruppe wandte sich dann ab von der Talmulde und dem Wald und
schlug die Straße zu den Furten ein. Legolas folgte nur widerstrebend. Die
Sonne war untergegangen und schon hinter dem Rand der Welt ver-
schwunden; doch als sie aus dem Schatten der Berge herausritten und
nach Westen zur Pforte von Rohan schauten, war der Himmel noch rot,
und ein brennendes Licht war unter den treibenden Wolken. Dunkel
hoben sich davon viele schwarzgeflügelte Vögel ab, die dort ihre Kreise
zogen. Manche, die zu ihren Horsten in den Felsen zurückkehrten, flogen
traurig krächzend über sie hinweg.
»Die Aaskrähen waren auf dem Schlachtfeld am Werk«, sagte Éomer.
Sie ritten nun in gemächlichem Schritt weiter, und die Dunkelheit
senkte sich auf die Ebenen um sie herab. Langsam zog der zunehmende
Mond herauf, der bald voll sein würde, und in seinem kalten Silberlicht
hob und senkte sich das ansteigende Grasland wie ein weites, graues
Meer. Sie waren von der Wegkreuzung aus etwa vier Stunden geritten,
als sie sich den Furten näherten. Lange Hänge zogen sich schnell hinunter,
wo sich der Fluß zwischen hohen, grasbestandenen Geländestufen über stei-
nigen Untiefen ausdehnte. Vom Wind herübergetragen, hörten sie das
Heulen von Wölfen. Ihre Herzen waren schwer, denn sie gedachten der
vielen Mannen, die an dieser Stelle im Kampf gefallen waren.
Die Straße tauchte ein zwischen steilen Rasenböschungen und bahnte
sich ihren Weg durch die Geländestufen bis zum Flußufer und dann auf
der anderen Seite wieder empor. Es gab drei Reihen flacher Trittsteine
über den Fluß und zwischen ihnen für die Pferde Furten, die von beiden
Ufern aus zu einem kahlen Werder in der Mitte führten. Die Reiter blick-
ten hinunter auf den Übergang, und er kam ihnen seltsam vor; denn die
Furten waren immer eine Stätte gewesen, die erfüllt war von dem Tosen
und Plätschern von Wasser über Steine; doch jetzt war es hier still. Das
Flußbett war fast trocken, eine öde Wüste von grobem Kies und grauem
Sand.
»Das ist eine trostlose Stätte geworden«, sage Éomer. »Welche Krank-
heit hat den Fluß befallen? Viele schöne Dinge hat Saruman zerstört. Hat
er auch die Quellen des Isen vernichtet?«
»So scheint es«, sagte Gandalf.
»O weh!« sagte Théoden. »Müssen wir diesen Weg nehmen, wo die
Aas-Tiere so viele gute Reiter der Mark verschlingen?«
»Das ist unser Weg«, sagte Gandalf. »Schmerzlich ist der Tod Eurer
Mannen; doch werdet Ihr sehen, daß zumindest die Wölfe des Gebirges
sie nicht verschlingen. An ihren Freunden, den Orks, tun sie sich gütlich;
das ist es, was ihresgleichen unter Freundschaft versteht. Kommt!«
Sie ritten zum Fluß hinunter, und als sie näherkamen, hörten die Wölfe
mit ihrem Geheul auf und schlichen davon. Angst befiel sie, als sie Gan-
dalf im Mondschein sahen und Schattenfell, sein Pferd, das wie Silber
glänzte. Die Reiter überquerten die Furt bis zu dem Inselchen, und glit-
zernde Augen beobachteten sie matt aus den Schatten der Ufer.
»Schaut!« sagte Gandalf. »Hier haben Freunde gearbeitet.«
Und sie sahen, daß in der Mitte des Werders ein Hügelgrab errichtet
war, umgeben von einem Kreis aus Steinen und vielen in den Boden ge-
steckten Speeren.
»Hier liegen alle Menschen der Mark, die in der Nähe dieses Ortes ge-
fallen sind«, sagte Gandalf.
»Hier laßt sie ruhen!« sagte Éomer. »Und wenn ihre Speere vermodert
und verrostet sind, möge ihr Hügelgrab noch lange hier stehen und die
Furten des Isen bewachen!«
»Ist das auch Euer Werk, Gandalf, mein Freund?« fragte Théoden. »Ihr
vollbringt viel an einem Abend und in einer Nacht!«
»Mit Hilfe von Schattenfell — und anderen«, sagte Gandalf. »Ich ritt
schnell und weit. Doch hier an diesem Hügelgrab will ich das zu Eurem
Trost sagen: viele fielen in den Kämpfen an den Furten, aber weniger, als
das Gerücht besagte. Es wurden mehr verstreut als erschlagen; ich sam-
melte alle, die ich finden konnte. Einige von ihnen schickte ich zu Erken-
brand; einige setzte ich für die Arbeit ein, die Ihr hier seht, und sie sind
inzwischen nach Edoras zurückgekehrt. Schon vorher hatte ich viele an-
dere dorthin geschickt, damit sie Euer Haus beschützen. Saruman hatte,
wie ich wußte, seine ganze Streitmacht gegen Euch in Marsch gesetzt, und
seine Diener hatten alle anderen Aufträge beiseite gelassen und waren
nach Helms Klamm gegangen: die Lande schienen frei von Feinden; indes
fürchtete ich, daß Wolfreiter und Plünderer dennoch nach Meduseld rei-
ten könnten, während es unverteidigt war. Doch jetzt, glaube ich, braucht
Ihr nichts zu fürchten: Ihr werdet Euer Haus wohlvorbereitet auf Eure
Rückkehr finden.«
»Und froh werde ich sein, es wiederzusehen«, sagte Théoden, »obwohl
mein Aufenthalt dort, daran zweifle ich nicht, jetzt nur kurz sein wird.«
Damit sagte die Gruppe der Insel und dem Hügelgrab Lebewohl und
überquerte den Fluß und erklomm das andere Ufer. Dann ritten sie weiter,
froh, die traurigen Furten hinter sich gelassen zu haben. Als sie sich ent-
fernten, brach das Geheul der Wölfe von neuem aus.
Hier war eine uralte Straße, die von Isengart herab zu dem Flußüber-
gang führte. Ein Stück verlief sie neben dem Fluß, zuerst nach Osten und
dann nach Norden; doch zuletzt verließ sie den Fluß und führte geraden-
wegs zu den Toren von Isengart; und diese lagen unter der Bergseite im
Westen des Tals, sechzehn Meilen oder mehr vom Talausgang entfernt.
Dieser Straße folgten sie, aber sie ritten nicht auf ihr; denn der Boden
daneben war fest und eben und auf viele Meilen mit kurzem, federndem
Rasen bedeckt. Sie ritten jetzt schneller, und um Mitternacht lagen die
Furten fast fünf Wegstunden hinter ihnen. Dann hielten sie an und been-
deten den Nachtritt, denn der König war müde. Sie waren am Fuß des
Nebelgebirges angelangt, und die langen Ausläufer des Nan Curunír
reckten sich ihnen entgegen. Dunkel lag das Tal vor ihnen, denn der
Mond stand jetzt im Westen, und sein Licht wurde von den Bergen ver-
deckt. Doch aus den tiefen Schatten des Tals stieg eine riesige Säule von
Rauch und Dampf auf; da sie hoch emporragte, fing sie die Strahlen des
untergehenden Mondes auf und verbreitete sich in schimmernden Wellen,
schwarz und silbern, über den gestirnten Himmel.
»Was hältst du davon, Gandalf?« fragte Aragorn. »Man würde mei-
nen, das ganze Zauberer-Tal stehe in Brand.«
»Heutzutage liegt immer Dunst über diesem Tal«, sagte Éomer. »Aber
nie zuvor habe ich etwas Derartiges gesehen. Das ist eher Dampf als
Rauch. Saruman heckt irgendeine Teufelei aus, um uns zu begrüßen. Viel-
leicht kocht er das ganze Wasser des Isen, und das ist der Grund, warum
der Fluß ausgetrocknet ist.«
»Vielleicht«, sagte Gandalf. »Morgen werden wir erfahren, was er tut.
Nun laßt uns eine Weile ruhen, wenn wir können.«
Sie lagerten sich neben dem Flußbett des Isen; es war immer noch still
und leer. Einige von ihnen schliefen ein wenig. Doch später in der Nacht
schrien die Wachen auf, und alle erwachten. Der Mond war verschwun-
den; Sterne standen am Himmel. Aber über den Boden kroch eine Dun-
kelheit, die schwärzer war als die Nacht. Auf beiden Seiten des Flusses
wälzte sie sich auf sie zu und an ihnen vorbei nach Norden.
»Bleibt, wo ihr seid!« sagte Gandalf. »Zieht keine Waffen! Wartet!
Und es wird an euch vorbeiziehen!«
Ein Nebel sammelte sich um sie. Über ihnen schimmerten schwach ein
paar Sterne; aber auf beiden Seiten erhoben sich Mauern von undurch-
dringlicher Finsternis; sie waren in einer schmalen Schneise zwischen sich
bewegenden Schattentürmen. Stimmen hörten sie. Flüstern und Ächzen
und ein endloses, raschelndes Seufzen; die Erde bebte unter ihnen. Lange
erschien es ihnen, daß sie da saßen und sich fürchteten; doch schließlich
waren die Dunkelheit und das Geräusch vorbeigezogen und verschwanden
zwischen den Ausläufern des Gebirges.
Weit im Süden auf der Hornburg hörten die Menschen mitten in der
Nacht einen großen Lärm wie einen Wind im Tal, und der Boden erzit-
terte; und alle fürchteten sich, und keiner wagte, hinauszugehen. Doch
am Morgen gingen sie hinaus und waren erstaunt; denn die erschlagenen
Orks waren fort, und die Bäume auch. Weit hinunter in das Tal der
Klamm war das Gras niedergetreten und braun getrampelt, als ob Riesen-
Hirten große Viehherden dort hätten weiden lassen; doch eine Meile un-
terhalb des Deichs war eine gewaltige Grube in der Erde ausgehoben wor-
den, und auf ihr waren Steine zu einem Berg angehäuft. Die Menschen
glaubten, daß die Orks, die sie erschlagen hatten, dort begraben waren;
aber ob jene, die in den Wald geflohen waren, dabei waren, konnte keiner
sagen, denn niemand setzte jemals den Fuß auf jenen Berg. Die Todeshöhe
wurde er später genannt, und kein Gras wollte dort wachsen. Aber die
seltsamen Bäume wurden niemals wieder im Klammtal gesehen; sie waren
des Nachts zurückgegangen und weit gewandert bis zu den dunklen
Tälern von Fangorn. So hatten sie sich an den Orks gerächt.
Der König und seine Begleitung schliefen in jener Nacht nicht mehr;
aber sie sahen und hörten sonst nichts Seltsames, mit einer Ausnahme:
die Stimme des Flusses neben ihnen erwachte plötzlich. Es gab ein Rau-
schen von Wasser, das zwischen den Steinen hinabstürzte; und als es vor-
über war, floß und sprudelte der Isen wieder in seinem Bett wie eh und je.
Im Morgengrauen machten sie sich bereit, weiterzureiten. Das Licht
kam grau und blaß, und sie sahen die Sonne nicht aufgehen. Die Luft war
schwer von Nebel, und Qualm hing über dem Land. Sie ritten langsam
und jetzt auf der Straße. Sie war breit und hart und gut gepflegt. Undeut-
lich konnten sie durch den Dunst die langen Ausläufer des Gebirges er-
kennen, das zu ihrer Linken aufragte. Sie waren nach Nan Curunír ge-
kommen, in das Zauberer-Tal. Es war ein geschütztes Tal und nur nach
Süden offen. Einstmals war es schön und grün gewesen, und der Isen
durchfloß es, der schon tief und kräftig war, ehe er die Ebenen erreichte;
denn er wurde gespeist von vielen Quellen und kleineren Bächen zwi-
schen den Bergen, von denen der Regen das Erdreich abgeschwemmt
hatte, und rings um den Fluß hatte ein erfreuliches, fruchtbares Land ge-
legen.
So war es jetzt nicht. Unter den Wällen von Isengart waren noch Fel-
der, die Sarumans Hörige bestellt hatten; doch der größte Teil des Tals
war eine Wildnis von Unkraut und Dornengestrüpp geworden. Brombee-
ren wucherten auf dem Boden oder rankten sich über Busch und
Böschung und bildeten struppige Höhlen, in denen kleine Tiere hausten.
Kein Baum wuchs dort; aber zwischen den üppigen Gräsern konnte man
noch die verbrannten und axtbehauenen Stümpfe alter Haine sehen. Es
war ein trauriges Land, stumm jetzt bis auf das steinerne Geräusch flin-
ker Gewässer. Rauch und Dampf zogen in finsteren Wolken darüber hin
und lagerten in den Senken. Die Reiter sprachen nicht. Viele zweifelten in
ihrem Herzen und fragten sich, zu welchem unheilvollen Ende ihre Fahrt
wohl führe.
Nachdem sie einige Meilen geritten waren, wurde die Straße ganz breit;
sie war mit großen, flachen Steinen gepflastert, die vierkantig behauen
und geschickt verlegt waren; kein Grashalm war in irgendeiner Fuge zu
sehen. Tiefe Gossen, in denen Wasser tröpfelte, liefen zu beiden Seiten.
Plötzlich ragte vor ihnen eine hohe Säule auf. Sie war schwarz; und auf
ihr ruhte ein großer Stein, der als das Abbild einer langen Weißen Hand
gemeißelt und angemalt war. Ihre Finger zeigten nach Norden. Nicht weit
von hier, das wußten sie, mußten jetzt die Tore von Isengart stehen, und
ihre Herzen waren schwer; doch ihre Augen konnten den Nebel vor
ihnen nicht durchdringen.
Unter dem Ausläufer des Gebirges innerhalb des Zauberer-Tals hatte
seit unzähligen Jahren jene alte Stätte gestanden, die die Menschen Isen-
gart nannten. Teilweise war sie geschaffen worden, als das Gebirge ent-
stand, doch mächtige Anlagen hatten die Menschen von Westernis dort
einst errichtet; und Saruman hatte lange dort gelebt und war nicht müßig
gewesen.
So sah es aus, solange Saruman auf der Höhe seiner Macht war und
von vielen für das Oberhaupt der Zauberer gehalten wurde. Ein großer
Ringwall aus Stein wie sich türmende Klippen ragte aus dem Schutz des
Gebirgshanges heraus, von dem er ausging und dann wieder zu ihm zu-
rückkehrte. Nur ein einziger Eingang war angelegt worden, ein großer
Gewölbebogen, der aus dem südlichen Wall herausgemeißelt war. Durch
den schwarzen Felsen war hier ein langer Gang gebrochen worden, der an
beiden Enden mit mächtigen eisernen Toren abgeschlossen war. Sie waren
so gearbeitet und auf ihre gewaltigen Angeln gesetzt, stählerne Pfosten,
die in den lebenden Stein getrieben waren, daß sie, wenn sie entriegelt
waren, mit einem leichten Stoß der Arme geräuschlos bewegt werden
konnten. Wer hineingelangte und schließlich aus dem widerhallenden
Gang herauskam, erblickte einen großen Kreis, etwas ausgehöhlt wie eine
riesige flache Schüssel: eine Meile maß er von Rand zu Rand. Einst war er
grün gewesen und von baumbestandenen Straßen durchzogen und voller
Haine früchtereicher Bäume, bewässert von Bächen, die vom Gebirge
herab in einen See flössen. Aber nichts Grünes wuchs dort in Sarumans
letzten Tagen. Die Wege waren mit Steinplatten gepflastert, dunkel und
hart; und an ihren Rändern zogen sich statt der Bäume lange Reihen von
Säulen hin, manche aus Marmor, manche aus Kupfer und Eisen, verbun-
den durch schwere Ketten.
Viele Häuser gab es, Unterkünfte, Hallen und Durchgänge, die auf der
inneren Seite in die Wälle hineingehauen worden waren und wieder hin-
ausrührten, so daß der offene Kreis von zahllosen Fenstern und dunklen
Türen überblickt wurde. Tausende konnten dort hausen, Arbeiter, Die-
ner, Hörige und Krieger mit einem großen Waffenlager; Wölfe wurden in
tief darunter liegenden Höhlen gefüttert und wie in einem Stall gehalten.
Auch die Ebene war angebohrt und untergraben. Schächte waren tief in
den Boden hineingetrieben; ihre oberen Enden waren mit niedrigen
Hügeln und Kuppeln aus Stein bedeckt, so daß der Ring von Isengart im
Mondschein wie ein Friedhof von unruhigen Toten aussah. Denn der
Boden zitterte. Die Schächte führten über viele schräge Stollen und Wen-
deltreppen hinunter in riefe Verliese; dort hatte Saruman Schätze, Waren-
lager, Waffenkammern, Schmieden und große Schmelzöfen. Eiserne Räder
drehten sich dort ununterbrochen, und Hämmer dröhnten. Des Nachts
strömten Dampfwolken aus den Schloten, auf die von unten rotes oder
blaues oder giftgrünes Licht fiel.
Alle Straßen liefen zwischen ihren Ketten auf den Mittelpunkt zu.
Dort stand ein Turm von wunderbarer Form. Er war von den alten Bau-
meistern gestaltet worden, die den Ring von Isengart eingeebnet hatten,
und doch schien er ein Gebilde zu sein, das nicht von Menschenhand ge-
fertigt, sondern dereinst bei der Folterung der Berge aus dem Gebein der
Erde herausgerissen worden war. Eine Bergspitze war er und eine Felsen-
insel, schwarz und hart glänzend: vier mächtige Pfeiler aus vielseitigem
Stein waren zu einem verbunden, doch nahe dem Gipfel liefen sie in klaf-
fenden Spitzen aus, ihre Zinnen waren hart wie Speerspitzen und scharf-
kantig wie Messer. Zwischen ihnen war ein schmaler Raum, und dort
konnte ein Mann auf einem Boden aus geglättetem Stein, mit seltsamen
Zeichen beschriftet, fünfhundert Fuß über der Ebene stehen. Das war Ort-
hanc, Sarumans Burg, deren Name (mit Absicht oder durch Zufall) eine
zwiefältige Bedeutung hatte; denn in der elbischen Sprache bedeutet ort-
hanc Spitzberg, aber in der alten Sprache der Mark Arglistiger Geist.
Eine starke Festung und wunderbar war Isengart, und lange war es
schön gewesen; und mächtige Herren hatten dort gewohnt, Gondors Ver-
weser im Westen, und weise Männer hatten die Sterne beobachtet. Aber
Saruman hatte es allmählich seinen sich ändernden Plänen angepaßt und
verbessert, wie er glaubte, doch täuschte er sich — denn alle jene Zauber-
künste und hinterlistigen Vorhaben, um derentwillen er seiner früheren
Weisheit entsagt hatte und die er leichtgläubig für seine eigenen hielt,
kamen nur aus Mordor; daher war das, was er machte, ein Nichts, nur
eine kleine Nachahmung, der Entwurf eines Kindes oder die Schmeichelei
eines Sklaven, jener gewaltigen Festung, Waffenkammer, Gefängnis,
Brutstätte großer Macht, Barad-dûr, des Dunklen Turms, der keinen
Nebenbuhler duldete und über Schmeichelei lachte und den rechten
Augenblick abwarten konnte, siegessicher in seinem Stolz und seiner un-
ermeßlichen Stärke.
Das war Sarumans Feste, wie das Gerücht besagte; denn seit Men-
schengedenken hatten die Bewohner von Rohan seine Tore nicht durch-
schritten, abgesehen vielleicht von einigen wenigen wie Schlangenzunge,
die heimlich kamen und keinem Menschen erzählten, was sie gesehen hat-
ten.
Jetzt ritt Gandalf zu der großen Säule mit der Hand und an ihr vorbei;
und während er das tat, sahen die Reiter zu ihrer Verwunderung, daß die
Hand nicht länger weiß zu sein schien. Sie war befleckt wie mit getrock-
netem Blut; und als sie genauer hinschauten, erkannten sie, daß ihre
Nägel rot waren. Ohne darauf zu achten, ritt Gandalf weiter in den
Nebel, und widerstrebend folgten sie ihm. Ringsum erstreckten sich nun,
als ob es eine plötzliche Flut gegeben habe, breite Wassertümpel neben
der Straße, füllten die Senken aus, und Rinnsale rieselten zwischen den
Steinen.
Schließlich hielt Gandalf an und winkte ihnen; und sie kamen und
sahen, daß sich hinter ihm der Nebel verzogen hatte und eine blasse
Sonne schien. Die Mittagsstunde war vorüber. Sie waren an den Toren
von Isengart angelangt.
Aber die Tore waren herausgerissen und lagen beschädigt auf dem
Boden. Und ringsum waren weit und breit Steine verstreut, zersprungen
und zersplittert in unzählige zackige Bruchstücke oder zu Trümmerhaufen
aufgetürmt. Der große Torbogen stand noch, aber er führte jetzt in einen
dachlosen Abgrund: der unterirdische Gang war bloßgelegt, und in die
klippenähnlichen Wälle an beiden Seiten waren große Spalten und Bre-
schen gerissen; ihre Türme waren zu Staub zertrümmert. Hätte sich das
Große Meer im Zorn erhoben und wäre in einem wilden Sturm auf die
Berge niedergestürzt, es hätte keine größere Zerstörung anrichten können.
Der Ring hinter dem Tor war mit dampfendem Wasser gefüllt: ein bro-
delnder Kessel, in dem Trümmer von Balken und Rundhölzern, Kisten
und Kästen und zerbrochenes Gerät schwammen und trieben. Verbogene
und schräg stehende Säulen ragten mit ihren geborstenen Schäften über
die Flut hinaus, aber alle Straßen waren überschwemmt. Fern schien die
Stelle zu sein, halb verschleiert in einer wallenden Wolke, wo sich die Fel-
seninsel erhob. Dunkel und hoch, ungebrochen von dem Sturm, stand
noch der Turm von Orthanc. Fahles Wasser umspülte seinen Fuß.
Der König und seine Begleitung saßen schweigend auf ihren Pferden
und staunten, als sie sahen, daß Sarumans Macht vernichtet war; aber
wie, das konnten sie nicht erraten. Und jetzt richteten sie ihren Blick auf
den Torbogen und die zerstörten Tore. Dort sahen sie, dicht neben sich,
einen großen Trümmerhaufen; und plötzlich bemerkten sie zwei kleine
Gestalten, die behaglich auf ihm lagen, grau gekleidet, kaum zu sehen
zwischen den Steinen. Da standen Flaschen und Schüsseln und Platten
neben ihnen, als ob sie gerade wohl gespeist hätten und sich jetzt von der
Anstrengung ausruhten. Einer schien zu schlafen; der andere saß mit ge-
kreuzten Beinen und den Armen hinter dem Kopf an einen Felsbrocken
gelehnt und ließ aus seinem Mund lange Schwaden und kleine Ringe aus
dünnem, blauem Rauch herausströmen.
Einen Augenblick starrten Théoden und Éomer und seine Mannen sie
verblüfft an. Inmitten all der Zerstörung von Isengart schien ihnen das
der merkwürdigste Anblick zu sein. Aber ehe der König sprechen
konnte, wurde die kleine, rauchausstoßende Gestalt plötzlich ihrer
gewahr, wie sie dort schweigend am Rand des Nebels saßen. Er sprang
auf. Er sah jung aus, oder wie ein junger Mann, obwohl er nicht viel
mehr als halb so groß war wie ein Mann; sein braungelockter Kopf war
unbedeckt, doch hatte er einen abgetragenen Mantel an von derselben Far-
be und Form wie Gandalfs Gefährten, als sie nach Edoras kamen. Er ver-
beugte sich sehr tief und legte die Hand auf die Brust. Dann tat er so, als
ob er den Zauberer und seine Freunde nicht bemerke, und wandte sich an
Éomer und den König.
»Willkommen, meine Herren, in Isengart!« sagte er. »Wir sind die Tor-
wächter. Meriadoc, Saradocs Sohn, ist mein Name; und mein Gefährte,
der leider von Müdigkeit übermannt ist ...« — hier gab er dem anderen
einen Stoß mit dem Fuß — »ist Peregrin, Paladins Sohn, aus dem Hause
Tuk. Fern im Norden liegt unsere Heimat. Der Herr Saruman ist drinnen;
doch im Augenblick führt er eine geheime Besprechung mit einem gewis-
sen Schlangenzunge, sonst würde er zweifellos hier sein, um solche Ehren-
gäste zu empfangen.«
»Das würde er zweifellos!« lachte Gandalf. »Und war es Saruman, der
euch befahl, seine beschädigten Tore zu bewachen und auf die Ankunft
von Gästen achtzuhaben, sofern eure Aufmerksamkeit von Teller und
Flasche abgelenkt werden konnte?«
»Nein, lieber Herr, die Angelegenheit entging ihm«, antwortete Merry
würdevoll. »Er ist stark beschäftigt gewesen. Unser Auftrag stammt von
Baumbart, der die Verwaltung von Isengart übernommen hat. Er befahl
mir, den Herrn von Rohan mit passenden Worten zu begrüßen. Ich habe
mein Bestes getan.«
»Und wie steht's mit deinen Gefährten? Wie steht's mit Legolas und
mir?« rief Gimli, der sich nicht länger zu beherrschen vermochte. »Ihr
Schurken, ihr wollfüßigen und krausköpfigen Faulenzer! Eine feine Jagd
habt ihr uns eingebrockt! Zweihundert Wegstunden durch Sumpf und
Wald, Schlacht und Tod, um euch zu retten! Und hier finden wir euch
schmausend und faulenzend — und rauchend! Rauchend! Wo habt ihr das
Kraut her, ihr Schufte? Hammer und Zange! Ich bin so hin- und hergeris-
sen zwischen Zorn und Freude, daß es ein Wunder sein wird, wenn ich
nicht platze!«
»Du sprichst mir aus der Seele, Gimli«, lachte Legolas. »Obwohl ich
eher erfahren möchte, wie sie an den Wein kamen.«
»Eins habt ihr auf eurer Jagd nicht gefunden, und das ist schärferer
Verstand«, sagte Pippin und blinzelte mit einem Auge. »Hier findet ihr
uns auf dem Schlachtfeld des Sieges sitzend inmitten der Kriegsbeute gan-
zer Heere, und ihr wundert euch, wie wir zu ein paar wohlverdienten
Annehmlichkeiten kamen!«
»Wohlverdient?« sagte Gimli. »Das kann ich nicht glauben!«
Die Reiter lachten. »Kein Zweifel, wir sind Zeuge des Wiedersehens
guter Freunde«, sagte Théoden. »Das sind also die Verlorenen aus Eurer
Gemeinschaft, Gandalf? Es ist das Schicksal dieser Tage, daß sie voll
Wunder sind. Viele habe ich schon gesehen, seit ich mein Haus verließ;
und nun steht hier vor meinen Augen noch ein anderes Volk der Sage.
Sind das nicht Halblinge, die manche unter uns Holbytlan nennen?«
»Hobbits, wenn ich bitten darf, Herr«, sagte Pippin.
»Hobbits?« fragte Théoden. »Eure Sprache ist seltsam verändert; aber
der Name klingt so nicht unpassend. Hobbits! Kein Bericht, den ich ge-
hört habe, läßt der Wahrheit Gerechtigkeit widerfahren.«
Merry verbeugte sich; und Pippin stand auf und verbeugte sich tief.
»Ihr seid sehr gütig, Herr; oder vielmehr hoffe ich, daß ich Eure Worte so
auffassen darf«, sagte er. »Und auch das ist ein Wunder! In vielen Lan-
den bin ich gewandert, seit ich meine Heimat verließ, und bis jetzt habe
ich niemals Leute gefunden, die irgendwelche Geschichten über Hobbits
kannten.«
»Mein Volk kam vor langer Zeit aus dem Norden«, sagte Théoden.
»Aber ich will euch nicht täuschen: wir kennen keine Geschichten über
Hobbits. Bei uns heißt es lediglich, daß weit entfernt, hinter vielen Bergen
und Flüssen, das Volk der Halblinge lebt, das in Höhlen in Sanddünen
wohnt. Aber es gibt keine Sagen über ihre Taten, denn es heißt, daß sie
wenig tun und den Anblick der Menschen meiden, denn sie vermögen im
Handumdrehen zu verschwinden; und sie können ihre Stimmen so ver-
wandeln, daß sie dem Zirpen von Vögeln ähneln. Aber es scheint, daß
noch mehr gesagt werden könnte.«
»Das könnte es freilich, Herr«, sagte Merry.
»Zuerst einmal«, sagte Théoden, »habe ich nicht gehört, daß sie Rauch
aus dem Mund ausspeien.«
»Das ist nicht überraschend«, antwortete Merry. »Denn das ist eine
Kunst, die wir erst seit ein paar Generationen ausgeübt haben. Es war
Tobold Hornbläser aus Langgrund im Südviertel, der zuerst das echte
Pfeifenkraut in seinen Gärten zog, etwa im Jahr 1070 nach unserer Zeit-
rechnung. Wie der alte Tobold zu der Pflanze kam ...«
»Ihr wißt nicht, in welcher Gefahr Ihr seid, Théoden«, unterbrach Gan-
dalf. »Diese Hobbits können am Rande des Verderbens sitzen und die
Freuden des Tisches erörtern oder von den kleinen Taten ihrer Väter,
Großväter und Urgroßväter und entfernter Vettern neunten Grades erzäh-
len, wenn Ihr sie mit übermäßiger Geduld dazu ermutigt. Eine andere Zeit
wäre passender für die Geschichte des Rauchens. Wo ist Baumbart,
Merry?«
»Drüben auf der Nordseite, glaube ich. Er ging, um sich etwas zu trin-
ken zu holen — sauberes Wasser. Die meisten anderen Ents sind bei ihm,
immer noch mit ihrer Arbeit beschäftigt — dort drüben«. Merry deutete
mit der Hand auf den dampfenden See; und als sie hinschauten, hörten
sie ein fernes Rumpeln und Grollen, als ob eine Lawine vom Gebirge her-
abstürze. Aus der Ferne kam ein Hum-hom wie Hörner, die zum Sieg
bliesen.
»Und ist Orthanc unbewacht geblieben?« fragte Gandalf.
»Da ist das Wasser«, sagte Merry. »Aber Flinkbaum und einige andere
passen auf. Nicht alle diese Pfosten und Säulen in der Ebene sind von
Saruman gepflanzt. Flinkbaum ist, glaube ich, in der Nähe des Felsens,
am Fuß der Treppe.«
»Ja, da steht ein großer, grauer Ent«, sagte Legolas, »aber seine Arme
hängen herab, und er steht still wie ein Türpfosten.«
»Die Mittagsstunde ist vorbei«, sagte Gandalf, »und wir haben jeden-
falls seit dem frühen Morgen nichts gegessen. Dennoch möchte ich Baum-
hart so schnell wie möglich sehen. Hat er mir keine Botschaft hinterlas-
sen, oder haben Teller und Flasche es aus eurem Gedächtnis vertrieben?«
»Er hinterließ eine Botschaft«, sagte Merry, »und ich wollte gerade
darauf zu sprechen kommen, aber ich wurde durch viele andere Fragen
daran gehindert. Ich sollte bestellen, wenn der Herr der Mark und Gan-
dalf zum Nordwall reiten wollen, dann werden sie Baumbart dort finden,
und sie werden ihm willkommen sein. Ich darf hinzufügen, daß sie dort
auch etwas Vorzügliches zu essen finden, das von Euren gehorsamsten
Dienern entdeckt und ausgewählt wurde.« Er verbeugte sich.
Gandalf lachte. »Das ist besser!« sagte er. »Nun, Théoden, wollt Ihr
mit mir zu Baumbart reiten? Wir müssen einen Umweg machen, aber es
ist nicht weit. Wenn Ihr Baumbart seht, werdet Ihr viel lernen. Denn
Baumbart ist Fangorn, der älteste und das Oberhaupt der Ents, und wenn
Ihr mit ihm redet, werdet Ihr die Sprache des ältesten aller Lebewesen
hören.«
»Ich will mit Euch kommen«, sagte Théoden. »Lebt wohl, meine Hob-
bits! Mögen wir uns in meinem Hause wiedertreffen! Dort sollt ihr neben
mir sitzen und mir alles erzählen, was euer Herz begehrt: die Taten eurer
Vorfahren, soweit ihr sie aufzählen könnt; und auch von dem alten
Tobold werden wir reden und von seiner Kräuterkunde. Lebt wohl!«
Die Hobbits verbeugten sich tief. »Das also ist der König von Rohan!«
sagte Pippin leise. »Ein netter, alter Bursche. Sehr höflich.«