FÜNFTES KAPITEL
DAS FENSTER NACH WESTEN
Sam glaubte nur ein paar Minuten geschlafen zu haben, als er auf-
wachte und feststellte, daß es schon spät am Nachmittag und Faramir zu-
rückgekommen war. Er hatte viele Menschen mitgebracht; tatsächlich
waren jetzt alle, die den Überfall überlebt hatten, auf dem nahen Abhang
versammelt, zwei- oder dreihundert Mann. Sie saßen in einem weiten
Halbkreis, und an der offenen Seite saß Faramir auf dem Boden, während
Frodo vor ihm stand. Es sah seltsam aus, wie das Verhör eines Gefange-
nen.
Sam kroch aus dem Farn heraus, aber niemand beachtete ihn, und er
setzte sich ans Ende der Reihen der Männer, wo er alles, was vor sich
ging, sehen und hören konnte. Er paßte auf und lauschte aufmerksam, be-
reit, seinem Herrn zu Hilfe zu eilen, falls es nötig wäre. Er sah Faramirs
Gesicht, der jetzt keine Maske trug: es war streng und herrisch, und ein
scharfer Verstand sprach aus seinem forschenden Blick. Zweifel stand in
den grauen Augen, die Frodo unverwandt anstarrten.
Sam merkte bald, daß der Heermeister in verschiedenen Punkten von
Frodos Bericht über sich selbst nicht befriedigt war: welche Rolle er in der
Gemeinschaft spielte, die von Bruchtal aufbrach; warum er Boromir ver-
lassen hatte und wohin er jetzt gehe. Insbesondere kam er oft auf Isildurs
Fluch zurück. Offenbar erkannte er, daß Frodo eine Angelegenheit von
großer Bedeutung vor ihm verbarg.
»Aber beim Kommen des Halblings sollte Isildurs Fluch erwachen, so
muß man jedenfalls die Worte verstehen«, beharrte er. »Wenn Ihr also
der Halbling seid, der genannt wurde, dann habt Ihr dieses Ding, was
immer es sein mag, gewiß zu dem Rat mitgebracht, von dem Ihr sprecht,
und dort sah Boromir es. Leugnet Ihr das?«
Frodo antwortete nicht. »Aha!« sagte Faramir. »Dann möchte ich
mehr von Euch darüber erfahren; denn was Boromir angeht, geht auch
mich an. Ein Orkpfeil tötete Isildur, wie alte Erzählungen berichten.
Aber Orkpfeile gibt es viele, und den Anblick von einem hätte Boromir
von Gondor nicht als ein Zeichen des Schicksals angesehen. Hattet Ihr
das Ding in Verwahrung? Es ist geheim, sagt Ihr; aber ist es das nicht,
weil Ihr es verbergen wolltet?«
»Nein, nicht weil ich es so wollte«, antwortete Frodo. »Es gehört mir
nicht. Es gehört keinem Sterblichen, keinem großen und keinem kleinen;
wenn einer Anspruch darauf erheben könnte, dann wäre es Aragorn,
Arathorns Sohn, den ich genannt habe, der Führer unserer Gemeinschaft
von Moria bis Rauros.«
»Warum er und nicht Boromir, Fürstensohn der Stadt, die von Elendils
Söhnen gegründet wurde?«
»Weil Aragorn in direkter Linie, von Vater zu Vater, von Isildur,
Elendils Sohn, abstammt. Und das Schwert, das er trägt, ist Elendils
Schwert.«
Ein Murmeln der Verwunderung durchlief den Kreis der Männer.
Einige riefen laut: »Elendils Schwert! Elendils Schwert kommt nach
Minas Tirith! Das ist eine große Botschaft!« Aber Faramirs Gesicht war
ungerührt.
»Vielleicht«, sagte er. »Aber ein so hoher Anspruch wird begründet
werden müssen, und klare Beweise werden gefordert werden, wenn dieser
Aragorn jemals nach Minas Tirith kommt. Er war nicht gekommen, noch
irgendeiner von Eurer Gemeinschaft, als ich vor sechs Tagen aufbrach.«
»Boromir gab sich zufrieden mit diesem Anspruch«, sagte Frodo. »Für-
wahr, wenn Boromir hier wäre, würde er alle Eure Fragen beantworten.
Und da er schon vor vielen Tagen in Rauros war und beabsichtigte, gleich
zu Eurer Stadt zu gehen, werdet Ihr, wenn Ihr zurückkehrt, die Antwor-
ten dort erfahren. Mein Anteil an der Gemeinschaft war ihm bekannt,
wie auch allen anderen, denn der Auftrag war mir von Elrond von Imla-
dris selbst vor dem ganzen Rat erteilt worden. In Erfüllung jenes Auf-
trags kam ich in dieses Land, aber es steht mir nicht zu, ihn irgend
jemandem außerhalb der Gemeinschaft zu offenbaren. Dennoch würden
jene, die behaupten, gegen den Feind zu kämpfen, gut daran tun, meinen
Auftrag nicht zu hindern.«
Frodos Ton war stolz, wie immer ihm zumute sein mochte, und Sam
billigte ihn, aber er besänftigte Faramir nicht.
»So!« sagte er. »Ihr heißt mich, mich um meine eigenen Angelegenhei-
ten zu kümmern und nach Hause zu gehen und Euch in Frieden zu lassen.
Boromir wird mir alles erzählen, wenn er kommt. Wenn er kommt, sagt
Ihr! Wart Ihr ein Freund von Boromir?«
Lebhaft tauchte vor Frodos geistigem Auge die Erinnerung daran auf,
wie Boromir ihn angegriffen hatte, und einen Augenblick zögerte er.
Faramirs Blick, der ihn beobachtete, wurde härter. »Boromir war ein tap-
feres Mitglied unserer Gemeinschaft«, sagte Frodo schließlich. »Ja, ich für
mein Teil war sein Freund.«
Faramir lächelte grimmig. »Dann würde es Euch betrüben zu erfahren,
daß Boromir tot ist?«
»Das würde mich fürwahr betrüben«, sagte Frodo. Dann bemerkte er
den Ausdruck in Faramirs Augen und stammelte. »Tot?« fragte er.
»Meint Ihr, er ist tot und Ihr wußtet es? Habt Ihr versucht, mich mit
Worten hereinzulegen und Euer Spiel mit mir zu treiben? Oder versucht
Ihr jetzt, mich mit einer Lüge in die Falle zu locken?«
»Ich würde nicht einmal einen Ork mit einer Lüge in die Falle locken«,
sagte Faramir.
»Wie ist er denn gestorben und woher wißt Ihr es? Da Ihr doch sagt,
keiner der Gemeinschaft habe die Stadt erreicht, als Ihr sie verließet?«
»Was die Art seines Todes betrifft, so hatte ich gehofft, daß sein
Freund und Gefährte mir berichten würde, wie es dazu kam.«
»Aber er war gesund und munter, als wir uns trennten. Und er ist noch
am Leben, soviel ich weiß. Obwohl es gewiß viele Gefahren auf der Welt
gibt.«
»Viele fürwahr«, sagte Faramir, »und Verrat ist nicht die geringste.«
Sam war immer ungeduldiger und wütender geworden bei dieser Unter-
haltung. Diese letzten Worte waren mehr, als er ertragen konnte, und er
platzte mitten in den Kreis hinein und stellte sich neben seinen Herrn.
»Entschuldige, Herr Frodo«, sagte er, »aber das hat jetzt lange genug
gedauert. Er hat kein Recht, so mit dir zu reden. Nach allem, was du
durchgemacht hast, ebenso zu seinem und all dieser großen Menschen
Vorteil, wie für sonst jemanden.
»Hört mal, Heermeister!« Er pflanzte sich genau vor Faramir auf, die
Hände in die Hüften gestemmt und mit einem Ausdruck im Gesicht, als
ob er es mit einem jungen Hobbit zu tun habe, der ihm »pampig« gekom-
men war, als er ihn wegen Besuchen im Obstgarten verhörte. Es gab eini-
ges Gemurmel, aber auch Grinsen auf den Gesichtern der zuschauenden
Männer: der Anblick ihres Heermeisters, der auf dem Boden saß, Auge
in Auge mit einem jungen Hobbit, der breitbeinig und zornsprühend
dastand, das war etwas, was sie noch nicht erlebt hatten. »Hört mal!«
sagte er. »Worauf wollt Ihr hinaus? Laßt uns zur Sache kommen, ehe alle
Orks von Mordor über uns herfallen! Wenn Ihr glaubt, mein Herr habe
diesen Boromir ermordet und sei dann weggelaufen, dann habt Ihr keinen
Verstand; aber sagt es und damit Schluß! Und dann laßt uns wissen, was
Ihr deswegen zu tun gedenkt. Aber es ist ein Jammer, daß Leute, die
davon reden, daß sie gegen den Feind kämpfen, nicht andere ihre Pflicht
auf ihre Weise erledigen lassen können, ohne sich einzumischen. Der
Feind würde sich mächtig freuen, wenn er Euch jetzt sehen könnte. Würde
glauben, er hat 'nen neuen Freund bekommen.«
»Geduld!« sagte Faramir, aber ohne Ärger. »Rede nicht vor deinem
Herrn, der mehr Verstand hat als du. Aber du brauchst mich nicht über
unsere Gefahr zu belehren. Selbst so nehme ich mir ein wenig Zeit, um in
einer schwierigen Angelegenheit richtig zu urteilen. Wäre ich so hastig
wie du, hätte ich dich vielleicht schon längst erschlagen. Denn mein Be-
fehl lautet, alle zu erschlagen, die ich in diesem Lande finde und die keine
Erlaubnis des Herrn von Gondor haben. Aber ich erschlage Mensch oder
Tier nicht ohne Not, und auch nicht gern, wenn es nötig ist. Und ebenso
wenig rede ich unnütz. Also sei getröstet. Setze dich zu deinem Herrn
und schweige still!«
Sam setzte sich schwerfällig hin, und die Röte war ihm ins Gesicht ge-
stiegen. Faramir wandte sich wieder an Frodo. »Ihr fragtet, woher ich
wisse, daß Denethors Sohn tot ist. Todesbotschaften haben viele Flügel.
Oft bringt die Nacht den nächsten Angehörigen Nachricht, heißt es.
Boromir war mein Bruder.«
Ein Schatten des Kummers zog über sein Gesicht. »Erinnert Ihr Euch an
etwas Besonderes, das zur Ausrüstung des Herrn Boromir gehörte?«
Frodo dachte einen Augenblick nach, fürchtete, es könne wieder eine
Falle sein, und fragte sich, wie diese Auseinandersetzung wohl enden
würde. Mit knapper Not hatte er den Ring vor dem lüsternen Zugriff von
Boromir bewahrt, und wie es ihm nun unter so vielen kriegerischen und
starken Menschen ergehen würde, wußte er nicht. Dennoch hatte er im
Grunde seines Herzens das Gefühl, daß Faramir, obwohl er seinem Bruder
sehr ähnlich sah, ein weniger eigennütziger und ernsterer und klügerer
Mann war. »Ich erinnere mich, daß Boromir ein Horn bei sich trug«,
sagte er schließlich.
»Ihr erinnert Euch gut und wie einer, der ihn wirklich gesehen hat«,
sagte Faramir. »Dann könnt Ihr es vielleicht vor Eurem geistigen Auge
sehen: ein großes Horn des Auerochsen aus dem Osten, mit Silber be-
schlagen und mit altertümlichen Buchstaben beschriftet. Dieses Horn hat
seit vielen Generationen der älteste Sohn unseres Hauses getragen; und es
heißt, wenn es in der Not irgendwo innerhalb von Gondors Grenzen, die
das Reich einst hatte, geblasen werde, verhalle sein Ruf nicht ungehört.
Fünf Tage, ehe ich mich zu dieser Fahrt aufmachte, heute vor elf Tagen
etwa um diese Stunde, hörte ich das Horn erschallen: vom Norden her,
wie es schien, aber undeutlich, als wäre es nur ein Echo im Geist. Für eine
böse Vorbedeutung hielten wir es, mein Vater und ich, denn wir hatten
keine Nachrichten von Boromir gehabt, seit er fortgegangen war, und
kein Wächter an unseren Grenzen hatte ihn zurückkommen sehen. Und in
der dritten Nacht danach widerfuhr mir etwas noch Seltsameres.
Ich saß des Nachts an den Wassern des Anduin in der grauen Dunkel-
heit unter dem jungen, blassen Mond und bewachte den ewig dahinzie-
henden Strom; und das traurige Schilf raschelte. So bewachen wir immer
die Ufer nahe Osgiliath, das unsere Feinde jetzt teilweise besetzt haben;
denn von dort machen sie Ausfälle, um unsere Lande zu verwüsten. Doch
in jener Nacht schlief die ganze Welt zur Mitternachtsstunde. Dann sah
ich ein Boot oder glaubte es zu sehen, das auf dem Wasser trieb, grau
schimmernd, ein kleines Boot von seltsamer Form mit einem hohen Bug,
und niemand war da, der es ruderte oder steuerte.
Ein Schrecken befiel mich, denn es war von einem bleichen Licht umge-
ben. Doch stand ich auf und ging ans Ufer und begann hinauszuwaten in
den Strom, denn ich wurde zu ihm hingezogen. Dann dreht das Boot auf
mich zu und verlangsamte seine Geschwindigkeit und trieb gemächlich in
Reichweite meiner Hand an mir vorbei, doch wagte ich nicht, es zu be-
rühren. Es lag tief im Wasser, als sei es schwer beladen, und mir schien,
als es unter meinem Blick vorbeizog, daß es fast ganz mit klarem Wasser
gefüllt sei, von dem das Licht ausging; und umgeben vom Wasser lag ein
schlafender Krieger.
Ein geborstenes Schwert lag auf seinen Knien. Ich sah viele Wunden an
ihm. Es war Boromir, mein Bruder, tot. Ich erkannte seine Rüstung, sein
Schwert, sein geliebtes Gesicht. Eins nur vermißte ich: sein Horn. Eins
nur kannte ich nicht: einen schönen Gürtel um seinen Leib, der aussah,
als bestünde er aus verschlungenen goldenen Blättern. Boromir! rief
ich.
Wo ist dein Horn? Wohin gehst du? O Boromir! Doch er war fort. Das
Boot drehte wieder in die Strömung und verschwand schimmernd in der
Nacht. Traumhaft war es, und doch kein Traum, denn es gab kein Erwa-
chen. Und ich zweifle nicht daran, daß er tot ist und den Strom hinabge-
fahren ist zum Meer.«
»O weh!« sagte Frodo. »Fürwahr, das war Boromir, wie ich ihn kannte.
Denn der goldene Gürtel war ihm in Lothlórien von Frau Galadriel ge-
schenkt worden. Sie war es, die uns so kleidete, wie Ihr uns seht, in
Elben-Grau. Diese Spange ist von derselben Machart.« Er zeigte auf das
grüne und silberne Blatt, das seinen Mantel unterhalb des Halses zusam-
menhielt.
Faramir betrachtete sie genau. »Sie ist schön«, sagte er. »Ja, es ist die-
selbe Arbeit. Ihr seid also durch das Land Lórien gekommen? Laurelin-
dórenan wurde es einst genannt, aber nun ist es schon lange aus dem
Wissen der Menschen entschwunden«, fügte er leise hinzu und betrach-
tete Frodo mit einem neuen Erstaunen in seinen Augen. »Vieles, was mir
an Euch seltsam erschien, beginne ich jetzt zu verstehen. Wollt Ihr mir
nicht mehr sagen? Denn es ist ein bitterer Gedanke, daß Boromir in Sicht-
weite seines Heimatlandes starb.«
»Nicht mehr kann ich sagen, als was ich gesagt habe«, antwortete
Frodo. »Obwohl Eure Erzählung mich mit bösen Ahnungen erfüllt. Ein
Traumbild war es, was Ihr saht, und nicht mehr, irgendein Schatten eines
Unglücks, das sich ereignet hat oder sich ereignen wird. Sofern es nicht
tatsächlich eine lügenhafte List des Feindes war. Ich habe die Gesichter
von schönen Kriegern aus alter Zeit schlafend unter den Tümpeln der
Totensümpfe gesehen, oder es schien so durch seine böse Zauberkunst.«
»Nein, so war es nicht«, sagte Faramir. »Denn seine Werke erfüllen das
Herz mit Abscheu, aber mein Herz war von Kummer und Mitleid er-
füllt.«
»Doch wie könnte dergleichen in Wirklichkeit geschehen?« fragte
Frodo. »Denn kein Boot hätte von Tol Brandir über die felsigen Berge ge-
tragen werden können; und Boromir beabsichtigte, über die Entwasser und
die Felder von Rohan heimzukehren. Und wie hätte denn ein Schiff die
schäumende Flut der Fälle durchfahren können, ohne in den brodelnden
Gewässern unterzugehen, auch wenn es mit Wasser geladen war?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Faramir. »Aber woher kam das Boot?«
»Aus Lórien«, sagte Frodo. »In drei solchen Booten ruderten wir den
Anduin hinunter bis zu den Fällen. Sie waren auch Elben-Werk.«
»Ihr seid durch das Verborgene Land gekommen«, sagte Faramir, »aber
es scheint, als habet Ihr wenig von seiner Macht verstanden. Wenn Men-
schen mit der Herrin der Zauberei, die im Goldenen Wald wohnt, zu tun
haben, dann mag es sein, daß sie seltsamer Dinge gewärtig sein müssen.
Denn es ist gefährlich für sterbliche Menschen, außerhalb der Welt dieser
Sonne zu wandeln, und wenige kamen dereinst unverändert von dort zu-
rück, heißt es.
"O Boromir, o Boromir!" rief er. »Was hat sie zu dir
gesagt, die Her-
rin, die nicht stirbt? Was hat sie gesehen? Was erwachte damals in dei-
nem Herzen? Warum bist du je nach Laurelindórenan gegangen und nicht
auf deinem eigenen Weg gekommen und nicht am Morgen auf den Pfer-
den von Rohan heimgeritten?«
Dann wandte er sich wieder an Frodo und sprach wie vorher mit leiser
Stimme. »Auf diese Fragen, nehme ich an, könntet Ihr, Frodo, Drogos
Sohn, einige Antworten geben. Aber vielleicht nicht hier und nicht jetzt.
Aber damit Ihr nicht immer noch meine Erzählung für ein Traumbild
haltet, will ich Euch dieses sagen: Boromirs Horn kehrte schließlich in
Wirklichkeit zurück, und nicht nur scheinbar. Das Horn kam, aber es war
in zwei Teile gespalten, sei es durch einen Axthieb oder Schwertstreich.
Die Bruchstücke wurden einzeln an Land gespült: eines wurde zwischen
dem Schilf gefunden, wo Späher von Gondor Wache hielten, im Norden
unterhalb der Entwasser-Mündungen; das andere wurde, in der Flut wir-
belnd, von einem gefunden, der einen Auftrag auf dem Wasser hatte.
Seltsame Zufälle, aber die Sonne bringt es an den Tag, heißt es.
Und nun liegt das Horn des ältesten Sohns in zwei Stücken auf Dene-
thors Schoß, der auf seinem Thron sitzt und auf Nachrichten wartet. Und
Ihr könnt mir nichts darüber sagen, wie das Horn gespalten wurde?«
»Nein, ich wußte nichts davon«, sagte Frodo. »Aber der Tag, an dem
Ihr es erschallen hörtet, wenn Eure Schätzung stimmt, war der Tag, an
dem wir uns trennten, als ich und mein Diener die Gemeinschaft verlie-
ßen. Und nun erfüllt mich Eure Erzählung mit Furcht. Denn wenn Boro-
mir damals in Gefahr war und erschlagen wurde, dann muß ich befürch-
ten, daß auch alle meine Gefährten zugrunde gegangen sind. Und sie
waren meine Verwandten und meine Freunde.
Wollt Ihr nicht Euren Zweifel beiseite schieben und mich gehen las-
sen? Ich bin müde und kummervoll und verängstigt. Aber ich habe noch
eine Tat zu tun oder sie zu versuchen, ehe auch ich erschlagen werde.
Und Eile ist um so mehr geboten, wenn wir zwei Halblinge als einzige
von unserer Gemeinschaft übrig geblieben sind.
Kehrt zurück, Faramir, tapferer Heermeister von Gondor, und verteidigt
Eure Stadt, solange Ihr könnt, und laßt mich gehen, wohin mein Schicksal
mich führt.«
»Für mich gibt es keinen Trost bei unserer Unterhaltung«, sagte Fara-
mir, »aber Ihr schließt daraus auf mehr Schrecken, als notwendig. Sofern
das Volk von Lórien nicht selbst zu ihm kam, wer hat dann Boromir wie
für ein Begräbnis hergerichtet? Nicht Orks oder Diener des Namenlosen.
Einige von Eurer Gemeinschaft, vermute ich, sind noch am Leben.
Aber was immer auch in der Nordmark geschah, an Euch, Frodo, zweifle
ich nicht länger. Wenn harte Zeiten mir die Fähigkeit gegeben haben,
Worte und Taten von Menschen zu beurteilen, dann mag ich auch Halb-
linge richtig einschätzen! Allerdings ...« — und jetzt lächelte er —
»habt
Ihr etwas Seltsames an Euch, Frodo, vielleicht ein elbisches Wesen. Doch
mehr hängt von unseren Worten ab, die wir miteinander sprechen, als ich
zuerst glaubte. Ich sollte Euch mit zurück nach Minas Tirith nehmen,
damit Ihr vor Denethor Rede und Antwort steht, und mein Leben wird
zu Recht verwirkt sein, wenn ich jetzt einen Weg einschlage, der sich für
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meine Stadt als schlecht erweist. Deshalb will ich nicht hastig entschei-
den, was geschehen soll. Indes müssen wir ohne Verzögerung von hier
aufbrechen.«
Er sprang auf und gab einige Befehle. Sofort verteilten sich die Män-
ner, die im Kreis um ihn gesessen hatten, in kleine Gruppen, die einen
gingen hierhin, die anderen dorthin, und rasch verschwanden sie in den
Schatten der Felsen und Bäume. Bald waren nur Mahlung und Damrod
zurückgeblieben.
»Nun werdet ihr, Frodo und Samweis, mit mir und meinen Leibwäch-
tern mitkommen«, sagte Faramir. »Auf der Straße könnt Ihr nicht nach
Süden weitergehen, wenn das Eure Absicht war. Sie wird einige Tag lang
unsicher sein und nach diesem Handgemenge noch schärfer beobachtet
werden als bisher. Und heute, glaube ich, könnt Ihr sowieso nicht mehr
weit gehen, denn Ihr seid müde. Und wir auch. Wir gehen jetzt zu einer
geheimen Stätte, die wir haben, etwas weniger als zehn Meilen von hier.
Die Orks und Späher des Feindes haben sie noch nicht gefunden, und
wenn sie es täten, könnten wir den Ort lange gegen viele halten. Dort
können wir eine Weile rasten und uns ausruhen, und Ihr mit uns. Am
Morgen werde ich dann entscheiden, was für mich das Beste zu tun ist,
und für Euch.«
Frodo blieb nichts anderes übrig, als diesem Begehren zu entsprechen.
Es schien jedenfalls im Augenblick ein kluges Vorgehen zu sein, denn
durch diesen Überfall der Menschen von Gondor war eine Wanderung in
Ithilien gefährlicher denn je geworden.
Sie machten sich sofort auf den Weg: Mahlung und Damrod gingen ein
Stück voraus, und Faramir folgte mit Frodo und Sam. Sie hielten sich
diesseits des Teichs, in dem die Hobbits gebadet hatten, überquerten den
Bach, erklommen eine lange Böschung und verschwanden in dem grün-
schattigen Waldland, das sich abwärts und nach Westen hinzog. Während
sie gingen, so rasch, wie die Hobbits konnten, unterhielten sie sich leise.
»Ich habe unsere Unterhaltung abgebrochen«, sagte Faramir, »und
zwar nicht nur, weil die Zeit drängte, woran mich Meister Samweis erin-
nerte, sondern auch deshalb, weil wir auf Dinge kamen, die besser nicht
offen vor vielen Menschen erörtert werden. Aus diesem Grunde wandte
ich mich lieber der Angelegenheit meines Bruders zu und ließ Isildurs
Fluch beiseite. Ihr wart nicht völlig aufrichtig mit mir, Frodo.«
»Ich habe nicht gelogen und von der Wahrheit alles gesagt, was ich
konnte«, erwiderte Frodo.
»Ich mache Euch keinen Vorwurf«, sagte Faramir. »Ihr spracht ge-
wandt in einer schwierigen Lage, und klug, wie mir schien. Aber ich er-
fuhr oder erriet mehr von Euch, als Eure Worte sagten. Ihr wart Boromir
nicht freundlich gesinnt oder trenntet Euch nicht in Freundschaft. Ihr und
auch Meister Samweis hegtet irgendeinen Groll. Nun, ich liebte ihn sehr
und würde seinen Tod gern rächen, dennoch kannte ich ihn gut. Isildurs
fluch — ich würde mutmaßen, daß Isildurs Fluch zwischen Euch
stand
und der Anlaß zum Hader in Eurer Gemeinschaft war. Gewiß handelt es
sich dabei um ein wichtiges Erbstück irgendeiner Art, und derlei Dinge
stiften keinen Frieden unter Verbündeten, nicht, wenn aus alten Erzählun-
gen etwas gelernt werden kann. Treffe ich nicht fast ins Schwarze?«
»Fast«, sagte Frodo, »aber nicht ganz. Es gab keinen Hader in unserer
Gemeinschaft, obwohl Zweifel bestanden: Zweifel, welchen Weg wir vom
Emyn Muil aus einschlagen sollten. Aber mag das sein, wie ihm wolle,
alte Erzählungen lehren uns auch die Gefahr unbesonnener Worte über
solche Dinge wie — Erbstücke.«
»Ah, dann ist es so, wie ich es mir dachte: Ihr hattet allein mit Boro-
mir Verdruß. Er wollte, daß dieses Ding nach Minas Tirith gebracht
werde. O weh! es ist ein böses Schicksal, das Euch, der Ihr ihn zuletzt
sähet, die Lippen verschließt und mir vorenthält, was ich erfahren
möchte: was bewegte sein Herz und seine Gedanken in seinen letzten
Stunden. Ob er fehlging oder nicht, dessen bin ich sicher: er starb gut
und vollbrachte etwas Gutes. Sein Gesicht war sogar schöner als im
Leben.
Aber, Frodo, ich bedrängte Euch zuerst schwer wegen Isildurs Fluch.
Verzeiht mir! Es war unklug zu solcher Stunde und an solchem Ort. Ich
hatte nicht Zeit gehabt zum Nachdenken. Wir hatten eine schwere
Schlacht geschlagen, und es gab mehr als genug, was meinen Geist be-
schäftigte. Doch während ich noch mit Euch sprach, kam ich dem Ziel
näher und schoß deshalb absichtlich daneben. Denn Ihr müßt wissen, daß
vieles noch bewahrt ist von alter Kunde unter den Herrschern der Stadt,
was im Ausland nicht bekannt ist. Wir von meinem Haus stammen nicht
von Elendil ab, obwohl das Blut von Númenor in unseren Adern fließt.
Denn unsere Linie geht zurück auf Mardil, den guten Truchseß, der an
des Königs Statt herrschte, als der König in den Krieg zog. Und das war
König Eärnur, der letzte der Linie von Anárion, und er war kinderlos und
kehrte nicht zurück. Und die Truchsesse haben seit jenem Tag in der
Stadt geherrscht, obwohl es vor vielen Menschenaltern war.
Und daran erinnere ich mich von Boromir, als er ein Knabe war und wir
zusammen die Vergangenheit unserer Vorfahren und die Geschichte unse-
rer Stadt lernten, daß es ihm immer mißfiel, daß sein Vater kein König war.
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>Wie viele hundert Jahre braucht es, bis ein Truchseß König wird, wenn
der König nicht zurückkehrt ?< fragte er. >Wenige Jahre vielleicht an
ande-
ren Orten mit einer geringeren Königswürde<, antwortete mein Vater. >In
Gondor würden zehntausend Jahre nicht reichen.< O weh! der arme Boro-
mir. Verrät Euch das nicht etwas über ihn?«
»O ja«, sagte Frodo. »Dennoch behandelte er Aragorn immer mit Ehr-
erbietung.«
»Daran zweifle ich nicht«, sagte Faramir. »Wenn er überzeugt war von
Aragorns Anspruch, wie Ihr sagt, dann verehrte er ihn gewiß sehr.
Aber der Ernstfall war noch nicht eingetreten. Noch waren sie nicht nach
Minas Tirith gekommen oder Nebenbuhler in den Kriegen von Minas
Tirith geworden.
Doch schweife ich ab. Wir im Hause von Denethor besitzen viel altes
Wissen aus langer Überlieferung, und viele Dinge sind überdies in unse-
ren Schatzkammern aufbewahrt: Bücher und Tafeln, auf vergilbtes Perga-
ment geschrieben, ja, sogar auf Stein und auf Blättern von Gold und Sil-
ber in verschiedener Schrift. Manche kann heute niemand mehr lesen;
und im übrigen schlagen nur wenige sie jemals auf. Ich vermag ein wenig
darin zu lesen, denn ich habe Unterricht gehabt. Wegen dieser Aufzeich-
nungen kam der Graue Pilger zu uns. Ich sah ihn zuerst, als ich ein Kind
war, und seitdem ist er zwei- oder dreimal dagewesen.«
»Der Graue Pilger?« fragte Frodo. »Hatte er einen Namen?«
»Mithrandir nannten wir ihn nach Elbenart«, sagte Faramir, »und er
war es zufrieden. Viele Namen habe ich in vielen Ländern, sagte er.
Mithrandir heiße ich bei den Elben, Tharkûn bei den Zwergen; Olórin
war ich in meiner Jugend im Westen, der vergessen ist, im Süden Incá-
nus, im Norden Gandalf; in den Osten gehe ich nicht. «
»Gandalf!« sagte Frodo. »Ich dachte mir schon, daß er es sei. Gandalf
der Graue, der teuerste aller Ratgeber. Der Führer unserer Gemeinschaft.
Er ist in Moria umgekommen.«
»Mithrandir ist umgekommen!« sagte Faramir. »Ein böses Schicksal
scheint Eure Gemeinschaft verfolgt zu haben. Es ist wahrlich schwer zu
glauben, daß einer mit so viel Weisheit und Macht — denn viele wunder-
volle Dinge hat er unter uns getan — sterben und so viel Wissen der Welt
verlorengehen soll. Seid Ihr dessen sicher und hat er Euch nicht einfach
verlassen und ist dort hingegangen, wohin er wollte?«
»Leider nein«, sagte Frodo. »Ich sah ihn in den Abgrund stürzen.«
»Ich begreife, daß es dabei irgendeine große Geschichte des Schreckens
gibt«, sagte Faramir, »die Ihr mir vielleicht des Abends erzählt. Dieser
Mithrandir war, wie ich jetzt vermute, mehr als ein Gelehrter: ein großer
Urheber von Taten, die in unserer Zeit geschehen. Hätte er unter uns ge-
weilt, um uns über die schwierigen Worte unseres Traums zu beraten,
dann hätte er sie uns erklären können, ohne daß es nötig gewesen wäre,
einen Boten zu entsenden. Indes würde er es vielleicht nicht getan haben,
und Boromirs Fahrt war vom Schicksal gewollt. Mithrandir sprach nie-
mals zu uns von zukünftigen Dingen, noch enthüllte er seine Absichten.
Er erhielt Erlaubnis von Denethor, wie, weiß ich nicht, sich die Geheim-
nisse unserer Schatzkammer anzusehen, und ich lernte ein wenig von
ihm, wenn er lehren wollte (und das war selten). Immer suchte er und be-
fragte uns vor allem über die Große Schlacht, die in Dargolad ausgefoch-
ten wurde, als Gondor entstand, nachdem Er, dessen Namen wir nicht
nennen, besiegt war. Und er war begierig, Geschichten über Isildur zu
hören, obwohl wir über ihn weniger zu erzählen hatten; denn nichts Ge-
naues war jemals bei uns bekannt über sein Ende.«
Jetzt senkte Faramir seine Stimme zu einem Flüstern. »Aber soviel er-
fuhr oder erriet ich und habe es seitdem immer in meinem Herzen ge-
heimgehalten: daß Isildur etwas von der Hand des Ungenannten nahm,
ehe er von Gondor fortging und niemals wieder unter sterblichen Men-
schen gesehen wurde. Hier, glaube ich, lag die Antwort auf Mithran-
dirs Fragen. Aber es schien damals eine Frage zu sein, die nur jene
etwas anging, die nach Gelehrsamkeit der alten Zeit trachteten. Auch als
die rätselhaften Worte unseres Traums unter uns erörtert wurden, dachte
ich nicht daran, daß Isildurs Fluch dasselbe sein könnte. Denn Isildur
wurde aus dem Hinterhalt überfallen und von Orkpfeilen getötet, wie die
einzige Sage berichtet, die wir kannten, und Mithrandir hat mir nie mehr
gesagt.
Was dieses Ding in Wirklichkeit ist, vermag ich nicht zu erraten; aber
irgendein machtvolles und gefährliches Erbstück muß es sein. Eine grau-
same Waffe vielleicht, vom Dunklen Herrscher ersonnen. Wenn es ein
Ding wäre, das Vorteil in der Schlacht gewährt, dann will ich wohl glau-
ben, daß Boromir, der Stolze und Furchtlose, oft unbesonnen, immer be-
sorgt um den Sieg von Minas Tirith (und seinen eigenen Ruhm dabei),
ein solches Ding begehren und von ihm verlockt werden könnte. Ach,
daß er je diesen Auftrag erhielt! Ich hätte dazu erwählt werden sollen
von meinem Vater und dem Rat der Alten, aber er drängte sich vor, da er
der Ältere und Kühnere war (was beides stimmt), und er ließ sich nicht
zurückhalten.
Aber fürchte dich nicht mehr! Ich würde dieses Ding nicht nehmen,
und wenn ich es auf der Straße fände. Nicht, wenn Minas Tirith in Schutt
und Asche fiele und ich allein die Stadt dadurch retten könnte, daß ich
die Waffe des Dunklen Herrschers zu ihrem Wohl und meinem Ruhm
verwende. Nein, ich trage kein Verlangen nach solchen Siegen, Frodo,
Drogos Sohn.«
»Und der Rat auch nicht«, sagte Frodo. »Und ich ebenfalls nicht. Ich
möchte nichts zu tun haben mit derlei Dingen.«
»Was mich betrifft«, sagte Faramir, »ich möchte den Weißen Baum
wieder in Blüte sehen in den Höfen der Könige, und daß die Silberne
Krone zurückkehre und Minas Tirith Frieden habe: daß es wieder das
Minas Anor von einst sei, voll von Licht, erhaben und lieblich, schön wie
eine Königin unter anderen Königinnen: nicht eine Gebieterin über viele
Hörige, nein, nicht einmal eine gütige Herrin williger Höriger. Krieg muß
sein, solange wir unser Leben verteidigen gegen einen Zerstörer, der sonst
uns alle verschlingen würde; aber das blanke Schwert liebe ich nicht um
seiner Schärfe willen, den Pfeil nicht um seiner Schnelligkeit willen, den
Krieger nicht um seines Ruhmes willen. Ich liebe nur das, was sie vertei-
digen: die Stadt der Menschen von Númenor; und ich möchte, daß sie ge-
liebt werde wegen ihrer Erinnerungskraft, ihres Alters, ihrer Schönheit
und jetzigen Weisheit. Nicht gefürchtet soll sie werden, es sei denn so,
wie Menschen die Würde eines alten und weisen Mannes fürchten.
Also fürchtet Euch nicht vor mir. Ich verlange nicht, daß Ihr mir mehr
sagt. Ich verlange nicht einmal, daß Ihr mir sagt, ob ich jetzt mehr ins
Schwarze treffe. Aber wenn Ihr mir vertrauen wollt, dann kann ich Euch
vielleicht bei Eurer jetzigen Aufgabe, was immer sie sein mag, Rat ertei-
len und vielleicht Hilfe gewähren.«
Frodo antwortete nicht. Fast hätte er dem Verlangen nach Hilfe und
Rat und dem Wunsch nachgegeben, diesem ernsten jungen Mann, dessen
Worte klug und ehrlich klangen, alles zu sagen, was ihn bewegte. Aber
irgend etwas hielt ihn zurück. Sein Herz war bedrückt von Furcht und
Sorge: wenn er und Sam, wie es fast schien, allein von den Neun Wande-
rern übrig geblieben waren, dann waren sie die einzigen, die noch das Ge-
heimnis ihres Auftrags kannten. Besser unverdientes Mißtrauen als un-
besonnene Worte. Und die Erinnerung an Boromir, an die entsetzliche
Veränderung, die die Verlockung des Ringes bei ihm bewirkt hatte, war
ihm sehr gegenwärtig, wenn er Faramir anschaute und seiner Stimme
lauschte: unähnlich waren sie einander, und doch auch nah verwandt.
Sie wanderten eine Weile schweigend, zogen wie graue und grüne
Schatten unter den alten Bäumen dahin, und ihre Füße machten kein Ge-
räusch; über ihnen sangen viele Vögel, und die Sonne glitzerte auf dem
blanken Dach aus dunklen Zweigen in den immergrünen Wäldern von
Ithilien.
Sam hatte sich an der Unterhaltung nicht beteiligt, obwohl er zugehört
hatte; und gleichzeitig hatte er mit seinen scharfen Hobbit-Ohren auf alle
leisen Waldgeräusche ringsum geachtet. Etwas war ihm aufgefallen: daß
in dem ganzen Gespräch Gollums Name kein einziges Mal vorgekommen
war. Er war froh darüber, obgleich er das Gefühl hatte, er könne wohl
kaum darauf hoffen, den Namen nie wieder zu hören. Bald merkte er
auch, daß sie zwar für sich gingen, aber doch viele Menschen in der Nähe
waren: nicht nur Damrod und Mahlung huschten vor ihnen in die Schat-
ten und wieder hinaus, sondern auch andere an beiden Seiten, alle waren
rasch und heimlich auf dem Weg zu irgendeinem bestimmten Ort.
Einmal, als er plötzlich zurückschaute, als ob ein Kribbeln der Haut
ihm verriete, daß er von hinten beobachtet werde, glaubte er kurz eine
kleine, dunkle Gestalt zu sehen, die hinter einen Baumstamm schlüpfte. Er
machte schon den Mund auf, um etwas zu sagen, dann schloß er ihn wie-
der. »Ich bin nicht sicher«, sagte er zu sich, »und warum soll ich sie an
den alten Bösewicht erinnern, wenn sie ihn vergessen haben? Ich
wünschte, ich könnte es!«
So gingen sie weiter, bis der Wald lichter wurde und das Land steil ab-
zufallen begann. Dann wandten sie sich wieder nach rechts und kamen
bald zu einem kleinen Fluß in einer engen Schlucht: es war derselbe Bach,
der weit oberhalb aus dem runden Teich herausgetröpfelt war; jetzt
war er zu einem reißenden Wildbach geworden und sprang über viele
Steine in einem tief eingegrabenen Bett, das mit Stechpalmen und Buchs-
baum überwachsen war. Als sie nach Westen schauten, sahen sie unter
sich in hellem Dunst Tiefland und ausgedehnte Wiesen, und fern in der
untergehenden Sonne glitzerten die breiten Gewässer des Anduin.
»Hier muß ich Euch leider eine Unhöflichkeit antun«, sagte Faramir.
»Ich hoffe, Ihr werdet es einem verzeihen, der bisher bei seinen Befehlen
Höflichkeit walten und Euch weder erschlagen noch fesseln ließ. Aber es
ist eine Vorschrift, daß kein Fremder, nicht einmal einer aus Rohan, das
mit uns kämpft, mit offenen Augen den Weg sehen soll, den wir jetzt ge-
hen. Ich muß Euch die Augen verbinden.«
»Wie Ihr wollt«, sagte Frodo. »Selbst die Elben tun es notfalls, und mit
verbundenen Augen haben wir die Grenzen des schönen Lothlórien über-
schritten. Gimli der Zwerg nahm es übel, aber die Hobbits ertrugen es.«
»Es ist kein so schöner Ort, zu dem ich Euch führen werde«, sagte Fara-
mir. »Aber ich bin froh, daß Ihr es willig und nicht erzwungen auf Euch
nehmt.«
Leise rief er, und sofort traten Mahlung und Damrod aus den Bäumen
hervor und kamen zu ihm zurück. »Verbindet diesen Gästen die Augen«,
sagte Faramir. »Fest, aber so, daß es ihnen kein Unbehagen verursacht.
Die Hände fesselt ihnen nicht. Sie werden ihr Wort geben, daß sie nicht
zu sehen versuchen. Ich könnte ihnen vertrauen, daß sie freiwillig die
Augen schließen, aber Augen werden zwinkern, wenn Füße stolpern.
Führt sie so, daß sie nicht straucheln.«
Mit grünen Schärpen verbanden die Wächter den Hobbits nun die
Augen und zogen ihnen die Kapuzen fast bis auf den Mund hinunter;
dann ergriffen sie jeder einen bei der Hand und gingen weiter. Alles, was
Frodo und Sam von dieser letzten Meile des Weges wußten, errieten sie
im Dunkeln. Nach einer kleinen Weile merkten sie, daß sie auf einem
stark abschüssigen Pfad waren; bald wurde er so schmal, daß sie hinter-
einander gehen mußten und auf beiden Seiten eine steinige Wand streif-
ten; ihre Wächter leiteten sie von hinten, indem sie die Hände fest auf
ihre Schultern legten. Dann und wann kamen sie an rauhe Stellen und
wurden eine Weile hochgehoben und dann wieder abgesetzt. Immer war
das Geräusch des fließenden Wassers zu ihrer Rechten, und es kam näher
und wurde lauter. Schließlich wurden sie angehalten. Rasch drehten Mah-
lung und Damrod sie mehrmals, so daß sie jedes Richtungsgefühl verlo-
ren. Sie stiegen ein wenig aufwärts: es kam ihnen kalt vor, und das Rau-
schen des Bachs war leiser geworden. Dann wurden sie aufgehoben und
hinuntergetragen, viele Stufen hinunter und um eine Ecke. Plötzlich hör-
ten sie das Wasser wieder, laut jetzt, rauschend und plätschernd. Es
schien rings um sie zu sein, und sie spürten einen feinen Regen auf Hän-
den und Wangen. Schließlich wurden sie wieder auf die Füße gestellt.
Einen Augenblick standen sie so, halb ängstlich, mit verbundenen
Augen, und wußten nicht, wo sie waren; und niemand sprach.
Dann hörten sie Faramir hinter sich. »Laßt sie sehen!« sagte er. Die
Schärpen wurden ihnen abgenommen und die Kapuzen zurückgezogen,
und sie blinzelten und rangen nach Luft.
Sie standen auf einem nassen Boden aus geglättetem Stein, sozusagen
der Schwelle zu einem roh behauenen Felsentor, das sich hinter ihnen öff-
nete. Aber vor ihnen hing ein dünner Schleier aus Wasser, so nah, daß
Frodo ihn mit ausgestrecktem Arm hätte erreichen können. Er blickte
nach Westen. Die waagerechten Strahlen der untergehenden Sonne trafen
auf ihn, und das rote Licht brach sich in viele flackernde Strahlen von
ständig wechselnder Farbe. Es war, als stünden sie am Fenster irgendeines
Elbenturms mit einem Vorhang aus aufgefädeltem Geschmeide aus Silber
und Gold und Rubinen, Saphiren und Amethysten, beleuchtet von einem
nicht verzehrenden Feuer.
»Wenigstens sind wir durch einen glücklichen Zufall in der richtigen
Stunde gekommen, um Euch für Eure Geduld zu belohnen«, sagte Fara-
mir. »Dies ist das Fenster des Sonnenuntergangs, Henneth Annûn, des
schönsten aller Wasserfälle in Ithilien, dem Land vieler Quellen. Wenige
Fremde haben es je gesehen. Aber es liegt keine königliche Halle hinter
ihm, die ihm entspräche. Tretet nun ein und schaut!«
Während er noch sprach, versank die Sonne, und das Feuer verblaßte in
dem fließenden Wasser. Sie wandten sich um und gingen unter dem nied-
rigen bedrohlichen Torbogen hindurch. Gleich waren sie in einer Felsen-
kammer, weit und roh, mit einem ungleichmäßig geneigten Dach. Ein
paar Fackeln waren angezündet und warfen ein düsteres Licht auf die
gleißenden Wände. Viele Menschen waren schon da. Andere kamen
immer noch zu zweit und zu dritt durch eine dunkle, schmale Tür an
einer Seite. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten,
sahen die Hobbits, daß die Höhle größer war, als sie vermutet hatten, und
gewaltige Vorräte an Waffen und Lebensmitteln barg.
»Ja, das ist unsere Zufluchtstätte«, sagte Faramir. »Kein sehr behag-
licher Ort, aber hier könnt Ihr die Nacht in Frieden verbringen. Wenig-
stens ist es trocken, und es gibt etwas zu essen, wenn auch kein Feuer.
Früher floß das Wasser durch diese Höhle und durch den Torbogen hin-
aus, aber weiter oben in der Schlucht hatten einst geschickte Handwerker
seinen Lauf verändert, und der Bach wurde ganz oben mit einem doppelt
hohen Gefälle über die Felsen geleitet. Alle Zugänge zu dieser Grotte
wurden damals gegen das Eindringen von Wasser und allem anderen ge-
sichert, mit Ausnahme von einem. Jetzt gibt es nur zwei Wege nach
draußen: der Durchgang dort drüben, durch den Ihr mit verbundenen
Augen kamt, und durch den Fenstervorhang in ein tiefes Becken voll
steinerner Dolche. Nun ruht eine Weile, bis die Abendmahlzeit angerich-
tet ist.«
In einem Winkel wurde den Hobbits ein niedriges Bett angewiesen, auf
das sie sich legen konnten, wenn sie wollten. Die Menschen machten sich
derweil leise und mit ruhiger Eilfertigkeit in der Höhle zu schaffen.
Leichte Tische, die an den Wänden gelehnt hatten, wurden auf Böcke ge-
setzt und Geschirr darauf gestellt. Das Geschirr war einfach und größten-
teils unverziert, aber von guter und schöner Machart: runde Platten,
Schüsseln und Teller aus braunem, glasiertem Ton oder gedrechseltem
Buchsbaumholz, glatt und sauber. Hier und dort stand ein Becher oder
eine Schale aus Bronze; und ein Humpen aus glattem Silber wurde vor
den Platz des Heermeisters in der Mitte des innersten Tisches gestellt.
Faramir ging zwischen den Leuten auf und ab und befragte jeden, der
hereinkam, mit leiser Stimme. Manche kamen zurück von der Verfolgung
der Südländer; andere, die als Späher in der Nähe der Straße zurückgelas-
sen worden waren, kamen als letzte. Alle Südländer waren getötet wor-
den, mit Ausnahme des großen Mumak: was aus ihm geworden war,
konnte keiner sagen. Keinerlei Bewegungen des Feindes waren zu sehen
gewesen; nicht einmal ein Ork-Späher war unterwegs.
»Du hast nichts gesehen und gehört, Anborn?« fragte Faramir denjeni-
gen, der als letzter kam.
»Nein, Herr«, sagte der Mann. »Wenigstens keinen Ork. Aber ich sah
etwas, das ein wenig seltsam war, oder glaubte es zu sehen. Es wurde
schon sehr dunkel, und dann machen die Augen die Dinge größer, als sie
sein sollten. Also vielleicht war es nicht mehr als ein Eichhörnchen.«
Sam spitzte die Ohren, als er das hörte. »Wenn es eins war, dann jeden-
falls ein schwarzes Eichhörnchen, und ich sah keinen Schwanz. Es war
wie ein Schatten auf dem Boden, und es huschte hinter einen Baum-
stamm, als ich näherkam, und kletterte so schnell hinauf, wie es nur ein
Eichhörnchen könnte. Ihr wollt ja nicht, daß wir wilde Tiere ohne Grund
erschlagen, und es schien nicht mehr zu sein, deshalb versuchte ich es
nicht mit einem Pfeil. Es war sowieso zu dunkel für einen sicheren Schuß,
und das Geschöpf war im Handumdrehen in der Finsternis der Blätter
verschwunden. Aber ich blieb eine Weile stehen, denn es kam mir selt-
sam vor, und dann eilte ich hierher. Ich glaubte zu hören, daß das Ge-
schöpf mich von oben anzischte, als ich weiterging. Ein großes Eichhörn-
chen, vielleicht. Mag sein, daß unter dem Schatten des Ungenannten
einige Tiere von Düsterwald hierher in unsere Wälder wandern. Dort gibt
es schwarze Eichhörnchen, wie es heißt.«
»Vielleicht«, sagte Faramir. »Aber das wäre ein böses Vorzeichen,
wenn es so wäre. Wir wollen nicht die aus dem Düsterwald Entkomme-
nen in Ithilien haben.« Sam bildete sich ein, daß er einen raschen Blick
auf die Hobbits warf, als er sprach; aber Sam sagte nichts. Eine Weile
lagen er und Frodo auf dem Rücken und beobachteten die Fackeln und die
Menschen, die hin und her gingen und leise miteinander redeten. Dann
schlief Frodo plötzlich ein.
Sam kämpfte mit sich und erhob alle möglichen Einwendungen. »Er
mag ganz in Ordnung sein«, dachte er, »aber vielleicht auch nicht.
Schöne Reden mögen ein verderbtes Herz verbergen.« Er gähnte. »Eine
ganze Woche könnte ich schlafen, und es würde mir gut bekommen. Und
was kann ich tun, wenn ich wach bleibe, ich allein unter all diesen großen
Menschen? Nichts, Sam Gamdschie; aber trotzdem mußt du wachblei-
ben.« Und irgendwie brachte er es auch fertig. Das Licht verblaßte vor
der Höhlentür, der graue Schleier des herabstürzenden Wassers wurde
düster und verlor sich in den wachsenden Schatten. Immer hielt das Ge-
räusch des Wassers an, niemals änderte es seine Melodie, des Morgens,
des Abends oder des Nachts. Es murmelte und flüsterte von Schlaf. Sam
bohrte sich die Knöchel in die Augen.
Jetzt wurden noch mehr Fackeln angezündet. Ein Faß Wein wurde an-
gestochen. Vorratsfässer wurden geöffnet. Die Menschen holten Wasser
vom Wasserfall. Einige wuschen sich die Hände in Becken. Eine große
Kupferschale wurde Faramir gebracht, und er wusch sich auch.
»Weckt unsere Gäste«, sagte er, »und bringt ihnen Wasser. Es ist
Essenszeit.«
Frodo setzte sich auf, gähnte und reckte sich. Sam, der es nicht ge-
wöhnt war, bedient zu werden, sah den großen Menschen überrascht an,
der sich bückte und ihm ein Wasserbecken hinhielt.
»Stellt es auf den Boden, Herr, bitte schön«, sagte er. »Es ist einfacher
für mich und für Euch.« Zur Verwunderung und Belustigung der Men-
schen tauchte er dann seinen Kopf in das kalte Wasser und benetzte Hals
und Ohren.
»Ist es Sitte in eurem Land, sich vor dem Abendessen den Kopf zu
waschen?« fragte der Mann, der die Hobbits bediente.
»Nein, vor dem Frühstück«, sagte Sam. »Aber wenn man wenig ge-
schlafen hat, ist kaltes Wasser auf dem Hals wie Regen auf einem ver-
welkten Salatkopf. So! Jetzt kann ich lange genug wachbleiben, um ein
bißchen zu essen.«
Sie wurden zu Sitzen neben Faramir geführt: mit Fellen bedeckten Fäs-
sern, die zu ihrer Bequemlichkeit höher als die Bänke der Menschen wa-
ren. Ehe sie aßen, drehten sich Faramir und alle seine Mannen um und
blickten einen Augenblick schweigend nach Westen. Faramir bedeutete
Frodo und Sam, es gleichfalls zu tun.
»Das tun wir immer«, sagte er, als sie sich setzten. »Wir blicken nach
Númenor, das war, und jenseits davon nach Elbenheim, das ist, und nach
dem, was jenseits von Elbenheim ist und immer sein wird. Habt Ihr keine
solche Sitte bei den Mahlzeiten?«
»Nein«, sagte Frodo und kam sich seltsam bäurisch und unerzogen vor.
»Aber wenn wir Gäste sind, verbeugen wir uns vor unserem Gastgeber,
und nachdem wir gegessen haben, stehen wir auf und danken ihm.«
»Das tun wir auch«, sagte Faramir.
Nach so langen Wanderungen, dem Lagerleben und den in der einsa-
men Wildnis verbrachten Tagen kam den Hobbits das Abendessen wie
ein Festmahl vor: blaßgelben Wein zu trinken, der kühl und würzig war,
und Brot und Butter, gepökeltes Fleisch und getrocknete Früchte und
guten rohen Käse zu essen mit sauberen Händen und sauberem Besteck
und Geschirr. Weder Frodo noch Sam lehnten irgend etwas ab, das ihnen
angeboten wurde, und griffen auch ein zweites und sogar ein drittes Mal
zu. Der Wein durchströmte ihre Adern und müden Glieder, sie fühlten
sich so glücklich und es war ihnen so leicht ums Herz wie nicht mehr,
seit sie das Land Lórien verlassen hatten.
Nach der Mahlzeit führte Faramir sie in einen abgelegenen Winkel im
hinteren Teil der Höhle, der teilweise sogar durch Vorhänge abgeschirmt
war; ein Stuhl und zwei Hocker wurden dorthin gebracht. Eine kleine
Steingutlampe brannte in einer Nische.
»Ihr werdet vielleicht bald den Wunsch haben, zu schlafen«, sagte er,
»und besonders der gute Samweis, der vor dem Essen nicht die Augen
schließen wollte — ob er fürchtete, einen prächtigen Hunger damit abzu-
stumpfen, oder aus Furcht vor mir, das weiß ich nicht. Aber es ist nicht
gut, gleich nach einer Mahlzeit zu schlafen, vor der man lange gefastet
hat. Wir wollen uns eine Weile unterhalten. Auf Eurer Wanderung von
Bruchtal müßt Ihr viel Erzählenswertes erlebt haben. Und auch Ihr würdet
vielleicht gern etwas von uns und den Landen, wo Ihr jetzt seid, erfahren.
Erzählt mir von Boromir, meinem Bruder, und vom alten Mithrandir und
dem schönen Volk von Lothlórien.«
Frodo war nicht mehr schläfrig und war bereit, zu erzählen. Aber obwohl
ihm das Essen und der Wein die innere Unruhe genommen hatten, hatte
er doch nicht seine ganze Vorsicht eingebüßt. Sam strahlte und summte
vor sich hin, aber als Frodo redete, begnügte er sich zuerst damit zuzuhö-
ren und nur gelegentlich seine Zustimmung zu äußern.
Frodo erzählte viele Geschichten, aber immer lenkte er das Gespräch
von der Aufgabe der Gemeinschaft und vom Ring ab und ließ sich statt
dessen weitläufig über die tapfere Rolle aus, die Boromir bei all ihren
Abenteuern gespielt hatte, bei den Wölfen in der Wildnis, im Schnee un-
ter dem Caradhras und in den Minen von Moria, wo Gandalf umkam.
Faramir war sehr beeindruckt von der Schilderung des Kampfes auf der
Brücke.
»Es muß für Boromir sehr ärgerlich gewesen sein, vor Orks davonzu-
laufen«, sagte er, »oder auch vor dem grausamen Wesen, das Ihr erwähnt
habt, dem Balrog — obwohl er der letzte war, der ging.«
»Er war der letzte«, sagte Frodo, »aber Aragorn mußte uns weiter
führen. Er allein kannte nach Gandalfs Tod den Weg. Aber hätten sie
nicht die Sorge um uns kleinere Leute gehabt, dann glaube ich nicht, daß
er oder Boromir geflohen wären.«
»Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Boromir dort mit Mithrandir
umgekommen wäre«, sagte Faramir, »und nicht dem Schicksal entgegen-
gegangen wäre, das ihn oberhalb der Fälle von Rauros erwartete.«
»Vielleicht. Aber erzählt mir nun von Euren Schicksalen«, sagte Frodo
und lenkte damit wieder ab. »Denn ich würde gern mehr von Minas Ithil
und Osgiliath erfahren und Minas Tirith, dem lange ausharrenden. Wel-
che Hoffnung habt Ihr für diese Stadt in Eurem langen Krieg?«
»Welche Hoffnung wir haben?« sagte Faramir. »Es ist lange her, daß
wir noch Hoffnung hatten. Elendils Schwert mag sie, wenn es wirklich
zurückkehrt, neu entflammen, aber ich glaube nicht, daß es mehr be-
wirken wird, als den bösen Tag hinausschieben, es sei denn, es käme
noch unerwartete andere Hilfe, von Elben oder Menschen. Denn der Feind
nimmt an Stärke zu, und wir nehmen ab. Wir sind ein schwindendes
Volk, ein frühlingsloser Herbst.
Die Menschen von Númenor hatten sich weitum an den Ufern und in
meerwärts gelegenen Gebieten der Großen Lande niedergelassen, aber
zum größten Teil verfielen sie in Verderbtheit und Torheit. Viele fühlten
sich hingezogen zur Dunkelheit und den schwarzen Künsten; manche er-
gaben sich völlig dem Müßiggang und Wohlleben, und manche kämpften
untereinander, bis sie in ihrer Schwäche von den wilden Menschen be-
siegt wurden.
Das heißt nicht, daß böse Künste je in Gondor ausgeübt oder der
Namenlose dort jemals in Ehren genannt wurde; und die aus dem Westen
mitgebrachte Weisheit und Schönheit weilten lange im Reich der Söhne
von Elendil dem Schönen und sind auch heute noch dort erhalten. Den-
noch hat Gondor seinen Niedergang selbst herbeigeführt, denn es verfiel
allmählich in Narrheit und glaubte, der Feind, der doch nur verbannt und
nicht vernichtet war, sei untätig.
Der Tod war allgegenwärtig, weil die Númenorer immer noch, wie sie
es auch in ihrem alten Königreich getan und es deshalb verloren hatten,
nach einem sich niemals ändernden Leben trachteten. Die Könige ließen
Grabmäler bauen, die prächtiger waren als die Häuser der Lebenden, und
schätzten alte Namen ihres Stammbaums höher ein als die Namen der
Söhne. Kinderlose Fürsten saßen in altersgrauen Hallen und grübelten
über Ahnenkunde; in geheimen Kammern mischten verwelkte Greise
starke Zaubertränke oder befragten auf hohen, kalten Türmen die Sterne.
Und der letzte König von Anárions Stamm hatte keinen Erben.
Aber die Truchsesse waren klüger und glücklicher. Klüger, denn sie
frischten die Kraft unseres Volkes mit dem standhaften Volk von der
Meeresküste auf und mit den kühnen Bergbewohnern von Ered Nimrais.
Und sie schlössen Waffenstillstand mit den stolzen Völkern des Nordens,
die uns oft angegriffen hatten, Menschen von großer Tapferkeit, aber ent-
fernt mit uns verwandt, unähnlich den wilden Ostlingen oder den grausa-
men Haradrim.
So geschah es, daß sie uns in den Tagen von Cirion, des Zwölften
Truchsesses (und mein Vater ist der sechsundzwanzigste) zu Hilfe kamen
und auf dem großen Schlachtfeld von Celebrant unsere Feinde vernichte-
ten, die unsere nördlichen Bezirke besetzt hatten. Es sind die Rohirrim,
wie wir sie nennen, die Herren der Rösser, und wir traten ihnen die Felder
von Calenardhon ab, die seitdem Rohan heißen; denn dieser Bezirk war
lange nur spärlich bevölkert gewesen. Und sie wurden unsere Verbünde-
ten und haben sich immer als treu erwiesen, uns in der Not geholfen und
unsere Nordmarken und die Pforte von Rohan beschützt.
Von unserem überlieferten Wissen und unseren Sitten haben sie ge-
lernt, was sie wollten, und ihre Edelleute sprechen zur Not unsere
Sprache; dennoch halten sie an den Bräuchen ihrer Väter und an ihren
Erinnerungen fest, und untereinander sprechen sie ihre nördliche Spra-
che. Und wir lieben sie: hochgewachsene Männer und schöne Frauen,
beide gleich tapfer, blondhaarig, mit hellen Augen und stark; sie erin-
nern uns an die Jugend der Menschen, wie sie in der Altvorderenzeit
waren. Tatsächlich behaupten unsere Gelehrten, daß sie seit alters her
diese Ähnlichkeit mit uns haben, weil sie aus denselben Drei Häusern der
Menschen stammen, die die Númenorer zu Beginn waren; vielleicht stam-
men sie nicht von Hador dem Goldhaarigen, dem Elbenfreund, ab, doch
von denjenigen seiner Söhne und seines Volkes, die nicht über das Meer
in den Westen gingen und dem Ruf nicht folgten.
Denn so schätzen wir die Menschen in unserer Überlieferung ein: die
Hohen oder die Menschen des Westens nennen wir diejenigen, die Núme-
norer waren; und die Mittleren Völker, die Menschen des Zwielichts wie
die Rohirrim und ihre Verwandten, die noch fern im Norden leben; und
die Wilden, die Menschen der Dunkelheit.
Wenn indes die Rohirrim in mancher Beziehung uns ähnlicher gewor-
den sind und an Kunstfertigkeit und Sanftmut zugenommen haben, so
sind auch wir ihnen ähnlicher geworden und können kaum noch die Be-
zeichnung Hoch beanspruchen. Wir sind Mittlere Menschen des Zwie-
lichts geworden, haben aber die Erinnerung an andere Dinge bewahrt.
Denn ebenso wie die Rohirrim erachten wir jetzt den Krieg und die Tap-
ferkeit als etwas an sich Gutes, sowohl ein Zeitvertreib als auch ein Ziel;
und obgleich wir immer noch der Ansicht sind, daß ein Krieger mehr
Fähigkeiten und Wissen besitzen sollte als nur die Fertigkeit der Waffen
und des Tötens, schätzen wir einen Krieger nichtsdestotrotz höher ein als
Männer anderer Berufe. Das ist in unseren Tagen eine Notwendigkeit. Ge-
rade so war mein Bruder Boromir: ein heldenmütiger Mann, und deshalb
galt er als der beste Mann in Gondor. Und fürwahr sehr tapfer war er:
seit langen Jahren ist kein Erbe von Minas Tirith so kühn im Streit gewe-
sen, immer vorn in der Schlacht, und keiner hat auf dem Großen Horn
einen gewaltigeren Ton geblasen.« Faramir seufzte und schwieg eine
Weile.
»Ihr sagt in all Euren Geschichten nicht viel über die Elben, Herr«,
sagte Sam, der plötzlich Mut gefaßt hatte. Ihm war aufgefallen, daß Fara-
mir die Elben voll Ehrerbietung zu erwähnen schien, und das war es,
weniger seine Höflichkeit, sein Essen und der Wein, was ihm Sams Hoch-
achtung eingetragen und seinen Argwohn beschwichtigt hatte.
»Freilich nicht, Meister Samweis«, sagte Faramir, »denn ich bin nicht
gelehrt in Elbenkunde. Doch berührst du hier einen weiteren Punkt, in
dem wir uns geändert haben bei unserem Niedergang von Númenor zu
Mittelerde. Denn wie du vielleicht weißt, wenn Mithrandir euer Gefährte
war und ihr mit Elrond gesprochen habt, kämpften die Edain, die Väter
der Númenorer, in den ersten Kriegen an der Seite der Elben und wurden
belohnt mit der Verleihung des Königreichs inmitten des Meers, in Sicht-
weite von Elbenheim. Aber in Mittelerde haben sich in den Tagen der
Dunkelheit die Menschen und Elben einander entfremdet, durch die Listen
des Feindes und den langsamen Wandel der Zeiten, in denen jede Gattung
ihre getrennten Wege weiter hinabschritt. Die Menschen fürchten die
Elben jetzt und mißtrauen ihnen, und dennoch wissen sie wenig von
ihnen. Und wir in Gondor werden wie andere Menschen, wie die Men-
schen in Rohan; denn selbst sie, die doch Feinde des Dunklen Herrschers
sind, meiden die Elben und sprechen voll Furcht von dem Goldenen Wald.
Indes gibt es unter uns noch einige, die sich mit den Elben einlassen,
wenn sie können, und dann und wann geht einer heimlich nach Lórien
und kehrt selten zurück. Ich nicht. Denn ich halte es für gefährlich für
sterbliche Menschen, willentlich das Ältere Volk aufzusuchen. Dennoch
beneide ich euch, daß ihr mit der Weißen Herrin gesprochen habt.«
»Der Herrin von Lórien! Galadriel!« rief Sam. »Ihr solltet sie sehen,
wirklich. Ihr solltet sie sehen, Herr. Ich bin nur ein Hobbit, und Gärtner
bin ich zu Hause von Beruf, Herr, wenn Ihr mich versteht, und ich bin
nicht sehr gut in der Dichtkunst — kann keine Gedichte machen, ein paar
komische Verse vielleicht, ab und zu, versteht Ihr, aber keine richtigen
Gedichte —, und deshalb kann ich Euch nicht sagen, wie ich es meine. Es
sollte gesungen werden. Ihr müßtet Streicher hier haben, das heißt
Aragorn, oder auch den alten Herrn Bilbo. Aber ich wünschte, ich
könnte ein Lied über sie dichten. Schön ist sie, Herr! Wunderschön!
Manchmal wie ein großer blühender Baum, manchmal wie eine weiße
Narzisse, klein und schlank. Hart wie Diamant, sanft wie Mondschein.
Warm wie Sonnenschein, kalt wie Frost in den Sternen. Stolz und fern
wie ein Schneegebirge und so fröhlich wie nur irgendein junges Mädchen,
das ich je sah mit Tausendschönchen im Haar zur Frühlingszeit. Aber
das ist eine Menge Unsinn und trifft es nicht.«
»Dann muß sie fürwahr lieblich sein«, sagte Faramir. »Gefährlich
schön.«
»Ich weiß nichts über gefährlich«, sagte Sam. »Mir kommt es so vor,
daß die Leute ihre Gefahr mit sich nach Lórien bringen und sie da finden,
weil sie sie mitgebracht haben. Aber vielleicht könntet Ihr sie gefährlich
nennen, weil sie in sich so stark ist. Ihr, Ihr könntet an ihr zerschellen
wie ein Schiff an einem Felsen; oder Euch ertränken wie ein Hobbit in
einem Fluß. Aber weder Felsen noch Fluß wären daran Schuld. Nun,
Boro ...« Er hielt inne und wurde rot.
»Ja? Nun ? Boromir wolltest du sagen?« fragte Faramir. »Was wolltest
du sagen? Er brachte seine Gefahr mit?«
»Ja, Herr, verzeiht, auch wenn er ein großartiger Mann war, Euer Bru-
der, wenn ich das sagen darf. Ihr seid die ganze Zeit auf der richtigen
Fährte gewesen. Nun, ich habe Boromir beobachtet und ihm zugehört, den
ganzen Weg von Bruchtal — ich paßte auf meinen Herrn auf, wie Ihr ver-
stehen werdet, und meinte es nicht böse mit Boromir —, und es ist meine
Ansicht, daß er erst in Lórien klar erkannte, was ich schon früher erraten
hatte: was er wollte. Von dem Augenblick an, da er ihn zuerst sah,
wollte er den Ring des Feindes!«
»Sam!« rief Frodo entsetzt. Er war eine Zeitlang tief in seine eigenen
Gedanken versunken gewesen und wurde plötzlich und zu spät aus ihnen
herausgerissen.
»Bewahr' mich!« sagte Sam und wurde erst blaß und dann purpurrot.
»Da habe ich wieder was angerichtet! Sobald du deinen großen Mund
aufmachst, trittst du ins Fettnäpfchen sagte der Ohm immer zu mir, und
recht hatte er. Ach, du liebes Bißchen!
Nun hört mal, Herr!« Er schaute zu Faramir auf mit allem Mut, den er
aufbringen konnte. »Laßt es meinen Herrn nicht entgelten, daß sein Die-
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ner nichts als ein Narr ist. Ihr habt die ganze Zeit sehr schön gesprochen,
da bin ich nicht mehr auf der Hut gewesen, als Ihr von Elben und all dem
erzählt habt. Aber Großmütig ist, wer großmütig handelt heißt es
bei
uns. Jetzt habt Ihr Gelegenheit, zu zeigen, was Ihr wert seid.«
»So scheint es«, sagte Faramir zögernd und sehr leise mit einem seltsa-
men Lächeln. »Das ist also die Lösung all der Rätsel! Der Eine Ring, von
dem angenommen wurde, er sei aus der Welt verschwunden. Und Boro-
mir versuchte, ihn sich mit Gewalt zu nehmen? Und ihr entkamt? Und
ranntet den ganzen Weg — zu mir! Und hier in der Wildnis habe ich
euch: zwei Halblinge, und ein Heer von Menschen unter meinem Befehl,
und den Ring der Ringe. Ein schöner Glücksfall! Eine Gelegenheit für
Faramir, Heermeister von Gondor, zu zeigen, was er wert ist! Ha!« er
stand auf, sehr groß und streng, und seine grauen Augen funkelten.
Frodo und Sam sprangen von ihren Hockern auf und stellten sich
nebeneinander mit dem Rücken zur Wand und tasteten nach ihren
Schwertgriffen. Es herrschte Schweigen. All die Menschen in der Höhle
hörten auf zu reden und sahen sie verwundert an. Aber Faramir setzte
sich wieder auf seinen Stuhl und begann leise zu lachen, und dann wurde
er plötzlich wieder ernst.
»Wehe für Boromir! Es war eine zu schwere Anfechtung!« sagte er.
»Wie habt ihr meine Trauer vermehrt, ihr zwei fremden Wanderer aus
einem fernen Land, die ihr die Gefahr der Menschen bei euch tragt! Aber
ihr könnt Menschen schlechter beurteilen als ich Halblinge. Wir sind auf-
richtig, wir Menschen von Gondor. Wir rühmen uns selten und han-
deln dann oder sterben bei dem Versuch. Nicht, wenn ich es auf der
Straße fände, würde ich dieses Ding nehmen, habe ich gesagt. Selbst
wenn ich ein Mann wäre, den es nach diesem Dinge gelüstet, und ob-
wohl ich gar nicht genau wußte, was dieses Ding war, als ich es sagte,
würde ich diese Worte immer noch als ein Gelübde ansehen und daran
gebunden sein.
Aber ich bin kein solcher Mann. Oder ich bin klug genug, um zu wis-
sen, daß es Gefahren gibt, vor denen ein Mensch fliehen muß. Bleibt in
Frieden sitzen! Und sei getröstet, Samweis. Wenn es scheint, als habest
du gefehlt, dann denke, daß es vom Schicksal so bestimmt war. Dein Herz
ist nicht nur treu, sondern auch hellsichtig und sah klarer als deine
Augen. Denn so seltsam es scheinen mag, es war ungefährlich, mir das
kundzutun. Es mag sogar deinem Herrn, den du liebst, nützen. Es soll
sich zu seinem Vorteil auswirken, wenn es in meiner Macht steht. Also
sei getröstet. Aber nenne dieses Ding nicht wieder laut bei Namen. Ein-
mal ist genug.«
Die Hobbits kamen zu ihren Hockern zurück und setzten sich ganz still
hin. Die Menschen wandten sich wieder ihren Getränken und Gesprächen
zu, denn sie nahmen an, ihr Heermeister habe mit den kleinen Gästen
irgendeinen Spaß getrieben, und er sei jetzt vorbei.
»Ja, Frodo, nun endlich verstehen wir einander«, sagte Faramir. »Wenn
Ihr dieses Ding auf Euch genommen habt, nicht freiwillig, sondern auf
Bitten anderer, dann dauert Ihr mich und ich ehre Euch. Und ich staune
über Euch: daß Ihr es verborgen haltet und nicht benutzt. Ihr seid ein
neues Volk und eine neue Welt für mich. Ist Eure ganze Sippe von glei-
cher Art? Euer Land muß ein Reich des Friedens und der Zufriedenheit
sein, und Gärtner müssen dort hoch in Ehren stehen.«
»Nicht alles ist gut dort«, sagte Frodo, »doch Gärtner werden allerdings
geehrt.«
»Aber die Leute müssen dort müde werden, selbst in ihren Gärten, wie
alle Lebewesen unter der Sonne dieser Welt. Und ihr seid fern der Heimat
und ermüdet vom Wandern. Nichts mehr heute abend. Schlaft ihr beiden
— in Frieden, wenn ihr könnt. Fürchtet euch nicht! Ich will ihn nicht
sehen oder berühren oder mehr von ihm wissen, als ich weiß (was genug
ist), damit nicht womöglich die Gefahr mir auflauere und ich die Prüfung
schlechter bestehe als Frodo, Drogos Sohn. Geht nun zur Ruhe — aber erst
sagt mir noch, wenn Ihr wollt, wohin Ihr zu gehen und was Ihr zu tun
wünscht. Denn ich muß wachen und warten und nachdenken. Die Zeit
vergeht. Am Morgen müssen wir jeder den uns vorgeschriebenen Weg
schnell beschreiten.«
Frodo hatte gemerkt, wie er zitterte, nachdem der erste Schreck vorbei
war. Nun umfing ihn eine große Müdigkeit wie eine Wolke. Er konnte
sich nicht mehr verstellen und Widerstand leisten.
»Ich wollte einen Weg nach Mordor suchen«, sagte er matt. »Ich wollte
nach Gorgoroth gehen. Ich muß den Feurigen Berg suchen und das Ding
in den Krater der Schicksalsklüfte werfen. Gandalf hat das gesagt. Ich
glaube nicht, daß ich jemals dorthin gelange.«
Faramir starrte ihn einen Augenblick ernst und verwundert an. Dann
fing er ihn auf, als er plötzlich schwankte, hob ihn sanft hoch und trug
ihn zu dem Bett, wo er ihn niederlegte und warm zudeckte. Frodo fiel
sofort in tiefen Schlaf.
Ein zweites Bett wurde neben ihn gestellt für seinen Diener. Sam
zögerte einen Augenblick, dann verbeugte er sich sehr tief: »Gute Nacht,
Heermeister, mein Herr«, sagte er. »Ihr habt die Gelegenheit ergriffen,
Herr.«
»Habe ich das getan?« fragte Faramir.
»Ja, Herr, und Euren Wert bewiesen: den höchsten.«
Faramir lächelte. »Ein vorwitziger Diener, Meister Samweis. Aber
nein, das Lob der Lobenswerten ist der höchste Lohn. Dennoch gab es hier
nichts zu loben. Ich war weder in Versuchung noch hatte ich den
Wunsch, etwas anderes zu tun, als was ich getan habe.«
»Nun ja, Herr«, sagte Sam, »Ihr habt gesagt, mein Herr habe etwas
Elbenhaftes an sich, und das war gut und richtig. Aber ich kann dies
sagen: auch Ihr habt etwas an Euch, Herr, das mich — nun ja, an Gandalf,
den Zauberer, erinnert.«
»Vielleicht«, sagte Faramir. »Vielleicht erkennst du von ferne etwas
von Númenor. Gute Nacht!«