VIERTES KAPITEL
GERADENWEGS ZU DEN PILZEN

Am Morgen wachte Frodo erfrischt auf. Er lag in einer Laube, die aus
einem lebenden Baum bestand und aus Zweigen, die miteinander ver-
flochten waren und bis zum Boden herabreichten. Sein Bett war aus Farn
und Gras, tief und weich und seltsam duftend. Die Sonne schien durch die
säuselnden Blätter, die noch grün am Baum waren. Er sprang auf und
ging hinaus.
Sam saß auf dem Gras in der Nähe des Waldrands. Pippin stand und
beobachtete den Himmel und das Wetter. Von den Elben war keine Spur
zu sehen.
»Sie haben uns Früchte und einen Trunk dagelassen, und Brot«, sagte
Pippin. »Komm und frühstücke. Das Brot schmeckt fast so gut wie letzte
Nacht. Ich wollte dir gar nichts übriglassen, aber Sam bestand darauf.«
Frodo setzte sich neben Sam und begann zu essen. »Welchen Plan hast
du für heute?« fragte Pippin.
»So schnell wie möglich nach Bockenburg zu gehen«, antwortete Frodo
und richtete sein Augenmerk auf das Essen.
»Glaubst du, wir werden heute etwas von diesen Reitern sehen?« fragte
Pippin fröhlich. In der Morgensonne erschien ihm die Aussicht, einer
ganzen Schar von ihnen zu begegnen, nicht sehr beängstigend.
»Ja, vermutlich«, meinte Frodo, der nicht gern daran erinnert wurde.
»Aber ich hoffe, über den Fluß zu kommen, ohne daß sie uns sehen.«
»Hast du von Gildor etwas über sie erfahren?«
»Nicht viel — nur Andeutungen und Rätsel«, sagte Frodo ausweichend.
»Hast du ihn wegen des Schnüffelns gefragt?«
»Darüber haben wir nicht gesprochen«, antwortete Frodo mit vollem
Mund.
»Das hättest du aber tun sollen. Es ist sicher sehr wichtig.«
»In dem Fall bin ich sicher, daß Gildor es abgelehnt hätte, das zu erklä-
ren«, antwortete Frodo scharf. »Und jetzt laß mich ein bißchen in Frie-
den! Ich will nicht eine Reihe Fragen beantworten, während ich esse. Ich
will denken!«
»Du lieber Himmel!« sagte Pippin. »Beim Frühstück?« Er verzog sich
ans Ende der Grasfläche.
Aus Frodos Herzen hatte der strahlende Morgen — trügerisch strah-
lend, fand er — die Angst vor der Verfolgung nicht bannen können; und
er grübelte über Gildors Worte nach. Pippins fröhliche Stimme scholl zu
ihm herüber. Er lief auf dem grünen Rasen umher und sang.
»Nein, ich könnte es nicht!« sagte Frodo zu sich. »Es ist schön und gut,
wenn ich meine jungen Freunde mitnehme und wir durch das Auenland
wandern, bis wir hungrig und müde sind, und gutes Essen und ein Bett
auf uns warten. Sie in die Verbannung mitzunehmen, wo es vielleicht
kein Heilmittel gegen Hunger und Müdigkeit gibt, ist ganz etwas anderes,
selbst wenn sie bereit sind, mitzukommen. Die Erbschaft ist allein meine.
Ich glaube, ich sollte nicht einmal Sam mitnehmen.« Er sah Sam Gamd-
schie an und bemerkte, daß Sam ihn beobachtet hatte.
»Nun, Sam«, sagte er. »Wie steht es? Ich verlasse das Auenland, so
bald ich nur kann — ich bin sogar entschlossen, nicht einen Tag in Krick-
loch zu bleiben, wenn es irgend geht.«
»Sehr gut, Herr!«
»Hast du immer noch vor, mit mir zu kommen?«
»Ja.«
»Es wird sehr gefährlich werden, Sam. Es ist schon jetzt gefährlich.
Höchstwahrscheinlich wird keiner von uns zurückkommen.«
»Wenn du nicht zurückkommst, Herr, dann ich auch nicht, das ist
gewiß«, sagte Sam. Laß ihn nicht im Stich! haben sie zu mir gesagt. Ihn
im Stich lassen!
habe ich gesagt. Ich denke nicht daran. Ich gehe mit ihm,
und wenn er auf den Mond. klettert; und. wenn einer von diesen Schwar-
zen Reitern ihn aufzuhalten versucht, dann bekommt er es mit Sam
Gamdschie zu tun,
habe ich gesagt. Sie haben gelacht.«
»Wer sind sie, und wovon redest du eigentlich?«
»Die Elben, Herr. Wir haben uns letzte Nacht ein bißchen unterhalten;
und sie schienen zu wissen, daß du fortgehst, deshalb fand ich es zweck-
los, es zu leugnen. Wundervolles Volk, die Elben, Herr! Wundervoll!«
»Ja, das sind sie«, sagte Frodo. »Magst du sie immer noch, nachdem
du sie jetzt aus der Nähe gesehen hast?«
»Sie scheinen nicht davon berührt zu werden, ob ich sie mag oder nicht
mag«, antwortete Sam langsam. »Es scheint nicht wichtig zu sein, was ich
von ihnen halte. Sie sind ganz anders, als ich erwartet hatte — so alt und
jung, und so fröhlich und traurig gewissermaßen.«
Frodo sah Sam ziemlich verblüfft an, als ob er halb und halb erwartete,
ein äußerliches Anzeichen der seltsamen Veränderung zu sehen, die offen-
bar mit Sam vorgegangen war. Es klang nicht wie die Stimme des alten
Sam Gamdschie, die er zu kennen glaubte. Aber er sah wie der alte Sam
Gamdschie aus, wie er da saß, nur daß sein Gesicht ungewöhnlich nach-
denklich war.
»Hast du noch das Bedürfnis, das Auenland zu verlassen — nachdem
dein Wunsch, sie zu sehen, erfüllt worden ist?« fragte er.
»Ja, Herr. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber nach der letzten
Nacht komme ich mir verändert vor. Ich scheine in gewisser Weise vor-
auszusehen. Ich weiß, daß wir einen sehr langen Weg gehen werden, in
die Dunkelheit; aber ich weiß, daß ich nicht umkehren kann. Jetzt geht es
nicht darum, daß ich die Elben sehen will, oder Drachen oder Berge — ich
weiß eigentlich nicht richtig, was ich will: aber ich habe noch etwas zu
tun, ehe alles vorbei ist, und das liegt vor mir, nicht im Auenland. Ich
muß es durchschauen, Herr, wenn du mich verstehst.«
»Nicht ganz. Aber ich verstehe, daß Gandalf mir einen guten Gefähr-
ten ausgesucht ha«-. Ich bin einverstanden. Wir gehen zusammen.«
Frodo beendete sein Frühstück schweigend. Dann stand er auf, blickte
über das Land vor sich und rief Pippin.
»Alles fertig zum Aufbruch?« fragte er, als Pippin angerannt kam.
»Wir müssen sofort los. Wir haben lange geschlafen und haben noch
viele Meilen zu gehen.«
»Du hast lange geschlafen, meinst du«, sagte Pippin. »Ich war schon
lange vorher auf; und wir haben nur gewartet, bis du mit Essen und Den-
ken fertig warst.«
»Jetzt bin ich mit beidem fertig. Und ich will so schnell wie möglich
zur Bockenburger Fähre kommen. Ich mache nicht den Umweg zurück zur
Straße, wo wir gestern abend abgebogen sind: ich gehe von hier geraden-
wegs durch das Land.«
»Dann wirst du wohl fliegen«, sagte Pippin. »In diesem Land kann
man nirgends geradenwegs zu Fuß gehen.«
»Jedenfalls können wir mehr abkürzen als die Straße«, antwortete
Frodo. »Die Fähre liegt südöstlich von Waldhof; aber die Straße biegt
nach links ab — du kannst eine Biegung von ihr weit da drüben im Nor-
den sehen. Sie führt um das nördliche Ende des Bruchs herum und stößt
oberhalb von Stock auf die Landstraße zur Brücke. Aber das ist ein
Umweg von Meilen. Wir könnten ein Viertel der Entfernung sparen,
wenn wir von hier, wo wir stehen, schnurgerade zur Fähre laufen.«
»Der gerade Weg ist nicht immer der kürzeste", erklärte Pippin. »Das
Gelände hier ist schwierig, und es gibt Sümpfe und alle möglichen Hin-
dernisse unten im Bruch — ich kenne diese Ecke. Und wenn du dich sorgst
wegen der schwarzen Reiter, dann sehe ich nicht ein, warum es schlimmer
sei, sie auf einer Straße zu treffen als im Wald oder auf dem Feld.«
»In Wäldern und Feldern ist es weniger leicht, Leute zu finden«, ant-
wortete Frodo. »Und wenn angenommen wird, daß du auf der Straße bist,
dann besteht einige Aussicht, daß auf der Straße nach dir gesucht wird
und nicht abseits von ihr.«
»Na schön«, sagte Pippin. »Ich folge dir in jeden Sumpf und Graben.
Aber es ist hart! Ich hatte damit gerechnet, vor Sonnenuntergang noch
im Goldenen Barsch in Stock einzukehren. Das beste Bier im Ostviertel,
jedenfalls früher: es ist lange her, seit ich es versucht habe.«
»Damit ist der Fall klar!« sagte Frodo. »Der gerade Weg ist nicht immer
der kürzeste, aber Wirtshäuser kosten noch mehr Zeit. Vom Goldenen
Barsch
müssen wir dich um jeden Preis fernhalten. Wir wollen vor Dun-
kelheit nach Bockenburg kommen. Was meinst du, Sam?«
»Ich gehe mit dir, Herr Frodo«, sagte Sam (obwohl ihm nichts Gutes
schwante und es ihm um das beste Bier im Ostviertel herzlich leid tat).
»Wenn wir uns also durch Sumpf und Dornengestrüpp durchquälen
müssen, dann laßt uns jetzt gehen!« sagte Pippin.
Es war schon fast so warm wie am Tage zuvor; aber Wolken zogen von
Westen herauf. Es sah nach Regen aus. Die Hobbits kletterten eine steile
grüne Böschung hinunter und verschwanden unten zwischen den dicken
Bäumen. Waldhof wollten sie links liegen lassen und sich dann an den
Osthängen der Berge schräg durch die Gehölze schlagen, bis sie das
Flachland dahinter erreichten. Dann könnten sie über offenes Land, abge-
sehen von ein paar Gräben und Zäunen, geradeaus zur Fähre gelangen.
Frodo schätzte, daß sie in der Luftlinie achtzehn Meilen zu gehen hätten.
Bald stellte sich heraus, daß das Gebüsch dichter und unwegsamer war,
als es zuerst den Anschein gehabt hatte. Es gab keine ausgetretenen
Pfade durch das Unterholz, und sie kamen nicht sehr schnell voran. Als
sie sich bis zum Grund des Tobels durchgekämpft hatten, fanden sie einen
Bach, der von den darunterliegenden Bergen in einem tiefen Bett herab-
rauschte, dessen steile, glitschige Ufer von Brombeeren überwuchert waren.
Höchst unbequemer Weise kreuzte er die Marschrichtung, die sie sich aus-
gesucht hatten. Sie konnten nicht über ihn hinwegspringen noch sonst
hinüberkommen, ohne naß, zerkratzt und schmutzig zu werden. Sie blieben
stehen und fragten sich, was zu tun sei. »Erstes Hindernis!« sagte Pippin
und lächelte grimmig.
Sam Gamdschie schaute zurück. Durch eine Lücke zwischen den Bäu-
men konnte er den Gipfel des grünen Steilhangs sehen, den sie herunter-
gekommen waren.
»Schau!« sagte er und packte Frodo am Arm. Sie schauten alle, und
auf dem Grat hoch über ihnen sahen sie gegen den Himmel ein Pferd.
Neben ihm bückte sich eine schwarze Gestalt.
Den Gedanken, umzukehren, gaben sie sofort auf. Frodo ging voran
und verschwand rasch in dem dichten Gebüsch am Bach. »Hu!« sagte er
zu Pippin. »Wir haben beide recht gehabt! Der gerade Weg ist schon
krumm geworden; aber wir sind eben noch rechtzeitig in Deckung gegan-
gen. Du hast gute Ohren, Sam: hörst du etwas kommen?«
Sie standen still und hielten fast den Atem an, während sie lauschten;
aber nichts drang zu ihnen, was nach Verfolgung klang. »Ich kann mir
nicht vorstellen, daß er versuchen würde, sein Pferd den Steilhang hinun-
terzubringen«, sagte Sam. »Aber vermutlich weiß er, daß wir dort her-
untergekommen sind. Wir sollten lieber weitergehen.«
Das Weitergehen war gar nicht so einfach. Sie hatten Rucksäcke zu tra-
gen, und die Büsche und Brombeeren ließen sie nur widerwillig durch.
Die Bergkette hinter ihnen schnitt sie vom Wind ab, und die Luft war
still und stickig. Als sie sich schließlich ihren Weg in mehr offenes Ge-
lände gebahnt hatten, waren sie erhitzt und müde und sehr verkratzt, und
außerdem wußten sie nicht, in welcher Richtung sie eigentlich gingen.
Die Ufer des Bachs wurden niedriger, als er die Ebene erreichte, breiter
und seichter wurde und sich zum Bruch und zum Strom hinschlängelte.
»Ach, das ist doch der Stockbach!« sagte Pippin. »Wenn wir versu-
chen wollen, wieder unsere alte Richtung einzuschlagen, dann müssen wir
sofort hinüber und uns nach rechts halten.«
Sie wateten durch den Bach und eilten auf dem anderen Ufer über eine
baumlose, binsenbestandene Ebene. Dahinter kamen sie wieder zu einem
Baumgürtel: hohe Eichen zum größten Teil, und hier und dort eine Ulme
oder Esche. Das Gelände war ziemlich eben, und es gab wenig Unterholz;
aber die Bäume standen so dicht, daß sie nicht weit sehen konnten. Blätter
wurden durch plötzliche Windböen hochgewirbelt, und einige Regentrop-
fen fielen vom bewölkten Himmel. Dann legte sich der Wind, und der
Regen begann zu strömen. Sie schleppten sich dahin, so schnell sie konn-
ten, über Grasbüschel und durch dichte Haufen alter Blätter; und der
Regen prasselte und rieselte auf sie herab. Sie sprachen nicht miteinander,
sondern schauten nur immer wieder zurück und nach allen Seiten.
Nach einer halben Stunde sagte Pippin: »Ich hoffe, wir haben uns nicht
zu sehr nach Süden gehalten und laufen nicht längs durch diesen Wald.
Es ist kein sehr breiter Gürtel — nicht mehr als eine Meile an der breite-
sten Stelle, würde ich sagen — und wir müßten jetzt eigentlich schon
durch sein.«
»Es hat keinen Zweck, daß wir jetzt anfangen, im Zickzack zu gehen«,
antwortete Frodo. »Das würde nichts besser machen. Laßt uns weiterge-
hen wie bisher! Ich bin auch nicht sicher, ob ich jetzt schon wieder ins
Freie kommen möchte.«
Sie gingen weiter, vielleicht noch ein paar Meilen. Dann kam die Sonne
wieder durch die Wolkenfetzen, und der Regen ließ nach. Mittag war
schon vorbei, und sie fanden, es sei höchste Zeit für eine Mahlzeit. Unter
einer Ulme hielten sie an: ihre Blätter hatten sich zwar schon gelb ge-
färbt, waren aber noch dicht, und unter dem Baum war es ziemlich ge-
schützt und der Boden trocken. Als sie zu essen begannen, entdeckten sie,
daß die Elben ihre Flaschen mit einem klaren Getränk von blaßgoldener
Farbe gefüllt hatten: es duftete wie Honig, der aus mancherlei Blüten
stammte, und war wunderbar erfrischend. Sehr bald lachten sie und
scherten sich keinen Deut mehr um Regen und Schwarze Reiter. Die letz-
ten paar Meilen, glaubten sie, würden bald geschafft sein.
Frodo lehnte sich mit dem Rücken an den Baumstamm und schloß die
Augen. Sam und Pippin saßen dicht dabei, und sie begannen zu summen
und dann leise zu singen:

He! He! He! An die Buddel geh,
Heil dein Herz, ertränk dein Weh!
Falle Regen oder Schnee,
Meilen, Meilen, Meilen geh!
Doch unterm Baume, da werd ich ruhn,
Wolken zählen und nichts mehr tun.

He!, he!, he!, begannen sie noch einmal und lauter. Dann hielten sie
plötzlich inne. Frodo sprang auf die Füße. Ein langgezogenes Wehklagen
trug der Wind zu ihnen herab, wie der Schrei irgendeines bösen, einsa-
men Geschöpfes. Es stieg und fiel und endete mit einem hohen, durch-
dringenden Ton. Während sie noch da saßen und standen, als seien sie
plötzlich erstarrt, kam als Antwort ein zweiter Schrei, schwächer und
weiter entfernt, aber nicht weniger beklemmend. Dann trat Stille ein, un-
terbrochen nur vom Rascheln des Windes in den Blättern.
»Und was glaubst du, was das war?« fragte Pippin schließlich. Er ver-
suchte, es leichthin zu sagen, aber seine Stimme zitterte. »Wenn es ein
Vogel war, dann jedenfalls einer, den ich noch nie im Auenland gehört
habe.«
»Es war kein Vogel oder sonst ein Tier«, antwortete Frodo. »Es war ein
Ruf oder Signal — es wurden Wörter geschrien, obwohl ich sie nicht ver-
stehen konnte. Aber kein Hobbit hat eine solche Stimme.«
Es wurde nichts mehr darüber gesagt. Sie alle dachten an die Reiter,
aber keiner sprach es aus. Sie mochten nun weder hierbleiben noch wei-
tergehen; aber früher oder später mußten sie ja über das offene Land zur
Fähre laufen, und da war es am besten, es früher und bei Tageslicht zu
tun. Ein paar Augenblicke später hatten sie ihre Rucksäcke wieder ge-
schultert und waren auf dem Weg.
Nicht lange, und der Wald hörte plötzlich auf. Weite Wiesen erstreck-
ten sich vor ihnen. Jetzt sahen sie, daß sie tatsächlich zu weit nach Süden
gekommen waren. Drüben, jenseits der Ebene, sahen sie hinter dem Strom
den niedrigen Berg von Bockenburg, aber er lag jetzt links von ihnen.
Vorsichtig krochen sie aus dem Waldrand hervor und eilten, das offene
Land so rasch sie konnten zu überqueren.
Zuerst hatten sie Angst ohne den Schutz des Waldes. Weit hinter
ihnen lag die Höhe, wo sie gefrühstückt hatten. Frodo erwartete halb und
halb, auf der Bergkuppe die von ferne kleine Gestalt eines Reiters dunkel
gegen den Himmel zu sehen; aber es war nichts zu erblicken. Die Sonne
sank jetzt zu den Bergen herab, von denen sie gekommen waren, brach
durch die Wolken durch und schien wieder hell. Die Angst fiel von ihnen
ab, obwohl sie sich immer noch unbehaglich fühlten. Doch wurde das
Land immer bebauter und ordentlicher. Bald waren sie umgeben von gut
bestellten Feldern und Wiesen; es gab Hecken und Gatter und Abzugs-
gräben. Alles schien still und friedlich zu sein wie ein gewöhnlicher
Winkel im Auenland. Ihre Stimmung stieg mit jedem Schritt. Der Lauf
des Stroms kam näher; und die Schwarzen Reiter erschienen ihnen all-
mählich wie Gespenster der Wälder, die nun weit hinter ihnen lagen.
Sie gingen am Rande eines riesigen Rübenfeldes entlang und kamen zu
einem stattlichen Tor. Dahinter zog sich ein ausgefahrener Weg zwischen
niedrigen, gut gestutzten Hecken zu einer fernen Baumgruppe hin. Pippin
blieb stehen.
»Ich kenne diese Felder und dieses Tor«, sagte er. »Wir sind auf dem
Land vom alten Bauer Maggot. Das muß sein Hof sein da hinten zwi-
schen den Bäumen.«
»Ein Verdruß nach dem anderen!« sagte Frodo und sah fast so bestürzt
aus, als wenn Pippin ihm erklärt hätte, der Weg sei der Zugang zu einer
Drachenhöhle. Die anderen sahen ihn überrascht an.
»Was hast du denn gegen den alten Maggot?« fragte Pippin. »Er ist gut
Freund mit allen Brandybocks. Natürlich ist er der Schrecken aller Land-
Streicher und hat bissige Hunde - aber schließlich wohnen die Leute hier
dicht an der Grenze und müssen auf der Hut sein.«
»Ich weiß«, sagte Frodo. »Aber trotzdem«, fügte er mit einem verlege-
nen Lachen hinzu, »habe ich entsetzliche Angst vor ihm und seinen Hun-
den. Seit Jahr und Tag habe ich um seinen Hot einen Bogen gemacht. Er
hat mich verschiedentlich beim Pilzesammeln erwischt, als ich noch ein
Junge war und im Brandyschloß lebte. Beim letzten Mal hat er mich ver-
prügelt und mich genommen und seinen Hunden gezeigt. »Seht ihn euch
an, ihr Burschen<, sagte er, >das nächste Mal, wenn dieser kleine Racker
den Fuß auf meinen Grund und Boden setzt, könnt ihr ihn fressen. Jetzt
schafft ihn fort.< Sie jagten mich den ganzen Weg bis zur Fähre. Ich habe
den Schreck niemals verwunden - obwohl ich sagen muß, daß die Vie-
cher ihr Geschäft verstanden und mich nicht anrührten.«
Pippin lachte. »Na, es ist Zeit, daß du es wieder gutmachst. Besonders,
wenn du jetzt zurückkommst, um in Bockland zu leben. Der alte Maggot
ist wirklich ein Prachtskerl - sofern du seine Pilze in Frieden läßt. Laßt
uns auf dem Weg gehen, dann sind wir nicht widerrechtlich eingedrun-
gen. Wenn wir ihn treffen, überlaßt mir das Reden. Er ist ein guter
Freund von Merry, und ich bin früher oft mit ihm zusammen hiergewe-
sen.«
Sie gingen den Weg entlang, bis sie die strohgedeckten Dächer eines
großen Hauses und von Wirtschaftsgebäuden zwischen den Bäumen hin-
durchschimmern sahen. Die Maggots und die Platschfußens in Stock und
die meisten Bewohner des Bruchs lebten in Häusern; und Maggots Hof
war aus festen Ziegeln erbaut und hatte eine hohe Mauer drumherum. Ein
breites Holztor schloß die Mauer gegen den Weg ab.
Plötzlich, als sie näher kamen, hob ein entsetzliches Gebelle und Ge-
kläffe an, und eine laute Stimme rief: »Greif! Fang! Wolf! Kommt her,
Burschen!«
Frodo und Sam blieben wie angewurzelt stehen, aber Pippin ging noch
ein paar Schritte weiter. Das Tor öffnete sich, und herausgeschossen
kamen drei riesige Hunde, stürzten sich auf die Wanderer und bellten
wütend. Von Pippin nahmen sie keine Notiz; aber Sam wich an die Mauer
zurück, während zwei wolfsähnlich aussehende Hunde ihn mißtrauisch
beschnüffelten und knurrten, sobald er sich rührte. Der größte und wilde-
ste der drei baute sich drohend und fauchend vor Frodo auf.
Am Tor erschien jetzt ein breitschultriger, untersetzter Hobbit mit
einem runden, roten Gesicht. »Hallo! Hallo! Wer seid ihr wohl und was
wollt ihr hier?« fragte er.
»Guten Abend, Herr Maggot!« sagte Pippin.
Der Bauer sah ihn scharf an. »Na, wenn das nicht der junge Herr Pippin
ist — Herr Peregrin Tuk sollte ich wohl sagen!« rief er, und sein bär-
beißiges Gesicht sah mit einemmal ganz freundlich aus. Euer Glück, daß
ich Euch kenne. Ich wollte gerade meine Hunde auf jeden Fremden hetzen.
Es gehen heute ein paar komische Dinge vor. Natürlich zieht von Zeit zu
Zeit immer mal sonderbares Volk hier durch die Gegend. Zu nah am Fluß«,
sagte er und schüttelte den Kopf. »Aber dieser Bursche war der fremdlän-
dischste, der mir je vor Augen gekommen ist. Der wird mein Land kein
zweites Mal ohne Erlaubnis überqueren, wenn ich es verhindern kann.«
»Was für einen Burschen meint Ihr denn?« fragte Pippin.
»Dann habt Ihr ihn nicht gesehen?« sagte der Bauer. »Es ist noch nicht
lange her, da ritt er den Weg hinauf zur Landstraße. War ein komischer
Kerl und stellte komische Fragen. Aber vielleicht kommt Ihr mit herein,
da können wir gemütlicher Neuigkeiten austauschen. Ich habe einen
guten Tropfen Bier da, wenn Ihr und Eure Freunde wollen, Herr Tuk.«
Es war offensichtlich, daß der Bauer ihnen mehr erzählen würde, wenn
man es ihn zu seiner Zeit und auf seine Weise tun ließ, und so nahmen
sie alle die Einladung an. »Was ist mit den Hunden?« fragte Frodo ängst-
lich.
Der Bauer lachte. »Sie werden Euch nichts tun — außer wenn ich's
ihnen befehle. Hier, Greif! Fang! Platz!« rief er. »Platz, Wolf!« Zu Frodos
und Sams Erleichterung gingen die Hunde zu ihrem Herrn und ließen sie
frei. Pippin stellte dem Bauern die beiden anderen vor. »Herr Frodo Beut-
lin«, sagte er. »Ihr werdet Euch vielleicht nicht an ihn erinnern, aber er
wohnte früher im Brandy schloß.« Bei dem Namen Beutlin stutzte der
Bauer und warf Frodo einen strengen Blick zu. Einen Augenblick glaubte
Frodo, ihm seien die gestohlenen Pilze wieder eingefallen und die Hunde
würden Auftrag bekommen, ihn fortzuschaffen. Aber der Bauer Maggot
nahm ihn am Arm.
»Nun, wenn das nicht seltsamer ist als alles andere!« rief er. »Herr
Beutlin ist es? Kommt herein! Wir müssen uns unterhalten.«
Sie gingen in die Küche des Bauern und setzten sich an den großen
Herd. Frau Maggot brachte einen gewaltigen Krug Bier und schenkte
vier große Becher ein. Es war ein gutes Gebräu, und Pippin fand sich
mehr als entschädigt dafür, daß er den Goldenen Barsch verpaßt hatte.
Sam nippte mißtrauisch an seinem Bier. Er hatte einen angeborenen Arg-
wohn gegen die Bewohner anderer Teile des Auenlands; und außerdem
war er nicht geneigt, rasch Freundschaft zu schließen mit irgend jeman-
dem, der seinen Herr verprügelt hatte, und sei es noch so lange her.
Nach ein paar Bemerkungen über das Wetter und die Aussichten der
Landwirtschaft (die nicht schlechter waren als üblich) stellte Bauer Mag-
got seinen Becher hin und blickte sie der Reihe nach an.
»Nun, Herr Peregrin«, sagte er, »wo kommt Ihr eigentlich her und
wohin seid Ihr unterwegs? Seid Ihr gekommen, um mich zu besuchen?
Denn dann wäret Ihr an meinem Tor vorbeigegangen, ohne daß ich Euch
gesehen hätte.«
»Nein«, antwortete Pippin, »um die Wahrheit zu sagen, da Ihr sie
schon erraten habt, wir sind vom anderen Ende her auf den Weg gekom-
men: wir waren über Eure Felder gegangen. Aber das war reiner Zufall.
Wir hatten uns im Wald verirrt, da hinten beim Waldhof, als wir ver-
suchten, eine Abkürzung zur Fähre zu finden.«
»Wenn Ihr es eilig hattet, wäre die Straße günstiger gewesen«, sagte
der Bauer. »Aber darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Ihr
dürft gern über mein Land gehen, wenn Euch der Sinn danach steht, Herr
Peregrin. Und Ihr auch, Herr Beutlin — obwohl ich annehme, daß Ihr
immer noch Pilze mögt.« Er lachte. »O ja, ich habe den Namen wieder-
erkannt. Ich erinnere mich noch an die Zeiten, als der junge Frodo
Beutlin einer der größten Tunichtgute von Bockland war. Aber es waren
nicht Pilze, woran ich dachte. Ich habe gerade den Namen Beutlin gehört,
ehe Ihr kamt. Was, glaubt Ihr, hat mich dieser komische Kerl gefragt?«
Sie warteten begierig, daß er fortfahren möge. »Nun ja.« Genießerisch
langsam kam er zur Sache. »Er ritt auf seinem großen schwarzen Pferd
zum Tor herein, das zufällig offen war, und direkt bis zu meiner Tür.
Auch er selbst war ganz schwarz, eingehüllt in Mantel und Kapuze, als
ob er nicht erkannt werden wollte. >Na, was um alles in der Welt kann
der wollen ?< dachte ich bei mir. Wir sehen nicht viele von den Großen
Leuten diesseits der Grenze, und jedenfalls hatte ich niemals von so einem
wie diesem schwarzen Burschen gehört.
>Guten Tag<, sagte ich, als ich zu ihm hinausging. >Dieser Weg führt
nirgends hin, und wo immer Ihr auch hinwollt, am schnellsten geht es
über die Straße.< Mir gefiel sein Aussehen gar nicht, und als Greif heraus-
kam, schnüffelte er einmal und kläffte dann, als ob er gestochen worden
sei; er kniff den Schwanz ein und schoß jaulend davon. Der schwarze
Bursche saß ganz still.
>Ich komme von drüben<, sagte er langsam und irgendwie schwerfällig
und zeigte nach Westen, über meine Felder, bitte schön. >Habt Ihr Beutlin
gesehen ?< fragte er mit seltsamer Stimme und beugte sich zu mir herun-
ter; und mir lief eine Art Schauer über den Rücken. Aber ich sah nicht
ein, warum er so frech über mein Land dahergeritten kommen sollte.
>Fort mit Euch!< sagte ich. >Hier gibt's keine Beutlins. Ihr seid im fal-
schen Teil vom Auenland. Ihr geht besser zurück nach Westen nach
Hobbingen — aber diesmal könnt Ihr die Straße nehmen.<
>Da ist Beutlin nicht mehr<, antwortete er flüsternd. >Er kommt. Er ist
nicht weit weg. Ich will ihn finden. Wenn er vorbeikommt, wollt Ihr es
mir sagen? Ich komme mit Gold zurück<.
»Nein, das werdet Ihr nicht<, sagte ich. >Ihr werdet dahin zurückgehen,
wo Ihr hingehört, und zwar schleunigst. Ich gebe Euch eine Minute, ehe
ich alle meine Hunde rufe <
Er gab eine Art Zischen von sich. Es hätte ein Lachen sein können,
oder auch nicht. Dann gab er seinem großen Pferd die Sporen und ritt
direkt auf mich zu, und ich sprang gerade noch rechtzeitig beiseite. Ich
rief die Hunde, aber er wendete und ritt durch das Tor und den Weg hin-
auf zur Landstraße wie ein Donnerblitz. Was haltet Ihr davon?«
Frodo saß einen Augenblick da und starrte ins Feuer, aber sein einziger
Gedanke war, wie er um Himmels willen nur die Fähre erreichen sollte.
»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, sagte er schließlich.
»Dann werde ich Euch was erzählen«, sagte Maggot. »Ihr hättet Euch
niemals mit den Leuten aus Hobbingen einlassen sollen, Herr Frodo.
Komische Leute da oben.« Sam rutschte auf seinem Stuhl hin und her
und sah den Bauern unfreundlich an. »Aber Ihr wart immer ein leicht-
fertiger Bursche. Als ich hörte. Ihr habt Brandyschloß verlassen und seid
zu dem alten Herrn Bilbo gegangen, da sagte ich. Ihr würdet in Schwie-
rigkeiten kommen. Merkt Euch meine V/orte, alles kommt von den seltsa-
men Umtrieben des Herrn Bilbo. Sein Geld hat er auf merkwürdige Weise
im Ausland erworben, heißt es. Vielleicht gibt es welche, die wissen wol-
len, was aus dem Gold und den Edelsteinen geworden ist, die er im Bühl
von Hobbingen vergraben hat, wie ich höre?«
Frodo antwortete nicht: die scharfsinnigen Mutmaßungen des Bauern
waren einigermaßen bestürzend.
»Ja, Herr Frodo«, fuhr Maggot fort, »ich freue mich, daß Ihr so ver-
nünftig seid, nach Bockland zurückzukommen. Mein Rat lautet: bleibt
hier! Und laßt Euch nicht mit diesem ausländischen Volk ein. Ihr
werdet Freunde haben in diesen Gegenden. Wenn irgendwelche von
diesen schwarzen Gesellen noch einmal hinter Euch her sind, werde ich
sie mir vornehmen. Ich werde sagen, Ihr seid tot oder habt das Auenland
verlassen oder was immer Ihr wollt. Und das mag sogar wahr sein; denn
höchst wahrscheinlich wollen sie ja etwas von Herrn Bilbo wissen.«
»Vielleicht habt Ihr recht«, sagte Frodo; er wich dem Blick des Bauern
aus und starrte ins Feuer.
Maggot sah in nachdenklich an. »Na, ich sehe. Ihr habt Eure eigene
Meinung«, sagte er. »Für mich liegt es klar auf der Hand, daß es kein
Zufall ist, der Euch und diesen Reiter am selben Nachmittag hergerührt
hat; und vielleicht waren meine Neuigkeiten schließlich gar keine großen
Neuigkeiten für Euch. Aber ich fordere Euch nicht auf, mir etwas zu er-
zählen, was Ihr lieber für Euch behaltet; doch sehe ich, daß Ihr irgendwie
in der Klemme seid. Vielleicht denkt Ihr daran, daß es nicht so leicht sein
wird, zur Fähre zu kommen, ohne geschnappt zu werden?«
»Das dachte ich gerade«, sagte Frodo. »Aber wir müssen es versuchen
und hinkommen, und das schaffen wir nicht, wenn wir hier sitzen und
nachdenken. Ich fürchte also, wir müssen gehen. Ich danke Euch wirklich
sehr für Eure Freundlichkeit! Dreißig Jahre lang habe ich vor Euch und
Euren Hunden Angst gehabt, Bauer Maggot, auch wenn Ihr jetzt viel-
leicht lacht, da Ihr es hört. Es ist schade: ich habe einen guten Freund
verpaßt. Und jetzt tut es mir leid, so rasch aufzubrechen. Aber vielleicht
komme ich eines Tages wieder — wenn ich die Möglichkeit habe.«
»Ihr werdet willkommen sein«, antwortete Maggot. »Aber jetzt habe ich
einen Gedanken. Es ist schon spät, und wir werden gleich Abendbrot
essen; denn meist gehen wir kurz nach der Sonne zu Bett. Wenn Ihr und
Herr Peregrin und alle bleiben und einen Happen mit uns essen könntet,
würden wir uns freuen!«
»Das würden wir auch sehr gerne tun«, antwortete Frodo »Aber wir
müssen sofort gehen, fürchte ich. Selbst jetzt wird es wohl dunkel wer-
den, bis wir die Fähre erreichen.«
»Ah! aber wartet doch eine Minute. Ich wollte sagen: nach einem biß-
chen Abendessen hole ich einen kleinen Wagen heraus und fahre Euch
alle zur Fähre. Das wird Euch manchen Schritt ersparen, und es könnte
Euch auch irgendwelchen Ärger anderer Art ersparen.«
Frodo nahm jetzt die Einladung dankbar an, sehr zur Erleichterung von
Pippin und Sam. Die Sonne stand schon hinter den Bergen im Westen,
und es wurde dämmerig. Zwei von Maggots Söhnen und seine drei Töch-
ter kamen herein, und ein üppiges Mahl wurde aufgetischt. In der Küche
wurden Kerzen angezündet und das Feuer geschürt. Frau Maggot eilte
geschäftig hin und her. Ein oder zwei andere Hobbits, die zum Hof gehör-
ten, kamen herein. Bald setzten sich vierzehn zum Essen hin. Es gab Bier
in Mengen und ein gewaltiges Pilzgericht mit Schinken, und außerdem
noch alle mögliche andere handfeste, bäuerliche Kost. Die Hunde lagen
am Feuer, nagten an Schwarten und knabberten Knochen.
Als sie fertig waren, gingen der Bauer und seine Söhne mit einer
Laterne hinaus und machten den Wagen bereit. Es war dunkel auf dem
Hof, als die Gäste herauskamen. Sie warfen ihre Rucksäcke auf das Ge-
fährt und kletterten hinterdrein. Der Bauer setzte sich auf den Kutschbock
und trieb seine zwei kräftigen Ponies an. Sein Frau stand im Lichtschein
der offenen Tür.
»Sei ja vorsichtig, Maggot!« rief sie. »Fang keinen Streit mit irgend-
welchen Ausländern an und komm gleich zurück!«
»Mach ich«, sagte er und fuhr zum Tor hinaus. Kein Lüftchen regte
sich jetzt: die Nacht war still und ruhig, und die Luft war kühl. Sie fuh-
ren ohne Licht und daher langsam. Nach ein oder zwei Meilen hörte der
Weg auf; es ging durch einen tiefen Graben und dann eine kleine Böschung
hinauf zu der hoch aufgeschütteten Landstraße.
Maggot stieg ab und warf einen Blick nach beiden Seiten, nach Norden
und Süden, aber in der Dunkelheit war nichts zu sehen und kein Ton in
der stillen Luft zu hören. In dünnen Schleiern hing der Flußnebel über
den Gräben und kroch die Felder hinauf.
»Es wird dicken Nebel geben«, sagte Maggot. »Aber ich will meine
Laternen nicht vor dem Heimweg anzünden. Wir werden heute auf der
Straße alles hören, lange bevor wir es zu sehen bekommen.«
Es waren fünf oder mehr Meilen von Maggots Weg bis zur Fähre. Die
Hobbits packten sich warm ein, spitzten aber die Ohren nach jedem Ge-
räusch über das Knirschen der Räder und das langsame Klapp der Pony-
hufe hinaus. Der Wagen kam Frodo langsamer als eine Schnecke vor. Pip-
pin neben ihm war nahe am Einschlafen; aber Sam starrte nach vom in
den aufsteigenden Nebel.
Schließlich erreichten sie den Zugang zur Fähre. Er war durch zwei
hohe weiße Pfosten gekennzeichnet, die sich plötzlich zu ihrer Rechten
erhoben. Bauer Maggot zog die Zügel an, und der Wagen kam knirschend
zum Stehen. Sie begannen gerade herauszuklettern, als sie plötzlich das
hörten, was sie alle gefürchtet hatten: Hufe auf der Straße vor ihnen. Das
Geräusch kam auf sie zu.
Maggot sprang herab, stellte sich neben die Ponies, hielt sie am Kopf
und starrte nach vorn in die Düsternis. Klipp klapp, klipp klapp näherte
sich der Reiter. Die Huftritte dröhnten laut in der stillen, nebligen Luft.
»Du versteckst dich besser, Herr Frodo«, sagte Sam besorgt. »Leg dich
unten in den Wagen und deck dich mit Decken zu, und wir werden die-
sem Reiter schon heimleuchten!« Er kletterte hinaus und stellte sich
neben den Bauern. Die Schwarzen Reiter würden über ihn hinwegreiten
müssen, um an den Wagen heranzukommen.
Klapp klapp, klapp klapp. Der Reiter war fast bei ihnen.
»Hallo da!« rief Bauer Maggot. Die sich nähernden Hufe hielten an.
Sie glaubten undeutlich eine dunkle, in einen Mantel gehüllte Gestalt
im Nebel zu erkennen, vielleicht einen Klafter vor ihnen.
»Nun denn!« sagte der Bauer, warf Sam die Zügel zu und ging vor.
»Kommt ja keinen Schritt näher! Was wollt Ihr und wo wollt Ihr hin?«
»Ich suche Herrn Beutlin. Habt Ihr ihn gesehen?« fragte eine erstickte
Stimme — aber die Stimme war die von Merry Brandybock. Eine dunkle
Laterne wurde abgedeckt, und ihr Lichtschein fiel auf das erstaunte Ge-
sicht des Bauern.
»Herr Merry!« rief er
»Ja, natürlich! Was glaubt Ihr denn, wer ich sei?« sagte Merry und
kam vorwärts. Als er aus dem Nebel heraustrat und ihre Angst verflog,
schien er plötzlich auf das gewöhnliche Hobbitmaß zusammenzuschrump-
fen. Er ritt auf einem Pony und hatte einen Schal um den Hals und über
das Kinn geschlungen, um den Nebel abzuhalten.
Frodo sprang vom Wagen herab, um ihn zu begrüßen. »So, da bist du
endlich!« sagte Merry. »Ich fragte mich schon, ob ihr heute überhaupt
noch kommen würdet, und wollte gerade zum Abendbrot gehen. Als es
so neblig wurde, kam ich herüber und ritt nach Stock um zu sehen, ob ihr
in einen Graben gefallen seid. Ich möchte bloß mal wissen, auf welchem
Weg ihr eigentlich gekommen seid. Wo habt Ihr sie gefunden, Herr
Maggot? In Eurem Ententeich?«
»Nein, ich habe sie dabei erwischt, daß sie widerrechtlich eingedrungen
sind«, sagte der Bauer, »und fast hätte ich meine Hunde auf sie gehetzt;
aber sie werden Euch die ganze Geschichte bestimmt erzählen. Jetzt, wenn
Ihr mich entschuldigen wollt, Herr Merry und Herr Frodo und alle, dann
kehre ich am besten gleich um. Meine Frau wird sich schon Sorgen
machen bei der nebligen Nacht.«
Er fuhr den Wagen ein Stück zurück und wendete. »Na, dann gute
Nacht allerseits«, sagte er. »Es war bestimmt ein sonderbarer Tag. Aber
Ende gut, alles gut; obwohl wir das vielleicht nicht sagen sollten, ehe wir
unsere Haustüren erreicht haben. Ich will nicht leugnen, daß ich froh sein
werde, wenn ich daheim bin.« Er zündete seine Laternen an und stieg auf.
Plötzlich holte er einen großen Korb unter dem Sitz hervor. »Den hätte
ich ja fast vergessen«, sagte er »Meine Frau hat ihn für Herrn Beutlin
eingepackt mit ihren besten Empfehlungen.« Er gab ihn hinunter und
fuhr los, begleitet von einem Chor von Danke-schön und Gute Nacht.
Sie sahen, wie die bleichen Lichtringe um seine Laternen in der neb-
ligen Nacht verschwanden. Mit einemmal lachte Frodo: aus dem zuge-
deckten Korb in seiner Hand stieg der Duft von Pilzen auf.

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