FÜNFTES KAPITEL
DIE BRÜCKE VON KHAZAD-DÛM

Schweigend stand die Gemeinschaft des Ringes an Balins Grab. Frodo
dachte an Bilbo und seine lange Freundschaft mit dem Zwerge und an
Balins Besuch im Auenland vor langer Zeit. In dieser staubigen Kammer
im Gebirge schien das vor tausend Jahren und auf der anderen Seite der
Welt gewesen zu sein.
Endlich rührten sie sich wieder, blickten auf und begannen, nach etwas
zu suchen, was ihnen Aufschluß über Balins Schicksal geben oder ihnen
zeigen würde, was aus seinem Volk geworden war. Es gab am anderen
Ende der Kammer unter dem Schacht noch eine zweite, kleinere Tür. An
beiden Türen sahen sie jetzt viele Knochen liegen und dazwischen zerbro-
chene Schwerter und Eisen von Äxten und gespaltene Schilde und Helme.
Einige der Schwerter waren gebogen: Ork-Krummsäbel mit geschwärzten
Klingen.
In den Fels der Wände waren viele Nischen hineingehauen, und in
ihnen standen große, eisenbeschlagene Truhen aus Holz. Alle waren auf-
gebrochen und geplündert worden; doch neben dem zertrümmerten Dek-
kel einer Truhe lagen die Reste eines Buchs. Es war aufgeschlitzt und hin-
eingestochen worden und teilweise angesengt, und es war so besudelt mit
schwarzen und anderen dunklen Flecken wie von altem Blut, daß kaum
etwas zu lesen war. Gandalf hob es vorsichtig auf, aber die Seiten rissen
und brachen, als er es auf die Steinplatte legte. Er brütete eine Weile dar-
über, ohne zu sprechen. Frodo und Gimli standen neben ihm und sahen,
als er behutsam die Seiten umblätterte, daß sie mit verschiedenen Hand-
schriften bedeckt waren, mit Runen von Moria und Thai und hier und dort
mit einer Elbenschrift.
Schließlich schaute Gandalf auf. »Es scheint eine Chronik über das
Schicksal von Balins Leuten zu sein«, sagte er. »Ich vermute, daß sie mit
ihrer Ankunft im Schattenbachtal vor nahezu dreißig Jahren beginnt: die
Seiten scheinen Nummern zu haben, die sich auf die Jahre nach ihrer
Ankunft beziehen. Die oberste Seite ist eins — drei bezeichnet, so daß
mindestens zwei vom Anfang fehlen. Hört euch das an!
»Wir vertrieben Orks vom großen Tor und der Wache — glaube ich;
das nächste Wort ist verwischt und versengt: wahrscheinlich Raum — wir
erschlugen viele in der hellen — glaube ich — Sonne im Tal. Flöi wurde
durch einen Pfeil getötet. Er erschlug den Großen.
Dann kommt ein Fleck,
und danach Flói unter Gras nahe Spiegelsee. Die nächsten paar Zeilen
kann ich nicht lesen. Dann kommt Wir haben die einundzwanzigste
Halle vom nördlichen Ende als Wohnung genommen. Dort ist
was, kann
ich nicht lesen. Ein Schacht wird erwähnt. Dann: Balin hat seinen Wohnsitz
in der Kammer von Mazarbul aufgeschlagen.«

»Die Archivkammer«, sagte Gimli. »Ich vermute, das ist hier, wo wir
jetzt sind.« »Jetzt kann ich lange nichts mehr lesen«, sagte Gandalf,
»nur die Wörter Gold und Durins Axt und dann Helm. Dann: Balin ist
jetzt Herr von Moria.
Das scheint das Ende eines Kapitels zu sein. Dann
kommen einige Sterne und nun beginnt eine andere Handschrift, und ich
kann wir fanden Wahrsilber entziffern und später das Wort wohlge-
schmiedet,
und dann etwas, ah, ich hab's: mithril; und die beiden letzten
Zeilen: Öin so?/ die oberen Waffenkammern der Dritten Tiefe suchen,
irgend etwas nach Westen gehen, ein Fleck, dann zum Hulsten-Tor."
Gandalf hielt inne und legte ein paar Blätter beiseite. »Da sind ver-
schiedene Seiten derselben Art, ziemlich hastig geschrieben und stark
beschädigt«, sagte er. »Aber bei diesem Licht kann ich wenig daraus ent-
nehmen. Jetzt müssen ein paar Blätter fehlen, denn die nächsten sind mit
fünf bezeichnet, dem fünften Jahr der Siedlung, nehme ich an. Laßt mich
sehen! Nein, sie sind zu stark zerschnitten und befleckt; ich kann sie
nicht lesen. In der Sonne mag es besser gehen. Wartet! Hier ist etwas:
eine große, deutliche Hand, die sich einer elbischen Schrift bedient.«
»Das müßte Oris Hand sein«, sagte Gimli und schaute dem Zauberer
über den Arm. »Er konnte sehr gut und schnell schreiben und gebrauchte
oft elbische Buchstaben.«
»Ich fürchte, er hatte schlechte Nachrichten in einer schönen Schrift
aufzuzeichnen«, sagte Gandalf. »Das erste deutliche Wort heißt Schmerz,
aber der Rest der Zeile ist unleserlich, es sei denn, sie endet mit rigen. Ja,
es muß heißen gestrigen und dann kommt Tag, dem zehnten November,
fiel Balin, Herr von Moria, im Schattenbachtal. Er ging allein, um in den
Spiegelsee zu schauen, ein Ork erschoß ihn, hinter einem Stein verborgen,
wir erschlugen den Ork, aber viele andere ... von Osten den Silberlauf
herauf.
Der Rest der Seite ist so verschmiert, daß ich kaum etwas heraus-
bekomme, aber ich glaube, ich kann lesen wir haben das Tor versperrt,
und dann können es lange halten, wenn und dann vielleicht entsetzlich
und leiden. Armer Balin! Er scheint den Titel, den er angenommen hat,
weniger als fünf Jahre getragen zu haben. Ich würde gern wissen, was
danach geschehen ist; aber wir haben keine Zeit, an den letzten paar Sei-
ten herumzurätseln. Hier ist die allerletzte Seite.« Er hielt inne und
seufzte.
»Es ist bitter, das zu lesen«, sagte er. »Ich fürchte, ihr Ende war grau-
sam. Hört! Wir können nicht hinaus. Wir können nicht hinaus. Sie haben
die Brücke und die zweite Halle genommen.
Fror und Loni und Ndli fielen
dort.
Dann sind vier Zeilen so verschmiert, daß ich nur lesen kann ging
vor 5 Tagen.
Die letzten Zeilen lauten der See reicht bis zur Wand am
Westtor. Der Wächter im Wasser hat Óin gepackt. Wir können nicht hin-
aus. Das Ende kommt,
und dann Trommeln, Trommeln in der Tiefe. Ich
möchte mal wissen, was das bedeuten soll. Das letzte ist in einem langge-
zogenen Gekritzel von Elbenzeichen geschrieben: sie kommen. Dann
nichts mehr.« Gandalf hielt inne und stand in Gedanken versunken da.
Eine plötzliche Furcht und ein Grauen vor der Kammer befiel die Ge-
meinschaft. "Wir können nicht hinaus", murmelte Gimli. »Wir haben
Glück gehabt, daß der See ein wenig gesunken war und der Wächter un-
ten am südlichen Ende schlief.«
Gandalf hob den Kopf und schaute sich um. »Sie scheinen an beiden
Türen den letzten Widerstand geleistet zu haben«, sagte er. »Aber zu die-
ser Zeit waren nicht mehr viele übrig. So endete der Versuch, Moria wie-
derzuerobern! Es war kühn, aber töricht. Die Zeit ist noch nicht gekom-
men. Nun, fürchte ich, müssen wir von Balin, Fundins Sohn, Abschied
nehmen. Hier muß er liegen in den Hallen seiner Väter. Wir werden die-
ses Buch mitnehmen, das Buch von Mazarbul, und es später genauer anse-
hen. Du solltest es an dich nehmen, Gimli, und es Dáin bringen, wenn du
Gelegenheit hast. Es wird ihn interessieren, aber auch sehr betrüben.
Kommt, laßt uns gehen! Der Morgen ist schon weit vorgeschritten.«
»Welchen Weg wollen wir gehen?« fragte Boromir.
»Zurück zur Halle«, antwortete Gandalf. »Aber unser Besuch in die-
sem Raum war nicht vergebens. Ich weiß jetzt, wo wir sind. Dies muß, wie
Gimli sagt, die Kammer von Mazarbul sein; und die Halle muß die ein-
undzwanzigste vom Nordende sein. Daher sollten wir durch den Ostbo-
gen der Halle gehen und uns nach rechts und nach Süden halten und
abwärts gehen. Die Einundzwanzigste Halle müßte auf der Siebenten
Sohle liegen, das heißt sechs über den Toren. Kommt nun! Zurück zur
Halle!«
Kaum hatte Gandalf diese Worte gesprochen, als ein großer Lärm an-
hob: ein rollendes Bum, das aus großen Tiefen zu kommen und in den
Steinen zu ihren Füßen zu zittern schien. Sie sprangen erschreckt zur Tür.
Dum, dum rollte es wieder, als ob riesige Hände die Höhlen von Moria in
eine gewaltige Trommel verwandelt hätten. Dann kam als Echo ein
Schmettern: ein großes Horn wurde in der Halle geblasen, andere Hörner
antworteten und von weit her waren rauhe Schreie zu hören. Man hörte
viele Füße rennen.
»Sie kommen!« rief Legolas.
»Wir können nicht hinaus«, sagte Gimli.
»In einer Falle!« rief Gandalf. »Warum zögerte ich? Hier sind wir, ge-
fangen, genau wie die anderen vor uns. Aber damals war ich nicht hier.
Wir werden sehen, was — «
Dum, dum dröhnte das Trommeln, und die Wände bebten.
»Schlagt die Türen zu und verkeilt sie!« schrie Aragorn. »Und behaltet
eure Rucksäcke auf, solange ihr könnt: vielleicht vermögen wir uns doch
noch einen Weg hinaus zu bahnen.«
»Nein«, sagte Gandalf. »Wir dürfen uns nicht einschließen lassen. Laßt
die östliche Tür angelehnt! Dort hinunter werden wir gehen, wenn wir
eine Möglichkeit haben.«
Wieder erschallte ein gellender Hornstoß, und schrille Schreie ertön-
ten. Fußtritte kamen den Gang entlang. Es gab einen hellen Klang und ein
Klirren, als die Gemeinschaft ihre Schwerter zog. Glamdring schimmerte
mit einem bleichen Licht, und Stich glänzte an den Schneiden. Boromir legte
seine Schulter gegen die westliche Tür.
»Warte einen Augenblick! Mach sie noch nicht zu!« sagte Gandalf. Er
sprang vor an Boromirs Seite und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.
»Wer kommt hierher, um Balins, des Herrn von Moria, Ruhe zu stö-
ren?« rief er mit lauter Stimme.
Ein heiseres Gelächter brach aus und klang wie Steine, die in eine Grube
rollen; inmitten des Lärms erhob sich eine tiefe befehlende Stimme. Dum,
bum, dum
dröhnten die Trommeln in der Tiefe.
Mit einer raschen Bewegung trat Gandalf vor die schmale Öffnung der
Tür und stieß seinen Stab vor. Es gab eine blendende Flamme, die die
Kammer und den Gang draußen erhellte. Einen Augenblick schaute der
Zauberer hinaus. Pfeile sausten und pfiffen den Gang herunter, als er zu-
rücksprang.
»Das sind Orks, und zwar sehr viele«, sagte er. »Und manche sind
groß und böse: schwarze Uruks aus Mordor. Im Augenblick zögern sie
noch, aber da ist noch etwas anderes. Ein großer Höhlentroll, glaube ich,
oder mehr als einer. Auf jenem Weg zu fliehen besteht keine Hoffnung.«
»Und überhaupt keine Hoffnung, wenn sie auch zur anderen Tür kom-
men«, sagte Boromir.
»Hier ist noch kein Ton zu hören«, sagte Aragorn, der an der östlichen
Tür stand und lauschte. »Der Gang führt auf dieser Seite sofort eine
Treppe hinunter: er geht eindeutig nicht zurück zur Halle. Aber es hat
keinen Zweck, blindlings auf diesem Wege zu fliehen, wenn die Verfolger
gleich hinter uns sind. Wir können die Tür nicht versperren. Der Schlüs-
sel ist fort, und das Schloß ist zerbrochen und die Tür geht nach innen
auf. Wir müssen erst etwas tun, um den Feind aufzuhalten. Wir wollen
sie lehren, die Kammer von Mazarbul zu fürchten!« sagte er grimmig und
befühlte die Schneide seines Schwertes Andúril.
Schwere Fußtritte waren auf dem Gang zu hören. Boromir warf sich
gegen die Tür und drückte sie zu; dann verkeilte er sie mit abgebrochenen
Schwertklingen und Holzsplittern. Die Gemeinschaft zog sich auf die
andere Seite der Kammer zurück. Aber noch hatten sie keine Möglich-
keit, zu fliehen. Es gab einen Schlag gegen die Tür, der sie erzittern ließ,
und dann schob sie sich langsam auf und preßte die Keile beiseite. Ein
riesiger Arm und eine Schulter mit einer dunklen Haut aus grünlichen
Schuppen zwängten sich durch den sich verbreiternden Spalt. Dann kam
unten ein großer, flacher, zehenloser Fuß zum Vorschein. Draußen
herrschte Totenstille.
Boromir sprang vor und hieb mit aller Macht auf den Arm; aber sein
Schwert klirrte, prallte ab und fiel ihm aus der zitternden Hand. Die
Klinge war schartig geworden.
Plötzlich und zu seiner eigenen Überraschung fühlte Frodo einen hei-
ßen Zorn in seinem Herzen aufflammen. »Das Auenland!« rief er, sprang
neben Boromir, bückte sich und hieb mit Stich auf den abscheulichen Fuß.
Man hörte ein Gebrüll, der Fuß zuckte zurück, und Stich wäre Frodo fast
aus der Hand gerissen worden. Schwarze Tropfen rannen von der Klinge
und dampften auf dem Boden. Boromir warf sich gegen die Tür und
schlug sie wieder zu.
»Sieg für das Auenland!« rief Aragorn. »Des Hobbits Biß geht tief!
Du hast eine gute Klinge, Frodo, Drogos Sohn!«
Es wurde gegen die Tür geschlagen und immer wieder und wieder
dagegen geschlagen. Rammen und Hämmer wurden eingesetzt. Sie krach-
te und gab nach, und plötzlich erweiterte sich die Öffnung. Pfeile kamen
angeschwirrt, aber sie trafen die nördliche Wand und fielen zu Boden,
ohne Schaden anzurichten. Ein Hornstoß erscholl und ein Getrappel von
Füßen war zu hören, und dann sprang ein Ork nach dem anderen in die
Kammer.
Wie viele es waren, konnten die Gefährten nicht zählen. Der Ansturm
war heftig, aber die erbitterte Verteidigung entmutigte die Orks. Legolas
schoß zweien durch die Kehle. Gimli hieb einem, der auf Balins Grab ge-
sprungen war, die Beine ab. Boromir und Aragorn erschlugen viele. Als
dreizehn gefallen waren, ergriffen die übrigen schreiend die Flucht und
ließen die Verteidiger unverletzt zurück, mit Ausnahme von Sam, der
eine Schramme auf dem Kopf hatte. Ein rasches Ducken hatte ihn geret-
tet; und er hatte seinen Ork niedergestreckt: ein kräftiger Stoß mit seiner
Hügelgrab-Klinge. Ein Feuer glühte in seinen braunen Augen, das Timm
Sandigmann hätte zurückweichen lassen, wenn er es gesehen hätte.
»Jetzt ist es Zeit!« rief Gandalf. »Laßt uns gehen, ehe der Troll wieder-
kommt!«
Aber gerade als sie den Rückzug antraten und ehe Pippin und Merry
die Treppe draußen erreicht hatten, sprang ein riesiger Orkhäuptling, fast
mannshoch, von Kopf bis Fuß in einen schwarzen Panzer gehüllt, in die
Kammer; hinter ihm rotteten sich seine Gefolgsleute an der Tür zusam-
men. Sein breites, flaches Gesicht war schwärzlich, seine Augen waren
wie Kohlen, und seine Zunge war rot; er schwang einen großen Speer.
Mit einem Stoß seines Lederschilds wehrte er Boromirs Schwert ab,
drängte ihn zurück und warf ihn zu Boden. Unter Aragorns Schlag
tauchte er mit der Schnelligkeit einer angreifenden Schlange hindurch,
stürmte mitten in die Gemeinschaft hinein und stieß seinen Speer genau
auf Frodo. Der Stoß traf Frodo an der rechten Seite, und er wurde gegen
die Wand geworfen und festgehalten. Mit einem Schrei hackte Sam auf
den Speerschaft ein, und er zersplitterte. Aber gerade, als der Ork den
Stumpf fortwarf und seinen Krummsäbel zog, sauste Andúril auf seinen
Helm nieder. Wie eine Flamme blitzte es auf, und der Helm brach ausein-
ander. Mit gespaltetem Schädel stürzte der Ork zu Boden. Seine Gefolgs-
leute flohen heulend, als Boromir und Aragorn sich auf sie stürzten.
Dum, dum dröhnten die Trommeln in der Tiefe. Die laute Stimme er-
schallte wieder.
»Jetzt!« schrie Gandalf. »Jetzt ist die letzte Gelegenheit! Rennt, was ihr
könnt!«
Aragorn hob Frodo auf, der noch an der Wand lag, stürzte auf die
Treppe zu und stieß Merry und Pippin vor sich her. Die anderen folgten;
aber Gimli mußte von Legolas weggezerrt werden; trotz der Gefahr ver-
weilte er noch mit gesenktem Kopf an Balins Grab. Boromir zog die öst-
liche Tür zu, die in den Angeln quietschte; sie hatte große eiserne Ringe
an beiden Seiten, konnte aber nicht festgemacht werden.
»Mir fehlt nichts«, keuchte Frodo. »Ich kann laufen. Setz mich ab!«
Aragorn hätte ihn vor Verblüffung fast fallenlassen. »Ich dachte, du
seist tot!« rief er.
»Noch nicht«, sagte Gandalf. »Aber jetzt ist keine Zeit zum Staunen.
Weg mit euch, allesamt, die Treppen hinunter! Wartet unten ein paar
Minuten auf mich, aber wenn ich nicht bald komme, geht weiter. Geht
rasch und sucht euch Wege aus, die nach rechts und nach unten führen.«
»Wir können dich nicht allein lassen, um die Tür zu halten«, sagte
Aragorn.
»Tut, was ich euch sage!« sagte Gandalf grimmig. »Schwerter nützen
hier nichts mehr. Geht!«
Der Gang war durch keinen Schacht erhellt, sondern stockfinster. Sie
tasteten sich eine lange Treppenflucht hinunter und schauten sich dann
um; aber sie konnten nichts sehen als das schwache Schimmern des Zau-
bererstabs hoch über ihnen. Gandalf schien immer noch an der geschlos-
senen Tür Wache zu halten. Frodo atmete schwer und lehnte sich an Sam,
der den Arm um ihn legte. Sie standen in der Dunkelheit und starrten die
Treppe hinauf. Frodo glaubte Gandalfs Stimme oben zu hören, der Wörter
murmelte, die mit einem seufzendem Echo von dem schrägen Dach zu-
rückgeworfen wurden. Er konnte nicht verstehen, was er sagte. Die
Wände schienen zu zittern. Von Zeit zu Zeit dröhnten und hallten die
Trommelschläge: dum, dum.
Plötzlich sahen sie oben an der Treppe eine weiße Stichflamme. Dann
gab es ein dumpfes Gepolter und einen schweren Aufprall. Die Trommel-
schläge dröhnten wild: dum-bum, dum-bum, und hörten dann auf. Gandalf
kam die Treppe heruntergestürzt und fiel mitten zwischen den Gefährten
zu Boden.
»So, das ist vorbei«, sagte der Zauberer und stand mühsam wieder auf.
»Ich habe getan, was ich konnte. Doch habe ich meinen Gegner gefunden
und wäre beinahe vernichtet worden. Aber bleibt hier nicht stehen! Geht
weiter! Ihr müßt eine Weile ohne Licht auskommen: ich bin reichlich
benommen. Geht weiter! Wo bist du, Gimli? Komm mit mir voraus!
Bleibt alle dicht hinter uns!«
Sie stolperten hinter ihm her und fragten sich, was geschehen war.
Dum, dum fingen die Trommelschläge wieder an: aber sie klangen jetzt
gedämpfter und weit weg, aber sie kamen hinter ihnen her. Sonst war
nichts von Verfolgung zu hören, weder Fußtritte noch Stimmen. Gandalf
bog weder rechts noch links ab, denn der Gang schien in die Richtung zu
führen, die er einschlagen wollte. Ab und zu ging es wieder eine Treppe
hinunter, fünfzig oder mehr Stufen, zu einer tieferen Sohle. In diesem
Augenblick war das für sie die größte Gefahr; denn im Dunkeln konnten
sie nicht sehen, wo die Treppe begann, und sie merkten es erst, wenn ihre
Füße ins Leere traten. Gandalf tastete mit seinem Stab den Boden ab wie
ein Blinder.
Nach einer Stunde waren sie eine Meile oder vielleicht ein wenig mehr
gelaufen und viele Treppen hinuntergestiegen. Es war immer noch kein
Verfolger zu hören. Fast begannen sie zu hoffen, daß sie entkommen
könnten. Am Fuße der siebenten Treppe blieb Gandalf stehen.
»Es wird heiß«, keuchte er. »Wir müßten jetzt schon mindestens auf der
Höhe der Tore sein. Bald sollten wir, glaube ich, nach einem links abbie-
genden Weg Ausschau halten, der uns nach Osten führt. Ich hoffe, es ist
nicht weit. Ich bin sehr erschöpft. Ich muß hier einen Augenblick rasten,
selbst wenn alle jemals gezüchteten Orks uns auf den Fersen wären.«
Gimli nahm seinen Arm und half ihm, sich auf die Treppe zu setzen.
»Was ist da oben an der Tür geschehen?« fragte er. »Hast du den
Trommler gesehen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Gandalf. »Aber mir stand plötzlich
etwas gegenüber, dem ich noch nicht begegnet war. Mir fiel nichts anderes
ein als zu versuchen, die Tür mit einem Zauberspruch zu verschließen. Ich
kenne viele; aber um derlei Dinge richtig zu machen, braucht es Zeit, und
selbst dann kann die Tür noch mit Gewalt aufgebrochen werden.
Als ich da stand, hörte ich Orkstimmen auf der anderen Seite; jeden
Augenblick, glaubte ich, würden sie die Tür aufstoßen. Ich konnte nicht
verstehen, was sie sagten; sie schienen in ihrer abscheulichen Sprache zu
reden. Das einzige, was ich aufschnappte, war ghâsh: das ist >Feuer<.
Dann kam etwas in die Kammer — ich spürte es durch die Tür, und selbst
die Orks hatten Angst und wurden still. Es packte den eisernen Ring,
und dann bemerkte es mich und meinen Zauberspruch.
Was es war, kann ich nicht erraten, aber ich habe nie eine derartige
Herausforderung verspürt. Der Gegenzauber war fürchterlich. Er hätte
mich fast zerbrochen. Für einen Augenblick entglitt die Tür meiner Herr-
schaft und begann sich zu öffnen. Ich mußte ein Wort der Macht spre-
chen. Das erwies sich als eine zu große Spannung. Die Tür zerbarst in
Stücke. Irgend etwas Dunkles wie eine Wolke sperrte drinnen alles
Licht aus, und ich wurde rückwärts die Treppe hinuntergeworfen. Die
ganze Wand stürzte ein, und das Dach der Kammer auch, glaube ich.
Ich fürchte. Balin ist tief begraben, und vielleicht ist auch etwas ande-
res dort begraben. Ich kann es nicht sagen. Aber wenigstens ist der Gang
hinter uns völlig versperrt worden. Ah! Nie zuvor habe ich mich so er-
schöpft gefühlt, aber es geht vorbei. Und nun, wie steht es mit dir, Frodo?
Ich hatte keine Zeit, es vorhin zu sagen, aber ich habe mich nie in mei-
nem Leben mehr gefreut als in dem Augenblick, als du sprachst. Ich
fürchtete, daß Aragorn einen tapferen, aber toten Hobbit trug.«
»Wie es mit mir steht?« sagte Frodo. »Ich lebe und bin heil, glaube ich.
Ich habe blaue Flecken und Schmerzen, aber es ist nicht so schlimm.«
»Na«, meinte Aragorn, »ich kann nur sagen, daß Hobbits aus einem so
harten Holz geschnitzt sind, wie ich es mir nicht hatte vorstellen können.
Hätte ich das gewußt, dann hätte ich im Gasthaus von Bree sanfter ge-
sprochen. Dieser Speerstoß hätte einen wilden Eber aufgespießt!«
»Mich hat er zum Glück nicht aufgespießt«, sagte Frodo. »Obwohl mir
zumute ist, als sei ich zwischen Hammer und Amboß geraten.« Er sagte
weiter nichts. Das Atmen tat ihm weh.
»Du schlägst Bilbo nach«, meinte Gandalf. »An dir ist mehr dran,
als das Auge sieht, was ich von ihm schon vor langer Zeit behauptet
.habe.« Frodo fragte sich, ob diese Bemerkung mehr bedeutete, als sie be-
sagte.
Sie gingen jetzt wieder weiter. Kurz darauf sprach Gimli. Er hatte im
Dunkeln scharfe Augen. »Ich glaube«, sagte er, »da vorne ist Licht. Aber
es ist kein Tageslicht. Es ist rot. Was kann das sein?«
»Gâsh!« murmelte Gandalf. »Ob sie wohl das gemeint haben: daß die
tieferen Sohlen in Brand gesetzt sind? Dennoch, wir können nur weiter-
gehen.«
Bald wurde der Lichtschein unverkennbar, und alle konnten ihn sehen.
Er flackerte und glühte auf den Wänden des Ganges vor ihnen. Ihren
Weg konnten sie jetzt sehen: vor ihnen führte er rasch hinunter, und ein
Stück weiter vom war ein niedriger Bogendurchgang; durch ihn kam der
immer heller werdende Lichtschein. Es wurde sehr heiß.
Gandalf ging unter dem Bogen hindurch und bedeutete ihnen, zu war-
ten. Als er unmittelbar hinter dem Durchgang stand, sahen sie, daß sein
Gesicht von einem roten Schein erhellt war. Er trat rasch zurück.
»Da ist irgendeine neue Teufelei im Gange«, sagte er, »zweifellos als
Willkommensgruß für uns gedacht. Aber ich weiß jetzt, wo wir sind: wir
haben die Erste Tiefe erreicht, die Sohle direkt unter den Toren. Dies ist
die Zweite Halle von Alt-Moria; und die Tore sind nahe: dort drüben am
östlichen Ende, links, nicht mehr als eine Viertelmeile. Über die Brücke,
eine breite Treppe hinauf, über eine breite Straße, durch die Erste Halle
und hinaus! Aber kommt und seht!«
Sie schauten hinaus. Vor ihnen lag eine weitere höhlenartige Halle. Sie
war höher und länger als jene, in der sie geschlafen hatten. Sie befanden
sich in der Nähe ihres östlichen Endes; nach Westen zu herrschte Dunkel-

heit. In der Mitte erhob sich eine doppelte Reihe von Säulen. Sie waren
gemeißelt wie die Stämme mächtiger Bäume, deren Äste mit einem ver-
zweigten Maßwerk aus Stein das Dach trugen. Die Stämme waren
glatt und schwarz, doch ein rotes Glühen spiegelte sich dunkel auf ihnen.
Quer durch den Fußboden, dicht am Fuß von zwei riesigen Säulen, hatte
sich ein großer Spalt aufgetan. Aus ihm drang ein heller roter Licht-
schein, und ab und zu züngelten Flammen am Rand und ringelten sich
um den Sockel der Säulen. Dunkle Rauchwölkchen zogen durch die heiße
Luft.
»Wenn wir von den oberen Hallen über den Hauptweg gekommen
wären, dann hätten wir hier in der Falle sitzen sollen«, sagte Gandalf.
»Laßt uns hoffen, daß das Feuer jetzt zwischen uns und unseren Verfolgern
liegt. Kommt! Es ist keine Zeit zu verlieren!«
Während er noch sprach, ertönte wieder der Trommelschlag: Dum,
dum, dum.
Hinter den Schatten an der Westseite der Halle waren in der
Ferne Schreie und Hornstöße zu hören. Dum, Dum: die Säulen schienen
zu beben und die Flammen zu erzittern.
»Jetzt auf zum letzten Lauf!« sagte Gandalf. »Wenn draußen die Sonne
scheint, können wir noch entkommen. Mir nach!«
Er wandte sich nach links und eilte über den glatten Boden der Halle.
Die Entfernung war größer, als es den Anschein gehabt hatte. Während
sie rannten, hörten sie das Stampfen und den Widerhall von vielen
hastenden Füßen hinter sich. Ein schriller Schrei verriet, daß sie gesehen
worden waren. Es gab ein Gerassel und Geklirr von Stahl. Ein Pfeil
schwirrte über Frodos Kopf.
Boromir lachte. »Das haben sie nicht erwartet«, sagte er. »Das Feuer
hat sie abgeschnitten. Wir sind auf der falschen Seite!«
»Schaut nach vorn!« rief Gandalf. »Die Brücke ist nahe. Sie ist gefähr-
lich und schmal.«
Plötzlich sah Frodo einen schwarzen Abgrund vor sich. Am Ende der
Halle verschwand der Fußboden und stürzte in eine unbekannte Tiefe. Die
Tür nach draußen konnte nur über eine schlanke Steinbrücke ohne Rand-
steine oder Geländer erreicht werden, die den Abgrund in einem einzigen
großen Bogen von fünfzig Fuß überspannte. Es war eine alte Verteidi-
gungsanlage der Zwerge für den Fall, daß es einem Feind gelang, die Erste
Halle und die äußeren Gänge einzunehmen. Sie konnten die Brücke nur
einer hinter dem anderen überschreiten. Am Rand blieb Gandalf stehen,
und die anderen holten ihn ein.
»Geh du voran, Gimli«, sagte er. »Dann Pippin und Merry. Geradeaus
weiter und die Treppe hinter der Tür hinauf.«
Pfeile fielen auf sie. Einer traf Frodo und prallte ab. Ein zweiter durch-
bohrte Gandalfs Hut und blieb dort wie eine schwarze Feder stecken.
Frodo schaute sich um. Hinter dem Feuer sah er wimmelnde schwarze
Gestalten: es schienen Hunderte von Orks zu sein. Sie schwenkten Speere
und Krummsäbel, die im Schein des Feuers blutrot glänzten. Dum, dum
dröhnten die Trommelschläge und wurden lauter und lauter, dum, dum.
Legolas drehte sich um und legte einen Pfeil an die Sehne, obwohl es
ein weiter Schuß war für seinen kleinen Bogen. Er zog ab, aber seine
Hand fiel herunter, und der Pfeil glitt auf den Boden. Er stieß einen
Schreckensschrei aus. Zwei große Trolle erschienen; sie trugen große
Steinplatten und schleuderten sie hinunter als Laufbretter über das Feuer.
Aber es waren nicht die Trolle, die den Elben mit Entsetzen erfüllt hat-
ten. Die Reihen der Orks hatten sich geöffnet, und sie wichen zurück, als
ob sie selbst Angst hätten. Irgend etwas kam hinter ihnen heran. Was es
war, konnte man nicht sehen: es war wie ein großer Schatten, in dessen
Mitte sich ein dunkler Umriß abzeichnete, von Menschengestalt vielleicht,
doch größer; und Macht und Schrecken schien in ihm zu sein und ihm
voranzugehen.
Es kam an den Rand des Feuers, und dessen Schein verblaßte, als ob sich
eine Wolke darüber lege. Dann sprang es über den Spalt. Die Flammen
loderten auf, um es zu grüßen, und schlängelten sich darum; und ein
schwarzer Rauch wirbelte durch die Luft. Seine flatternde Mähne fing
Feuer und brannte hinter ihm lichterloh. In seiner rechten Hand war eine
Klinge wie eine zustoßende Zunge aus Feuer; in der Linken hielt es eine
Peitsche mit vielen Riemen.
»Wehe! Wehe!« jammerte Legolas. »Ein Balrog! Ein Balrog ist gekom-
men!« Gimli starrte mit aufgerissenen Augen. »Durins Fluch!« rief er, ließ
seine Axt fallen und bedeckte sein Gesicht.
»Ein Balrog«, murmelte Gandalf. »Jetzt verstehe ich.« Er schwankte
und stützte sich schwer auf seinen Stab. »Was für ein Unglück! Und ich
bin schon müde.«
Die dunkle, Feuer verströmende Gestalt raste auf sie zu. Die Orks
kreischten und schwärmten über die steinernen Laufbretter aus. Da hob
Boromir sein Horn und blies. Laut erschallte die Herausforderung und
gellte wie der Schrei vieler Kehlen unter dem Gewölbe. Einen Augenblick
verloren die Orks den Mut, und der feurige Schatten verharrte. Dann er-
starben die Echos plötzlich wie eine Flamme, die von einem dunklen
Wind ausgeblasen wird, und der Feind ging wieder vor.
»Über die Brücke!« rief Gandalf, der wieder Kraft gesammelt hatte.
»Flieht! Das ist ein Feind, gegen den ihr alle nichts ausrichten könnt. Ich
muß den schmalen Weg halten. Flieht!« Aber Aragorn und Boromir hör-
ten nicht auf den Befehl und blieben Seite an Seite hinter Gandalf am
anderen Ende der Brücke stehen. Die anderen hielten an der Tür am Ende
der Halle an und drehten sich um, denn sie brachten es nicht über sich,
ihren Führer dem Feind allein gegenübertreten zu lassen.
Der Balrog erreichte die Brücke. Gandalf stand in der Mitte des Bogens
und stützte sich auf den Stab in seiner Linken, aber in seiner Rechten
glänzte Glamdring, kalt und weiß. Sein Feind blieb wieder stehen und
schaute ihn an, und der Schatten um ihn reckte sich wie zwei riesige Flü-
gel. Er hob die Peitsche, und die Riemen wimmerten und knallten. Feuer
drang aus seinen Nüstern. Aber Gandalf stand fest.
»Du kannst nicht vorbei«, sagte er. Die Orks blieben stehen, und eine
Totenstille trat ein. »Ich bin ein Diener des Geheimen Feuers und Gebie-
ter über die Flamme von Anor. Du kannst nicht vorbei. Das dunkle Feuer
wird dir nichts nützen. Flamme von Udûn. Geh zurück zu den Schatten.
Du kannst nicht vorbei.«
Der Balrog gab keine Antwort. Das Feuer in ihm schien zu ersterben,
aber die Finsternis nahm zu. Langsam ging er weiter auf der Brücke, und
plötzlich richtete er sich zu seiner ganzen Größe auf, und seine Flügel er-
streckten sich von Wand zu Wand; aber immer noch war Gandalf zu
sehen, schimmernd in der Düsternis; er sah klein aus und ganz allein:
grau und gebeugt wie ein dürrer Baum, ehe ein Sturm losbricht.
Aus dem Schatten sprang flammend ein rotes Schwert hervor.
Glamdring glitzerte weiß als Antwort.
Es gab einen klirrenden Aufprall und eine weiße Stichflamme. Der Bal-
rog wich zurück, und sein Schwert flog hoch, in Stücke zerschmolzen.
Der Zauberer schwankte auf der Brücke, trat einen Schritt zurück und
blieb dann wieder stehen.
»Du kannst nicht vorbei!« sagte er.
Mit einem Satz sprang der Balrog ganz auf die Brücke. Seine Peitsche
wirbelte und zischte.
»Er kann allein nicht standhalten!« rief Aragorn plötzlich und rannte
wieder die Brücke entlang. »Elendil!« schrie er. »Ich bin bei dir, Gan-
dalf!«
»Gondor!« schrie Boromir und setzte ihm nach.
In diesem Augenblick hob Gandalf seinen Stab, und mit einen lauten
Ruf schlug er vor sich auf die Brücke. Der Stab zerbrach und fiel ihm aus
der Hand. Eine blendend weiße Feuerwand stieg vor ihm auf. Die Brücke
krachte. Genau zu den Füßen des Balrogs barst sie, und der Stein, auf dem
er gestanden hatte, stürzte in den Abgrund, während der Rest stehen-
blieb, schwebend, bebend wie eine ins Leere hinausgestreckte Zunge aus
Fels.
Mit einem entsetzlichen Aufschrei fiel der Balrog vornüber, und sein
Schatten stürzte hinab und verschwand. Doch noch im Fallen schwang er
seine Peitsche, und die Riemen trafen die Knie des Zauberers, wickelten
sich herum und zogen ihn an den Rand. Er schwankte und fiel, griff ver-
gebens nach dem Stein und glitt in den Abgrund. »Flieht, ihr Narren!«
schrie er und war weg.
Die Feuer erloschen, und es wurde völlig dunkel. Die Gemeinschaft
stand vor Entsetzen wie angewurzelt und starrte in den Abgrund. Gerade
als Aragorn und Boromir zurückgeeilt kamen, krachte die Brücke wieder,
und der Rest stürzte ein. Mit einem Schrei scheuchte Aragorn sie auf.
»Kommt! Ich werde euch jetzt führen!« rief er. »Wir müssen seinem
letzten Befehl gehorchen. Folgt mir!«
Sie stolperten wie wild die große Treppe hinter der Tür hinauf. Ara-
gom lief vorauf, Boromir am Schluß. Oben kamen sie in einen breiten,
widerhallenden Gang. Ihn entlang flohen sie. Frodo hörte Sam an seiner
Seite weinen, und dann merkte er, daß er selbst weinte, während er
rannte. Dum, dum, dum dröhnten die Trommelschläge hinter ihnen,
trauervoll jetzt und langsam; dum!
Sie rannten weiter. Es wurde heller vor ihnen; große Schächte durch-
brachen das Dach. Sie rannten schneller. Sie kamen in eine Halle, in die
Tageslicht durch hohe Fenster an der Ostseite eindrang. Sie hasteten hin-
durch. Sie gelangten durch die riesigen zerbrochenen Türen, und plötzlich
öffneten sich die Großen Tore vor ihnen, ein Bogen aus blendendem Licht.
Eine Orkwache kauerte in den Schatten hinter den großen Türpfosten
an beiden Seiten, aber die Tore waren zertrümmert und umgeworfen.
Aragorn schlug den Hauptmann zu Boden, der sich ihm in den Weg
stellte, und die anderen flohen voll Entsetzen vor seinem Zorn. Die Ge-
meinschaft eilte an ihnen vorbei und kümmerte sich nicht um sie. Nach-
dem sie aus den Toren heraus waren, rannten und sprangen sie die riesi-
gen, jahrhundertealten Stufen hinunter, über die Schwelle von Moria.
So kamen sie schließlich hoffnungslos ans Tageslicht und spürten den
Wind auf ihren Gesichtern.
Erst als sie außer Bogenschußweite von den Mauern waren, hielten sie
an. Sie waren im Schattenbachtal. Der Schatten des Nebelgebirges lag auf
ihm, aber im Osten stand ein goldenes Licht über dem Land. Es war erst
eine Stunde nach dem Mittag. Die Sonne schien; die Wolken waren weiß ;
und hoch.
Sie schauten zurück. Dunkel gähnte das Torgewölbe unter dem Berg-
schatten. Schwach und tief unter der Erde dröhnten die langsamen Trom-
melschläge: Dum. Ein dünner schwarzer Rauch stieg auf. Nichts sonst war
zu sehen; das Tal rundum war leer. Dum. Der Schmerz überwältigte sie
schließlich, und sie weinten lange: einige stehend und schweigend, einige
hatten sich auf den Boden geworfen. Dum, dum. Die Trommelschläge
erstarben.

<= =>