SIEBTES KAPITEL
IN TOM BOMBADILS HAUS

Die vier Hobbits traten über die breite Steinschwelle und blieben blin-
zelnd stehen. Sie befanden sich in einem langen, niedrigen Raum, erleuchtet
von Lampen, die von den Dachbalken herabhingen; und auf einem Tisch
aus dunklem, poliertem Holz standen viele hohe, gelbe Kerzen, die hell
brannten.
In einem Stuhl an der Rückwand des Raumes gegenüber der Eingangstür
saß eine Frau. Ihr langes goldblondes Haar wallte ihr über die Schultern;
ihr Gewand war grün, grün wie junges Schilf, durchwirkt mit Silber wie
Tauperlen; und ihr Gürtel war aus Gold, geformt wie eine Kette aus
Schwertlilien und besetzt mit blaßblauen Vergißmeinnichtknospen. Zu
ihren Füßen standen große Schalen aus grünem und braunem Steingut, in
denen Wasserlilien schwammen, so daß es aussah, als throne sie inmitten
eines Teiches.
»Tretet ein, liebe Gäste«, sagte sie, und als sie sprach, wußten die Hob-
bits, daß es ihre klare Stimme gewesen war, die sie hatten singen hören.
Sie kamen schüchtern ein paar Schritte weiter in den Raum und verbeug-
ten sich tief, und sie waren ebenso überrascht und verlegen wie Leute, die
an einem Bauernhaus klopfen, weil sie um einen Schluck Wasser bitten
wollen, und denen eine schöne junge Elbenkönigin in einem Gewand aus
lebenden Blumen die Tür öffnet. Aber ehe sie etwas sagen konnten,
sprang die Frau leichtfüßig auf und über die Lilienschalen hinweg und
lief lachend auf sie zu; und während sie lief, raschelte ihr Gewand leise
wie der Wind an den blühenden Ufern eines Flusses.
»Kommt, liebe Leute!« sagte sie und nahm Frodo bei der Hand. »Lacht
und seid fröhlich! Ich bin Goldbeere, Tochter des Flusses.« Dann ging sie
an ihnen vorbei, schloß die Tür, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und
breitete ihre weißen Arme davor aus. »Laßt uns die Nacht aussperren!«
sagte sie. »Denn vielleicht fürchtet ihr euch immer noch vor Nebel und
Baumschatten und tiefem Wasser und bösen Wesen. Fürchtet euch nicht!
Denn heute nacht seid ihr unter Tom Bombadils Dach.«
Die Hobbits sahen sie voll Staunen an, und sie schaute jeden von ihnen
an und lächelte. »Schöne Frau Goldbeere!« sagte Frodo schließlich und
fühlte eine Freude in seinem Herzen aufsteigen, die er nicht verstand. Er
war so bezaubert, wie er zuweilen von schönen Elbenstimmen bezaubert
gewesen war; aber der Zauber, der ihn jetzt umfing, war von anderer Art:
nicht so glühend und überirdisch war das Entzücken, vielmehr tiefer und
dem sterblichen Herzen näher; wunderbar, und dennoch nicht unvertraut.
»Schöne Frau Goldbeere!« wiederholte er. »Nun ist mir die Freude ver-
ständlich, die aus den Liedern sprach -

0 schlank wie der Weidenzweig! 0 klarer als die Quelle!
0 Schilfrohr am 'Wassersaum! 0 Tochter des Flusses!
0 Frühling und Sommerzeit und danach wieder Frühling!
0 Wind auf dem Wasserfall und Lachen des Laubes!

Plötzlich hielt er inne und stammelte, von Erstaunen überwältigt, daß
er sich selbst solche Dinge sagen hörte. Aber Goldbeere lachte.
»Willkommen!« sagte sie. »Ich habe nie gewußt, daß die Leute im
Auenland solche Dichter sind. Aber ich sehe, du bist ein Elbenfreund;
das Leuchten in deinen Augen und der Klang deiner Stimme verraten es.
Das ist ein frohes Treffen! Setzt euch und wartet auf den Herrn des Hau-
ses. Er wird nicht lange ausbleiben. Er versorgt eure müden Tiere.«
Die Hobbits setzten sich gern auf die niedrigen Stühle mit den Binsen-
sitzen, während Goldbeere sich am Tisch zu schaffen machte; und die
Augen der Hobbits folgten ihr, denn die schlanke Anmut ihrer Bewe-
gungen erfüllte sie mit stiller Freude. Von irgendwo hinter dem Hause
schallte Singen herüber. Immer wieder vernahmen sie zwischen so man-
chem Dong-long und dongelong und läute laute lillo die Worte:

Tom, alter Bombadil, lustiger Gevatter,
Blaue Jacke hat er an, gelbe Stiefel hat er.

»Schöne Frau«, sagte Frodo nach einer Weile. »Sagt mir, wenn meine
Frage nicht töricht klingt, wer ist Tom Bombadil?«
»Er ist«, antwortete Goldbeere, hielt in ihren raschen Bewegungen inne
und lächelte.
Frodo sah sie fragend an. »Er ist, wie ihr ihn gesehen habt«, sagte sie
als Antwort auf seinen Blick. »Er ist der Meister von Wald, Wasser und
Berg.«
»Dann gehört ihm dieses ganze sonderbare Land?«
»O nein«, antwortete sie, und ihr Lächeln verblaßte. »Das wäre wahr-
lich eine Bürde«, fügte sie leise hinzu, als spräche sie zu sich selbst. »Die
Bäume und die Gräser und alles, was im Land wächst oder lebt, gehören
sich selbst. Tom Bombadil ist der Meister. Niemand hat jemals den alten
Tom gefangen, wenn er im Wald wanderte, im Wasser watete, in Licht
und Schatten über die Berggipfel sprang. Er hat keine Furcht. Tom Bom-
badil ist der Meister.«
Eine Tür ging auf, und herein kam Tom Bombadil. Er trug jetzt keinen
Hut, und sein dichtes braunes Haar war mit Herbstblättern bekränzt. Er
lachte, ging zu Goldbeere und nahm ihre Hand.
»Hier ist meine schöne Herrin«, sagte er, indem er sich vor den Hob-
bits verbeugte. »Hier ist meine Goldbeere, in Silbergrün gekleidet und mit
Blumen im Gürtel! Ist der Tisch gedeckt? Ich sehe gelben Rahm und
Honigwaben und weißes Brot und Butter, Milch und Käse, grüne Kräuter
und reife Beeren. Ist das genug für uns? Ist das Abendbrot fertig?«
»Ja«, sagte Goldbeere, »aber vielleicht unsere Gäste nicht?«
Tom klatschte in die Hände und rief: »Tom! Tom! Deine Gäste sind
müde, und du hättest es fast vergessen! Kommt nun, meine lustigen
Freunde, Tom wird euch erfrischen! Schmutzige Hände sollt ihr säubern
und müde Gesichter waschen; eure staubigen Mäntel ausziehen und eure
Zotteln kämmen!«
Er öffnete die Tür, und sie folgten ihm über einen kurzen Flur und
dann scharf um die Ecke. Sie kamen in einen niedrigen Raum mit
schrägem Dach (offenbar ein Anbau an der Nordseite des Hauses). Die
Mauern waren aus nackten Steinen, aber größtenteils mit grünen Wand-
matten und gelben Vorhängen bedeckt. Der Fußboden war mit Fliesen
belegt und mit frischen, grünen Binsen bestreut. An einer Seite des Rau-
mes lagen vier dicke Matratzen auf dem Fußboden, jede mit weißen Dek-
ken versehen. An der gegenüberliegenden Wand standen auf einer langen
Bank große Steingutschüsseln und daneben braune Krüge, mit Wasser
gefüllt, manche kalt, manche dampfend heiß. Weiche grüne Hausschuhe
standen neben jedem Bett bereit.
Es dauerte nicht lange, da saßen die Hobbits, gewaschen und erfrischt,
am Tisch, zwei an jeder Seite, während an den beiden Enden Goldbeere
und der Meister saßen. Es war ein ausgedehntes und fröhliches Mahl.
Obwohl die Hobbits so viel aßen, wie nur ausgehungerte Hobbits essen
können, mangelte es an nichts. Das Getränk in ihren Humpen schien kla-
res, kaltes Wasser zu sein, doch stieg es ihnen zu Kopf wie Wein und
löste ihre Zungen, Die Gäste merkten plötzlich, daß sie fröhlich sangen,
als ob es leichter und natürlicher sei als Sprechen.
Schließlich erhoben sich Tom und Goldbeere und räumten rasch den
Tisch ab. Den Gästen wurde befohlen zu bleiben, sie wurden in Sessel
gesetzt, und jeder erhielt einen Schemel für die müden Füße. In dem
großen Kamin vor ihnen brannte ein Feuer, das süß duftete, als wären die
Scheite aus Apfelholz. Als alles in Ordnung gebracht war, wurden alle
Lichter im Raum ausgelöscht bis auf eine Lampe und ein Paar Kerzen an
beiden Seiten des Kamins. Dann kam Goldbeere und stand vor ihnen mit
einer Kerze in der Hand; und sie wünschte jedem von ihnen eine gute
Nacht und festen Schlaf.
»Habt nun Frieden«, sagte sie, »bis zum Morgen! Kümmert euch nicht
um nächtliche Geräusche! Denn nichts dringt hier durch Tür und Fenster
als Mondschein und Sternenlicht und der Wind vom Bergesgipfel. Gute
Nacht!« Sie verließ das Zimmer mit leisem Schimmer und Rascheln. Ihre
Schritte klangen wie ein Bach, der in der Stille der Nacht über kühle
Steine sanft zu Tal plätschert.
Tom blieb eine Weile schweigend bei ihnen sitzen, während jeder von
ihnen den Mut aufzubringen versuchte, eine der vielen Fragen zu stellen,
die er schon beim Abendessen hatte vorbringen wollen. Schlaf lastete
schwer auf ihren Augen. Schließlich sprach Frodo: »Habt Ihr mich rufen
hören, Meister, oder war es nur der Zufall, der Euch in jenem Augenblick
herbeibrachte?«
Tom erwachte wie jemand, der aus einem erfreulichen Traum gerissen
wird. »Wie, was?« fragte er. »Ob ich dich habe rufen hören? Nein, ich
habe nichts gehört: ich war mit Singen beschäftigt. Bloßer Zufall brachte
mich dorthin, wenn du es Zufall nennst. Ich hatte es nicht geplant, ob-
wohl ich auf euch wartete. Wir erhielten Nachricht über euch und erfuh-
ren, daß ihr auf der Wanderschaft seid. Wir vermuteten, daß ihr bald zum
Wasser herunterkämt: alle Pfade führen dorthin, zur Weidenwinde hin-
unter. Der Alte Graue Weidenmann ist ein gewaltiger Sänger; und es ist
schwer für kleine Leute, aus seinem listenreichen Irrgarten zu entkom-
men. Aber Tom hatte dort etwas zu tun, was er nicht zu hindern wagte.«
Tom nickte, als ob der Schlaf ihn wieder übermanne; doch fuhr er mit lei-
ser singender Stimme fort:

Dort hatte ich zu tun, wollte etwas holen:
Grüne Blätter holte ich, weiße Wasserlilien.
Goldbeere bring ich sie, Goldbeere freut sich,
Wenn sie ihr zu Füßen blühn, bis es taut im Frühling,
Hol sie ihr in jedem Herbst, eh die Flocken fallen,
Aus dem tiefen Wasserloch an der Weidenwinde;
Denn die ersten blühen dort und spät im Jahr die letzten.
Fand ich doch vor langer Zeit am Weiher dort sie selber,

Holdes Kind der Wasserfrau, saß sie tief im Röhricht,
Klang ihr Singen mir so süß, schlug ihr Herz voll Leben!

Er öffnete die Augen und schaute die Hobbits mit einem plötzlich
blauen Aufleuchten an:
Nun! Zum Glücke fiel's Euch aus — wäre nämlich nimmer
In den Wald zurückgekehrt an die Weidenwinde,
Denn das Jahr ist alt; so spät war ich nicht gekommen
Bis zum Windelpfad hinab, eh' des Stromes Tochter,
Kehrt der Frühling erst zurück, froh hinuntertänzelt,
Um im silberhellen Fluß voller Lust zu baden.

Er verfiel wieder in Schweigen; aber Frodo konnte sich nicht enthalten,
ihm noch eine Frage zu stellen: die Frage, an deren Beantwortung ihm am
meisten lag. »Erzählt uns, Meister«, sagte er, »vom Weidenmann. Was ist
er? Ich habe noch nie von ihm gehört.«
»Nein, bitte nicht!« sagten Merry und Pippin wie aus einem Munde
und setzten sich plötzlich auf. »Nicht jetzt! Nicht vor dem Morgen.«
»Das ist richtig«, sagte der alte Mann. »Jetzt ist die Zeit zum Ruhen.
Manche Dinge sind nicht gut zu hören, wenn die Welt im Schatten liegt.
Schlaft bis zum Morgenlicht, ruht auf dem Kissen! Kümmert euch nicht
um nächtliche Geräusche! Fürchtet keine graue Weide!« Und damit nahm
er die Lampe herab, blies sie aus, ergriff mit jeder Hand eine Kerze und
führte sie aus dem Raum hinaus.
Ihre Matratzen und Kissen waren weich wie Daunen und die Decken
aus weißer Wolle. Kaum hatten sie sich auf den niedrigen Betten ausge-
streckt und die leichten Decken über sich gezogen, da schliefen sie schon.
Mitten in der Nacht lag Frodo in einem Traum ohne Licht. Dann sah er
den jungen Mond aufsteigen; in seinem schwachen Schein erblickte er
eine schwarze Felswand, die vor ihm aufragte, durchbrochen von einem
dunklen Bogen wie ein großes Tor. Frodo war, als werde er emporgeho-
ben, und während er hinüberglitt, sah er, daß die Felswand zu einem
Kranz von Bergen gehörte, die eine Ebene umschlossen, und in der Mitte
der Ebene stieg eine Felszinne auf wie ein großer Turm, aber nicht von
Händen erbaut. Auf ihrer Spitze stand die Gestalt eines Mannes. Der auf-
gehende Mond schien einen Augenblick über seinem Kopf zu hängen und
schimmerte in seinem weißen Haar, das der Wind bewegte. Aus der
dunklen Ebene tief unten drang das Geschrei grausiger Stimmen herauf
und das Heulen vieler Wölfe. Plötzlich zog ein Schatten, geformt wie
große Flügel, über den Mond. Der Mann hob die Arme, und ein
Blitz zuckte an dem Stab, den er .schwenkte. Ein mächtiger Adler stieß
herab und trug ihn davon. Die Stimmen klagten und die Wölfe winselten.
Es hörte sich an, als ob ein starker Wind wehe, und er trug das Geräusch
von Hufen herüber, die von Osten heranritten. »Schwarze Reiter!« dachte
Frodo, als er aufwachte und im Geist noch das Geräusch der Hufe hörte. Er
fragte sich, ob er jemals wieder den Mut haben würde, die Sicherheit dieser
Steinmauern zu verlassen. Reglos lag er da und lauschte immer noch; aber
alles war jetzt still, und schließlich drehte er sich um und schlief wieder
fest ein oder sank in irgendeinen anderen Traum, an den er sich nicht er-
innerte.
An seiner Seite lag Pippin und träumte etwas Schönes; aber seine
Träume veränderten sich, und er warf sich hin und her und stöhnte.
Plötzlich wachte er auf oder glaubte, er sei aufgewacht, und doch hörte er
in der Dunkelheit noch das Geräusch, das ihn im Traum verfolgt hatte:
tipp-tapp, quietsch: es klang wie wenn sich Äste im Wind reiben oder
Zweige an Wand und Fenster scharren: knarr, knarr, knarr. Er fragte
sich, ob dicht am Haus Weiden stünden; und dann plötzlich hatte er das
entsetzliche Gefühl, daß er gar nicht in einem richtigen Hause sei, sondern
in der Weide, und daß er wieder diese schreckliche, trockene, kräch-
zende Stimme höre, die ihn auslachte. Er setzte sich auf, fühlte, wie die
weichen Kissen unter seiner Hand nachgaben, und legte sich erleichtert
wieder hin. Er glaubte, das Echo von Worten zu vernehmen: »Fürchtet
euch nicht! Habt Frieden bis zum Morgen! Kümmert euch nicht um nächt-
liche Geräusche!« Dann schlief er wieder ein.
Es war das Geräusch von Wasser, das Merry hörte, als er in ruhigen
Schlaf fiel: Wasser, das sanft herabströmte und sich dann ausbreitete,
sich unwiderstehlich im ganzen Haus zu einem dunklen uferlosen Pfuhl
ausbreitete. Es gurgelte unter den Wänden und stieg langsam, aber stetig.
»Ich werde ertrinken«, dachte er. »Es wird den Weg herein finden, und
dann werde ich ertrinken.« Er hatte das Gefühl, als läge er in einem wei-
chen, glitschigen Moor; er sprang auf und setzte seinen Fuß auf kalte,
harte Fliesen. Da erinnerte er sich, wo er war, und legte sich wieder hin.
Er schien zu hören oder sich zu erinnern: »Denn nichts dringt hier durch
Tür und Fenster als Mondschein und Sternenlicht und der Wind vom Ber-
gesgipfel.« Ein kleiner Lufthauch bewegte den Vorhang. Er atmete tief
und schlief wieder ein.
Soweit Sam sich erinnern konnte, hatte er die ganze Nacht selig wie ein
Murmeltier geschlafen, falls Murmeltiere selig schlafen.
Sie wachten, alle vier auf einmal, im Morgenlicht auf. Tom ging im
Zimmer umher und pfiff wie ein Star. Als er hörte, daß sie sich rührten,
klatschte er in die Hände und rief: »He! Kommt, Dongelong, Kamera-
den!« Er zog die gelben Vorhänge auf, und die Hobbits sahen, daß sie die
Fenster an den beiden Seiten des Zimmers verdeckt hatten, eins ging nach
Osten und das andere nach Westen.
Erfrischt sprangen sie auf. Frodo lief an das Ostfenster und blickte hin-
aus in einen Gemüsegarten, grau von Tau. Er hatte halb erwartet, daß der
Rasen bis zu den Wänden reichen und mit Hufspuren übersät sein würde.
In Wirklichkeit war ihm die Aussicht durch eine Reihe hoher Stangen-
bohnen versperrt; über und weit hinter ihnen hob sich indes der graue
Gipfel des Berges vor dem Sonnenaufgang ab. Es war ein fahler Morgen:
hinter langgezogenen Wolken, die wie Strähnen schmutziger Wolle mit
roten Flecken an den Rändern aussehen, lagen im Osten schimmernde
gelbe Flächen. Der Himmel versprach Regen; aber das Licht breitete sich
rasch aus, und gegen die nassen grünen Blätter begannen die roten Blüten
an den Bohnen zu leuchten.
Pippin schaute aus dem Westfenster hinunter in ein Nebelmeer. Der
Wald war hinter Nebel verborgen. Es war, wie wenn man von oben auf
eine abschüssige Wolkendecke schaut. Da war eine Senke oder Rinne, wo
sich der Nebel in viele Schleier und Schwaden teilte: das Tal der Weiden-
winde. Der Fluß strömte linker Hand den Berg hinunter und verschwand
in den weißen Schatten. Nah am Haus war ein Blumengarten und eine
mit einem silbernen Netz überzogene, gestutzte Hecke, und dahinter
graues, geschnittenes Gras, fahl schimmernd vor lauter Tautropfen. Es war
keine Weide zu sehen.
»Guten Morgen, liebe Freunde!« rief Tom und machte das Ostfenster
weit auf. Kühle Luft strömte herein; sie roch nach Regen. »Die Sonne
wird sich heute nicht viel sehen lassen, glaube ich. Ich bin schon weit ge-
laufen und auf den Berggipfel gesprungen, seit der Morgen graute, habe
nach Wind und Wetter geschnuppert, nasses Gras unter den Füßen und
nassen Himmel über mir. Goldbeere habe ich geweckt, als ich unter dem
Fenster sang; aber nichts weckt Hobbit-Leute am frühen Morgen. Nachts
wacht das kleine Volk in der Dunkelheit auf, und wenn es hell geworden
ist, schläft es! Dong-long! Wacht nun auf, meine fröhlichen Freunde!
Vergeßt die nächtlichen Geräusche! Dong-long, dongelong, Kameraden!
Wenn ihr bald kommt, findet ihr Frühstück auf dem Tisch. Kommt ihr
spät, gibt's Gras und Regenwasser!«
Obwohl Toms Drohung nicht sehr ernst klang, kamen die Hobbits
selbstverständlich bald und verließen den Tisch spät, und zwar erst, als er
schon ziemlich leer aussah. Weder Tom noch Goldbeere waren da. Tom
hörte man im Haus herumwirtschaften, in der Küche klappern, die Trep-
pen hinauf und hinunter springen und draußen singen, mal hier, mal
dort. Das Zimmer schaute nach Westen auf das nebelverhangene Tal, und
das Fenster war offen. Wasser tropfte von dem strohgedeckten Dachvor-
sprung. Ehe sie mit dem Frühstück fertig waren, hatten sich die Wolken
zu einer geschlossenen Decke zusammengezogen, und ein richtiger grauer
Regen fiel sanft und stetig. Er war wie ein dichter Vorhang, der den Wald
völlig verhüllte.
Als sie aus dem Fenster schauten, drang zu ihnen sanft, als strömte sie
mit dem Regen herab, die klare Stimme von Goldbeere, die über ihnen
sang. Sie konnten wenig Wörter verstehen, aber sie erkannten, daß es ein
Regenlied war, so süß wie Schauer auf trockene Berge, und es erzählte die
Geschichte eines Flusses von der Quelle im Hochland bis zum Meer weit
drunten. Die Hobbits lauschten voll Entzücken; und Frodo war im
Grunde seines Herzens froh und pries das freundliche Wetter, weil es
ihren Abschied verzögerte. Der Gedanke an den Aufbruch hatte von
dem Augenblick, da er erwachte, schwer auf ihm gelastet; aber jetzt ver-
mutete er, daß sie an diesem Tag nicht weitergehen würden.
Der Höhenwind blies beständig aus Westen, und tiefer hängende und
nassere Wolken rollten heran und luden ihre Regenlast auf den kahlen
Gipfeln der Höhen ab. Nichts war um das Haus herum zu sehen als strö-
mendes Wasser. Frodo stand an der offenen Tür und sah zu, wie sich der
kreidige Weg in einen kleinen Milchbach verwandelte und hinunter ins
Tal plätscherte. Tom Bombadil kam um die Hausecke und schwenkte die
Arme, als ob er den Regen abwehrte — und tatsächlich schien er, als er
über die Schwelle sprang, trocken zu sein bis auf seine Stiefel. Sie zog er
aus und stellte sie in die Kaminecke. Dann setzte er sich auf den größten
Stuhl und rief die Hobbits zu sich.
»Heute ist Goldbeeres Waschtag«, sagte er, »und ihr Herbstgroßreine-
machen. Zu naß für Hobbits — sie sollen ausruhen, solange sie können!
Es ist ein guter Tag für lange Erzählungen, für Fragen und Antworten,
und so wird Tom mit dem Reden beginnen.«
Er erzählte ihnen dann viele bemerkenswerte Geschichten, manchmal
so, als spräche er mit sich selbst, manchmal schaute er sie plötzlich mit
seinen leuchtenden blauen Augen unter den dichten Brauen an. Oft fing er
plötzlich an zu singen und stand dann auf und tanzte umher. Er erzählte
ihnen von Bienen und Blumen, von den Eigenheiten der Bäume und der
seltsamen Geschöpfe im Wald, von bösen Wesen und guten Wesen,
freundlichen und unfreundlichen, grausamen und gütigen, und von Ge-
heimnissen, verborgen unter Gestrüpp.
Während sie zuhörten, begannen sie das Leben im Wald zu verstehen,
das so ganz anders war als ihr eigenes, ja sich geradezu als Fremdlinge zu
empfinden, wo alle anderen Wesen zuhause waren. Immer wieder kam in
Toms Erzählungen der Alte Weidenmann vor, und Frodo erfuhr nun ge-
nug über ihn, um seine Neugier zu befriedigen, ja mehr als genug, denn
es war keine beruhigende Kunde. Toms Worte enthüllten die Herzen der
Bäume und ihre Gedanken, die oft dunkel und seltsam waren und voller
Haß auf die Lebewesen, die sich frei auf der Erde bewegen und nagen,
beißen, brechen, abhacken und verbrennen können: Zerstörer und Ein-
dringlinge. Der Alte Wald trug seinen Namen nicht ohne Grund, denn er
war wahrlich uralt, ein Überbleibsel der riesigen vergessenen Wälder;
und in ihm lebten noch die Vorväter der Bäume, die sich noch der Zeiten
entsannen, da sie die Herren waren, und sie alterten nicht rascher als die
Berge. Die unzähligen Jahre hatten sie mit Hochmut und eingewurzelter
Weisheit und mit Bosheit erfüllt. Aber keiner war gefährlicher als der
große Weidenbaum: sein Herz war schlecht, aber seine Kraft war unge-
brochen; und er war hinterhältig und ein Herr der Winde, und sein Singen
und Denken lief durch den Wald zu beiden Seiten des Flusses. Sein grauer
durstiger Geist zog Kraft aus der Erde und breitete sich wie feine Wurzel-
fäden im Boden aus und mit unsichtbaren Zweigfingern in der Luft, bis er
fast alle Bäume im Wald vom Hag bis zu den Höhen unter seiner Herr-
schaft hatte.
Plötzlich verließ Toms Erzählen den Wald und sprang den jungen Fluß
hinauf, über plätschernde Wasserfälle, über Kiesel und ausgewaschene
Felsen, zu kleinen Blumen im dichten Gras und feuchten Schlupfwinkeln
und wanderte schließlich die Höhen hinauf. Die Hobbits hörten von den
Großen Hügelgräbern und den grünen Grabhügeln und den Steinkreisen
auf den Bergen und in den Niederungen zwischen den Bergen. Schafe
blökten in Herden. Grüne Mauern und weiße Mauern ragten auf. Festun-
gen standen auf den Höhen. Könige kleiner Königreiche kämpften mitein-
ander, und die junge Sonne schien wie Feuer auf das rote Metall ihrer
neuen und ruhmsüchtigen Schwerter. Es gab Siege und Niederlagen; und
Türme fielen, Festungen sanken in Schutt und Asche und Flammen stie-
gen zum Himmel auf. Gold wurde auf den Bahren toter Könige und Köni-
ginnen aufgehäuft; und Erdhügel deckten sie, und die Steintore wurden
geschlossen; und das Gras wuchs über allem. Schafe zogen eine Weile
darüber hin und weideten dort, aber bald waren die Hügel wieder verlas-
sen. Ein Schatten kam von weither aus dunklen Orten, und die Ruhe der
Gebeine in den Erdhügeln wurde gestört. Grabunholde gingen in den Ge-
wölben um, Ringe klirrten an kalten Fingern und goldene Ketten im Wind.
Edelsteine grinsten am Boden wie abgebrochene Zähne im Mondschein.
Die Hobbits schauderte es. Selbst im Auenland war das Gerücht von
den Grabunholden von den Hügelgräberhöhen jenseits des Waldes vernom-
men worden. Aber es war keine Erzählung, der ein Hobbit gern zugehört
hätte, nicht einmal am gemütlichen Kamin weit fort. Diesen vier fiel nun
wieder ein, was die Fröhlichkeit dieses Hauses aus ihrem Sinn verdrängt
hatte: Tom Bombadils Haus lag genau unterhalb dieser gefürchteten
Berge. Sie verloren den Faden seiner Erzählung, rutschten unruhig hin
und her und blickten sich verstohlen an.
Als sie seine Worte wieder aufnahmen, merkten sie, daß er jetzt in
fremde Gegenden gewandert war, jenseits ihrer Erinnerung und jenseits
ihres bewußt gewordenen Denkens; er war bei Zeiten angelangt, da die
Welt noch größer war und die Meere geradenwegs bis zum westlichen Ge-
stade reichten; und immer weiter zurück ging er und kündete von dem
uralten Sternenlicht, wo nur Elbenahnen wachten. Dann plötzlich hielt er
inne, und sie sahen, daß er nickte, als würde er einschlafen. Die Hobbits
saßen still bei ihm, verzaubert; und es schien, als habe sich unter dem Bann
seiner Worte der Wind gelegt, als haben sich die Wolken ausgeregnet; der
Tag war vergangen und die Dunkelheit von Osten und Westen heraufge-
zogen, und der ganze Himmel war erfüllt vom Licht weißer Sterne.
Ob Morgen und Abend eines einzigen Tages oder vieler Tage vergan-
gen waren, konnte Frodo nicht sagen. Er war weder hungrig noch müde,
sondern nur vom Staunen erfüllt. Die Sterne leuchteten zum Fenster herein,
und das Schweigen des Himmels schien um ihn zu sein. Er sprach schließ-
lich aus lauter Staunen heraus und einer plötzlichen Angst vor diesem
Schweigen:
»Wer seid Ihr, Meister?« fragte er.
»Wie, was?« sagte Tom und setzte sich auf, und seine Augen glänzten
in der Dämmerung. »Weißt du meinen Namen noch nicht? Das ist die
einzige Antwort. Sage mir, wer bist du, allein, du selbst und namenlos?
Aber du bist jung, und ich bin alt. Der Älteste bin ich. Merkt euch meine
Worte, liebe Freunde: Tom war hier vor dem Fluß und vor den Bäumen;
Tom erinnert sich an den ersten Regentropfen und die erste Eichel. Er
machte Pfade vor den Großen Leuten und sah die kleinen Leute kommen.
Er war hier vor den Königen und den Gräbern und den Grabunholden. Als
die Elben nach Westen zogen, war Tom schon hier, ehe die Meere be-
zwungen wurden. Er kannte das Dunkel unter den Sternen, als es noch
ohne Schrecken war — ehe der Dunkle Herrscher von Außen kam.«
Ein Schatten schien am Fenster vorbeizugleiten, und die Hobbits blick-
ten schnell durch die Scheiben. Als sie sich wieder umwandten, stand
Goldbeere hinten in der Tür, eingerahmt von Licht. Sie hielt eine Kerze
und schützte die Flamme vor dem Durchzug mit einer Hand; und das
Licht schimmerte hindurch wie Sonnenschein durch eine weiße Muschel.
»Der Regen hat aufgehört«, sagte sie, »und neue Wasser rinnen bergab
unter den Sternen. Laßt uns nun lachen und froh sein!«
»Und laßt uns essen und trinken!« rief Tom. »Langes Erzählen macht
durstig und langes Zuhören hungrig, morgens, mittags und abends!«
Damit sprang er vom Stuhl auf, nahm mit einem Satz eine Kerze vom
Kaminsims und zündete sie an der Flamme an, die Goldbeere hielt; dann
tanzte er um den Tisch. Plötzlich hüpfte er durch die Tür und ver-
schwand.
Rasch kam er zurück mit einem großen, beladenen Tablett. Dann deck-
ten Tom und Goldbeere den Tisch; und die Hobbits saßen halb staunend
und halb lachend dabei: so lieblich und anmutig war Goldbeere und so
lustig und seltsam waren Toms Luftsprünge. Doch schienen beide gleich-
sam einen einzigen Tanz zu tanzen, keiner hinderte den anderen, hinein
und hinaus aus dem Zimmer und um den Tisch herum; und im Handum-
drehen waren Essen, Geschirr und Leuchter ordentlich hingestellt. Der
gedeckte Tisch strahlte im Licht weißer und gelber Kerzen. Tom verbeugte
sich vor den Gästen. »Das Abendessen ist bereit«, sagte Goldbeere; und
jetzt sahen die Hobbits, daß sie in Silber gekleidet war mit einem weißen
Gürtel, und ihre Schuhe waren wie Fischschuppen. Aber Tom war ganz
in Hellblau, blau wie regennasse Vergißmeinnicht, und er trug grüne
Strümpfe.
Es war sogar ein noch besseres Abendbrot als das erste. Unter dem
Zauber von Toms Worten mochten die Hobbits eine Mahlzeit oder viele
versäumt haben, aber als das Essen vor ihnen stand, schien es ihnen, als
hätten sie seit mindestens einer Woche nichts gegessen. Eine Zeitlang san-
gen sie nicht und redeten nicht einmal viel, sondern widmeten alle Auf-
merksamkeit dem Geschäft des Essens. Doch nach einer Weile belebten
sich Herz und Gemüt wieder, und ihre Stimmen erklangen in Frohsinn
und Lachen.
Nachdem sie gegessen hatten, sang Goldbeere viele Lieder für sie, Lie-
der, die fröhlich in den Bergen begannen und leise in Stille ausklangen.
Und in der Stille sahen die Hobbits im Geiste Seen und Gewässer, die
größer waren als jene, die sie kannten, und als sie hineinschauten, sahen
sie den Himmel unter sich und die Sterne wie Juwelen in der Tiefe. Dann
wünschte Goldbeere ihnen wiederum gute Nacht, und sie blieben am
Kamin sitzen. Doch Tom schien jetzt hellwach zu sein und überschüttete
sie mit Fragen.
Offenbar wußte er schon viel von ihnen und all ihren Familien, und
auch von der Geschichte und den Geschehnissen im Auenland seit den
Zeiten, an die sich die Hobbits selbst kaum erinnern konnten. Es über-
raschte sie nicht mehr; doch machte er kein Geheimnis daraus, daß er
seine Kenntnisse über die letzte Zeit weitgehend dem Bauer Maggot ver-
dankte, den er offensichtlich viel höher einschätzte, als ihnen in den Sinn
gekommen wäre. »Er hat Erde unter seinen alten Füßen und Lehm an sei-
nen Fingern; Weisheit in seinen Knochen, und beide Augen hält er
offen«, sagte Tom. Auch war klar, daß Tom Beziehungen zu den Elben
hatte, und es schien, als seien ihm auf irgendeine Weise von Gildor Nach-
richten über Frodos Flucht zugegangen.
Tatsächlich wußte Tom so viel und fragte so listig, daß Frodo ihm
mehr von Bilbo und seinen eigenen Hoffnungen und Befürchtungen er-
zählte, als er sogar Gandalf bis dahin erzählt hatte. Tom nickte mit dem
Kopf, und seine Augen blitzten, als er von den Reitern hörte.
»Zeig mir den kostbaren Ring«, sagte er plötzlich mitten in der Ge-
schichte: und zu seiner eigenen Verblüffung zog Frodo das Kettchen aus
der Tasche, machte den Ring los und reichte ihn Tom ohne Zögern.
Der Ring schien größer zu werden, als er einen Augenblick auf seiner
kräftigen, braunhäutigen Hand lag. Dann hielt Tom ihn mit einem Mal
ans Auge und lachte. Eine Sekunde hatten die Hobbits einen sowohl
komischen als auch erschreckenden Anblick, als seine leuchtenden blauen
Augen durch einen goldenen Kreis glänzten. Dann steckte Tom den Ring
auf die Spitze seines kleinen Fingers und hielt ihn hoch ins Kerzenlicht.
Zuerst fiel den Hobbits nichts Sonderbares daran auf. Dann hielten sie
den Atem an. Tom wurde nicht unsichtbar!
Tom lachte wieder, und dann ließ er den Ring in der Luft herumwir-
beln — der wie ein Blitz verschwand. Frodo stieß einen Schrei aus — und
Tom beugte sich vor und gab ihn lächelnd zurück.
Frodo sah ihn sich genau und ziemlich argwöhnisch an (wie jemand,
der einem Taschenspieler ein Schmuckstück geliehen hatte). Es war der-
selbe Ring, oder wenigstens sah er genauso aus und fühlte sich genauso
schwer an: denn Frodo war es immer so vorgekommen, daß der Ring
seltsam schwer in der Hand wog. Aber irgend etwas veranlaßte ihn, sich
zu vergewissern. Vielleicht war er eine Spur ärgerlich auf Tom, daß er
anscheinend etwas so leicht nahm, was selbst Gandalf so gefährlich wich-
tig fand. Er wartete auf eine Gelegenheit, als das Gespräch wieder in
Gang war und Tom eine alberne Geschichte von Dachsen und ihrem selt-
samen Gehabe erzählte — dann streifte er den Ring auf.
Merry drehte sich zu ihm um und wollte etwas sagen, stutzte und unter-
drückte einen Ausruf. Frodo war entzückt (in gewisser Weise): es war
wirklich sein Ring, denn Merry starrte fassungslos auf seinen Stuhl und
konnte ihn offenbar nicht sehen. Er stand auf und schlich leise vom
Kamin zur Tür.
»He da!« rief Tom und schaute ihm mit einem höchst sehenden Aus-
druck in seinen leuchtenden Augen nach. »He! Komm, Frodo. Wohin
willst du denn? So blind ist der alte Tom Bombadil denn doch nicht.
Nimm deinen goldenen Ring ab! Deine Hand ist hübscher ohne ihn.
Komm zurück. Gib das Spiel auf und setz dich neben mich! Wir müssen
uns noch eine Weile unterhalten und über morgen nachdenken. Tom
muß euch den richtigen Weg weisen und eure Füße davor bewahren, in
die Irre zu gehen.«
Frodo lachte (und versuchte, erleichtert zu sein), nahm den Ring ab
und setzte sich wieder hin. Tom sagte ihnen nun, er schätze, daß am
nächsten Tag die Sonne scheine, und es werde einen schönen Morgen und
einen hoffnungsvollen Aufbruch geben. Doch täten sie gut daran, sich
früh auf den Weg zu machen; denn das Wetter in dieser Gegend sei etwas,
das selbst Tom nicht lange voraussagen könne, und manchmal ändere es
sich schneller, als er seine Jacke ausziehen könne. »Ich bin kein Wetter-
meister«, sagte er, »und das ist keiner, der auf zwei Beinen geht.«
Auf seinen Rat hin beschlossen sie, von seinem Haus aus fast genau
nach Norden zu gehen, über die westlichen und niedrigeren Abhänge der
Höhen: auf diese Weise könnten sie hoffen, die Oststraße in einem Tag
zu erreichen und die Hügelgräber zu vermeiden. Er sagte ihnen, sie soll-
ten keine Angst haben — sondern sich nur um ihre eigenen Angelegen-
heiten kümmern.
»Haltet euch an das grüne Gras. Laßt euch nicht mit alten Steinen oder
kalten Unholden ein, und späht nicht in ihre Häuser, sofern ihr nicht
standhafte Leute seid und eure Herzen nie schwach werden!« Er sagte das
mehr als einmal; und er riet ihnen, jeweils auf der Westseite von Hügel-
gräbern vorbeizugehen, falls sie einem zufällig nahekämen. Dann lehrte er
sie einen Reim, den sie singen sollten, falls sie am nächsten Tag durch ein
Mißgeschick in Gefahr oder Schwierigkeiten gerieten:

He, Tom Bombadil! Tom Bombadonne!
Hör den Ruf, eile her, bei Feuer, Mond und Sonne!

Komm, bei Wasser, Wald und Flur, steh uns nun zur Seite!
Komm, bei Weide, Schilf und Ried, aus der Not uns leite!

Als sie ihm das alle zusammen nachgesungen hatten, schlug er jedem
von ihnen lachend auf die Schulter, nahm Kerzen und geleitete sie in
ihren Schlafraum.

<= =>