Winnetou 4. Band von Karl May Freiburg i. Br. Friedrich Ernst Fehsenfeld Inhalt des vierten Bandes Seite Erstes Kapitel. Vorzeichen 1 Zweites Kapitel. Nach der Teufelskanzel 45 Drittes Kapitel. Am Ohr des Manitou 131 Viertes Kapitel. Am Nugget-tsil 224 Fnftes Kapitel. Am Deklil-to 300 Sechstes Kapitel. Am Mount Winnetou 375 Siebentes Kapitel. K„mpfe. 432 Achtes Kapitel. Der Sieg 525 [//1//] Erstes Kapitel. Vorzeichen. Es war in der Frhe eines sch”nen, warmen, hoffnungsreichen Frhlingstages. Ein lieber, lieber Sonnenstrahl schaute mir zum Fenster herein und sagte: "Grá dich Gott!" Da kam das "Herzle" aus ihrem Erdgeschoá herauf und brachte mir die erste Morgenpost, die soeben vom Brieftr„ger abgegeben worden war. Sie setzte sich mir gegenber, wie allt„glich mehrere Male, so oft die Briefe kommen, und ”ffnete zun„chst die Kuverts, um mir dann den Inhalt vorzulegen. Aber noch ehe sie damit beginnen kann, h”re ich die Frage klingen: "Wer ist das Herzle? So heiát doch eigentlich niemand. Das muá ein Kosename sein." Ja, es ist allerdings ein Kosename. Er stammt aus dem ersten Band meiner "Erzgebirgischen Dorfgeschichten". Da kommt ein "Musterbergle", ein "Musterd”rfle", ein "Musterg„rtle" und ein "Musterh„usle" vor, in dem das "Herzle" mit ihrer Mutter wohnt. Dieses "Herzle" ist der, wenn auch nicht k”rperliche, aber doch seelische Abglanz meiner Frau, und wenn ich das Portr„t, indem ich an ihm arbeitete, so liebgewann, daá ich es "Herzle" //2// nannte, so versteht es sich wohl ganz von selbst, daá dieser Name so nach und nach auch auf das Original mit berging. Doch nicht Fr alle F„lle! N„mlich wenn Wolken am Himmel stehen, an denen ich aber immer nur selbst schuld bin, so sage ich "Klara". Sind diese Wolken im Verschwinden, so sage ich "Kl„rchen". Und sind sie weg, so sage ich "Herzle". Meine, Frau aber sagt zu mir niemals anders als nur "Herzle", weil niemals Wolken macht. Sie hat, w„hrend die obere Etage meine Zimmer enth„lt, das ganze Parterre des Hauses inne. Da waltet sie als unermdlicher, fleiáiger Wirtschaftsengel, empf„ngt die immer zahlreicher werdenden Besuche meiner Leser und beantwortet alle die vielen Briefe, deren eigenh„ndige Erledigung mir selbst unm”glich ist. Vorgelesen aber werden sie mir alle, wobei sie derart zu verfahren pflegt, daá die besonders wichtigen oder besonders interessanten einstweilen beiseite gelegt und bis zum Schluá der Vorlesung aufgehoben werden. So auch heute. Als alles Andere erledigt war, blieben zwei Sachen, die uns gleich beim ersten Blick als Besonderheiten erschienen und darum ausgeschieden worden waren, n„mlich ein Brief aus Amerika und ein anthropologisches Fachblatt aus Oesterreich. Im letzteren war die Ueberschrift eines l„ngeren Artikels durch Blaustrich hervorgehoben. Sie lautete: "Das Aussterben der indianischen Rasse in Amerika und ihr gewaltsames Verdr„ngen durch die Kaukasier und Chinesen." Ich bat das Herzle, den Artikel sogleich vorzulegen, denn ich hatte zuf„lligerweise Zeit dazu. Sie tat es. Der Verfasser war ein wohlbekannter, hervorragender Universit„tsprofessor. Er schrieb mit groáer Herzensw„rme, und Alles, was er ber die "Roten" sagte, war nicht nur //3// wohltuend, sondern auch gerecht. Ich h„tte ihm dafr die Hand drcken m”gen. Aber er beging einen Fehler, der ebenso allgemein wie unbegreiflich ist. N„mlich er verwechselte die Indianer der Vereinigten Staaten mit der ganzen Rasse, die ber Nord- und Sdamerika ausgebreitet liegt. Er verwechselte ferner den seelischen Schlaf der Rasse mit ihrem k”rperlichen Tod. Und er schien die Hauptaufgabe des Menschengeschlechts in der Entwicklung der v”lkerschaftlichen Sonderheit und Individualit„t zu suchen, nicht aber in der sich immer mehr ausbreitenden Erkenntnis, daá alle St„mme, V”lker, Nationen und Rassen sich nach und nach zu vereinigen und zusammenzuschlieáen haben zur Bildung des einen, einzigen, groáen, ber alles Animalische hoch erhabenen Edelmenschen. Erst dann, wenn die Menschheit sich von innen heraus, also aus sich selbst heraus, zu dieser harmonischen, von Gott gewollten Pers”nlichkeit geboren hat, wird die Sch”pfung des wirklichen "Menschen" vollendet sein und das Paradies sich uns, den bisher Sterblichen, von neuem ”ffnen. Der Brief aus Amerika war h”chstwahrscheinlich im "Fernen Westen" zur Post gegeben worden, aber wo, das war an dem unge”ffneten Kuvert nicht zu ersehen, denn beide Seiten desselben zeigten so viele Stempel und mit der Hand geschriebene Ortsnamen, daá das alles unleserlich geworden war. Nur die Adresse hatte, wohl infolge ihrer echt indianischen Krze, ihre ursprngliche Deutlichkeit behalten. Sie bestand nur aus drei W”rtern und lautete: May. Radebeul. Germany. Wir ”ffneten den Umschlag und zogen ein Stck Papier heraus, welches sichtlich mit einem groáen Messer, wahr- //4// scheinlich [wahrscheinlich] Bowieknife, beschnitten und dann zusammengefaltet worden war. Es enthielt folgende Zeilen in englischer Sprache, die ich natrlich verdeutsche; sie waren von einer schweren, ungebten Hand mit Bleistift geschrieben: "An Old Shatterhand. Kommst Du nach dem Mount Winnetou? Ich komme ganz gewiá. Vielleicht sogar auch Avaht-Niah, der Hundertundzwanzigj„hrige. Siehst Du, daá ich schreiben kann? Und daá ich in der Sprache der Bleichgesichter schreibe? Wagare-Tey. H„uptling der Schoschonen." Als wir das gelesen hatten, schaute ich das HerzIe berrascht an, und sie mich ebenso. Nicht etwa das frappierte uns, daá wir einen Brief aus dem fernen Westen bekamen, und zwar von einem Indianer. Das geschieht sehr oft. Aber daá dieser Brief von dem H„uptling der Schlangenindianer kam, der mir noch nie geschrieben hatte, das verwunderte mich. Sein Name Wagare-Tey bedeutet soviel wie "Gelber Hirsch". Ich bitte, ber ihn in meinem Band "Weihnacht" nachzulesen. Damals, also vor nun ber dreiáig Jahren, war er noch jung und ziemlich unerfahren, aber ein guter, ehrlicher Mensch und ein treuer, zuverl„ssiger Freund meines Winnetou und mir. Sein Vater Avaht-Niah war ber achtzig Jahre alt, ein Ehrenmann durch und durch, und hatte den groáen Einfluá, den er besaá, stets nur zu unsern Gunsten in Anwendung gebracht. Wegen dieses seines hohen Alters und weil ich nie wieder von ihm h”rte, hatte ich ihn dann fr tot gehalten. Nun aber ersah ich aus dem Brief, daá er noch lebte und //5// sich in guter k”rperlicher und geistiger Verfassung befand. Denn, w„re dieses letztere nicht der Fall gewesen, so h„tte der Schreiber desselben unm”glich sagen k”nnen, daá der oberste Kriegsanfhrer der Schoschonen vielleicht auch mit nach dem Mount Winnetou kommen werde. Zwar hatte ich nicht die geringste Ahnung davon, wo dieser Berg lag. Ich wuáte nur, daá die Apatschen sich mit den ihnen befreundeten anderen St„mmen dahin einigen wollten, irgendeinen nach seiner Lage, seinen Eigenschaften und seiner Wichtigkeit ausgezeichneten Berg nach dem Namen ihres geliebtesten H„uptlings zu nennen. Davon, daá dies geschehen sei, hatte ich nichts geh”rt, und noch viel weniger war mir mitgeteilt worden, auf welchen Berg die Wahl gefallen war. Doch soviel konnte ich mir denken, daá es nicht einer war, der auáerhalb des Bereiches, in dem die Apatschen sich bewegen, liegt. Und weil die Schlangenindianer ihre Lager- und Weidepl„tze viele Tagesritte davon im Norden haben, so war es gewiá ein ganz auáerordentlicher Fall, daá ein Mann, der ber hundertundzwanzig Jahre z„hlte, es sich zutraute, diese Reise machen zu k”nnen, ohne von der Not, sondern nur von seinem jung gebliebenen Herz dazu getrieben zu sein. Und warum wollte er mit seinem Sohn so weit nach Sden kommen? Das wuáte ich nicht. Ich fand auch durch kein noch so scharfes und noch so kompliziertes Nachdenken eine einwandfreie Antwort auf diese Frage. Ich konnte nichts tun, als warten, ob sich auch von anderer Seite dergleichen Zuschriften einstellen wrden. Den Brief zu beantworten, war unm”glich, weil ich den jetzigen Aufenthaltsort der beiden H„uptlinge nicht kannte. Auf alle F„lle aber war es kein unwichtiger Grund, der sie veranlaáte, das ihnen so fernliegende Gebiet der //6// Apatschen aufzusuchen. Ich nahm an, daá dieser Grund sich nicht auf enge, rein pers”nliche Verh„ltnisse bezog, sondern eine allgemeinere Bedeutung hatte, und da meine Adresse da drben bekannt ist und ich mit vielen, dort lebenden Personen, von denen ich in meinen Bchern erz„hlt habe und noch erz„hlen werde, im Briefwechsel stehe, so durfte ich wohl hoffen, bald weiteres zu erfahren. Und wie gedacht, so geschehen! Kaum zwei Wochen sp„ter kam ein zweiter Brief, aber von einer Seite, von welcher ich am allerwenigsten ein Lebenszeichen oder gar eine Zuschrift erwartet h„tte. Das Kuvert zeigte genau dieselbe Adresse, und der englisch geschriebene Inhalt lautete, in die deutsche Sprache bersetzt, wie folgt: "Komm an den Mount Winnetou zum groáen, letzten Kampf! Und gib mir endlich Deinen Skalp, den Du mir schon zwei Menschenalter lang schuldig bist! Dieses l„át Dir schreiben To-kei-chun, der H„uptling der Racurroh-Komantschen." Und nur eine Woche sp„ter erhielt ich, auch wieder unter derselben Adresse, folgende Zuschrift: "Hast Du Mut, so komme herber nach dem Mount Winnetou! Meine einzige Kugel, die ich noch habe, sehnt sich nach Dir! Tangua, "Žltester H„uptling der Kiowas. Geschrieben von Pida, seinem Sohn, dem jetzigen H„uptling der Kiowas, dessen Seele die Deinige grát." Diese beiden Briefe waren im h”chsten Grad interessant, und zwar nicht nur psychologisch. Fast schien es, als ob sie von To-kei-chun und Tangua an dem gleichen Ort und unter dem gleichen Einfluá diktiert worden //7// seien. Beide hatten mich noch genauso unvers”hnlich wie ehedem. Ganz eigenartig war es, daá der Sohn des letzteren mich trotz dieses Hasses gráte, doch fiel es mir nicht schwer, diese Dankbarkeit zu verstehen. Aber wichtiger, viel wichtiger als das Alles war, daá auch die Feinde der Apatschen hinauf nach dem Mount Winnetou wollten. Es wurde da von einem "groáen, letzten Kampf" gesprochen. Das klang auáerordentlich gef„hrlich. Ich begann, besorgt zu werden, ernstlich besorgt! Oder gab es da drben jemand, etwa einen alten, frheren Gegner, der sich jetzt, in meinen alten Tagen, den Spaá machen wollte, mich zu foppen und zu einer Einfaltsreise nach Amerika zu bewegen? Aber nach der H„lfte eines Monats erhielt ich folgenden Brief, der in Oklahoma aufgegeben war und fr mich ein Dokument bildete, dem ich vollsten Glauben zu schenken hatte: "Mein lieber, weiáer Bruder! Der groáe, gute Manitou in meinem Herzen gebietet mir, Dir zu sagen, daá ein Bund der alten H„uptlinge und ein Bund der jungen H„uptlinge nach dem Mount Winnetou berufen ist, um ber die Bleichgesichter zu Gericht zu sitzen und ber die Zukunft der roten M„nner zu entscheiden. Du wirst kommen, und ich werde kommen. Meine Seele freut sich auf die Deinige. Ich z„hle die Tage, Stunden und Minuten, bis ich Dich sehen werde! Dein roter Bruder Schahko Matto, H„uptling der Osagen." Auch dieser Brief war englisch geschrieben, und zwar von seinem Sohn, dessen Handschrift ich kannte, weil ich im Briefwechsel mit ihm stehe. Zudem hatte Schahko //8// Matto sein ledernes Totem beigelegt, was er immer tat, wenn es sich um etwas Wichtiges handelte. Ich konnte also die Vermutung einer Fopperei fallenlassen. Die Sache war Wirklichkeit, war Ernst. Der Gedanke, hinberzugehen, begann, mich lebhaft zu besch„ftigen. Freilich aber war es, um diesen Gedanken zum Entschluá zu bringen, n”tig, vorher erst noch N„heres und Bestimmteres zu erfahren. Und das lieá nicht lange auf sich warten. Ich erhielt einen groábogigen, wie amtlich zusammengelegten Schreibebrief, welcher den Zweck hatte, eine Einladung zu sein, aber seines Tones wegen war er schon richtiger als eine "Zufertigung" zu bezeichnen. Ich gebe ihn in deutscher Uebersetzung, die Ueberschrift abgerechnet: "Dear Sir, In den vorj„hrigen Versammlungen der H„uptlinge wurde einmtig beschlossen, den hierzu geeignetsten Berg des Felsengebirges forthin mit dem Namen Winnetous, des berhmtesten H„uptlings aller Nationen, zu bezeichnen. Es wurde hierzu die h”chstwahrscheinlich auch Ihnen wenigstens geographisch bekannte Kulmination gew„hlt, auf welche der geheimnisvolle Medizinmann Tatellah-Tatah ( Thousand-years ) sich zurckgezogen hat. Am Fuá resp. auf den Stufen dieses Berges sollen um die Mitte des heurigen September folgende Versammlungen abgehalten werden: 1. Das Campmeeting der alten H„uptlinge. 2. Das Campmeeting der jungen H„uptlinge. 3. Das Campmeeting der H„uptlingsfrauen. 4. Das Campmeeting aller auáerdem berhmten roten M„nner und roten Frauen. 5. Das Schluámeeting unter der Leitung des hier unterzeichneten Komitees. //9// Es wird in Ihr Belieben gestellt, sich hierzu pers”nlich einzufinden und bei dem Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter zu melden, wobei Ihnen der Gegenstand aller dieser Beratungen bekanntgegeben wird. Zugleich werden Sie darauf aufmerksam gemacht, daá diese Meetings ebenso wie s„mtliche Vorbereitungen zu ihnen vor den Angeh”rigen anderer Rassen vollst„ndig geheimzuhalten sind. Wir verpflichten Sie hiermit zur strengsten Diskretion und fhlen uns berechtigt, anzunehmen, daá wir Ihre ehrenw”rtliche Versicherung, zu schweigen, bereits bekommen haben. Nummernmarken fr die bei unsern Zusammenknften Ihnen anzuweisenden Platze haben Sie sich bei dem unterzeichneten Schriftfhrer pers”nlich abzuholen. S„mtliche Reden zum Beratungsgegenstand sind des besseren Verst„ndnisses wegen in englischer Sprache zu halten. Hochachtungsvoll Das Komitee. Gezeichnet: Simon Bell (Tscho-lo-let), Professor der Philosophie, als Vorsitzender. Edward Summer (Ti-iskama), Professor der Klassikal-Philologie, als Stellvertreter des Vorsitzenden. William Evening (Pe-widah), Agent, als Schriftfhrer. Antonius Paper (Okih-tschin-tscha), Bankier, als Kassierer. Old Surehand, Partikulier, als Direktor." Ganz unten am Rand dieses Schriftstckes stand die von dem letzteren selbst geschriebene Privatbemerkung: //10// "Ich hoffe, das Du auf alle F„lle kommst. Betrachte mein Haus als das Deinige, auch wenn wir nicht daheim sind. Ich bin als Direktor jetzt leider stets unterwegs. Es gibt fr Dich eine ungeheuer freudige šberraschung. Du wirst entzckt sein ber die Leistung unserer beiden Jungens. Dein alter, treuer Old Surehand." Ich fge zu diesem langen Brief gleich den folgenden, krzeren, der bei mir eintraf. Er lautete: "Mein Bruder! Ich weiá, daá Du eingeladen bist. Vers„ume ja nicht, Dich einzustellen! Ich freue mich unbeschreiblich auf Dich. Die beiden Boys werden Dir noch besonders schreiben. Dein Apanatschka, H„uptling der Kanean-Komantschen." Diese "beiden Boys" oder wie Old Surehand sich ausgedrckt hatte, "unsere beiden Jungens", schrieben mir hierauf folgende Zeilen: "Hochverehrter Herr! Als Sie uns einst von unserem falschen, niedrigen Kunstweg so streng hinber nach dem h”heren, ja allern„chsten wiesen, versprachen wir Ihnen, nur erst dann an die Oeffentlichkeit zu treten, wenn wir imstande seien, durch wirkliche und unanfechtbare Meisterwerke zu beweisen, daá die rote Rasse in keiner Weise weniger begabt ist, als irgendeine der anderen Rassen, auch in Beziehung auf die Kunst. Wir erbten unsere Begabung von unserer Groámutter, die, wie Sie wissen, eine Vollindianerin, ja, in rein „uáerer Beziehung sogar ein Vollindianer war. Wir sind bereit, den von Ihnen verlangten Beweis jetzt nun zu fhren. Sie ver- //11// sprachen [versprachen] uns, wenn diese Zeit gekommen sei, sich trotz der weiten Entfernung hier bei uns einzustellen, um unsere Werke zu prfen. Wir sind der Meinung, daá wir diese Prfung nicht zu frchten haben, und erwarten Sie um die Mitte des September am Mount Winnetou, um Sie willkommen zu heiáen. Wir haben erfahren, daá Sie, wie sich ganz von selbst verstand, eingeladen sind, an diesen verschwiegenen und hochwichtigen Beratungen teilzunehmen, und hegen die feste Ueberzeugung, daá Sie sich durch nichts abhalten lassen werden, zur rechten Zeit am angegebenen Ort zu erscheinen. In gr”áter Hochachtung sind wir Ihre ganz ergebenen Young Surehand. Young Apanatschka." Diese Zuschrift hatte H„nde und Fáe. Sie machte mir Freude, obgleich sie von den beiden "Jungens" nur zu dem Zweck, mir einen tchtigen Rippenstoá zu versetzen, in dieser Weise verfaát worden war. Wer meine beiden Reiseerz„hlungen "Winnetou" und "Old Surehand" gelesen hat, kann sich sehr leicht denken, wer diese beiden Boys sind. Wer sie noch nicht gelesen hat, den muá ich bitten, dies nachzuholen, um den vorliegenden Band, der zu gleicher Zeit auch der vierte Band von "Old Surehand" und "Satan und Ischariot" ist, verstehen zu k”nnen. Wie man sich erinnern wird, hatte sich herausgestellt, daá Old Surehand und Apanatschka Brder waren, die man ihrer Mutter, einer k”rperlich, seelisch und geistig hochbegabten Indianerin, unterschlagen hatte. Um diesen Raub aufzukl„ren, hatte sie, als Indianer verkleidet, unter dem Namen Kolma Putschi viele Jahre lang die St„dte des Ostens, die Savannen und die Urw„lder //12// durchforscht, ohne dieses Ziel zu erreichen, bis es Winnetou und mir gelang, die von ihr gesuchten Spuren und infolgedessen dann auch die beiden S”hne zu entdecken, den einen als hochberhmten Westmann und den andern als nicht weniger berhmten Komantschenh„uptling, zwei auáerordentlich wertvolle Menschen, deren Freundschaft mir treugeblieben ist, trotz aller Wandlungen, welche sowohl ihr als auch mein Leben seit damals durchzumachen hatte. Beide heirateten sp„ter ein sch”nes, intelligentes Schwesternpaar aus dem besonderen Stamm Winnetous, also der Mescaleroapatschen, und jedem von ihnen war sodann die Freude beschert, einen Sohn zu besitzen, auf den alle Begabungen Kolma Putschis in noch vermehrtem Grad vererbt worden waren. Sie hatten die Mittel, diese Gaben ausbilden zu lassen. Young Surehand und Young Apanatschka wurden nach dem Osten gebracht, um Knstler zu werden, der erstere Architekt und Bildhauer und der letztere Maler und Bildhauer. Die auf sie gesetzten Hoffnungen erfllten sich. Sie gingen sp„ter auf einige Jahre nach Paris, um dort die berhmtesten Ateliers zu studieren, dann nach Italien und endlich gar nach Žgypten, wo sie sich die Aufgabe stellten, sich dort mit den Gesetzen der einstigen Gigantenkunst vertraut zu machen. Auf dem Rckweg kamen sie ber Deutschland, um mich aufzusuchen. Sie waren mir sehr sympathisch. Ich hatte meine Freude an ihnen, und zwar nicht allein deshalb, weil sie meinen unvergleichlichen Winnetou fast als einen Halbgott verehrten. Auch ihr knstlerisches Wollen und K”nnen war hervorragend und schien noch wachsen zu k”nnen. Leider aber war es in echt amerikanischer Weise auf den Abweg des Busineá hinbergeleitet worden, und so geschah es, daá sie von mir an- //13// statt [anstatt] eines Lobes eine sehr ernste Warnung zu h”ren bekamen, die sie mir, wie ich aus ihrem Brief ersah, bis heute noch nicht vergessen und vergeben hatten. Dies war wohl auch der Grund, daá ich weder von ihren V„tern noch von ihnen selbst ber ihre Zukunftspl„ne und ihr jetziges knstlerisches Schaffen unterrichtet worden war. Ganz besonders schweigsam gegen mich aber verhielt man sich ber die Grnde, welche die beiden jungen Leute veranlaát hatten, grad die Kolossaldarstellungen der alten Žgypter zu studieren. Das hatte Geheimnis bleiben sollen. jetzt aber begann ich zu ahnen, daá die "Meisterwerke", zu deren Begutachtung ich eingeladen war, hierzu in Beziehung standen. Ich kann ganz und gar nicht behaupten, daá die Briefe, welche in so schneller Folge bei mir anlangten, mir Freude bereiteten. Warum sagte man mir nicht gleich offen und ehrlich, um was es sich eigentlich handelte? Wozu diese heimliche Campmeetingspielerei? Groáe und fruchtbare Gedanken werden in heiliger, unberhrter Einsamkeit geboren, nicht aber in langen Reden, die doch nur auf kurze Erfolge berechnet sein k”nnen! Warum diese Trennung der alten H„uptlinge von den jungen? Wozu noch extra die roten Frauen? Wer waren die "auáerdem berhmten roten M„nner und roten Frauen"? Etwa die Herren dieses mir so sonderbar, ja sogar verd„chtig vorkommenden Komitees? Sie wollten das Schluámeeting leiten, also die Beschlsse s„mtlicher Versammlungen beeinflussen und korrigieren! Die Namen der beiden Professoren, geborener Indianer, kannte ich. Sie hatten einen guten Klang. Aber den Ton, in dem sie an mich schrieben, h„tte sich kein Sam Hawkens, kein Dick Hammerdull und kein Pitt Holbers gefallen lassen. Der Schriftfhrer und der Kassierer waren mir vollst„ndig //14// fremd. Und Old Surehand als Direktor? Was sollte das heiáen? Wozu hier einen besonderen "Direktor"? Etwa um die moralische Verantwortung oder gar die pekuni„re Garantie auf ihn zu werfen? Old Surehand war ein Westmann allerersten Ranges gewesen; aber ob er auch imstande war, es mit der gesch„ftlichen Smartneá eines geriebenen, amerikanischen Pfiffikus aufzunehmen, das wuáte ich leider nicht. Die Sache kam mir um so bedenklicher vor, je l„nger und intensiver sie mich besch„ftigte. Auch meiner Frau gefiel sie nicht. Und weil ich sie hierbei mit erw„hne, so sei zugleich gesagt, daá auch sie ein Schreiben bekam, n„mlich folgendes: "Meine liebe, weiáe Schwester! Nun werden meine Augen Dich endlich, endlich sehen; meine Seele sah Dich schon l„ngst. Der Gebieter Deines Hauses und Deiner Gedanken wird nach dem Mount Winnetou kommen, um mit uns ber Groáes und Sch”nes zu beraten. Ich weiá, er wird diese Reise nicht tun, ohne daá Du ihn begleitest. Ich bitte Dich, ihm zu sagen, daá ich das beste unserer Zelte fr Dich und ihn bereithalten werde und daá ich Dein Kommen vorempfinde als einen lieben, warmen Strahl der Sonne, die meinem Leben unbekannt gewesen ist bis nun, da es zum Scheiden gehen will. So komm also, und bring mir Deine Menschenliebe, Deine Herzensgte und - - - Deinen Glauben an den groáen, gerechten Manitou, den ich gern ebenso deutlich fhlen m”chte, wie Du, meine Schwester, ihn fhlst. Kolma Putschi." Ich muá erw„hnen, daá das Herzle mit Kolma Putschi in Briefwechsel stand und heut noch steht, und //15// daá diese Zuschrift nicht ohne Einfluá auf unsere Entschlieáungen war. Wenn ich wirklich ging, so verstand es sich nun ganz von selbst, daá ich diese Reise nicht allein unternahm. Es liefen noch mehrere Briefe ein. Ich w„hle unter ihnen nur noch einen aus, weil er mir als der wichtigste von allen erscheint, die ich ber diesen Gegenstand bekam. Er war von einer geradezu kalligraphisch gebten Hand auf sehr gutes Papier geschrieben und in das groáe Totem dessen, der ihn diktiert hatte, gehllt. Dieses Totem bestand aus papierdnnem Antilopenleder, welches durch eine Behandlung, die nur die Indsmen kennen, die Weiáe des Schnees und die Gl„tte des Porzellans erhalten hatte. Die einpunktierten Charaktere waren mit Zinnober und einer andern, mir unbekannten Farbe rot und blau gef„rbt. Der Inhalt lautete: "Mein weiáer, "„lterer Bruder! Ich fragte Gott nach Dir. Ich wollte wissen, ob Du noch unter Denen weilst, von denen man sagt, daá sie leben. Die Antwort kam durch die Benachrichtigung, daá man Dich eingeladen habe, an den Septemberberatungen hier in meinen Bergen, deren heilige Stille und Ruhe fr immer vernichtet werden soll, teilzunehmen. Sei um aller Derer willen, die Du einst hier liebtest und vielleicht noch heute liebst, gebeten, diesem Ruf Folge zu leisten. Eile herbei, wo Du auch seist, und rette Deinen Winnetou! Man will ihn falsch verstehen, und man will auch mich nicht begreifen. Du hast weder mich, noch habe ich Dich jemals gesehen. Wie ich nie einen Laut Deiner Stimme vernahm, so h”rtest auch Du niemals den Klang der meinigen. Heut aber schreit meine Angst weit ber //16// das Meer hinber zu Dir, so laut, so laut, daá Du es h”ren wirst und unbedingt kommen muát. Niemand weiá, daá ich Dich rufe. Nur der dies schreibt, muáte es erfahren. Er ist meine Hand; er schweigt. Wende Dich, bevor Du hier erscheinst, nach dem Nugget-tsil. Die mittelste der fnf groáen Blaufichten wird zu Dir sprechen und Dir sagen, was ich diesem Papier nicht anvertrauen kann. Ihre Stimme sei Dir wie die Stimme Manitous, des groáen, ewigen und alliebenden Geistes! Ich bitte Dich noch einmal: Komm, o komm, und rette Deinen Winnetou. Man will ihn Dir erwrgen und erschlagen! Tatellah-Satah, der Bewahrer der groáen Medizin." Was den in diesem Brief erw„hnten Nugget-tsil betrifft, so versteht man unter Nuggets die mehr oder weniger groáen, gediegenen Goldk”rner, welche von den Goldsuchern entweder einzeln, zuweilen aber auch in ganzen, reichhaltigen Nestern gefunden werden. Tsil bedeutet in der Apatschensprache soviel wie Berg. Nugget-tsil heiát also soviel wie "Goldk”rnerberg". Auf diesem Berg sind bekanntlich der Vater und die Schwester meines Winnetou von einem gewissen Sander ermordet worden. Sp„ter, kurz vor dem Tod Winnetous, den er im Innern des Hancockberges fand, teilte er mir mit, daá er sein Testament fr mich auf dem Nugget-tsil vergraben habe, und zwar zu Fáen seines dort bestatteten Vaters; ich werde da viel Gold zu sehen bekommen, sehr viel Gold. Als ich hierauf nach dem Nugget-tsil ritt, um das Testament zu holen, wurde ich dabei von diesem Sander berrascht und von einer Schar von Kiowa-Indianern, bei denen er sich befand, gefangengenommen. Der Anfhrer //17// dieser Schar war der damals noch jugendliche Pida, der mich jetzt, nach ber dreiáig Jahren, in dem Brief seines Vaters, des „ltesten H„uptlings Tangua, aus seiner "Seele" gráte. Sander stahl das Testament und entfloh mit ihm, um das Gold zu holen, dessen Fundstelle in der letztwilligen Verfgung Winnetous beschrieben war. Ich machte mich von den Kiowas frei und eilte ihm nach. Ich kam an Ort und Stelle an, als er den Schatz soeben gefunden hatte. Das Versteck lag auf einem hohen Felsen am Ufer des einsamen Bergsees, den man "Das dunkle Wasser" zu nennen pflegt. Als er mich sah, schoá er auf mich. Was dann geschah, das ist im letzten Kapitel von "Winnetou", Band III, zu lesen. Und in Beziehung auf Tatellah-Satah, den "Bewahrer der groáen Medizin", muáte ich gestehen, daá es stets einer meiner Herzenswnsche gewesen war, diesen geheimnisvollsten aller roten M„nner einmal zu sehen und zu sprechen; nie aber hatte eine Gelegenheit bereit gestanden, mir dieses wirklich herzliche Verlangen zu erfllen. Tatellah-Satah ist ein Name, welcher der Taossprache angeh”rt und w”rtlich bersetzt "Tausend Sonnen" heiát, in seiner Anwendung aber "Tausend Jahre", bedeutet. Der Tr„ger desselben hatte also ein so ungew”hnliches, ja auáerordentliches Alter, daá man die H”he des letzteren unm”glich bestimmen konnte. Ganz ebensowenig wuáte man, wo er geboren worden war. Er geh”rte keinem einzelnen Stamm an. Er wurde von allen roten V”lkern und Nationen gleich hoch verehrt. Was Hunderte und Aberhunderte von einzelnen Medizinm„nnern im Laufe der Zeit an Geistesgaben und Kenntnissen besessen hatten, das sprach man ihm, dem H”chstgestiegenen, in voller Summe zu. Um zu begreifen, was das heiát, muá man wissen, daá es grundfalsch ist, sich einen //18// indianischen "Medizinmann" als einen Kurpfuscher, Regenmacher und Gaukler vorzustellen. Das Wort Medizin hat in dieser Zusammensetzung nicht das Allergeringste mit der Bedeutung zu tun, die es bei uns besitzt. Es ist fr die Indianer ein fremder Ausdruck, dessen Sinn sich bei ihnen derart ver„ndert hat, daá wir uns dabei grad das Gegenteil von dem zu denken haben, was wir uns bisher dabei dachten. Als die Roten die Weiáen kennenlernten, sahen, h”rten und erfuhren sie gar manches, was ihnen gewaltig imponierte. Am meisten aber erstaunten sie ber die Wirkung unserer Arzneimittel, unserer Medizinen. Die Sicherheit und Nachhaltigkeit dieser Wirkung war ihnen schier unbegreiflich. Sie erkannten die unendliche Gr”áe der g”ttlichen Liebe, welche sich in diesem Geschenk des Himmels an das Geschlecht der Menschen offenbarte. Sie h”rten das Wort Medizin zum erstenmal, und sie verbanden mit ihm den Begriff des Wunders, des Segens, der g”ttlichen Liebe und des fr die Menschen unbegreiflichen Geheimwirkens in heiligster Verborgenheit. Kurz, der Ausdruck "Medizin" wurde fr sie gleichbedeutend mit dem Wort Mysterium. Sie nahmen die Benennung "Medizin" in alle ihre Sprachen und Dialekte auf. Alles, was mit ihrer Religion, ihrem Glauben und ihrem Forschen nach ewigen Dingen in Beziehung stand, wurde als "Medizin" bezeichnet. Ebenso auch alle diejenigen Tatsachen europ„ischer Wissenschaft und europ„ischer Zivilisation, die sie nicht begreifen konnten, weil sie weder die Anf„nge noch die Entwickelungen derselben kannten. Sie waren aufrichtig und ehrlich genug, unumwunden zuzugeben, daá die Vorzge der Bleichgesichter zahlreicher und gr”áer seien als diejenigen der roten M„nner. Sie trachteten, den ersteren nachzueifern. Sie nahmen von //19// ihnen vieles Gute, leider aber auch vieles B”se an. Sie waren so kindlich und so naiv, so manches, was bei den Weiáen nur auf dem Fuá des Gew”hnlichen oder gar des Niedrigen stand, fr ungew”hnlich, fr hoch, fr heilig zu halten und sich fr immer anzueignen, ohne vorher zu prfen und ohne zu fragen, welche Folgen das bringen werde. So nahmen sie auch das Wort "Medizin" bei sich auf und bezeichneten damit ihr Allerh”chstes und Allerheiligstes, ohne zu wissen, daá sie gerad dieses H”chste und Heiligste damit beleidigten und entwrdigten. Denn zu der Zeit, als sie dies taten, hatte der Ausdruck Medizin nicht etwa den guten, ehrenden Klang wie heut. Er besaá den starken Beigeschmack von Hokuspokus, Quacksalberei und Windbeutelei, und als die Indianer in ihrer Unbefangenheit die Tr„ger ihrer allerdings noch bei den Anf„ngen stehenden Theologie und Wissenschaft als "Medizinm„nner" bezeichneten, ahnten sie nicht, daá sie damit den bisherigen guten Ruf dieser Leute fr immer vernichteten. Wie hoch diese letzteren standen, ehe sie Gelegenheit hatten, die "Zivilisation" der Weiáen kennenzulernen, ersehen wir heutigen Tages erst nach und nach, indem wir unsere Forschung tiefer und tiefer in die Vergangenheit der amerikanischen Rasse hinuntersteigen lassen. Diese Vergangenheit zeigt uns zahlreiche Punkte, auf denen die V”lker Amerikas auf gleicher Stufe mit den Weiáen standen. Alles, was bei jenen V”lkern und in jenen Reichen Gutes, Groáes und Edles geschah, entsprang jenen geistigen Quellen und den K”pfen jener M„nner, welche von ihren Nachkommen sp„ter als "Medizinen" und "Medizinm„nner" bezeichnet wurden. Hiermit sind Theologen, Politiker, Strategen, Astronomen, Tempelbaumeister, Maler, Bildhauer, Quipu-Entzifferer, Professoren, //20// Aerzte, kurz, alle diejenigen Personen und St„nde zusammengefaát, durch welche die intellektuellen und ethischen Potenzen jener Zeiten sich bet„tigten. Es gab unter diesen sp„ter als "Medizinm„nner" bezeichneten Koryph„en genau ebenso berhmte und hochberhmte Namen wie in der Entwicklungsgeschichte der asiatischen und europ„ischen Rassen, und sie sind nicht fr immer, sondern nur fr einstweilen verschollen, weil unsere Kenntnis und unser Verst„ndnis noch nicht soweit vorgeschritten sind, jenes geschichtliche Dunkel zu erleuchten. Wenn die Medizinm„nner der Gegenwart nicht mehr die Medizinm„nner der Vergangenheit sind, so tr„gt der Indianer gewiá nicht allein die Schuld daran. Die geistige Elite der Inkas, der Tolteken und Azteken, also die "Medizinpflegerschaft" der Peruaner und Mexikaner, stand gewiá nicht auf einem sehr viel niedrigeren Niveau als die Abenteurer eines Cortez und Pizarro, und wenn diese damalige H”he sich infolge der spanischen Invasion zur heutigen Tiefe neigte, so daá wir jetzt die Indianer einfach und kurzerhand als "Wilde" bezeichnen, so brauchen wir uns nicht darber zu wundern, daá auch ihre Medizinm„nner mit herabgekommen sind. Sie waren gezwungen, diesen Niedergang mitzumachen. Trotzdem aber sind sie noch lange nicht das, wofr wir sie halten. Ich habe noch keinen Weiáen kennengelernt, der von irgendeinem Medizinmann in seine Geheimnisse und Anschauungen eingeweiht worden ist oder der wenigstens die Symbolik der betreffenden Gebr„uche derart begreift, wie sie begriffen werden muá, ehe man behaupten kann, ber sie sprechen oder gar schreiben zu drfen. Ein wirklicher Medizinmann, der es ernst mit seinem Amt und seiner Wrde nimmt, gibt sich nie zu Schaustellungen her. Die sogenannten Medizinm„nner //21// der von Zeit zu Zeit hier bei uns herumvagabundierenden V”lkerwiesenindianer sind alles andere, aber nur keine wirklichen Medizinm„nner, und an ihren Verrenkungen, Sprngen und sonstigen Possen wrde ein solch letzterer gewiá ebensowenig teilnehmen, wie zum Beispiel bei uns ein ernstgesinnter Gottes- oder Weltgelehrter auf den Gedanken kommen k”nnte, auf einem Jahrmarkt oder Vogelschieáen fr Geld und ”ffentlich einen Schuhplattler oder einen Purzelb„umler zu tanzen. Ich bitte meine Leser, diese Ausfhrungen ja nicht fr langweilig oder gar fr berflssig zu halten. Ich muáte das sagen, denn es gilt, von nun an gerecht zu sein und von den bisherigen Fehlern, die wir in der Psychologie der roten Rasse begingen, endlich einmal abzulassen. Wenn wir in Tatellah-Satah einen jener alten, hochstehenden Medizinm„nner der Vergangenheit kennenlernen, die wie S„ulen im Bild eines Tagesscheidens stehen, so war ich als gewissenhafter und wahrheitstreuer Zeichner verpflichtet, den forschenden Blick auf die Betrachtung dieses Gem„ldes vorzubereiten. Der geheimnisvolle Mann, von dem ich mit so groáer Hochachtung spreche, war nicht etwa mein Freund gewesen, o nein! Aber ja auch nicht mein Feind! Er war berhaupt keines Menschen Feind. Sein Denken und Fhlen war absolut gerecht und absolut human, sein Handeln ebenso. Aber wie er zu mir stand, das war noch schlimmer und noch niederdrckender, als wenn er mein Feind gewesen w„re. Ich war n„mlich fr ihn gar nicht vorhanden. Er bersah mich vollst„ndig. Warum? Weil er mich seit dem Tag, an welchem der Vater und die Schwester meines Winnetou ermordet worden waren, als ihren eigentlichen M”rder betrachtete. Sie war aus eigenem Wunsch und auf Wunsch ihres //22// ganzen Stammes zu meiner Frau bestimmt gewesen, ich aber hatte sie abgewiesen. Sie hieá Nscho-tschi, und sie trug diesen Namen mit Recht. Nscho-tschi heiát auf deutsch "Sch”ner Tag", und als sie starb, ging eine helltagende, sch”ne Hoffnung der Apatschen mit ihr aus dem Leben, besonders eine liebe, groáe Hoffnung des alten Medizinmannes Tatellah-Satah. Sie war fr ihn die sch”nste und beste Tochter s„mtlicher Apatschenst„mme, und er behauptete, daá sie damals nicht erschossen worden w„re, wenn ich mich nicht abweisend, sondern entgegenkommend verhalten h„tte. Ich gab dies zwar unumwunden zu, fhlte mich aber von jedem Selbstvorwurf so vollst„ndig frei, als ob die liebe, aufopferungsvolle Freundin heut noch lebte. Sie hatte nach dem Osten gewollt, um sich eine h”here Bildung anzueignen, und war unterwegs mit Intschu tschuna [Intschu-tschuna], ihrem Vater, erschossen worden, um beraubt zu werden. Nie war es Winnetou, ihrem Bruder, eingefallen, deshalb, weil sie diese Reise meinetwegen unternommen hatte, auch nur den Schatten einer Anklage gegen mich zu richten; Tatellah-Satah aber hatte mich dafr aus seinem Buch, aus seinem Leben und aus allen seinen Berechnungen gestrichen, und zwar fr immer und ewig, wie es schien. Er wohnte seit Menschengedenken in gr”áter Einsamkeit hoch oben im Gebirge. Nur H„uptlinge durften sich ihm nahen, und auch das so selten wie m”glich. Es muáte sich um Angelegenheiten von h”chster Wichtigkeit handeln, ehe jemand die Erlaubnis bekam, zu ihm emporzusteigen. Nur Winnetou, sein ganz besonderer Liebling, durfte kommen, so oft es ihm beliebte. Ihm wurde jeder Wunsch erfllt, dessen Erfllung berhaupt m”glich war, aber nur der eine nicht, den er oft vergebens „uáerte, n„mlich der, mich einmal mitbringen zu drfen. //23// Und nun jetzt, nach so langer Zeit, auf einmal diese dringende Einladung! Das konnte nur sehr ernste und sehr gewichtige Grnde haben, Grnde, die keine gew”hnlichen und allt„glichen Ziele verfolgten, sondern sich auf Besseres und Wertvolleres bezogen, als ich jetzt, da ich seinen Brief soeben erst erhalten hatte, schon zu durchschauen vermochte. Aber es stand nun fest, daá ich hinberging und daá ich zur rechten Zeit auf dem Nugget-tsil eintreffen Wrde, um die mir bezeichnete Blaufichte zu mir sprechen zu lassen. Und ebenso bestimmt war es, daá das Herzle mich begleitete. Als sie das h”rte, jubelte sie nicht etwa auf, sondern sie zeigte mir ganz im Gegenteil ihr ernsthaftestes Gesicht. Sie dachte an die Anstrengungen einer solchen Reise und an die Gefahren eines solchen Rittes durch den Westen. Denn daá die von nah und fern herbeieilenden vielen H„uptlinge sich nicht der Eisenbahn bedienen wrden, verstand sich ganz von selbst; das war berhaupt schon durch die Heimlichkeit, mit der Alles zu geschehen hatte, ausgeschlossen. Aber sie dachte, indem sie von diesen Anstrengungen und Gefahren sprach, nicht an sich selbst, sondern nur an mich. Es gelang mir jedoch sehr leicht, sie zu berzeugen, daá man jetzt zwar noch von einem "Westen", aber schon langst nicht mehr von einem "Wilden Westen" sprechen k”nne und daá ein solcher Ritt fr mich nur eine Erholung, nicht aber eine Beschwerde sei. Was sie selbst betrifft, so war sie gesund, mutig, geschickt, ausdauernd und frugal genug, um mich begleiten zu k”nnen. Sie beherrschte die englische Sprache, und sie hatte durch das fleiáige Zusammenstudieren und Zusammenarbeiten mit mir sich so ganz nebenbei auch eine Menge indianischer W”rter und Redensarten angeeignet, die ihr zustatten kommen muáten. Auch was das Reiten betrifft, //24// so war ihr unser letzter l„ngerer Aufenthalt im Orient eine gute Lehrzeit gewesen. Sie hatte sich da ganz geschickt benommen und nicht nur Pferde, sondern auch Kamele gut zu behandeln gelernt. Und wie stets und berall, so zeigte sie sich auch hier als klug berechnende, wirtschaftlich vorausschauende Hausfrau. Ich hatte von einigen amerikanischen Verlagsbuchh„ndlern Offerten erhalten, die sich auf die Herausgabe meiner Werke in englischer Sprache fr da drben bezogen. Diese Herren sollte ich, so meinte das Herzle, bei dieser Gelegenheit pers”nlich aufsuchen, um, falls sie auf meine Bedingungen eingingen, mit ihnen bequemer abschlieáen zu k”nnen, als es aus der Ferne und brieflich m”glich war. Um die Deckelbilder vorzeigen zu k”nnen, machte sie sich von den Originalen derselben photographische Kopien im Groáformat, die ihr sehr gut gelangen, denn das Herzle versteht das Photographieren viel, viel besser als ich. Am besten gelang ihr der Sascha Schneidersche zum Himmel aufstrebende Winnetou. Von demselben Knstler besitze ich auch zwei pr„chtige, ergreifende Portr„ts von Abu Kital, dem Gewaltmenschen, und Marah Durimeh, der Menschheitsseele. Auch diese beiden, die fr die n„chsten B„nde bestimmt sind, wurden photographiert, um mitgenommen zu werden, und zwar nicht auf Karton, sondern unaufgezogen, also so dnn, daá sie im Koffer fast gar keinen Raum einnahmen und zusammengerollt oder zusammengebrochen in die Rocktasche gesteckt werden konnten. Ich bitte, auch diese rein gesch„ftlichen Bemerkungen nicht fr langweilig oder gar fr berflssig zu halten. Man wird im Verlauf der Erz„hlung sehen, daá einige dieser Bilder eine nicht gew”hnliche Wichtigkeit in der Kette der Ereignisse erhielten. Wer mich kennt, der weiá, daá //25// es fr mich keinen "Zufall" gibt. Ich fhre Alles, was geschieht, auf einen h”heren Willen zurck, mag man diesen Willen als Gott, als Schicksal, als Fgung oder sonst irgendwie bezeichnen. Diese Fgung waltete auch hier, dessen bin ich berzeugt. Die Buchh„ndlerofferten verliefen und zerronnen sp„ter zu nichts; ich fand gar keine Zeit, diese Herren aufzusuchen. Ihr Zweck war nur, den Anstoá zu dem Gedanken zu bilden, die Buchdeckel zu kopieren und diese Abzge mitzunehmen. Noch klarer und noch deutlicher trat dieser Schicksalszweck bei einer anderen Verlagsofferte hervor, die mir aber nicht schriftlich, sondern mndlich gemacht wurde, und zwar auff„lligerweise genau zu derselben Zeit und auch von einem Amerikaner. Besonders beachtenswert sind hierbei die Nebenumst„nde, durch welche der Gedanke, es nur mit einem Zufall zu tun zu haben, vollst„ndig ausgeschlossen wurde. Ich habe hier in Dresden einen Freund, der ein viel in Anspruch genommener Arzt und Psychiater ist. Besonders auf dem letzteren Gebiet hat er ganz bedeutende Erfolge errungen. Er wird da als Autorit„t bezeichnet und von Fremden nicht weniger als von Einheimischen zu Rate gezogen. Dresden ist bekanntlich eine vielbesuchte Fremdenstadt. Bei einem Besuch, den dieser Freund uns machte, nicht etwa Sonntags, wo er frei war, sondern mitten in der Woche, und zwar abends sp„t, also zu einer Zeit, in der wir noch niemals von ihm aufgesucht worden waren, kam die Rede auf unsern Entschluá, mit dem Norddeutschen Lloyd nach New York zu fahren. "Etwa um Nuggets zu holen?" fragte er so schnell, als ob er nur auf diese unsere Mitteilung gewartet h„tte. //26// "Wie kommen Sie grad auf Nuggets?" antwortete ich. "Weil ich heut eines gesehen habe. Es war so groá wie ein Taubenei und wurde, als Berlocke gefaát, an der Uhrkette getragen", antwortete er. "Von wem?" "Von einem Amerikaner, der mir brigens noch viel interessanter war als dieses sein Klmpchen Gold. Er sagte mir, er sei nur fr zwei Tage hier, und erbat sich mein Gutachten in einer Angelegenheit, die fr jeden Psychologen, also auch fr Sie, mein lieber Freund, ein ,Fall' allerersten Ranges ist." "Wieso?" "Es handelte sich um den in einer Familie sich vererbenden Zwang zum Selbstmord, einen Zwang, der unbedingt s„mtliche Glieder der Familie ergreift, ohne auch nur ein einziges zu verschonen, und bei dem einzelnen ganz leise, leise beginnt, um nach und nach an St„rke zu wachsen, bis er unwiderstehlich wird." "Ich h”rte schon von solchen F„llen und lernte einen derart Belasteten sogar pers”nlich kennen. Es war noch dazu ein Schiff sarzt, mit dem ich von Suez nach Ceylon fuhr. Wir verbrachten eine ganze, helldunkle Sternennacht auf dem Oberdeck ber psychologische Fragen. Da gewann er Vertrauen zu mir und teilte mir mit, was er sonst Keinem sagte. Ein Bruder und eine Schwester hatten sich bereits das Leben genommen; der Vater ebenso. Mutter war vor Gram und Angst gestorben. Eine zweite Schwester schickte ihm jetzt w„hrend seiner Auslandstour Briefe nach, daá sie dem unglckseligen Drang unm”glich l„nger widerstehen k”nne, und er selbst war nur deshalb Arzt geworden, um, falls kein Anderer helfen k”nne, vielleicht selbst den Weg der Rettung zu finden." //27// "Was ist aus ihm und seiner Schwester geworden?" "Das weiá ich nicht. Er versprach mir, zu schreiben und mir seine heimatliche Adresse anzugeben, hat dies aber nicht getan. Er war Oesterreicher. Stand es mit diesem Ihrem Amerikaner ebenso traurig?" "Ob mit ihm selbst, kann ich nicht sagen. Er nannte keine Namen, auch den seinigen nicht, und tat so, als ob er nur von Bekannten spreche, nicht aber von seiner eigenen Familie. Aber der Eindruck, den er auf mich machte, war ein solcher, daá ich ihn fr pers”nlich beteiligt halte. Er hatte so unendlich traurige Augen. Er schien ein guter Mensch zu sein, und es tat mir wirklich aufrichtig leid, ihm keine sichere Hilfe in Aussicht stellen zu k”nnen." "Aber doch wenigstens Trost?" "Ja, Rat und Trost. Aber denken Sie sich so eine Flle von Unheil: Die Mutter hatte Gift genommen. Der Vater war spurlos verschwunden. Von fnf Kindern, die lauter S”hne waren, lebten nur noch zwei. Sie alle sind verheiratet gewesen, aber von ihren Frauen verlassen worden, weil bei ihren Kindern der Drang zum Selbstmord schon im Alter von neun oder zehn Jahren eingetreten ist und sich derart schnell entwickelt hat, daá nur ein einziges von ihnen das Alter von sechzehn Jahren erreichte." "Sie sind also alle tot?" "Ja, alle. Nur die erw„hnten beiden Brder leben noch. Aber sie k„mpfen mit dem Mordzwang Tag und Nacht, und ich glaube nicht, daá einer von ihnen so stark sein wird, diesen D„mon in sich zu besiegen." "Schrecklich!" "Ja, schrecklich! Aber ebenso r„tselhaft wie schrecklich! Dieser unglckselige Drang existiert n„mlich nur erst in der zweiten Generation; vorher war er nicht vor- //28// handen [vorhanden]. Leider konnte mir nicht gesagt werden, bei wem er sich zuerst „uáerte, ob bei der an Gift gestorbenen Mutter oder bei dem verschollenen Vater. Auch erfuhr ich nicht, ob diese Krankheit etwa seit irgend einem Ereignis datiert, welches mit groáen oder gar unheilvollen seelischen Erschtterungen verbunden war. Das Wrde doch wenigstens einen Anhalt geben. So aber muáte ich mich darauf beschr„nken, anstrengende Arbeit fr K”rper und Geist anzuraten, treue Pflichterfllung, die mit heiterer, aber ja nicht niedriger Zerstreuung abzuwechseln hat, und vor allen Dingen fortw„hrende šbung und Weiterst„hlung der Charakter- und Willenskr„fte, auf die es hier in diesem Fall am meisten anzukommen hat. " "Haben Sie den Stand dieser unglcklichen Familie erfahren?" "Ja. Das war ja eine der Hauptfragen, die ich vorzulegen hatte. Der verschollene Vater war Westmann, Squatter, Trapper, Goldsucher und sonst alles Derartige gewesen und hat von Zeit zu Zeit das, was er dabei erbrigte, heimgebracht. Das sind oft ganz ansehnliche Summen gewesen. Er hat die Manie gehabt, Million„r werden zu wollen. Das wurde zwar nicht erreicht, aber reich, ziemlich reich ist die Familie doch geworden. Die fnf Brder vereinigten sich zu einem Groágesch„ft in Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen - -" "Sie hatten also wohl viel mit den groáen Schl„chtereien zu tun?" unterbrach ich ihn. "Allerdings." "Das konnte bei dieser Veranlagung nur sch„dlich sein, sehr sch„dlich!" " Unbedingt! Massent”tung von Schlachtvieh! Warmer Blutdunst! Immerw„hrender Fleisch- oder gar Kadavergeruch! Hieraus folgende Verh„rtung des Mit- //29// gefhles [Mitgefhls]! F”rmliche Aufftterung und Anm„stung jenes innerlichen D„mons! Ich habe das dem Amerikaner ganz offen gesagt und ihn gewarnt. Da teilte er mir mit, daá er das gar wohl gefhlt habe und darum fr die beiden Brder der Ratgeber und Helfer gewesen sei, das Gesch„ft zu verkaufen. Das sei im vorigen Jahr geschehen, doch ohne daá sich hierauf eine Ver„nderung oder gar Verringerung des Leidens eingestellt habe. - Doch, da unterhalte ich Sie noch am sp„ten Abend mit Dingen, die Ihnen und mir nur die Nachtruhe verderben k”nnen. Ich bitte um Verzeihung und bin so pfiffig, mich, um nicht von Ihnen fortgewiesen zu werden, jetzt selbst hinauszuwerfen. Schlafen Sie wohl!" Er brach so kurz ab und entfernte sich so schnell, wie es sonst seine Art gar nicht war. Genau ebenso verhielt es sich berhaupt mit seinem heutigen Kommen. Es war, als habe er uns so ganz auáerhalb der gewohnten Zeit nur deshalb aufgesucht, um uns auf diesen Amerikaner aufmerksam zu machen. Das Herzle hatte dasselbe Gefhl wie ich. "Er ist mir heut gar nicht wie ein besuchender Freund, sondern wie ein Bote vorgekommen", sagte sie. "Sollte es mit diesem Yankee irgendeine Bewandtnis haben, die auch uns angeht? So darf ich freilich nur dich fragen, nicht aber andere, die es fr selbstverst„ndlich halten wrden, mich auszulachen!" Ich gab ihr recht. Aber siehe da: Am n„chsten Vormittag, zur Besuchszeit, so um elf Uhr, saá ich bei der Arbeit. Da h”rte ich die Hausglocke. Es wurde jemand eingelassen. Ich hatte gesagt, daá ich heute absolut fr niemand zu sprechen sei. Dennoch kam nach einiger Zeit das Herzle zu mir herauf, legte eine Visitenkarte vor mich hin und sagte: //30// "Verzeih! Ich kann nicht anders; ich muá dich doch unterbrechen! Es ist gar zu sonderbar - du wirst dich wundern." Ich warf einen Blick auf die Karte. "Hariman F. Enters" stand darauf, nur dieser Name, weiter nichts. Ich sah das Herzle erwartungsvoll an. "Ja, es ist wirklich erstaunlich", nickte sie. "Er hat das taubeneigroáe Nugget an der Uhrkette." "Wirklich? - Wirklich?" "Ja! Und die ganz auffallend traurigen Augen sind auch da!" "Und was will er?" "Mit dir reden." "Ich habe keine Zeit. Hast du ihm das gesagt? Er mag wiederkommen!" "Er muá noch heut fort, sonst vers„umt er das Schiff. Er sagt, er gehe nicht fort, ohne mit dir gesprochen zu haben. Er bleibe sitzen, bis du kommst. Du sollst ihm sagen, was die Zeit kostet, die du dadurch vers„umst; er werde sofort bezahlen." "Das ist amerikanischer Unsinn! Hat er dir gesagt, was er ist?" "Verlagsbuchh„ndler. Er scheint kein Wort Deutsch sprechen zu k”nnen. Er will dir den ,Winnetou' abkaufen." "Hast du ihm hierauf vielleicht schon Bescheid gegeben?" "Ich teilte ihm mit, daá wir schon „hnliche Offerten von drben bekommen haben und n„chstens mit dem Lloyd hinbergehen werden, um das zu erledigen." "Du, Herzle, das war nicht sehr gescheit von dir!" "Warum nicht?" "Wer nach dem ,Westen' gehen will, der hat sich vor //31// allen Dingen in der Schweigsamkeit zu ben, ganz gleich, ob es da drben noch ,wild' zugeht oder nicht." "Aber wir sind ja noch gar nicht drben!" "Ich habe gesagt, schon wenn man hinber will, verstanden, will! brigens brauchen wir, um schweigsam sein zu mssen, gar nicht erst hinber, denn er ist schon hier hben bei uns." "Wo?" "Unten bei dem Amerikaner. Dieser Mr. Hariman F. Enters ist der amerikanische Westen." "Meinst du?" "Gewiá! Du wirst bald sehen, daá dies richtig ist. Mag er sein, wer er will, und mag er wollen, was er will, wir spielen jetzt Amerika. Er ist gekommen, sich bei uns anzuschleichen. Drehen wir den Spieá um! Geh jetzt hinab und sag, daá ich kommen werde; aber teile ihm nicht mehr mit. Sprich mit ihm berhaupt so wenig wie m”glich!" Sie ging, und ich folgte ihr nach einiger Zeit nach. Mr. Enters war ein wohlgebauter, glattrasierter Mann im Alter von ungef„hr vierzig Jahren. Er machte einen wohlwollenerweckenden Eindruck, ohne grad das Benehmen eines hochgebildeten Mannes zu zeigen. Er trat bescheiden auf, war aber trotzdem dabei auch ein wenig Protz. Das von den traurigen Augen, das stimmte. Lachen schien er gar nicht zu k”nnen, und wenn er ja einmal l„chelte, so machte das mehr den Eindruck der Qual als der Heiterkeit. Meine Frau stellte uns einander vor. Wir verbeugten uns und saáen uns dann einander gegenber. Ich bat ihn, mir zu sagen, womit ich ihm dienen k”nne. Er antwortete, indem er fragte: "Ihr seid Old Shatterhand?" "Man nannte mich so", erwiderte ich. //32// "Auch jetzt noch?" "H”chstwahrscheinlich." "Ihr geht n„chstens wieder hinber?" "Ja." "Wohin? Bis wie weit?" "Weiá ich noch nicht." "Mit welchem Schiff?" "Ist noch unbestimmt." "Auf wie lange?" "Das wird sich erst drben entscheiden." "Ihr besucht alte Bekannte?" "Vielleicht." "Werdet Ihr Euch mehr nach dem Norden oder nach dem Sden der Staaten wenden?" Da stand ich von meinem Sitz auf, verbeugte mich, drehte mich um und ging nach der Tr. "Wohin wollt Ihr, Mr. May?" rief er da hastig hinter mir her. Ich blieb stehen und antwortete: "Wieder an meine Arbeit. Ich habe Euch aufgefordert, mir mitzuteilen, was Ihr von mir wnscht. Anstatt dies zu tun, legt Ihr mir eine ganze Reihe von Fragen vor, zu denen Euch absolut kein Recht gegeben ist. Hierauf zu antworten, habe ich keine Zeit!" "Ich habe Mrs. May gesagt, daá ich sofort bezahle, was das kostet", warf er ein. "Das k”nnt Ihr nicht. Ihr seid zu arm dazu, viel zu arm!" "Glaubt Ihr? Mache ich wirklich einen so armen Eindruck? Ihr irrt Euch, Sir!" "Gewiá nicht. Denn selbst wenn Ihr Euch im Besitz von tausend Milliarden bef„ndet, so w„ret Ihr trotzdem auáerstande, sogar dem aller„rmsten Teufel auch //33// nur eine Viertelstunde der ihm von Gott gegebenen, vollst„ndig unersetzlichen Lebenszeit zu bezahlen!" "Wenn Ihr das so betrachtet, so mag es sein. Bitte, setzt Euch wieder nieder! Ich werde mich so kurz wie m”glich fassen." Er wartete, bis ich diesen seinen Wunsch unter scheinbarem Z”gern erfllt hatte, und fuhr dann fort: "Ich bin Verlagsbuchh„ndler. Ich kenne Euern ,Winnetou' - - - " "Sprecht und lest Ihr Deutsch?" unterbrach ich ihn. "Nein", antwortete er. "Wie k”nnt Ihr da diese Erz„hlung kennen? Sie ist meines Wissens noch nicht in das Englische bersetzt." "Sie wurde in einer mir befreundeten Familie, in welcher auch deutsch gesprochen wird, gelesen und mir zuliebe gleich w„hrend des Lesens bersetzt. Was ich da h”rte, interessierte mich derart, daá ich einen jungen, stellenlosen Deutschamerikaner zu mir nahm, um sie mir in voller Muáe nach und nach derart vorlesen zu lassen, daá ich alles verstand und mir die notwendig erscheinenden Notizen machen konnte." "Ah, Notizen! Wozu Notizen?" Ich bemerkte, daá diese Frage ihn in Verlegenheit brachte. Er versuchte, dies zu verbergen, und antwortete: "Natrlich nur rein literarische, als Buchh„ndler, selbstverst„ndlich! Ich habe dann auf meinen weiten Ritten durch den Westen diese Notizen bei mir gehabt und Alles, was in Euern drei B„nden steht, nachgeprft. Darum bin ich imstande, Euch sagen zu k”nnen, daá Alles stimmt, Alles, sogar oft die geringsten Kleinigkeiten." "Danke!" sagte ich kurz, als er mich hierbei ansah, ob dieses Lob einen Eindruck auf mich machen werde. //34// "Nur zwei Orte", fuhr er fort, "konnte ich noch keiner Prfung unterziehen, weil ich sie noch nicht aufzufinden vermochte." "Welche, Sir?" "Den Nugget-tsil' und das ,Dunkle Wasser', in welchem Sander sein wohlverdientes Ende fand. Werdet Ihr vielleicht auf Eurer jetzigen Reise an diese Stellen kommen?" "Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber ich h”re, daá Ihr schon wieder so berflssige Fragen bringt, anstatt mir zu sagen, was Ihr wollt - - - !" Ich machte Miene, wieder aufzustehen. "Bleibt sitzen, bleibt sitzen!" rief er schnell. "Ich bin ja sofort wieder bei der Sache, oder vielmehr, ich habe mich von ihr noch gar nicht entfernt. Ich wollte Euch nur zeigen, daá ich Eure Bcher geprft und der Uebersetzung in die englische Sprache fr wert gefunden habe." "Geprft? Dazu geh”ren lange Jahre!" "Haben es auch, haben es auch!" nickte er eifrig, ohne zu bemerken, daá jetzt ich der Anschleichende war. "Es hat eine sehr lange Zeit gedauert, ehe ich alle die Orte berhren konnte, um die es sich da handelte." "Vertrug sich das mit Eurem Gesch„ft?" "Gewiá, gewiá. Wir hatten damals ein Grossogesch„ft in Pferden, Rindern, Schweinen und Schafen und trieben uns bei unseren Eink„ufen sehr viel im alten Westen herum." "Ihr sagt ,wir'. Also Kompagnons?" "Ja, aber keine Fremden, sondern brderliche Kompagnie. Wir waren fnf Brder, sind aber jetzt nur noch zwei. Auch noch Kompagniegesch„ft, aber nicht in Pferden und Rindern, sondern in Bchern. Wir wollen Euch Eueren ,Winnetou' abkaufen - - - " //35// "Nur ihn?" fiel ich ihm in die Rede. "Ja, nur ihn", erwiderte er. "Warum nicht auch die andern Bcher, die doch auch Reiseerz„hlungen sind?" "Weil sie uns nicht interessieren." "Ich denke, es kommt hierbei mehr darauf an, was die Leser interessiert?" "Mag sein; bei uns aber ist das anders. Wir wollen nur den Winnetou, weiter nichts." "Hm! Wie denkt Ihr Euch dieses Gesch„ft?" "Sehr einfach: Ihr verkauft ihn uns mit allen Rechten, ein fr allemal, und wir bezahlen ihn Euch ein fr allemal." "Wann geschieht diese Zahlung?" "Sofort. Ich bin imstande, Euch eine Anweisung an jede Euch beliebige Bank zu geben. Wieviel verlangt Ihr?" "Wieviel bietet Ihr?" "Je nachdem! Wir drfen drucken, so viel wir wollen?" "Wenn wir einig werden, ja." "Oder auch, so wenig wir wollen?" "Nein." "Wie? Was? Nicht?" "Nein! Natrlich nicht!" "Wieso? Warum?" "Ich schreibe meine Bcher, damit sie gelesen werden, nicht aber damit sie verschwinden." "Verschwinden?" fragte er unter einer Bewegung der šberraschung. "Wer hat Euch gesagt, daá sie verschwinden sollen?" "Gesagt wurde es allerdings noch nicht; aber Ihr erw„hntet doch, daá auch so wenig gedruckt werden darf, wie Euch beliebt." //36// "Ganz natrlich. Wenn wir s„hen, daá die Bcher im Englischen keinen Anklang f„nden, so wrden wir eben darauf verzichten, sie zu drucken. Das versteht sich doch wohl von selbst!" "Ist das Euer Ernst?" "Ja." "Sagt, hat Eure Reise nach Deutschland noch andere Zwecke?" "Nein. Ich habe keinen Grund, Euch zu verheimlichen, daá ich nur dieser Eurer drei Bcher wegen herbergekommen bin." "So tut es mir leid, daá Ihr diese Reise so ganz umsonst gemacht habt. Ihr bekommt die Bcher nicht." Ich war wahrend dieser Worte aufgestanden. Auch er erhob sich von seinem Stuhl. Er war nicht imstande, die v”llig unerwartete, groáe Entt„uschung zu verbergen, die ihn ergriff. Sein Blick wurde „ngstlich, und seine Stimme vibrierte, als er fragte: "Verstehe ich Euch da recht, Sir? Ihr wollt den ,Winnetou' nicht verkaufen?" " Wenigstens nicht an Euch. Ich gebe meine Bcher nicht einzeln zur Uebersetzung. Wer eins oder nur einige wnscht, der ist gezwungen, sie alle zu nehmen." "Aber wenn ich Euch nun fr diese drei B„nde so viel zahle, wie Ihr fr alle verlangt?!" "Auch dann nicht." "Seid Ihr denn gar so reich, Mr. May?" "Nein, keineswegs. Von Reichtum ist bei mir keine Rede. Ich habe nichts als mein gutes, fr mich und meine Zwecke grad so zureichendes Auskommen, mehr nicht. Aber das gengt mir vollst„ndig. Und wenn Ihr meine Erz„hlung ,Winnetou' wirklich kennt, so wiát Ihr, daá ich berhaupt nicht nach Reichtum trachte, sondern //37// nach h”herstehenden, wertvolleren Gtern, mit denen ich meine Leser erfreuen und segnen will. Dazu ist notwendig, daá meine Bcher den richtigen Verleger finden, und daá Ihr der nicht sein k”nnt, davon habt Ihr mich soeben berzeugt." Meine Frau sah und h”rte es mir an, daá an diesem meinem Entschluá nicht zu rtteln war. Der Yankee tat ihr leid. Er stand mit einer Miene und in einer Haltung vor uns da, als ob ein nicht wieder gut zumachendes Unheil ber ihn hereingebrochen sei. Er z”gerte, meinen Bescheid als mein letztes Wort zu betrachten. Er machte Einwendungen. Er brachte Grnde. Er gab Versprechungen, doch vergeblich. Schlieálich, als gar nichts helfen wollte, sagte er: "Ich gebe die Hoffnung trotz alledem nicht auf, daá ich den ,Winnetou' doch noch von Euch bekomme. Ich sehe, daá Mrs. May dieser Sache viel weniger abgeneigt ist, wie Ihr. Beratet Euch mit ihr, und gebt mir Zeit, inzwischen mit meinem Bruder, der doch mein Kompagnon ist, zu reden." "Wollt Ihr dann etwa wieder herberkommen? Das wrde ebenso nutzlos sein wie Eure jetzige Reise," erkl„rte ich. "Herber zu kommen, habe ich nicht n”tig, weil Ihr ja, wie ich h”re, baldigst hinbergeht. Gebt mir irgendeine Adresse da drben an, und bestimmt mir einen Tag, an dem Ihr dort zu treffen seid, so stelle ich mich ein." "Auch das h„tte keinen Erfolg!" versicherte ich. "K”nnt Ihr das jetzt schon wissen? Ist es nicht m”glich, daá ich nach der Besprechung mit meinem Bruder Euch ein Anerbieten machen kann, welches Euern Zwecken und Wnschen besser entspricht als das heutige?" Ich fhlte, daá er innerlich davor zitterte, auch noch //38// hiermit abgewiesen zu werden. Auch ich hatte Mitleid, aber ich durfte diesem Gefhl nicht die Herrschaft ber meine Entschlsse einr„umen. Das Herzle bombardierte mich mit bittenden Blicken, und als dies nicht schnell genug wirken wollte, ergriff sie gar meine Hand. Da sagte ich: "Gut, so mag es sein. Geben wir uns Zeit zum berlegen! Meine Frau war noch niemals mit da drben. Sie erwartet ganz besonders, den Niagarafall zu sehen. Wir werden also von New York aus mit dem Hudsondampfer nach Albany fahren und von da mit der Bahn nach Buffalo, von wo aus es bis zu den F„llen nur noch eine Stunde ist. In Niagara-Falls wohnen wir auf der kanadischen Seite, und zwar im Clifton-Hotel, wo ich - - -" "Das kenne ich; das kenne ich sehr gut!" unterbrach er mich. "Da ist man sehr gut aufgehoben. Ein Hotel allerersten Ranges, still, vornehm, mit allen Errungenschaften der Neuzeit ausgestattet und - - -" " Well!" fiel nun ich ihm in die Rede, um ihm dieses Lob, mit dem er nur sich selbst in das Licht stellen wollte, abzuschneiden. "Wenn Ihr es kennt, so ist es ja gut. Also dort sind wir zu finden." "Wann?" "Das weiá ich jetzt noch nicht. Am besten ist es, Ihr setzt Euch mit der Verwaltung dieses Hauses in Verbindung, daá sie Euch von unserer Ankunft sofortige Nachricht gibt." "Richtig! Das ist das beste, und das werde ich tun!" Dabei blieb es. Es gab hben und drben noch einige h”fliche Abschiedsworte, dann war dieser Besuch, der viel gr”áere Wichtigkeit besaá, als selbst ich jetzt dachte, beendet. //39// Das Herzle konnte nicht ganz mit mir zufrieden sein. Sie ist so sehr zum Mitleid und Erbarmen geneigt, und der „ngstliche, gequ„lte Blick dieses Mannes wollte ihr noch tagelang nicht aus dem Sinn kommen. Sie meinte, daá ich nicht h”flich genug und zu abweisend mit ihm verfahren sei. "Warum tatest du das?" fragte sie. "Weil er mich belog", antwortete ich. "Weil er nicht offen und ehrlich war. Weiát du, wer er ist?" "Ja." "Nun, wer?" "Einer der beiden briggebliebenen S”hne jener unglcklichen Familie, deren Glieder alle durch Selbstmord sterben." "Ja, das ist er allerdings, aber zugleich auch etwas anderes. Er heiát nicht Enters." "Du glaubst, er fhrt einen falschen Namen?" "Ja." "H„ltst ihn also fr einen Schwindler, einen Hochstapler?" "Nein. Grad weil er ein ehrlicher Mann ist, tr„gt er nicht seinen eigentlichen, richtigen Namen. Er sch„mt sich desselben. Ich vermute sogar, daá er nur infolge meiner drei B„nde ,Winnetou' auf diesen Namen verzichtete." Sie war so erstaunt hierber, daá sie mich weiterzufragen vergaá. Darum fuhr ich unveranlaát fort: "H„ltst du es fr m”glich, daá ich berzeugt bin, seinen wirklichen Namen zu wissen?" "Sage ihn!" forderte sie mich auf. "Dieser Mann heiát nicht anders als Sander." Da warf sie mir im h”chsten Erstaunen die atemlose Frage hin: //40// "Welchen Sander meinst du? Den M”rder von Winnetous Vater und Schwester?" "Ja. Der Mann, der bei uns war, ist sein Sohn." "Unm”glich, unm”glich!" "Gewiá, gewiá!" "Beweise es!" "Das ist eigentlich gar nicht n”tig. Du mátest es ebenso schnell und leicht erraten haben wie ich." "Wirklich? Bis jetzt erkenne ich nur das Eine, daá du ihn fr einen Lgner h„ltst, weil er sich Enters anstatt Sander nennt." "Wie falsch von dir, wie falsch! Wchsen meine Folgerungen nur aus diesem einen Punkt heraus, so w„re ich ein auáerordentlich schlechter F„hrtenleser, ein Greenhorn, ein Hans Tapps, und h„tte mich meiner Logik wegen rot und blau zu sch„men. Ich bitte dich aber, daran zu denken, daá er sich extra einen Vorleser engagierte, um sich sofort Notizen machen zu k”nnen. Wie lange ist es wohl her, daá er dies tat?" "Eine ganz betr„chtliche Reihe von Jahren. Das sagte er ja selbst." "Sch”n! Und wozu hat er sich diese Notizen gemacht?" "Aus rein literarischen Grnden, zu Buchh„ndlerzwecken. Auch das sagte er selbst." "Ganz richtig! Und hier liegt die Lge, bei welcher die F„hrte beginnt, die zu seinem richtigen, wirklichen Namen fhrt. Er selbst hat zugegeben, daá er Groáh„ndler in allerlei Schlachtvieh war, und du weiát sehr genau, wann er aufgeh”rt hat, dies zu sein. Oder nicht?" "Doch! Dieses Gesch„ft wurde erst im vorigen Jahr verkauft. Das hat er gestern beim Arzt gesagt." "Und dennoch schon vor so langen Jahren bereits rein ,buch„ndlerische' Notizen? Glaubst du das?" //41// "Nein! Jetzt nicht mehr! Du, jetzt fange auch ich an, klarzusehen. Vielleicht ist es gar nicht einmal wahr, daá er jetzt Buchh„ndler ist!" "F„llt ihm gar nicht ein! Aber mit diesem Gedanken hast du dich neben mich auf die richtige F„hrte gestellt! Ueberlege folgendes: Kaum hat er bei einem Bekannten von meinem ,Winnetou' geh”rt, so engagiert er sich einen besonderen Mann zum Uebersetzen und Vorlesen dieser Erz„hlung. Ist etwa anzunehmen, daá er bei diesem Bekannten dem Vorlesen aller drei B„nde beigewohnt hat?" "Gewiá nicht." "Das ist auch meine Meinung. Er hat nur Einiges oder gar nur Weniges geh”rt. Wenn er sich sofort hierauf einen besonderen Privatbersetzer engagierte, um das ganze Werk unter vier Augen kennenzulernen, so muá dieses Einige oder dieses Wenige von auáerordentlicher Wichtigkeit fr ihn gewesen sein, muá irgendeinen Punkt seines tiefsten Seelenlebens gepackt und ergriffen haben. Oder glaubst du daá diese Wichtigkeit vielleicht doch schon eine ,rein literarische, eine buch„ndlerische' gewesen ist?" "Nein." "Oder eine gesch„ftliche?" "Ebensowenig. Sie war, wie du ganz richtig vermutest, eine psychologische, eine seelische." "Das heiát mit andern Worten, daá sie sich auf sein Innenleben, auf sein Privatleben, auf sein Familienleben, also auch auf seine Familienverh„ltnisse bezog. Er machte w„hrend der Vorlesungen Notizen. Warum und wozu? Doch nicht etwa nur, um nichts zu vergessen. Was Einen so tief in der Seele packt, das merkt man sich gewiá, auch ohne Notizen zu machen. Er hat //42// zugegeben, daá diese Notizen ihm als ,notwendig' erschienen seien und ihm auf seinen Nachforschungen im Westen jahrelang als Fhrer gedient haben - -" "Etwa nach dem verschollenen Vater?" fiel da das Herzle ein. Da nickte ich ihr zu und antwortete: "Du, das war fein, sehr fein! Ja allerdings, nach dem verschollenen Vater! Ich wollte noch einige andere Folgerungen und Schlsse herbeiziehen, um mich dir begreiflich zu machen; da du mir aber gleich mit diesem Hauptergebnisse kommst, so ist das, wenigstens fr einstweilen, nicht mehr n”tig. Ich habe nur noch auf die Dringlichkeit zu zeigen, mit welcher er die Lage der beiden Orte zu erfahren versuchte, die er, wie er sich ausdrckte, ,noch nicht aufzufinden vermochte'. Ich meine selbstverst„ndlich den Nugget-tsil und das Dunkle Wasser." "Muá sich diese Dringlichkeit nur auf Sander beziehen?" "Ja." "Nicht auf irgendeine andere Person? Und auch nicht auf die Nuggets?" "Nein. Von Personen k„me nur ich allein in Betracht, denn alle Andern sind unwichtig oder gar tot, und anzunehmen, daá er grad meinetwegen so jahrelang den Westen durchforscht habe, w„re l„cherlich. Er hat ja durch seinen heutigen Besuch bewiesen, daá er sehr wohl weiá, wie schnell und wie leicht ich zu finden bin. Und was die Nuggets betrifft, so hat er ja gelesen, daá sie fr immer verloren sind und von keinem Menschen mehr gefunden werden k”nnen. Also: Von den Ereignissen am Nugget-tsil und am Dunklen Wasser kommen nur zwei Personen in Betracht, n„mlich Sander und ich; alle Andern sind unendlich nebens„chlich, sind verschwun //43// den [verschwunden]; ich aber habe auszuscheiden; folglich bleibt nur noch Sander. Und nun, paá auf, Herzle, kommt noch ein Hauptgrund, auf den ich mich sttze! Dieser sogenannte Mr. Enters will meinen ,Winnetou' kaufen. Wozu? Etwa um ihn bersetzen, drucken und verbreiten zu lassen?" "Nein, sondern um zu verhindern, daá die Erz„hlung da drben in englischer Sprache erscheint. Da hattest du Recht. Das h”rte man den Worten dieses Mannes an, besonders auch dem Schreck, den er nicht verbergen konnte, als er gegen alle seine Erwartung h”rte, daá er die Bcher nicht bekommt. Man soll da drben die Vergangenheit und die Taten seines Vaters nicht kennenlernen." "Ja. Zwar wollte ich das erst folgern, und du kommst meinem logischen Schluá vor; aber es ist das fr mich eine Tatsache, an der ich nicht im geringsten zweifle. Er hat geglaubt, mich mit einer Tasche voll Dollars bert”lpeln zu k”nnen, obwohl er aus dem ,Winnetou' wissen muáte, daá ich auf solchen K”der nicht gehe. Dieser sein Besuch bei mir und sein Antrag waren eigentlich eine Beleidigung, die ich anders h„tte beantworten sollen, als ich sie beantwortet habe." "So zrnst du mir nun wohl?" "Zrnen? Wofr?" "Dafr, daá ich dich veranlaát habe, ihn nicht ganz endgltig abzuweisen und ihm noch eine Zusammenkunft zu gew„hren." "O nein! Ich lasse mich selbst von dir nicht dazu bestimmen, irgendein h”heres, vielleicht gar ethisches Gut fr niedriges Geld zu verkaufen, und du, du wrdest ganz gewiá die allerletzte sein, mir so etwas zuzumuten. Ich bin auf das Wiedersehen am Niagara eingegangen, weil es sehr triftige Grnde dafr gibt, die beiden Brder Enters oder Sander von nun an nicht wieder aus dem //44// Auge zu lassen. Du weiát ja, daá es eine Gewohnheit jedes erfahrenen Westmannes ist, gef„hrliche Leute sich niemals in den Rcken kommen zu lassen." "Gef„hrlich?" fragte sie. - "Allerdings." "Wieso? Ich halte diesen Enters, obwohl er ein Sander zu sein scheint, doch fr einen guten Menschen." "Ich auch. Aber kann nicht selbst die personifizierte Gte einmal obstinat werden? Liegt in der Niedergeschlagenheit und, ich m”chte fast sagen, in dem krankhaften Tiefsinn dieses Mannes nicht etwas Explodierbares, vor dem man sich zu hten hat? Und kennen wir seinen Bruder? Du weiát, Geschwister brauchen nicht von gleichem Charakter und gleichem Temperament zu sein. Ich bin berzeugt, daá wir ihn in Niagara kennenlernen werden, und dann wird es sich ja finden, wie wir uns zu beiden zu stellen haben, um sie nicht zu zwingen, in die Fuástapfen ihres Vaters zu treten. Der Doktor sprach gestern von einem D„mon in ihnen. Dieser D„mon hat uns hier aufgefunden, hat uns entdeckt. Es ist der Sandersche Zwang zum Morde. Du siehst, unsere Reise beginnt, sehr interessant, ja hochinteressant zu werden, noch ehe wir die ersten Schritte tun." "Siehst du Gefahr voraus?" "O nein! Ich sehe nur, daá wir hinber mssen, um den Mount Winnetou und Tatellah-Satah, den ,Bewahrer der groáen Medizin', kennenzulernen. Er schreibt mir, daá ich Winnetou ,retten' soll. Habe ich das zu tun, so gibt es fr mich keine Gefahr. Etwa fr dich?" "Fr mich ebensowenig. Ich gehe fr”hlich mit!" "Dann vorw„rts also, und wohlauf zur glcklichen Fahrt!" - - - [//45//] Zweites Kapitel. Nach der Teufelskanzel. Und nun waren wir bei den Niagaraf„llen. Wir wohnten im Clifton-House, unweit der kanadischen Mndung der H„ngebrcke. Man hat von diesem Hotel aus einen geradezu unvergleichlichen Blick auf das grandiose Schauspiel der strzenden Wassermassen. Die besten Zimmer liegen in der ersten Etage und sind den F„llen zugewendet. Sie mnden alle auf eine lange, vielleicht acht Schritte breite Plattform, die ein gemeinschaftliches S„ulendach berragt. Wer vom Korridor aus seinen Raum betritt, ihn quer durchschreitet und sich durch die gegenberliegende Tr hinaus auf die Plattform begibt, der hat beide F„lle, den geraden und den hufeisenf”rmigen, genau in eindrucksf„higster Perspektive vor seinen Augen. Wenn dieses Hotel in Deutschland l„ge, so Wrde man die Gemeinschaftlichkeit dieses Altanes fr alle Bewohner dieser Zimmerreihe als einen Uebelstand empfinden, der durch Zwischenw„nde schleunigst zu beseitigen sei. Da drben aber hat jeder Gast eine zwar unsichtbare, aber so hohe und so starke Mauer um sich gezogen, daá gar keine h”lzernen Scheidew„nde n”tig sind, um jedermann gegen Zudringlichkeiten und Indiskretionen //46// zu sichern. Dennoch freute ich mich darber, daá, als wir kamen, grad die den F„llen n„chstgelegene Ecke dieser Zimmerreihe freigeworden war, so daá wir also anstatt zwei nur einen einzigen Nachbar haben konnten. Und dieser Eine war ein Paar, und dieses Paar hieá - - Hariman F. Enters und Sebulon L. Enters. Es hatte mir geahnt, daá die Brder nicht warten, sondern sich hier einquartieren wrden, um bei unserer Ankunft sofort anwesend zu sein. Aber daá unsere beiderseitigen Zimmer aneinander stieáen, das war ein Umstand, den man mit einer Ahnung wohl kaum h„tte erreichen k”nnen. Ich muá gestehen, daá es mir keineswegs unlieb war, grad diese Beiden neben mir zu haben. Ein jeder neu eingetretene Gast des Clifton-Hotels hat sich sofort in der am Parlour liegenden Office einzutragen. Das ist die einzige Auskunft, die man von ihm verlangt. Ich schrieb uns als "Mr. Burton und Frau" in das Buch. Dieses Pseudonym war deshalb notwendig, weil man mich verpflichtet hatte, den eigentlichen Grund, der mich hinberfhrte, geheimzuhalten. Ich war also gezwungen, auf meinen wirklichen Namen, den man da drben sehr wohl kennt, fr jetzt zu verzichten. Unsere Wohnung bestand aus drei R„umen, die, wie bereits gesagt, eine Ecke ausfllten. Das Zimmer meiner Frau lag nach dem Hufeisenfalle, war gr”áer als das meinige, hatte aber keinen Balkon. Das meinige hatte die Aussicht nach dem Vereinigten-Staaten-Katarakt, war kleiner, ”ffnete sich dafr aber nach der groáen Plattform, auf der ich mich so h„uslich einrichten konnte, wie es mir nur immer beliebte. Zwischen diesen beiden Zimmern lag der Garderobe- und Toilettenraum, der sie in amerikanisch praktischer Weise vereinigte. Als uns //47// dieses Logis angewiesen und gezeigt wurde, fragte ich den Kellner, der dies tat, wer neben uns wohne. "Zwei Brder", antwortete er. "Sie sind Yankees und heiáen Enters. Aber sie wohnen eigentlich nur halb in unserem Haus. Sie schlafen nur hier; sie speisen anderswo. Sie gehen frh fort und kommen erst abends wieder, wenn es keine Tafel mehr gibt." Er machte dabei ein so eigenartiges Gesicht, daá ich mich erkundigte: "Warum tun sie das?" Er zuckte die Achsel und antwortete: "Unser Clifton-House ist ein Hotel ersten Ranges. Wer diesem Rang nicht angeh”rt, der wird wohl hier schlafen, nicht aber auch hier speisen und mit den anderen G„sten verkehren k”nnen. Er versucht es vielleicht einmal, fhlt sich dabei aber derart schnell erkannt und abgestoáen, daá er den Versuch gewiá nicht wiederholt." Das war sehr aufrichtig gesprochen! Wenigstens sechzig Prozent der dortigen Kellner sind Deutsche oder Oesterreicher. Dieser aber war ein kanadischer Engl„nder; daher dieser ebenso selbst„ndige wie selbstbewuáte Ton. Als er mich dabei schon mehr taxierend als forschend betrachtete, so sagte ich ihm, daá ich zu der Klasse geh”re, in der man den Betrag der Trinkgelder teilt. Die eine H„lfte gibt man sofort bei der Ankunft, um zu zeigen, daá man gern zufriedengestellt sein will, und die andere H„lfte entrichtet man dann bei der Abreise, oder man zahlt sie auch nicht, um zu zeigen, ob man zufriedengestellt worden ist oder nicht. Bei diesen Worten drckte ich ihm die erste H„lfte in die Hand. Er betrachtete die Note sehr ungeniert, um zu sehen, wieviel sie betrug; dann aber machte er eine Verbeugung, wie kein Deutscher //48// und kein Oesterreicher sie hochachtungstiefer h„tte machen k”nnen, und sprach: "Zu jedem Befehl bereit! Werde das auch der Chambermaid anempfehlen! Sind diese beiden Enters vielleicht unbequem, Mr. Burton? Wir quartieren sie sofort aus!" "Bitte, sie zu lassen; sie genieren uns nicht." Er verneigte sich ebenso tief wie vorher und ging dann, vor lauter Respekt und Wohlwollen strahlend, ab. Als sich uns hierauf, damit wir sie kennenlernen sollten, die "Chambermaid" vorstellte, sahen wir ihr an, daá sie von der Teilung des Trinkgeldes bereits unterrichtet war, und erm”glichten ihr einen ebenso wirkungsvollen Abgang wie dem Kellner. Das taten wir natrlich nicht, um mit unserem Geld zu prahlen, und noch viel weniger erz„hle ich es hier aus diesem oder einem „hnlichen Grund. Ich habe ja bereits gesagt, daá ich keineswegs reich bin, sondern nur so grad mein Auskommen habe. Aber die Wirkungen dieser Art und Weise, den Bediensteten nicht erst dann, wenn es zu sp„t ist, zu zeigen, daá man Einsicht und Dankbarkeit besitzt, stellten sich sehr bald ein, und aus ihnen mag man erkennen, warum ich so tat. Wir waren am Nachmittag angekommen und machten gleich noch an diesem Tag die zwei bekannten Fahrten, welche jeder Besucher der Niagaraf„lle unbedingt gemacht haben muá. Es ist das eine Bahn und eine Dampfbootfahrt. Das Gleis der Bahn geht hart am kanadischen Ufer des Niagara hinab und dann drben am Vereinigten-Staaten-Ufer wieder herauf. Tief, tief unten kocht und brodelt der Strom; die Felsen steigen vollst„ndig senkrecht in die H”he, und die Schienen der Bahn //49// liegen oft h”chstens zwei Meter von der Kante des Abgrundes entfernt. An diesem letzteren rast man mit der Schnelligkeit des Fluges dahin, und man hat, da man nur den ge”ffneten Schlund und das jenseitige Ufer sieht, vom Anfang bis zum Ende dieser Fahrt das Gefhl, als ob man direkt in die Luft hinausfahre um dann in die Tiefe hinabzuschmettern. Die Bootsfahrt macht man auf der wohlbekannten und beliebten Maid of the Mist*), welche khn bis in die n„chste N„he der F„lle steuert und am geeigneten Ort diejenigen Touristen landet, welche daheim von sich rhmen wollen, daá sie sogar "hinter dem Wasser" gewesen seien. Sp„ter aáen wir bei den Kl„ngen eines ausgezeichnet spielenden doppelten Streichquartetts das Abendbrot in dem groáen, im Parterre des Hotels liegenden Speisesaal und zogen uns dann in unsere Wohnung oder, richtiger gesagt, auf meinen freien Altan zurck, welcher uns den unbeschreiblichen Genuá gew„hrte, die F„lle von dem geheimnisvollsten Schimmer des Mondes besucht und verkl„rt zu sehen. Hierbei war es ungef„hr elf Uhr geworden, als das Zimmerm„dchen eiligst herbeigehuscht kam und uns meldete: "Die Enters sind da." "Wo?" fragte das Herzle. "Noch unten in der Office. Sie pflegen allabendlich, wenn sie kommen, im Buch nachzuschlagen, und dann gehen sie auf ihr Zimmer." "Zu welchem Zweck schlagen sie nach?" "Um zu sehen, ob ein deutsches Ehepaar hier angekommen ist, ein Mr. May mit seiner Frau. Erst fragten sie. jetzt aber schlagen sie nach, weil sie fhlen, __________________ *)Nebeljungfrau //50// daá man sie hier fr berflssig h„lt. Auch ich spreche nicht mit ihnen. "Sie entfernte sich, und wir verlieáen die Plattform, um nicht gesehen zu werden. Diese Mitteilung war die erste Frucht des vorausgezahlten Trinkgeldes. Zur Erl„uterung ihrer Ntzlichkeit fr uns muá ich die Tr beschreiben, durch welche meine Stube von der Plattform getrennt wurde. Jeder Besucher des Clifton-House weiá, daá alle diese Tren, welche auf den freien Altan mnden, die gleiche Konstruktion besitzen. Sie sind vorhanden, die Wohnungen vollst„ndig abzuschlieáen, so daá niemand von drauáen hereinsehen kann, aber doch grad so viel Luft und so viel Licht hereinzulassen, wie die Bewohner wnschen. Darum sind sie sowohl mit Fensterscheiben als auch mit Jalousieklappen versehen. Die letzteren k”nnen beliebig ge”ffnet und geschlossen und die ersteren mit Vorh„ngen verhllt werden. So kann man also zu jeder Zeit hinausschauen und hinaush”ren, ohne aber selbst gesehen und selbst geh”rt zu werden. Wir brannten darum kein Licht an, blieben in meinem Zimmer und ”ffneten die Jalousie. Denn wir erwarteten mit Bestimmtheit, daá die Brder nicht in ihrem Raum bleiben, sondern auf den Altan kommen wrden. Und wie gedacht, so geschehen: Es dauerte gar nicht lange, so erschienen sie. Der Mond stand noch am Himmel. Wir erkannten den Einen, der bei uns gewesen war, sofort. Sie sprachen miteinander und gingen dabei auf und ab. Sp„ter setzten sie sich, und zwar grad an den Tisch, der drauáen in unserer Ecke stand. Ich hatte mir ihn hinstellen lassen, um daran schreiben zu k”nnen. Wir h”rten und verstanden jedes Wort, doch war der Gegenstand ihres Gespr„chs zun„chst ein fr uns gleichgltiger. Sp„ter aber trat eine Pause ein, //51// welche der von ihnen, den wir noch nicht kannten, also Sebulon, durch die Interjektion beendete: "Unangenehm! H”chst unangenehm, daá wir solange hiersitzen mssen! Das kann noch Wochen dauern, ehe sie kommen!" "Gewiá nicht!" antwortete Hariman. "Sie kommen doch schon vorher, ehe sie die Verleger besuchen, hierher. Jeder Tag kann sie bringen." "Und du bleibst bei deinem Vorsatz?" "Ja. Ehrlich sein! Dieser Mann hat mich zwar nicht sehr gut behandelt, aber wir kommen mit Unehrlichkeit nicht gegen ihn auf; das ist der Eindruck, den er mir mitgegeben hat. Und von seiner Frau kann ich fast sagen, daá ich sie liebgewonnen habe. Es wrde mir geradezu weh tun, nicht rechtschaffen gegen sie sein zu drfen." " Pshaw! Nicht rechtschaffen! Was heiát rechtschaffen! Rechtschaffen hat man zun„chst doch gegen sich selbst zu sein. Und wenn wir ein Gesch„ft machen wollen, welches uns, klug angefangen - - - " "Pst! Still!" warnte ihn der andere. "Warum?" "Der Alte k”nnte es h”ren." Bei diesen Worten deutete er nach unserer Tr. "Der Alte?" fragte Sebulon. "Du weiát doch, daá der t„glich bis Punkt Mitternacht unten im Lesezimmer sitzt und dann noch bis ein Uhr hier oben in seiner Stube liest. Es brennt kein Licht; er ist also noch unten." "Trotzdem! Und zudem bin ich mde. Ich gehe jetzt schlafen. Morgen frh nach Toronto und erst bermorgen zurck. Wir mssen ausgeruht haben. Komm!" Sie standen vom Tisch auf und gingen in ihren //52// Raum. Es war nicht viel, was wir erfahren hatten, aber wir wuáten nun doch wenigstens so viel, daá Hariman F. Enters es ehrlich mit uns meinte. Und wir waren berzeugt, daá Sebulon L. Enters, sein Bruder, wohl auch noch zu durchschauen sein werde. Als wir am n„chsten Morgen zum Frhstck hinuntergingen, sagte uns der Kellner, daá unsere beiden Nachbarn das Hotel schon zeitig verlassen und die Weisung gegeben h„tten, wenn Mrs. und Mr. May hier ank„men, ihnen zu sagen, daá die Gebrder Enters nach Toronto gefahren seien und erst morgen am Abend wiederkommen k”nnten. Er machte eine geringsch„tzige Handbewegung und fgte hinzu: "Rowdys, diese beiden Enters! Haben sich hier beinahe unm”glich gemacht. Diese Mrs. und Mr. May aus Germany, die nach solchen Leuten suchen, passen wohl nicht fr uns. Werden keine Zimmer bekommen!" Wie gut, daá ich einen andern Namen eingetragen hatte! Auch diese Žuáerung des Kellners mahnte zur Vorsicht, obgleich ein Rowdy zwar ein roher, aber immerhin noch kein schlechter Mensch zu sein braucht. Dieses erste Frhstck war splendid im h”chsten Grade: Kaffee, Tee, Kakao, Schokolade, eine Menge Fleisch- und Eierspeisen, Trauben, Ananas, Melonen und andere Frchte, so viel man wollte. Bedient wurden wir von unserm Zimmerkellner. Er hatte sich das von der Direktion ausgebeten. Mir war das lieb. Es gibt im Clifton-House nur Einzeltische, keine groáe, gemeinschaftliche Tafel. Am besten sitzt und speist es sich in einer langen, an den groáen Saal stoáenden Veranda, die so schmal ist, daá da nur zwei Reihen von Tischen Platz finden. Es gibt von da aus eine pr„chtige Aussicht nach den F„llen. Wir hatten uns //53// einen dieser Tische gew„hlt und beschlossen, ihn fr uns zu belegen. Als wir den Kellner fragten, ob man das k”nne, antwortete er: "Gew”hnlich nicht, aber Mrs. und Mr. Burton k”nnen das. Ich werde es besorgen. Der beste Tisch w„re allerdings nicht dieser, sondern der hinterste, weil man da nur von einer Seite aus gesehen, geh”rt und bel„stigt werden kann. Den aber haben schon zwei Gentlemen in Beschlag genommen. Man schlug ihnen diesen Wunsch nicht ab." Das hatte er in gew”hnlichem Ton gesagt. Mit gesenkter Stimme aber fgte er hinzu: "Sie bezahlen n„mlich alles nur mit Nuggets! Sie haben eine ganze, schwere Tasche mit gediegenen Goldk”rnern in Verwahrung gegeben!" Viele, welche kamen und nach diesem Tisch gingen, um dort Platz zu nehmen, wurden abgewiesen, bis wir fast am Schlug der Frhstckszeit zwei M„nner eintreten sahen, welche sofort aller Augen auf sich zogen. Sie standen ungef„hr im gleichen Alter und waren Indianer. Das sah man gleich beim ersten Blick. Hoch und breitschulterig gebaut, mit scharf, aber, ich m”chte beinahe sagen, edel geschnittenen Zgen, gingen sie, scheinbar ohne jemand anzusehen, langsam und wrdevoll nach dem erw„hnten Tisch und setzten sich dort nieder. Sie waren nicht indianisch gekleidet, sondern sie trugen feine Stoffanzge nach gew”hnlicher Fassung, und ihr Haar war genauso verschnitten wie anderer Leute Haar; aber man konnte unbesorgt die h”chste Wette darauf eingehen, daá sie im Sattel, auf der Savanne und zwischen den Kolossen des Felsengebirges wohl noch gebieterischer erscheinen wrden als hier. jedoch trotz der tiefen Sonnenbr„une ihrer Gesichter zeigte sich auf ihnen eine sehr //54// sichtbare Spur jenes eigenartigen Hauches, den es nur bei Leuten gibt, welche viel nachgedacht haben und gewohnt sind, dieses ihr Nachdenken auf h”here Pfade zu lenken. Man pflegt bei solchen Personen von "durchgeistigten" Gesichtern, von "durchgeistigten" Zgen zu sprechen, und der Eindruck dieses "Durchgeistigtseins" ist um so gr”áer, um so tiefer und um so dauernder, wenn dabei der Blick des Auges jene tiefe Schwermut, jene seelische Trauer bekundet, welche verschwindenden Jahren, zu Ende gehenden Tagen und sterbenden V”lkern eigen ist. Diese stille, aber doch laut sprechende, unbeschreibliche Elegie des Auges war hier bei diesen Indianern vorhanden. "Das sind die Gentlemen", sagte der Kellner. "Feine Leute, wenn auch nur Indianer! Hochfein!" Er schnippste dabei mit dem Daumen und Mittelfinger, um seinem Lobe Nachdruck zu geben. "Woher sind sie?" fragte ich. "Weiá es nicht genau. Der Eine von weither, sehr weit, der Andere von n„her. Kamen beide ber Quebec und Montreal den Fluá herauf." "Ihre Namen?" "Mr. Athabaska und Mr. Algongka. Sch”ne Namen, was? Klingen fast wie Musik! Ist aber auch Musik: Zahlen nur mit Nuggets!" Das war nun so sein Maástab, und er scheute sich nicht im geringsten, ihn auch in unserer Gegenwart anzulegen. Er sagte uns noch, daá die beiden "Gentlemen" auch oben in der von ihm bedienten Zimmerreihe wohnten und da die gr”áten und teuersten R„ume h„tten, die es gebe. Dann bekam er anderweit zu tun. "Mr. Athabaska und Mr. Algongka" frhstckten sehr langsam und sehr m„áig, und zwar in einer Weise, //55// als ob sie in Hotels von dem Range des Clifton-House aufgewachsen seien. Es war eine Lust, ihnen zuzusehen. Das taten wir natrlich so unauff„llig wie m”glich. Das Herzle freute sich besonders ber die Wrde, die in jeder, auch der geringsten Bewegung dieser hochinteressanten M„nner lag, und ber ihre Bescheidenheit. Es war bei ihnen kein Ring, keine Uhrkette und kein sonstiger Gegenstand zu sehen, der auf Wohlhabenheit oder gar Reichtum schlieáen lieá. Das war so recht nach dem Gusto meiner Frau, die ich ja fast zwingen muá, sich einen neuen Hut oder ein neues Kleid zu kaufen! Meine besondere Aufmerksamkeit richtete sich auf einen andern Umstand, n„mlich auf den, daá sie sich, der gew”hnlichen indianischen Schweigsamkeit ganz entgegengesetzt, sehr lebhaft unterhielten und dabei sehr fleiáig Eintr„ge in zwei Bcher machten, die sie mitgebracht hatten, Jeder eins, sein eigenes. Das schienen Notizbcher zu sein, aber sehr, sehr wichtige, denn sie wurden mit einer Vorsicht und Liebe behandelt, als ob sie der beste und teuerste Besitz seien, den es fr ihre Eigentmer gebe. Die Eintr„ge, welche gemacht wurden, geschahen mit einer Gel„ufigkeit und Sicherheit, welche auf vollste Schreibbung schlieáen lieá. Man sah, daá diese Leute nicht etwa nur den Tomahawk und das Jagdmesser, sondern auch Feder und Bleistift zu fhren verstanden und sehr gew”hnt waren, sich geistig zu besch„ftigen. Im Clifton-House wird nach jeder Mahlzeit, die man einnimmt, das Trinkgeld sofort bezahlt. Als wir dies jetzt nach dem Frhstck taten, erkundigte sich der Kellner, dem unser Interesse fr die Indianer nicht entgangen war: "Wnschen Mrs. und Mr. Burton vielleicht den Tisch ganz neben den beiden Gentlemen?" "Ja", antwortete das Herzle schnell. //56// "Fr alle Tafelzeiten?" "Fr stets!" " Well! Werde das besorgen!" Als wir dann zum Mittagessen kamen, waren die H„uptlinge schon da. Auch alle anderen Tische, auáer dem von uns bestellten, waren schon besetzt. Unser Kellner stand schon wartend da und teilte uns mit, daá die Direktion uns bitte, fr immer hier an diesem Platz zu sitzen. Wir befanden uns nun also so nahe bei den zwei Indsmen, daá wir, wenn sie sprachen, jedes ihrer Worte h”rten. Sie hatten ihre Bcher wieder mit und machten besonders in den Pausen zwischen den einzelnen G„ngen zahlreiche Notizen, oft aber auch gleich w„hrend des Essens, indem sie Messer und Gabel einstweilen weglegten. Und man denke sich mein Erstaunen, als ich h”rte, daá sie sich in der Sprache meines Winnetou unterhielten und sich die Aufgabe gestellt hatten, das innige Verwandtschaftsverh„ltnis aller athabaskischen Zungen, zu denen auch das Apatsche geh”rt, zu ergrnden und festzustellen! Fr Athabaska war das eine Besch„ftigung mit den verschiedenen Abarten seiner Muttersprache, fr Algongka aber nicht. Dieser schien vom kanadischen Stamm der Krih zu sein und machte im Laufe der sehr regen Unterhaltung die fr mich hochinteressante Bemerkung, daá er mehrere groáe W”rterverzeichnis des Nahuatl, also der alten Aztekensprache, besitze, die mit seiner Muttersprache verwandt sei. Das fr mich wichtigste Ergebnis unserer allerdings nur zuh”renden Teilnahme an ihrem Gespr„ch aber war eine nur so hingeworfene Beifgung, aus der ich entnahm, daá auch sie nach dem Dschebel Winnetou wollten und sich jetzt ausschlieálich in der Mundart der Apatschen unterhielten, um am Ziele ihrer Reise nicht ungebt zu //57// sein oder gar als unwissend zu erscheinen. Welche Sprachkenntnisse muáten diese beiden M„nner besitzen! Ja, sie waren H„uptlinge, ganz gewiá! Aber sie waren jedenfalls noch mehr, noch viel mehr als das! Doch was? Mit dieser letzteren Frage brauchte ich mich jetzt nicht zu besch„ftigen. Sie hatten ja dasselbe Reiseziel wie ich, und ich war berzeugt, daá ich sie dort gewiá naher kennenlernen Wrde, als es jetzt hier am Niagara m”glich war. Am Nachmittag fuhren wir nach Buffalo, um auf dem dortigen Forest Lawn Cemetary*) das Grab und die Statue des berhmten H„uptlings Sa-go-ye-wat-ha zu besuchen und ihm einige Blumen mitzubringen. Ich habe eine ganz besondere Zuneigung und Hochachtung grad fr diesen groáen Mann, den man noch heutigentags als den "strong and peerless orator" **) aller Seneca-Indianer bezeichnet. Dieser "Gottesacker" ist sch”n, fast einzig sch”n. šberhaupt besitzt der Amerikaner in Beziehung auf die Anlage von Friedh”fen eine, beinahe m”chte ich sagen, Genialit„t. Er berwindet auch knstlerisch den Tod, indem er keine Hgel duldet, die doch weiter nichts als Ausrufezeichen der Verwesung seien. Er verwandelt den Tod vielmehr in das Leben, indem er als Beerdigungsst„tte fr die Verstorbenen gern ein auf- und absteigendes, also reich bewegtes Terrain ausw„hlt, welches er als lichten, sonnenklaren, froh grnenden Park behandelt, dessen nicht eng, sondern weitverteilte Denkm„ler in die Ferne hin den Auferstehungsgedanken predigen. Und es herrscht auf diesen Friedh”fen eine geradezu rhrende Gleichbehandlung aller derer, die verstorben sind. Da ist der Arme der Gast des Reichen; der Ungelehrte _________________ *) Friedhof **)Gewaltigen und unvergleichlichen Redner //58// ruht mit im Grab des Gelehrten, und der Niedrigstehende bekommt ganz unentgeltlich ein Ruhebett unter der Marmorplatte hochgestellter Patrizier. Ein armer, unbekannter, namenloser Mensch wird berfahren. Er ist tot. Ein Million„r kommt dazu. Er bleibt stehen. Er fragt, ob man den Verunglckten kenne. Die Antwort lautet "nein". "So geh”rt er zu mir", sagt der Million„r, nimmt den Toten mit sich heim und gibt ihm einen Platz in seinem Familiengrab. Das tut der Yankee. Wer tut es noch? Es war ein sch”ner, klarer, sonnenwarmer Tag. Als wir die Blumen an dem H„uptlingssteine niedergelegt hatten, setzten wir uns auf die unterste Kante des Postamentes, auf welchem sein Standbild bis hoch in die Wipfel der umstellenden B„ume ragt. Wir sprachen von ihm, und zwar fast leise, wie man an den Gr„bern Derer, die man besucht, zu sprechen pflegt, wenn man an die Auferstehung und an ein anderes Leben glaubt. Darum wurden wir von Denen, die sich hinter uns dem Denkmal n„herten, nicht geh”rt. Und ebenso wenig wurden sie von uns geh”rt, weil weiches Gras rundum den Boden deckte und das Ger„usch ihrer Schritte in Nichts verwandelte. Auch sehen konnten sie uns nicht eher, als bis sie um die Ecke des Postamentes getreten waren, welches uns ihnen verbarg. Dann sahen sie uns, und wir sahen sie. Und wer waren sie? Die beiden Indianerh„uptlinge aus dem Clifton-House! Auch sie hatten den berhmten Seneca-Redner besuchen wollen und bemerkten nun, daá wir von demselben Gedanken herbeigefhrt worden waren. Aber sie taten gar nicht, als ob sie uns bemerkten. Sie schritten langsam weiter, an den Steinen hin, die man an der Vorderseite des Denkmales fr ihn und die einzelnen Glieder seiner //59// Familie in die Erde gesenkt hat. Da lagen unsere Blumen. Als sie diese sahen, blieben sie stehen. "Uff! " sagte Athabaska. "Hier hat jemand in der Sprache der Liebe gesprochen! Wer mag das gewesen sein?" "Ein Bleichgesicht jedenfalls nicht", antwortete Algongka. Er bckte sich nieder und hob einige der Blumen auf, um sie zu betrachten. Athabaska tat dasselbe. Beide wechselten einen schnellen, berraschten Blick. "Sie sind noch frisch, vor noch nicht einer Stunde abgeschnitten!" meinte Athabaska. "Und vor noch nicht einer Viertelstunde hierhergelegt", stimmte Algongka bei, indem er die Spuren unserer Fáe, die im Gras noch deutlich zu sehen waren, betrachtete. "So sind es also doch Bleichgesichter gewesen!" "Ja, diese hier! Sprechen wir mit ihnen?" "Wie mein roter Bruder will. Ich berlasse es ihm." Die H„uptlinge hatten ganz richtig vermutet. Wir hatten die Blumen nicht von Niagara mitgebracht, sondern sie waren von hier, und zwar ganz frisch geschnitten. Das Herzle hatte zwei davon zurckbehalten, fr sich eine und fr mich eine. Die bisherigen, kurzen S„tze der beiden Indianer waren im Apatsche gesprochen worden. Jetzt legten sie die Blumen sehr zart und vorsichtig wieder dahin, wo sie gelegen hatten, und Athabaska wendte [wendete] sich in englischer Sprache an uns: "Wir glauben, daá ihr die Spenderr dieser Blumen seid. Ist das richtig?" "Ja", antwortete ich, indem ich mich h”flich von meinem Sitz erhob. "Fr wen sollen sie sein?" "Fr Sa-go-ye-wat-ha." //60// "Warum?" "Weil wir ihn lieben." "Wen man liebt, den soll man kennen!" "Wir kennen ihn. Und wir verstehen ihn." "Verstehen?" fragte Algongka, indem er seine Augen ein ganz, ganz klein wenig verkleinerte, um seinen Zweifel anzudeuten. "Habt ihr seine Stimme geh”rt? Er ist langst tot! Es ist schon fast acht Jahrzehnte her, daá er starb." "Er ist nicht tot. Er ist nicht gestorben. Wir h”rten seine Stimme sehr oft, und wessen Ohren offen sind, der kann sie heute noch ebenso deutlich h”ren wie damals, als er zur ,Gemeinschaft der W”lfe' seines Stammes sprach. Sie h”rten ihn leider nicht!" "Was h„tten sie h”ren sollen?" "Nicht den oberfl„chlichen Klang seiner Worte, sondern ihren tiefen, vom groáen Manitou gegebenen Sinn." "Uff!" rief Athabaska aus. "Welchen Sinn?" "Daá kein Mensch, kein Volk und keine Rasse Kind und Knabe bleiben darf. Daá jede Savanne, jeder Berg und jedes Tal, jedes Land und jeder Erdteil von Gott geschaffen wurde, um zivilisierte Menschen zu tragen, nicht aber solche, denen es unm”glich ist, ber das Alter, in dem man sich nur immer schl„gt und prgelt, hinauszukommen. Daá der allm„chtige und allgtige Lenker der Welt einen jeden Einzelnen und einer jeden Nation sowohl Zeit als auch Gelegenheit gibt, aus diesem Burschen- und Bubenalter herauszukommen. Und daá endlich ein Jeder, der dennoch stehenbleibt und nicht vorw„rts will, das Recht, noch weiter zu existieren, verliert. Der groáe Manitou ist gtig, aber er ist auch gerecht. Er wollte, daá auch der Indianer gtig sei, besonders gegen seine //61// eigenen roten Brder. Als aber die Indsmen nicht aufh”ren wollten, sich untereinander zu zerfleischen, sandte er ihnen das Bleichgesicht - - -" "Um uns noch schneller umbringen zu lassen!" fiel mir Algongka in die Rede. Beide sahen mich in sichtlicher Spannung an, was ich auf diesen Vexierausruf antworten werde. "Nein, sondern um euch zu retten", entgegnete ich. "Sa-go-yewat-ha hat das begriffen, und er wnschte, daá sein Volk, seine Rasse es ebenso begreife; aber man wollte ihn nicht h”ren. Es w„re zu dieser Rettung sogar heute noch Zeit, wenn der Kind gebliebene Indianer sich aufraffte, Mann zu werden." "Also Krieger?" fragte Algongka. "O nein! Denn selbst bei der Rasse ist grad das Krieger- und Indianerspielen der sicherste Beweis, daá sie kindisch geblieben ist und von h”herstrebenden Menschen ersetzt werden muá. Mann werden, heiát nicht, Krieger werden, sondern Person werden. Das hat der groáe H„uptling der Seneca, an dessen Grab wir hier stehen, tausendmal gesagt. Laát es nicht meine, sondern seine Stimme sein, die es euch jetzt abermals sagt. Tut ihr das, so ist er auch fr euch nicht gestorben, sondern er lebt und wird in euch weiterleben!" Ich gráte mit dem Hute, um mich zu entfernen. Da ergriff zu meiner Verwunderung auch das Herzle das Wort. Sie sagte: "Und nehmt diese beiden Blumen! Sie sind nicht von mir, sondern von ihm! Die Blumen der Einsicht, der Gte und der Liebe, die er einst zu seinem Volk sprach, sind nur „uáerlich verwelkt, ihr Duft aber ist geblieben. Seht, wie der Sonnenstrahl sich langsam, leise n„hert, um die Namen, die da in Stein gegraben //62// sind, zu beleuchten und zu erw„rmen! Und h”rt ihr das Flstern der Bl„tter, aus denen der Schatten flieht? Auch dieses Grab ist nicht tot. Wir gehen." Sie gab Jedem eine der beiden Blumen. "Geht nicht, sondern bleibt!" bat Athabaska. "Ja, bleibt noch hier!" schloá Algongka sich ihm an. "Wenn ihr ihn liebt, so geh”rt ihr hierher!" "Jetzt nicht", antwortete ich. "Ich bin sein Freund; ihr aber seid seine Brder. Dieser Platz geh”re euch. Wir haben Zeit." Wir gingen. Als wir uns, ohne uns einmal umzudrehen, weit genug entfernt hatten, um nicht mehr gesehen zu werden, fragte das Herzle: "Du, haben wir keinen Fehler gemacht?" "Nein", antwortete ich. "Vielleicht aber doch!" "Welchen wohl?" "Du hast ihnen gleich sofort eine lange Rede gehalten. Und ich habe sie, die uns doch vollst„ndig Fremden, sogar mit Blumen beschenkt. Ist das wohl ladylike?" "Wahrscheinlich nicht. Aber gr„me dich ja nicht darber! Es gibt Augenblicke, in denen derartige Fehler das Beste sind, was man tut. Und ich bin sehr berzeugt, jetzt war so ein Augenblick. Freilich andern Leuten h„tte ich ganz gewiá keine ,Rede' gehalten; aber ich glaube, die Indianer zu kennen, und auáerdem bercksichtige ich die vorliegenden Verh„ltnisse, die mir nicht nur erlaubten, sondern es mir sogar zur Pflicht machten, mehr zu sagen, als ich in jedem anderen Fall wahrscheinlich gesagt h„tte. šbrigens zeigt uns ja der Erfolg, wie richtig das war, was wir taten. Sie luden uns ein, zu bleiben! Bedenke gar wohl! An diesem //63// Grabe zu bleiben! Bei ihnen, den H„uptlingen! Das ist eine Auszeichnung, und zwar eine sehr groáe! Wir haben uns nach ihren Begriffen also sehr gut benommen. Einen Fehler gemacht? Gewiá nicht!" Daá ich da Recht hatte, zeigte sich gleich bei unserer Heimkehr, die erst gegen Abend erfolgte, weil wir nicht per Bahn, sondern per Boot zurck nach Niagara gefahren waren. Kaum hatte der Kellner geh”rt, daá wir wieder da seien, so stellte er sich bei uns ein und begráte uns mit einer wom”glich noch tieferen Verbeugung als bisher. "Verzeihung, daá ich sogleich st”re!" sagte er. "Es ist etwas Groáes, etwas ganz Ungew”hnliches, was ich zu melden habe!" "Nun, was?" fragte ich. "Mr. Athabaska und Mr. Algongka speisen heute abend nicht unten, sondern oben bei sich selbst!" Er sah uns hierauf an, als ob er uns etwas ganz Welterschtterndes mitgeteilt oder noch mitzuteilen habe. "So?" machte ich. "Ist das vielleicht etwas, was uns interessiert?" "Das meine ich gar wohl! Ich bin n„mlich mit dem Auftrag beehrt worden, Mrs. und Mr. Burton hierzu einzuladen!" Das war allerdings etwas ganz Unerwartetes. Ganz selbstverst„ndlich aber tat ich so, als ob es uns nicht einfallen k”nne, hierber auch nur im geringsten zu erstaunen, und erkundigte mich in gleichgltigeren Tone: "Fr welche Zeit?" "Neun Uhr. Die beiden Gentlemen werden sich erlauben, die Herrschaften pers”nlich abzuholen. Ich aber habe m”glichst bald zu melden, ob die Einladung angenommen wird oder nicht." //64// "Hierber hat Mrs. Burton zu entscheiden, nicht ich." Als er seinen fragenden Blick infolgedessen auf meine Frau richtete, gab diese den Bescheid: "Wir nehmen die Einladung an und werden pnktlich sein." "Danke! Werde es sofort melden. Die Gentlemen lassen in Beziehung auf die Toilette bitten, als Freunde betrachtet zu werden, die nicht auf den Anzug schauen." Diese letztere Bemerkung war uns lieb, und zwar nicht um unsretwillen, sondern weil wir wnschten, daá die H„uptlinge nicht etwa wegen uns eine Unbequemlichkeit auf sich nehmen m”chten, die uns ebenso wie ihnen als unn”tig erscheinen wrde. Sie stellten sich Punkt neun Uhr bei uns ein, um uns abzuholen. Das war ein Schritt von ihnen, der deutlicher sprach, als Worte h„tten sprechen k”nnen. Sie waren ber den Korridor des Innenhauses zu uns gekommen, baten uns aber, den Weg zu ihnen ber die Plattform zu nehmen, auf welcher sich ihre Wohnung ebenso ”ffnete wie die unsere. Als wir demzufolge durch die schon beschriebene Glas- und Jalousietr hinaus auf den Altan traten, schien der Mond noch klarer als gestern abend. Die beiden F„lle lagen wie ein M„rchenwunder vor unsern Augen, und ihr Brausen drang wie die Stimme eines ewigen Gesetzes zu uns herber, dem ein jeder verfallen ist, der es nicht beachtet. Da z”gerten die beiden H„uptlinge, weiter zu gehen. Sie blieben stehen, und Athabaska sagte: "Nicht nur die Weiáen, sondern auch die Roten wissen jetzt, daá alles, was die gegenw„rtige Welt uns bietet, weiter nichts als nur ein Gleichnis ist. Eines der gr”áten und gewaltigsten Gleichnisse, die Manitou uns predigt, liegt hier vor unsern Augen. Betrachten wir es!" Er trat mit Algongka bis an den Rand der Platt- //65// form [Plattform] vor. Ich folgte ihnen mit dem Herzle, die ihren Arm in den meinen gelegt hatte und mir durch einen leisen Druck ein Zeichen gab, welches ich sehr wohl verstand. Wir haben fast immer einen und denselben Gedanken miteinander. Auch jetzt fhlte sie ebenso wie ich den Grund, weshalb der H„uptling grad diese Worte sprach und keine andern. Er beabsichtigte, uns zu examinieren, wenn auch nur durch eine einzige Frage. Der Erfolg dieses Examens sollte entscheiden, wie wir zu behandeln seien, ob als gew”hnliche, ganz allt„gliche Menschen oder nicht. Denn das, was ich am Grab des groáen Seneca-Redners gesagt hatte, konnte ich irgendwo gelesen oder sonstwie aufgeschnappt und mir gemerkt haben, um es bei passender Gelegenheit mit Vorteil an den Mann zu bringen. Das war es, was meine Frau mir durch den Druck ihres Armes sagen wollte, und dadurch, daá ich dieses ihr Zeichen durch einen ebenso leisen Druck erwiderte, teilte ich ihr mit, daá ich sie verstanden habe und auf das Examen vorbereitet sei. Wir standen wohl einige Minuten lang still an der Balustrade. Da hob Algongka seinen Arm, ber den Abgrund hinber nach den strzenden Fluten zeigend, und sagte: "Das ist ein Bild des roten Mannes. Ob wohl ein Weiáer das begreift?" "Warum sollte er es nicht begreifen?" fragte ich. "Weil es nicht sein eigenes, sondern ein fremdes Schicksal betrifft." "Glaubt Ihr, daá wir Weiáen nur eigene, nicht aber fremde Dinge begreifen?" "Nun, k”nnt vielleicht Ihr mir dieses R„tsel l”sen?" "R„tsel l”sen? Ihr habt nicht von einem R„tsel, sondern von einem Gleichnis gesprochen. Gleichnisse aber werden nicht gel”st, sondern gedeutet." //66// "Nun, so deutet es, bitte!" "Gern! Wir sehen hier die strzende, die zerschellende und zerst„ubende Flut. Aber den See, den groáen See, aus dem sie kommt, den sehen wir nicht. Und auch der See, in den sie sich ergieát, ist uns unsichtbar. Beide sind unserm Auge verborgen." "Wohl! Das ist das Gleichnis", nickte Athabaska ernst. "Aber die Deutung?" "Die Gegenwart sieht nur den schweren, tiefen, erschtternden Fall der roten Rasse. Sein Brausen ist die Summe der Todesschreie aller Derer, die da untergegangen sind und noch untergehen werden. Wo haben wir das groáe, das m„chtige, das herrliche Volk zu suchen, dessen Kinder diese Zerschmetterten und noch zu Zerschmetternden sind? In welchem Land gab es dieses Volk? Und in welcher Zeit? Wir wissen es nicht, und wir sehen es nicht! Wir sehen nur, wie der eine, strzende Strom da unten in der Tiefe in hundert und aberhundert V”lker, St„mme, Herden, Rotten und Banden zerf„llt, deren einer oder eine oft kaum mehr als hundert Personen z„hlt. So wirbelt und treibt der Fall sie weiter und weiter, bis sie verschwunden sind! Und wir h”ren nur die unz„hligen kleiner und immer kleiner werdenden Zungen, Sprachen, ldiome, Mundarten und Dialekte, in welche der strzende Strom in dem Wirbel des Abgrundes zermalmt, zersplittert, zermahlen, zerknirscht, zerpulvert und zerrieben wird, so daá der Sprachforscher, der sich khn in diesen Strudel wirft, in die Gefahr kommt, ganz ebenso zugrunde zu gehen wie Die, nach denen er sucht! Und wo ist das noch gr”áere, das noch m„chtigere, das noch herrlichere Volk zu finden, dem die zersprengten, zerrissenen und zerst„ubten Fluten dieses sprachlichen und ethnographischen Niagara zuzu- //67// str”men [zuzustr”men] haben, um sich wieder zu einem Ganzen zu vereinigen und wieder zur Ruhe und gesegneten Gesetzlichkeit, zum Beginn einer neuen, besseren Entwicklung zu kommen? In welchem Land wird es dieses Volk geben? Und in welcher Zeit? Wir wissen es nicht, und wir sehen es nicht. Wir k”nnen von dem hier niederstrzenden Fluá, der uns als Gleichnis dient, nur sagen, daá er aus dem Eriesee in den Ontariosee sich ergieát. Genau ebenso wissen wir von der hier zerst„ubenden roten Rasse nur, daá sie aus der Zeit und aus dem Land des Gewaltmenschen stammt und der Zeit und dem Land des Edelmenschen entgegenfliegt, um dort in neuen Ufern neue Vereinigung zu finden. Dies, Gentlemen, ist das Gleichnis, und dies ist seine Anwendung!" Sie waren still. Wir standen noch einige Zeit, bis wir den Kellner unter der offenstehenden Tr ihrer Wohnung erscheinen sahen. Da nahm Athabaska den Arm des Herzle in den seinen und schritt mit ihr dieser Tr zu, ohne ein Wort zu sagen. Ich folgte ihm mit Algongka, der sich ebenso schweigsam verhielt. Die beiden H„uptlinge bewohnten, ganz ebenso wie wir, mehrere R„ume. In dein gr”áten von ihnen war serviert. Ich muá zu ihrem Lob sagen, daá keine Spur von dem Bestreben, zu prahlen oder uns zu imponieren, vorhanden war. Es gab nichts Anderes als nur dieselben Gerichte, die wir im Speisesaal vorgesetzt bekommen h„tten. Vor unseren Gedecken stand Wein, vor den ihren aber Wasser. Das Herzle erkl„rte aufrichtig, daá wir daheim viel lieber Wasser als Wein beim Essen tr„nken; da bekam der Kellner einen Wink, die Flaschen zu entfernen. Aber jeder von ihnen hatte in einer kleinen, mit Wasser gefllten Vase die ihm von meiner Frau geschenkte Blume vor sich stehen, wofr sowohl ihr als //68// auch mir je eine einzige, aber ausgesucht sch”ne Rose beschieden war. Hierber wurde kein Wort verloren! Gesprochen wurde nur in den Pausen, w„hrend des Essens nicht. Sie sagten kein Wort ber sich und fragten mit keinem Wort nach uns und unsern Verh„ltnissen. Es gab nur einen einzigen Gegenstand, mit dem unsere Fragen und Antworten sich besch„ftigten, n„mlich die Vergangenheit und die Zukunft der Indianer, also das Schicksal der roten Rasse. Und da muá ich der Wahrheit die Ehre geben, indem ich gestehe, viel, sehr viel von diesen beiden M„nnern gelernt zu haben, trotz ihrer Einsilbigkeit und trotz der Krze der Zeit, die wir bei ihnen verweilten. Denn aus ihrem Mund kam kein einziges Wort, welches nicht seinen besonderen Wert besaá. Oft hatte ein einziger Satz den Wert einer ganzen, vollen Lebenserfahrung. Diese beiden H„uptlinge glichen Giganten, welche groáe, vielzentnerschwere Gedanken aus den Felsenbergen brechen und hinab in die Ebene rollen lassen, damit die dortigen kleinen Menschen daran Arbeit fr ihre feineren Werkzeuge finden. Es war ein sehr sch”ner, wenn auch sehr ernster Abend, der unser Denken, Fhlen, Wissen und Wollen bereicherte und gewiá, solange wir leben, uns im Ged„chtnis bleiben wird. Es war grad Mitternacht, als wir uns trennten. Wir hatten nicht etwa die ganze Zeit bis dahin im Zimmer gesessen, sondern uns einen Tisch mit Sthlen auf die Plattform stellen lassen. Da saáen wir nach dem Essen, um dem vor unserm Auge niederstrzenden Niagara einen seiner Gedanken nach dem andern zu entringen. Erst im letzten Augenblick, als wir uns verabschieden wollten, erfuhren wir, daá Athabaska und Algongka schon morgen abreisen wrden und uns also ihren //69// letzten Abend geschenkt hatten. Daran war das Herzle mit ihren Blumen schuld! Keiner von beiden ahnte, daá wir Deutsche seien, noch weniger aber, daá wir dasselbe Reiseziel hatten wie sie. Sie fragten nicht nach unserer Adresse; sie schwiegen darber, ob sie ein Wiedersehen wnschten oder nicht. Aber als ich ihnen meine H„nde reichte, wurden diese von ihnen l„nger festgehalten, als eigentlich gebr„uchlich ist. Dann trat Athabaska so nahe an meine Frau heran, wie m”glich war, ohne ihre Gestalt zu berhren, legte beide H„nde an ihren Kopf, zog ihn noch naher an sich und drckte seine Lippen auf ihr Haar. "Athabaska segnet Euch!" sagte er. Algongka folgte diesem Beispiel und sprach dabei dieselben Worte, die aus dem Herzen kamen. Das h”rte man den beiden M„nnern an, und das ersah man auch aus der Schnelligkeit, mit der sie dann in ihrer Wohnung verschwanden. Diese Wohnung lag so ziemlich in der Mitte der Zirnmerreihe, die unsere aber, deren Tr wir offengelassen hatten, am Ende derselben. Wir muáten also, um nach der letzteren zu kommen, an dem neben uns liegenden Raum der Gebrder Enters vorber. Als wir uns diesem n„herten, sahen wir, daá er erleuchtet war. Zwar stand die Tr nicht offen wie die unsere, aber die Klappen der Jalousie waren ge”ffnet, und es drang nicht nur das Licht heraus, sondern auch der laute Klang zweier Stimmen, die grad in diesem Augenblick sich in Erregung zu befinden schienen. Die Brder waren schon heute zurckgekehrt. Sie schritten, sich zankend, in ihrer Stube auf und ab. Wir gingen selbstverst„ndlich nicht vorber, sondern wir blieben an ihrer Tr stehen und h”rten, daá Hariman soeben sprach: //70// "- - also wiederhole ich: Schrei nicht so! Wir wohnen bekanntlich nicht allein in diesem Hotel!" "Der Teufel hole es, dieses Clifton-House! Kein Mensch h„lt uns fr voll! Uebrigens bezahlen wir dieses Zimmer, und ich kann also hier schreien, so laut es mir beliebt! Der Alte kann es nicht mehr h”ren; er ist fort. Sein Name ist ausgestrichen. May aber steht noch immer nicht da. Das paát mir schlecht! Wie lange soll man da warten! jetzt, wo wir heut wieder h”rten, wie sehr es mit der Devils pulpit *) eilt! Kommen wir auch nur einen halben Tag zu sp„t, so verlieren wir Summen, deren H”he sich jetzt gar nicht bestimmen l„át!" Der so sprach, war Sebulon. Harirnan antwortete: "Das befrchte ich allerdings auch. Aber k”nnen wir fortgehen, ohne die Ankunft dieses fr uns hochwichtigen deutschen Ehepaares abgewartet zu haben?" "Warum nicht? Wenigstens einer von uns beiden kann fort, um Kiktahan Schonka**) festzuhalten, bis der Andere ihm folgt! Aber das ist es doch gar nicht, was mich so erregt, sondern mich „rgert deine sogenannte Ehrlichkeit, die mir in unseren Verh„ltnissen so wahnsinnig vorkommt, daá es mir geradezu unm”glich ist, sie zu begreifen! Ja, wir wollen und mssen den Nugget-tsil und das ,Dunkle' oder meinetwegen auch ,Finstere Wasser' kennenlernen, und dieser Deutsche ist der einzige, der imstande ist, uns diese Orte zu zeigen. Aber das ist noch lange kein Grund, ihm so, wie du willst, mit ganz besonderer Liebe zugetan zu sein!" "Wer hat hiervon gesprochen? Ich nicht! Ich habe nur Ehrlichkeit verlangt, keine besondere Liebe!" " Pshaw! Ehrlichkeit gegen den M”rder unseres Vaters!" ____________ *)Teufelskanzel. **)Siouxdialekt: "Der wachende Hund". //71// "Das ist er nicht! Vater war selbst daran schuld, daá er in dieser Weise zugrunde ging! Und er holt uns nach, uns alle, uns alle! Nur wir Beiden sind noch brig. Und wenn wir nicht ehrlich sind, geht es mit uns in doppelter Eile zu Ende! Ich hoffe und hoffe noch immer auf Rettung! Die aber ist nur dann m”glich, wenn das Geschehene Verzeihung findet. Und auch hier ist der Deutsche der einzige, der sie gew„hren kann; die Andern sind ja tot! Siehst du das nicht ein?" Sebulon antwortete nicht gleich. Es wurde fr kurze Zeit still. Wir h”rten ein R„uspern, welches aber schon mehr wie Schluchzen klang. Von wem kam das? Von Hariman? Von Sebulon? Dann sagte der Letztere, aber mehr klagend als erregt: "Es ist frchterlich, geradezu frchterlich, wie das innerlich schreit und lockt, wie es treibt und schiebt, wie es dr„ngt und dr„ngt, immer weiter, immer weiter! Ich wollte, ich w„re schon tot!" "Ich auch, ich auch!" Wieder trat eine Pause ein, nach welcher wir Sebulon sagen h”rten: "Es rechnet in mir, es rechnet! Unaufh”rlich! Bei Tag und bei Nacht! Wenn wir den Schatz, der mit dem Vater in das Wasser ging, doch heben k”nnten! Und wieviel wrde Kiktahan Schonka zahlen, wenn wir ihm den Deutschen an das Messer lieferten! Wie viele, viele Beutel voller Nuggets, vielleicht eine ganze Bonanza, ein ganzes Placer! " "Um Gottes willen!" rief Hariman erschrocken aus. "Diesen Gedanken laá ja fallen!" "Kann ich? Der Gedanke kann wohl mich fallen lassen, aber nicht ich ihn! Er kommt; er kommt! Und wenn er kommt, ist er da, viel starker und viel m„ch- //72// tiger [m„chtiger] als ich mit dem biáchen Kraft, das ich noch besitze! Und jetzt - - jetzt berkommt mich ganz pl”tzlich eine Angst, eine Angst! Was das nur ist? Steht vielleicht jemand da drauáen vor der Tr, um uns zu belauschen - - - ?!" Da nahm ich meine Frau am Arm und zog sie schleunigst in mein Zimmer, welches gleich daneben lag, hinein. Wir nahmen uns gar nicht Zeit, die offenstehende Tr zuzumachen, sondern wir huschten durch den ganzen Raum hindurch bis in das Kabinett, wo wir stehen blieben und lauschten. Wie gut war es, daá wir die Tr offengelassen hatten! Die Brder kamen heraus. Sie standen an unserer Tr. "Es ist Niemand da", sagte Hariman. "Du hast dich get„uscht." "Wahrscheinlich", antwortete Sebulon. "Es war auch nur in mir. Geh”rt habe ich nichts, gar nichts. Aber diese Tr! War sie nicht schon offen, als wir kamen?" "Ja. Der Alte ist fort, und man hat sie offengelassen, um zu lften." "Ich gehe doch einmal hinein!" "Unsinn! W„re ein Horcher da drin, so h„tte er die Tr hinter sich zugemacht; das ist doch gewiá!" "Wenigstens wahrscheinlich." Er kam aber doch herein, ging einige Schritte vorw„rts und stieá dabei an einen Stuhl. "Mach keinen L„rm!" warnte Hariman. Da wendete sich der Andere zurck und ging hinaus. Sein Bruder schob die beiden Flgel der Jalousietr heran, daá sie nun zu war, und dann verschwanden sie wieder in ihrer Stube. Wir aber gingen in das Zimmer meiner Frau, wo wir, weil es nach der anderen Seite //73// lag, Licht machen konnten, ohne daá die Enters es bemerkten. Das Herzle war sehr erregt. "Dich an das Messer liefern!" sagte sie. "Denke dir! Wer ist dieser Kiktahan Schonka, von dem sie sprachen?" "Wahrscheinlich ein Siouxh„uptling. Ich kenne ihn nicht, habe nie von ihm geh”rt. Du bist besorgt, liebes Kind? Hast keine Veranlassung dazu, gar keine!" "So? Man will dich an das Messer liefern! Dich also abschlachten! Das nennst du keine Veranlassung?" "Da ich es weiá, wird es nicht geschehen. Auch ist es noch gar nicht etwa eine beschlossene Sache, sondern nur erst ein Gedanke, mit dem der arme Teufel k„mpft. Und drittens: Selbst wenn es Ernst w„re, wrde man doch sicher nicht eher etwas gegen mich unternehmen, als bis man sich an dem See befindet, in welchem Sander damals ertrunken ist. Bis dahin bin ich meines Lebens vollst„ndig sicher. Es ist das Alles gar nicht so schlimm, wie es klingt." "Auch das mit der Teufelskanzel? Schreckliches Wort!" "Schrecklich finde ich es nicht, sondern h”chstens romantisch. ,Teufelskanzeln' gibt es in diesem Land ebenso viele, wie es drben bei uns in Deutschland Orte mit dem Namen Breitenbach, Ebersbach oder Langenberg gibt. Wo die Devils pulpit liegt, welche hier gemeint war, werde ich morgen frh im Prospect-House erfahren." "Was ist das fr ein Haus?" "Ein Hotel, in dem ich heute Nacht schlafe." "Schlafen? Du?" fragte sie berrascht. "Ja! Schlafen! Ich!" nickte ich. "In einem andern Hotel?" //74// "In einem anderen Hotel!" "Ich erstaune!" "Ich aber nicht! Und in einer guten, glcklichen Ehe kommt es bekanntlich nur darauf an, ob der Mann erstaunt ist oder nicht! Ich glaube kaum, daá ich dir alle m”glichen Grnde erst vorzulegen und mhsam zu erkl„ren habe. Ich gehe jetzt nach dem Prospect-House, esse Etwas, lasse mir ein Zimmer geben und schicke zwei oder drei Zeilen hierher an Mr. Hariman F. Enters, um ihm zu sagen, daá ich in Niagara-Falls angekommen bin und im Fremdenbuch des CliftonHouse gelesen habe, daá er da wohne. Hierauf sei ich aus guten Grnden nach dem Prospect-House gegangen, wo ich morgen frh von acht bis zehn Uhr fr ihn und seinen Bruder zu sprechen bin, sp„ter aber nicht, weil ich mich dann mit meiner Frau zu besch„ftigen habe, die noch nicht mit angekommen ist. Bist du einverstanden?" "Hm, das muá ich wohl sein!" l„chelte sie. "Die Grnde brauchst du mir natrlich nicht einzeln aufzuz„hlen. Meine Erlaubnis zum Umzug sei dir hiermit erteilt. Aber geht das denn? So sp„t in der Nacht?" "Hier geht Alles!" "Auch ohne Koffer? Soll ich dir nicht wenigstens ein Paket machen? Du wirst ungeheuer „rmlich aussehen, wenn du so ohne Alles und mit vollst„ndig leeren H„nden im Hotel erscheinst!" "Das wird nur imponieren, weiter nichts! Ich habe nur noch die Bitte, die eigentlich berflssig ist, an dich: Laá dich ja nicht etwa sehen!" "Allerdings sehr berflssig!" gab sie zu. "Darf ich dich ein Stck begleiten? Vielleicht nur bis hinunter vor die Tr?" //75// "Danke! Du hast unsichtbar zu bleiben! Wir trennen uns hier oben!" Unten im Parlour war man noch wach; aber niemand achtete auf mich. Ich ging hinaus, spazierte ber die Brcke nach der andern Seite des Ortes, wo ich eine Viertelstunde sp„ter im Prospect-House ein Zimmer besaá, ein Billett an Mr. Hariman F. Enters schickte, zu Abend speiste und mich dann, mit meinem Tagewerk zufrieden, zur Ruhe niederlegte. Ich hatte mich natrlich auch hier als Mr. Burton eingetragen. Als ich am andern Morgen halb acht in den Saloon trat, um Kaffee zu trinken, saáen die beiden Enters schon da. Hariman beeilte sich, mir Sebulon vorzustellen, und teilte mir mit, daá sie zun„chst sehr erfreut gewesen seien, zu h”ren, daá ich angekommen sei, dann aber hier ganz entt„uscht, weil kein Mensch im Hotel von einer Mrs. May und einem Mr. May etwas gewuát habe. "Ich reise pseudonym, unter dem Namen Burton." " Well! " nickte Hariman. "Der Leser wegen, die Euch nicht in Ruhe lassen wrden, Sir, wenn sie Eure Anwesenheit erfhren." "Allerdings." "Und Mrs. Burton? Man sieht sie nicht." "Sie ist noch nicht mit hier. Ihr werdet sie sp„ter sehen. Vielleicht morgen oder bermorgen. Ich war natrlich zuerst im Clifton-House. Da aber standen eure Namen im Buch. Darum wendete ich mich hierher. Ich hoffe, das ist euch recht?" "Gewiá, gewiá! Was aber Mrs. Burton betrifft, die wir sehr gern gleich heut begrát h„tten, so mssen wir, wenn sie noch nicht da ist, leider darauf verzichten, //76// ihr morgen oder bermorgen zu begegnen. Wir reisen n„mlich heut schon ab." "So? Dann ist es ja genauso, wie ich Euch vorausgesagt habe: Auch die jetzige Unterredung hat keinen Erfolg." "Das kann man nicht behaupten. Wir hoffen ganz im Gegenteil, mit Euch zum Abschlug zu kommen, Mr. Burton." "Welcher Umstand ist es, der euch diese Hoffnung gibt?" "Eure Klugheit, Eure Einsicht. Aber sprechen wir sp„ter hiervon! Ich sehe, hier ist nicht der Ort dazu." Da hatte er allerdings Recht. Der Saloon war voller Kaffee-, Tee- und Kakaotrinker, und man hatte sich also zu hten, etwas Diskretes zu besprechen. Ich beeilte mich darum, mein Frhstck zu beenden, und dann machten wir einen kurzen Spaziergang l„ngs des Stromes, um uns auf einer der am Ufer stehenden B„nke niederzulassen. Da konnten wir alles M”gliche besprechen, ohne daá uns irgend jemand h”rte. Hariman war noch so, wie ich ihn im ersten Kapitel beschrieben habe. Sebulon besaá dieselben "traurigen" Augen, schien aber ein mehr verbissener und dabei unzuverl„ssiger Charakter zu sein. Was mich selbst betrifft, so war ich entschlossen, nicht viel, wie man sich auszudrcken pflegt, "Federlesens" mit ihnen beiden zu machen, sondern mich so kurz wie m”glich zu fassen. Als wir uns niedergesetzt hatten, begann Hariman sofort: "Ich habe Euch gesagt, daá wir auf Eure Einsicht und auf Eure Klugheit rechnen, Sir. Drfen wir mit dem Gesch„ftlichen beginnen?" "Ja", antwortete ich. "Doch muá ich mich bei euch erkundigen, mit wem ihr berhaupt zu sprechen habt, mit dem Westmann oder mit dem Schriftsteller?" //77// "Mit dem ersteren vielleicht sp„ter, zun„chst aber nur mit dem letzteren." " Well! Sie stehen euch beide zur Verfgung; jeder fr sich aber h”chstens nur eine Viertelstunde. Meine Zeit ist mir n„mlich nur sehr sparsam zugemessen." Ich zog meine Uhr, zeigte ihnen das Zifferblatt und fgte hinzu: "Es ist, wie ihr seht, jetzt genau acht Uhr. Ihr k”nnt also bis Viertel auf neun mit dem Schriftsteller und bis halb neun mit dem Westmann reden; dann ist unsere Zusammenkunft zu Ende." "Aber", warf Sebulon ein, "Ihr habt uns doch geschrieben, daá Ihr zwei volle Stunden fr uns haben werdet!" "Allerdings! Ich hatte da anderthalb Stunden fr den ,Freund' gerechnet. Da ihr aber nur mit dem Schriftsteller und nur vielleicht auch mit dem ,Westmann' reden wollt, auf den ,Freund' aber gar nicht reflektiert, so bleibt es eben bei der halben Stunde." "Wir hoffen aber, daá wir Freunde werden. In diesem Fall drfen wir auf zwei Stunden rechnen?" "Sogar auf noch mehr. Also, beginnen wir! Von der ersten Viertelstunde sind bereits drei Minuten vorber - - -" "Ihr habt eine eigentmliche Art, Gesch„fte zu besprechen!" rief Sebulon „rgerlich. "Nur dann, wenn ich schon abgelehnt habe und dennoch gezwungen werde, von Neuem Zeit fr die erledigte Angelegenheit zu opfern. Also - - bitte - -!" Da nahm Hariman das Wort: "Es handelt sich also um Eure drei B„nde ,Winnetou', die wir Euch abkaufen wollen - - -" "Um sie drucken zu lassen?" fiel ich ihm in die Rede [. ] //78// "Kauft man etwa Bcher, um - - -" "Bitte, keine Verstecke! Kurze Antwort! Ja oder nein! Wollt ihr sie bersetzen und drucken lassen?" Sie schauten einander verlegen an. Keiner antwortete. Da fuhr ich fort: "Da ihr schweigt, will ich an eurer Stelle antworten: Ihr wollt sie nicht drucken, sondern verschwinden lassen, und zwar aus Rcksicht auf euern eigentlichen Namen und auf euern toten Vater." Da sprangen Beide zu gleicher Zeit von der Bank auf und warfen mir Ausrufungen und Fragen zu, denen ich mit einer energischen Armbewegung ein Ende machte, indem ich rief: "Still, still! Ich bitte, zu schweigen! Den Schriftsteller k”nntet ihr vielleicht t„uschen, den Westmann aber nicht. Euer Name ist Sander. Ihr seid die S”hne jenes Sander, der mich leider zwang, von ihm so viel nicht Angenehmes zu erz„hlen. Ich hoffe, daá ich von euch Besseres berichten kann als von ihm!" Sie stnden zun„chst unbeweglich, wie Bilds„ulen aus Holz. Dann setzten sie sich wieder nieder, Einer nach dem Andern, als ob ihnen die Kraft fehle, stehen zu bleiben. Sie sahen vor sich nieder und sagten nichts. "Nun?" fragte ich. Da wendete sich Hariman an Sebulon: "Ich sagte es dir voraus; du aber glaubtest es nicht. Ihm darf man nicht in dieser Weise kommen! Soll ich reden?" Sebulon nickte. Da drehte Hariman sich wieder mir zu und fragte: "Seid Ihr bereit, uns die Erz„hlungen zu verkaufen, um sie verschwinden zu lassen?" "Nein." //79// "Um keinen Preis?" "Um keinen, sei er auch noch so hoch! Aber nicht etwa aus Rachsucht oder Halsstarrigkeit, sondern weil ein solcher Kauf Euch berhaupt nichts ntzen wrde. Was ich geschrieben habe, kann nicht wieder verschwinden. Es sind viele tausend deutsche Exemplare des ,Winnetou' hier in den Vereinigten Staaten verbreitet, und nach den hiesigen Gesetzen bin ich als Verfasser ungeschtzt. Jedermann hat das Recht, zu bersetzen oder nachzudrucken, so viel ihm nur beliebt. Das weiá jeder Buchh„ndler, und Ihr habt mir durch Eure Offerte also schon drben, als Ihr bei mir wart, bewiesen, daá Ihr keiner seid. Ich k”nnte Euer Geld einstecken und hinter Euch lachen. Wollt Ihr das?" "H”rst du es?" fragte Hariman seinen Bruder. "Er ist ehrlich!" Da stand Sebulon von seinem Platz wieder auf und stellte sich gerade vor mich hin. Seine Augen brannten, und seine Lippen bebten. "Mr. Burton", sagte er, "zeigt mir Eure Uhr!" Ich erfllte ihm diesen Wunsch. "Nur noch zwei Minuten; dann ist die Viertelstunde zu Ende!" nickte er. "Ihr seht, ich gehe auf die Zeitportionen, die Ihr uns zuteilt, ein. Ich mache es genauso kurz, wie Ihr es wollt. Die Folgen aber kommen dann nicht ber uns, sondern ber Euch und Euer Gewissen! ja, wir heiáen Sander, und unser Vater war der, den Ihr kennt. Verkauft Ihr uns den Winnetou?" "Nein!" "Fertig mit dem Schriftsteller! Die Zeit ist vorber, genau bis auf die Sekunde. Nun fnfzehn weitere Minuten fr den Westmann! Ich frage Euch: Was haben wir Euch dafr zu zahlen, daá Ihr uns Beide //80// nach dem Nugget-tsil und nach dem ,Dunkeln Wasser' fhrt?" "Ich tue das berhaupt nicht; ich bin kein Fremdenfhrer." "Aber wenn man es gut, sehr gut bezahlt?" "Auch dann nicht. Ich brauche kein Geld. Ich tue niemals etwas fr Geld." "Auch fr die h”chsten Summen nicht?" "Nein!" Da fragte Sebulon seinen Bruder. "Soll ich? Darf ich?" Nun nickte dieser, und Sebulon fuhr, zu mir gewendet, fort: "Ihr werdet es dennoch tun, wenn auch nicht fr Geld; darauf k”nnt ihr Euch verlassen! Kennt Ihr die Sioux?" "Ja." "Und die Apatschen?" "Welche Frage! Wenn Ihr meinen ,Winnetou' wirklich gelesen habt, so wiát Ihr ebensogut wie ich, wie berflssig sie ist!" "So h”rt, was ich Euch sage! Fr die Wahrheit dieser meiner Worte legen wir beide unsere H„nde in das Feuer. N„mlich die H„uptlinge der Sioux sind von den H„uptlingen der Apatschen eingeladen. Weshalb und wozu, das weiá ich nicht; ich habe nur so viel geh”rt, es soll Friede sein zwischen ihnen. Nur H„uptlinge sollen erscheinen, Niemand weiter. Die Sioux aber haben beschlossen, diese Gelegenheit zu benutzen, sich mit s„mtlichen Gegnern der Apatschen zu vereinigen, um die letzteren zu vernichten. Glaubt Ihr das?" "Man muá es prfen", antwortete ich kalt. "So fahre ich fort: Es ist ein Ort bestimmt, an //81// welchem sich die Feinde der Apatschen zusammenfinden, um den Kriegs- und Vernichtungsplan zu besprechen. Ich kenne diesen Ort." "Wirklich?" "Ja." "Woher? Von wem?" "Das ist Gesch„ftssache; Euch aber will ich es sagen, weil ich annehme, daá Ihr mir dann dankbar seid. Ich kenne die Sioux, und sie kennen mich. Unser Beruf als Pferde- und Rinderh„ndler hat uns h„ufig zu ihnen gefhrt. Jetzt haben sie uns ein Gesch„ft angeboten, welches so groá und so gewinnbringend ist, wie niemals eines zuvor. Wir sollen die Beute, die sie bei den Apatschen machen, bernehmen. Versteht Ihr, was ich meine?" "Sehr wohl." "Und Ihr glaubt also, daá wir gut unterrichtet sind?" "Auch das hat sich erst noch zu zeigen!" "Es soll zum Kampf kommen, zu einem beispiellosen Blutvergieáen. Ich weiá, daá Ihr ein Freund der Apatschen seid. Ich will sie retten. Ich will Euch Gelegenheit geben, die Pl„ne ihrer Feinde zunichte zu machen. Ich will Euch an den Ort bringen, an welchem diese Feinde sich beraten. Ich will auf allen Gewinn, der uns in Aussicht gestellt worden ist, verzichten. Und ich verlange dafr nur das eine, daá ihr uns zu den beiden Orten fhrt, die ich Euch bezeichnet habe. Nun sagt, ob Ihr das wollt! Aber sagt es schnell, bestimmt und deutlich heraus! Wir haben keine Zeit!" Er hatte sehr rasch gesprochen, um m”glichst wenig Zeit zu verbrauchen. Das klang doppelt "„ngstlich und doppelt eindrucksvoll. Ich erkundigte mich trotzdem in langsamer, gem„chlicher Weise: //82// "An den Ort, wo die Beratung stattfindet, wollt Ihr mich fhren? Wohin geht dieser Weg?" "Hinauf nach Trinidad." "Welches Trinidad meint Ihr? Es gibt ihrer mehrere." "Im Kolorado." In diesem Trinidad wohnte ein alter, guter Bekannter von mir, namens Max Pappermann, einst ein sehr brauchbarer Pr„riej„ger, jetzt aber Besitzer eines sogenannten Hotels. Er war von deutscher Abstammung und hatte die Eigentmlichkeit, seinen Namen fr die Quelle alles Unheils, welches ihn traf, zu halten. Er sprach seinen Vornamen nicht mit dem englischen e, sondern noch mit dem deutschen a aus, konnte aber infolge eines Sprachfehlers mit dem x nicht fertig werden; sein Max wurde stets zum Maksch. Obgleich er sich hierber tief, tief unglcklich fhlte, kam es ihm doch gar nicht in den Sinn, das zu tun, was jeder Andere an seiner Stelle getan h„tte, n„mlich diesen Namen m”glichst zu vermeiden; er gab ihn ganz im Gegenteile bei jeder Gelegenheit zu h”ren und wurde darum aus diesem und noch einem anderen Grund von jedermann "der blaue Maksch" genannt. Er hatte n„mlich auf einem seiner Streifzge durch den Westen das Unglck gehabt, sich die linke Seite des Gesichtes durch explodierendes Pulver zu verbrennen. Dabei war ihm zwar kein Auge verloren gegangen, aber die von dem Pulver getroffene H„lfte des Gesichtes hatte sich fr immer blau gef„rbt. Er war unverheiratet geblieben, aber ein lieber, pr„chtiger, treuer und aufopferungsvoller Kamerad, mit dem ich einige Male fr nur kurze Zeit zusammengetroffen war. Ich hatte dabei im Verein mit Winnetou Gelegenheit gefunden, ihm bei einem šberfall durch die Sioux helfend beizustehen, //83// und er vergr”áerte diesen doch nur gelegentlichen Dienst in der Weise, daá er sich uns, wie er sich auszudrcken pflegte, zur "ewigen und eternellen Dankbarkeit" verpflichtet fhlte. Er war einer von den Westm„nnern, die ich wirklich und herzlich liebgewonnen hatte. Zur Vervollst„ndigung will ich hinzufgen, daá dieses Trinidad die Hauptstadt der Grafschaft Las Animas im nordamerikanischen Staate Kolorado ist, den Knotenpunkt mehrerer Bahnen bildet und noch heutigen Tages einen nicht unbedeutenden Viehhandel treibt. Dieser letztere Umstand war wohl die Ursache, daá auch die beiden Enters sowohl die Stadt als auch ihre Umgegend sehr gut kannten. Sebulon fuhr in seiner Auskunftserteilung fort, indem er mich fragte: "Seid Ihr schon einmal da oben in Trinidad gewesen, Mr. Burton?" Ich antwortete ausweichend: "Muá mich erst besinnen. Bin an so vielen Orten gewesen, daá ich nicht wenige von ihnen aus dem Ged„chtnis verloren habe. Also da oben liegt das Rendezvous aller Feinde der Apatschen?" "Ja, aber nicht etwa in Trinidad selbst, sondern ein bedeutendes Stck von da in die Berge hinein." "So?! Ihr scheint mich fr einen Abcschtzen zu halten, weil Ihr mir zumutet, anzunehmen, daá die Roten, deren Absichten doch wohl geheim bleiben sollen, eine so belebte Stadt zum Stelldichein w„hlen. Diese Eure Ansicht ber mich ist wohl nicht geeignet, mich zu einem Anschluá an Euch zu bewegen. Ich will nun nur noch fragen, wann man da oben einzutreffen h„tte." "Wir reisen schon heut von hier ab, weil wir einen ganzen Tag in Chicago und zwei volle Tage in Leavenworth zu tun haben. Ihr k”nntet nachkommen. Die //84// Beratung soll genau heut ber zehn Tage sein. Wir wrden Euch aber drei volle Tage vorher in Trinidad erwarten." "Gebt die Stelle n„her an! Oder ist Trinidad so klein, daá ihr uns, wenn wir kommen, sofort sehen mát?" "Fragt nach dem Hotel des alten Pappermann, den man den ,blauen Maksch' zu nennen pflegt. Da bleiben wir ber Nacht. Haben uns dort schon angemeldet. Aber, Sir, es sind schon elf Minuten vorber. Wir haben also nur noch vier Minuten. Besinnt Euch schnell, und gebt uns Bescheid, sonst wird es zu sp„t!" "Habt keine Sorge! Wir werden genau mit fnfzehn Minuten zu Ende sein." "Hoffentlich! Das liegt ja noch viel mehr in Eurem eigenen Interesse, als in dem unserigen!" "Wieso?" "Weil Ihr ohne uns die Apatschen nicht retten k”nntet!" Jetzt muáte mein Schlager kommen, mit dem ich ihre Ansprche und berhaupt ihre Selbstabsch„tzung herunterzustimmen hatte. Ich schaute ihm also wie belustigt in das Gesicht und sprach: "Irrt ihr euch da nicht vielleicht? Glaubt ihr wirklich, daá es mir so schwerfallen wrde, den H„uptling Kiktahan Schonka an der Devils pulpit zu finden?" Das schlug ein! Und zwar sofort und „uáerst wirkungsvoll! Hariman fuhr jetzt auch von seinem Sitz in die H”he und rief erschrocken aus: " Heavens! Er weiá es schon! Seid Ihr allwissend, Sir?" "Ja, seid Ihr allwissend?" fragte auch Sebulon. Sie standen nebeneinander vor mir wie zwei Knaben, die beim Apfelstehlen erwischt worden sind. Ich nahm //85// meine Uhr heraus, sah auf das Zifferblatt und antwortete: "Allwissend ist kein Mensch, kein einziger; aber da ich in diesem Augenblick nicht mehr Schriftsteller, sondern Westmann bin, versteht es sich ganz von selbst, daá ich meine Augen offen halte. Was ihr fr ein Geheimnis hattet, das kannte ich, schon ehe ihr es mir jetzt sagtet. Ihr seid also auf einem vollst„ndig falschen Weg, wenn ihr meint, daá ich euch eure Mitteilungen mit dem Nugget-tsil und mit dem Dunkeln Wasser zu bezahlen habe. Das Verh„ltnis liegt vielmehr grad umgekehrt: Ihr k”nnt nicht durch die Sioux, sondern nur durch die Apatschen etwas gewinnen, und nur ich wrde es sein, der euch diesen Gewinn besorgt." Nun stand auch ich von meinem Platz auf und fuhr fort: "Ich werde heut ber sieben Tagen in Trinidad sein, in dem Hotel, welches ihr mir bezeichnet habt. Von diesem Tag an werde ich euch prfen: Besteht ihr diese Prfung, so bekommt ihr sowohl den Nugget-tsil als auch das Dunkle Wasser zu sehen, sonst aber nicht! Haltet zu den Sioux oder haltet zu den Apatschen, ganz wie es euch beliebt; die Folgen aber kommen nicht, wie ihr vorhin sagtet, ber mich, sondern ber euch! - - - So! Auch diese fnfzehn Minuten sind zu Ende, genau auf die Sekunde. Lebt wohl, Mesch'schurs! Und auf Wiedersehen beim alten Pappermann in Trinidad!" Ich steckte die Uhr wieder ein und entfernte mich, ohne mich einmal nach ihnen umzusehen. Sie machten keinen Versuch, mich zurckzuhalten. Sie sagten kein Wort; sie waren vollst„ndig verblfft. Ich ging direkt nach dem Clifton-House, wo Niemand ahnte, daá ich w„hrend der Nacht fortgewesen war. Wer mich jetzt //86// berhaupt beachtete, muáte annehmen, daá ich von einem Morgenspaziergang zurckkehre. Das Herzle hatte ihr Zimmer, seit ich fortgewesen war, nicht verlassen, also noch gar nicht gefrhstckt. Ich ging mit ihr hinab an unseren Tisch, damit sie das Vers„umte nachhole. Die beiden H„uptlinge waren schon abgereist; auf ihren Pl„tzen saáen andere. Ich berichtete meine Zusammenkunft mit den beiden Enters Wort fr Wort und erntete die mir als Eheherrn auf jeden Fall gebhrende Anerkennung. Das Fenster, an welchem wir saáen, lag, wie bereits gesagt, nach dem Fluá zu. Man sah von ihm aus die Personen, die ber die Brcke kamen. Eben hatte ich meinen Bericht beendet, so bemerkten wir das Brderpaar, welches von drben herber nach dem Hotel kam. Der Kellner sah sie auch und sagte, nach ihnen deutend: "Das sind die Nachbarn! Sie gingen heute sehr zeitig fort. Haben einen Brief bekommen. Sind nie am Tage zu sehen gewesen; heute aber kehren sie zurck. Werde nachschauen, was das fr eine Bewandtnis hat!" Nichts konnte uns lieber sein als diese seine Neugierde. Er ging hinaus. Schon nach einigen Minuten kam er wieder herein und meldete: "Sie gehen! Sie reisen ab! Jetzt nach Buffalo und von da aus mit dem n„chsten Zug nach Chicago. Ganz so, wie die beiden Gentlemen heute frh, die auch nach Chicago gingen. Schade, jammerschade um sie! Bezahlten nur mit Nuggets!" Nach kurzem sahen wir die Gebrder Enters das Hotel verlassen und ber die Brcke wieder hinbergehen. Das Gep„ck, welches sie trugen, bestand aus je nur einer Ledertasche. Mich etwa noch nachtr„glich zu erkundigen, wo und wie sie des Tags ber ihre Zeit verbracht hatten, //87// dazu gab es fr mich keinen Grund; ich war, wenigstens fr einstweilen, mit ihnen fertig. "Nun reisen wohl auch wir bald ab?" fragte meine Frau. "Ja, morgen frh", antwortete ich. "Bis wie weit?" "Hm! W„re ich allein, so wrde ich in einer ununterbrochenen Tour sogleich bis Trinidad fahren." "Du glaubst, ich halte das nicht aus?" "Es ist eine Anstrengung, liebes Kind!" "Fr mich nicht! Wenn ich will, so will ich! Warte, ich werde nachsehen." Sie ging nach der Office, um sich die betreffenden Fahrpl„ne zu holen. Wir schauten nach und rechneten. Es galt, uns weder in Chicago noch in Leavenworth sehen zu lasen. Das war nicht schwer, zumal wir gar nicht ber Leavenworth, sondern ber das ihm allerdings ziemlich naheliegende Kansas City kamen. Von da aus gab es allerdings noch eine gewaltige Strecke bis Trinidad, aber bei der Einrichtung der amerikanischen Eisenbahnwagen, die alles bieten, was an Bequemlichkeit berhaupt erreichbar ist, war dies gewiá nicht allzu schwer zu berwinden. "Wir machen es!" sagte das Herzle. "Wir fahren ununterbrochen! Ich selbst werde die Tickets*) besorgen!" Wenn sie in diesem bestimmten Ton spricht, dann weiá sie, was sie will, und so saáen wir denn schon am n„chsten Morgen im telegraphisch vorausbestellten Abteil des Pullmancar und dampften dem "fernen Westen" und den uns dort erwartenden, hoffentlich nicht gef„hrlichen Ereignissen entgegen. Anstatt die ebenso lange wie interessante Fahrt zu beschreiben, will ich nur sagen, daá ______________ *) Fahrkarten //88// wir in der besten Verfassung in Trinidad ankamen und uns mit unseren zwei Koffern nach dem Hotel des "blauen Maksch" bringen lieáen. Ich hatte das Herzle darauf aufmerksam gemacht, daá wir von dem Augenblick an, in welchem wir in Trinidad den Eisenbahnwagen verlassen wrden, fr l„ngere Zeit auf einen nicht unbetr„chtlichen Teil der "Zivilisation" verzichten muáten. Es stellte sich heraus, daá ich da sehr, sehr Recht gehabt hatte. Trinidad sah zwar keineswegs mehr so aus wie damals, als ich es zum ersten Male so grad zwischen Pr„rie und Gebirge liegen sah, aber zu wnschen gab es doch gar Vieles noch. Als ich mich auf dem Bahnhof nach Mr. Pappermann und seinem Hotel erkundigte, antwortete der betreffende Beamte kurz: "Gibt es nicht mehr!" "Was?" fragte ich. "Ist es mit dem Hotel aus?" "Nein. Es existiert noch." "Aber Mr. Pappermann ist tot?" "Nein. Er lebt noch." "Aber Ihr sagtet doch soeben, daá es beide nicht mehr gebe!" "Beide zusammen, ja! Aber beide einzeln sind noch da! Sie sind nur auseinander!" Der Mann freute sich unendlich ber seinen billigen Witz, belachte ihn eine ganze Weile und fuhr dann fort: "Mr. Pappermann hat verkauft, hat verkaufen mssen! Sein unglckseliger Name ist schuld!" Damit ging der Mann, noch immer lachend, von dannen. Das Hotel verdiente nicht, so genannt zu werden. Ein deutscher Dorfgasthof pflegt einladender und besser auszusehen; aber wir waren nun einmal hierhergewiesen, und auáerdem w„re ich schon um meines //89// alten Kameraden willen in kein anderes Haus gegangen. Wir bekamen zwei nebeneinander liegende Stuben, die zwar klein und fast „rmlich ausgestattet, aber sauber waren. Diese sogenannten "Zimmer" hatten, wie man ganz besonders hervorhob, den groáen Vorzug, daá ihre beiden Fenster hinaus nach dem "Garten" gingen. Als wir nach diesem Garten schauten, sahen wir ein von vier halb verfallenen Mauern eingefaátes Quadrat, auf dem sich folgende Gegenst„nde befanden: zwei alte Tische mit je drei noch „lteren Sthlen; ein fast ganz bl„tterloser Baum, der sich die allergr”áte Mhe gab, entweder eine Linde oder eine Pappel zu sein; vier Str„ucher, die mir v”llig unbekannt waren, zumal sie ihre eigenen Namen wahrscheinlich selbst nicht wuáten; zuletzt und endlich einige Dutzend Grashalme, denen man wohl schon seit Jahren vergeblich zugemutet hatte, irgendeine Art von Rasen zu werden. An dem einen Tisch saá ein Mann, und an dem andern Tisch saá auch ein Mann, beide so, daá wir ihre Gesichter von der Seite sahen. Der Eine hatte ein Bierglas in der Hand; aber er trank nicht, denn es war leer. Der Andere hatte eine Zigarre in der Hand; aber er rauchte nicht, denn sie war ausgegangen. Beide sahen einander nicht an, sondern sie kehrten einander die Rcken zu. Beide waren Wirte. Der mit dem leeren Glas war, wie wir sp„ter erfuhren, der neue Wirt. Und der mit der ausgel”schten Zigarre war, wie wir sogleich dachten, der alte Wirt. Beide sahen nicht sehr glcklich aus, sondern sie machten den Eindruck, als ob beide bereuten, der Eine, das Hotel ver-, der Andere, das Hotel gekauft zu haben und nun sehr eifrig darber nachdachten, in welcher Weise aus diesem Handel noch etwas herauszuschlagen sei. "Du", sagte das Herzle, "der, welcher rechts sitzt, //90// scheint dein Freund Pappermann zu sein. Soeben drehte er sich einmal halb um, und da sah ich die linke Seite seines Gesichtes; sie ist blau." "Ja, er ist es", antwortete ich. "Alt geworden, alt und grau! Sieht aber noch ziemlich kr„ftig aus. Paá einmal auf! Ich bringe ihn in Trab, aber wie! Nur laá dich nicht sehen!" Ich n„herte mich dem Fenster noch mehr, doch so, daá ich im Schutz der Wand verblieb, steckte den Zeigefinger in den Mund und ahmte das gellende Kriegsgeschrei der Sioux nach. Die Wirkung war eine sofortige. Beide Wirte schnellten augenblicklich aus ihren Sthlen auf, und der "blaue Maksch" rief aus: "Halloo, halloo, die Sioux kommen, die Sioux!" Beide schauten sich nach allen Seiten um, und weil sie keinen einzigen Menschen oder gar Feind entdeckten, sahen sie einander selber an. "Die Sioux?" fragte der neue Wirt. "M”chte doch wissen, wo die hier herkommen sollten, mitten in der Stadt! Und so viele Tagereisen von der Gegend entfernt, in der es noch welche gibt!" "Es war einer!" behauptete Pappermann. "Unsinn!" "Oho! Ich mache keinen Unsinn! Ich kenne es! Ich weiá sogar, von welcher besonderen Nationalit„t! Es war ein Siou Ogallallah!" "Laá dich nicht auslachen! Wenn so ein - - -" Er sprach nicht weiter, denn ich lieá das Geheul zum zweitenmal h”ren. "Na, horch! Wenn das kein wirklicher Ogallallah ist, so soll man mir am Marterpfahl die Haut zu Riemen schneiden!" "So sag mir doch, wo er steckt!" //91// "Weiá ich es! Es kam, wie es scheint, von oben, hoch ber uns!" "Ja, von unten, tief unter uns, kann es nicht gut kommen, das ist sehr richtig! Es ist ein Schabernak, weiter nichts!" "Nein, es ist Ernst! Zwar kein Kriegsruf, sondern ein Zeichen, ein wirkliches Zeichen!" Ich wiederholte den Schrei noch einmal. "Horst du!" rief Pappermann. "Das ist kein alberner Scherz! Der Mann ist entweder wirklich ein Siou Ogallallah oder ein alter Westl„ufer meines Schlages, der es versteht, das Schlachtgeheul der Roten nachzuahmen, um sie selbst zu t„uschen. Das ist ein alter Kamerad, der mich hier sitzen sah und mir sagen will, daá - - -" Er wurde unterbrochen, denn von der Hintertr des Hauses her ert”nte eine Frauenstimme: "Schnell herein, herein! Ich weiá nicht, was ich kochen soll!" "Kochen? Man will nicht bloá trinken?" "Nein! Auch essen! Und sogar logieren!" "So ist ein Fremder da?" "Sogar zwei!" "Gott sei Dank! Endlich, endlich wieder einmal! Wo sind sie denn?" "In Nummer drei und vier! Ein Ehepaar!" Da fiel Pappermann schnell ein: "Nummer drei und vier? Die liegen nach hinten! Nach hier heraus! Die Fenster stehen offen! Jetzt weiá ich, wo geheult worden ist!" "Abermals Unsinn!" widersprach der neue Wirt. "Seit wann h”rt man denn Ehepaare heulen?!" "Sehr oft! Aber hier hat natrlich nicht die Frau //92// geheult, sondern der Mann! Er ist ein Kamerad von mir! Dabei muá es bleiben, oder man soll mich teeren, federn, lynchen und - - -" "So kommt doch nur endlich herein!" wurde er von der weiblichen Stimme unterbrochen. "Die Fremden wollen essen, und ich habe doch kein Fleisch und auch kein Geld!" Sie verschwanden unten im Haus. Das Herzle aber sagte mit lachendem Mund: "Du, da sind wir in eine „uáerst gl„nzende Wirtschaft geraten! Dein alter Pappermann aber ist kein dummer und auch kein bler Kerl! Er beginnt schon jetzt, mir zu gefallen, und ich - - -" Da klopfte es laut und kr„ftig an die Tr. "Herein!" rief sie, indem sie sich selbst unterbrach. Wer trat herein? Natrlich Pappermann! "Pardon!" entschuldigte er sich. "Ich h”rte da unten den Kriegsschrei der Sioux Ogallallah und wollte - - - und da dachte - - - und da schien es mir - - - und - - - und - - - Mr. Shatterhand, Mr. Shatterhand - - - halloo, welcome, welcome! " Er hatte seine Rede in flieáender Weise begonnen, dann aber, als er mich erblickte, gestockt und wieder gestockt, bis er mich erkannte und jubelnd auf mich losstrzte. Er breitete die Arme aus, als ob er mich umfassen und kssen wolle, besann sich aber, daá dies wohl nicht ang„ngig sei, und faáte nur meine H„nde. Die aber drckte er in Einem fort, zog sie an sein Herz, an seine Lippen, erging sich in allen m”glichen Ausrufungen der wahrsten, herzlichsten Freude, betrachtete mich dazwischen mit tr„nenden Augen wieder und immer wieder; kurz, es war, als ob er sich vor Entzcken nicht lassen //93// k”nne. Man sagt, daá man einen Menschen nicht mit einem Tier vergleichen solle; hier aber war es wirklich wie die Liebe und uns„gliche Freude eines treuen Hundes, der seinen Herrn wiedersieht, ihn jauchzend umspringt und gar nicht weiá, was er vor lauter Wonne tun und angeben soll. Dem Herzle traten vor Rhrung die Tr„nen in die Augen, und auch ich muáte mich zusammennehmen, um scheinbar ruhig zu bleiben. "Nicht wahr, Ihr habt geheult, Ihr, Ihr, Mr. Shatterhand?" fragte er, als der erste, innere Sturm vorber war. "Ja, ich war es", gab ich zu. "Wuáte es! Wuáte es! Das konnte nur so einer sein wie Ihr!" "Ja, nur ich", lachte ich. "Nicht aber hier meine Frau, wie Ihr ganz richtig zu Euerm Kollegen sagtet." "Eure Frau? Eure Frau? 'sdeath - Tod und Teufel, da habe ich ganz vergessen, mein Kompliment zu machen! Es ist doch in jeder Pr„rie und in jeder Savanne gute Sitte, daá man zun„chst die Frau und erst dann den Mann begrát! Pardon! Ich hole das hiermit nach!" Er versuchte, eine sehr devote und sehr elegante Verbeugung zu machen; da bemerkte ich in seiner und meiner Muttersprache: "Sie k”nnen deutsch mit ihr reden, lieber Pappermann; sie ist eine Deutsche." "Deutsch? Auch das noch! Da ksse ich ihr gar die Hand! Oder lieber gleich alle beide!" Er tat es, aber freilich mit der Grazie eines B„ren, doch war es gut gemeint. Dann wollte er sofort meine Schicksale erfahren, um mir hierauf die seinigen zu erz„hlen. Darauf ging ich ganz selbstverst„ndlich nicht ein, //94// denn erstens galt es, Distanzen zu halten, und zweitens muá man zu solchen Dingen die n”tige freie Zeit und die richtige Stimmung besitzen. Ich lud ihn ein, mit uns zu speisen, und bat ihn, unten zu sagen, daá wir wnschten, im Garten zu essen, und zwar erst nach Verlauf einer Stunde. Bis dahin werde ich mit meiner Frau einen Spaziergang unternehmen, damit sie die Stadt kennenlerne, in welcher einer meiner alten Kameraden dieses sch”ne Hotel besitzt. "Nicht besitzt, sondern besessen hat", verbesserte er mich. "Ich werde Ihnen das erz„hlen." "Aber nicht jetzt, sondern sp„ter einmal! Hieran schlieáe ich die Bitte, auch in Beziehung auf mich so wenig wie m”glich zu sprechen. Es soll hier Niemand wissen, wie ich heiáe und daá ich ein Deutscher bin - - -" "Schade! Jammerschade!" unterbrach er mich. "Ich wollte soeben hier von Ihnen erz„hlen - - -" "Ja nicht, ja nicht!" fiel ich ihm in die Rede. "Ich wrde sofort gehen und Sie nie wieder ansehen! Sie m”gen meinetwegen sagen, daá auch ich ein alter Westmann bin - - -" "Und zwar ein berhmter, ein sehr berhmter!" "Nein, keinesfalls! Ich habe meine guten Grnde, ber mich nur Schweigsamkeit zu ben. Ich heiáe jetzt Burton, und Sie sind viel, viel berhmter gewesen als ich. Verstanden?" "Ja." "Wir reden also auch kein Deutsch mehr miteinander. Machen Sie mir ja nicht etwa Fehler!" "Keine Sorge! Ich heiáe Maksch Pappermann, und wenn es darauf ankommt, bin ich stumm und taub. Ich vermute, es handelt sich um irgendeines Ihrer alten oder vielmehr nun wieder neuen Abenteuer?" //95// "M”glich! Vielleicht vertraue ich mich Ihnen an, aber nur dann, wenn ich mich berzeuge, daá Sie wirklich schweigsam sind. Jetzt gehen Sie!" Er machte eine zweite Verbeugung und entfernte sich, den ihm gewordenen Auftrag auszufahren. Wir aber unternahmen den beabsichtigten Rundgang durch die Stadt, von dem wir pnktlich zur angegebenen Zeit heimkehrten. Wir gingen da zun„chst nach unseren Zimmern. Von dort aus sahen wir, daá neue G„ste gekommen waren, n„mlich ein halbes Dutzend junger Menschen, die auch im "Garten" essen wollten. Fr uns war bereits gedeckt, fr sie aber nicht. Man hatte ihnen eine Art von Tafel mit Sthlen herausgestellt. Da saáen sie nun vor einer Flasche Brandy und vollfhrten einen Heidenl„rm, weil das einzige weiáe Tuch, welches der Wirt besaá, ber unsern Tisch gebreitet war, nicht ber den ihren. Auch verlangten sie das fr uns soeben fertig gewordene Essen. Sie hatten Pappermann gezwungen, sich zu ihnen zu setzen und mit ihnen zu trinken, und er war so klug gewesen, sich ihnen zu fgen. Nun schrien sie alle auf ihn ein. Sie wollten ihn nicht nur „rgern, sondern auch foppen; er aber zeigte sich dabei so ruhig und unberhrt, wie es ihm als alten Wald- und Savannenl„ufer geziemte. Der von ihnen, welcher das gr”áte Wort fhrte, hieá, wie wir sp„ter erfuhren, Howe. Eben als wir in unsere R„ume, deren Fenster noch offen standen, getreten waren, h”rten wir ihn sagen: "Wer ist denn eigentlich dieser Mr. Burton, der das Alles vor uns voraushaben soll?" Pappermann warf einen Blick nach unseren Fenstern. Er sah mich stehen. Da nickte er leise vor sich hin und antwortete. "Er ist Musikant." //96// "Musikant? Was soll das heiáen?" "Er bl„st die Ziehharmonika, und seine Frau spielt die Gitarre dazu." "Bl„st - - - bl„st die Ziehharmonika! Warum bl„st da seine Frau die Gitarre nicht auch?" Ein johlendes Gel„chter belohnte diesen billigen Witz. "Warum redet er so dumm?" zrnte das Herzle. "Laá ihn!" bat ich. "Er hat seine Absicht. Und die ist gut. Ich vermute, es entspinnt sich da unten eine jener Szenen, an denen der Westmann immer eine groáe Freude hat, n„mlich die Zurechtweisung von Menschen, die ihn fr albern oder sonstwie minderwertig halten." "Sind diese Menschen etwa Rowdies?" "Ich glaube nicht, aber sie geb„rden sich wie solche. Darum verdienen sie eine gute Lehre noch viel mehr, als wenn sie wirklich welche w„ren. Ich vermute - - - ah, diese Pferde! Die scheinen ihnen zu geh”ren!" "Sind sie gut?" "Gut? Dieses Wort sagt viel zu wenig!" "Also wertvoll?" Ich z”gerte, zu antworten, weil meine Aufmerksamkeit jetzt ganz ausschlieálich auf die Tiere gerichtet war, denen diese Frage galt. N„mlich durch die hintere Gartenmauer ”ffnete sich eine Tr auf ein von Geb„uden freies Oedland, welches vorhin bei unserer Ankunft vollst„ndig leer gewesen war; jetzt aber gab es da einige Peone*), welche besch„ftigt waren, ein Zelt zu errichten. In ihrer N„he bewegten sich zwei Gruppen von Pferden, die mein ganzes Interesse in Anspruch nahmen. Die eine Gruppe bestand aus neun Pferden und vier Maultieren. Die ersteren waren das, was man "gute" Pferde nennt, _______________ *) Diener, Pferdeknechte //97// nicht mehr und auch nicht weniger; die letzteren stammten jedenfalls aus Mexiko und geh”rten jener ganz vorzglichen Zchtung an, die man dort mit dem Wort " Nobillario "*) bezeichnet. Ihr Preis betrug selbst unter Brdern wenigstens tausend Mark pro Stck. Die andere Gruppe z„hlte nur drei Pferde, aber was fr welche! Sie waren Fliegenschimmel, doch nicht etwa schwarz und weiá, sondern schwarz und rotbraun gefleckt, eine ganz einzige, h”chst vornehme Farbe, die nur durch lange, mhevolle Zucht zu erreichen gewesen war. K”rperbau, Haltung und Gebaren erinnerten mich an die berhmten Rapphengste meines Winnetou, zugleich aber auch an jene ausdauernden Dakotatraber, die es jetzt nicht mehr gibt. Sie wurden von einigen n”rdlichen Indianerst„mmen gezchtet und erreichten durch ihre ununterbrochene Stetigkeit mehr, als man selbst mit dem besten Renner erreicht. So dachte ich jetzt, einstweilen, denn um Gewisses sagen und behaupten zu k”nnen, muáte man hingehen, um sie in der N„he zu betrachten und zu untersuchen. Aber daá diese drei Fliegenschimmel besten Blutes waren, ergab sich auch schon daraus, daá sie sich abgesondert hielten und z„rtlich miteinander waren. Sie leckten und liebkosten einander; sie jagten einander hin und her und schmiegten sich dann wieder so eng zusammen, daá man sie unbedingt fr Geschwister oder doch wenigstens fr nahegeborene Gespielen halten muáte, die noch nie voneinander getrennt worden waren. In der N„he des Zeltes lag ein Haufen von Decken und anderen Reise- und Lagerutensilien. Auch viele S„ttel gab es, wohl mehr als zwanzig Stck. Es waren auch einige Damens„ttel darunter. Wozu? Geh”rten _______________ *) Adelig //98// zu den sechs berlauten, jungen M„nnern vielleicht auch einige Frauen, die man jetzt noch nicht sah? Und bestand die Gesellschaft aus soviel Personen, wie S„ttel vorhanden waren, also aus ber zwanzig? Bis jetzt sah man nur die Sechs und die drei Peone. jedenfalls hatte ich mich vorhin nicht geirrt, als ich annahm, daá diese Leute keine Rowdies seien, aber so ziemlich aus dem H„uschen waren sie jedenfalls, und wahre Bildung, also Herzensbildung, besaáen sie nicht; das bewiesen sie durch die Art und Weise, wie sie den frheren Wirt behandelten und hierauf auch uns selbst zu behandeln wagten. Sie konnten auch etwas noch Schlimmeres als nur Rowdies sein! Ich nahm meine beiden Revolver aus dem Koffer, lud sie und steckte sie zu mir. "Um Gottes willen! Was tust du da?" fragte das Herzle. "Nichts, was deine Besorgnis erregen kann", antwortete ich. "Aber du willst schieáen!" "Nein! Und selbst wenn ich schieáe, so aber doch nicht auf Menschen." "Trotzdem! Wollen doch lieber hier oben essen!" "Willst du mich in deinem eigenen Innern blamieren?" "Nein!" sagte sie entschlossen. "Komm!" Wir gingen hinab und setzten uns, ohne zu gráen, an unsern Tisch. Es trat eine kurze Stille ein. Man betrachtete uns; man taxierte uns ab. Pappermann stand drben von ihrer Tafel auf und kam herber zu uns, weil wir ihn eingeladen hatten, mit uns zu essen. Da steckten sie die K”pfe zusammen, und aus der Art und Weise, in der sie miteinander sprachen, war zu ersehen, daá es sich um irgendeinen Streich handelte, den sie an uns verben wollten. //99// "Sie sind Knstler", sagte Pappermann, indem er sich bei uns niedersetzte. "Welcher Art?" fragte ich. "Maler und Bildhauer. Sie wollen nach dem Sden, zu den Apatschen, sagen sie." "Ah! Was wollen oder sollen sie dort?" "Weiá es nicht. Sie sagten mir nichts; ich schlieáe es nur aus ihren Worten. Sie scheinen eingeladen zu sein. Sie wollen schon morgen frh wieder fort. Haben tausend Teufel im Leib. Keiner von ihnen ist dreiáig Jahre alt. Grne Jungens. Tun aber, als ob ihnen die Gescheitheit gleich schaufelweise in den Kopf geworfen worden sei. Habt Ihr geh”rt, was sie fragten?" "Ja." "Und was ich ihnen sagte, wer Ihr seid?" "Auch das." "War es richtig?" "Weder richtig noch falsch. Was diese Leute von mir denken, ist gleichgltig." "Oh, vielleicht doch nicht! Sie „rgern sich ber euch. Ich ahne irgendeine Teufelei!" "M”gen sie kommen!" Kaum hatte ich das gesagt, so gingen die Worte in Erfllung. Howe stand auf und kam langsam zu uns herber. "Es geht los!" warnte Pappermann. "Ist mir nur lieb", antwortete ich. "Laát mich nur machen, und redet mir nicht darein!" Da hatte Howe uns erreicht, machte mir eine ironische Verbeugung und fragte: "Mr. Burton, wenn ich mich nicht irre?" "Ja", nickte ich. "Ihr blast die Harmonika?" //100// "Warum nicht? Fr Euch ganz besonders gern." "Und das ist Mrs. Burton?" Er deutete dabei auf das Herzle. "Gewiá", antwortete ich. "Sie spielt auf der Gitarre?" "Wnscht Ihr vielleicht, sie zu h”ren?" "Jetzt noch nicht, vielleicht aber sp„ter. Jetzt brauchen wir nur erst das." Er zog uns das weiáe Tuch vom Tisch, trug es fort und breitete es drben auf die Tafel. "Das ist stark! Das ist sogar unversch„mt!" zrnte Pappermann. Das Herzle verzog keine Miene. "Nur ruhig bleiben!" sagte ich. "Wir lassen uns Alles gefallen, Alles!" Da kam der neue Wirt, um uns selbst zu bedienen. Er brachte zun„chst die Teller und Bestecke. Kaum hatte er den Rcken gewendet, so kam Howe, nahm uns diese Sachen weg und trug sie hinber. Hierauf brachte der Wirt die Suppe. Er sah, wie die Sache stand, blieb aber still und stellte die Terrine zu uns auf den Tisch. Sofort wurde sie hinbergeholt und geleert. Dann brachte man sie uns wieder herber. So ging es nicht nur mit der Suppe, sondern auch mit den brigen Speisen, bis ganz zuletzt auf die Frchte. Die vollen Teller, Schsseln und Schalen wurden uns genommen, und geleert brachte man sie uns wieder. Dabei gab es ein immerw„hrendes Spotten und Lachen sondergleichen. "Das sind keine Nigger! " sagte Pappermann. "Das sind auch keine Indsmen! Sondern das sind Weiáe! Was sagt Ihr dazu, Sir?" "Das werdet Ihr wahrscheinlich sehr bald h”ren", antwortete ich. //101// "Ich bestelle natrlich sofort anderes Essen fr uns!" "Nein, jetzt noch nicht. Erst muá diese Posse hier zu Ende gespielt worden sein. Wann werden diese Gentlemen ihr Essen bekommen?" "Das kann wohl noch ein ganzes Stndchen dauern. Meine alte, gute K”chin ist fort, und die neue Wirtin, die selbst kocht, nimmt sich gewaltig Zeit. Ehe die eine junge Henne rupft, verflieáen gewiá drei Monate, denn sie holt jedes Federchen einzeln heraus. Die Bande hat sich n„mlich Hhnersuppe bestellt; es gab aber nur noch eine alte, sechsj„hrige Henne. Bis die gerupft ist, k”nnen, wenn ich mich nicht ganz und gar verrechne, fnf bis sechs Monate vergehen. Nun fragt Euch selber, wann diese ,Gentlemen' ihr Essen bekommen werden!" "Vortrefflich! Herzle, hast du Lust, Gitarre zu spielen?" "Wie meinst du das?" erkundigte sie sich. "Das wirst du sp„ter erfahren. Sage jetzt nur, ob du Lust hast! Die Ziehharmonika und die Gitarre stecken in meinen Taschen." "Ach, die Revolver?" "Ja." "Ist es gef„hrlich?" "O nein, ganz und gar nicht!" "So spiele ich mit!" "Sch”n! Ich glaube, der zweite Akt der Posse beginnt. Der Vorhang hebt sich bereits." Howe kam n„mlich wieder zu uns herber, stellte sich mit weit ausgespreizten Beinen vor uns hin und sprach: "ich komme mit einer Bitte. Wir sind n„mlich Maler. Wir wnschen Mrs. und Mr. Burton abzukonterfeien, auch Mr. Pappermann mit." //102// "Also ihr alle Sechs?" fragte ich. "Ja." "Uns alle Drei?" "Ja. Werdet Ihr uns das erlauben?" "Sehr gern, sehr gern. Ich mache nur eine einzige Bedingung." "Welche?" "Daá wir genauso bleiben k”nnen, wie wir jetzt sitzen." " Well! Wollten euch zwar gern in anderer Stellung haben, in ganz anderer, geben uns aber auch hiermit zufrieden. Aber sitzt so, daá ihr euch so wenig wie m”glich bewegt, sonst wird nichts wahrhaft Knstlerisches fertig! Es kann beginnen!" Sie zogen Papier und Bleistifte aus den Taschen und fingen an, zu zeichnen. Da sahen wir Jemand von weit drauáen her nach dem Ein”dplatz kommen. Er war indianisch gekleidet und trug auf dem Rcken eine in Leder gebundene Last, die nicht leicht zu sein schien. Er ging gebckt und langsamen Schrittes. Er war auáerordentlich ermdet. Bei den Pferden blieb er stehen und betrachtete sie. Dann ging er weiter. Als er so nahe gekommen war, daá sein Gesicht uns deutlich wurde, sahen wir, daá er vielleicht zwei- oder dreiundzwanzig Jahre z„hlte. Seine Zge waren sehr sympathisch. Er hatte sein Haar, ganz wie einst Winnetou, in einem Schopf gebunden und lieá es dann weit ber den Rcken herunterh„ngen. Er schien die Oertlichkeit zu kennen, denn er kam grad und genau auf die Tr zu, die von drauáen herein in den "Garten" fhrte. " Egad , er ist's!" sagte Pappermann. "Kennt Ihr ihn?" fragte ich. "Ja. Es ist der ,junge Adler'. Er kam vor nun //103// vier Jahren vom Gebirge herab, nicht zu Pferd, sondern zu Fuá, genau wie heute. Er blieb zwei Tage bei mir, um sich auszuruhen. Er hatte auáer dem Anzug, den er trug, noch einen neuen, besseren mit. Den gab er mir, als er ging, in Aufbewahrung. Er sagte, wenn er nicht sterbe, werde er in einigen Jahren wiederkommen, um ihn abzuholen. Er hatte kein Geld bei sich, sondern Nuggets, aber nicht viel; es war kaum fr drei- bis vierhundert Dollar. 0 weh, sieht er matt und angegriffen aus!" "Er hat Hunger!" fgte ich hinzu. "Glaubt Ihr?" "Ich glaube es nicht nur, sondern es ist wirklich so. Ich sehe es ihm an." "Auch ich fhle es!" sagte das Herzle. "Er ist ganz ersch”pft! Er wankt! Er soll mit uns essen! Ich sage es ihm. Holt schnell noch einen Stuhl heraus, Mr. Pappermann!" Der Genannte eilte fort, um diesen Wunsch zu erfllen. Das Herzle stand auf, ging zur Tr, auf welche der junge Indsman zugeschnitten kam, ”ffnete sie, empfing ihn dort, nahm ihn bei der Hand, fhrte ihn nach unserm Tisch und bat ihn, unser Gast zu sein. Und da brachte Pappermann auch schon den Stuhl. So ermdet der Indianer war, er setzte sich nicht sofort, sondern er blieb noch stehen, seine groáen, dunklen Augen auf das Gesicht Derjenigen richtend, die sich in so unherk”mmlicher Weise seiner bem„chtigt hatte. "Ganz wie Nscho-tschi, die stets Erbarmen war!" sagte er; dann sank er auf den Sitz und schloá die Augen. Er war so ermdet, daá er gar nicht daran gedacht hatte, die Last, die er trug, erst abzulegen. Wir nahmen sie ihm vom Rcken, indem wir die Riemen l”sten. Es //104// war ein langer, schwerer, in festes Leder gebundener Pack, dessen Gewicht wohl zwischen dreiáig und vierzig Kilo betrug. Das muáte Eisen sein! Wir legten diese Last neben dem Stuhl zur Erde nieder. Pappermann ging nach der Tafel hinber und bat um ein Glas Brandy. "Fr wen?" wurde er gefragt. "Fr den Indianer dort, wie ihr seht!" antwortete er. "Der Brandy ist nicht fr Rote, sondern fr Weiáe, nicht fr ihn, sondern fr uns! Macht Euch fort von hier!" Der alte Westmann war wtend ber diese Zurckweisung; ich beruhigte ihn mit der Versicherung: "Aergert Euch nicht! Sie werden es uns bezahlen! Lauft in die Kche, und holt einen Teller Suppe, m”gt Ihr sie hernehmen, woher Ihr wollt! Das ist besser als all Euer Brandy!" Er gehorchte dieser Weisung. Der Indianer hatte meine Worte geh”rt. Er hielt zwar die Augen noch geschlossen, aber er sagte leise: "Nicht Brandy! Niemals Brandy!" Er hatte den Namen Nscho-tschi genannt, der Schwester meines Winnetou. War er vielleicht ein Apatsche? Pappermann brachte die Suppe. "Nur Bouillon von der alten Henne", sagte er. "Ist aber trotzdem gut! " Er setzte sie vor den Indsman hin; der aber rhrte sich nicht. Da griff das Herzle zum L”ffel und begann, ihrem Gast die Suppe einzufl”áen. Darber gab es drben an der Tafel ein allgemeines Gel„chter. "Die Hhnerbrhe ist eigentlich unser!" sagte Howe. "Aber um des sch”nen Bildes willen wollen wir auf sie verzichten. Das Sujet heiát nun: ,Die dreifach heilige Barmherzigkeit oder der verhungerte Indianer'. In //105// fnf Minuten fertig! Wer l„ngere Zeit braucht, zahlt eine Flasche Brandy!" Da flogen die Stifte, und noch waren die fnf Minuten nicht vorber, so wurden uns die sechs Karikaturen vorgelegt. Es waren aber gar nicht einmal Karikaturen, sondern ganz ordin„re Schmierereien. Man hatte angenommen, daá wir uns ber sie „rgern und dadurch zu irgendeiner Albernheit verleiten lassen wrden; wir aber taten ganz im Gegenteil, als ob wir uns ber das, was uns in Zorn bringen sollte, freuten. "Pr„chtig!" sagte ich. "Wirklich pr„chtig! Wieviel kostet so ein Bild?" "Bild, Bild!" lachte Howe. "Ein Bild nennt er so etwas! Nichts kostet es, nichts! Wir schenken es Euch!" "Umsonst?" fragte ich. "Ja." "Alle sechs?" "Ja doch, ja!" "Danke!" Ich legte die Bl„tter zusammen, steckte sie ein und fuhr dann fort: "Aber ich bin ein anst„ndiger Kerl. Ich lasse mir nichts schenken, ohne mich erkenntlich zu zeigen. Kann mich vielleicht einer von euch zu Pferd zeichnen? Es soll mir auf drei, vier oder fnf Dollars nicht ankommen, die ich dafr zahle." "Fnf Dollars? Thunder-storm , das ist ja ein Verm”gen! Ich laufe, ich renne, ich eile! Ich hole sogleich das Pferd!" rief einer von ihnen. Er ging fort und die Andern folgten ihm, um das allerschlechteste auszusuchen. "Habt Ihr irgendeine Absicht dabei?" fragte mich Pappermann. //106// "Natrlich! Jetzt kommt die Strafe! Lauft schnell zum Wirt hinein und sagt ihm, daá ich zwei bis drei gute, vollgltige Zeugen brauche, wom”glich Advokaten, Polizisten oder sonst Leute von der Stadtbeh”rde. Die m”gen hinauf in unsere beiden Zimmer gehen, wo sie Alles, was geschehen und gesprochen wird, sehen und h”ren k”nnen." " Well, well ! Wird besorgt, sofort, sofort!" Er eilte fort und war, als man das Pferd brachte, schon wieder da. Howe verlangte die fnf Dollars pr„numerando. Ich bezahlte sie. Dann durfte ich aufsteigen. Ich tat, als ob ich noch niemals auf dem Rcken eines Pferdes gesessen habe, und setzte dreimal an, ohne hinaufzukommen. Beim vierten Mal war dann der Schwung, den ich mir gab, zu stark, so daá ich nicht nur hinaufkam, sondern drben gleich wieder hinunterfuhr. Das gab ein dr”hnendes Lachen. Schlieálich hob man mich hinauf und gab mir die Zgel in die Hand. Dann begann das Zeichnen, von neuem. "Es wird groáartig, wirklich groáartig!" rief einer der "Knstler" aus. "Mr. Burton sitzt hoch und stolz zu Pferd wie ein Held und Rittersmann, der jedes Turnier gewinnt!" Natrlich war aber gerade das Gegenteil der Fall. "Ist das wahr? Ist das wahr?" fragte ich hocherfreut und stolz. "Gewiá, gewiá! Man sieht, das keiner von uns es Euch im Reiten gleichzutun vermag!" "Wirklich?" "ja, wirklich!" "So sagt, was kostet so ein Pferd?" "Wollt Ihr eins kaufen?" "Vielleicht mehrere! Wenn ihr sagt, daá ich ein //107// so vorzglicher Reiter bin, so w„re ich doch dumm, wenn ich mit der teuren Bahn weiterfhre! Das Reiten ist doch wohl billiger! Oder nicht?" "Natrlich viel billiger, ganz natrlich! Wir haben einige brig. Vielleicht verkaufen wir Euch eines davon." Sie blinzelten einander zu. Das sollte heimlich sein; ich sah es aber doch. "Nur eines?" fragte ich. "Ich brauche fnf oder sechs!" "Oho! Fr wen?" "Fr mich und Mrs. Burton - - " "Welche die Gitarre spielt?" fiel Howe spottend ein. "Ja. Und es kommen noch einige gute Bekannte dazu." "Die auch Musikanten sind?" "Wenn es euch Vergngen macht, ja. Am liebsten wrde ich drei Pferde und drei Maultiere nehmen und die n”tigen S„ttel dazu. Was kostet das?" Sie waren zun„chst verblfft. Sie sahen mich an, sie sahen einander an; dann fragte Howe prfend: "Drei Pferde und drei Maultiere? Welche denn?" Ich deutete auf die Maultiere und antwortete: "Von den Pferden m”chte ich die nehmen, die sich jetzt gelegt haben, dort, rechts, mit den langen Ohren." Da verlor sich der Ernst auf ihren Gesichtern sofort wieder. Ich aber fuhr fort, indem ich nach den drei Fliegenschmmeln zeigte: "Und die Maultiere dort gefallen mir ebenso. Ich zahle jeden Preis!" Das Lachen erscholl von Neuem. "Die Maultiere dort! Und die Pferde dort! Das ist k”stlich, k”stlich, unbertrefflich!" So riefen sechs Stimmen durcheinander, und als die Heiterkeit etwas nachgelassen hatte, fragte Howe: //108// "Ihr zahlt jeden Preis? So? Wieviel Geld habt Ihr denn eigentlich bei Euch, Sir?" "Volle zweihundertfnfzig Dollars!" brstete ich mich. "Das ist doch gewiá bedeutend mehr, als eure ganze Reiterei kostet!" Jetzt wurde das Gel„chter ein schmetterndes. Sie steckten die K”pfe zusammen, um einen Plan auszuhecken, der auf alle F„lle fr mich nur vorteilhaft war. Sie dachten gar nicht mehr an mein Konterfei zu Pferde, sondern sehr wahrscheinlich nur noch daran, meine zweihundertfnfzig Dollars in die H„nde zu bekommen. "Steigt wieder ab!" forderte Howe mich auf. "Ihr gefallt uns auáerordentlich, ja auáerordentlich, Mister Burton! Ihr sollt die Pferde und die Maultiere haben, und auch die S„ttel dazu. Ihr k”nnt das Alles sogar umsonst haben, wenn Ihr wollt!" "Umsonst? Wieso?" fragte ich. "Wir m”chten Euch reiten sehen, reiten. Auf den Pferden und auch auf den Maultieren! Wir satteln sie Euch jetzt, alle sechs. Ihr steigt da drauáen auf und reitet im Galopp hier herein, aber nicht etwa durch die Tr, sondern ber die Mauer!" "Also im Sprung?" fragte ich. "Ja. Getraut Ihr Euch das!" "Warum nicht? Ihr habt ja selbst versichert, daá ich ein sehr guter Reiter sei! Kann man denn etwa herunterfallen, wenn man die Fáe in den Steigbgel hat und die Zgel in den H„nden?" "Nein, gewiá nicht!" lachte er, und die Andern wieherten mit. "Also jedes Pferd und jedes Maultier, welches Ihr im Galopp glatt ber die Mauer hereinbringt, ohne daá es den Hals bricht und ohne daá Ihr abgeworfen werdet, ist Euer!" //109// "Darf ich dabei den Hut absetzen und den Rock ausziehen?" Da brllten seine Kumpane f”rmlich vor Vergngen; er aber beherrschte sich und antwortete: "Ihr drft ausziehen oder meinetwegen auch anziehen, alles, was Euch beliebt. Selbst wenn Ihr Euch dabei als Harlekin oder als dummer August kleiden wolltet, h„tten wir nichts dagegen. Nun aber kommt der Hauptpunkt, auf dessen Erfllung es ankommt, ob aus dem Handel etwas wird oder nicht. Ihr habt n„mlich die zweihundertfnfzig Dollars sofort zu erlegen. Gelingen Euch die sechs Sprnge, so bekommt Ihr sie zurck und die Pferde und Maultiere dazu. Miáraten sie Euch aber, so bekommt Ihr nichts, und auch das Geld ist unser. Ihr seht doch wohl ein, daá das gar nicht anders geht?" "Natrlich! Ihr riskiert eure Pferde, und so habe ich ganz selbstverst„ndlich auch Etwas zu riskieren. Mein Geld ist zwar mehr wert, als alle eure Pferde, aber ich will der Noble sein!" Wieder lachten sie Alle; dabei antwortete er: "Ganz recht, ganz recht! Und da wir Euch die Pferde und Maultiere augenblicklich stellen, so seid Ihr verpflichtet, auch Euer Geld sofort zu erlegen." "Ja, sofort, sobald der Kontrakt gemacht worden ist." "Kontrakt?" fragte er. "Gewiá! Kontrakt! Ich habe geh”rt, daá die Pferdeh„ndler die pfiffigsten Kreaturen sind, die es gibt, und daá man sich bei ihnen in jeder Weise vorzusehen und sicherzustellen hat." "Aber wir sind doch keine Pferdeh„ndler, sondern Knstler!" "Trotzdem! Es ist ein Pferdehandel, ganz gleich, wer oder was wir sind!" //110// " Well! Bin einverstanden. Papier her!" "Und ich diktiere!" sagte ich. Dabei stieg ich vom Pferd, und zwar in einer Weise, die mehr eine Rutschpartie als ein guter Absprung war. Howe setzte sich. Ich sagte ihm den Wortlaut vor, und er schrieb ihn nach, ohne eine Silbe daran zu „ndern. Er war ja vollst„ndig berzeugt, alles m”gliche unterschreiben zu k”nnen, ohne ble Folgen davon zu haben, weil es fr ihn feststand, daá ich gleich bei den ersten Schritten des ersten Rittes aus dem Sattel fliegen werde. Ich diktierte mit sehr erhobener Stimme, denn ein Blick nach unsern Fenstern hinauf zeigte mir die gewnschten Personen, die jedes Wort zu h”ren und zu verstehen hatten. Ich fgte hinzu, daá ich mein Geld einem Unparteiischen zu bergeben habe, daá er und kein Anderer die Pferde und Maultiere satteln msse und daá dieser Unparteiische Mr. Pappermann sei. Howe zeigte sich ebenso wie seine Kameraden seiner Sache so gewiá, daá er so unvorsichtig war, auch auf diese Bedingungen einzugehen. Dann wurde von ihnen Allen unterschrieben, zuletzt auch von mir. Ich gab dem alten Westmann den Kontrakt, und er steckte ihn ein. Von diesem Augenblick an durfte ich die sechs pr„chtigen Tiere als mein Eigentum betrachten. Ich zog die Brieftasche und fgte die vereinbarte Summe mit Vergngen bei. Auch das Herzle l„chelte. Sie nickte mir heimlich zu. Der bei ihr am Tisch sitzende Indsman hatte sich inzwischen so weit erholt, daá er dem Vorgang mit Interesse folgte. Sein Auge hing mit prfendem Blick an mir, und dieser Blick verriet, daá er das kommende ahnte. "Und nun hinaus zum Satteln!" gebot Howe. Er strmte mit seinen Kumpanen zur Tr hinaus, der alte Pappermann hinter ihnen her. Ich folgte ihnen //111// in bed„chtiger Langsamkeit und beobachtete sie dabei. Sie teilten den Peonen mit, was sich jetzt ereignen sollte. Peone sind Pferdeknechte, sind Diener, sind Untergebene. Gew”hnlich w„hlt man Mexikaner niedersten Standes dazu; diese hier aber waren ganz entschieden Yankees, und zwar ganz erfahrene Patrone, auch nicht mehr jung, sondern gewiá schon ber vierzig Jahre hinaus. Als sie jetzt mit den "Knstlern" sprachen, standen sie nicht wie ihre Dienstboten, sondern schon mehr wie ihre Herren vor ihnen. Das fiel mir auf. Doch schienen sie mit dem schlechten Witz, dessen Opfer ich werden sollte, einverstanden zu sein, denn sie stimmten schlieálich in das Gel„chter der Anderen ein. Als Howe sich mit Zweien von ihnen entfernte, um zu den Fliegenschimmeln zu gehen, rief ihnen der Dritte in heiterem Tone nach: "Schade, daá Sebulon und Hariman nicht dabei sind! Wrden sich krank lachen! Wenigstens der erstere!" Man kann sich denken, wie diese beiden Namen auf mich wirkten! Also die zwei Enters! Denn daá diese beiden gemeint seien, verstand sich fr mich sofort und ganz von selbst. Auch die Reihenfolge, in der die Namen genannt wurden, stimmte: Sebulon voran. Er paáte zu diesen Menschen viel besser als Hariman, sein Bruder, und wrde sich ber den beabsichtigten Streich gewiá auch mehr freuen als der letztere. Aber ich hatte jetzt keine Zeit, diesen Gedanken weiter auszuspannen, denn ich war bei dem Sattelzeug angekommen und hatte auszuw„hlen, was mir gefiel. Ob ich es dann auch wirklich brauchte, war im jetzigen Augenblick Nebensache, doch hegte ich schon jetzt gewisse Absichten, die sich zwar einstweilen nur auf Vermutungen sttzten, sich dann aber als richtig erwiesen. Meine Wahl fiel auf einen Frauensattel und die fnf besten Reits„ttel. Von den letzteren hatte ich, //112// falls ich recht vermutete, sp„ter zwei Stck gegen zwei Packs„ttel umzutauschen. Von jetzt an war es mir klar, daá diese sechs Personen weder Knstler noch sonst etwas Anst„ndiges seien, und es tat mir fast leid, ihnen gegenber die Rolle eines beinahe Minderwertigen gespielt zu haben, w„hrend sie es doch waren, denen es, mochten sie sein, was sie wollten, an der gew”hnlichsten Intelligenz gebrach. Denn daá ich aus einem Haufen von zwanzig S„tteln grad die fnf besten auszusuchen verstand, muáte ihnen ganz unbedingt sagen, daá ich h”chstwahrscheinlich nicht der Tolpatsch sei, fr den sie alle mich hielten. Sie aber waren derartig blind dafr, daá mir der eine Peon sogar seine groáen Sporen brachte, um sie mir anzuschnallen. Ich lieá das ruhig geschehen. Pappermann sattelte zun„chst die drei Maultiere, sodann die Fliegenschimmel. Diese lieáen es sich gefallen, duldeten aber dann nicht, daá sich ihnen jemand von der Seite her n„herte. ich muáte erfahren, ob dies nur die linke, also die Aufsteigeseite, betraf oder auch die rechte. Ich tat also, als ob ich auch von dieser her nahe an sie herantreten wolle, doch wendeten sie sich dabei stets so, daá sie mich vor sich behielten. Auch von hinten lieáen sie Niemand heran. Sie flitzten da ganz lebensgef„hrlich mit den Hufen aus, und zwar alle drei, der eine genauso wie der andere und der dritte. Nun wuáte ich genug. Mit diesen drei Hengsten war es viel leichter, ber die Mauer zu kommen, als mit den Maultieren, von denen es sich erst zu zeigen hatte, ob sie Schule besaáen oder sich nur zum Lasttragen eigneten. "Jetzt Anfang, Mr. Burton!" forderte Howe mich auf. "Es wird Zeit! Laát uns nur erst noch nach dem Garten zurck, damit wir Euch sehen und bewundern k”nnen, wenn Ihr angesaust kommt!" //113// "So helft mir nur erst hinauf!" bat ich, zu einem der Maultiere tretend. Man hob mich hinauf und eilte dann lachend dem "Garten" zu. Die Peone aber blieben im Freien, Pappermann auch. Er wich ihnen nicht von der Seite und sagte mir durch ein heimliches Nicken, daá ich mich hier auf ihn verlassen k”nne. Er war der umsichtige, Alles berlegende Mann geblieben, als den ich ihn vor Jahren kennengelernt hatte. Nun setzte ich das Maultier in Bewegung. Es sah ganz so aus, als ob es aus eigenem Willen vorw„rts gehe, erst langsam, dann etwas schneller. Es lief geradeaus, nach links, nach rechts, scheinbar ganz nach Belieben. Es drehte sich um, machte einen Bogen, wendete wieder, trottete weiter und versuchte sogar einen Trab. Ich rutschte hin und her. Ich schukkerte [schuckerte]. Ich verlor zuweilen die Zgel, und ich fuhr hier und da aus den Bgeln. Das sah Alles so urgemtlich aus und war doch in Wirklichkeit ein scharfes, sehr scharfes Examen, welches ich mit dem Maultier unternahm. Es geschah kein Schritt, kein einziger, ohne meinen Willen, und ich bemerkte sehr bald, woran ich war. Das pr„chtige Gesch”pf besaá die beste mexikanische Schulung. Als ich es leise, ganz leise zum Sprung zusammennahm, gehorchte es so genau und so schnell, daá ich kaum Zeit fand, diese Aufforderung durch Gegendruck zu widerrufen. So n„herten wir uns der Gartenmauer mehr und mehr, bis wir uns nur noch vier oder fnf Schritte von ihr befanden. Drben gab es ein h”hnisches Gel„chter. Man war berzeugt, daá das Maultier mit mir nur so spazierengegangen sei. "Nun, herber, herber, Mr. Burton! Herber!" rief Howe mir zu. //114// "Ja, soll ich denn wirklich?" fragte ich. "Natrlich!" "So nehmt es mir dann aber auch nicht bel!" "F„llt mir nicht ein! Also kommt!" "Salto! Alto! Elevado!" W„hrend ich diese drei, beim Sprung gebr„uchlichen Worte rief, schnellten wir hoch empor, ber die Mauer hinber und standen dann so unbeweglich und ruhig da drben, als ob wir uns gar nicht von der Stelle bewegt h„tten. Mein erster Blick war auf den Indsman gerichtet. Seine Augen leuchteten. "Donnerwetter!" fluchte Howe. Seine Kameraden ergingen sich in „hnlichen Ausrufungen. "Nun?" fragte ich ihn. "Bin ich jetzt hben oder noch drben?" "Hol Euch der Teufel!" schrie er mich zornig an. "Wie es scheint, k”nnt Ihr dennoch reiten?" "Scheint? Dennoch? - Habe ich etwa behauptet, nicht reiten zu k”nnen?" Ich glitt aus dem Sattel herab, fhrte das Maultier aus dem "Garten" in den Hof und band es dort an. "Warum schafft Ihr das Vieh da hinaus?" wurde ich gefragt. Ich antwortete nicht, nickte dem Herzle fr”hlich zu und ging, um das n„chste Maultier zu holen. Dieses tat den Sprung ganz ebenso wie das erste. "Da habt ihr es!" schrie Howe. "Der Kerl kann reiten! Er hat gelogen!" Ich lieá diese Beleidigung ungergt und schaffte das Maultier ebenso in den Hof wie das vorige. Dann bat ich das Herzle: //115// "Bitte, laá, w„hrend ich das dritte hole, meinen Koffer herunterbringen, hierher auf unsern Tisch!" Als ich dann an die Stelle kam, wo die Peone warteten, sagte der eine von ihnen zu mir: "Sir, es scheint, Ihr wollt Euch einen Spaá mit uns machen?" "Wenn dies der Fall w„re, so h„tte ich nur ganz dieselbe Absicht wie Ihr!" antwortete ich. "Nehmt Euch in acht, daá nicht etwa Ernst daraus wird!" "Bei mir wird jeder Spaá zum Ernste. Ist das bei Euch etwa anders?" Da trat er hart an mich heran und drohte: "Ich warne Euch!" "Pshaw!" machte ich wegwerfend "Ja, ich warne Euch! Aber aus ganz anderem Grund, als Ihr denkt. Pferde sind keine dummen Maultiere. Es werden Euch entweder die Knochen zerschmettert, oder Ihr brecht den Hals!" "Das wartet ruhig ab!" Ich hielt es nun nicht mehr fr n”tig, mich zu verstellen. Ich schwang mich auf das Maultier, welches Pappermann am Zgel hielt. "Wie wird es mit den Pferden?" fragte er mich leise. "Ganz ebenso!" antwortete ich. "Aber sie lassen doch niemand an sich heran!" "Habt keine Sorge! Ich komme nicht nur hinan, sondern auch hinauf ! " Nach diesen Worten flog ich ber den Platz und ber die Mauer hinber. Als ich den Mulo*) in den Hof brachte, stand dieser schon fast ganz voller ____________________ *)Maultier //116// Menschen. Die Sache war publik geworden, und die Leute kamen herbei, ihr beizuwohnen. Dem Wirt war das lieb, weil er dadurch G„ste bekam. Auch die benachbarten H”fe und "G„rten" hatten begonnen, sich mit Zuschauern zu fllen. Mein Koffer war da. Das Herzle war selbst mit oben gewesen. Sie sagte mir, daá vier Zeugen an unsern Fenstern stnden, drei Polizisten und ein Herr, den man ihr als Corregidor bezeichnet habe. "Das heiát so viel wie Brgermeister. Die Leute mexikanischer Abstammung pflegen sich dieses spanischen Ausdrucks zu bedienen", erkl„rte ich ihr. "Er ist erst nachtr„glich gekommen. Er wurde n„mlich von einem der Polizisten geholt, und zwar aus einem mir unbekannten Grund, welcher uns aber, wie er mir versicherte, auáerordentlich interessieren wird. Er war sehr h”flich. Brauchst du etwas aus dem Koffer?" "Ja. Zun„chst meinen Beratungsrock." Ich ”ffnete den Koffer und entnahm ihm das bezeichnete, aus weiáem Leder gefertigte Kleidungsstck, dessen N„hte mit Skalplocken verziert sind. "Uff!" verwundene sich der Indsman in halblautem Ton. "Das darf nur ein H„uptling tragen! Aber auch nur am Beratungsfeuer und bei Stammesfestlichkeiten!" Ich zog meinen Rock aus und legte dafr dieses indianische Gewand an. "Warum?" fragte das Herzle. "H”rst du, wie deine Kontrahenten darber lachen und spotten?" "Laá sie es tun. Es kommt sogar noch der H„uptlingsschmuck dazu. Es ist der Pferde wegen. Sie haben indianische Dressur. Sie lassen auáer ihrem Herrn kein Bleichgesicht zu sich heran, und auch ich k„me, ohne mich umzukleiden, gewiá nicht in den Sattel." //117// "Ah! Darum die Bedingung, dich aus- und anziehen zu k”nnen, ganz wie es dir beliebt?" ,,Ja. Du siehst, daá jedes Wort erwogen war, obgleich auch du selbst nicht wuátest, warum und wozu." Als ich den H„uptlingsschmuck aus seiner Hlle rollte, stieá der Indsman einen zweiten Ruf der Verwunderung aus: "Uff, uff! Das echte, wirklich echte Gefieder des Kriegsadlers, den es jetzt nicht mehr gibt! Sind es fnfmal zehn Federn?" "Noch mehr", antwortete ich. Da stand er ehrerbietig auf und sprach: "So muá ich meinen Gruá und meine Bitte um Verzeihung - - - " "Still, still!" unterbrach ich ihn. "Wir sind hier nicht am Beratungsfeuer, und nur um zu den k”stlichen Pferden zu gelangen, enthlle ich diese Heimlichkeit, deren Bedeutung man glcklicherweise hier wohl nicht kennt." Zu der Art von Schmuck, um die es sich hier handelt, durften nur die zwei „uáersten Schwungfedern des Kriegsadlers genommen werden. Der meinige reicht hinten vom Kopf bis auf die Erde herab, ist von sorgf„ltigster, indianischer Arbeit und hat seine eigene, sehr ergreifende Geschichte. Als ich ihn auf setzte, begannen zwei oder drei von den sechs von neuem zu lachen. Da aber fuhr Howe sie zornig an: "Schweigt! Seht ihr denn nicht, was es nun geben wird! Er kennt das Geheimnis der drei Hengste! Da gibt es nichts zu lachen! Aber ich hoffe, er bricht trotzdem noch den Hals!" Ich ging mitten zwischen ihnen hindurch, hinaus zu den Pferden. Da standen die Peone. Keiner von ihnen sagte ein Wort - aber wenn Blicke die //118// Wirkung von Bchsenkugeln bes„áen, so w„re ich unter den ihren sofort zusammengebrochen. Die Fliegenschimmel hielten sich noch eng beisammen. Ich schritt langsam auf sie zu. Sie betrachteten mich, ohne sich zu bewegen. Ihre r”tlichen Nstern bl„hten sich. Ihre kleinen Ohren begannen, zu spielen. In ihre langen, pr„chtigen Schw„nze kam Bewegung. Zwei von ihnen lieáen mich heran; der dritte aber schnaubte. Er wich zurck, doch ohne nach mir zu schlagen oder zu beiáen. Der war der Klgste. Den hob ich mir auf bis zuletzt. Er hatte eine kleine, hellweiáe Mouche grad ber der Nase, kaum so groá wie ein Pfennig, ein tiefklares und gesundes Auge, ein charaktervolles, trockenes K”pfchen, eine seidengl„nzende Haut und einen so tadellosen Bau, daá ich schon jetzt, wo er mir noch gar nicht geh”rte, beschloá, ihn fr mich selbst zu nehmen. jetzt aber schwang ich mich auf einen der beiden andern. Er lieá sich das ohne jeden Widerstand gefallen, trug mich zweimal im Galopp und im Kreis herum und flog dann mit mir ber die Mauer, als ob sie nur eine niedrige Stufe sei. Lauter Beifall erscholl in den H”fen. Die sechs "Knstler" aber waren still. Ich brachte das Pferd bei den Maultieren unter und ging dann hinaus, um das zweite zu holen. Auch das gelang. Als ich dann zum letzten Male hinaus zu den Peonen kam, trat der von ihnen, welcher mich schon einmal angesprochen hatte, auf mich zu und sagte: "Sir, Ihr gebt doch wohl zu, daá Ihr darauf ausgegangen seid - - " "Euch eine Lektion zu erteilen?" unterbrach ich ihn. "ja, das wollte ich allerdings." "Nun gut! Es ist geschehen. Dabei soll und muá es aber nun sein Bewenden haben! Wir machen nicht mehr mit!" //119// "Ich auch nicht! Ist berhaupt gar nicht n”tig! Wir werden ja gleich fertig sein!" "Noch nicht ganz. Denn auf dieses Pferd kommt Ihr nicht 1 Er ging von vorn auf den Hengst zu, um ihn am Zgel zu fassen; ich aber war schneller als er. Das Pferd, welches ihn kommen sah, dachte, er wolle in den Sattel. Es wendete ihm Kopf und Brust zu und schnaubte ihm drohend entgegen. Das benutzte ich. Mit einigen schnellen Schritten kam ich von hinten - - ein kr„ftiger Ansatz, ein Sprung, ein , Schwung, und ich saá oben. Nun aber schnell in die Bgel und an die Zgel! Da ging der Schimmel auch schon mit allen Vieren in die Luft. Der Peon war gezwungen, auf die Seite zu springen, um nicht von den Hufen getroffen zu werden. "Hund!" brllte er mich an. "Das sollst du mir báen!" Und zu seinen Kameraden gewendet, fgte er hinzu: "Kommt schnell hinein in den Hof! Die Abmachung darf nichts gelten! Er muá sie alle wieder herausgeben, sie alle!" Er rannte mit ihnen fort. Da ich nun einmal auf dem Pferd saá, konnten sie mich nicht mehr daran hindern, nun auch den letzten Sprung noch auszufahren. Es galt also nur noch, mich um den wohlverdienten Ertrag meiner Mhe zu bringen. Darum beeilten sie sich, mir wom”glich noch vorauszukommen. Sie waren n„mlich berzeugt, daá dieses letzte Pferd mir nicht so willig gehorchen werde wie die beiden vorangehenden. Aber da irrten sie sich. Nun ich einmal fest im Sattel saá, unternahm es keinen Versuch, mich abzuwerfen. Das war die Wirkung der indianischen Kleidungsstcke. Aber es hatte mich trotz derselben doch wiedererkannt. Es wuáte, daá ich kein Roter, sondern ein Weiáer sei, und darum //120// z”gerte es. Ich htete mich, es durch die Sporen zu zwingen. Ich gab vielmehr gute Worte. Weil ich der Ansicht war, daá es einer Dakotakreuzung entstamme, versuchte ich es erst in dieser Sprache, und zwar mit den bei den Dakotast„mmen gebr„uchlichen Anfeuerungsworten fr Pferde: "Schuktanka waschteh, waschteh! Tokiya, tokiya - sei gut, sei gut, liebes Pferd! Lauf, lauf; geh weiter!" Diese Aufforderung war ohne allen Erfolg. Ich setzte den Versuch also im Apatsche fort: "Yato, yato! Tatischah, tatischah - - sei lieb; sei gut! Lauf, lauf!" Es spitzte die Ohren und wehte mit dem Schwanz. Es kannte als diese Worte, die aber noch nicht die richtigen waren. Darum probierte ich es nun mit dem Komantsche: "Ena, ena! Galak - - geh weiter; geh - Ich hielt mitten in diesem Zuruf inne. Ich hatte nicht n”tig, ihn zu vollenden, denn der Hengst stieá einen tiefen Ton der Freude aus und begann sofort, mit allen Hufen zu spielen. Und da kam mir eine Idee, die eigentlich weit hergeholt erschien, sich aber dann sp„ter als wahr erwies. Es fiel mir n„mlich der edle, dunkle Rotschimmel ein, den mein Freund Apanatschka, damals noch H„uptling der Naiini-Komantschen, mit groáer Vorliebe geritten hatte. Ich habe dieses Pferd in "Old Surehand" Band 3 Seite 51 erw„hnt und beschrieben. Und ich wuáte, daá sowohl Apanatschka als auch Old Surehand sich groáe Mhe gegeben hatten, diesen sch”nen Komantschenschlag mit Winnetous Lieblingen und besten Dakotatrabern zu vereinen, um Pferde zu ziehen, in denen die Vorzge dieser drei Rassen zusammenflossen. Dieses Vorhaben war gelungen. Sie besaáen nun Beide mehrere //121// groáe Zchtereien, deren bedeutendste drben am Bijou-Creek liegt, der ein Nebenfluá des sdlichen Platte ist. Dort hatte Old Surehand sich zu den Wirtschaftsgeb„uden ein Wohnhaus bauen lassen, in dem er einige Monate des Jahres zuzubringen pflegte. Dieser mit sehr gutem Geschmack eingerichtete Landsitz war gemeint, als er mir in seiner Mitteilung schrieb: "Betrachte mein Haus als das Deinige, auch wenn wir nicht daheim sind." Sollten die drei Fliegenschimmel von dorther kommen? Vielleicht auch die Maultiere? Sollten die sechs sogenannten "Knstler" samt ihren Peonen Pferdediebe sein? Unm”glich war das keineswegs. Trinidad ist seines Pferdehandels wegen weithin bekannt und fr derartiges Gesindel ein ebenso bequemer wie gesuchter Ort, die geraubte Ware an den Mann zu bringen. Das alles fuhr mir jetzt blitzschnell durch den Kopf, ohne daá ich aber Zeit hatte, den Gedanken festzuhalten und weiterzubewegen. Der Fliegenschimmel begann, wie bereits gesagt, mit allen vier Hufen zu t„nzeln und zu spielen. Seine beiden Freunde und Verwandten waren fort. Er wollte ihnen nach, wollte zu ihnen. ich nahm ihn fest zusammen und legte ihn dann in Galopp, aber nur bis an die Mauer. Da blieb ich halten. Er bat in tiefknurrenden T”nen, ihn doch hinber zu lassen. Das hatte ich h”ren wollen. Er war nicht stumm; er sprach! Nun erfllte ich seinen Wunsch. Die Mauer wurde, wie der Reiter vorn Fach sich auszudrcken pflegt, von dem Hengst "mit h”chster Eleganz genommen". "Gewonnen, gewonnen! Die Pferde sind sein, sind sein!" ert”nte ein vielstimmiger Ruf. Pappermann war schleunigst hinter mir hergerannt. Ich bergab ihm das Pferd, um es zu den anderen in den Hof zu schaffen. //122// "Halt! Dableiben!" rief Howe ihm befehlshaberisch zu. "Der Hengst geh”rt uns, und die anderen alle auch. Sie mssen wieder herein, hierher, zu uns!" Er griff nach den Zgeln. Da trat ich zu ihm heran und antwortete: "Hand ab vom Gaul! Ich z„hle bis drei: Eins - - zwei - - drei - -! " Er lieá nicht los. Darum stieg ich ihm bei "drei" die Faust in die Seite, daá er mitten unter seine Kameraden hineinflog und dann zur Erde strzte. Er wollte sich augenblicklich aufraffen, um mir diesen Stoá schleunigst zu vergelten brachte dies aber nicht fertig. Er konnte sich nur langsam wieder erheben, und ehe dies geschah, hatte sich schon ein Anderer seiner Sache angenommen, n„mlich der Peon, von dem ich ein "Hund" genannt worden war. Er kam mit geballten F„usten auf mich zu und schrie: "Schlagen, schlagen willst du auch? Das soll dir wohl nicht gut - - -" Er kam nicht weiter. Er wurde von dem neuen Wirt unterbrochen, welcher soeben in den "Garten" trat, gefolgt von einigen robusten, muskelstarken M„nnern, die er sich schnell zusammengewinkt hatte, um grad im entscheidenden Augenblick mit ihnen dazwischen zu treten. "Still, still! Haltet den Schnabel!" berschrie er den Peon. "Hier kommt das Essen! Die Suppe! Macht eure Sache aus, wenn gegessen worden ist! In meinem Hotel ist es nicht erlaubt, sofort mit allen F„usten dreinzuschlagen! Sondern hier heiát es, erst die Henne und dann das Gesch„ft!" Der Mann war pfiffig. Um den Peon zu beruhigen, warf er die Schuld zun„chst auf mich, winkte mir dabei aber mit den Augen die Bitte zu, mir das "sofort mit //123// allen F„usten dreinschlagen" nicht etwa zu Herzen zu nehmen. W„hrend die anderen hinter ihm die Teller und Bestecke brachten, trug er die Terrine mit der Hhnersuppe. Er griff w„hrend seiner Worte hinein, zog die alte, ausgekochte Henne an einem Beine heraus und hob sie so hoch empor, daá jedermann sie sehen k”nnte. Was er so klug berechnet hatte, das geschah. Aus den anliegenden H”fen und "G„rten" scholl ein lautes Gel„chter zu uns herber, und eine Menge von lustigen Stimmen rief durcheinander: "Ganz richtig! Ganz richtig! Erst die Henne und dann das Gesch„ft! Vivat die Henne! Sie lebe hoch!" Das wirkte. " Well! " rief der Peon. "Es sei! Erst die Henne und dann die Pferde! Setzt euch! Wir essen! Dieser Mr. Burton kann warten, bis wir fertig sind!" "Nein! Er soll nicht warten!" entgegnete Howe, der nach seinem Stuhl hinkte, um sich zu setzen. "Er soll uns Musik machen! Tafelmusik! Er bl„st die Ziehharmonika, und Mrs. Burton spielt Gitarre!" "Ja, das soll er, das soll er!" stimmte der Peon ihm bei, indem er mir gebieterisch winkte. "Her mit der Ziehharmonika! Und her mit der Gitarre!" "Sogleich!" antwortete ich. "Sogleich!" Ich trat zum Herzle, nahm die zwei Revolver aus den beiden Auáentaschen des vorhin abgelegten Rockes und fragte sie: "Kannst du dir denken, was jetzt kommen muá?" "Ja", antwortete sie. "Und hast du Mut?" "Ich denke es!" "So komm!" Ich spannte beide Revolver und gab ihr den einen //124// in die Hand. Bis jetzt hatte ich so gestanden, daá man die Waffen nicht sehen konnte. Nun aber drehte ich mich um und ging auf die Tafel zu, das Herzle folgte mir sogleich. Die rechte Hand mit dem Revolver hebend, sagte ich: "Hier meine Ziehharmonika!" "Hier meine Gitarre!" drohte das Herzle. "Das Spiel beginnt!" fuhr ich fort. "Wer von euch etwa auch nach der Waffe greift, bekommt auf der Stelle eine Kugel! War unser Essen vorhin fr euch, so ist das eure nun fr uns! Bitte, Mr. Pappermann, greift zu! Hinber zu uns mit dem Tafeltuch! Hinber mit Besteck und Geschirr! Und hinber mit der Henne!" Einige Augenblicke lang herrschte rundum tiefes Schweigen. Ich sah, daá der Revolver in der Hand meines Herzle leise bebte. Sie griff mit der anderen Hand nach meinem Arm, um fest zu sein. Aber die Drohung wirkte. Keiner der "Knstler" und Peone wagte, sich zu rhren. Und nun brach rundum ein jubelnder Beifall los. "Hinber auch mit der Henne!" rief, schrie, lachte und spottete Alles, was eine Stimme besaá. "Hinber, hinber! Mit der Henne, mit der Henne!" Pappermann griff zu, meine Weisung auszufahren, und Niemand hinderte ihn, es zu tun. Da entstand ein Gedr„nge drauáen im Hof. Es wollte jemand von dort heraus in den "Garten". "Der Corregidor kommt!" h”rte ich sagen. "Der Corregidor!" Also der Herr Brgermeister selbst! Und hinter ihm die drei Polizisten. Also unsere Zeugen. Aber sie kamen nicht nur als Zeugen, sondern aus einem noch ganz anderen, viel gef„hrlicheren Grund. Der Corregidor wendete sich, als er uns erreichte, zun„chst an mich: "Steckt die Revolver ein, Mr. Burton! Sie haben //125// ihren Dienst getan und sind nun, da ich mich der Angelegenheit selbst annehme, nicht mehr n”tig. Die Pferde und Maultiere sind Euer. Kein Mensch kann sie Euch nehmen. Und auch Euer Geld geh”rt Euch wieder!" "Oho!" rief der schon wiederholt erw„hnte Peon, der unsere Waffen nicht mehr auf sich gerichtet sah. "Dazu geh”ren wir wohl auch!" "Allerdings geh”rt Ihr auch dazu! Gerad Ihr! Besonders Ihr! Es verlangt mich sehr, Euern Namen zu erfahren! Aber nicht etwa einen falschen, sondern nur den richtigen!" "Meinen Namen!" fragte der Peon. "Warum? Wozu? Falsche Namen fhre ich berhaupt nicht!" "Ich kenne wenigstens zehn bis elf, die Ihr bisher brauchtet, um Euch zu verstecken. Euer wirklicher Name ist Corner. Unter dem letzten falschen Namen wurdet Ihr wegen Raub und Pferdediebstahl unten in Springfield verurteilt, seid aber ausgerissen!" "Das ist nicht wahr! Das ist eine Lge! Das ist eine Sch„ndlichkeit! Ich bin ein ehrlicher Mann und habe niemals einen anderen Menschen auch nur um den Wert eines Cent gebracht!" "Wirklich? - Wollt Ihr eine Person sehen, welche das Gegenteil nicht nur behauptet, sondern dasselbe auch beweist?" "Bringt sie mir!" "Da ist sie!" Der Beamte tat bei diesen Worten einen Schritt zur Seite, damit der bisher hinter ihm stehende Polizist zu sehen sei. Dieser nickte dem Peon ironisch zu und sagte: "Ihr kennt mich wohl, Mr. Corner? Ich war es, der Euch in Springfield arretierte, und wiederhole das //126// nun heute mit groáem Vergngen. Bin inzwischen hier in Trinidad angestellt worden!" Kaum hatte der Peon diesen Polizisten gesehen und seine Worte geh”rt, so rief er aus: "Dieser Schurke ist hier, dieser Schurke! Hole Euch alle der Teufel - der Teufel! Kommt, kommt!" Indem er diese letzte Aufforderung an seine Kumpane richtete, tat er einen Sprung, der ihn aus unserer N„he brachte, und rannte spornstreichs davon, aus dem Garten auf das ™dland hinaus und nach der Stelle zu, auf welcher die Pferde standen. "Ihm nach, ihm nach! Er will fliehen!" befahl der Corregidor, indem er gleich in eigener Person hinter ihm herrannte. Aber der Peon floh nicht allein. Seine s„mtlichen Komplizen waren aufgesprungen und folgten seinem Beispiel mit einer Schnelligkeit und Gewandtheit, aus welcher zu sehen war, daá sie in Beziehung auf derartige Vorkommnisse bedeutende Uebung besaáen. Auch ich bin gewohnt, sehr schnell zu handeln, wenn es einmal zu handeln gilt. Ich griff also so rasch wie m”glich zu, aber es gelang mir nur, gerad den letzten von ihnen noch zu erwischen und festzuhalten. Er wollte sich zwar wehren und losreiáen, aber Pappermann, der beraus kr„ftig war, nahm ihn mir aus den H„nden, warf ihn zu Boden und kniete ihm derart auf die Brust, daá er sich nicht mehr rhren konnte. Nun sah man sie laufen, alle, alle. Voran die Fliehenden, hinter ihnen her ihre Verfolger. Die Ersteren erreichten ihre Pferde, schwangen sich auf und jagten davon, indem sie das vierte Maultier und auch das Pferd ihres von uns berw„ltigten Kameraden mitnahmen. "Schurken!" rief dieser zornig aus, als er das sah. "Was wird nun aus mir!" //127// "Das kommt auf dich an", antwortete ich. "Wieso?" fragte er. "Warte!" Meine Aufmerksamkeit wurde n„mlich durch die fast drollige Szene, die sich jetzt da drauáen entwickelte, angezogen. Es hatten sich nicht etwa nur einige, sondern alle Anwesenden an der Verfolgung beteiligt. Ausgenommen waren nur Pappermann, der Wirt mit seinen Leuten, der Indianer, meine Frau und ich. Auch die Nachbarn mit ihren Zaun- oder vielmehr Mauerg„sten waren herbergesprungen und den Flchtlingen nachgerannt. Es fiel ihnen jetzt, da diese davonritten, gar nicht etwa ein, stehenzubleiben oder gar umzukehren, sondern wir h”rten den Corregidor rufen: "Schnell nach den Corrals! Und dann hinter ihnen her!" Corrals sind umz„unte, freie Pl„tze, in denen man die Pferde unterbringt. Solcher Pl„tze gab es fr die Bewohner von Trinidad mehrere. Ihnen eilte man jetzt zu, um sich schleunigst auch beritten zu machen und dann den Spuren der so schnell Verschwundenen zu folgen. Nun waren wir allein, und ich wendete mich an den Gefangenen, der von Pappermann noch immer festgehalten wurde: "Steh auf, Bursche! Und h”re, was ich dir sage!" Da lieá Pappermann ihn halb los, so daá er sich erheben konnte. Ich fuhr fort: "Wenn du mir meine Fragen aufrichtig und wahr beantwortest, geben wir dich frei." "So daá ich fort kann, wohin ich will?" fragte er schnell. "Ja." Er sah mich prfend an; dann sagte er: //128// "Ihr seht nicht wie ein Lgner aus. Ich hoffe, daá ihr Wort halten werdet. Also gebt mir an, was Ihr wissen wollt!" "Von wem sind die drei Fliegenschimmelhengste!" "Von der Farm eines gewissen Old Surehand." "Und die Maultiere?" "Von eben daher." "Gestohlen?" "Nein, eigentlich nicht. Es war nur Betrug, ein kleiner, allerliebster Betrug. Corner hatte erfahren, daá die besten Pferde und Maultiere Old Surehands fr einen Deutschen bereitgestellt waren, der mit seiner Frau erwartet wurde. Auch erwartete man einige junge Maler und Bildhauer, die ausgerstet werden sollten - - -" "Ausgerstet? Wozu?" unterbrach ich ihn. "In das Apatschenland zu einer groáen Schaustellung zu reiten. Der junge Surehand hatte sie dazu eingeladen, war aber, ebenso wie sein Vater, l„ngst vorangereist. Da stellten wir uns ein. Es gab eine Art von Maskerade, von Fastnachtsspiel. Der Verwalter glaubte uns und gab alles, was wir verlangten, her. "Ah! Darum seid Ihr auch jetzt noch Bildhauer und Maler!" "So ist es!" lachte er. "Fragt weiter!" "Ich bin fertig. Wenn ich weiter in Eure Geheimnisse eindringen wrde es mir wohl sehr schwer oder gar unm”glich sein, Euch mein Wort halten zu k”nnen. Ich mag also weiter nichts wissen." "Und ich darf fort?" "Ja." "Ich danke! Ihr seid ein Ehrenmann, Sir! Aber ich bin ohne Pferd!" //129// "Da kann ich Euch nicht helfen." "K”nnt Ihr mir nicht wenigstens eines der Maultiere geben?" "Gestohlenes Gut ? - Nein!" "Aber, nun Ihr wiát, daá die Tiere eigentlich gar nicht unser sind, drft auch Ihr sie nicht behalten!" "Will ich auch nicht. Ich kenne Old und auch Young Surehand. Ihr k”nnt Euch darauf verlassen, daá er wiederbekommt, um was er von Euch bestohlen worden ist, wenigstens so viel, wie ich retten konnte. Auch das Zelt behalte ich." " Well! Mir egal! Aber ohne Pferd kann ich nicht fort. Ihr werdet heut erfahren, daá hier irgendwo und irgendwem eines abhanden gekommen ist. Wird das Euer Gewissen nicht beschweren?" "Nicht im geringsten. Denn es f„llt mir gar nicht ein, es fr das, was Andere tun, mit herzugeben. Also geht!" "Gut! Fertig! Lebt wohl!" Er wendete sich, zu gehen. Da sagte der Wirt, welcher zugeh”rt hatte, zu ihm: "Wenn Ihr partout ein fremdes Gewissen zu Rate ziehen wollt, so stelle ich Euch das meinige zur Verfgung. Ich werde sofort dafr sorgen, daá heute und hier kein Pferd abhanden kommt! Nicht irgendwo und auch nicht irgendwem! In zehn Minuten wird die ganze Stadt es wissen, daá Ihr uns ausgerissen seid und Pferde stehlen wollt. Fort mit Euch!" Schon wollte der Mensch dieser Weisung Folge leisten, da nahm Pappermann ihn noch einmal beim Arm und sprach: "Noch auf ein Wort! Diese beiden Gentlemen, die Euch laufen lassen wollen, haben die Hauptsache vergessen. Ihr habt doch Geld?" //130// "Soviel, wie ich brauche, ja." "Wo?" "Hier in der Tasche." Er zog einen wohlgefllten Beutel. heraus, um ihn uns prahlerisch zu zeigen, und fgte hinzu: "Warum fragt Ihr nach meinem Geld?" "Der Zeche wegen!" antwortete Pappermann, indem er ihm in das Gesicht lachte. "Ich heiáe n„mlich Maksch Pappermann und lasse mich von solchen Kerls, wie Ihr seid, nicht an der Nase fhren, Ihr werdet die Zeche zahlen, fr Euch und Eure Genossen!" "Fr mich, meinetwegen! Aber auch fr die anderen, f„llt mir gar nicht ein!" "Das wird Euch gar wohl einfallen! Her mit dem Beutel 1 Er riá ihn ihm aus der Hand, gab ihn mir schnell und sagte: "Habt Ihr die Gte, zu bezahlen, Sir! Ich halte den Halunken einstweilen fest." Wie gesagt, so getan. Der neue Wirt machte die Rechnung; ich bezahlte sie und gab dem Mann dann den Beutel mit dem brigen Geld zurck. Hierauf verschwand er, zwar fluchend und wetternd, aber doch so schnell wie m”glich. - - - [//131//] Drittes Kapitel. Am Ohr des Manitou. Nachdem der Pferdedieb sich entfernt hatte, gab ich den H„uptlingsschmuck und die Revolver in den Koffer zurck. Dann konnten wir endlich, endlich essen. Der "junge Adler" hatte wieder Lebensfarbe bekommen. Es war ihm sichtlich h”chst unangenehm, daá wir Zeugen seiner Schw„che gewesen waren. Es lag ihm daran, von uns geachtet zu werden. Darum teilte er uns mit, daá ihm vor nun fast vier Tagen unten am Carriso-Creek sein Pferd gestohlen worden sei, und zwar mit dem ganzen Inhalt der Satteltaschen. Unterwegs gab es zu seiner Nahrung nur einige eábare Wurzeln oder Beeren, weiter nichts. Er hatte sein schweres Paket nun selbst zu tragen, und so war es kein Wunder, daá er in so groáer šbermdung hier eingetroffen war. Er erfuhr, daá sein Lederanzug unangetastet bereit fr ihn liege. jetzt nun aá er mit uns, langsam und in der Weise eines Mannes, der sich in gebildeten Kreisen bewegt. Das Herzle sieht es auáerordentlich gern, daá es ihren G„sten schmeckt. Ihr Gesicht strahlte jetzt vor Vergngen. //132// Ich hatte so meine eigenen Gedanken ber ihn, sagte aber nichts. Auch Pappermann h„tte wohl gar zu gern etwas N„heres ber ihn erfahren; aber der Indianer machte trotz seiner Jugend einen derartigen Eindruck auf ihn, daá er es nicht wagte, ihn mit Fragen zu bel„stigen. Aber meine Frau, meine Frau! Der ist jede Unklarheit zuwider! Die muá in allen Dingen genau wissen, woran sie ist. Von indianischer Geduld und Zurckhaltung ist sie „uáerst wenig entzckt. Sie beobachtete den "jungen Adler". Ich sah es ihr an, daá er ihr auáerordentlich gefiel. Und wehe dem, der ihr gef„llt! Sie klopft ihm an das Herz, und was da drin ist, muá heraus, er mag wollen oder nicht. Nicht etwa, daá sie neugierig oder gar zudringlich ist; nicht im geringsten. Aber wenn sie jemand in Verlegenheit sieht und ihm helfen will, so hat sie eine ganz eigene Art, zu erfahren, in welcher Art und Weise das am besten zu geschehen vermag. So auch hier! Wir waren der alten Henne, die man uns auch mit vorgesetzt hatte, noch nicht bis auf das Gerippe gekommen, so hatte der "Junge Adler" ihr schon gesagt, und zwar scheinbar ganz von selbst, daá ihm seine Waffen mit gestohlen worden seien, daá er kein Geld mehr habe und daá er nach dem Sden wolle; wohin, das gab er aber doch nicht an. Hierauf warf sie mir einen Blick zu, den ich verstand. Ich sollte ihn einladen, mit uns zu reiten. Und das war ja gerad der Grund gewesen, weshalb ich drei Pferde und nicht nur zwei hatte haben wollen. Ich legte ihm die betreffende Frage vor. Da ging ein frohes Leuchten ber sein Gesicht. Er sprang auf, setzte sich aber sogleich wieder nieder, denn ein Indianer soll weder Freude noch Schmerz so offen zeigen. An diesem Aufleuchten seines Gesichtes sah ich, daá er, obwohl er mich nie gesehen hatte, doch vermutete, wer ich war. //133// "Ich bin Apatsche", antwortete er. "Ich wollte zun„chst nach dem Nugget-tsil." W„hrend er dies sagte, sah er mich nicht an, sondern er schaute vor sich nieder; aber ich fhlte f”rmlich, wie gespannt er darauf lauschte, was ich hierauf antworten werde. "Wir auch", erwiderte ich so ganz unbefangen, als ob ich gar nicht daran denke, ihn zu beobachten und zu durchschauen. Und mich an Pappermann wendend, fragte ich ihn: "Kennt Ihr vielleicht die Devils pulpit , die hier in der N„he liegen soll?" "Ja", antwortete er. "Und der Junge Adler kennt sie auch, denn er sagte mir damals vor vier Jahren, daá er von da oben heruntergekommen sei. Wollt Ihr hin?" "Ja." "Soll ich Euch fhren?" "Wenn Ihr wollt?" "Welche Frage! Ob ich will! Ich habe nur eine Bedingung, eine, einzige." "Welche?" "Ich getraue mich kaum, sie Euch zu sagen." "Nur heraus damit! Alte Kameraden drfen aufrichtig miteinander sein!" "Auch wenn sie Pappermann heiáen? Maksch Pappermann? Verteufelt unglckseliger Name! Sprecht ihn doch einmal englisch aus! Da klingt er noch viel schlimmer! Alle Welt lacht ber ihn!" "Heiát, wie Ihr wollt, doch redet von der Leber weg!" " Well! So sei es gewagt! Also, ich fhre Euch nach der Devils pulpit, wenn Ihr mir erlaubt, dann noch weiter mit Euch zu reiten!" Da fiel das Herzle schnell ein: "Er erlaubt es - er erlaubt es!" //134// "Oho, oho!" warf ich in strengem, widerstrebendem Ton ein. "Oho, oho!" lachte sie. "Laát Euch ja nicht abschrecken, Mr. Pappermann! Er hat Euch gern, sehr gern, und ich auch. Und er hat drei Pferde und drei Maultiere, also mehr, als wir brauchen. Und vor allen Dingen, wenn er Euch nicht mitnehmen will, so muá er allein reiten, denn ich bleibe hier sitzen und weiche und wanke nicht vonEurer Seite!" Da wurden die Augen des alten, guten Menschen feucht. Er reichte ihr seine Hand hinber und sagte: "Gott segne Euch, Mrs. Burton! Wie dankbar bin ich Euch! Er muá mich nun schon deshalb mitnehmen, weil ich mich verpflichtet fhle, fr Euch durch jedes Wasser und jedes Feuer zu gehen!" "Aber Euer Hotel hier - Euer Hotel?" fragte ich. "Geht mich nichts mehr an! Habe weder etwas darunterliegen, noch etwas daraufstehen. Bin berhaupt abgebrannt, vollst„ndig abgebrannt. Bin „rmer als eine Kirchenmaus. Und nun so alt, so alt! ja, wenn ich anders hieáe! Nicht Pappermann! Das ist ja der Grund, der einzige Grund, daá ich stets nur durch Pech und Elend waten muáte! Nehmt mich mit, bitte ich, nehmt mich mit! Noch bin ich nicht ganz unbrauchbar geworden, und meine letzte Kraft und mein letztes biáchen Leben soll Euch geh”ren, Mr. Shatterhand - - -" Er hatte sich von seinem Herzenswunsch fortreiáen lassen; er war zu weit gegangen; er hielt erschrocken inne. Da ging ein liebes, sonniges und dabei doch gerhrtes L„cheln ber das Gesicht des jungen Indianers, und er sagte: "Nicht erschrecken, nicht erschrecken! Es ist kein Verrat. Ich wuáte es. Und ich h„tte es nicht verschwiegen, //135// daá der Bruder unseres groáen Winnetou und der beste Freund meines Volkes von mir erkannt worden ist. Ich war verpflichtet, ihm dies zu sagen." Da schlug das Herzle die Hunde hoch zusammen und rief aus. "So wird es ja, wie ich wnsche! Sie drfen beide mit, beide?" "Ja", antwortete ich. ",Der junge Adler' wird den dritten Schwarzschimmel reiten. Unser Pappermann bekommt die drei Maultiere mit dem Zelt. Er wird unser Majordomo. Er fhrt die Aufsicht ber die Hauswirtschaft und natrlich auch ber die Frau!" Wie glcklich der alte Westmann war! Er erging sich in allen m”glichen Ausdrcken der Dankbarkeit. Der Indianer aber war still, ganz still, um so tiefer aber grub sich das Glck in sein Inneres ein. Nach dem Essen sorgten wir zun„chst dafr, daá das Zelt wieder abgebrochen, zusammengeschnallt und mit allen dazugeh”renden Utensilien von dem freien Platz herein in das Haus geschafft wurde; da war es mir sicherer als drauáen. W„hrend dies geschah, zeigte Pappermann hinaus nach dem erw„hnten Platz und sagte: "Schaut da hinaus! Was kommt dort gelaufen?" "Das Maultier, das vierte Maultier!" antwortete meine Frau. "Ja! Es ist den Spitzbuben entkommen! Es ist obstinat geworden! Es hat sich losgerissen! Es wollte zu seinen Kameraden zurck! Ich hole es herein, sogleich - sogleich!" Hierdurch gewannen wir eine Kraft zum Tragen des Gep„cks mehr, und die Zahl der Tiere, welche man Old Surehand gestohlen hatte, war nun wieder voll. Sp„ter ging ich noch einmal in die Stadt, um fr //136// den "jungen Adler" ein Gewehr und einen Revolver zu kaufen; sein Messer hatte er noch. Dann diktierte ich dem guten Pappermann einen Brief, den ich nicht gern selbst schreiben wollte. Er war an Hariman F. Enters gerichtet und lautete: "Habe Wort gehalten und mich hier eingestellt. Lernte hier Eure Freunde Corner und Howe kennen. Bin darum weit eher fort, als ich eigentlich wollte. Trotzdem bleibt, was ich versprach. Wenn Ihr ehrlich seid, werde ich wieder zu Euch stoáen und Euch nach den beiden Orten fhren, die ihr sehen wollt. Aber nur eben dann, wenn Ihr ehrlich seid! Burton." Es war keine Kleinigkeit fr Pappermann, diesen Brief zu schreiben. Er schwitzte dabei wie ein Holzhacker. Gegen drei Stunden dauerte es, ehe er fertig war, denn er muáte wegen Fehlern, Fettflecken und Klecksen, die er machte, so oft wieder neu anfangen, daá er schlieálich wtend ausrief: "Ist das eine Plage! Und ist das eine Qual! Einmal und nie wieder! Lieber sterben und verderben, als weiáes Papier mit Tinte so schwarz machen mssen, daá man es dann lesen kann! Ich bin wahrhaftig zu allem bereit fr Euch und fr Eure Frau, fr solche Marter aber nicht; nehmt es mir nicht bel!" Daá ich mich unter den jetzt gegebenen Umst„nden nicht nach Trinidad setzte, um die Ankunft der Brder Enters abzuwarten, verstand sich ganz von selbst. Wir hatten Besseres und Wichtigeres zu tun. Wie mein Name verschwiegen worden war, so sagten wir auch keinem Menschen, wohin wir von hier aus gingen. Auch der Wirt erfuhr es nicht. //137// Am Abend kehrten die Verfolger der Pferdediebe heim; sie hatten keinen einzigen von ihnen erwischt. Und der, welchen wir freigelassen hatten, schien doch nicht gleich wieder zum Dieb geworden zu sein, denn wir h”rten davon, daá irgend jemandem ein Pferd weggekommen sei, nichts. Schon am n„chsten Morgen verlieáen wir die Stadt, um in westlicher Richtung zun„chst hinauf nach dem sogenannten Parkplateau zu kommen. Nicht einmal einen ganzen Tag waren wir in Trinidad gewesen. Und doch, so kurz dieser Aufenthalt, so bedeutend waren seine Folgen fr uns. Das Wenigste davon war, daá wir nun zu Vieren anstatt zu Zweien ritten und daá wir nun infolge des Zeltes und seiner Ausstattung imstande waren, uns die Reise bequemer zu machen, als dies uns vorher als m”glich erschienen war. Die Verteilung der Tiere war so, wie ich schon angegeben habe. Meine Frau, ich und der "junge Adler" hatten die Rappschimmell w„hrend Pappermann das beste der Maultiere ritt und die drei anderen zum Tragen des Zeltes und des Lederpaketes des Indianers verwendete. Was fr Dinge oder was fr einen Gegenstand dieses Paket enthielt, das wuáten wir nicht. Wir fragten auch nicht danach. Dem Gewicht nach schien es Eisen zu sein, aber kein gew”hnliches, sondern sehr wertvolles Eisen. Das schlossen wir aus der Sorgfalt, welche der Eigentmer w„hrend des Auf - und Abladens auf das Paket verwendete. Es ist mir fr das, was ich zu erz„hlen habe, leider nur der Raum eines einzigen Bandes gestattet, w„hrend ich mit diesen Ereignissen doch recht gut vier oder auch fnf B„nde fllen k”nnte, ohne meine Leser zu ermden. Darum muá ich so kurz wie m”glich sein und so manches auslassen, was ich nur sehr ungern bergehe. Dahin geh”rt vor allen Dingen die ausfhrliche Beschreibung //138// des Weges, den wir nahmen. Ich muá mich darauf beschr„nken, zu sagen, daá es hinauf nach dem Ratongebirge ging, hinter dem das herrliche Tal des Purgatorio sich niedersenkt, um es von den gigantischen Massen des "spanischen Pik" zu trennen. Es war ein groáes, ein herrliches Gebirgspanorama, dem wir entgegenritten. Wir kamen ihm von Stunde zu Stunde n„her, bis wir es erreicht hatten und uns dann immerfort inmitten von landschaftlichen Sch”nheiten befanden, die kein Ende nehmen wollten, sondern sich im Gegenteil stetig vermehrten und vergr”áerten. Meine Frau, die jetzt zum ersten Mal mit da drben war und stets gel„chelt hatte, wenn ich der Meinung gewesen war, daá die Sch”nheiten des Harzes, des Schwarzwaldes, ja sogar der Schweiz sich unm”glich mit den landschaftlichen Wundern der Vereinigten Staaten vergleichen k”nnten, sah sich jetzt gezwungen, diese Zweifel fallenzulassen. Sie wurde still, ganz still. Und wenn sie das wird, so st”re ich sie nicht, denn ich weiá, daá diese Wortlosigkeit bei ihr die Stille der Anbetung ist. Es war um die Mittagszeit des dritten Tages, als wir an einem klar flieáenden Wasser haltgemacht hatten. Da sprach ich mit ihr ber die Unterschiede der landschaftlichen Sch”nheiten der Ebene und der Berge. Der "junge Adler" h”rte nach seiner Gewohnheit bescheiden schweigsam zu. Pappermann gab zuweilen ein treffendes Wort dazu, denn er hatte sehr viel geh”rt und sehr viel nachgedacht und war trotz der Niedrigkeit seines Lebensweges keineswegs unbegabt. Jetzt sagte er: "Diesen Unterschied werdet Ihr morgen in einem sehr sprechenden Beispiel vor Augen haben. Da kommen wir an einen ,See der Ebene', der aber zwischen himmelhohen Bergen liegt." //139// "Kenne ich ihn?" fragte ich. "Weiá nicht", antwortete er. "Es ist der Kanubisee." "Von dem habe ich geh”rt. Sein Ebenbild oder vielmehr sein Urbild liegt im Staate Massachusetts. Ich bin von Lawrence aus dort gewesen. Dieser letztgenannte Kanubisee spielt in der Vergangenheit einiger Indianerst„mme, besonders der Seneca, eine sehr wichtige Rolle. Seine im Sonnenschein funkelnden Wasser, seine weit und sch”n ausgebuchteten, mit sattem Grn geschmckten Inseln und Ufer waren so recht geeignet, der friedlichen Entwickelung des Stammeslebens als Unterlage zu dienen. Ich konnte mich von dem Anblick dieses Sees kaum trennen. Ich weiá, daá man einem hier oben liegenden Bergsee denselben Namen gegeben hat, und bin neugierig, zu sehen, ob er ihn verdient." "Wahrscheinlich verdient er ihn", sagte Pappermann. Er holte dabei tief, tief Atem. "Wart Ihr mehrmals da?" fragte ich. "Wie oft! - Wie oft!" Wieder tat er einen tiefen Atemzug. War dieser See vielleicht eine St„tte trber Erinnerungen fr ihn? Ich schwieg, um ihm nicht weh zu tun. Er sah lange, lange vor sich hin, dann begann er selbst damit: "An diesem See habe ich jenen niedertr„chtigen Schuá in das Gesicht bekommen, der mich fr das ganze Leben entstellte und verbitterte. " "Von wem?" fragte ich. "Von einem gewissen Tom Muddy. Habt Ihr vielleicht jemals von diesem Schurken geh”rt?" "Nein." "Er hieá wohl eigentlich nicht so, sondern anders. Seinen eigentlichen Namen habe ich nicht erfahren." //140// "Seid Ihr ihm wieder begegnet?" "Niemals, niemals, leider, leider! - Obgleich ich ein ganzes Menschenleben lang nach ihm gesucht habe, wie der Bettler nach dem ersparten Dollar, den er verloren hat und nicht wiederfinden kann. Ich spreche nicht gern davon; aber wenn es mich berkommt, wie stets, sobald ich den See erblicken so erz„hle ich es Euch vielleicht heute abend. Fr jetzt will ich Euch nur sagen, daá das mit den Seneca richtig ist." "Was?" "Daá sie da unten in Massachusetts am Kanubisee wohnten. Wiát Ihr ihren eigentlichen Namen? Wie sie eigentlich heiáen?" "Ja. Senontowana." "Das stimmt. Der Name Seneca ist ihnen von den Weiáen gegeben und aufgezwungen worden. Einer ihrer gr”áten H„uptlinge hieá Sa-go-ye-wat-ha. Er liegt in Buffalo begraben. Man hat ihm da ein groáes Denkmal gesetzt - - -" "Obgleich er vor seinem Tod gebeten hat, ihn nur unter seinen roten Brdern zu begraben, nicht etwa bei Bleichgesichtern!" fiel meine Frau da ein. "So kennt Ihr ihn? Habt von ihm geh”rt?" fragte er sie. "Wir waren an seinem Grab", antwortete sie. "Gott segne Euch dafr! Ich meine n„mlich, wenn Ihr ein Grab besucht, so tut Ihr das nicht aus Neugierde, sondern weil Euch das Herz dazu treibt. Und ich habe eine ganz besondere Vorliebe grad fr die Nation der Seneca." "Aus welchem Grund?" "Weil - - weil - - weil - - - hm! Ich werde es Euch heute abend erz„hlen, nicht aber jetzt. //141// Herunter muá es nun doch einmal, weil diese alte Saite begonnen hat, zu klingen und zu zittern und gewiá nicht eher wieder aufh”rt, als bis wir den See im Rcken haben. Fr jetzt aber erlaubt, daá ich schweige!" Der Nachmittag fhrte uns inmerw„hrend bergan, bis wir eine H”he erreichten, von welcher aus wir ber eine weite, unter uns liegende, sich nach Westen dehnende Hochebene blickten. Die Sonne war im Sinken. In ihrem Strahl leuchtete aus der Mitte der Ebene ein groáer funkelnder Diamant herauf zu uns, der rundum von einem weiten Kranz grner Smaragde eingefaát schien, deren Konturen flimmerten und glhten. "Das ist der Kanubisee", sagte Pappermann. "So nahe er uns zu liegen scheint, so weit ist er entfernt. Drei Stunden sind es von hier aus, bis man ihn erreicht. Darum lagern wir hier. Und zwar, wenn es Euch recht ist, an demselben Ort, an dem ich schlief, als ich zum ersten Mal in diese Gegend kam." Er fhrte uns nach einer auf drei Seiten ganz und auf der vierten auch noch halb eingeschlossenen Stelle, welche sehr guten Schutz gegen den hier oben sehr khlen Nachtwind bot. Ein Wasser war in der N„he. Futter fr die Pferde gab es auch. So konnten wir uns also keinen besseren Lagerplatz wnschen. Das Zelt wurde schnell errichtet und ein Feuer angebrannt. Das Zelt war immer nur fr meine Frau. Wir M„nner zogen es vor, im Freien zu schlafen. Es war jetzt die wundersame Zeit des Indianersommers, in der man es selbst auf solcher H”he des Nachts auáerhalb des Zeltes aushalten kann. W„hrend des Essens wurde es Abend. Der Mond ging auf. Er stand im ersten Viertel. Die Luft war ohne Nebel, vollst„ndig rein und klar. Wir konnten //142// weit sehen, fast so weit wie am Tage, nur daá die Konturen jetzt unbestimmter waren und ineinander flossen. Der leuchtende Diamant war jetzt zur weiásilbernen Perle geworden. Pappermann begann, ohne von uns aufgefordert worden zu sein, zu erz„hlen. "Genauso wie heut", sagte er, "lag der See damals vor meinen Augen. Es zog mich zu ihm hinab. Ich wachte sehr zeitig auf und setzte mich auf das Pferd, um fortzureiten, ohne eigentlich ausgeschlafen zu haben. Es war in der Morgenfrhe khl. Darum ritt ich ziemlich rasch und erreichte grad mit Sonnenaufgang den See. Ich sah im Gras Spuren von Menschen, von Indianern. Ich nahm mich also in acht, versteckte mein Pferd und ging den Spuren vorsichtig nach. Sie fhrten durch die Bsche an das Wasser. Dort angekommen, sah ich Htten stehen, oder vielmehr H„user. Nicht halbwilde Wigwams oder Zelte, sondern wirkliche H„user, aus Balken, Bohlen, Planken und Schindeln hergestellt, genauso wie die Geb„ude, aus denen frher, ehe die Weiáen kamen, die St„dte und D”rfer der Indianer bestanden. Mehrere Boote lagen am Ufer. Fischernetze waren zum Trocknen aufgeh„ngt. Auáerordentliche Sauberkeit berall. Nirgends ein Schmutz, eine Waffe, ein blutiger Rest eines Wildes, ein Zeichen von Jagd und Tod. Tiefes Schweigen ringsumher. Nichts regte sich. Die Tren waren geschlossen. Man schlief noch, und zwar ganz ohne Sorge, denn einen W„chter sah ich nicht. Es schien heute ein Ruhetag zu sein. Ich schlich mich n„her, bog um eine Ecke des Gebsches und sah - sah - - sah das sch”nste M„dchen, ja bei Gott, das sch”nste, das allersch”nste M„dchen, welches meine alten Augen, so lang ich lebe, jemals erblickten! ich bitte, es mir zu glauben! Sie saá auf //143// einem hohen Steinblock des Ufers und schaute nach Osten, wo die Sonne soeben erschien. Sie war in weiche, weiágegerbte Tierhaut, mit roten Fransen verziert, gekleidet, und ihr langes, dunkles Haar hing, mit Blumen und Kolibris geschmeckt, weit ber den Rcken herunter. Als die Kolibris im ersten Strahl der Sonne zu funkeln begannen, erhob sie sich von ihrem Sitz, breitete die Arme aus und sagte im Ton der Andacht und Bewunderung: "O Manitou, o Manitou!" Weiter sagte sie nichts. Dann faltete sie die Hunde. Aber ich sage Euch, daá ich niemals in meinem Leben ein besser gemeintes und aufrichtigeres Gebet geh”rt habe, als diese einzigen zwei W”rter. So stand sie lange, lange, in die Sonne schauend. Ich blieb nicht stehen. Sie zog mich an wie ein Magnet, dem man nicht widerstreben kann. Ich schritt auf sie zu, aber langsam, z”gernd, leise, in beinahe heiliger Scheu. Da sah sie mich. Sie erschrak nicht etwa. Sie bewegte keinen Fuá, keinen Finger, kein einziges Glied. Sie sah mich nur an. Aber mit so groáen, offenen, erwartungsvollen Augen! In diesen Augen lag dieselbe Sonne, die dort im Osten aufgegangen war. Vor soviel Seltenheit und Sch”nheit wurde ich zum Dummkopf, zum T”lpel. Ich vergaá, zu gráen. Heute kann ich mir wohl denken, wie klug und wie geistreich ich damals ausgesehen habe! Ich wuáte und bemerkte nur das Eine, n„mlich daá sie erwartete, von mir angesprochen zu werden. Das tat ich denn auch. Aber anstatt h”flich zu sein und zu gráen, beging ich die gr”áte Unh”flichkeit, indem ich sie fragte: "Wie heiát du?" Sie antwortete: "Ich heiáe Aschta!" Das kam mir zun„chst wie ein Kosename vor; sp„ter aber erfuhr ich, daá Aschta ein wirkliches Indianerwort ist und soviel wie "Gte" bedeutet. Also, sie hieá "die Gte", //144// und das war sie auch. Ich habe sie niemals anders als still, fromm, wohlt„tig, rein und gtig gesehen. Kein Flecken war je an ihrem Gewand, und kein unlauteres Wort ist je ber ihre Zunge gekommen. Ich kann Euch sehr wohl sagen, daá ich damals sehr oft am Kanubisee gewesen bin und mich monatelang in seiner N„he herumgetrieben habe. Ich bin stundenlang und tagelang an ihrer Seite gewesen, habe aber nicht ein einziges Mal Etwas von ihr gesehen und geh”rt, wovon ich sagen konnte, das war nicht sch”n, das war nicht gut von ihr. Darum war ich auch nicht etwa der einzige, dem sie so ausnehmend gefiel. Wer da kam, der wollte nicht wieder fort, allein nur ihretwegen. So auch Tom Muddy und - - - der Siou Ogallallah." Er machte hier eine Pause. Das benutzte meine Frau, ihn auf eine Unterlassungssnde aufmerksam zu machen: "Aber, Mr. Pappermann, Ihr habt doch noch gar nicht gesagt, wem die H„user am See geh”rten und wer ihr Vater war!" "Habe ich noch nicht? Hm! Ja, ganz richtig. Sie kommt bei mir immer voran, und dabei vergesse ich alles Andere. So war es schon damals auch. Ihr Vater war ein Medizinmann der Seneca. Nicht etwa einer jener Quacksalber und Possenreiáer, die sich heutzutage Medizinm„nner nennen lassen, sondern ein wirklicher und berhmter! Der hatte, von den Weiáen wegen seines groáen Einflusses auf die Roten verfolgt und bedr„ngt, mit noch einigen ihm gleich edelgesinnten Indianern seine Heimat verlassen, um sich vor ihnen nach dem "Wilden Westen" zu retten. Er kam in diese Gegend. Er sah diesen See. Er war entzckt ber seine Aehnlichkeit mit dem heimatlichen, sch”nen Wasserbecken. Er blieb da //145// mit seinen Begleitern. Sie bauten sich H„user, ganz in der alten Weise ihres Stammes, und nannten den See so, wie der in der Heimat geheiáen hatte, n„mlich Kanubisee. Diese neue Ansiedlung wurde sehr bald unter den weiáen und roten J„gern des Westens bekannt und viel besucht. Sie bildete eine Friedensst„tte fr sie, an der sich Rot und Weiá, Freund und Feind treffen durften, ohne den Ausbrchen des Hasses unterworfen zu sein. Denn es war zur Gewohnheit, ja, zum Gebot geworden, daá jede Feindschaft zu schweigen und nur Liebe und Friede zu walten habe." Er hielt fr einige Augenblicke inne, holte tief Atem und sagte: "Es war eine liebe, sch”ne Zeit! Die einzige Zeit meines Lebens, in der ich einmal wirklich Mensch gewesen bin, und zwar ein guter Mensch. Ich bitte Euch, mir das zu glauben!" Dann fuhr er in seiner Erz„hlung fort: "Zu den Weiáen, welche am Kanubisee verkehrten, geh”rte Tom Muddy, und zu den Roten ein junger Medizinmann der Sioux Ogallallah, der zu dem Vater von Aschta gekommen war, um sein Schler zu sein und die Geheimwissenschaften der roten Rasse bei ihm zu studieren. Wo er eigentlich wohnte, das wuáte niemand. Er verschwieg es, um in der tiefen Einsamkeit, die er fr seine Studien brauchte, nicht gest”rt oder nicht etwa gar von einem Feind bel„stigt zu werden. Aber ich vermutete, daá er sich unten an einem Nebenwasser des Purgatorio seine Htte errichtet habe, die er nur verlieá, um zu seinem Lehrer hinaufzusteigen und neue Anweisungen zu holen. Er war ein sch”ner, junger Mann, in allen Waffen gebt, und dennoch so friedlich gesinnt, als ob es auf der ganzen Erde berhaupt noch nie eine Waffe ge- //146// geben [gegeben] habe. Daá Aschta ihn allen anderen, die da kamen, vorzog, war gar kein Wunder. Ich aber wuáte hiervon nichts, sondern ich erfuhr es erst durch Tom Muddy. Der war weder ein sch”ner, noch ein h„álicher Kerl, aber zudringlich und roh. Niemand wollte etwas von ihm wissen. Er hatte ein Auge auf Aschta, oder sogar alle zwei; sie aber wich ihm auf Schritt und Tritt aus und vermied so viel wie m”glich alle Gelegenheit, mit ihm sprechen zu mssen. Das „rgerte ihn gewaltig. Denn er hatte es sich wirklich in den Kopf gesetzt, daá sie seine Frau werden solle. Ich glaube gar, er liebte sie nicht nur, sondern er haáte sie auch, eben weil sie ihm ihre Abneigung so offen und ehrlich zeigte. Das stritt und k„mpfte in seinem Innern. Am liebsten verkehrte er mit mir. Warum, das weiá ich eigentlich noch heute nicht. Wahrscheinlich, weil ich der wertloseste von allen war und es nicht ber das Herz brachte, mich von ihm derart zurckzuziehen, wie die andern es taten. Ich htete mich natrlich sehr, ihn merken zu lassen, daá auch in meinem Herzen eine herrliche, groáe und von allen Snden reine Liebe aufgegangen war und daá ich mein Leben tausendmal hingegeben h„tte, um der sch”nen Indianerin dies beweisen zu k”nnen. Zuweilen kam mir freilich der Gedanke, sie stehe mir zu hoch, aber in gewissen Stunden, in denen ich mich selbst betrachtete, faáte ich doch eine Art von Mut. Da sagte ich mir, daá ich doch kein so ganz bler Bursche sei und mich mit manchem, manchem anderen sehr wohl vergleichen und messen k”nne. Das waren die Augenblicke, in denen ich mir vornahm, offen und ehrlich mit ihr zu reden. Aber sobald ich dann in ihre N„he kam, sank mir das Herz wieder vor die Fáe, und es fiel mir kein Wort von alledem ein, was ich ihr hatte sagen wollen. //147// Da kam ich eines sch”nen Tages von einer l„ngeren Jagdstreife zurck und erfuhr von Tom Muddy, daá der Siou Ogallallah bei dem Vater von Aschta um sie geworben und die Erlaubnis erhalten habe, sie des Nachts zu rauben - - -" "Zu rauben?" wurde er von meiner Frau unterbrochen. "War das notwendig?" "Nicht nur notwendig, sondern auch schicklich. Ich habe mir sagen lassen, daá alle diese Gebr„uche einen tiefer liegenden Grund und ihre eigene Bedeutung haben. Vater und Mutter haben ihr Kind, ihre Tochter erzogen, unter tausend schlaflosen N„chten, unter noch mehr Sorgen und Opfern. Da kommt ein fremder Mensch und nimmt sie von ihnen weg. Er raubt den Eltern den gr”áten Teil des Herzens ihres Kindes, und dieses folgt ihm gern, ohne zu fragen, ob er es auch verdient. Diese inneren Vorg„nge sollen durch die indianischen Verlobungsgebr„uche „uáerlich dargestellt werden. Die Tochter ist bereit, sich rauben zu lassen; aber die Eltern geben sich alle Mhe, dies zu verhten. Sie wird eingesperrt, sehr wohl versteckt und scharf bewacht. Der Geliebte gibt sich ebenso groáe Mhe, die Eltern zu berlisten, und hilft das nicht, so greift er gar auch zur Gewalt. Es gibt da einen hochinteressanten Kampf zwischen dem gegenseitigem Scharfsinn, und der ganze Stamm befindet sich in Spannung, die einzelnen Phasen dieses Kampfes zu erfahren oder wohl gar daran teilzunehmen. Man hilft der einen oder der anderen Partei. Es kommt dabei zu Taten der Schlauheit und des pers”nlichen Mutes, durch welche der Werbende zeigt, was der Stamm dann sp„ter im ”ffentlichen Leben, in Krieg oder Frieden von ihm erwarten darf." "Als ich diese Neuigkeit von Tom Muddy erfuhr, //148// war es mir, als ob ich von ihm einen schweren Faustschlag gegen die Stirn bekommen h„tte. Das Gehirn begann mir zu brummen. Ich fhlte mich zun„chst ganz dumm im Kopf. Tom Muddy aber war wtend. Er schwor das Blaue vom Himmel herunter, daá der Siou das M„dchen nicht entfhren werde; es sei dafr gesorgt, daá ihm das nicht gelingen k”nne. Als ich ihn fragte, wodurch er das zu verhindern gedenke, verlangte er von mir einen Schwur, seinen Plan nicht zu verraten; dann solle ich ihn erfahren. Ich leistete den Schwur, doch natrlich nur, um die Ausfhrung dieses Planes zu verhten. Da zeigte er mir seine Pistole. Sie war bis oben herauf mit Pulver geladen. Dieses Pulver sollte dem Siou in die Augen geschossen werden, um sein Gesicht zu entstellen und ihn zu blenden, fr immer blind zu machen. "Dann f„llt es ihr gewiá nicht ein, seine Squaw zu werden!" fgte er hinzu, bevor er sich entfernte. Aber noch ehe er ging, erinnerte er mich an meinen Schwur. Sollte ich ihn etwa verraten, so werde er nicht nur den Siou blenden, sondern auch mich." "Der ist ja gar kein Mensch gewesen, sondern ein Teufel!" rief das Herzle aus. "Wenn kein Teufel, so aber doch ein Schurke, dem nichts und nichts zu schlecht war, wenn es nur zum Ziel fhrte", antwortete Pappermann. "Ich hielt es natrlich fr meine Pflicht, die Missetat zu verhten. Freilich, verraten durfte ich nichts. Doch h„tten einige andeutende Worte gewiá gengt, den Siou die Gefahr, in der er sich befand, wenigstens ahnen zu lassen. Aber er war ja weder zu sehen noch zu sprechen. Von dem Augenblick an, an dem er die Erlaubnis erhalten hatte, Aschta zu rauben, hatte er sich in die tiefste Heimlichkeit zu hllen und sich so vorsichtig anzuschleichen, als ob es sein Leben //149// gelte. Da verstand es sich ganz von selbst, daá er nicht am Tage kommen konnte und daá ich mir die N„chte hindurch alle Mhe gab, ihn irgendwo zu erwischen. Das war gar nicht ungef„hrlich fr mich, denn ich wuáte, daá Torn Muddy genau dieselben Anstrengungen machte, an ihn heranzukommen. Ich hatte also die Doppelaufgabe, den einen zu vermeiden, den andern aber zu entdecken, und ich sage Euch, daá es gar nicht so leicht war, die n”tige Vorsicht zu entwickeln. Es geh”rte šbung dazu. So ging es ber eine Woche lang, ohne daá meine Anstrengungen das geringste Ergebnis hatten. Dann kam eine mond- und sternenlose, feuchte Nacht, in der es zwar nicht regnete, aber es n„sselte in einem fort. Trotzdem blieb ich nicht auf meinem warmen Lager, sondern kroch drauáen herum, denn es war, als ob mir Jemand sage, daá grad in dieser h”chst ungemtlichen Nacht etwas geschehen werde, was ich nicht vers„umen drfe. Ich kroch leise, leise an der Hinterseite des Hauses bis zur Ecke hin. Dort wollte ich liegen bleiben, um nach beiden Seiten hin lauschen zu k”nnen. Ich schob mich also, als ich die Ecke erreicht hatte, ein wenig vor und - - - Herrgott! Da lag schon Einer! Drben auf der anderen Seite! Wir stieáen fast zusammen. Er sah mich ebenso wie ich ihn, trotz der Dunkelheit und trotz der dicken, feuchten Luft. Aber wie ich ihn nicht erkannte, so konnte er auch mich nicht erkennen. Wer war es? Der Siou oder Tom Muddy? Schon ”ffnete ich den Mund, um ein leises, leises Wort zu sagen; da erhob der da drben den Arm. Er hatte Etwas in der Hand. Ich konnte nur schnell das Gesicht zur Seite wenden, da krachte auch schon der Schuá. Ich bekam die ganze Ladung. Es ging kein K”rnchen verloren. Doch glcklicherweise nicht in die Augen, sondern //150// in die durch meine schnelle Bewegung dem Schurken zugewendete linke Seite des Gesichts. Ich hatte ihm zurufen wollen: "Schieá nicht, schieá nicht!" war aber nicht dazu gekommen und gab auch jetzt keinen Laut von mir, weil ich die Besinnung verloren hatte. Es war zwar nur ein armseliger, lumpiger Pistolenschuá und zwar ohne Blei oder Kugel, aber doch so ganz und gar nahe abgeschossen, daá ich aus meiner kauernden Lage niederfiel wie ein Sack, den man umgestoáen hat, und leblos liegenblieb, bis man mich fand und in das Innere des Hauses trug, um mich in das Leben zurckzubringen." "Man hatte n„mlich den Schuá geh”rt und war herausgeeilt, um seiner Ursache nachzuforschen. Der Medizinmann kam; seine Frau kam; Aschta, seine Tochter, kam, und andere kamen auch. W„hrend sie alle um mich besch„ftigt waren, kam noch ein anderer, n„mlich der Siou Ogallallah. Er kam geschlichen wie ein unh”rbarer Windeshauch und war klug genug, die Situation sofort fr sich auszunutzen. Als man mich in das Haus gebracht und dort niedergelegt hatte, erscholl drauáen der laute Siegesruf der Ogallallah. Man horchte auf. Man vermiáte die Tochter. Man wuáte, woran man war: die Entfhrung war gelungen. Der Siou brauchte sich nur mit Aschta zu entfernen, so war sie sein. Aber das tat er nicht; er hatte es nicht n”tig. Er hatte sie geholt, und sie war ihm gefolgt, aus der Aufsicht der Eltern hinaus. Das gengte! Er brachte sie wieder herein und wurde von den Eltern als Sohn empfangen. So war durch den Schuá Tom Muddys also grad das begnstigt und herbeigefhrt worden, was er hatte verhten sollen. Ich aber lag lange Zeit im Delirium und habe vor Schmerzen gepfiffen wie ein Hund, den irgend //151// ein Vivi lebendig zu Tode schindet. Dann habe ich mich, sobald ich wieder auf den Beinen war, aus dem Staub gemacht, ohne Etwas zu verraten. Kein Mensch, als nur ich und Tom Muddy, kannte den T„ter und den eigentlichen Grund des Schusses. Und dieser Schuft ist seit jener Nacht verschwunden, spurlos verschwunden, so heiá auch mein Verlangen gewesen ist, ihm wieder zu begegnen. Als ich dann nach einigen Jahren zum ersten Mal wieder nach dem Kanubisee kam, fand ich die H„user leer; sie waren verlassen. Die Seneca waren von einer Bande weiáer Buschklepper berfallen und get”tet worden bis auf den letzten Mann. Von ihnen allen lebte nur noch Aschta, weil sie den See verlassen hatte, um dem Siou Ogallallah zu seinem Stamme zu folgen." "Habt Ihr sie wiedergesehen?" fragte meine Frau. "Nein, nie! Ich habe die Ogallallah stets als Feinde der Weiáen betrachtet und mich gehtet, viel mit ihnen in Berhrung zu kommen. Erkundigt habe ich mich freilich einige Male. Da erfuhr ich, daá die sch”ne Senecasquaw des Medizinmannes sehr glcklich sei. Er habe droben am Niobrara fr sich und seine Schler eine eigene Reservation gegrndet und lebe dort nur fr alte Totems und Wampums, die er sammle und fr die Bcher, die er sich von den Bleichgesichtern schicken lasse. Er sei sogar unter den Weiáen ein sehr geehrter und sehr berhmter Mann." Bei diesen letzten Worten Pappermanns fragte ich ihn schnell: "Ihr kennt natrlich den Namen dieses Indianers?" "Ja", nickte er. "Heiát er Wakon?" "Ja, nur Wakon." //152// "Es steht kein anderes Wort, kein anderer Name dabei?" "Nur Wakon!" wiederholte er. "So kenne ich ihn, obgleich ich ihn noch nie gesehen habe. Er hat sein ganzes Leben und seine ganze Kraft dem Studium der Geschichte der roten Rasse gewidmet und Werke ber sie geschrieben, die leider noch nicht erschienen sind, weil er sie erst dann ver”ffentlichen will, wenn auch der letzte Band vollst„ndig vollendet ist. Man ist auf dieses sein Lebenswerk mit Recht ungew”hnlich gespannt." "Wie alt ist er jetzt?" fragte das Herzle. "Das ist Nebensache", antwortete ich. "Wahrhaft groáe M„nner pflegen nicht eher zu sterben, als bis sie wenigstens innerlich das erreicht haben, was sie erreichen wollten oder sollten. Die sogenannten Helden des Krieges und der Schlachtfelder sind hiervon natrlich ausgenommen. Seid Ihr md?" Diese letztere Frage richtete ich an Pappermann, der sich in seine Decke zu wickeln begann, als wolle er sich niederlegen. "Md eigentlich nicht", antwortete er; "aber fast wie wieder von dem Schusse Tom Muddys getroffen. Das ist die Erinnerung! Ich habe sie sehr lieb gehabt, diese Indianerin, sehr! Ich habe niemals, niemals wieder ein Frauenzimmer daraufhin angesehen, ob ich sie zum Weibe haben m”chte. Ich bin ein einsamer Mensch geblieben und werde wohl, wenn meine Stunde kommt, auch ebenso einsam sterben - - -. Ich will versuchen, zu schlafen. Gute Nacht!" Wir erwiderten seinen Wunsch "gute Nacht", doch ging er nicht in Erfllung, weder bei ihm noch bei uns. Er w„lzte sich wohl zwei Stunden lang von einer Seite //153// auf die andere; dann wickelte er sich wieder aus seiner Decke, stand auf und ging fort, um sich durch eine Wanderung zu beruhigen. Er war um Mitternacht noch nicht wieder da; da schlief ich ein. Aber schon vielleicht nach zwei Stunden wachte ich wieder auf. Da saá er an seiner Stelle; er war zurckgekehrt, hatte sich aber nicht niedergelegt. So setzte ich mich also auch auf. Und kaum hatte ich das getan, so richtete sich der "junge Adler" in die H”he. Da erklang vom Zelt her die Stimme meiner Frau: "Auch ich schlafe nicht! - Darf ich einen Vorschlag machen?" "Welchen?" fragte ich. Sie ”ffnete die Leinwandspalte, an der sie gestanden hatte, noch weiter, trat ganz hervor und antwortete: "Wollen aufbrechen! Fort! Hinunter nach dem See! Wir schlafen doch nicht wieder ein! Das sind die Folgen so alter Geschichten!" Da sprang Pappermann auf und stimmte bei: " Well ! Aufbrechen! Fort! Dann kommen wir genau zum Sonnenaufgang an, wie damals ich! Seid Ihr es zufrieden?" Ich stimmte bei, und der "junge Adler" natrlich auch. Das Zeit wurde abgebrochen. Dann ritten wir den breiten, bequemen Terrainabfall nach der Hochebene des Sees hinunter. Der Morgen begann leise zu grauen. Wir hatten grad genug D„mmerlicht fr die Augen unserer Pferde, daá sie sahen, wohin sie traten. Dann wurde es heller und heller. War es wirklich nur die Folge der Erz„hlung Pappermanns, daá wir nicht hatten schlafen k”nnen? Oder gab es irgendeine Bestimmung, die uns veranlaát hatte, um so viel frher aufzubrechen, als erst in unserer Absicht gelegen hatte? Sonderbar! //154// Wir ritten still nebeneinander her. Wir erreichten die Ebene, auf der wir schneller vorw„rts kamen. Der Morgen nahte. Es wurde Tag. Und grad als die Sonne aufging, erreichten wir den „uáeren Rand des grnen Laub- und Bl„tterwaldes, der den See von allen Seiten ums„umte. Eine schmale, wiesenartige Lichtung fhrte in diesen Wald hinein. Sie wurde immer schmaler und bildete schlieálich einen Weg von nur fnf oder sechs Meter Breite. "Das ist derselbe Weg, den ich damals kam", sagte Pappermann. "Nur ist der Wald jetzt h”her und dichter geworden. Hier fand ich die Spuren. Und nur eine kurze Strecke weiter sehen wir das Wasser des Sees." Er ritt diese Strecke voran. Dann wendete er sich nach uns um, deutete aber vorw„rts und sagte: "Da sind die letzten Bsche. Und nun kommt der See und der hohe Stein, auf dem Aschta damals saá - - - mein Himmel!" Er war um die erw„hnten letzten Bsche gebogen, ritt aber nicht weiter, sondern blieb halten, stieá diesen Ausruf der šberraschung, des Erstaunens aus und starrte nach einem Punkt, der uns noch hinter dem Gestr„uch verborgen war. Wir ritten schnell hin. Da sahen wir nun freilich, daá er sehr wohl Veranlassung hatte, zu erstaunen. Ja, unser Erstaunen war ebenso groá wie das seinige. Wir hatten den See erreicht. Wir befanden uns an seinem ”stlichen Rand. Ja, er war es wert, mit dem gleichnamigen Kanubisee in Massachusetts verglichen zu werden. Doch hatten wir jetzt nicht Zeit, uns mit seiner Sch”nheit zu besch„ftigen. Rechts von uns lagen die šberreste der einstigen Senecah„user, von dem ersten Gruá der Sonne berflutet. Vor uns die vom leisen //155// Morgenhauche bewegte, durchsichtig grnblaue Wasserfl„che, deren reich eingebuchtete Ufer sich wie Kulissen aus- und ineinander schoben, von ppigem Grn bewachsen, dessen Bl„tter wie eingetaucht in flssiges Metall erschienen. Und links von uns, wo die Bsche bis ganz nahe an das Ufer traten, der hohe, weiáe, glattgewaschene Stein, und auf ihm stehend - - - eine junge Indianerin, genau, ganz genauso, wie Pappermann sie uns gestern am Abend beschrieben hatte: Sie war in weiche, weiágegerbte Tierhaut, mit roten Fransen verziert, gekleidet, und ihr langes, dunkles Haar hing, mit Blumen und Kolibris geschmckt, weit ber den Rcken herunter. Die Kolibris funkelten im Sonnenstrahl in allen Farben leuchtender Edelsteine; aber das M„dchen schaute nicht, wie damals, der Sonne entgegen, sondern ihr Angesicht war nach der Stelle gerichtet, an der wir ihr jetzt erschienen. Und dieses M„dchen war sch”n, sehr sch”n, sowohl von Angesicht, als auch von Gestalt. Sie bewegte kein Glied. Sie sagte kein Wort. Sie sah uns still und erwartungsvoll aus ihren groáen, dunklen Augen entgegen. Und, sonderbar! Pappermann glitt langsam von seinem Maultier herab, schritt ebenso langsam, ganz wie mechanisch auf sie zu, als ob ihn eine tiefe, heilige Scheu umfange, und fragte: "Wie heiáest du?" "Ich heiáe Aschta", antwortete sie, genau wie ihm damals geantwortet worden war. "Und wie alt bist du?" "Achtzehn Sommer." Da strich er sich mit der Hand ber das Gesicht und sagte, als ob er tr„ume: "Also nein! Das konnte ja gar nicht sein! Sie ist //156// eine Andere, wenn auch ihr „hnlich, so ganz auáerordentlich „hnlich!" "Sprichst du von meiner Mutter?" fragte nun sie. "Man sagt, daá ich ihr beraus „hnlich sehe." "Du hast eine Mutter?" "Ja." "Wie heiát sie?" "Aschta, wie ich." "Und dein Vater?" "Heiát Wakon. Wir wohnen weit im Norden von hier, am Niobrarafluá." Da schlug er die Hunde zusammen und rief: "Sie ist eine Tochter von ihr - eine Tochter!" Da bog sie ihren Oberk”rper weiter vor, als ob sie vom Steine herunterspringen wolle, und sagte: "Du kennst meinen Vater und meine Mutter? Und die H„lfte deines Gesichtes ist vom Pulver verbrannt! Heiáest du vielleicht Pappermann?" "Ja, so heiáe ich." "Du warst zu derselben Zeit hier am Kanubisee, als Vater und Mutter einander kennenlernten?" "Ja, zu derselben Zeit." Da stieg sie vom Stein herab und bat: "Reiche mir deine H„nde!" Er tat es. Sie ergriff sie, káte sie ihm einmal, zweimal, zog dann seinen Kopf zu sich heran, káte ihn einmal, zweimal auch auf die dunkle Wange und sprach: "Du bist der Retter meines Vaters! Hast dich fr ihn geopfert. Warum kamst du nie zu uns? Vater und Mutter haben niemals aufgeh”rt, sich nach dir zu erkundigen, doch ohne zu erfahren, wo du bist!" Der alte Westmann zitterte vor Aufregung und Rhrung. Er weinte. //157// "Woher weiá dein Vater, daá jener Schuá nicht mir, sondern ihm gegolten hat?" fragte er. "Ich habe es nie verraten!" "O doch! Aber ohne daá du es wolltest. Du hast es im Fieber erz„hlt. Vater hat jenen Menschen zweimal wiedergesehen, doch ohne ihn fassen zu k”nnen. Sein richtiger Name war nicht Tom Muddy, sondern Sander. Als gestern abend Euer Feuer wie ein ganz, ganz kleiner, flackernder Stern vom Berge leuchtete, sagte Mutter zu mir: ,So leuchtete damals das Lagerfeuer unseres weiáen Retters von genau da oben herab, am Abend, bevor ich ihn zum ersten Mal sah.'" "Deine Mutter ist hier?" erkundigte er sich schnell. "Sie war hier, ist es aber nicht mehr", antwortete sie. "Es waren viele Frauen und T”chter hier, die aber mit dem Morgengrauen fortgeritten sind. Ich blieb allein zurck - - - als Wache, als Kundschafterin." "Als Kundschafterin?" fragte er l„chelnd. "Wenn wir nun Feinde w„ren?" "So h„ttet ihr mich nicht zu sehen bekommen." "So hast du wissen wollen, wer wir sind?" "Weil wir Euer Feuer gesehen hatten, ja." "Und woraus erkanntest du, daá wir nicht gef„hrlich seien?" "Weil eine Squaw sich bei euch befand." "Ah! Ganz richtig, ganz richtig! Nun muát du wohl schnell von hier fort?" "Ja, um die Anderen einzuholen. Doch werde ich diesen Ort nicht mehr verlassen, ohne von dir erfahren zu haben, wann und wo wir dich sehen und treffen k”nnen." "Wohin reitet ihr?" "Das darf ich nicht sagen." //158// Da stieg der "junge Adler" vom Pferd, trat hinzu und sagte: "Du darfst! - Schau her! Ich bin dein Bruder." Er trug den neuen Lederanzug, den Pappermann ihm aufgehoben hatte; den alten hatte er weggeworfen. In diesem neuen Anzug nahm er sich sehr stattlich aus. Er deutete auf die rechte Seite der Brust, wo ein kleiner, zw”lfstrahliger Stern aus Perlen eingesteckt war. Ich sah an ihrem Gewand an der gleichen Stelle ganz den gleichen Stern. "Du bist ein Winnetou?" f ragte sie, ihn jetzt genauer betrachtend. "Ja." "Und ich bin eine Winnetah. Wir tragen also beide den Stern des groáen Winnetou und sind also Bruder und Schwester. Ich bin ein Siou Ogallallah. Und du?" "Ein Apatsche vom Stamm der Mescaleros." "Also von Winnetous Stamm. Ich bitte dich, mir deinen Namen zu sagen. Oder hast du noch keinen?" "Ich habe einen", l„chelte er. "Man nennt mich den ,jungen Adler'." Da machte sie eine Bewegung der šberraschung. "Man weiá, daá ein Lieblingsschler des berhmten Tatellah-Satah diesen Namen tr„gt. Er bekam ihn schon in frher Jugend, wo Andere noch lange Zeit ohne Namen sind. Kennst du ihn?" "Ja." "Er war der Allererste, dem Tatellah-Satah erlaubte, den Stern unseres Winnetou zu tragen. Weiát du, wo er sich jetzt befindet?" "Ja." "Darfst du es mir sagen?" "Niemand verbietet es mir. Er steht vor dir." //159// "Du, du bist es? Du selbst, du selbst?" fragte sie, indem ein Glanz aufrichtiger Freude ihre Wangen berflog. "Man sagte, du seiest verschwunden?" "Man sagte die Wahrheit", antwortete er. "Um den heiligen Ton der Friedenspfeife zu holen?" "Ja. Und noch Schwereres dazu." "Man erz„hlte, du habest dir selbst dabei eine schwere, sehr schwere Aufgabe gestellt?" "Auch das ist wahr." "Ist dir die L”sung gelungen?" "Sie gelang. Unser groáer, guter Manitou hat mich gefhrt und beschtzt. Seit ich den Mount Winnetou verlieá, sind ber vier Jahre vergangen. Nun kehre ich zurck. Du hast denselben Weg?" "Ja." "So will ich nicht fragen, wohin ihr heute reitet, denn ich weiá, daá ich dich wiedersehen werde." "Wnschest du das?" "Ja. Und du?" "Ich auch." "So bitte, gib mir deine Hand!" "Ich gebe dir beide!" Sie reichte sie ihm und schaute ihm mit groáen, offenen Augen in das m„nnlich sch”n gezeichnete, ernste Gesicht. Er aber sah ber den See hinber, wie in eine weite, weite Ferne hinein. Es gab eine kurze Zeit des Schweigens. Dann sagte er: "Die Enkelin des gr”áten Medizinmannes der Seneca, welche die Tochter Wakons ist, des Forschenden und Wissenden, und der Schler des unerreichbaren Tatellah-Satah, bei dem die zertretene Seele der roten Rasse ihre einzige und letzte Zuflucht fand: das bist du, und das bin ich. Manitou ist es, der uns hier zu- //160// sammenfhrte [zusammenfhrte]. Wir trennen uns nur zum Schein. Es soll ein Segen, ein groáer Segen ausgehen von dem Ort, an dem wir uns wiederfinden. Sei gesegnet, du liebe, liebe, du sch”ne Winnetah!" Er káte ihr beide Hunde und fragte dann: "Wann verl„át du diesen See?" "Sofort", antwortete sie. "Aber ehe ich gehe, muá ich dich fragen, wohin euer Ritt von hier aus zun„chst gerichtet ist." "Nach der Devil pulpit. Kennst du sie?" "Ja. Wie gut, daá ich dich fragte. Ich warne dich!" "Vor wem?" "Vor Kiktahan Schonka, dem alten Kriegsh„uptling der Sioux Ogallallah." "Vor deinem eigenen H„uptling?!" " Pshaw! " rief sie stolz aus. "Aschta kennt keinen H„uptling ber sich. Es geht ein tiefer, tiefer Riá durch die Dakotahst„mme. Die jungen Krieger sind fr Winnetou, die alten aber gegen ihn. Nimm dich in acht! Ich weiá, daá Kiktahan Schonka nach der Devils pulpit kommt, um sich dort mit den H„uptlingen der Utah zu treffen und zu beraten. Hte dich, ihnen in die Hunde zu fallen! Weiát du, daá man sagt, Old Shatterhand werde kommen?" "Ich weiá es." "Und glaubst du, daá dieses Gercht begrndet ist?" "Ich glaube es." "So werden wir ihn sehen, wenn es ihm gelingt, den Gefahren zu entgehen, die auf ihn lauern." "Kennst du sie, diese Gefahren?" "Nein. Ich weiá nur, daá man hofft, ihn, wenn er wirklich kommen sollte, zu ergreifen. Ihn am Marter- //161// pfahle [Marterpfahle] sterben zu lassen, war der glhende Wunsch aller Feinde seines Bruders Winnetou. Man sagt, er sei sehr alt und grau geworden. Im Alter kommt die Kraft dem K”rper und die Energie der Seele abhanden. Wie wrde man jubeln, wenn dem Hochbetagten jetzt nun gesch„he, was er in der Jugend so oft vereitelt hat! Wenn ich wáte, wann und wo er kommt, so stellte ich Sp„her aus, um ihn warnen zu lassen." "Sorge dich nicht um ihn, Aschta! Denn was deine Sp„her ihm sagen wrden, das wurde ihm bereits gesagt." "So ist er gewarnt?" "Ja." "Dem Manitou sei Dank! Nun kann ich gehen. Warte! Nur einen Augenblick!" Sie entfernte sich nach der Ruine des n„chsten Hauses, hinter welcher, wie wir dann sahen, ihr Pferd verborgen war. Sie stieg dort auf, kam herbeigeritten und blieb bei uns halten, um dem "jungen Adler" die Hand zu reichen. "Leb wohl!" sagte sie. "Wir sehen uns wieder!" Dann fragte sie Pappermann: "Weiát du auch, daá ich diesen Ort nicht eher verlassen werde, als bis ich weiá, wo wir dich treffen werden? Sag mir einen Ort, der dir beliebt. Wir kommen!" Pappermann wuáte nicht, was er antworten sollte, darum erwiderte er: "Ich reite mit dem ,jungen Adler'; wohin, das weiá ich jetzt noch nicht." "Du wirst bei ihm bleiben?" "Ja." "Wie lange?" //162// "Solange es ihm gef„llt." "So bin ich zufrieden! Ich weiá, daá ich dich ganz bestimmt wiedersehen werde." Hierauf wendete sie sich zu meiner Frau und mir. Sie reichte auch uns beiden die Hand und sprach: "Es wurde mir nicht gesagt, wer ihr seid; darum ist es verboten, zu fragen. Lebt wohl!" Dann ritt sie davon, an den Ruinen vorber, um nach den Bschen einzubiegen, hinter denen sie verschwand. Pappermann und der "junge Adler" schauten hinter ihr drein, bis sie fort war; dann ging der Erstere ihr langsam, wie ein Tr„umender nach. Der junge Indianer blieb noch eine Weile an derselben Stelle stehen; dann wendete er sich mit einem Rucke um, als ob es ihm Anstrengung verursache, sich von dem Eindruck ihrer Pers”nlichkeit loszureiáen. Wir beide aber stiegen nun auch von den Pferden, und ich machte mich darber, die Spuren derer, welche hier gewesen waren, zu untersuchen. Das Herzle ging indessen an die Zubereitung des Morgenkaffees. Frher hatten wir uns diesen Ritt natrlich ohne Kaffee und sonstige „hnliche Gensse gedacht; aber da wir in Trinidad so ganz unerwartet zu Maultieren und einem sehr guten Zelt gekommen waren, so hatten wir uns vor unserer Abreise von dort mit einigen jener angenehmen und ntzlichen Dinge versehen, welche dem sogenannten zivilisierten Menschen sogar im "Wilden Westen" beinahe unentbehrlich sind. Daá hierzu auch der Kaffee geh”rte, versteht sich ganz von selbst. Ich ersah aus den Spuren, daá ungef„hr vierzig Personen hier gewesen waren, unter ihnen nur zwei m„nnliche, in denen ich die Fhrer vermutete. So etwas h„tte frher nie stattfinden k”nnen; sie w„ren alle ver- //163// loren [verloren] gewesen. Allerdings waren sie lauter Indianerinnen und also, wenn auch nicht pers”nlich, so doch durch die Tradition mit den Eigenheiten und den Anforderungen der Wildnis vertraut. Als Pappermann wiederkam, meldete er, daá Aschta genau nach Sd geritten sei, wohin auch alle anderen Spuren fhrten; unser Ziel aber lag westlich von hier. Dann fragte er, indem er sich zu uns niedersetzte: "Ist das nicht ein Wunder, ein wahres Wunder? Genau wie damals, ganz genau? Und sie wissen es, daá der Schuá damals nicht mir gegolten hat! Und gesucht haben sie nach mir! Gesucht bis heutigen Tages! Diese guten, guten Menschen! Heute ist der gr”áte Feiertag meines Lebens! Ja wahrlich, der gr”áte Feiertag! Wenn es Winter und Dezember w„re, so wrde ich sagen: Heut ist Weihnacht fr mich, und der Herrgott hat beschert. ja, der Herrgott selbst, denn kein Anderer kann so etwas geben, so ein Glck! So ein wirklich groáes und wirklich wahres Glck!" Hierauf wurde er still, sehr still. Denn je tiefer und reiner das Glck ist, desto weniger macht es Worte! Auch fr mich hatte das Zusammentreffen mit dieser jungen, sch”nen Indianerin eine groáe Bedeutung, und zwar nicht nur eine rein „uáerliche. Ich hatte von hier aus in die Zukunft, in die Ferne zu folgern und zu schlieáen. Besonders interessant muáten mir die zwei Perlensterne sein. Sie waren ein Erkennungszeichen. Der "junge Adler" sagte nichts hierber; so fragte ich also auch nicht. Ich wuáte ja auch ohne Frage und Antwort, woran ich war. Es handelte sich hier ganz einfach um den groáen Unterschied zwischen "Stamm" und "Clan" bei der roten Rasse. Das ist ein Gegenstand von gr”áter Wichtigkeit, //164// obgleich es selbst ernsten Forschern noch nicht gel„ufig gewesen ist, ihm die Aufmerksamkeit zu widmen, die er ohne alle Frage verdient. Wie viele Menschen, besonders sogenannte Volks- oder gar Jugendschriftsteller, haben schon "lndianerbcher" geschrieben, ohne von dem Auáen- und Innenleben der amerikanischen Rasse auch nur die geringste, positive Kenntnis zu besitzen! Und das wird dann von Anderen, die noch weniger wissen, gelobt und warm empfohlen! Ich wurde schon von vielen, sogar von sehr vielen "lndianerschriftstellern" besucht; aber es gab keinen, wirklich keinen Einzigen unter ihnen, der von dem Allerersten, was man da zu studieren hat, n„mlich von den Clanverh„ltnissen, etwas wuáte. Wie in der Entwickelung der Menschheit im allgemeinen, so machen sich auch in der Entwickelung jeder einzelnen Rasse zwei einander grad entgegengesetzte Bestrebungen bemerkbar, n„mlich der Zug der Zerklftung und der Zug nach Vereinigung, oder sagen wir, der Zug nach Einheit und der Zug nach Vielheit. Die Zerklftung beginnt ihren Weg bei dem, was man als Menschengeschlecht bezeichnet, geht ber die Rasse, die Nation, das Volk, die Stadt, das Dorf immer weiter herab und h”rt erst beim abgelegenen Ein”dhof auf, dessen Besitzer sich nur bei gewissen Gelegenheiten darauf besinnt, daá er auch mit zur Menschheit geh”rt. Das ist der Weg des Patriotismus, der Vaterlands- und Heimatliebe, aber auch der Weg der nationalen Selbstberhebung, der politischen Rcksichtslosigkeit. Der andere Weg ist dem direkt entgegengesetzt. Er fhrt zur Vereinigung aller Einzelnen durch einen einzigen, groáen Gedanken zu einem einzigen, groáen Volk. Welcher von diesen beiden Wegen der Weg zum wirklichen, zum wahren Glck ist, //165// das hat die Menschheit noch bis heute nicht erkennen wollen, also muá sie es durch bittere Erfahrung kennen lernen. Wie schmerzlich, ja, wie grausam diese Erfahrung ist, das zeigt sich bei keiner Rasse so deutlich wie bei der amerikanischen. Sie ist es, welche die Zerklftung, die Zerspaltung am allerweitesten getrieben hat. Nirgends, selbst im fernsten, dunkelsten Orient nicht, ist die einst m„chtige, imponierende Einheit in so kleine, winzige, ohnm„chtige Brocken und Br”ckchen zerrieben und zerkleinert worden wie bei den Indianern. Jeder dieser Brocken, jeder dieser vielen St„mme und jedes dieser unz„hligen St„mmchen ist stolz auf sich selbst und stets bereit, aus lauter Selbstsch„tzung vollends zugrunde zu gehen. Diese Zersetzung h„tte schon l„ngst zur v”lligen Vernichtung gefhrt, wenn die groáen Medizinm„nner der Vergangenheit nicht bemht gewesen w„ren, ihr entgegenzuarbeiten, und zwar in doppelter Weise, n„mlich zun„chst in theologischer und sodann in sozialer. Der theologische Weg der Vereinigung lag in dem Gedanken, "Groáer Geist" oder "Groáer, guter Manitou". Die Forschung hat gezeigt und wird noch weiter zeigen, daá der echtbltige Indianer gl„ubiger Monotheist war und sich dabei glcklich fhlte, bis die zersetzende Vielg”tterei sich von auáen her tief in sein Inneres bohrte und den groáen Niagarafall des Rassensturzes und der Rassen- und Sprachzerst„ubung vorbereitete. Und der soziale Weg der Vereinigung wurde in dem Gedanken der Clans gegeben, durch welche die „uáerlich zerspaltenen St„mme innerlich wieder verbunden und zusammengehalten werden sollten. Freilich darf man das Wort Clan*) hier nicht im englischen resp. schottl„n- _______________ *) Sprich Kl„nn //166// dischen [schottl„ndischen] Sinn nehmen. Es wurde ein Clan der Wahrhaftigkeit, der Treue, der Wohlt„tigkeit, der Beredtsamkeit, der Ehrlichkeit gegrndet. Wer sich in der Beredsamkeit ben wollte; wer sich vornahm, das ganze Leben hindurch wohlt„tig zu sein; wer sich stark genug fhlte, niemals eine Lge zu sagen, niemals untreu oder unehrlich zu sein, der konnte dem betreffenden Clan beitreten und sich durch Wort und Handschlag verpflichten, das betreffende Gebot zu erfllen und lebenslang zu halten. Wer es auch nur einmal bertrat, der wurde ausgestoáen und galt als ehrlos fr immer. Der leichteren Unterscheidung wegen und um ein sichtbares Erkennungszeichen zu erm”glichen, nahm jeder Clan den Namen irgendeines Tieres an, dessen Bild als Merkmal diente. So habe ich bereits gesagt, daá der groáe Redner der Seneca, dessen Grab wir in Buffalo besuchten, zum Clan der W”lfe geh”rte. Es gab einen Clan der Adler, der Geier,. der Hirsche, der B„ren, der Schildkr”ten und so weiter. In einen solchen Clan konnte ein jeder eintreten, wes Stammes er immer war. Selbst der Todfeind wurde angenommen und aus allen Kr„ften beschtzt und untersttzt, wenn er die ihm auferlegte Bedingung treu und ehrlich erfllte. So sehr zum Beispiel die Kiowas und die Navajos einander haáten und sich gegenseitig bis auf Blut und Tod verfolgten, sobald sie sich als Mitglieder eines Clan erkannten, war diese Feindschaft augenblicklich und fr stets vergraben. Man kann sich denken, wie segensreich diese Clans wirkten! Leider, leider aber h”rte das auf, als die "Bleichgesichter" erschienen und ihnen gestattet wurde, auch beizutreten. Sie ntzten die Clans nur fr ihre pers”nlichen Zwecke aus und steckten die Vorteile ein, die ihnen daraus erwuchsen, ohne aber //167// ihren Verpflichtungen nachzukommen. Dadurch báten die Clans ihren guten Ruf, ihre moralischen Kredite ein und somit auch die groáen, sozialen Wirkungen, auf welche hin sie von ihren Grndern berechnet waren. Es blieb der Zukunft vorbehalten, ob sie berhaupt wieder aufleben wrden oder nicht. Immer waren die Clans nach Tieren benannt, niemals aber nach einem Menschen. Wenigstens ist es mir nicht erinnerlich, von einem solchen Fall geh”rt zu haben. Vielmehr war ein solches Beispiel jetzt soeben zum ersten Mal an mich herangetreten: Ein Clan mit dem Namen Winnetou! Denn daá es sich um einen Clan handelte, verstand sich ganz von selbst, und das Erkennungszeichen fr die Zugeh”rigen war der zw”lfstrahlige Stern, den der "junge Adler" und Aschta an ihren Gew„ndern trugen. Wann war dieser Clan gegrndet? Vor wenigstens vier Jahren. Denn so alt war der Anzug, den der "junge Adler" jetzt trug. Dieser junge Indianer war der Allererste, der in den neuen Clan aufgenommen wurde, und zwar von Tatellah-Satah, der also der Grnder dieser Winnetou-Vereinigung war, deren m„nnliche Mitglieder sich als "Winnetou" und die weiblichen sich als "Winnetah" bezeichnen durften. Welchen h”heren Zweck hatte dieser Clan? Und welche Verpflichtungen legte er seinen Mitgliedern auf? Ich fragte nicht, denn ich hoffte, es sehr bald zu erfahren. Daá seine Ziele eminent friedliche waren, konnte man schon aus der Stammesangeh”rigkeit der beiden Mitglieder ersehen, die ich jetzt kannte: ein Apatsche und eine Siou Ogallallah, also zwei Nationen angeh”rig, die sich unbedingt als Todfeinde zu betrachten hatten! - - - W„hrend des Kaffeetrinkens sagte uns Pappermann, daá wir heute Abend die Devils pulpit erreichen wrden. //168// Er bat nur um eine Stunde Aufenthalt hier am Kanubisee, um sich da wieder einmal umsehen zu k”nnen. Dagegen hatten wir nichts. Wir h„tten ihm sehr gern noch viel l„nger Zeit gegeben. Aber die Stunde war noch nicht vorber, so kehrte er von seinem Rundgang schon zurck und sagte: "Wollen aufbrechen, wenn es Euch recht ist! Und wenn ich noch l„nger hier herumkrieche, so finde ich doch mehr Bitterkeiten als Sáigkeiten, und das brauche ich mir alten Kerl doch wohl nicht anzutun!" Recht hatte er. Auch dieser Kanubisee war sch”n, sehr sch”n, aber seine Wasser hatten fr uns keinen frohen, sondern einen mehr als elegischen Schimmer, und so blieb er in unserer Erinnerung nur als der Ort einer kurzen Rast, auf welche neue Wanderung zu folgen hatte. Wir ritten in das Tal des Purgatorio hinab und folgten dort einem schmalen, kristallklaren Wasser, welches uns nach unserm Ziel zu fhren hatte. Wir erreichten es, doch erst dann, als es bereits fast dunkel geworden war, so daá ich vorschlug, lieber heut noch auáerhalb des Bereiches der "Teufelskanzel" zu bleiben, weil wir vor diesem Ort gewarnt worden waren und wegen der Dunkelheit keine Zeit mehr hatten, ihn auf die Anwesenheit von feindlichen Indianern hin vorher zu untersuchen. " Well! " sagte Pappermann. "So fhre ich Euch nach einem Versteck, welches wohl kein Roter, und habe er noch so gute Augen, ausfindig machen wird. Ich fand es nur durch Zufall und glaube nicht, daá es jetzt auáer mir einen Menschen gibt, der es kennt." "Das ist viel gesagt!" bemerkte ich. "Aber jedenfalls richtig!" antwortete er. "Wir haben nur noch wenige Schritte zu reiten und dann //169// einem kleinen Seitenw„sserchen zu folgen, welches aus einem stillen, verborgenen Weiher quillt. Dieser Weiher ist nicht groá. Hohe Felsen, die man nicht ersteigen kann, umgeben ihn. Diese Felsen haben keine Lcke; n„mlich so scheint es. Aber wenn man gerade durch den Weiher bis zur gegenberliegenden Seite reitet, macht man die Bemerkung, daá es doch eine Seitenspalte gibt, die schief hindurchschneidet und nach dem eigentlichen Quell des Wassers fhrt, welches nicht im Weiher entspringt, sondern weiter drin, eben da, wo wir bernachten werden." "Ist die Lcke breit genug fr unser Gep„ck?" erkundigte ich mich. "Ja", antwortete er. "Nur die Zeltstangen habe ich lang zu packen, anstatt quer." "Und wie tief ist der Weiher?" "H”chstens einen Meter." "Damals!" "Hm! Meint Ihr etwa, daá er tiefer geworden ist? Das habe ich meinem Leben noch nicht geh”rt. Stehende Wasser pflegen mit der Zeit seichter zu werden, aber doch nicht tiefer. Doch halt! Da sind wir am Seitenw„sserchen! Werde hier also umpacken. Dann reiten wir nach dieser Seite zwischen die Felsen hinein." Wir halfen ihm, die Zeltstangen anders zu legen, und lieáen ihn dann mit den Maultieren voran, um unser Fhrer zu sein. Es war grad noch soviel Tageslicht vorhanden, daá wir sehen konnten, wohin wir ritten. Wir kamen an den Weiher, der dunkel wie ein R„tsel erschien, ritten hindurch und sahen, drben angekommen, daá es im Felsen allerdings eine von dichtem Grn maskierte Lcke gab, der wir seitw„rts folgen konnten. Dann ging es noch eine Strecke am W„sserchen steil auf- //170// w„rts [aufw„rts], bis wir seinen Quellpunkt erreichten, der in einem groáen, kreisf”rmigen Felsenloch lag, dessen W„nde, wie es schien, sich senkrecht und unersteigbar in die H”he reckten. "So! Das ist der Ort! " sagte Pappermann. "Da k”nnen wir hundert Jahre lang kampieren, ohne daá uns ein Mensch entdeckt." "Aber feucht, sehr feucht?" fragte ich. "Keineswegs! Die Feuchtigkeit flieát ja ab. brigens haben wir Indianersommer, schon wochenlang ohne eine Spur von Regen." "Kann man da an den W„nden hinaufklettern?" "Weiá nicht. Habe es damals nicht versucht. Bin niemals ein Kletterspecht gewesen." "Und kann jemand von da oben herunterschauen?" "Da máte er erst von hier hinauf. Von drauáen bringt es Keiner fertig." "So bin ich beruhigt. Machen wir also erst ein Feuer, um sodann das Zelt aufzuschlagen!" Beides war in Zeit von einer halben Stunde geschehen. Wir banden die Pferde und Maultiere nicht an, so daá sie sich bewegen konnten, wie sie wollten. Sie tranken sich erst tchtig satt. Dann w„lzten sie sich ebenso tchtig im Moos, was sie gern tun, solange sie gesund in den Knochen und Gelenken sind. Und hierauf fanden sie so viel Blatt- und auch anderes Grn, daá wir getrost mehrere Tage hier bleiben konnten, ohne befrchten zu mssen, daá es ihnen an Futter mangele. Sie bedurften aber der Ruhe mehr als der Nahrung, denn der Ritt von dem Kanubisee bis hierher war doch weiter und anstrengender gewesen, als wir nach Pappermanns Worten vermutet hatten. Auch wir selbst fhlten uns ermdet. Darum dauerte es nach dem Abendessen gar //171// nicht lange, bis wir uns niederlegten. Und das war heut abend ganz anders als gestern. Heut schliefen wir sofort ein, und ich muá zu meiner Schande gestehen, daá ich nicht eher aufwachte, als bis Pappermann mich weckte. "Mrs. Burton ist schon munter!" entschuldigte er sich. "Sie hat schon heiáes Wasser bestellt, um - - - h”rt Ihrs? Sie mahlt den Kaffee im Zelt, um Euch nicht aufzuwecken. Sagt Ihr ja nichts, daá ich es dennoch fr richtig hielt, Euch einen Stoá zu versetzen! Der Mann sei doch immer Mann! Das ist er aber nicht, wenn er schl„ft!" "So habt Ihr mich also nur um meiner Ambition willen geweckt?" lachte ich. "Yes! Old Shatterhand, und schlafen, wenn seine Frau schon munter ist! Das geht auf keinen Fall!" Jetzt betrachtete ich mir die Oertlichkeit. Sie bot allerdings ein selten sch”nes Versteck. Es gab nirgends auch nur die geringste Spur, daá jemals ein Mensch an diesem abgelegenen Ort gewesen sei. Die Felsenw„nde waren beraus steil, aber nicht unersteigbar. Es gab Riesenb„ume, die mehrere hundert Jahre alt waren und sich mit ihren Aesten und Zweigen so eng an das Gestein schmiegten, daá sie das Klettern erleichterten und untersttzten. Der "junge Adler" hatte kaum seinen Kaffee zu sich genommen, so begann er den Versuch, in die H”he zu kommen. Es gelang ihm ohne Schwierigkeit. Kaum war er oben angelangt, so ert”nte sein lauter Ruf: "Uff, uff! Ich sehe ein Wunder, ein Wunder!" "Nicht so laut!" warnte ich hinauf. "Wir wissen noch nicht, ob vielleicht doch Menschen in der N„he sind!" "Hier kann es keinen geben, der uns h”rt!" antwortete er herab. "Da ist ringsum nichts als nur Luft!" //172// "So hoch! Und was liegt unten?" "Devils pulpit!" "Die Teufelskanzel? Wirklich?" "Ja." "Das ist unm”glich, ganz unm”glich!" widersprach Pappermann. "Warum?" fragte ich ihn. "Weil ich es weiá. Und was Maksch Pappermann weiá, das weiá er ordentlich! Der Weg nach der Teufelskanzel fhrt tief nach links hinunter; wir aber sind rechts abgewichen. Und sie ist von allen Seiten von hohen, steilen Felsen umgeben, die kein Mensch erklimmen kann. Wie ist es da m”glich, daá er sie sieht!" "Er behauptet es aber!" "Er irrt!" "Ist es nicht auch m”glich, daá Ihr Euch irrt?" "Nein!" "Daá der Weg von hier nach der Teufelskanzel Krmmungen macht, die Euch t„uschen?" "Es kann sich kein Mensch und kein Tier und kein Weg so sehr krmmen, daá er es fertigbringt, mich zu t„uschen!" Ich fragte den Indianer noch einmal, und er blieb bei seiner Behauptung, daá er die Devils pulpit sehe. Da auch er sie kannte, ergab das einen Widerspruch, der mich bestimmte, dem "jungen Adler" zu folgen. Meine Frau ist keine ble Kletterin. Sie besucht Gebirgsgegenden sehr gern und zeigt sich da zuweilen khner, als ich ihr erlauben darf. Sie kam mir nach. Doch Pappermann blieb sitzen. "Bin mein Lebtag keine Gemse gewesen", behauptete er, "und werde auch nun nicht erst eine werden. Ein ebener Weg, ein gutes Pferd und ein festgeschnallter //173// Sattel; das ist es, was ich haben will. Steigt, so hoch ihr wollt; ich mache nicht mit!" Als wir hinaufkamen, bot sich uns ein wunderbarer Anblick dar. Ich hatte die Teufelskanzel noch nie gesehen, war aber doch gleich beim ersten Blick berzeugt, daá sie es war, nichts Anderes. Das rief ich dem alten Westmann hinab. Da stand er denn doch auf und begann, sich langsam und sehr vorsichtig in die H”he zu kraxeln. Es dauerte ziemlich lange, bis er uns erreichte. "'So! Da bin ich!" sagte er. "Nun will ich einmal hinunterschauen, um zu sehen, welch ein unbegreiflicher Unsinn sich da - - -." Er hielt mitten im Satz inne, vergaá aber den Mund zuzumachen. "Welchen Unsinn meint Ihr?" fragte ich. "Den Unsinn, daá, daá - - - Alle Teufel! Was ist mir da passiert!" "Nun, ist es die Devils pulpit? Oder ist sie es nicht?" "Sie ist es! O Pappermann, Maksch Pappermann, was bist du fr ein Riesenschaf oder gar was fr ein Kamel! Daran ist aber nur dieser unglckselige Name schuld! Denn nur, wer Pappermann heiát, kann sich eine so entsetzliche Blamage auf das Gewissen laden! Dieser Name, dieser Name! Der ist mein Unglck gewesen, solange ich lebe! H„tte mein Vater Mller oder Schulze oder Schmidt geheiáen, meinetwegen auch Hanfst„ngel, Zuckerkant oder Pumpernickel, so w„re ich ebensogut ein Glckskind gewesen wie andere Leute auch. Aber Pappermann, Pappermann, das ist das Schrecklichste, was es gibt! Das hat mich verfolgt bis hierher! Und das wird mich auch noch weiter verfolgen, bis es nichts mehr an mir gibt, was berhaupt verfolgt werden kann!" //174// Er fhlte sich in hohem Grade unglcklich. Handelte es sich doch um seine Westmannsehre, die ihm ber Alles ging. Eines derartigen Irrtums darf sich kein Berg-, Wald- und Savannenl„ufer schuldig machen, wenn er es nicht darauf ankommen lassen will, seinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen. Glcklicherweise aber war Niemand da, der Lust hatte, ihn bei diesem Fehler zu fassen, und als ich ihm versicherte, daá auch mir solche falschen Berechnungen schon wiederholt passiert seien, begann er, sich zu beruhigen. Man denke sich ein plattes Dach, dessen steinernes Gel„nder aus schweren Felsenbrocken besteht. Dieses Dach ist mit B„umen und dichtem Gebsch besetzt, so daá man, wenn man da oben steht, von unten nicht gesehen werden kann. Tritt man an das Gel„nder heran und schaut hinab, so sieht man, daá die Felsenwand fast senkrecht in die Tiefe f„llt. Auf diesem platten Dach befanden wir uns, und tief unter uns lag die Teufelskanzel. Wer sich mit Geometrie besch„ftigt hat, der weiá, was man unter einer Ellipse versteht. Weil aber nicht alle meine Leser Geometer sind, will ich mich hier nicht geometrisch, sondern als Laie ausdrucken, um leichter verstanden zu werden: Eine Ellipse ist ein Kreis, der so lang ausgezogen ist, daá er zu dem einen Mittelpunkt noch einen zweiten bekommen hat. Diese beiden Mittelpunkte werden auch Brennpunkte genannt. Wer einen Fischkessel in der Kche hat, der kennt die l„nglich runde Form einer solchen Ellipse. Und der Fischkessel mag zugleich auch ein Bild des l„nglich runden Bergkessels sein, zu dem sich unsere Felsenwand hinuntersenkte. Dieser Kessel bildete so genau eine Ellipse, als ob er nicht von der Natur, sondern von Menschenhand mitten in das gewaltige Kompakt der Bergmasse hineingebrochen worden //175// sei. Wie ich dann sp„ter freilich sah, hatte die Natur allerdings zwar vorgearbeitet, die berechnende Kraft des Menschen aber nachgeholfen. Das war vor alten, ja uralten Zeiten geschehen und so lange her, daá die Felsw„nde, welche erst ganz gewiá senkrecht und nackt gewesen waren, infolge der Verwitterung nun Risse, Sprnge, Ecken, Kanten, H”hlungen, Altane und andere Abweichungen von der lotrechten Linie zeigten, auf denen und in denen sich nach und nach ein kr„ftiger Baum- und Strauchwuchs nebst anderem Kr„uter-, Stauden-, Gras- und Moosgrn angesammelt hatte. Auch der Boden des Kessels war mit grnender Vegetation bedeckt, doch machte ich in Beziehung auf diese Vegetation sofort zwei in die Augen fallende Beobachtungen. N„mlich es schien hier ein Pflanzenwuchs ursprnglich nicht beabsichtigt zu sein, denn es gab da einen vollst„ndig sterilen Untergrund, und der muáte mit voller Berechnung hergeschafft worden sein, denn so weit das Auge reichte, gab es nur fruchtbares Land. Die B„ume, die da unten auf dem Grund des Kessels standen, hatten alle, so alt und so stark sie waren, keine Wipfel mehr. Und wo es noch welche gab, da waren sie vertrocknet. Das deutete darauf hin, daá sie sich nur von einer dnnen, angewehten Erdschicht n„hrten, mit den Wurzeln aber nicht in die Tiefe konnten oder dort keine Nahrung fanden. Und in der Tat, als ich sp„ter hinunterkam und nachschaute, fand ich, daá, so weit die Ellipse reichte, ihr ursprnglicher Boden so dicht, daá keine Pflanze einzudringen vermochte, mit starken Steinplatten belegt war, auf denen sich im Lauf der Zeit eine Schicht von Humuserde gebildet hatte, von welcher sich das sp„ter entstandene Baum- und Strauchwerk durch die Seitenwurzeln ern„hrte. Pfahlwurzeln gab es nicht. Daher die Verdorrung s„mtlicher Wipfel! //176// Wozu einst diese Belegung des Bodens mit Platten? Das war die erste Frage, die ein aufmerksamer und vorsichtiger Beobachter hier zu beantworten hatte. Die andere in die Augen fallende Beobachtung war die, daá ein Drittel dieser Vegetation vollst„ndig unberhrt zu sein schien, w„hrend man es den anderen beiden Dritteln gleich beim ersten Blick ansah, daá da Menschen verkehrt hatten, und zwar nicht allzu selten. Die Scheidelinie zwischen dem gr”áeren, berhrten Teil und dem kleineren, unberhrten war sogar auff„llig scharf gezogen. Es sah so aus, als ob ein strenges Verbot herrschte, dieses sehr dicht bewachsene Drittel der Ellipse zu betreten. Weshalb und zu welchem Zweck diese Unterscheidung? Das war die zweite Frage, der man nachzuspren hatte, wenn man den Anspruch erhob, fr einen scharfen und zuverl„ssigen Beobachter zu gelten. Und nun kommt die Hauptsache, die von allerh”chstem Interesse ist. Wenigstens war sie das fr mich. Es gab n„mlich auf dem sonst vollst„ndig ebenen, ellipsenf”rmigen Boden des Felsenkessels zwei ziemlich bedeutende, knstlich hergestellte Erh”hungen, welche ganz das Aussehen hatten, als ob der Kessel einst in der Absicht hergestellt worden sei, ihn mit Wasser zu fllen und also eine Art von See zu bilden, aus dem die beiden Erh”hungen als Inseln hervorschauten. Im Lauf der Jahrhunderte hatte sich das zu- und abflieáende Wasser so tief eingefressen, daá der Boden des Bassins erreicht und dieses einfach durch Auslaufen und sp„teres Versiegen des Wassers trocken geworden war. Diese Beobachtung an sich h„tte weiter nichts ergeben, als daá in uralter Zeit hier Menschen vorhanden gewesen seien, welche in Beziehung auf ihre Bauwerke //177// und in Folge dessen auch anderweit bedeutend h”her standen als die sp„teren Indianer, oder sagen wir richtiger, als die sp„teren Generationen. Aber diese beiden Erh”hungen - ich will dem Bild treu bleiben und sie Inseln nennen - hatten die h”chst auff„llige Eigentmlichkeit, daá sie in den zwei Brennpunkten der Ellipse lagen, und zwar ganz genau. Das konnte nicht Zufall, sondern das muáte Berechnung sein. Da entstand nun sofort die Frage: Welches war der Zweck dieser Berechnung, das Fazit dieses Exempels? Etwas Gew”hnliches, Allt„gliches jedenfalls nicht. Ich dachte an die schwierigen, astronomischen Berechnungen, welche dem Bau der „gyptischen Pyramiden zu Grunde liegen, an die noch unaufgekl„rten Geheimnisse der Teokalli und anderer Tempelwerke aus frherer Zeit, doch bin ich weder Fachmann noch Gelehrter und darf es unm”glich wagen, mich auf so schwierige, wissenschaftliche Spekulationen einzulassen. Aber ein Gedanke kam mir doch, wenngleich die Aufrichtigkeit mich zwingt, zu gestehen, daá er mir bedeutend khner erschien, als ein einfacher Westmann, der nur die Absicht verfolgt, auf seine Sicherheit bedacht zu sein, sich gestatten darf. Aber er stellte sich wieder und immer wieder ein; er packte mich fester und fester und lieá mich nicht wieder los. Es war der Gedanke an jene im Altertum oft auch baulich behandelte Tatsache, daá man innerhalb einer gewissen geometrischen Figur an einem Punkt ganz deutlich das h”rt, was an einem anderen, entfernten Punkt leise gesprochen wird. Dieser Gedanke kam ohne mein Zutun, also ohne daá ich grbelte. Ich wies ihn ab. Aber er kehrte zurck, als der "junge Adler" zu sprechen begann, und wollte seitdem nicht wieder weichen. Der Indianer deutete n„mlich von da oben, wo wir standen, hinab in die Tiefe und sagte: //178// "Das ist die Kanzel. Wir stehen auf dem h”chsten Teil der Wand, von der sie umschlossen wird. Es gibt zwei Kanzeln. Die eine, n„mlich diese hier, ist den Bleichgesichtern bekannt; von der anderen aber wissen sie nichts. Die eine wird von ihnen die Kanzel des Teufels genannt- die andere wrden sie wohl als die Kanzel des guten Manitou bezeichnen. Die roten M„nner aber nennen diese hier "Tscha Manitou"*) und die andere "Tscha Kehtikeh" **). "Welchen Punkt bezeichnet Ihr als Kanzel?" fragte ich ihn. "Die l„ngliche Runde dieses Felsenkessels erstreckt sich von Ost nach West. Es gibt eine Erh”hung im ”stlichen und eine im westlichen Teil. Welche von beiden ist die Kanzel?" "Die im westlichen Teile", antwortete er. "So ist also die andere das Ohr?" Er sah mich an und wuáte nicht, was ich meinte. Da erkl„rte ich ihm: "Von der Kanzel herab pflegt man doch zu sprechen. Und was der Redner spricht, soll geh”rt werden. Ihr aber erw„hntet hier ein Ohr, welches h”rt. Ihr nanntet es ,Das Ohr Gottes'. Wo liegt es?" "Das weiá ich nicht. jedenfalls ist derselbe Punkt gemeint, den die Weiáen als Kanzel bezeichnen. Was ich hierber weiá, das habe ich von Tatellah-Satah, meinem Lehrer, erfahren. An der einen Kanzel, n„mlich an dieser hier, h”rt Gott, was der Teufel spricht, und verurteilt ihn zur Verdammnis. Und an der anderen Kanzel, welche den Weiáen noch unbekannt ist, h”rt der Teufel, was Gott spricht, und wird dadurch von der Verdammnis erl”st." __________________ *)Das Ohr Gottes **) Ohr des Teufels //179// "Das ist ein tiefer, ein sehr tiefer Sinn, der jedenfalls hier irgendwo und irgendwie in ein „uáeres Gewand gekleidet ist, nach dem ich suchen werde. Ihr seht doch, daá der ”stliche Teil des Kessels ein f”rmliches Pflanzendickicht bildet, w„hrend der westliche, gr”áere Teil viel weniger bewachsen ist. Man scheint dort sogar zuweilen Holz niedergehauen zu haben, um Feuer zu machen." "Das tut man stets, wenn man zur Beratung hier ver sammelt ist." "Zur Beratung? Doch auch zur Jagd oder zu einem sonstigen Zwecke?" "Nein. Dieser Ort ist jedem roten Mann heilig. Er ist nur fr groáe, wichtige Beratungen bestimmt, die zwischen verschiedenen Nationen abgehalten werden. Nie wird man hier ber unwichtige Dinge beraten! Und nie wird ein roter Mann diesen Ort betreten, ohne daá es eine groáe Zusammenkunft zweier oder mehrerer Nationen gilt!" "Ah! - wirklich?" "Ja," versicherte er. "Ich weiá das ganz genau! Und selbst bei groáen Beratungen, wo viele, viele Krieger sich hier versammeln, wird es keiner von ihnen wagen, den ”stlichen Teil dieses Platzes zu betreten." "Warum?" "Man sagt, da wohne der b”se Geist, der Teufel, nach dem man die Kanzel benennt." "H”chst interessant, h”chst sonderbar und h”chst unklar! Was man sich von diesen beiden Kanzeln erz„hlt, ist jedenfalls viele hundert Jahre alt. Da l„át sich wohl denken, wie sehr man die Wahrheit vermischte. Glaubt Ihr daran?" "Ich glaube an den Kern dieser Wahrheit." "Kennt Ihr ihn, diesen Kern ?" //180// "Nein. Ich hoffe aber, ihn von Tatellah-Satah zu erfahren." "Es fragt sich, ob er selbst ihn kennt. Wenn er ihm bekannt w„re, h„tte er, als er hier von dieser Kanzel sprach, sich anders ausgedrckt. Er h„tte nicht Kanzel und Ohr als denselben Punkt bezeichnet. Glaubt auch Ihr, daá dort im ”stlichen Teil des Platzes sich der b”se Geist aufh„lt, der Teufel?" "Ich achte den Brauch meiner V„ter, ohne zu fragen, ob er sich auf Wahrheit grndet oder nicht." "So werdet Ihr es also vermeiden, den heiligen Ort da unten zu betreten?" "Wird Mr. Burton hinuntergehen?" "Ja, ich gehe." "Mrs. Burton vielleicht auch?" "Ja, ganz bestimmt auch sie." "So gehe ich sehr gern mit, wenn Beide es wnschen. Ich war vier Jahre lang bei den Bleichgesichtern und habe bei ihnen gelernt, die Seele eines Dinges vom Ding selbst zu unterscheiden. Die Seele ist mir heilig; ihr sichtbares Kleid aber verehre ich nicht. Doch ich achte es und wrde es nur dann verletzen oder gar zerreiáen, wenn ich Grund h„tte, es fr b”s, also fr sch„dlich zu halten." Wie dieser junge Indianer sprach! W„re er mir nicht schon so sehr sympathisch gewesen, so w„re er es mir nun jetzt geworden. jetzt fragte Pappermann, der sich bisher still verhalten hatte: "Ich h”re, Ihr wollt da hinunter?" "Natrlich! Die Devils pulpit ist doch unser Ziel!" antwortete ich. "Wann?" "Sofort!" //181// "So mssen wir satteln." "Ist nicht n”tig. Wir laufen." "Oho!" rief er verwundert aus. "Glaubt Ihr, daá Maksch Pappermann l„uft, wenn er ein Pferd oder ein Maultier am Zgel hat?" "Das glaube ich freilich nicht. Aber es hat Euch auch niemand zugemutet, zu laufen. Ihr bleibt n„mlich hier." "Ich - -? Bleibe - -? Hier - - - ?" fragte er erstaunt. "Ja." "Bin ich etwa nicht wert, mitgenommen zu werden?" "Redet keinen Unsinn! Ich brauche Euch hier oben notwendiger als da unten. Wir wissen, daá die Feinde kommen. ja, wir wurden extra gewarnt. Aber leider wissen wir keine bestimmte Zeit. Jeder Augenblick kann sie uns bringen. Sie k”nnen sich grad dann einstellen, wenn wir da unten sind und sie nicht kommen sehen. Grad darum beabsichtige ich ja, zu laufen, nicht zu reiten. Pferde machen deutlichere Spuren als Menschen. Und es k”nnte sich ereignen, daá wir wohl ganz glcklich entkommen k”nnten, uns aber, um dann auch sie zu retten, bloástellen und in Gefahr begeben muáten - - -" "Ah! Errate, errate!" unterbrach er mich. "Nun, was erratet Ihr?" "Daá ich hier oben bleiben soll, um Wache zu halten, um aufzupassen?" "Allerdings!" "So ist das etwas anderes! Ich tue es gern und bitte, mich zu unterweisen." "Das ist sehr schnell geschehen. Wir wissen, daá die Sioux und die Utahs kommen werden. Die Ersteren sind von Norden, die Letzteren von Westen her zu er- //182// warten [erwarten]. Fr beide F„lle liegt der Talkessel so, daá sie nicht von der Seite kommen k”nnen, von der wir gestern kamen, sondern von der entgegengesetzten. Und diese Seite liegt hier so deutlich und so ausfhrlich vor Euren Augen, daá Ihr die Roten schon lange, ehe sie kommen, bestimmt entdecken mát. Da gebt Ihr uns ein Zeichen." "Was fr eins?" "Einen langen, scharfen Pfiff." "Etwa so?" Er steckte den gekrmmten Zeigefinger in den Mund und lieá eine Probe h”ren. "ja, das genagt." "Sch”n! Aber wie steht es mit dem Weg hinunter zur Kanzel? Ihrseid noch nicht unten gewesen." "Ist auch nicht n”tig. Der junge Adler' kennt ihn ja. Und selbst wenn dies nicht der Fall w„re, glaubt Ihr doch nicht etwa, daá ich mich verlaufen wrde, nachdem ich die Devils pulpit von hier aus so deutlich vor mir liegen sah. Kommt!" Wir stiegen wieder zum Lager hinab; nur Pappermann allein blieb oben. Ich nahm den zerlegten Henrystutzen aus dem Koffer und schraubte ihn zusammen. "Willst du schieáen?" fragte das Herzle. "Žngstige dich nicht. ich denke nur an Wild," beruhigte ich sie. "Der ,junge Adler' wird sein Gewehr auch mitnehmen." Sie winkte verstohlen nach ihm hin. Mein Blick folgte dieser Richtung ebenso verstohlen. Ich sah, was sie meinte. Es war rhrend, mit welch einer and„chtigen Spannung er den Stutzen betrachtete und jeden Griff beobachtete, den ich tat, indem ich ihn lud. "Uff!" sagte er. "Das ist er! Das also ist er! //183// Wie oft h”rte ich von ihm sprechen! Darf ich ihn einmal berhren?" "Hier ist er!" Er nahm ihn in die Hand, doch ohne sich zu erlauben, ihn untersuchen zu wollen. Dann drckte er ihn wie in einer pl”tzlichen Aufwallung an sich und sagte: "Wie oft wurde Winnetou durch ihn gerettet, wie oft! Ein einziges, ein einziges Gewehr!" Bei diesen Worten gab er mir den Stutzen zurck. Ich nahm ihn und antwortete: "So einzig, wie Ihr denkt, ist er l„ngst nicht mehr. Ja, man hat mich ausgelacht, wenn ich von fnfundzwanzig Schssen sprach. Es hat sogar kluge, sehr kluge Menschen gegeben, welche mich dieses Gewehres wegen einen Lgner und Schwindler nannten, obgleich sie von Handfeuerwaffen und vom Schieáen so wenig verstanden, daá es mich geradezu erbarmte. Nun aber ist es schon lange her, daá ich nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar bertroffen worden bin. In Italien erfand Major Cei-Rigotti ein fnfundzwanzigschssiges Armeegewehr, und dem englischen Kriegsminister wurde sogar ein achtundzwanzigschssiges, welches 3100 Meter weit tr„gt, von einem schottischen Erfinder vorgelegt. brigens wird dieser Stutzen zu seiner Zeit genau denselben Weg gehen, den jetzt Winnetous Silberbchse geht." "Habt Ihr auch diese mit?" fragte er, indem seine Augen leuchteten. "Ja." "Darf ich sie sehen?" "Sp„ter. Jetzt mssen wir jeden Augenblick fr die Untersuchung der Devils pulpit sparen, denn wenn die Feinde angekommen sind, ist es zu sp„t dazu. Verlieren wir keine Zeit." //184// Als ich das sagte, h”rten wir ber uns ein Lachen. Pappermann war es. Er kam herabgestiegen. Er hatte uns schon fast erreicht; da sagte er: "Ja, oben bleiben soll ich! Und laufen wollen diese drei klugen Leute! Werden aber doch reiten mssen! Und werden mich dazu brauchen, sehr, sogar sehr." Indem er das sagte, fiel mir ein, wie recht er hatte. Das Herzle aber fragte: "Reiten? Und Euch dabei auch brauchen? Gewiá nichts Wir gehen!" "Nein, Ihr reitet!" lachte er fr”hlich. "Werdet mir schon einmal gehorchen mssen, ganz gleich, ob Ihr wollt oder nicht! Oder will Mrs. Burton vielleicht nasse Fáe haben, einen Schnupfen, einen Husten, einen Katarrh und andere sch”ne Dinge? Das Niesen gar nicht gerechnet!" Das war allerdings sehr richtig. Ein Westmann fragt freilich nicht danach, ob er feucht wird oder nicht, aber wenn er es vermeiden kann, so ist er einverstanden. Wir setzten uns also alle auf und ritten hinaus, ber den Weiher hinber. Dann schaffte Pappermann die Pferde wieder zurck. Wir aber folgten dem schmalen W„sserchen abw„rts, bis wir die Stelle erreichten, an welcher wir gestern von der Richtung nach der Teufelskanzel abgewichen waren. Von da an hatte der gr”áere Bach unser Fhrer zu sein, bis er allzu mutig wurde und sich in verschiedenen Sprngen und Kaskaden direkt in die Tiefe strzte. Das konnten wir nicht mitmachen. Wir stiegen also langsam und in bequemen Schlangenwindungen hinunter und machten dabei die Bemerkung, daá wir da nicht der geraden Richtung folgen konnten, sondern einen ganz ansehnlichen Bogen schlagen muáten, was Pappermann aber nicht berechnet hatte und //185// darum zu der irrigen Ansicht gekommen war, daá das, was der "junge Adler" sah, nicht die Teufelskanzel sein k”nne. Unten in der Tiefe angekommen, sahen wir zun„chst die schmale Spalte, welche das Wasser in uralter Zeit fast senkrecht in den Felsen gefressen hatte. Es sah fast aus, wie mit einer riesigen S„ge hineingeschnitten. Ganz dasselbe hatte auch uns gegenber am Ausgang des Kessels stattgefunden. Es war also erwiesen, daá der letztere einen halb natrlichen, halb knstlichen See gebildet hatte und sp„ter, als der Wasserabfluá seinen Grund erreichte, vertrocknet war. Welchen Zweck hatten die beiden Inseln gehabt? Etwa den, berhaupt nur Inseln zu sein? Das wollte mir nicht einleuchten. Ebenso wichtig war mir die Frage: Wurde dieser Zweck mit Hilfe des Wassers erreicht, so daá nun jetzt, wo es kein Wasser mehr gab, auch er nicht mehr nachgewiesen werden konnte? Der Bach war freilich noch da. Er floá auch noch immer lang durch den ganzen Kessel. Aber er hatte die Steinplatten nicht durchdringen und sich eine tiefere Rinne bohren k”nnen, sondern sie bildeten seinen Grund, auf dem er sich durch angeschwemmtes Ger”ll seine eigenen Ufer gebaut und befestigt hatte. Wir wurden von ihm zun„chst in den ”stlichen, dichter bewachsenen Teil des Kessels gefhrt, verweilten uns da aber nicht, sondern hoben ihn uns fr sp„ter auf, weil es galt, zun„chst den westlichen Teil des Terrains kennenzulernen, weil von dieser Seite die Roten zu erwarten waren. Wir muáten also vor allen Dingen dort fertig sein, bevor sie kamen. In diesem westlichen Teil gab es einige Stellen, an denen unter der aufgewhlten Erde die Steinplatten hervorschauten. Die B„ume, die es da gab, waren nicht hoch, und die Bsche nicht dicht. Sie hatten nur allzuoft //186// das Material zu Lagerfeuern liefern mssen. Die zwischen ihnen liegenden, zahlreichen lichten Stellen waren so groá, daá Hunderte von Lagernden Platz finden konnten, ohne einander zu beengen. Die hier befindliche Insel war h”her als der h”chste Baum; was aber nicht viel sagen will, weil die B„ume ja keine bedeutende H”he besaáen. Sie war nicht mit Grn bewachsen, sondern vollst„ndig kahl. Eine Reihe von Stufen fhrte hinauf. Oben gab es in der Mitte einen hohen, steinernen Sessel und rund um ihn einen Kreis von niedrigeren Sitzen. Das war die "Teufelskanzel", auf welcher die H„uptlinge zu beraten und das Ergebnis dann durch den Sprecher dem unten versammelten Publikum zu verknden hatten. Wir stiegen hinauf. Es war nicht das Geringste zu sehen, was uns als beachtenswert erschienen w„re. Natrlich visierte ich von hier aus, doch ohne Etwas davon zu sagen, die im ”stlichen Teil liegende andere Insel. Sie war genau ebenso hoch wie diese hier, doch umfangreicher und auáerdem dicht bewachsen. Auch bis zu ihrer Oberfl„che reichte keiner der B„ume herauf, und wenn es sich wirklich, wie ich mehr und mehr vermutete, um ein akustisches Geheimnis handelte, so gab es auf unserer jetzigen H”he rundum keinen Gegenstand, durch den die Schallwellen h„tten aufgefangen oder unterbrochen werden k”nnen. Hierauf stiegen wir wieder hinab. Wir waren mit diesem Teil des Kessels fertig und schauten einmal zur H”he empor, ob es wohl m”glich sei, unseren Pappermann zu sehen. jedenfalls beobachtete er uns; aber da er wahrscheinlich so klug war, sich nicht ganz vor an die Brstung zu wagen, konnten wir ihn nicht entdecken. Nun begaben wir uns nach dem anderen, dem dichter bewachsenen Teil der Ellipse. Ich steuerte da direkt auf die zweite Insel zu, hemmte aber gar bald meinen eiligen //187// Schritt, denn ich stieá auf Spuren, doch glcklicherweise auf solche, die man gern, sehr gern zu sehen pflegt. Auch dem "jungen Adler" fielen sie auf der Stelle auf. Es sah fast so aus, als ob Kinder wiederholt durch die Him- und Brombeerstr„ucher gebrochen seien. Wir waren zun„chst still, aber als wir uns einmal rund um die Insel geschlichen hatten und nun wuáten, woran wir waren, fragte ich: "Herzle, hast du Appetit auf B„renschinken oder B„rentatzen?" "Mein Schreck!" antwortete sie schnell und sogleich erregt. "Gibt es etwa B„ren hier?" "Ja." "Wohl gar Grizzlies?" "Nein. So schlimm ist es nicht. Es ist ein ganz niedertr„chtig unsch„dlicher, schwarzer B„r, der auf dem linken Hinterbein hinkt. Er scheint einmal verwundet worden zu sein und hat sich also die Gef„hrlichkeit abgew”hnen mssen. Ich vermute in ihm einen leidenschaftlichen Vegetarier, der sich nicht die geringste Mhe geben wird, dir als Menschenfresser zu erscheinen. Er steckt hier droben auf der Insel." "Da oben?" Sie schaute empor und fgte sofort hinzu: "Du hast Recht! Ich sehe ihn! Da guckt er herunter! Da, da!" Sie zeigte mit der Hand hinauf. Da hob der "junge Adler" auch schon sein Gewehr. "Schieát nicht; schieát nicht!" bat sie. "Er macht ein gar zu liebes, albernes Gesicht!" Aber ihr Wunsch kam zu sp„t. Der Schuá krachte. Die Kugel war in das Auge gezielt und drang direkt in das Gehirn. Der B„r hatte hart am Rand der Insel gelegen und, als er uns sah, eine Bewegung gemacht //188// sich aufzurichten. Nun sank er wieder nieder, w„lzte sich unter der Wirkung des Schusses einmal nach vorn und kam dann heruntergerutscht, um tot vor unseren Fáen liegenzubleiben. "Wie schade, wie schade!" meinte das Herzle. "Wir konnten ihn leben lassen!" "Zu seiner eigenen Qual?" fragte ich, indem ich ihn untersuchte. "Schau her! Er war nicht verwundet, sondern er hatte das Hinterbein gebrochen, und da ihn keine Universit„tsklinik aufnehmen wollte, so schleppte er es hinterher, bis ihn unsere Kugel erl”ste." "Aber gebrochene Beine esse ich nicht!" erkl„rte sie energisch. "Ich auch nicht!" stimmte ich ihr bei. "Sie mssen unbedingt erst eingerichtet und dann verbunden werden, natrlich in Gips. Hierauf spickt und bratet man sie, und dann werden sie gegessen!" "Du bist ein lasterhafter Mensch!" bestrafte sie mich, halb lachend und halb ernst. "Was wird nun mit dem B„r? Ich trage ihn nicht hinauf, wo wir wohnen." "So wird er von unserem Maksch geholt! Er ist ber vier Jahre alt und wiegt wohl einige Zentner, aber wir haben ja Maultiere, ihn zu tragen. Wir mssen Alles fortschaffen, drfen nichts von ihm hier lassen, der Indianer wegen, die wir erwarten. jetzt ziehen wir ihm den Rock aus." Das ging sehr schnell. Der "junge Adler" half und zeigte sich als geschickt und sauber. Als wir das Wild dann wieder in sein eigenes Fell gewickelt hatten, setzten wir unsere unterbrochenen Nachforschungen fort. Auch hier fhrten Stufen hinauf, die aber von Ranken fast unwegsam gemacht worden waren. Zu beiden Seiten //189// dieser Stufen gab es je eine groáe Steintafel mit ziemlich wohlerhaltenen Meiáelarbeiten. Diese Tafeln waren jedenfalls erst dann angebracht worden, als das Bassin kein Wasser mehr hatte. Sie enthielten Abbildungen der Insel. Auf der ersten Tafel sahen wir eine m„nnliche Figur, welche hinaufsteigen wollte. Auf der zweiten erschien oben ein schreckliches Ungetm, welches diesen Khnen verschlang, noch ehe er hinaufgelangt war. Also eine Warnung, die Insel zu betreten! Warum das? Es schien hier also doch etwas vorhanden gewesen zu sein, was Niemand wissen durfte! Wir kletterten hinauf. Oben angekommen, sahen wir, vom Gebsch vollst„ndig berwuchert, ein kleines, niedriges Geb„ude, ungef„hr einer Feldw„chterhtte „hnlich, aber aus Steinplatten bestehend, sowohl die W„nde als auch das Dach. Gleich daneben hatte sich der B„r sein Lager hergerichtet gehabt. Drinnen h„tte er es wohl bequemer gehabt, aber er hatte nicht hineingekonnt, denn die Tr war zu. Sie ging in einer steinernen Standangel, die in den Platten selbst angebracht war. Wir ”ffneten. Die Htte war leer, vollst„ndig leer. Es konnten vier Personen da sitzen, mehr aber nicht. Fr wen war dieses H„uschen bestimmt gewesen? Etwa fr den Lauscher? Er saá hier versteckt und ungesehen. Auf der anderen Insel aber gab es weder ein solches H„uschen, noch verbergende Bsche. Er konnte also alles sehen; die aber, die er beobachtete, sahen ihn nicht. , Eine weitere Entdeckung war auch hier oben nicht zu machen, und zwar aus dem sehr triftigen Grund, weil es berhaupt weiter nichts gab. Wenn das Geheimnis, nach dem ich suchte, wirklich vorhanden war, so fuáte es ganz gewiá nicht auf scharfsinnigen, raffinierten Komplikationen, sondern auf der auáerordentlich schlichten //190// Anwendung eines h”chst einfachen Naturgesetzes. Ich war im h”chsten Grad gespannt, hielt aber meine Gedanken jetzt noch geheim. Doch z”gerte ich nicht, die entscheidende Probe zu machen. Ich bat meine Frau, mit dem "jungen Adler" nach der anderen Insel zurckzukehren und sich dort auf den groáen Stuhl der H„uptlinge zu setzen. "Wozu?" fragte sie. "Es gibt eine šberraschung, welche ich dir bereiten m”chte." "Eine gute?" "Ja, eine gute. Wenn es gelingt, wirst du dich freuen! Oder willst du dich lieber schlimm berraschen lassen? Das kann ich auch!" "Nein! Lieber gut! Aber, muá es denn sein?" "Ja! Ganz unbedingt!" "Du bist seit einiger Zeit so auáerordentlich geheimnisvoll! Hoffentlich ist das nur vorbergehend! Ich werde gehorchen." Sie entfernte sich mit dem Apatschen. Ich trat an den Rand der Insel und schaute ihnen nach. Ich sah sie beide ber den Platz gehen, indem sie miteinander sprachen, bis an die "Kanzel des Teufels". Sie stiegen hinauf. ich muá sagen, daá ich mich in groáer, sehr groáer Spannung befand. Ich lauschte. Da erklang, nicht vor mir, also von da her, wohin ich schaute, sondern hinter mir die muntere Stimme meiner Frau: "Er ruht nicht eher! Er wird es durchsetzen, hinter diese ,Ohr'- und ,Kanzel'-Sache zu kommen! Ich kenne ihn!" Sie standen jetzt beide oben auf der Insel. Ich hatte das, was meine Frau sagte, erst von dem Augen- //191// blicke [Augenblicke] an geh”rt, an dem sie auf der H”he der Kanzel erschienen waren. Ich sah sie stehen, aber nicht deutlich. Die Gesichter konnte ich nicht erkennen; dazu war die Entfernung zu groá. Auch die Arm- und Handbewegungen waren fr mich unsichtbar. Es trat nach dem letzten Wort eine Pause ein; dann h”rte ich das Herzle wieder: "Nein; ich habe keine Ahnung. Er hat ja noch keine Zeit gehabt, es mir zu sagen oder gar zu erkl„ren." Aus diesen Worten war zu schlieáen, daá der Apatsche auch Etwas gesagt hatte, was meinem Ohr aber entgangen war. Wahrscheinlich stand ich falsch, n„mlich so, daá mich die von seinem Munde ausgehenden Schallwellen nicht treffen konnten. Meine Frau war am Rand ihrer Insel stehengeblieben. So stand auch ich. Der "junge Adler" aber stand mehrere Schritte von ihr entfernt in der Mitte. Darum verlieá auch ich den Rand und ging nach der Mitte zu. Die lag hier bei mir allerdings grad da, wo das H„uschen stand, also tief im Gestr„uch, und es fragte sich also, ob dieses Gebsch die Schallwellen nicht auffangen und unh”rbar machen werde. Das geschah aber nicht. Denn kaum hatte ich das H„uschen erreicht, so h”rte ich meine Frau viel deutlicher als vorher: "Leider habe ich noch keinen gebraten. Ich muá mich da also ganz auf Euch verlassen. Sind die Tatzen wirklich das Beste? So delikat?" Ganz ebenso deutlich h”rte ich hierauf den jungen Apatschen antworten: "Ohne allen Zweifel! Es gibt berhaupt nichts Delikateres!" "Und mssen sie wirklich vorher solange liegen, bis sie Wrmer bekommen?" //192// "Eigentlich, ja." "Pfui!" "Warum pfui? Man entfernt die Wrmer. Man iát sie doch nicht mit!" "Aber sie waren doch da! Das ekelt!" "So wartet man nicht so lange!" Da machte ich mir den Spaá, mit lauter Stimme dazwischen zu rufen: "Auf keinen Fall! Man hat unbedingt zu warten, bis die Wrmer da sind! Dann werden die Tatzen gebraten; die Wrmer aber verfttert man an die Rotkehlchen und Nachtigallen!" Gleich sofort h”rte ich das Herzle lachend sagen: "Das ist mein Mann, der Schalk! Er ist uns nachgeschlichen. Wo steckt er denn?" Ich vermutete, daá sie sich nach mir umschaute. Sehen konnte ich sie nicht mehr. Darum rief ich: "Hier bin ich - hier!" "Wo denn?" fragte sie. "Hier oben! Bei Maksch Pappermann!" "Scherz! Sag es ernst!" "Nun gut: Ich sitze da auf dem n„chsten Baum!" "Nichts als Allotria! Nimm doch Verstand an, und sprich vernnftig!" "Ganz wie du willst! Der ,junge Adler' mag in seine linke Westentasche greifen. Da stecke ich!" "Uff, uff!" rief der Genannte. "jetzt weiá ich es, jetzt, jetzt!" "Was?" fragte sie. "Er ist gar nicht da, gar nicht hier! Seine Stimme klingt bald von oben, bald von unten, bald von rechts und bald von links. Er steht noch da, wo wir ihn ver- //193// lassen [verlassen] haben; aber er hat die F„higkeit entdeckt, uns seine Stimme bis hierher zuzusenden!" "Sollte das wirklich sein?" "Gewiá!" "Dann w„re das wohl die šberraschung, von welcher er sprach?" "Sehr wahrscheinlich. Ihr sagtet soeben, daá er nicht eher ruhen werde, als bis er hinter diese ,Ohr'- und ,Kanzel'-Sache gekommen sei. Nun kann er ruhen. Er hat es schon entdeckt!" Da sprach ich hinein: "Er hat Recht. Ich ruhe!" "Wo?" fragte sie. "Hier auf meiner Insel. Ich stehe vor dem H„uschen." "Wirklich? Oder foppst du noch immer?" "Nein. Jetzt bin ich ernst. Ich habe Bildung angenommen. Ich stehe wirklich hier am Inselh„uschen und h”re euch ebenso gut, wie ihr mich h”rt. Das ahnte ich. Ich werde euch den Sachverhalt erkl„ren. Ich schickte euch nach der andern Insel, um die Probe auf meine Vermutung zu machen. Sie ist gelungen. Sie stellt mich auáerordentlich zufrieden, wirklich auáerordentlich!" "Wenn das so ist, wie du sagst, so gleicht es fast einem Wunder!" rief sie aus. "Und ist doch ganz und gar kein Wunder, sondern nur die kluge, sorgf„ltige Anwendung eines einfachen Naturgesetzes." "Da k”nnen wir doch von da aus, wo du jetzt bist, die Verhandlungen der Indianer belauschen!" "ja! Vom Anfang bis zum Ende! In aller Gem„chlichkeit und Sicherheit! Denke dir!" "Horst du mich denn wirklich ganz deutlich?" //194// "Genauso, als ob du hier bei mir stndest!" "Ich dich ebenso!" "Sch”n! Aber machen wir trotzdem einmal eine Probe auf die St„rke oder Schw„che des Tones und auf den Punkt, auf dem man stehen muá, um ja kein Wort zu verfehlen!" Auch diese Probe gelang sehr gut. Nur was geflstert wurde, war nicht zu verstehen; es klang wie ein Hauch, der keine Worte hat. Und wenn man laut rief, so rollte es fast wie Donner. Man konnte fast darber erschrecken. Dabei ging die Deutlichkeit um einen Teil verloren, doch nur um einen sehr geringen. Aber Alles, was zwischen diesem Flstern und diesem Donnern lag, klang genauso, als ob man sich nicht an zwei so entfernten Punkten, sondern an einem und demselben Ort bef„nde. Schlieálich machte das vorsichtige und stets sichergehende Herzle den Vorschlag, unsere beiden Positionen einmal zu vertauschen. "Du kommst hierher nach meiner Insel, und ich komme nach der deinen," sagte sie. "Unterwegs treffen wir einander. Du aber legst irgend Etwas, was ich dir jetzt sage, in das H„uschen hinein, damit ich mich berzeuge, daá du dich jetzt wirklich dort befindest." "So glaubst du jetzt immer noch, ich scherze?" "Nein, denn hier bei uns bist du nicht, auch nicht in unserer N„he. Wir wrden dich sehen. Aber ich verstehe von Eurer Akustik und Euren Naturgesetzen so wenig, daá ich nur meinen Augen trauen kann, nicht aber der Wissenschaft oder gar deinem Schalk im Nacken!" "So sag, was soll ich herlegen? Meine Uhr, mein Messer?" //195// "Nein, sondern etwas Poetisches!" "Nun, was?" "Einen Liebesbrief!" "Oho! An wen?" "An mich natrlich. Es ist ja keine Andere da. Nimm also ein Blatt aus deinem Notizbuch, und schreibe darauf, was ich dir jetzt diktiere!" "Gut! Das Blatt ist da, der Bleistift auch. Nun sprich!" Sie diktierte Folgendes: "Mein teures Herzle! ich liebe Dich und bleibe Dir treu bis in den Tod. Zu Deinem n„chsten Geburtstag bekommst Du fnfzig Mark fr das Radebeuler Krankenhaus. Ich halte Wort und unterschreibe es mit meinem eigenen Namen!" "Nun unterschreib aber auch!" fgte sie hinzu. ".Ist hiermit geschehen!" meldete ich. "So komm!" Ich legte den Zettel in das H„uschen, stieg von meiner Insel hinunter und ging nach der ihrigen. Unterwegs trafen wir einander. Sie wollte mir wegen der fnfzig Mark einen triumphierenden Blick zuwerfen, brachte es aber nicht fertig. Sie reichte mir vielmehr die Hand, um sich zu bedanken, und ging dann mit dem "junger Adler" weiter. ich beeilte mich, schnell nach der anderen Insel zu kommen. Als dies geschehen war und ich dann oben stand, verhielt ich mich sehr still und lauschte. Da h”rte ich sie kommen. Sie sprachen miteinander. Kl„rchen ging sofort nach dem H„uschen. Ich h”rte sie sagen: "Da liegt das Blatt! Wirklich, wirklich!" Sie las es und fuhr dann fort: "Genauso, wie ich es diktierte! Es kann also kein Zweifel mehr sein - - -" //196// "O doch!" unterbrach ich sie schnell. "Ach, du bist auch schon dort?" fragte sie. "Ja." "Und zweifelst?" "Ganz bedeutend. Ich muá auch eine Probe machen, um mich zu berzeugen!" "Welche Probe?" "Du hast doch wohl auch deinen Bleistift bei dir?" "Ja." "So nimm mein Blatt, und schreibe auf die andere Seite, was ich dir jetzt diktiere!" "Sch”n! Ich habe das Blatt und den Stift. Es kann beginnen!" Ich diktierte: "Die gehorsamst Unterzeichnete gesteht hiermit vor der Staatsanwaltschaft des K”niglich S„chsischen Landgerichtes zu Dresden reumtig ein, daá sie sich auf der Devils pulpit des amerikanischen Staates Colorado einer raffinierten Erpressung von 50 Mark, sage und schreibe fnfzig Mark, schuldig gemacht hat und hierfr - - -" "Halt, halt! Nicht weiter!" fiel mir ihre Stimme in das Wort. "Ich habe meine Snden nur dir einzugestehen, nicht aber der Staatsanwaltschaft, die ich fr Alles, was auf der Teufelskanzel geschieht, fr v”llig inkompetent erkl„re. Deine fnfzig Mark geh”ren von jetzt an meinen Kranken; dabei hat es zu bleiben! Wenn es noch weiterer Proben bedarf, so mache andere, aber nicht solche!" "Ich verzichte!" "So komm, und bitte mir es ab! Was mich betrifft, so bedarf deine Entdeckung fr mich keiner weiteren Beweise." "So gehen wir jetzt, um nach unserem Lager zurck- //197// zukehren [zurckzukehren]. Ich komme nicht erst zu Euch, sondern wir treffen uns am Wasser, drauáen vor dem Kessel." Als ich dort ankam, waren sie noch nicht da. Es dauerte noch einige Zeit, ehe sie sich einstellten. "Wir muáten dich warten lassen," entschuldigte sich meine Frau. "Es galt doch, es dir so bequem wie m”glich zu machen." "Was?" "Deinen Lauscherposten, das H„uschen, in dem du dich doch wohl stundenlang oder wohl gar noch l„nger aufzuhalten haben wirst. Es muáte gereinigt werden. Dann haben wir trockenes Laub hineingeschafft, so viel, daá du es dir so behaglich machen kannst, wie die Verh„ltnisse es gestatten. Steigen wir jetzt nach oben?" "Ja. Aber nur wir zwei. Der ,junge Adler' kann hier bleiben und auf Pappermann warten, der den B„r zu holen hat. Das Tier ist zu schwer fr einen; es geh”ren Zwei dazu." Der Apatsche war einverstanden. Er legte sich in das Moos, um auf den alten Westmann zu warten; wir beiden Andern aber machten uns auf den Weg nach dem Lagerplatz hinauf. Dort angekommen, erfuhren wir, daá Pappermann uns vom Anfang bis zum Ende beobachtet hatte. Auch den Schuá hatte er geh”rt und sich gleich gedacht, daá er irgendeinem Wild gegolten habe. Aber was fr ein Wild das sei, das wuáte er nicht. Nun freute er sich darber, daá es ein B„r gewesen war, und machte sich schleunigst mit zwei Maultieren auf, um ihn zu holen. Da es der Sioux und der Utahs wegen galt, wachsam zu sein und der bisherige W„chter sich entfernt hatte, so berzeugte ich mich zun„chst, daá es den Pferden an //198// nichts mangelte, und dann kletterten wir nach unserem hochgelegenen Lauscherposten hinauf. Von da oben aus hatten wir die Ellipse der Devils pulpit so deutlich und so instruktiv unter uns liegen, daá es mir nicht schwer wurde, meiner Frau geometrisch nachzuweisen und zu erkl„ren, in welcher Weise es zustande kam, daá man an je einem Brennpunkt Alles, was an dem anderen gesprochen wurde, so deutlich h”ren konnte. Als dann der B„r gebracht wurde, bernahm der "junge Adler" die Wache hier oben, und wir stiegen wieder zum Zelt hinab, wo Pappermann dem Herzle ausfhrlich erkl„rte, wie man B„rentatzen einzuschnren und in die Erde zu graben hat, so daá sie schnell mrbe werden, ohne daá Maden und Wrmer sich einzustellen haben. Die Schinken wurden sorgf„ltig von allem Fett befreit, in Asche gew„lzt und dann auch eingeschnrt, um aufgehoben und mitgenommen zu werden. Die Vorderkeulen aber unterwarf der alte Westmann einer anderen, sehr anstrengenden Prozedur. Sie sollten zuerst verzehrt werden und wurden darum von ihm geklopft, wohl eine Stunde lang, mit einer kurzen, starken Keule, die er sich aus einem Ast schnitt. Ich aber suchte inzwischen die verschiedenen Kr„uter zusammen, welche ein jeder Kenner des "wilden" Westens fr unerl„álich h„lt, wenn er sich ber am Spieá oder unter heiáen Steinen gebratenes B„renfleisch lobend aussprechen soll. So hatte ein Jeder zu tun, das Herzle aber am allermeisten, denn sie buk heut auch Brot, gleich fr drei oder vier Tage, dazu einen leckeren Brombeerkuchen, zu dem die Beeren massenhaft in n„chster N„he unseres Zeltes standen. Hierdurch wurde die erste der von Trinidad mitgenommenen Mehlbchsen leer, und das Herzle beeilte sich, sie mit dem zerlassenen B„renfett zu fllen. B„renfett ist n„mlich im Westen ein sehr wichtiger //199// Artikel, der sehr vielfach zur Bentzung kommt und jeden Braten, sogar jedes Backwerk, wie Kenner behaupten, schmackhafter macht. Diese Wichtigkeit besaá er schon in alter, alter Zeit bei den Indianern, noch ehe die Weiáen kamen. Fast jede Stadt und jedes Dorf besaá einen besonderen Stall oder Zwinger, in welchem B„ren gezchtet, gefttert und gem„stet wurden, um dann geschlachtet zu werden. Auch das ist einer jener Punkte, welche denen, die ber die rote Rasse schreiben, ohne die hierzu n”tigen Kenntnisse zu besitzen, noch v”llig unbekannt sind. Die Vergangenheit der Indianer ist eben eine ganz andere, als man denkt! Die Sioux kamen heute und auch morgen noch nicht. Wir, n„mlich der "junge Adler" und ich, benutzten diese freie Zeit, den Wortschatz, den meine Frau aus der Sprache und der Ausdrucksweise der Apatschen besaá, m”glichst zu vermehren. Sie hatte den Wunsch, besonders Kolma Putschi damit zu erfreuen. Erst am dritten Tag stellten sich die Erwarteten ein, und zwar gegen Abend. Wir sahen sie schon von weit drauáen herkommen, ber einen fernliegenden, kahlen Bergesrcken. Sie ritten einzeln hintereinander, im sogenannten G„nsemarsch, ganz so, wie es frher geschah, als man den Westen noch als "wild" bezeichnete. In jener Zeit aber h„tten sie sich gewiá sehr gehtet, ihren Weg ber diesen nackten Berg zu nehmen, der ihnen sowenig Deckung bot, daá man sie sofort entdecken muáte. Da es sich um keinen Kriegszug handelte, wenigstens jetzt noch nicht, so waren sie noch nicht mit den Farben des Krieges bemalt, an denen es m”glich ist, die St„mme und Nationen genau voneinander zu unterscheiden. Dennoch gab es einige Kennzeichen, besonders in Beziehung auf ihre Lanzen und beson- //200// ders [besonders] auf die Anschirrung, Ausschmckung und Halfterung ihrer Pferde, aus denen ich ersah, daá wir es da mit Utah-Indianern zu tun hatten, und zwar in sehr gemischter Zusammensetzung. Wir sahen - um mich eines gebr„uchlichen Ausdruckes zu bedienen - wilde, halbwilde und zahme Utahs. Sie geh”rten zu den Unterabteilungen der Pah-Utahs, der Tehsch-Utahs, der Kapote-, Wihminutsch- und Elkmountain-Utahs, der Yamba-, Pahwang- und sogar der Sempisch-Utahs. Unter den Kapote-Utahs sah ich einen alten, grauk”pfigen H„uptling, bei dessen Anblick ich an Tusahga Saritsch*) denken muáte, von dem ich im dritten Bande von "Old Surehand" erz„hlt habe. Ich bitte, das nachzulesen. Aber die Entfernung war leider so groá, daá ich die Gesichtszge nicht deutlich erkennen konnte. Sp„ter stellte es sich heraus, daá ich mich nicht geirrt hatte; es war Tusahga Saritsch, der mir bekannte H„uptling der Kapote-Utahs, der sich damals nur notgedrungen mit uns auss”hnte, jetzt aber, wo er am Rande des Grabes stand, wieder zu unseren Feinden geh”rte. Als diese Utahs den Felsenkessel erreichten, ersahen wir aus ihrem Verhalten, daá dieser Ort auch fr sie ein heiliger war. Sie betraten ihn nur mit Scheu. Sie brachten sich sogar Feuerholz mit, um die B„ume und Str„ucher der Devils pulpit schonen zu k”nnen. Und sie bleiben nur im westlichen Teil; den ”stlichen, wo wir den B„ren erschossen hatten, wagten sie nicht zu betreten. Und, was fr uns das wichtigste war, sie umlagerten die Teufelskanzel nur im weiten Kreis. Keiner nahte sich ihr, und noch viel weniger hatte Einer von ihnen den Mut, sie zu ersteigen. Die Verhandlungen und Beratungen be- _____________ *) Utah-Sprache: Schwarzer Hund //201// gannen [begannen] jedenfalls erst nach dem Eintreffen der Sioux. Dann befanden sich "verschiedene Nationen" beisammen, und hierauf erst war es erlaubt, die Kanzel zum Zweck der Diskussion zu betreten. Was dann besprochen wurde, das wollten wir h”ren, Unwichtiges aber nicht. Darum verzichteten wir darauf, uns jetzt schon anzuschleichen und um bloáer Neugierde willen uns in die Gefahr zu begeben, entdeckt zu werden, ohne daá wir irgendeinen Nutzen davon hatten. Wir blieben also in unserem Lager und nahmen uns vor, recht auszuschlafen, weil wir nicht wissen konnten, ob wir hierzu so bald wieder Gelegenheit hatten. Am Abend sahen wir unten einige Feuer brennen, die aber so klein waren, daá sie fr uns nicht ausreichten, die Gestalten der an ihnen sitzenden Indianer zu erkennen. Auch still ging es da unten zu, auáerordentlich still. Es gab keinen Laut, der bis herauf in unsere H”he drang. Wir schliefen gut. Nichts st”rte unsere Ruhe. Der n„chste Tag verging, ohne daá die Sioux kamen. Aber am darauffolgenden Morgen sahen wir, daá die ausgestellten Posten sich einstellten, um das Erscheinen der Erwarteten zu melden. Diese kamen genauso im G„nsemarsch wie vorgestern die Utahs. Voran ritt ein sehr alter, sehr langer und sehr hagerer H„uptling, der sein Pferd von zwei gew”hnlichen Indianern fhren lieá, daá es ja keinen Fehltritt tue. Er schien also nicht mehr gut bei Kr„ften zu sein. Daá er trotzdem einen so weiten Ritt unternahm, lieá darauf schlieáen, daá der Gedanke, der ihn jetzt nach dem Sden fhrte, ihn innerlich fanatisierte. Er wurde von den Utahs mit groáer Achtung empfangen. Als man ihn vom Pferd gehoben hatte, sah man erst, wie berm„chtig lang und schmal und dnn er war. W„re es nicht Lichter Tag gewesen, so h„tte //202// man ihn fr ein Gespenst halten k”nnen. Das war, wie ich dann bald feststellte, Kiktahan Schonka, der "wachende Hund", welcher den Apatschen und allen ihren Freunden den Untergang geschworen hatte. Man breitete fr ihn einige weiche Decken gegenber dem Utah-H„uptling Tusahga Saritsch aus und setzte ihn wie ein Kind da nieder. Hinter ihm wurden einige Pf„hle eingeschlagen, damit er sich daran lehnen m”ge. In solchen menschlichen Ruinen pflegen Haá und Rachgier sich l„nger zu erhalten als in gesunden, widerstandsf„higen Personen. Nun war es Zeit fr uns, unsern Lauscherposten zu beziehen. Das Herzle w„re gar zu gern mitgegangen, sie konnte mir aber nichts ntzen, sondern mich nur hindern. Pappermann verzichtete darauf, mich zu begleiten. "Was soll ich da unten?" fragte er. "Wer die Indsmen belauschen will, muá ihre Sprache besser, viel besser kennen als ich. Ich heiáe zwar Maksch Pappermann und bin mit dem Gewehr in der Hand wohl kein unebener Kerl; aber grad da, wo die Sprachen und Dialekte anfangen, da h”rt meine Klugheit auf, vollst„ndig auf! Ich bleibe also hier oben bei unserer Mrs. Burton und lasse mir von ihr einen neuen Brombeerkuchen backen. Oder nicht?" Sie nickte. So stieg ich also mit dem "jungen Adler" durch den Wald den Berg hinab. Wir nahmen unsere Gewehre mit, um fr alle F„lle auch eine weittragende Waffe in der Hand zu haben. Es versteht sich ganz von selbst, daá wir alle Vorsicht anwendeten, keine Spuren zu machen und nicht gesehen zu werden. Denn morgen war der Tag, den die beiden Sander uns bezeichnet hatten. Da kamen sie wahrscheinlich hier an. Es war aber auch m”glich, daá sie sich eher einstellten und sich heimlich hier herum //203// trieben [herumtrieben], um die Indianer zu belauschen, bevor sie sich von ihnen sehen lieáen. Wir stiegen also nur an solchen Stellen hinab, die jeder Andere vermieden h„tte, und taten, wie wir dann sp„ter bemerkten, sehr wohl daran. Unten angekommen, drangen wir sofort in das tiefste Dickicht ein, um so schnell wie m”glich zu verschwinden. Als wir unsern Lauscherposten und unser kleines Inselh„uschen erreicht hatten, sah ich, daá meine Frau uns da allerdings eine sehr bequeme Gelegenheit zum Sitzen und auch Liegen geschaffen hatte. Zun„chst aber machten wir davon noch keinen Gebrauch, weil wir nun doch nahe genug waren, um uns die Roten betrachten zu k”nnen, wenn auch nicht mit den bloáen Augen, so aber doch durch mein Fernglas, welches ich mitgebracht hatte. Wir z„hlten genau vierzig Utahs und vierzig Sioux. Diese Zahl schien also vorher bestimmt worden zu sein. jedenfalls handelte es sich nur um die Ober- und Unteranfhrer. Die gew”hnlichen Krieger, also die eigentlichen Truppen, von denen die Apatschen angegriffen werden sollten, waren nicht ganz bis hierher mitgenommen worden. Die beiden obersten H„uptlinge habe ich schon genannt. Auáer ihnen gab es fnf Unterh„uptlinge der Sioux und fnf Unterh„uptlinge der Utahs. Die šbrigen waren Leute, die sich in irgendeiner Weise hervorgetan hatten und darum das Vertrauen der Anfhrer besaáen. Was mir auffiel, das war, daá man nicht die Friedenspfeife sofort und allgemein im Kreis herumgehen lieá. Man hatte sich in ganz gew”hnlicher Weise begrát und setzte sich dann zun„chst zum Essen und zum Ausruhen nieder. Ich beobachtete vor allen Dingen Kiktahan Schonka und Tusahga Saritsch. Die Andern gingen mich jetzt weniger an. Den Letzteren erkannte ich, als ich mein Glas auf ihn richtete, sofort wieder. Er war alt, sehr //204// alt geworden, viel „lter als seine Jahre, und auáerordentlich runzelig. Solche Leute befinden sich ja nicht im Besitz der Seelenkraft, die auch „uáerlich jung erh„lt. Der Letztere hatte eine frchterlich hervorstehende, sehr schmale und, fast m”chte ich sagen, messerscharfe Nase, einen auáerordentlich breiten Mund mit gar keinen Lippen, tief in ihren H”hlen liegende Augen und eine falsche, aus lauter Skalpen zusammengesetzte Percke. Man soll ja nicht unlieb ber seine Nebenmenschen urteilen, aber wenn ich ehrlich sein will, muá ich sagen, daá dieser Indsman mir gleich bei dem ersten Blick, den ich auf ihn warf, auáerordentlich widerlich erschien. Das Essen dauerte ziemlich lange, wohl ber zwei volle Stunden. Dann begaben sich die H„uptlinge hinauf auf die Kanzel. Kiktahan Schonka konnte die Stufen nicht ersteigen. Er wurde mit Hilfe von Lassos gezogen und von unten nachgeschoben, bis er oben war. Von diesem Augenblick an begannen wir, zu h”ren. Die Friedenspfeifen wurden angezndet. Der Oberh„uptling der Utah stand auf, blies den Rauch nach den sechs Richtungen und hielt die erste Rede. Der Oberh„uptling der Sioux konnte sich nicht erheben; aber er wiederholte dieselben St”áe des Rauches und sprach sodann im Sitzen. Die Unterh„uptlinge folgten diesem Beispiel einer nach dem andern. Wenn ich diese zw”lf Reden hier wiedergeben wollte, máte ich fast einen ganzen Tag lang schreiben, um mit ihnen fertigzuwerden. Und doch bildeten sie nur die Einleitung zu den Verhandlungen, die gepflogen werden sollten. Man hatte hierfr drei volle Tage angesetzt, die wir also hier bei oder in der Htte verbringen muáten, um ja nichts zu vers„umen. Davor graute mir schon im voraus! Glcklicherweise aber stellte sich sehr bald eine triftige Veranlassung ein, //205// diese lange Zeit derartig abzukrzen, daá aus den drei Tagen nur drei Stunden wurden, und diese Veranlassung - - - die war ich selbst! Aber interessant, hochinteressant waren diese zw”lf Reden, das darf ich gestehen. Sie begannen alle mit der Versicherung, daá die Apatschen und die mit ihnen verbndeten Nationen die niedertr„chtigsten Menschen seien, die man sich denken k”nne, daá aber der Gipfel dieser Niedertr„chtigkeit nur von Winnetou und Old Shatterhand, seinem Freunde, erreicht worden sei. Und diesem Winnetou solle jetzt ein Denkmal gesetzt werden! Auf dem Berge, der nach seinem Namen benannt worden ist! Ein Denkmal von purem, gl„nzendem Gold! Und dieses Gold haben alle, alle St„mme der Indianer zu liefern! Aus all den Bonanzen, Lagern und Nuggetverstecken, die man den Bleichgesichtern jahrhundertelang so sorgf„ltig verheimlicht habe! Da k„me das Gold ja viele, viele Zentner schwer zusammen! Fr diesen einen, ver„chtlichen Menschen, den man nie anders genannt habe als nur den Hund, den Coyoten, den Pimo, den Apatschen! Und von wem soll dieses Denkmal gefertigt werden? Von einem Bildhauer und von einem Maler! Von Young Surehand und Young Apanatschka, deren V„ter Verr„ter an der ganzen roten Rasse und nichtswrdige Gesch”pfe der Bleichgesichter waren! Dieses Denkmal ist jetzt einstweilen auf Leinwand gemalt und aus Thon zusammengeklebt. Es wird am Mount Winnetou ausgestellt, und die H„uptlinge, die berhmtesten M„nner und Frauen aller roten Nationen sind eingeladen, sich dort einzustellen, um diese Figuren und Bilder zu sehen! Sogar Old Shatterhand wurde eingeladen, der r„udige Hund! Diese wahnsinnige Ueberhebung der Apatschen muá //206// verhindert werden! Sie mssen erfahren, daá man wohl einem Utah- oder einem Siouxkrieger ein goldenes Denkmal setzen kann, nicht aber einem klaffenden K”ter vom Rio Pecos her! Das Wann und das Wie zu beraten, sei man hier an der "Kanzel des Teufels" zusammengekommen. Und was da beschlossen werde, das habe man auszufahren, und wenn die ganze indianische Rasse dabei vollends zugrunde gehe! So weit war man gekommen; da trat eine St”rung ein, die nicht nur von den Roten, sondern auch von uns beiden gesehen wurde. Sie kam in Gestalt eines Menschen am Bach dahergeschritten, und dieser Mensch war kein anderer als Sebulon L. Enters. Er hatte Sporen an den Stiefeln, war aber ohne Pferd. Er trug ein Gewehr und war genauso ausgerstet, wie noch vor dreiáig Jahren ein Westmann ausgerstet zu sein pflegte. Die Sioux kannten ihn. Sie hinderten ihn nicht, heranzukommen. Sie fhrten ihn nach der Kanzel. Er muáte hinaufsteigen. Das sahen wir. Und nun h”rten wir auch wieder Stimmen. "Wer ist dieses Bleichgesicht?" fragte Tusahga Saritsch. "Ein Mann, den ich kenne," antwortete Kiktahan Schonka. "Ich habe ihn an die ,Kanzel des Teufels' bestellt. Er sollte erst morgen kommen. Warum kommt er schon heut?" Diese Frage war an Sebulon gerichtet. Sie klang gar nicht etwa h”flich. Der Indianer pflegt den Weiáen, den er als Spion gebraucht, stets nur ver„chtlich zu behandeln. Sebulon antwortete. "Ich muáte mich beeilen, so bald wie m”glich hierherzukommen, um euch zu warnen." "Vor wem?" //207// "Vor eurem „rgsten Feind, vor Old Shatterhand." "Uff, uff, uff, uff!" ert”nte es rund im Kreise, und auch Kiktahan Schonka selbst rief aus: "Uff, uff! Old Shatterhand! Vor ihm warnen! Warum?" "Er kommt hierher." "Uff, Uff! Woher weiát du das?" "Er sagte es." "Wem?" "Mir." "So sahst du ihn wohl?" "Ja." "Und sprachst mit ihm?" "Ja." "Wo?" "Am fallenden Wasser des Niagara." "Uff! Wir wissen, daá er kommen soll. Aber daá er schon gekommen ist, das wuáten wir noch nicht. Und er kommt nach der Devils pulpit? " "Ja." "Was will er hier?" "Euch belauschen." "Uff, Uff! Das klingt ja, als ob er wáte, daá wir hierherkommen, und was wir hier wollen!" "Er weiá es." "Von wem?" "Das sagte er nicht. Er reiste ab. Wir folgten hinterher. Wir trafen in Trinidad seine Spur. Er ist dort wieder fort, wahrscheinlich geraden Weges hierher." "Uff, uff, uff, uff!" ging es wieder rund im Kreise, und Kiktahan Schonka rief zornig aus: "Ist dieser Hund denn noch nicht alt genug, die Sch„rfe des Auges, der Ohren und der Nase zu ver- //208// lieren [verlieren]? Konnte er nicht drben, jenseits des groáen Wassers, in seinem stinkenden Wigwam bleiben?" "Und seine Frau mit ihm!" fgte Sebulon hinzu. "Seine Squaw, sagst du? - Hat er sie mit?" "Ja." "Wirklich? Ist das wahr?" "Natrlich! Ich sage es doch!" "Sie war mit am Fall des Niagara?" "Ja. Und auch in Trinidad war sie bei ihm. Wir h”rten es, als wir hinkamen und uns erkundigten." "Uff, Uff! Das ist ein gutes Zeichen, ein sehr gutes Zeichen fr uns! Sein Kopf ist schwach geworden! Er ist ein Greis, ein schwach gewordener Greis! Wer seine Squaw mit sich ber das Wasser und nach dem Wilden Westen schleppt, der ist verrckt, der kann keinem Menschen mehr etwas schaden. Er mag immerhin kommen. Wir frchten ihn nicht. Er kommt an den Marterpfahl, und sein Weib mache ich zu meiner Squaw!" Da fiel Tusahga Saritsch, der Oberh„uptling der Utahs, ein: "Mein Bruder spreche nicht zu schnell! Old Shatterhand kennt seine Squaw; du aber kennst sie nicht. Wenn er sie mitgenommen hat, so weiá er ganz bestimmt, daá er dies wagen darf, ohne daá er sich damit schadet. Er mag alt geworden sein; aber so hat er doch immer nur erst das Alter erreicht, in dem man weise und doppelt vorsichtig und bedenklich wird, nicht aber das, in dem gew”hnliche Menschen kindisch zu werden pflegen. Es ist wohl m”glich, daá wir ihn jetzt noch mehr zu frchten haben als frher, da er ber dreiáig Sommer junger war!" "Und er ist nicht allein!" stimmte Sebulon bei. "Wer ist bei ihm?" fragte Kiktahan Schonka. //209// "Ein alter, erfahrener Westmann, namens Max Pappermann." "Uff! Ich habe von einem geh”rt, der so heiát. Die H„lfte seines Gesichtes ist blau." "Das ist er!" "Dieser, dieser! Er hat meinem gr”áten Gegner im eigenen Stamme, dem Siou Wakon, das Leben gerettet. M”ge der b”se Geist ihn vernichten! Er ist tapfer und listig zugleich. Wenn er bei Old Shatterhand ist, so haben wir ihn zu frchten!" "Und noch ein Anderer ist bei ihm," fuhr Sebulon fort. "N„mlich ein junger Mescalero-Apatsche, welcher der ,Junge Adler' heiát." "Etwa der ,junge Adler', der zu den Bleichgesichtern ging, um fliegen zu lernen?" "Daá weiá ich nicht. Aber ich h”rte in Trinidad, er sei vier Jahre lang bei den Bleichgesichtern gewesen und kehre jetzt zu seinem Stamm zurck." "So ist er es! Er ist ein Schler Wakons. Er schickt ihm viele Briefe und bekommt viele Antworten darauf. Er ist einer der Ersten unter denen, die sich Jungindianer nennen und von weiter nichts als von Humanit„t und Bildung, von Vers”hnung und Liebe reden. Und er ist auch einer der ersten vom Clan Winnetou. Er soll berhaupt ein Blutsverwandter von Winnetou sein. Wenn er sich bei Old Shatterhand befindet, so mssen wir uns alle Mhe geben, diese drei M„nner und die Squaw in unsere H„nde zu bekommen. Wo hast du dein Pferd?" "Jenseits des Berges bei meinem Bruder," antwortete Sebulon. "Er blieb bei den Pferden zurck. Ich aber schlich mich zu Fuá hierher, um nach Spuren zu suchen und die Gegend zu erkunden." //210// "Welchen Weg von Trinidad aus schluget ihr ein?" "Wir kamen ber den Kanubisee." "Habt Ihr auf diesem Weg Spuren von Old Shatterhand gefunden?" "Kein. Aber Spuren vieler Weiber, die am See gelagert haben." "Das waren die verfhrten Frauen unseres eigenen Stammes, die sich ,Jungindianerinnen' nennen. Sie ziehen auch nach dem Mount Winnetou, um das Denkmal zu sehen und ihre Nuggets dafr hinzugeben. Wir k”nnen sie nicht hindern, das zu tun; aber wir werden die Apatschen dafr bestrafen. Hat Old Shatterhand von dem Mount Winnetou gesprochen?" "Nein" "Auch nicht von dem Weg, den er einschlagen will?" "Auch nicht. Wir erfuhren nur, daá er beabsichtigte, nach der Devils pulpit zu gehen, um Kiktahan Schonka, den H„uptling der Sioux, dort zu sehen." "So ist er immer noch der unermdliche, listige Sp„her, der er immer war! Aber dem Marterpfahl, dem er so oft entgangen ist, dem entkommt er dieses Mal nicht. Wenn er sich n„hert, kann er nur da von der ”stlichen H”he kommen, von welcher wohl auch du gekommen bist?" "Ja" "Ich werde sofort die ganze Umgebung hier durchsuchen lassen. Du aber kehre zurck zu deinem Bruder, und bringe ihn her! Die Beratung ist unterbrochen, bis wir uns berzeugt haben, daá Old Shatterhand sich nicht in der N„he befindet." Sebulon L. Enters entfernte sich. Wir sahen ihn nach dem Weg zurckgehen, den er gekommen war. Es //211// war der unsrige. Wie gut also, daá wir so vorsichtig gewesen waren, erkennbare Spuren zu vermeiden. Auch Tusahga Saritsch verlieá mit s„mtlichen Unterh„uptlingen die Kanzel. Sie stiegen hinab, um sich alle an der Nachforschung nach uns zu beteiligen. Nur Kiktahan Schonka allein blieb zurck. Es schlichen sich also vierzig Sioux und vierzig Utahs von dannen, um nach uns zu suchen. Das war keine Kleinigkeit. Zwar traute ich weder Pappermann noch meiner Frau die Unvorsichtigkeit zu, ihr Versteck w„hrend unserer Abwesenheit zu verlassen, aber der kleinste und geringste Umstand konnte Veranlassung zu der Entdeckung werden, daá ein verborgener Pfad aus dem stillen Weiher noch weiter fhrte. Und was uns beide selbst betraf, so durften wir uns keineswegs so sicher fhlen, daá jede Entdeckung ausgeschlossen war. Es brauchte unter den achtzig Indianern nur ein einziger zu sein, der keine Angst vor dem "b”sen Geiste" hatte und sich nicht scheute, in den ”stlichen Teil der Ellipse einzudringen, so muáte er unsere Spuren unbedingt sehen. Es war notwendig, meinem Gef„hrten zu sagen, was in diesem Fall zu geschehen hatte. Wir hatten bisher nur immer englisch mit ihm gesprochen, aus dem einfachen Grund, weil meine Frau berhaupt keinen indianischen Dialekt verstand und auch Pappermann sich h”chstens nur im halb englischen, halb indianischen Slang auszudrcken vermochte. Nun aber, da wir allein waren, konnte ich dem "jungen Adler" die Freude machen, seine Muttersprache zu h”ren. "Hat mein junger Bruder Alles verstanden, was gesprochen wurde?" fragte ich ihn. "Ich h”rte Alles", antwortete er. "Weiá er, daá nun hundert und ein halbes hundert Augen nach uns suchen?" //212// "Ich weiá es." "Glaubst du, daá man uns findet?" "Nein." "Ich ebenso. Aber ein vorsichtiger Krieger hat sich auf Alles vorzubereiten. Es sind zwei F„lle zu bedenken. Weiá mein junger Bruder, welche ich meine?" "Ja." "So sage sie!" "Man kann uns hier entdecken, und man kann unser Lager da oben entdecken." "Ganz richtig! Es ist also n”tig, zu wissen, wie wir uns in beiden F„llen zu verhalten haben. Sollte man uns hier finden, so w„re es eine unverzeihliche Torheit, hinauf zu Pappermann und meiner Squaw zu fliehen und uns von den Utahs und Sioux belagern zu lassen. Mein junger Bruder h„tte sofort hinaufzueilen und beide mit den Pferden und Maultieren herauszuschaffen. Ich aber wrde die Roten mit meinem Stutzen inzwischen im Zaum halten. Der Ausgang aus diesem Kessel ist eng. Es k„me keiner von ihnen hinaus, ohne von meiner Kugel getroffen zu werden." "Und wenn man nicht uns, aber unser Lager entdeckt?" fragte er. "So h„tte ich auch da keine Sorge. Pappermann h„lt doch Wache. Er hat unbedingt gesehen, daá alle Roten sich pl”tzlich entfernten, daá sie nachforschen gegangen sind. Er wird sich also mit seinem Gewehr am Weiher verstecken und aufpassen. Auch der dortige Ein- und Ausgang ist sehr eng. Es genagt ein einziger Mann, ein ganzes Heer zurckzuweisen. Und wir beide k„men den Indsmen dann in den Rcken. Wir haben also nicht den geringsten Grund, besorgt zu sein. Warten wir darum ruhig ab, was geschieht!" //213// Es dauerte ber eine Stunde, ehe der erste Indianer zurckkehrte. Ihm folgten nach und nach auch die andern. Man hatte nichts gefunden. Aber man fhlte sich nun zu gr”áerer Vorsicht veranlaát. Man stellte W„chter aus, allerdings zu sp„t. Leider aber standen sie auch da, wo wir unbedingt vorber muáten, wenn wir uns entfernen wollten. Dann kamen die beiden "Enters" geritten. Da wurde mit der Beratung wieder begonnen. Die H„uptlinge stiegen wieder auf die Kanzel. Sie sprachen aber nicht laut, sondern so, daá wir ihre Stimmen nur als unterdrcktes Gemurmel vernahmen, jedenfalls der beiden Weiáen wegen, die man ausnutzen wollte, ohne sie in das Vertrauen zu ziehen. Als man dann bereingekommen war, welchen Auftrag sie auszufhren hatten, lieá man sie auf die Kanzel kommen, und Kiktahan Schonka fragte sie in seinem bereits angedeuteten, nicht sehr achtungsvollen Tone: "Ihr wiát noch ganz genau, was ich mit euch besprochen habe?" "Ganz genau," antwortete Sebulon, der berhaupt das Wort fr sich und seinen Bruder zu fhren schien. "Und seid ihr noch heut bereit, die Bedingungen, welche zwischen euch und uns vereinbart wurden, zu erfllen?" "Ja, noch heut." "So komrnt eine neue Aufgabe fr euch dazu, n„mlich uns Old Shatterhand und seine Squaw in die H„nde zu treiben. Seid ihr bereit dazu?" "Nur dann, wenn es lohnt." "Es lohnt!" "Was zahlt ihr fr sie und ihn?" "Viel, sehr viel! Doch ist es heut noch nicht Zeit, //214// ber diesen Preis zu reden. Wenn wir ihn selbst fangen, bezahlen wir euch natrlich nichts. Wir bleiben noch drei volle Tage hier und passen auf. Kommt er, so entgeht er uns sicherlich nicht; wir nehmen ihn fest. Dafr bekommt ihr nichts. Aber da er Trinidad schon vor euch verlassen hat und noch immer nicht da ist, so sind wir berzeugt, daá er seinen Plan ge„ndert hat und gar nicht nach der Devils pulpit geritten ist. Er ist vielmehr am Kanubisee auf unsere Squaws getroffen, die ja so wahnsinnig sind, fr ihn und Winnetou zu schw„rmen, und da hat es dem alten Mann wohlgetan, von den Weibern sich preisen und anbeten zu lassen. Er ist mit ihnen gezogen." "Das ist m”glich, sehr leicht m”glich," sagte Sebulon schnell. "Wir sahen n„mlich auch einige M„nnerspuren." "Das gengt! Er ist es gewesen. Und nun ist es an euch, nach dem Preise zu ringen, den wir auf seine Ergreifung setzen. Glcklicherweise kennen wir das n„chste Ziel, nach dem diese Frauen jetzt reiten. Es ist n„mlich der Tavuntsit-Payah*). Kennt Ihr ihn?" "Nein." "Mein berhmter Bruder Tusahga Saritsch kennt ihn sehr genau und wird euch den Weg dorthin sofort beschreiben." Auch ich hatte von einem Tavuntsit-Payah noch nie geh”rt und paáte also scharf auf, um mir jetzt kein Wort entgehen zu lassen. Der Oberh„uptling begann die Beschreibung des dorthin fhrenden Weges. Er war sehr ausfhrlich dabei, und man denke sich meine šberraschung und meine Freude, als ich am Schluá erkannte, daá dieser Tavuntsit-Payah kein anderer Berg war als mein ________________ *)Utahsprache: Der Fuchsberg //215// Nugget-tsil, nach dem auch wir ja wollten! Die Brder Enters machten sich einige Bemerkungen in ihre Notizbcher; dann fuhr Kiktahan Schonka fort: "Ihr reitet also dorthin, um euch an Old Shatterhand zu h„ngen, und laát ihn nicht wieder los. Getraut ihr euch, dies zu erreichen?" "Ganz gewiá! Aber wie bringen wir ihn euch? Wann und wohin? Und wird er uns gutwillig folgen?" "Er wird. Ist euch der Name Pa-wiconte*) bekannt?" "Nein." "Dorthin ziehen wir von hier aus, um uns mit den Komantschen und Kiowas gegen die Apatschen zu vereinigen. Ihr sollt ihm das nicht etwa verraten, sondern ihr sollt ihm nur sagen, daá, wie ihr erfahren habt, die Kiowas und die Komantschen sich dort versammeln. Seine ungeheure und unbez„hmbare Neugierde wird ihn verfuhren' dorthin zu reiten, um sich anzuschleichen und uns zu belauschen. Dabei ergreifen wir ihn." "Und unser Lohn?" "Den besprechen wir, wenn ihr kommt und uns meldet, daá er nahe." "Und wenn wir nicht einig mit euch werden?" "So braucht ihr ihn doch nur zu warnen, dann bekommen wir ihn nicht!" "Warum sagt ihr uns nicht schon heut den Preis?" "Weil wir heut noch gar nicht wissen, womit wir ihn sp„ter zahlen k”nnen, ob in Tieren, ob in Nuggets oder in Waren, Waffen und Sachen, die wir erbeuten. Glaubt ihr uns etwa nicht?" "Wir glauben euch." _________________ *) Siouxsprache: Wasser des Todes //216// "So seid ihr jetzt entlassen und k”nnt gehen. Wir raten euch, keine Stunde zu vers„umen, um Old Shatterhand so bald wie m”glich einzuholen. je schneller und gewissenhafter ihr verfahrt, desto sicherer ist der Erfolg und desto gr”áer wird der Lohn." Sie stiegen von der "Kanzel" hinab und gingen zu ihren Pferden. Hariman F. Enters hatte w„hrend der ganzen Zeit kein einziges Wort gesagt. Die H„uptlinge schwiegen, bis sie die beiden fortreiten sahen. Dann sagte der Oberh„uptling der Utahs nur das eine Wort: "Schufte!" "Schurken!" fgte Kiktahan Schonka hinzu. "Sie sind nicht des Anspeiens wert! Glaubt mein Bruder etwa, daá sie fr ihren Verrat auch nur soviel bekommen werden, wie ein Grashalm oder eine ausgeraufte Vogelfeder wert ist?" "Und das ganze, groáe Gesch„ft, welches sie mit euch und uns machen wollen - - - ?" fragte Tusahga Saritsch. "Wird ihnen nicht ein einziges Pferdehaar einbringen," lachte der alte Sioux. "Sie zahlen den Preis; wir aber behalten, was wir haben. Ist mein roter Bruder einverstanden?" "Ja. Mein Bruder ist sehr klug!" " Pshaw! Es geh”rt keine Klugheit dazu, ein Bleichgesicht zu betrgen!" "Aber die Verr„ter werden fordern, daá wir unser Versprechen halten und ihnen den Preis zahlen." "Das werden sie nicht. Wer nicht mehr lebt, kann keine Forderung stellen. Ist mein roter Bruder auch hiermit einverstanden?" "Ja." "Und die Andern auch?" //217// "Ja, ja, ja, ja - - - !" rief es rund im Kreise. Da konnte ich mich nicht halten; ich rief mit lauter Stimme ganz dasselbe Wort: "Schufte!" Es folgte eine tiefe Stille. Dann h”rte ich: "Uff, uff --uff, uff! Wer war das? Was war das? Woher kam das?" Ich legte das Glas an die Augen und sah, daá sie die K”pfe bewegten und nach allen Seiten schauten. "Schurken!" fgte ich ebenso laut hinzu. Wieder tiefe Stille. Aber ich sah, daá sie sich von ihren Sitzen erhoben, Einer nach dem Andern. Sogar der ewig lange Kiktahan Schonka stand auf. "Auch ihr seid nicht des Anspeiens wert!" fuhr ich fort. Abermals tiefe Stille. Dann h”rten wir die halblaute, hastige Stimme des alten, langen Siou: "Uff, Uff! Das ist kein Mensch!" "Kein Mensch!" stimmte Tusahga Saritsch bei. "Weiá mein roter Bruder, was man in alten Wampums ber die ,Kanzel des Teufels', auf der wir uns befinden, lesen kann!" "Ja." "Daá hier der gute Geist Alles h”rt, was der b”se Geist spricht?" "Ja." "Und ihn dafr bestraft?" "Sogar sehr streng, sehr streng! Meist mit dem Tod!" "Ob er es war, der jetzt sprach, der gute Geist? Was ist zu tun? Ich bleibe nicht hier!" "Ich auch nicht!" "Fort mit euch!" gebot ich ihnen. "Fort, fort!" Das wirkte sofort. Sie rannten und sprangen alle //218// spornstreichs die Stufen hinab. Nur Kiktahan Schonka konnte das nicht. Und doch war grad er derjenige, der sich am allermeisten frchtete. "Helft mir; helft mir!" brllte er. "Ich will hinunter, ich auch, ich auch! " Aber die H„uptlinge hatten es sehr eilig. Sie halfen ihm nicht. Es muáten einige Andere kommen, um ihren Allerobersten hinunterzuschaffen. Dabei verlor er die Skalppercke. Er achtete gar nicht darauf. Sie muáte hinter ihm hergetragen werden, bis er sein Pferd erreichte. Da setzte er sie auf und erteilte den Befehl, sofort von hier aufzubrechen und die Devils pulpit zu verlassen, deren Ansehen jedenfalls nun in der Weise gestiegen war, daá sie noch zehnmal heiliger galt als vorher. Man war nun nur darauf bedacht, sich so schnell wie m”glich aus dem Staub zu machen. Man verzichtete sogar darauf, auf Old Shatterhand zu warten, um ihn hier zu fangen. Die Posten und W„chter wurden zurckberufen, und dann ritten sie davon, alle Achtzig, im G„nsemarsch, wie sie gekommen waren. Indem wir ihnen nachschauten, spielte ein fr”hliches L„cheln um die Lippen des "jungen Adlers", und ich glaube, ich habe auch nicht geweint. "Dieser Sieg freut mich mehr," sagte er, "als wenn wir mit ihnen gek„mpft und sie alle erschlagen h„tten. Es ist ein Sieg der Wissenschaft, nicht des blutigen Tomahawk." "Ist dir dieser Teil der Wissenschaft bekannt?" fragte ich ihn. "Ja. Ich muáte ihn kennenlernen. Die Akustik geh”rt zur Lehre von der Luft. Ich ging zu den Bleichgesichtern, um die Aerostatik und Aeronautik zu studieren. Ich weiá, daá schon die alten Assyrier, Babylonier und //219// Žgypter das Geheimnis kannten, an dem einen Punkt sehr deutlich zu h”ren, was an einem andern, entfernten Punkt gesprochen wird. Ich bin so froh und so stolz, heut erfahren zu haben, daá die Ahnen der heutigen roten Rasse in diesem Wissen nicht hinter jenen V”lkern zurckgestanden haben. Es ist unsere Pflicht, Alles, was uns seitdem verlorengegangen ist, in die erwachende Seele unserer Nation zurckzurufen. Wir bitten den groáen, guten Manitou, uns Kraft und Fr”hlichkeit zu diesem wichtigen und sch”nen Werk zu verleihen! " Es war zum ersten Male, daá er aus sich herausging und in dieser Weise sprach. Ich wunderte mich keineswegs ber das, was ich h”rte. Er war ein stiller, hochbegabter junger Mann. Und er besaá die n”tige Energie, auch Ungew”hnliches zu erreichen. Auf seinem sch”nen, ernsten Gesicht lag jetzt ein warmer, beinahe sonniger Schein, so k”stlich lieb und sympathisch, wie er so oft die Zge meines herrlichen Winnetou durchgeistigt und umflossen hatte. Es kam mir vor, als sei der "junge Adler" in diesem Augenblick meinem unvergeálichen roten Freund auáerordentlich „hnlich geworden, fast wie Bruder und Bruder! Als der letzte der achtzig Indianer verschwunden war, verlieáen wir unsern Lauscherposten. Doch kehrten wir nicht direkt nach oben zurck, sondern wir gingen zun„chst nach dem vorderen Teil des Kessels, wo die Indsmen gewesen waren, und schritten den Platz ab, um nachzuschauen, ob aus ihren Spuren vielleicht etwas fr uns Brauchbares zu lesen sei. Es gab nichts. Aber als ich schlieálich noch einmal hinauf auf die Pulpit stieg, wo die H„uptlinge gesessen hatten, sah ich auf einer der Stufen, ganz im hintern Winkel derselben, einen Gegenstand liegen, der vor der Ankunft der Indianer sicher //220// noch nicht dagelegen hatte, weil er sonst ganz bestimmt von mir bemerkt worden w„re. Ich hob diesen Gegenstand auf und betrachtete ihn. Es waren zwei kleine, niedliche Hundepf”tchen, nicht etwa nur die Krallen, sondern die Pf”tchen, glatt abgeschnitten und an den Schnittfl„chen mit Hirschsehne sehr sorgf„ltig zusammengen„ht, so daá sie ein Doppelh„ndchen bildeten, dessen Finger nach entgegengesetzter Richtung lagen. Ich zeigte es dem "jungen Adler". "Eine Medizin!" rief er aus. "Sehr wahrscheinlich! - Aber wessen Medizin?" fragte ich. "Kiktahan Schonka!" "Hoffen wir es! Aber wie konnte er sie verlieren? Medizinen pflegt man doch im verschlossenen Medizinbeutel zu tragen! Es sind Hundefáe, nicht vom Fuchs oder Wolf, und der H„uptling der Sioux heiát der ,wachende Hund'. Ich zweifle also nicht, daá er es ist, der sie verloren hat. Aber wie war es m”glich, daá dies geschah? Mein junger, roter Bruder, schaue nach!" Ich gab sie ihm. Er betrachtete sie sehr aufmerksam, reichte sie mir dann zurck und antwortete: "Diese Medizin hat nicht im Medizinbeutel gesteckt, sondern sie war an den Grtel gen„ht. Man sieht sehr deutlich die Stiche. Sie ist losgerissen worden, als man den H„uptling am Lasso ber die Stufen emporzog oder als man ihm wieder herunterhalf. Dieser Fund ist auáerordentlich wichtig!" "Allerdings, aber auch gef„hrlich. Wenn Kiktahan Schonka seinen Verlust bald bemerkt, kehrt er unbedingt nach hier zurck, um zu suchen. Bemerkt er ihn sp„ter, so weiá er freilich nicht genau, wo er die Medizin verloren hat, ob hier oder nachtr„glich unterwegs. Auf //221// keinen Fall aber drfen wir noch l„nger hier verweilen. Gehen wir!" Ich steckte die Medizin sorgf„ltig ein. Dann verlieáen wir den Platz und stiegen nach unserem Lager empor. Wir waren von dort aus so scharf beobachtet worden, daá Pappermann wuáte, daá wir kamen. Er brachte uns die Pferde, damit wir nicht n”tig h„tten, durch das Wasser des Weihers zu waten. "Ist schnell gegangen, ungeheuer schnell!" sagte er. "Kommen sie wieder?" "Nein, hoffentlich nicht," antwortete ich. "Sonderbar! Man pflegt sonst oft tagelang zu beraten! Warum sind sie so schnell fort? Und habt Ihr Etwas erlauscht?" "Wartet, bis wir drin bei meiner Frau sind! Die will dasselbe wissen!" Das war sehr richtig. Sie schaute uns, als wir kamen, so gespannt entgegen, daá ich es nicht ber das Herz brachte, sie auch nur einen Augenblick warten zu lassen, sondern ihr sofort entgegenrief: "Gelungen! Alles gelungen!" "Wirklich - wirklich?" fragte sie. "Ja." "So steig ab; setz dich her, und erz„hle!" Dabei setzte sie sich auch schon selbst nieder und klopfte mit der Hand auf die Stelle neben sich, wo ich als gehorsamer Ehemann mich schleunigst niederzulassen hatte. Ich befolgte diesen Befehl und gab dem "jungen Adler" einen Wink, nach der H”he zu steigen und inzwischen Wache zu halten, damit ich, falls Kiktahan Schonka zurckk„me, es sofort erfhre. ich machte meinen Bericht so kurz wie m”glich. Als ich mit ihm //222// zu Ende war, sprang das Herzle in ihrer energischen, schnell entschlossenen Weise wieder auf und rief: "Also einpacken, einpacken! Wir mssen augenblicklich fort!" Damit griff sie auch schon nach Kochtopf und Kaffeemhle. Ich aber blieb sitzen und fragte: "Wohin?" "Den beiden Enters nach!" "Du allein?" "Allein? - Ich? - Wieso?" "Ja, wenn du fort willst, so muát du das eben allein tun! Ich n„mlich bleibe noch hier." "Was gibt es hier noch zu tun?" "Nichts." "Und da willst du bleiben?" Sie war erstaunt. Sie wendete sich an Pappermann: "Nichts! Und doch will er bleiben! Versteht Ihr das, Mr. Pappermann?" "Wenigstens noch nicht ganz," antwortete dieser. "Aber wenn er noch warten will, so hat er seine Grnde, und gegen diese wird wohl nichts zu machen sein!" "Grnde? Hm! Die hat er immer! Wenigstens ich habe ihn noch niemals ohne irgend einen Grund gesehen!" "Taugten sie etwas, oder taugten sie nichts?" fragte der Alte. "Hm! Triftig waren sie fast immer!" "Na, also! Setzt Euch in Gottes Namen wieder nieder, und habt zu diesem Mann Vertrauen! Er weiá, was er will. Wir bleiben noch hier. "Fr wie lange?" "Wahrscheinlich bis morgen frh." "Ist das wahr?" fragte sie mich. "Ja," nickte ich. //223// "So willst du also die beiden Enters laufenlassen?" "Wenigstens fr heut, aber nicht fr l„nger. Ich kenne ja ihren Weg! Oder wnschest du, daá wir sie schon heut einholen und uns dann ganz unntz mit ihnen schleppen? ja, wir brauchen sie; sie werden in gewissen Dingen die Quellen sein, aus denen wir sch”pfen; aber ich halte es trotzdem nicht fr n”tig, sie Tag und Nacht und immer und immer bei uns zu haben. Wenigstens mir w„re das l„stig." "Mir auch. Du hast Recht." "Sch”n! Wir reiten also erst morgen frh. Es steht uns zu jeder Zeit frei, sie einzuholen. Da war sie einverstanden. Wir brauchten nicht zu hetzen. Wir konnten uns in Muáe auf den kommenden Ritt vorbereiten. Von den Indianern kam keiner zurck. Der "Wachende Hund" hatte also seinen Verlust noch nicht bemerkt. Wie groá dieser Verlust war, das weiá nur der zu ermessen, der ber die Entstehung, die Bedeutung und den Wert einer indianischen "Medizin" unterrichtet ist. Die Folge wird zeigen, welche Wirkung das Abhandenkommen der beiden Hundepf”tchen auf den alten Kiktahan Schonka „uáerte. [//224//] Vieres Kapitel. Am Nugget-tsil. Wir hatten das "Ohr des Manitou" verlassen und waren nach den "Mugworthills" unterwegs. Aus meinem Buch "Winnetou" Band III Seite 481 ist zu ersehen, daá diese Mugworthills dieselbe Berggruppe sind, welche von Winnetou und seinem Vater mit dem Namen Nugget-tsil bezeichnet worden waren. Die beiden Brder Enters wollten auch dorthin. Ich hatte den Weg, der ihnen vorgeschrieben worden war, erlauscht; ich kannte ihn also. Es gab einen noch krzeren, den ich ebenso kannte. Den schlugen wir ein. Und da wir besser, viel besser beritten waren als sie, so kamen wir ihnen voraus, obgleich wir die Devils pulpit viel sp„ter als sie verlassen hatten. Wir brauchten sie also nicht mhsam einzuholen, wie wir erst gewollt hatten, sondern wir konnten, wann und wo es uns beliebte, auf sie warten, um sie zu uns stoáen zu lassen. Der Augenblick hierzu war am gnstigsten, als wir den Gualpafluá erreichten, und zwar an der Stelle, an welcher ich damals nach Winnetous Tod auf Gates, Clay und Summer gestoáen war. Es gab da Wasser zum Trinken, Gras fr die Pferde und //225// ein weit ausgedehntes, dichtes Gebsch, in welches wir uns zurckziehen konnten, um von Jemand, der da kam, nicht eher gesehen zu werden, als bis wir gesehen sein wollten. Es lag inmitten dieses Gestr„uches eine kleine lichte Stelle, an der frher einmal ein Lagerfeuer gebrannt hatte. Die hierdurch vernichtete Vegetation hatte sich noch nicht wieder erneuert. Hier wurde das Zelt aufgeschlagen. W„hrend wir dies taten, bereitete uns meine Frau das Mittagsmahl. Der B„r reichte noch fr lange. Auáerdem hatten wir unterwegs eine Turkeyhenne und mehrere Pr„riehhner geschossen. Wir hatten also nicht n”tig, uns den Braten erst hier an Ort und Stelle mhsam zu erjagen. Nach dem Essen ruhten wir, obgleich wir nicht ermdet waren. Aber wir befanden uns hier im Gebiete der Komantschen und Kiowas und muáten alles vermeiden, was geeignet war, unsere Anwesenheit zu verraten. Es war gegen Abend, als wir da, woher wir die Enters erwarteten, zwei Reiter erscheinen sahen. Sie n„herten sich langsam. Ihre Pferde waren ermdet. Als sie das Gebsch beinahe erreicht hatten, erkannten wir das Brderpaar. Sie waren ganz in der Weise der frheren, gef„hrlichen Zeit mit Messer, Revolver und Bchse bewaffnet. Da wir nicht aus derselben Richtung gekommen waren, sahen sie unsere Spuren nicht. Sie stiegen drauáen vor den Bschen ab, lieáen ihre Pferde trinken und suchten drres Holz zu einem Feuer zusammen. Dieses Feuer wurde nicht hinter dem deckenden Gestr„uch, sondern auch drauáen im Freien angebrannt, so daá es dann, wenn es Abend wurde, weithin leuchten muáte. Das unsere war schon l„ngst wieder ausgegangen. Da nicht nur sie, sondern auch wir durch dieses ihr //226// Feuer verraten werden konnten, stand ich auf, um mich ihnen zu zeigen und sie zu warnen. Da fragte Pappermann: "Darf ich mit? M”chte gar zu gern die Gesichter sehen, die sie machen, wenn sie Euch erkennen!" "So kommt!" Wir gingen hin, doch ich nicht ganz, sondern ich blieb hinter einem dichten Ge„st stehen, um zun„chst Pappermann allein an sie zu lassen. Er trat von hinten an sie heran und gráte: " Good day , Mesch'schurs! Darf ich euch vielleicht fragen, ob ihr sofort skalpiert werden wollt oder es vorzieht, erst morgen oder bermorgen am Marterpfahle zu sterben?" Sie sprangen beide erschrocken auf. "Skalpiert? Von wem? Warum?" fragte Sebulon. "Uns am Marterpfahl umbringen?" fragte Hariman. "Wer? Weshalb?" "Die Comantschen und die Kiowas, welche behaupten, daá ihnen diese Gegend geh”re," antwortete der alte Westmann. "Ihr brennt ja ein Feuer, als ob es ganz ausgerechnet eure Absicht sei, euch diese Halunken auf den Hals zu locken! Warum habt ihr euch nicht damit hinter die Bsche versteckt?" "Weil wir weder die Kiowas noch die Comantschen zu frchten haben," erteilte Sebulon die Auskunft. "So seid ihr also befreundet mit ihnen?" "Wir sind Freunde aller Menschen, die uns begegnen, aller Roten und aller Weiáen!" " Well! So seid ihr also auch die meinigen! Ich habe die Angewohnheit, die Namen meiner Freunde wissen zu wollen. Darf ich bitten, mir die eurigen zu sagen?" //227// "Wir heiáen Enters. Ich Sebulon Enters und mein Bruder Hariman Enters." "Danke! Aber weiter: Woher und wohin?" "Wir kommen von Cansas City herber und wollen nach dem Rio Grande del Norte. Wer aber seid Ihr?" "Ich heiáe Pappermann und komme aus Trinidad. Wohin ich will, weiá ich selbst noch nicht." Da machten Beide eine Bewegung der šberraschung, und Sebulon erkundigte sich schnell: "Pappermann? Etwa Max Pappermann?" "Ja. So habe ich stets geheiáen, und so heiáe ich leider noch." "Wie sich das trifft! Wir waren n„mlich in Eurem Hotel. Wir hatten uns sogar da angemeldet." "Weiá nichts davon. Das Hotel ist nicht mehr mein." "Das h”rten wir. Aber Ihr habt bis zu Eurer Abreise bei dem neuen Wirt gewohnt. Ein sehr einsilbiger und ungef„lliger Mann! Wir wollten eine Auskunft haben, die er uns partout verweigerte. Wir muáten darum Andere fragen, die aber auch nichts wuáten, wenigstens nichts Ausfhrliches. Vielleicht k”nnen wir von Euch erfahren, was wir wissen wollen." "Was ist das?" "Es handelt sich um ein Ehepaar Burton, welches nach Trinidad ging, um in Euerm Hotel zu wohnen und dort auf uns Beide zu warten. Wir h”rten bei unserer Ankunft, daá diese Personen zwar da gewesen seien, sich aber schon am n„chsten Tage wieder entfernt h„tten. Wohin, das konnte uns niemand sagen. Wiát Ihr vielleicht Etwas hierber?" "Hm! Ob ich Etwas weiá? Ihr seid mit dieser eurer Frage grad an den richtigen Mann gekommen." "Wirklich? Das ist uns lieb, sehr lieb! Also, //228// wenn Ihr der richtige Mann seid, so sagt uns schnell, ob . . ." Da unterbrach ihn Pappermann: "Ich der richtige Mann? Das habe ich nicht gesagt." "Ihr nicht, wer denn sonst?" "Dieser da!" Er deutete auf mich, der ich jetzt hinter dem Gestr„uch hervortrat, um diese Einleitung zu beenden, weil Pappermann in seiner Unbefangenheit leicht Etwas sagen konnte, was die Brder nicht zu wissen brauchten. Meine Anwesenheit berraschte sie auáerordentlich, doch nicht auf unangenehme Weise. Sie freuten sich, mich getroffen zu haben, mochten die Ursachen dieser Freude nun lautere sein oder nicht. Ich forderte sie auf, ihr Feuer augenblicklich auszul”schen und mit ihren Pferden zu uns ins Gebsch zu kommen. Sie taten das. Meine Frau wurde von ihnen mit einer H”flichkeit begrát, welche von Hariman sehr wahrscheinlich eine wohlgemeinte war, von Sebulon aber nicht. Er gab sich zwar alle Mhe, einen guten Eindruck zu machen, aber sein Blick war dabei falsch, und sein Auge hatte, wenn er sich unbeobachtet w„hnte, etwas Lauerndes, etwas zuwartend Drohendes, was mir und meiner Frau unm”glich entgehen konnte. Grad das Herzle besitzt fr solche Dinge einen auáerordentlich scharfen Sinn. Als wir gefragt wurden, warum wir nicht in Trinidad gewartet h„tten, antwortete ich: "Weil ich Veranlassung fand, auf eure Gesellschaft zu verzichten. Habe euch das wohl auch geschrieben. Ist der Brief in eure H„nde gekommen?" "Ja; der Wirt gab ihn uns, sobald wir kamen und unsere Namen nannten," erwiderte Sebulon. "Ihr nennt in diesem Brief den Corner und den Howe unsere //229// Freunde. Wir weisen das ganz entschieden zurck. Wir haben als Pferdeh„ndler gesch„ftlich mit ihnen zu tun gehabt, sie aber, als wir sie n„her kennenlernten, sofort fallen lassen; sie sind nicht ehrlich. Aber wie kommt Ihr dazu, diese ihre Unehrlichkeit grad uns aufzuladen? Darf ich fragen, wohin Ihr Euch von Trinidad aus gewendet habt?" Da fiel das Herzle schnell ein: "Auf die B„renjagd!" Das war eine ebenso kurze wie vortreffliche Antwort, durch welche wir allen Fragen in Beziehung auf die Devils pulpit entgingen. "Seid Ihr glcklich gewesen?" erkundigte er sich. "Ja," antwortete ich. "Es gibt bei uns nun B„renschinken. Die Tatzen werden aber erst am Tavuntsit-Payah angeschnitten." "Am Tavuntsit-Payah?" fragte er rasch, indem er seinem Bruder einen sehr befriedigten Blick zuwarf. "Kennt Ihr den?" "Ja. Von frher her." "Wir wollen auch hin!" "Auch ihr? Weshalb?" "Auf Wunsch der Sioux- und Utahh„uptlinge." "Ah! So habt ihr sie getroffen?" "Ja." "An der Devils pulpit? " "Ja. Schade, daá ihr fort waret! Wir h„tten euch so gern mitgenommen!" "Es ist nicht schade darum. Ich h„tte mich doch nicht sehen lassen drfen!" "Aber es w„re Euch m”glich gewesen, die Sache von fern mit anzusehen oder vielleicht gar einiges zu belauschen." //230// "Wozu das? Ich hoffe, jetzt von Euch zu erfahren, was sich zugetragen hat und was da Alles besprochen worden ist." "Soll ich erz„hlen?" "Ja. Ich bitte darum." Er begann seinen Bericht. Er nannte uns die Namen der beiden Oberh„uptlinge. Er machte aus den achtzig Indianern, die es gewesen waren, volle vierhundert. Er verwandelte die paar Stunden ihres Aufenthaltes in drei Tage. Er sprach von auáerordentlich wichtigen Verhandlungen, denen er mit seinem Bruder beigewohnt habe. Und er stellte das Alles so dar, als ob sie Beide die Hauptpersonen gewesen und mit ganz besonderen Ehren berh„uft worden seien. Besonders ihren Abschied von den Roten schilderte er als einen sehr freundschaftlichen. Kiktahan Schonka und Tusahga Saritsch seien, als sie fortritten, zwei-, dreimal wieder umgekehrt, um ihnen noch einmal die Hand zu drcken. "So sind die Roten also eher fort als ihr?" fragte ich. "Ja", antwortete er. "Wohin?" "Das ist ein tiefes Geheimnis, welches wir um keinen Preis verraten sollen. Euch aber will ich es sagen, damit Ihr erkennt, wie gut und wie ehrlich wir es mit Euch meinen. Sie sind nach einem Ort, den sie Pa-wiconte nennen. Ist er Euch vielleicht bekannt?" "Ja. Es ist ein Wasser. Oder nicht?" "Doch. Man hat uns den Weg dorthin genau beschrieben. So sollt also auch ihr hin?" "Allerdings. Wir sollen dort den ganzen Feldzugsplan gegen die Apatschen und ihre Verbndeten erfahren. //231// Ihr seht, wie unendlich wichtig das fr Euch ist. Wnscht Ihr, daá wir das, was wir dort erfahren, Euch mitteilen?" "Selbstverst„ndlich!" "Wir sind bereit, es zu tun, und hoffen dabei auf Eure Dankbarkeit." "Ihr werdet ernten, was ihr s„et." "Ist dieses Pa-wiconte, dieses ,Wasser des Todes', sehr weit entfernt von dem ,dunkeln Wasser', in dem unser Vater starb?" "Wenn ich mich recht erinnere, liegen beide gar nicht weit auseinander. Sobald ich hinkomme, werde ich besser im Bilde sein als jetzt." Es w„re nicht klug gewesen, ihm zu sagen, daá unter den beiden verschiedenen Namen ein und derselbe See zu verstehen sei. "Ah! Ihr habt also die Absicht, selbst auch mit hinzukommen?" fragte er. "Gewiá. Oder ist Euch das nicht recht?" Der Blick, den er jetzt seinem Bruder zuwarf, war ein triumphierender. Er war entzckt darber, daá ich seinen Pl„nen so ahnungslos entgegenkam, w„hrend er doch derjenige war, dem jede Ahnung fehlte. "Uns nicht recht?" rief er aus. "Welchen Grund h„tten wir dazu? Wir sind Eure Freunde. Wir haben Euch liebgewonnen. Wir m”chten uns am liebsten nie wieder von Euch trennen. Wir nehmen Euch unendlich gern mit nach dem ,Wasser des Todes'. Doch setzen wir voraus, daá Ihr uns dafr den ,Nugget-tsil' und das ,dunkle Wasser' zeigt." "Das werde ich tun. Wie aber kommt es, daá Kiktahan Schonka euch nicht gleich mitgenommen hat? Warum schickt er euch nach dem Tavuntsit-Payah?" //232// "Um die Squaws der Sioux zu beobachten, die nach diesem Orte geritten sind, und ihm dann Bericht hierber zu erstatten. Er hat uns den Weg genau beschrieben. Nach dieser Beschreibung k”nnen es von hier bis hin nur noch zwei Tage sein?" "Das stimmt. Und nun bitte ich nur noch um eins; dann bin ich zufriedengestellt. N„mlich, es ist doch eigentlich sehr auff„llig, daá Ihr Euch an mich gewendet habt, um zu erfahren, wo der ,Nugget-tsil' und das ,dunkle Wasser' liegen. Es erscheint als fast unglaublich, daá Ihr diese beiden Orte nicht schon l„ngst gefunden habt. Ihr brauchtet Euch in Beziehung auf den Nugget-tsil nur bei den Kiowas zu erkundigen, bei ihrem H„uptling Tangua und seinem Sohn Pida. Und in Beziehung auf das ,dunkle Wasser' war es doch wohl nicht unm”glich, einen der Apatschen zu finden, die damals mit mir dort gewesen sind." "Das klingt nur so leicht, ist es aber nicht", entgegnete er. "Ich bin bei den Kiowas gewesen. Der alte Tangua war wohl bereit, mir Auskunft zu erteilen, aber Pida, sein Sohn, hinderte ihn daran; warum, das weiá ich nicht. Und unter all den Apatschen, die ich nach dem ,dunklen Wasser' fragte, hat es keinen einzigen gegeben, der mich nicht sofort als Feind betrachtete und mit Miátrauen von sich wies. Sie sind unendlich vorsichtig, diese Halunken!" "Diese Halunken sind meine Freunde, Mr. Enters. Beliebt es Euch, nur noch ein einziges Mal ein solches Wort zu gebrauchen, so sind wir geschiedene Leute! Meine Frau mag jetzt das Abendessen bereiten. Ist das vorber, legen wir uns schlafen. Und morgen frh bei Tagesanbruch verlassen wir diese Stelle, um nach dem Tavuntsit-Payah zu reiten. Ist euch das recht?" //233// "Ja. Doch werden wir unser Lager aber nicht hier, sondern ein wenig nach der Seite suchen. Wir sind arge Schnarcher, und es ist eine Lady hier, die wir nicht bel„stigen wollen." Das war eine sehr durchsichtige Ausrede. Sie wollten allein sein, um ungest”rt sprechen zu k”nnen. Sogleich kam mir der Gedanke, sie dabei zu belauschen; aber ich verzichtete darauf, ihn auszufahren. Was ich wissen wollte, konnte ich auf direktere und leichtere Weise erfahren, als durch das unbequeme Anschleichen und immerw„hrende Horchen und Lauschen nach allen Seiten, welches anstrengender ist, als man glaubt. Die soeben berichtete Unterhaltung war nur zwischen mir und Sebulon Enters gefhrt worden. Sein Bruder Hariman hatte kein einziges Wort dazu beigetragen. Es schien, als ob die Beiden miteinander uneinig seien, und zwar in nicht gew”hnlichem Grad. Sie vermieden, einander anzusehen oder doch ihre Blicke einander begegnen zu lassen. Ganz ebenso still hatte sich der "junge Adler" verhalten. Er tat so, als ob die Brder gar nicht anwesend seien. Das er”ffnete keine allzu freundliche Perspektive auf unser Zusammensein mit ihnen. Sie sonderten sich so, wie Sebulon gesagt hatte, nach dem Abendessen von uns ab und kamen erst am frhen Morgen wieder, als der Duft des Kaffees ihnen verriet, daá auch wir schon munter seien. Als die Sonne erschien, war das Zelt abgebrochen, und der Weiterritt konnte beginnen. Hierbei fiel uns erst auf, daá jeder von ihnen einen sogenannten Stockspaten am Sattel h„ngen hatte. Als Pappermann sah daá meine Augen verwundert an diesen Werkzeugen hingen, fragte er die Brder: "Ihr habt euch mit Spaten versehen. Wollt ihr Sch„tze graben?" //234// "Vielleicht", antwortete Sebulon mit einer Betonung, welche Pfiffigkeit bedeuten sollte. "Aber was fr welche?" "Weiá ich noch nicht. jedenfalls haben wir Werkzeuge zum Graben, wenn wir welche brauchen. Kiktahan Schonka hat uns kein Geld versprochen, sondern Beute, Waren, Pferde und „hnliche Dinge. Auch Metalle, also Silber, Kupfer oder gar Gold. Daá es sich da um Bonanzen oder Diggins handelt, die wir erst untersuchen mssen, versteht sich ganz von selbst! Darum haben wir die Spaten mit!" Dieser Mann hatte, wie man sich vulg„r auszudrcken pflegt, "groáe Rosinen im Kopf". Und bei aller seiner Einbildung stand ihm der Gedanke fern, daá er nur ein Werkzeug war, welches sp„ter, wenn man es nicht mehr brauchte, weggeworfen werden sollte. Wir ritten heut genau denselben Weg, den ich damals mit Gates, Clay und Summer geritten war. Und am Abend lagerten wir an derselben Stelle der offenen Pr„rie, wo wir damals geschlafen hatten. Wir machten kein Feuer. Am andern Morgen sagte ich den beiden Enters, daá wir gegen Mittag den Tavuntsit-Payah erreichen wrden. Den Namen Mugworthill htete ich mich sehr, auszusprechen. Er steht in meiner Schilderung, welche sie gelesen hatten. Sie kannten ihn also und h„tten sofort gewuát, daá es sich um den Nugget-tsil handele. Das aber sollten sie, wenigstens jetzt, vorher noch nicht erfahren. Zu meiner Verwunderung wurde ich von Sebulon gefragt: "Kennt Ihr diesen Berg nur von weitem, nur vom H”rensagen, Mr. Burton, oder seid Ihr selbst schon dort gewesen?" "Schon wiederholt war ich dort", antwortete ich. //235// "Es sollen einige Gr„ber dort sein. Drei oder vier. Ist das wahr?" "Zwei habe ich gesehen, die andern nicht. Wer mag wohl da begraben sein?" "Einige H„uptlinge der Kiowas." "Wirklich?" "Ja. Das wurde mir von einem erz„hlt, der auch schon ”fters dort gewesen ist." "Wir werden an den beiden Gr„bern, die ich gesehen habe, lagern. Es ist das der beste Platz dazu." W„hrend dieses Vormittages war meine Frau sehr nachdenklich. Wir nahten uns einem Ort, der fr sie von einem nicht nur groáen, sondern auch heiligen Interesse war. Sie h„lt das Andenken an die sch”ne Schwester Winnetous hoch, sehr hoch. Sie hatte wohl oft schon gesagt, daá sie herzlich wnsche, wenigstens das Grab der sch”nen, lieben Indianerin einmal zu sehen. Dabei war sie aber stets berzeugt gewesen, daá sie niemals nach Amerika kommen werde. Und nun war sie doch drben, und die Erfllung ihres Wunsches stand bevor. Auch der "junge Adler" schien sich mit ernsten Gedanken zu tragen. Bezogen sie sich etwa auf mich? Er sah mich zuweilen so eigentmlich prfend an, senkte aber schnell den Blick, wenn der meinige ihn dabei berraschte. Die beiden Enters kamen uns dreien nicht zu nahe. Sie hielten sich hinter uns zu Pappermann, der heut sehr genau wuáte, was er ihnen sagen durfte und was nicht. Ich hatte ihn gestern abend vor dem Schlafengehen genau instruiert. Es war noch nicht Mittag, als die Berge im Sden auftauchten. Sie wurden um so h”her, je n„her wir //236// kamen. Auf ihrer h”chsten, bewaldeten Kuppe stand noch immer jener Baum, der ber alle andern emporragte. Auch dem Herzle fiel er auf. "Wie das so stimmt!" sagte sie. "Nicht wahr, da hinauf hatte Winnetou seinen Sp„her geschickt?" "Ja", nickte ich. "Sag, wie ist es dir nur zumute? Ich m”chte weinen. Du nicht auch?" Ich antwortete nicht. Wir umritten die dunklen H”hen auf ihrer westlichen Seite und bogen dann im Sden nach links ein, um an das tief hineinfhrende Tal zu kommen, welches meine Leser alle kennen. Diesem folgten wir bis an die betreffende Seitenschlucht, die uns weiter hinaufleitete und dann sich teilte. Da stiegen wir ab und kletterten, die Pferde an den Zgeln fhrend, zu der scharfkantigen H”he empor, hinter welcher das Terrain sich wieder senkte. Dann ging es jenseits hinab und in gerader Richtung durch den Wald, bis wir unser Ziel erreichten. Da standen sie beide, das Grabmal, in welchem Intschu tschuna, der Vater meines Winnetou, hoch auf dem Rcken seines Pferdes saá, und die Steinpyramide, aus welcher der Baum zur H”he stieg, an dessen Stamm Nscho-tschi zur Ruhe bestattet worden war. Ich hielt an. Es berkam mich ein Gefhl, als ob ich erst gestern zum letzten Mal hier gewesen sei. Die B„ume waren h”her geworden und das Unterholz etwas dichter. Sonst aber schien es, als ob die tiefe, ergreifende Ruhe dieses Ortes Jahrzehnte lang von keinem Windeshauch gest”rt worden sei. "Da liegen die H„uptlinge der Kiowas", sagte Sebulon Enters. "Wir sind also an Ort und Stelle. Bleiben wir heute da?" //237// "Ja. Vielleicht auch morgen noch", antwortete ich. "Schaffe die Beiden wenigstens einstweilen fort!" bat meine Frau leise. "Sie sollen mir diese erste Stunde nicht verderben!" Schon wollte ich ihr diesen Wunsch erfllen, da kam Sebulon mir zuvor: "Soll ich vielleicht mit meinem Bruder gehen, um einen frischen Braten zu schieáen? Oder gibt es gleich jetzt die versprochenen B„rentatzen?" "Ja, geht und versucht, ob ihr irgend etwas vor das Rohr bekommt!" fiel Kl„rchen schnell ein. "Ihr habt mehrere Stunden lang Zeit. Wir essen erst am Nachmittag." Sie entfernten sich. Ich schlug mit Pappermann das Zelt auf. Der brave Alte vermied dabei soviel wie m”glich alles Ger„usch. Er sah, .daá das Herzle am Grab der Schwester kniete und betete. Ich darf es wohl verraten: sie betet oft und gern. Dann kam sie zu dem Grab des H„uptlings. Am Fuá desselben, genau an der Westseite, gab es eine kleine, etwas eingesunkene Stelle, die aber auch, wie ihre Umgebung, mit moosigem Gras berwachsen war. "Hier hast du wohl damals gegraben?" fragte sie. "Ja", antwortete ich. "Ich habe das Loch zwar sehr sorgf„ltig wieder geschlossen, aber w„hrend des Grabens ist doch soviel Erde verlorengegangen, daá sie sp„ter fehlte, als die Fllung sich nach und nach setzte. Daher diese Vertiefung." "Die aber auch andere auf den Gedanken bringen kann, nachzugraben! " "M”gen sie es tun! Sie wrden wohl nichts finden." "Ich bitte dich, das nicht so sicher zu sagen. Ich habe n„mlich einen Gedanken." "Ah! Wirklich?" //238// "Ja, wirklich! Und zwar nicht erst jetzt, sondern schon w„hrend des ganzen Vormittags." "Du schienst allerdings sehr nachdenklich zu sein. War es das?" "Ja, nichts Anderes." "So bitte, laá es mich wissen!" Ich bin n„mlich gewohnt, die Gedanken und Gefhle meiner Frau in allen Stcken mit in Erw„gung zu ziehen. Ihr angeborener Scharfsinn kommt mir oft zu Hilfe, w„hrend mein mhsam erworbener Scharfblick mich in die Irre fhrt. Ich gebe gern zu, daá die Frau dem Mann in Beziehung auf die feineren Instinkte berlegen ist. Darum freue ich mich immer, wenn die meinige mir sagt, daá sie einen "Gedanken" oder eine "Ahnung" habe, denn ich weiá, daá es mir zur Hilfe dient. So auch jetzt. Sie antwortete: "Je n„her wir heut diesen Bergen kamen, desto deutlicher und zusammenh„ngender trat Alles, was du von ihnen erz„hlt hast, vor mich hin. Und da kam mir ein Wort in den Sinn, welches nicht wieder weichen wollte. Winnetou hat es zu dir gesagt, und zwar wiederholt. Weiát du noch, wie er das Gold, die Nuggets, zu nennen pflegte?" "Meinst du etwa deadly dust? *)" "Ja, deadly dust Noch ganz kurz vor seinem Tod, als er mit dir von seinem Testament sprach, hat er zu dir gesagt, daá du zu Besserem bestimmt seist, als nur um Gold zu besitzen. Und dennoch grubst du hier am Grab seines Vaters nur nach Gold, nach weiter nichts. War das nicht ein Fehler, lieber Mann?" "Ich glaube nicht. Das Gold, welches hier ver- _______________________ *)T”dlicher Staub //239// graben [vergraben] lag, war nicht fr mich, sondern sehr wahrscheinlich fr wohlt„tige, edle Zwecke." "Sollte es wirklich nichts, gar nichts gegeben haben, was pers”nlich fr dich, seinen besten Freund und Bruder, bestimmt war? Und sollte Winnetou, der Weitsehende und Hochdenkende, grad bei Abfassung seines Testamentes vergessen haben, daá man auch fr "wohlt„tiger edle Zwecke" noch weit Besseres geben kann als nur Gold und immer wieder nur Gold? Bitte, berlege doch!" "Hm! Weiát du, Herzle, was du da sagst, ist richtig, unzweifelhaft richtig. Ich habe zwar die Ausrede, daá ich damals nur unter Lebensgefahr und in gr”áter Eile nachsuchen konnte, aber das ist doch nicht geeignet, mich zu entschuldigen. Ich hatte ja sp„ter jahrelang Zeit, die vers„umte Umsicht nachzuholen. Daran habe ich aber gar nicht gedacht - niemals, niemals." "Ich auch nicht. Ich habe mir also ganz dieselbe Gedankenlosigkeit vorzuwerfen, wie du dir. Willst du mir einen Wunsch erfllen?" "Welchen?" "Noch einmal nachzugraben? Aber besser, sorgf„ltiger und tiefer als damals?" "Gern - sehr gern." "Ich glaube n„mlich, wir finden noch Etwas, und zwar die Hauptsache. Die Goldanweisung lag nur zum Schutz des eigentlichen, wirklichen Schatzes oben darauf!" "Wie du das sagst! Als ob du es ganz genau wátest!" "Ich weiá es nicht, aber ich fhle es. Winnetou war abgekl„rter und gr”áer als damals du, lieber Mann. Sein eigentlicher, sein unsch„tzbarster Wert lag nicht im Umgang mit dir, lag berhaupt nicht in deiner N„he. Wir haben doppelt nachzugraben, n„mlich hier, an der //240// Gruft seines Vaters, und sodann ebenso in deiner Erinnerung. Da werden wir gewiá keinen deadly dust finden, wohl aber Perlen und Edelsteine, die aus tiefen, seelischen Bonanzen stammen. Wollen wir nicht gleich beginnen? Es paát so gut, weil die beiden Enters abwesend sind." "Dieser Grund ist nicht maágebend, weil die Spuren nicht so schnell zu verwischen w„ren, daá die Brder nicht bemerkten, was w„hrend ihrer Abwesenheit hier vorgenommen worden ist. Wo ber dreiáig Jahre vergangen sind, wird es wohl keinen b”sen Schaden machen, wenn noch einige wenige Stunden vergehen. Wir drfen nicht vergessen, daá ich von Tatellah-Satah an die mittelste der fnf groáen Blaufichten gewiesen bin. Er schreibt: Ihre Stimme sei dir wie die Stimme Manitous, des groáen, ewigen und allliebenden Geistes!' Das ist also so wichtig und so eilig, daá es allem Anderen vorauszugehen hat." "Ganz gewiá, ganz gewiá! - Aber wo sind diese blauen Fichten? Wo stehen sie?" "Gar nicht weit von hier. Komm!" Ich fhrte sie nach einer Stelle des Waldes, wo aus dem Boden sich mehrere Felsen erhoben, an deren Fuá ein Wassertmpel lag. Da standen die fnf Silber-Blaufichten, welche Tatellah-Satah meinte. Sie waren bis ganz herunter auf den Boden be„stet. Unter diesen Žsten gab es einige wenige drre. Kaum war mein Blick auf den mittelsten dieser B„ume gefallen, so wuáte ich, woran ich war. Das Herzle aber stand da, schaute die B„ume ratlos an, schlug die H„nde zusammen und seufzte: "Da sieht ja eine genau wie die andere aus, nur daá die mittlere ihre Schwestern um einige Ellen ber- //241// ragt [berragt]! Und auch ein Ast genau wie der andere! So gedrungen, so reich und dicht benadelt! Und dieser Baum, diese Fichte, soll zu dir sprechen? Wie denn, wie? Weiát du es?" "Ja." "Ich nicht!" "Das glaube ich wohl!" "Also wie? - Sag es mir!" "Kannst du Fichte und Tanne unterscheiden?" "Ich denke!" "So betrachte die mittlere Fichte genauer! Es gibt da unten einige drre Zweige, an denen sich nur noch wenige Nadeln befinden. Bitte, z„hle sie! Von unten herauf! Und zeige dabei mit dem Finger hin!" Sie tat es. "Eins, zwei, drei", z„hlte sie. "Vier, fnf, sechs ..." "Halt!" unterbrach ich sie. "Betrachte diesen sechsten, drren Zweig! Ist das auch Fichte?" "Nein, sondern Tanne." "Merkst du nun, daá der Baum zu reden beginnt?" "Ah! So ist das, so, so?" "Ja, so! Kann dieser Tannenzweig an der Fichte gewachsen sein?" "Gewiá nicht. Man hat den richtigen entfernt und diesen falschen an seine Stelle gebracht. Aber ist das nicht unvorsichtig oder gar gef„hrlich. Konnte das nicht ebensogut auch jeder Andere auáer dir entdecken?" "Nein. Wenn es grne Zweige w„ren, dann ja. Da wrde der Tannenzweig mit seiner ganz anderen Benadelung sofort auffallen. Da es aber vertrocknete Žste sind, an denen man nur wenige Nadeln sitzen lieá, konnte nur ich allein den Treffer machen, und zwar auch nur deshalb, weil ich vorher ganz besonders auf- //242// merksam [aufmerksam] gemacht worden war. Bitte, entferne diesen Zweig!" "Abbrechen?" "Nein, sondern herausziehen." Sie tat es. Es war an der Stelle des ursprnglichen Astes ein Loch gebohrt und der Tannenzweig dann hineingesteckt worden. Dieses Loch war jetzt zu sehen; aber es hatte nur der Zweig darin gesteckt; es war leer. Nun untersuchte ich den Stamm in der N„he des Bohrloches. Ganz richtig! Man hatte die Rinde in Form einer Klappe losgel”st und dann mit dem Ast wieder fest angesteckt. Als ich diese Klappe ”ffnete, fiel ein weiáes Papier heraus. Das Herzle griff eiligst zu und rief freudig aus: "Das ist die Stimme des Baumes'! Das ist sie! Oder nicht?" "Gewiá ist sie es." "Was so ein Indianer fr ein scharfsinniger und gescheiter Mensch ist!" "Ja", lachte ich. "Und welch eine beispiellose Klugheit von einer weiáen Squaw aus Radebeul, die das Alles sogleich entdeckt!" Da lachte sie mit und sagte: "Habe ich diese Entdeckung etwa nicht dadurch eingeleitet, daá ich den Unterschied zwischen Tanne und Fichte sehr wohl kannte? Laá uns lesen!" Da sie daheim meine Sekret„rin ist und fast meine ganze Korrespondenz besorgt, hielt sie sich fr berechtigt, auch dieses Blatt zu ”ffnen und vorzulegen. Sie zog schon die Augenbrauen in die H”he, um ein m”glichst wichtiges Gesicht zu machen; aber diese Wichtigkeit fiel sofort wieder in sich zusammen, und in sehr entt„uschtem Ton erklang die Klage: //243// "Das kann ich aber nicht lesen - leider, leider!" "Wohl indianische Bilderschrift?" "Nein. Es sind englische Buchstaben; aber die Sprache ist fremd." "Zeig her!" "Da! Hier! Aber setzen wir uns! im Stehen begreift man schwerer." Sie setzte sich nieder und klopfte mit der Hand neben sich auf den Boden. Man weiá wohl bereits, was ich da zu tun hatte: Ich setzte mich neben sie nieder und las die Zeilen vor. Sie waren im Apatsche von derselben kalligraphisch gebten Hand auf dasselbe sehr gute Papier geschrieben wie der Brief, den ich daheim von Tatellah-Satah erhalten hatte. Die šbersetzung lautete: "Warum suchtest du nur nach deadly dust ? Nach t”dlichem, goldenem Staub? Glaubtest du wirklich, Winnetou, der berschw„nglich Reiche, k”nne der Menschheit nichts Besseres hinterlassen? War Winnetou, den du doch kennen mátest, so oberfl„chlich, daá du es verschm„hen durftest, in gr”áerer Tiefe zu suchen? Nun weiát du, warum ich dir zrnte. Sei mir willkommen, wenn du verstehst, es mir zu sein!" Das war der Brief des alten "Tausend Jahre". Ich faltete das Papier zusammen und steckte es ein. Wir sahen einander an. "Ist das nicht sonderbar?" fragte das Herzle. "H”chst sonderbar!" nickte ich", Er schreibt ganz dasselbe, was du gesagt hast. Ich bin besch„mt, auáerordentlich besch„mt!" "Nimm es dir nicht zu Herzen!" "O doch! Ich habe da eine Snde an Winnetou //244// begangen, die ich mir unm”glich verzeihen kann. Und nicht nur an Winnetou allein, sondern an seiner ganzen Rasse! Jetzt bin auch ich berzeugt, daá wir noch mehr und noch viel Wichtigeres finden werden, als ich damals gefunden habe." ,,Weil der alte Tatellah-Satah es sagt?" "Nicht nur deshalb, sondern noch viel mehr aus dem Grund, der in Winnetous Charakter liegt. Ich habe tief unter ' diesem hohen, edlen Charakter hinweggesehen und tief unter ihm hinweggehandelt. Das ist meine Snde. Er wrde gtig l„cheln und mir verzeihen; ich aber l„chle nicht. Bedenke, daá ber dreiáig Jahre unntz vergangen sind! Ein volles Menschenleben! Komm, Herzle, wir mssen graben!" "Ja, solange die Enters fort sind", stimmte sie bei. "Nicht das! Mir ist es jetzt gleich, ob sie da sind oder nicht. Horch! Ich h”re ihre Stimmen. Sie sprechen mit Pappermann. Sie sind also schon zurck." Ja, sie waren wieder da, und zwar mit einem Prairiehasen, der sich in die Berge herein verlaufen hatte. Sebulon tat wunder, was das fr eine Heldentat von ihnen sei; ich aber fiel ihm kurz entschlossen in die prunkende Rede: "Legt das H„slein her! Vielleicht braten wir es, vielleicht auch nicht. Es gibt jetzt Wichtigeres zu tun." Ich hatte die Absicht gehabt, ihnen erst sp„ter, wenn wir von hier fort waren, zu sagen, daá wir dagewesen seien, denn ich frchtete den Einfluá dieses Ortes und seiner Erinnerungen auf ihren Seelenzustand. Oder mit andern Worten, ich hatte psychiatrische Bedenken. Nun aber trieben mich ganz andere Grnde. Ich hatte h”here Rcksichten zu nehmen und fuhr darum fort: "Ich habe euch eine Entdeckung zu machen, die ich //245// fr sp„ter aufheben wollte. Ihr befindet euch n„mlich ber den Ort, an dem wir heut und morgen lagern werden, im Irrtum. Hier liegen nicht Kiowah„uptlinge begraben, sondern der Vater und die Schwester meines Winnetou. Der Tavuntsit-Payah ist unser Nugget-tsil." Der Eindruck dieser meiner Worte war ein groáer, ja ein sehr groáer. Die Brder standen still; sie bewegten sich nicht; sie sagten kein Wort. "Habt ihr mich verstanden?" fragte ich. Da setzte Hariman sich, als ob er zu Boden falle, nieder, schlug die H„nde vor das Gesicht und begann laut und bitterlich zu weinen. Nun hob Sebulon seinen finstern und doch flackernden Blick zu mir empor und fragte: "Ist das wahr, was Ihr sagt?" "Was k”nnte ich fr einen Grund haben, euch zu belgen?" " Well! Wir glauben Euch! Das sind also die Gr„ber von Intschu tschuna und Nscho-tschi?" "Ja." "Deren M”rder unser Vater war?" "Euer Vater, ja, kein Anderer." "Erlaubt, daá ich mir die Gr„ber betrachte." Er ging zun„chst zum Grab des H„uptlings und dann zu dem seiner Tochter. Er nahm sie sehr eingehend in Augenschein. Er schien innerlich ruhig zu sein; aber ich sah, daá er, wenn er sich bewegte, wankte. Es war, als ob er auf einem hohen Turmseil gehe und sich heimlich bemhe, die Balance nicht zu verlieren. Dann ging er langsam wieder dahin zurck, wo der Hase lag. Er stieá ihn mit dem Fuá an und sagte in leise knirschendem Ton: "Auch nur so ein armes H„schen! Wir! Grad wie damals Gates und Clay. Ihr seht, Mr. Burton, daá //246// ich Alles gelesen und mir Alles gemerkt habe, sogar das mit dem Hasen und den alten Tauben, die niemand genieáen konnte. Ich m”chte Euch bitten, uns einen Dienst, einen Liebesdienst zu erweisen." "Welchen?" "Uns zwei Bilder aus der Vergangenheit dieses Ortes zu zeigen, die zwei fr uns wichtigsten Bilder. Versteht Ihr mich?" "Ich verstehe. Ihr wnscht, daá wir uns jetzt auf die Pferde setzen und ich euch herumfhre, um euch Alles zu zeigen, was damals geschehen ist, zum ersten Mal, als Intschu tschuna mit seiner Tochter erschossen wurde, und zum zweiten Mal, als euer Vater mir das Testament entriá?" "Ja, das meine ich." "Das wollte ich tun, um Mrs. Burton die betreffenden Orte zu zeigen. Wollt ihr uns begleiten, so habe ich nichts dagegen. Ich denke aber, daá es besser fr euch ist, darauf zu verzichten." "Warum?" "Weil meiner Ansicht nach ein Sohn sehr starke Nerven haben muá, um einen Rundritt zu den Orten auszuhalten, an denen sein Vater solche Taten beging." "Wir sind gesund, und unsere Nerven sind es auch. Also ihr wollt?" "Ja." "Wann?" "Wann es euch beliebt." "Also sofort! Ich habe n„mlich nicht den Vorzug, sehr geduldig zu sein." "Werdet es schon noch werden, wenn nicht jetzt, so doch sp„ter. Wir reiten also. Mr. Pappermann bleibt als Wache hier." //247// "Sehr gern!" nickte der Alte. "Habe nicht die geringste Lust, mich um derartige alte Stapfen zu bekmmern!" Er h„tte sich wohl gern noch kr„ftiger ausgedruckt, denn er konnte die Brder nicht leiden, und besonders Sebulon war ihm direkt verhaát, doch lieá er es bei dieser Andeutung bewenden. Wir Anderen konnten gleich wieder aufsteigen, denn die Pferde waren noch gar nicht abgesattelt. Wir ritten den Weg, den wir gekommen waren, wieder zurck und dann sdw„rts bis zu dem Spring, an dem ich damals mit Winnetou, Intschu tschuna, Nscho-tschi, Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker und den dreiáig Apatschen gelagert hatte. Das ist in Winnetou Band I Seite 483 zu lesen. Von da aus verfolgten wir die Wege, die ich dann teils gegangen und teils geritten war, bis die Schsse fielen, von denen Vater und Tochter getroffen wurden. Hierdurch gewannen meine Frau und die Brder ein klares Bild von der Ermordung derer, die mir so lieb gewesen waren. Wir waren hierbei zu unserem Zelt zurckgekommen, wo ich dann gleich an Ort und Stelle erz„hlen und erkl„ren konnte, wie es bei dem Raub des Testamentes zugegangen war. Hariman Enters hatte w„hrend dieses ganzen Rittes und dieser ganzen Instruktion kein einziges Wort gesprochen und mich kein einziges Mal angesehen. Er tat mir leid. Seine Wangen glhten zuweilen; oft wischte er sich den Schweiá von der Stirn. Er fieberte. Ganz anders sein Bruder. Dieser schien ganz unberhrt. Er zeigte eine Ruhe, die selbst ein guter Menschenkenner vielleicht fr echt gehalten h„tte. Aber seine Augen - seine Augen! Die hatte er nicht in der Gewalt! Die verrieten Alles, Alles! Er war wtend darber, daá die Streiche seines Vaters nicht so //248// geglckt waren, wie es in dessen Absicht gelegen hatte. Er haáte mich wahrscheinlich noch tiefer und noch glhender, als dieser mich gehaát hatte. Er war eines jeden Verbrechens, sogar des Mordes, gegen mich f„hig. Und doch brauchte ich ihn nicht zu frchten, wenigstens jetzt noch nicht, weil er mich an Kiktahan Schonka abzuliefern hatte, und zwar, wie sich ganz von selbst verstand, lebendig und vollst„ndig heil. Auch er bemerkte jetzt die kleine Bodenvertiefung am H„uptlingsgrab. Er betrachtete sie, sann nach und fragte mich dann: "Hier habt Ihr wohl gegraben, damals?" "Ja", nickte ich. "Da lag das Testament?" "Ja. Und nicht nur das Testament." "Was noch?" "Das weiá ich nicht; ich werde es aber erfahren. Ich bitte euch, mir eure Spaten zu borgen." "Wozu?" "Um zu graben." "Noch einmal? - Hier? - An dieser Stelle?" "Gewiá, noch einmal! Und an derselben Stelle!" "So glaubt Ihr wirklich, wirklich, daá damals nicht alles herausgenommen worden ist?" "Das glaube ich, grad das!" Da leuchteten seine Augen infolge einer inneren Flamme glhend auf, und seine Stimme klang vor Erregung heiser, als er rief: "Und da soll ich Euch unsere Spaten borgen! F„llt mir gar nicht ein! Nicht im Traum! Wir graben selbst, wir selbst, mein Bruder und ich!" Er rannte dorthin, wo die Spaten lagen, holte sie, hielt seinem Bruder einen hin und forderte ihn auf: //249// "Steh auf, und heule nicht, alte Memme! Du h”rst es ja: Das Nest ist nicht ganz ausgenommen worden! Es gibt noch was zu holen! Wahrscheinlich viel, sehr viel! Steh auf; steh auf! Arbeiten heiát es jetzt, arbeiten!" Hariman hatte sich wieder niedergesetzt und den Kopf gesenkt! Er stieá den ihm angebotenen Spaten von sich und sagte: "Laá mich! Ich arbeite nicht! Ich rhre keine Hand! Verflucht sei all das Gold und deine Sucht, es Anderen zu entreiáen! Du wirst an ihr zugrunde gehen, genau wie er - wie er!" "So willst du nicht?" "Nein! Gib dir keine Mhe! Ich habe genug!" "Feigling! Verdammte Memme!" zischte Sebulon ihn ver„chtlich an. Da erhob sich Hariman mit einem schnellen Ruck, trat hart an ihn heran und fragte in zornigem Ton: "Wer ist die Memme? Du oder ich? Ich habe den Mut, zu k„mpfen; du aber hast ihn nicht! Ich will frei sein, frei von diesem Teufel, der uns besessen hat und auch heute noch besitzt. Er ist ohne Gnade und ohne Erbarmen. Er gebietet uns, ihm zu gehorchen oder zugrunde zu gehen. Er fordert von uns das Verbrechen oder den Shnetod fr den V„ter. Dir fehlt der Mut, gegen ihn zu k„mpfen; darum w„hlst du das Verbrechen; ich aber w„hle ... den Tod. Ich wiederhole also die Frage: Wer ist die Memme? Du oder ich?" "Ich w„hle nicht das Verbrechen, sondern ich w„hle das Gold, das Gold! Und wenn du nicht hilfst, so nehme ich mir es allein!" Er warf den einen Spaten hin und begann, mit dem anderen zu graben. Hariman setzte sich wieder nieder. //250// Da trat Pappermann herbei, griff nach dem am Boden liegenden Spaten und sagte: "Ich helfe mit. Zwei f”rdern mehr als einer." Sebulon aber fuhr ihn schnell an: "Fort mit Euch! Ihr habt hier nichts zu suchen! Ich dulde keinen Anderen!" " Well! Ganz wie Ihr wollt! Ich glaubte, Euch einen Gefallen zu tun!" Er lieá den Spaten wieder fallen. Sebulon aber arbeitete in einer Weise, als ob er von Sinnen sei. Er tat Stich um Stich, und zwar mit einem šbermaá von Kraft und Eile, als ob keine Minute zu verlieren sei und es sich um Leben und Seligkeit handle. Das Loch wurde tiefer und tiefer. Er starrte nur immer hinein. Er sah weder nach rechts noch nach links. Der Schweiá lief ihm von der Stirn und ber die Wangen herunter. "Das ist Wahnsinn - der offenbare Wahnsinn!" flsterte meine Frau mir zu. "Er tut, als ob ihm Alles geh”re! Was soll daraus werden?" "Nichts Gef„hrliches fr uns", antwortete ich ebenso leise. "Aber wenn er etwas findet - was dann?" "Wenn es kein Gold oder Geldeswert ist, wird er es verschm„hen." "Und wenn es etwas ist, was er nicht verschm„ht? Dann kommt es unbedingt zum Kampf zwischen dir und ihm!" "Zum Kampf? Keinesfalls! Laá mich nur machen, und habe keine Sorge! Es handelt sich hier um unendlich wichtige psychologische Vorg„nge, die ich in dieser Weise gewiá niemals wieder zu sehen bekomme." "Was hast du von all diesem psychologischen Interesse, wenn du es mit dem Leben bezahlen muát!" //251// "Bitte doch, sei vernnftig; sei ruhig! Es geschieht mir nichts, wirklich nichts!" "Ich m”chte es wohl glauben. Aber gib mir trotzdem einen von deinen Revolvern! Ich schieáe diesen wahnwitzigen Menschen augenblicklich nieder, wenn er es wagt, die Hand an dich zu legen!" Das war ihr ernst. Sie hatte wirklich Angst. Die Gute, der es ganz unm”glich ist, einen Wurm oder K„fer unzart zu berhren, wollte aus Liebe zu mir einen Menschen niederschieáen! Ich war gerhrt, verbarg dies aber und antwortete lachend: "Liebes Kind, wenn geschossen werden soll und muá, so tue ich es selbst. Ich ziele besser als du. Und nun sei gut und . . ." "Horch!" unterbrach sie mich. "Was ist es?" Sebulon hatte n„mlich einen Ruf ausgestoáen, einen Jubelruf, und verdoppelte seine Anstrengung. Die Erde flog nur so aus dem Loch heraus! Ich trat hin, um hinabzuschauen. "Fort, fort!" brllte er mich an. "Ich will nur einen Blick hinuntertun!" entschuldigte ich mich. "Auch das nicht! Fort, oder ich schlage zu!" Er hob den Spaten hoch empor und sah mich mit drohenden Augen an. Sie waren wie mit Blut unterlaufen. Ich trat zurck und fuhr in beruhigendem Ton fort: "Darf man denn nicht einmal fragen, warum Ihr jetzt gerufen habt?" "Das will ich Euch wohl sagen: Ich bin auf Gold gestoáen." "Wirklich?" "Ja - auf etwas Hartes, Breites. Das Loch ist //252// zu schmal. Ich muá es gr”áer machen. Aber ich allein, ich allein! Wer mir zu nahe kommt, den schlage ich nieder, sei er, wer er sei!" Er arbeitete weiter; ich aber kehrte an meinen Platz zurck. "Siehst du, daá ich Recht habe?" begann das Herzle ihre Warnungen aufs neue. "Er wollte dich erschlagen!" "Wird es aber nicht tun. Bitte, kompliziere mir die Situation nicht durch deine Angst! Du hast absolut keinen Grund, dich zu beunruhigen!" Da beruhigte sie sich, obgleich der Eindruck, den Sebulon machte, keineswegs geeignet war, dieser Beruhigung Vorschub zu leisten. Bisher hatte er sich den Schweiá von Zeit zu Zeit abgewischt; nun tat er das nicht mehr. Die N„sse rann in groáen, schweren Tropfen herunter. Das Gesicht erschien geschwollen; die Augen traten mehr und mehr hervor. Er „chzte und st”hnte, erst nur zuweilen, nun aber fast bei jedem Spatenstich. Er ermdete. Er muáte dann und wann innehalten, um Atem zu holen. Seine Arme begannen zu zittern. Seine Bewegungen wurden ungewiá. Es war ein h„álicher, ein beraus h„álicher Anblick, den er bot. Er glich einem D„mon, einem b”sen Geist, dessen Betrachtung fr sterbliche Augen unertr„glich ist. Da endlich wieder ein Freudenruf ! Und wieder einer und abermals einer! "Vater, Vater, du bist hier! Du hilfst mir! Ich weiá es; ich fhle es! Ich danke dir; ich danke dir!" Nachdem er dies im Ton des Entzckens ausgerufen hatte, wendete er sein verzerrtes Gesicht uns zu und drohte: "Keiner darf heran, keiner! Wer es wagt, diese //253// Sch„tze zu berhren, den schlage ich tot, sofort und augenblicklich tot! Merkt euch das!" Das Loch war breit und tief geworden. Er stieg hinein. Es ging ihm bis an den Grtel. Er bckte sich nach innen und hob Etwas empor. Er legte es auf den Rand. Es war ein t”nernes Gef„á. Er brachte noch eines zum Vorschein und noch eines; dann ein viertes und fnftes. Hierauf grub er noch eine Weile tiefer, stieg sodann heraus, tat einen langen, schweren Atemzug und sagte: "Fertig! Das ist Alles! Weiter gibt es nichts!" Hariman hatte von ihm abgewendet gesessen. jetzt drehte er sich um, sah die Gef„áe, stand auf und n„herte sich seinem Bruder. "Ah, da kommst du doch!" h”hnte dieser. "Aber glaube ja nicht, daá du Etwas davon bekommst! Es ist mein, Alles mein, Alles mein!" "Nichts ist dein!" antwortete Hariman. "Wem sonst?" "Es geh”rt Mr. Burton, keinem Anderen. Winnetou hat es fr ihn vergraben, fr ihn allein "Beweis, Beweis!" lachte Sebulon. "Dieser Mr. Burton hat sich vor dreiáig Jahren geholt, was ihm geh”rte. Das Testament. Alles Andere lieá er liegen; es war nicht sein! Heut habe ich es gefunden. Ein Fund wie jeder andere Pr„riefund. Nach dem Gesetz des Westens geh”rt er dem Finder, also mir, nur mir!" "Falsch, grundfalsch!" widersprach Hariman. "Was wuátest du von diesem Schatz? Mr. Burton aber kannte ihn. Er wollte ihn holen, wollte graben. Er bat um unsere Spaten. Du hast ihm nicht nur deinen Spaten, sondern auch deine Arme, deine Arbeitskraft geliehen. Du grubst in seinem Namen; du grubst fr ihn. So ist es; so steht es, und niemand kann es „ndern." //254// "So? So?" zischte Sebulon. "Das sagst du, mein eigener Bruder! Woher weiát du, daá ich fr ihn gegraben habe, nicht aber fr mich, fr mich? Hast du das etwa von mir geh”rt? Nein! Oder von ihm? Nein! Er hat ruhig zugesehen, als ich arbeitete, und nicht gesagt, daá es fr ihn sein soll. Und als er an das Loch kam, um hinabzuschauen, und ich ihn fortwies, da hat er gehorcht; da hat er sich entfernt, ohne auch nur den allergeringsten Anspruch auf das zu erheben, was sich in dem Loch befand. Verstanden? Diese fnf Schatzgef„áe sind also mein Eigentum. Und ich will den sehen, der den Mut besitzt, sie mir streitig machen zu wollen! jetzt hilf! Ich will sie ”ffnen!" Das Herzle sah mich besorgt und fragend an. Ich antwortete leise: "Warten wir, was sich drin befindet. Auf keinen Fall ist es Gold." "Vielleicht doch." "Nein. Ich habe aufgepaát. Fr Gold war es nicht schwer genug. Nur Geduld!" Die Tongef„áe waren von quadratischer Gestalt, von blaubrauner Farbe und mit indianischen Figuren verziert. Man erkannte sie sofort und auch schon von weitem als gebrannte T”pferarbeiten aus einem Moqui- oder Zuni-Dorfe. Sie waren aus einem oberen und einem unteren Teil zusammengesetzt, der erstere auf den letzteren gestlpt, die Verbindungslinie mit einem Kitt berzogen, der keine Feuchtigkeit hindurchlieá. Auáerdem waren sie noch mit starken, ge”lten Bastschnren umwickelt und verknotet. Ich vermutete auch aus diesem Grund, daá der Inhalt kein Metall, sondern irgendein Gegenstand sei, der vor allen Dingen vor Feuchtigkeit zu beschtzen gewesen war. //255// "Also komm und hilf!" forderte Sebulon seinen Bruder nochmals auf. "Aber nimm dich in acht, daá wir nichts zerbrechen!" Sie setzten sich miteinander zu den Gef„áen nieder und begannen, zun„chst die Umschnrung zu entfernen. Hariman tat dies in ruhiger und bed„chtiger Weise, Sebulon aber hastig, nerv”s und ohne Geduld. Wie vorhin seine Arme gezittert hatten, so bebten jetzt seine H„nde und Finger. "Die verfluchten vielen Knoten!" klagte er. "Es geht so langsam, so langsam! Und doch ist der Vater da, der Vater! Ich fhle es an der Aufregung, an der Leidenschaft, die mich zersprengen m”chte. Mach schnell, mach schnell! Aber zerbrich nichts, ja nichts! Es darf kein einziger Bruch, kein Riá entstehen!" Als die Schnre von den ersten zwei Gef„áen entfernt waren, machten sich die Beiden daran, den Kitt mit den Messern zu entfernen. Das war eine zeitraubende Arbeit, weil er sich im Verlauf der Zeit in Stein verwandelt hatte. Dabei sprach Sebulon in Einem fort auf seinen Bruder ein, von Silber, von Gold, von Perlen, von alten, mexikanischen toltekischen, aztekischen oder gar altperuanischen Schmucksachen und Geschmeiden. Er bildete sich das Teuerste, das K”stlichste ein, was es gibt. Das artete nach und nach in hirnverbranntes, verrcktes Schwatzen aus, welches man eben nur des psychologischen oder vielmehr psychiatrischen Interesses wegen ertrug. Sie hielten gleichen Schritt in ihrer Arbeit. Als der Eine fertig war, war es auch der Andere. Jeder konnte sein Gef„á nun ”ffnen, tat es aber noch nicht. Die Spannung war zu groá. Man holte erst Atem. "Rate! Was ist drin!" rief Sebulon mit zucken- //256// den [zuckenden] Lippen und fast kreischender Stimme. "Gold? Diamanten . . .?" "Ich rate nicht", antwortete Hariman. "Machen wir auf!" "Gut! Ich z„hle! Eins . . . zwei ... drrrrrrrei ... !" Die beiden Deckel flogen zu gleicher Zeit auf. jeder schaute in sein Gef„á. Jeder griff hinein, um den Inhalt herauszunehmen, aber still, ganz still. Es ert”nte kein Ruf der šberraschung, der Freude oder gar des Jubels. Sie betrachteten, was sie in den H„nden hielten. "Ein Lederpaket!" sagte endlich Sebulon. "Ja, ein Lederpaket", stimmte Hariman bei. "Etwa mit Gold?" "Nein. Dazu ist es zu leicht." "Diamanten? Geschmeide?" "Auch zu leicht." "Gar Banknoten?" Seine Augen blitzten wieder auf. Fnf solch Pakete mit Banknoten! Welch ein Verm”gen!" "Auf, auf! Schneiden wir auf! Schnell, schnell!" rief er aus. Die Riemen wurden zerschnitten und die Lederteile auseinander geschlagen. "Bcher!" sagte Hariman entt„uscht. "Bcher! Tod und Teufel! Nur Bcher!" brllte Sebulon. "Weg mit ihnen, weg, weg!" Er schleuderte sie fort. "Aber was fr Bcher?" warnte Hariman. "Schau doch erst nach! Es kann ja Geld drin liegen!" Sofort holte Sebulon das weggeworfene Volumen wieder her, um es zu prfen, warf es aber sehr bald noch weiter von sich als vorher. "Geschriebene Seiten, lauter geschriebene Seiten!" //257// zrnte er. "Mit nichtssagenden šberschriften und mit dem geliebten Namen Winnetou!" "Bei mir hier auch", erkl„rte Hariman, der sein Paket inzwischen auch einer Untersuchung unterworfen hatte. "So weg damit, immer weg! Und dafr die andern drei her! Ich hoffe, daá sie Besseres enthalten!" Man kann sich denken, daá ich den Verlauf dieser Szene nicht so gleichgltig verfolgte, wie ich mir den Anschein gab. Hier war mir jedes einzelne Blatt oder Bl„ttchen, jedes Stiickchen Leder oder Bastschnure [Bastschnur] heilig. Ich lieá die Beiden nur deshalb gew„hren, weil sie mir die Arbeit abnahmen. Aber verletzen oder gar verderben durften sie mir nichts; das verstand sich ganz von selbst. Jetzt nun, als sie die beiden n„chsten Gef„áe hernahmen, ging das Oeffnen derselben dem ungeduldigen Sebulon nicht schnell genug. Er schnitt und riá die Umschnrung in bebender Eile herunter und rief dabei aus: "Das geht Alles zu langsam, viel zu langsam! Der Kitt wird nicht wieder aufgekratzt, denn das erfordert zu viel Zeit. Wir schlagen die Gef„áe einfach entzwei. Da sehen wir sofort, was sie enthalten!" Da ging ich schnell zu ihnen hin und sagte: "Entzweigeschlagen wird hier nichts! Diese Gef„áe enthalten das Verm„chtnis eines groáen, edlen Verstorbenen. Sie haben fr mich einen gr”áeren Wert als Gold und Edelsteine. Ich dulde nicht, daá man sie zerbricht!" Er stellte das, was er in den H„nden hatte, neben sich hin, griff zum Spaten, sah mich drohend an und fragte: "Und wenn ich sie dennoch zerbreche, was dann?" " Pshaw! Ihr kommt ja gar nicht dazu!" //258// "Wieso?" "Ich schlage Euch nieder, daá ihr zur Erde fliegt wie ein umgefallener Sack!" "Ah, wirklich, wirklich? Versucht das doch einmal! Merkt aber vorher auf, was ich Euch sage: Ihr seht den Spaten in meiner Hand. Mit ihm zerschlage ich zun„chst das Gef„á, und dann, wenn Ihr nur die geringste Bewegung gegen mich wagt, zerschmettere ich Euch mit ihm den Sch„del! Nun tut, was Ihr wollt!" Er hob den Spaten hoch, um seine Drohung auszufahren, und ich ballte schon die Faust zum angekndigten Hieb; da aber stand auch schon das Herzle neben mir und sagte: "Nicht du, sondern ich!" Sie schob mich zur Seite, trat hart an Sebulon heran und befahl: "Nieder mit dem Spaten, nieder!" Sie streckte dabei die Hand gebieterisch aus. Man sah ihr an, daá es ihr gar nicht einfiel, einen Widerstand zu erwarten. Er fuhr, fast m”chte ich sagen, erschrocken zusammen und schaute ihr in die Augen. Ihre beiderseitigen Blicke hingen fr kurze Zeit aneinander. Da senkte er den seinen, und er senkte auch den Spaten. "Werft ihn weg!" kommandierte sie. Er lieá ihn fallen. "Setzt Euch wieder nieder!" forderte sie ihn in weniger strengem Ton auf. Er tat auch das. "So! Nun fahrt in Eurer Arbeit fort, aber vorsichtig und anst„ndig! Es darf nicht der geringste Riá oder Sprung entstehn! Ich hoffe, Ihr tut mir das zu Liebe!" "Zu Liebe, ihr zu Liebe!" erklang es kleinlaut aus //259// seinem Munde. "Was soll man von mir denken, daá ich gehorche! Diese Augen, diese Augen! Hariman, sag es ihr, sag es ihr, damit wenigstens er mich nicht fr einen Feigling h„lt, der sich vor ihm frchtet!" "Was ist's?" fragte sie den Genannten. Er antwortete: "Mein Bruder kann Eure Augen nicht ertragen, Mrs. Burton. Gleich vom ersten Augenblick an. Er sagte es mir sofort, nachdem er Euch gesehen hatte, und er hat es mir bis jetzt schon zehnmal, schon zwanzigmal wiederholt." "So ist es!" klagte Sebulon. "Diese Augen, diese niedertr„chtigen, unausstehlichen blauen Augen! Sie tun mir weh! Sie plagen und qu„len mich! Schaut weg von mir, Mrs. Burton, schaut weg! Sonst tue ich Alles, Alles, was Ihr wollt!" Da setzte sie sich neben ihn nieder, berhrte mit ihrer Hand leise seinen Arm und antwortete: "Wenn Ihr doch immer nur t„tet, was ich will, so t„tet Ihr stets das Richtige!" Er zuckte den von ihr berhrten Arm und st”hnte "Alle Teufel! Nun faát sie mich sogar an!" "Ich werde es nicht wieder tun. Es geschah ganz ohne Absicht", entschuldigte sie sich. "Nun aber bitte, die Gef„áe wieder zur Hand! Ich bleibe dabei und schaue zu." Er griff gehorsam nach dem seinen und sagte, zu Hariman gewendet: "Also, entfernen wir den Kitt! Aber behutsam, sehr behutsam, damit ja nichts zerbricht! Verstanden?" Er nahm, als ob gar nichts vorgefallen sei, die unterbrochene Arbeit von neuem auf. Und es tat sie so die sorgf„ltig und so bed„chtig, daá ich mich im stillen schier verwundene. Das Herzle aber l„chelte leise und glcklich. //260// Sie fhlt sich immer so froh, wenn es ihr gelungen ist, etwas B”ses in Gutes zu verwandeln. Zwar kehrte die frhere Hast bei Sebulon nach und nach zurck; aber er widerstrebte ihr; es gelang ihm, sich zu beherrschen, wenigstens bis zu dem Augenblick, an dem er so weit war, das Tongef„á ”ffnen zu k”nnen. Da holte er tief, tief Atem und rief dann aus: "Verzeihung, Mrs. Burton! Wenn es wieder nur Bcher sind, so sollen sie Euer sein! Wenn es aber Gold oder dem Žhnliches ist, so gebe ich es nicht her! Um keinen Preis! Soll ich nachschauen?" "Ja", antwortete sie. Er entfernte den Deckel und sah hinein. "Ganz dasselbe Lederpaket!" st”hnte er. Er nahm es heraus, ”ffnete es und durchsuchte es. "Wieder nur geschriebene Zeilen, weiter nichts, weiter nichts! Es ist ein Unglck, ein Jammer, eine Schande! Und du?" Diese Frage war an seinen Bruder gerichtet, der sein Paket soeben auch ge”ffnet hatte. Er zeigte es her und antwortete: "Auch nur Schreibereien, nichts Anderes!" Da sprang Sebulon auf und jammerte: "Ich muá Atem holen, Atem! Es packt mich die Wut! Mich rhrt der Schlag!" Er warf die Arme um sich und rannte auf und ab. Hariman aber griff still nach dem fnften, also letzten Gef„á und begann, zun„chst die Schnuren zu entfernen. Das Herzle griff mit zu, um ihm zu helfen. Als Sebulon das sah, kam er schnell herbei, schob sich zwischen sie und seinen Bruder hinein und bat: "Nicht Ihr, nicht Ihr, Mrs. Burton! Schont Eure H„nde! Ich mache das fr Euch!" //261// Das war nicht etwa b”s, sondern gut gemeint. Wie sonderbar! Es dauerte nicht lange, so war auch dieser letzte Beh„lter ge”ffnet. Er hatte denselben Inhalt wie die andern vier. Da beugte sich Sebulon ganz so, wie sein Bruder es vorher, nur aus ganz anderem Grunde, gemacht hatte, tief nieder, legte sein Gesicht in beide H„nde und begann zu weinen. Seine Brust arbeitete konvulsivisch. Wir Anderen verhielten uns still. Nach einer Weile stand er mit einem pl”tzlichen Rucke auf, sah sich um, als ob er aus einem Traum erwache und rief in zornigem Ton: "Wie sagte ich? Wie habe ich gesagt? Er sei da, unser Vater, unser Vater? Verrckter Kerl, der ich bin! Von dem alten Lump ist l„ngst keine Faser, kein Atom, kein St„ubchen mehr brig! Nur die Schande hat er uns gelassen, die Schande! Und den Trieb zum B”sen hat er uns vererbt, den Drang zum Mord, zur Selbstvernichtung! Das ist Alles, was wir ihm zu verdanken haben, Alles, Alles! Und das will Vater gewesen sein und hat sich Vater genannt! Pfui!" Er spuckte dreimal aus und wendete sich von uns, sich zu entfernen. Aber schon nach wenigen Schritten blieb er stehen, drehte sich nach uns um und sagte: "Mrs. Burton, ich verzichte auf die Schreibereien. Ich mag sie nicht. Ich schenke sie Euch, h”rt Ihr es, Euch, nur Euch! Mit einem jeden Andern wrde ich um sie k„mpfen, sogar mit Old Shatterhand. Euch aber will ich sie berlassen, ohne daá ich Etwas dafr verlange. Sie sind also Euer Eigentum. Macht damit, was Euch beliebt!" Hierauf wendete er sich wieder von uns ab und schritt davon, in den Wald hinein, hinter dessen B„umen er verschwand. //262// "T”richter Mensch!" sagte sein Bruder, der ihm, ebenso wie wir, nachgeschaut hatte. Weiter sagte er nichts. Das Herzle hatte nun eigentlich jetzt das Essen zu bereiten; sie tat es aber nicht. Sie wollte zun„chst wissen, was fr ein Schatz es war, den wir da ausgegraben hatten. Ich bat vor allen Dingen Pappermann, noch einmal tiefer zu graben, der Ueberzeugung wegen, daá nicht etwa auch heut wieder Etwas liegengelassen werde. Hariman Enters erbot sich sofort, ihm dabei zu helfen. Sie gingen noch volle zwei Fuá tiefer, f anden aber nichts und schtteten dann die BodenOeffnung vollst„ndig wieder zu. Inzwischen untersuchte ich mit meiner Frau den Inhalt s„mtlicher fnf Gef„áe. Es waren lauter zusammengebundene Hefte, Manuskripte, geschrieben von Winnetous eigener, mir wohlbekannter Hand. Man kann sich wohl denken, welchen Eindruck diese kalligraphisch nicht sch”nen, aber au erordentlich charakteristischen Schriftzge auf mich machten. Die Buchstaben hatten peinlich genau dieselbe Lage und L„nge. Die Schrift war klar und harmonisch, wie die Seele dessen, von dessen Hand sie stammte. Er hatte eigentlich nicht geschrieben, sondern gezeichnet und gemalt. Kein einziger Fleck, keine Spur irgendeiner Unsauberkeit war da zu sehen. So war er ja immer, und so war er in allem gewesen! Und das waren nicht etwa nur zwanzig, dreiáig, fnfzig Seiten, sondern viele, viele hunderte! Wo hatte er sie geschrieben? Auf den Umschl„gen einiger Hefte war es zu sehen. Da stand: "Geschrieben am Nugget-tsil" - - "Geschrieben am Grabe meines Vaters" - - "Geschrieben am Grabe Klekih-petra's" - "Geschrieben in Old Shatterhands Wohnung am Rio Pecos" - "Geschrieben bei Tatellah-Satah" - - "Geschrieben fr meine roten Brd- //263// er [Brder]" -- "Geschrieben fr meine weiáen Brder" --"Geschrieben fr alle Menschen, die es gibt". Viele der Hefte aber waren ohne solch eine šberschrift. Die Sprache war englisch. Wo ihr der richtige, individuelle Ausdruck fehlte, traten die bezeichnenderen indianischen Worte an ihre Stelle. Er hatte von mir so manchen deutschen Ausdruck geh”rt und im Ged„chtnis festgehalten. Nun war es so rhrend, zu sehen, wie sehr und wie gern er sich in diesen Bl„ttern befleiáigt hatte, an hierzu geeigneten Orten diese Ausdrcke in Anwendung zu bringen. Am Schluá des letzten Heftes fand ich ein vollst„ndiges Inhaltsverzeichnis und einen an mich gerichteten Brief. Das Inhaltsverzeichnis werde ich sp„ter ver”ffentlichen. Der Brief lautete folgendermaáen: "Mein lieber, lieber, guter Bruder! Ich bete zum groáen, allgtigen Manitou, daá Du kommst, um Dir diese Bcher zu holen. Und wenn Du sie beim ersten Male verfehlst, weil Du nicht tief genug gr„bst, so ist es noch nicht an der Zeit, daá sie in Deine H„nde kommen. Dann werde ich nicht eher aufh”ren im Gebete, bis Du endlich doch noch kommst und sie findest. Denn sie sind nur fr Dich, fr keinen Andern. "Ich habe dieses mein Verm„chtnis nicht bei Tatellah-Satah niedergelegt, weil er Dich nicht liebt. Aber auch hier sind seine Grnde edel, wie immer. Und ich habe es auch keinem Andern anvertraut, weil mein Vertrauen zum allm„chtigen und allweisen Vater der Welten gr”áer ist als zu den Menschen. Ich grabe diese Bcher tief in die Erde, denn sie sind wichtig. H”her oben liegt ein zweites Testament, um //264// dieses hier zu verbergen und zu beschtzen. Ich werde Dir nur von diesem oberen sagen, damit das untere liegen bleibe, bis seine Zeit gekommen ist. Und ich habe Tatellah-Satah mitgeteilt, daá hier zwei Verm„chtnisse fr Dich liegen, damit sie, wenn Du ja nicht kommen solltest, trotzdem nicht verlorengehen. "Und nun ”ffne mir Dein Herz und Deinen Geist, und vernimm, was ich, der Verstorbene und doch Lebende, Dir sage! "Ich bin Dein Bruder. Ich will es sein und bleiben. Auch dann, wenn die Trauerkunde durch die St„mme der Apatschen geht: ,Winnetou, unser H„uptling, ist tot!' Du hast mich gelehrt, daá der Tod die gr”áte aller Erdenlgen sei. Ich m”chte Dir beweisen, daá dieses k”stliche Geschenk, welches du mir brachtest, die Wahrheit enth„lt. Ich will, wenn man von mir sagt, daá ich gestorben sei, die H„nde ebenso ber Dich breiten, wie ich sie ber Dich breitete, als ich noch lebte. Ich will Dich schtzen, mein Freund, mein Bruder, mein lieber, lieber Bruder. "Der groáe, gute Manitou fhrte uns zusammen. Wir sind nicht Zwei, sondern Einer. Wir werden es bleiben. Es gibt keine Macht auf Erden, die stark genug ist, dies zu verhindern. Auch das Grab g„hnt nicht zwischen uns. Ich werde seine Tiefe berspringen, indem ich in meinem Verm„chtnis zu Dir komme und fr immer bei Dir bleibe. "Du bist, seit ich Dich kenne, mein Schutzengel gewesen, und ich war in gleicher Weise der Deine. Du standest mir h”her, als jeder Andere, den ich liebte. Ich eiferte Dir nach in allen Dingen. Du gabst mir viel. Du brachtest mir Sch„tze fr Geist und Seele, und ich versuchte, sie festzuhalten und mir anzueignen. //265// Ich bin Dein Schuldner; aber ich bin es gern, denn diese Schuld ist nicht drckend, sondern erhebend. Konnten die Bleichgesichter nicht alle so zu uns kommen, wie Du, der Einzelne, zu mir, dem Einzelnen, kamst? Ich sage Dir, alle, alle meine roten Brder w„ren ebenso gern ihre Schuldner geworden, wie ich der Deine geworden bin! Der Dank der roten Rasse w„re ebenso groá und ebenso aufrichtig gewesen wie der Dank Deines Winnetou fr Dich. Und wo Millionen danken, da wird die Erde zum Himmel. "Aber Du hast noch mehr getan, unendlich mehr als das! Du hast Dich nicht nur Deines roten Freundes, sondern auch seiner ganzen verachteten, verfolgten Rasse angenommen, obgleich Du ebenso wuátest und weiát wie ich, daá die Zeit kommen wird, in der man Dich dafr ebenso verachtet und verfolgt wie sie. Doch zage nicht, mein Freund; ich werde bei Dir sein! Was man Dir, dem Lebenden, nicht glaubt, das wird man mir, dem Verstorbenen, glauben mssen. Und wenn man das, was Du schreibst, nicht begreifen will, so gib ihnen das zu lesen, was ich geschrieben habe. Ich bin berzeugt, es war gewiá die khnste, aber wohl auch die beste Tat Deines Winnetou, daá er in stillen, heiligen Stunden das Gewehr zur Seite legte, und fr Dich zur Feder griff. Sie ist mir schwer geworden, diese Tat, sehr schwer, dieser Feder wegen, die sich str„ubte, mir, der Rothaut, zu gehorchen. Und doch auch leicht, so leicht, des Herzens wegen, dessen Stimme aus jeder Zeile spricht, die ich dem Volk der Menschen hinterlasse. "So wird Dein Winnetou auch noch im Tod an Deiner Seite stehen, denn meine Liebe lebt. So wird er fr Dich k„mpfen, indem er fr sich selbst und seine //266// Rasse k„mpft. So hab ich mich zu Deinem Schutz zu Dir emporgehoben und bitte Dich, verg”nne mir den Platz! Dann wird auch ebenso mein Volk sich zu dem Deinigen erheben, und alle Leiden meiner Nation sind ausgel”scht, wenn nicht aus der Geschichte, so doch vor Manitou, der gtig richtet, wenn er kann und darf. "Du weiát, ich bin bei Dir, wenn Deine Augen diese Zeilen lesen, doch nicht als Geist, als irre Spiritistenseele, sondern als mein treuer, warmer Puls, der fortan mit dem Deinigen vereint in Deinem Herzen schl„gt. K”nnte dieser Puls der Puls der ganzen Menschheit sein! "Bin ich ein Tor, indem ich dieses schreibe? Ich gráe Dich! Was Du von mir noch alles h”ren m”chtest, wirst Du in diesen Bl„ttern finden. Ich brachte sie zum Nugget-tsil. Die Grube ist ge”ffnet, sie fr Dich aufzunehmen. Bin ganz allein! Wie habe ich Dich geliebt! Wie liebe ich Dich noch! Du warst mir Geist und Seele, Herz und Wille. Was ich Dir bin, das wurde ich durch Dich. Es gibt so Viele, so ungez„hlte Viele, die ganz dasselbe werden m”chten, fr Euch - - fr Euch - - - fr Euch! Dein Winnetou." - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Das Herzle saá eng neben mir. Ich hatte ihr mit halblauter Stimme vorgelesen. Als ich nun fertig war, sagte sie nichts. Sie schlang ihre Arme um mich, lehnte ihren Kopf an meine Schulter und weinte. Auch ich war still. So sa en wir lange Zeit. Dann packten wir die Manuskripthefte in die Tongef„áe und trugen sie in das Zelt, um sie dort aufzubewahren. Den Brief aber behielt ich zurck. //267// "Wirst du ihn dem ,jungen Adler' zeigen?" fragte sie mich. Ich hatte soeben denselben Gedanken gehabt. Wieder einer jener h„ufigen, allt„glichen F„lle, daá sie in ganz demselben Augenblick auch ganz dasselbe denkt wie ich. "Ja, er soll ihn lesen, und zwar sogleich", antwortete ich. Wir gingen zu ihm hin. Es schien, als habe er sich gar nicht um uns bekmmert. Aber als ich ihm den Brief mit einigen erkl„renden Worten zum Lesen berreichte, ging es wie heller Sonnenschein ber sein Gesicht. Er sprang schnell auf, griff nach dem Brief und sagte: "Ich danke Euch, Mr. Burton! Glaubt mir, ich weiá ganz genau, was es heiát, einen solchen Brief aus solcher Hand zu bekommen!" "Ich zeige ihn Euch nicht ohne egoistische Absicht", erwiderte ich. "Ich stelle dieses Verm„chtnis meines Winnetou unter Euern besondern Schutz. Ich kann nicht stets in der N„he des Zeltes sein und bitte um Eure Wachsamkeit, so oft ich gezwungen bin, mich zu entfernen. Zum Beispiel gleich jetzt. Ich gehe n„mlich, um nach Sebulon Enters zu sehen." "Und ich habe inzwischen fr des Leibes Nahrung zu sorgen", erkl„rte das Herzle. "Ich mache wahr, was du ihm und seinem Bruder versprochen hast - - n„mlich die B„rentatzen. Ich hoffe, daá mir das mit Pappermanns Hilfe gelingen wird." Der Gedanke, nach Sebulon auszuschauen, war mir nicht nur wegen meiner eigenen Sicherheit gekommen. Noch viel mehr als das dr„ngte mich das Mitleid, ihn jetzt nicht fr l„ngere Zeit aus den Augen zu lassen. Es galt, auch ihn zu retten, nachdem sein Bruder so //268// ziemlich als gerettet gelten konnte. Ich ging ihm nach, indem ich seinen Spuren folgte. Sie fhrten in die Tiefe des Waldes, nicht in gerader Linie, wie die Stapfen eines Menschen, welcher weiá, wohin er will, sondern bald nach rechts und bald nach links, bald vorw„rts und bald wieder zurck, als ob er in der Irre sei und nicht wisse, wo aus oder ein. Zuweilen war er stehengeblieben, aber nicht an einer und derselben Stelle, sondern sich nach allen Seiten drehend und wendend, als ob er rundum von unsichtbaren Wesen bedroht worden sei, gegen die er sich hatte wehren mssen. Das waren seine Gedanken. Durch diese Beobachtungen aufgehalten, kam ich nur langsam vorw„rts. Endlich aber h”rte ich ihn, noch ehe ich ihn erblickte. Er sprach laut, sehr laut. Ich folgte der Richtung, die mir der Schall verriet. Er stand unter einer hohen Buche, an ihren Stamm gelehnt. Es gab in der N„he ein dichtes Unterholz, hinter dem ich Deckung fand. Er sprach, als ob er greifbare Gestalten vor sich habe. Er gestikulierte; er nickte ihnen zu. Ich h”rte folgendes: "Ihr Alle seid schon tot, ihr Alle! Nur wir zwei sind noch brig! Mssen auch wir noch fort? Hariman will sterben; ich aber will leben. Ich will den Willen des Vaters tun, damit er nicht auch noch mich, den letzten, ermordet! Ich will ihm diesen Old Shatterhand an das Messer liefern, ich will, ich will! Ich will diesen seinen gr”áten Feind vernichten und verderben, damit ich selbst am Leben bleibe. Aber kann ich - - kann ich - - - kann ich - - - ?" Er bewegte bei dieser dreimaligen Frage den Kopf so, als ob er einen Halbkreis von Zuh”rern vor sich habe. Er lauschte, als ob ihm von dorther geantwortet werde. Dann fuhr er fort: //269// "Diese Frau, diese Frau ist schuld! Diese Frau mit den blauen Augen und mit der Herzensgte im Gesicht! Die stellt sich mir in den Weg!" Er legte die beiden hohlen H„nde wie ein Schallrohr an den Mund und erkl„rte geheimnisvoll: "Das sind die blauen Augen unserer Mutter. Diese lieben, guten, blauen Augen, die so unz„hlbar oft weinten, bis sie vor Herzeleid brachen und sich schlossen! Habt ihr diese Žhnlichkeit auch bemerkt? Und das ist das Wohlwollen und die Gte unserer Mutter, genau, genau! Wie das l„chelt! Wie das bittet! Wie das verzeiht! - - - Sollen diese Augen sich in Tr„nen ergieáen, meinetwegen? Soll soviel Gte vernichtet werden? In Haá, in Rache verwandelt? Kann ich das? Darf ich das? Eines Schurken wegen? Eines Schurken - Schurken Schurken?!" Er neigte den Kopf zur Seite, als ob er auf etwas lausche, was ihm zugerufen wurde, machte dann eine Bewegung zornigen Widerspruches und antwortete: "Nein! Er hat mich betrogen, der Alte! Betrogen, betrogen, betrogen! Es war kein Gold; es waren nur Bl„tter, nur Bl„tter! Will er mich mit Kiktahan Schonka etwa „hnlich betrgen? Er hat, als er lebte, alle Welt betrogen. Nun er tot ist, kann er nur uns noch betrgen. Aber betrogen muá sein, betrogen, betrogen! Soll ich mir das gefallen lassen? Wahrlich, ich habe groáe Lust, ihm das zurckzugeben, ihn so zu betrgen, wie er mich betrgt, ihn mit diesem Old Shatterhand zu betrgen! Vielleicht tue ich es, vielleicht! Sogar wahrscheinlich! Dieser blauen Augen wegen! Und dieses lieben, gtigen Gesichtes wegen! Ich will einmal - -" Er hielt in seiner Rede inne. Er wurde unter- //270// brochen [unterbrochen]. Sein Bruder erschien jenseits der Buche und rief, indem er sich ihm n„herte: "Still, still, Unvorsichtiger! Dein einsames Schreien und Brllen wird uns noch beide verderben!" "Sie waren alle da, alle!" entschuldigte sich Hariman. "Unsinn! Niemand ist da, Niemand! Aber Einer kann kommen, jeden Augenblick. Und wenn der h”rt, was du dann den B„umen erz„hlst, ist Alles entdeckt, was du doch sonst so sorgsam verschweigst!" "Wen meinst du?" "Old Shatterhand. Er ging in den Wald, und zwar genau in der Richtung, in welcher du verschwandest. Ich kenne den D„mon, der dich zwingt, so laute Reden zu halten. Darum bin ich schnell hinter dir her, um dich zu warnen. Aber ich wuáte nicht, wo du warst. Es dauerte lange, bis ich dich fand. Endlich h”rte ich dich schreien." "So ist dieses Schreien doch zu Etwas gut gewesen. Du h„ttest mich sonst nicht gefunden!" "Rede doch nicht so l„cherlich, sondern komm! Man wird in kurzer Zeit zum Essen rufen." "Ah! Die B„rentatzen?" "Ja. Bin neugierig, ob sie ihr gelingen. Sie hat noch niemals welche gebraten." "Oh, die bringt alles fertig, alles, sogar B„rentatzen! Und wenn sie ihr nicht gel„ngen, so „áe man sie doch, und sie wrden schmecken, sage ich dir, schmecken. Also komm!" Sie gingen miteinander fort. Ich beeilte mich, ihnen unbemerkt vorauszukommen, und das gelang. Als sie den Lagerplatz erreichten, saá ich dort schon an der Seite des "jungen Adlers", und es schien, als sei ich nicht erst vor wenigen Augenblicken, sondern schon vor l„ngerer Zeit zurckgekehrt. //271// Fr Leser, welche gern Alles wissen, auch so nebens„chliche Dinge, erkl„re ich hierdurch mit gr”áter Feierlichkeit, daá die Zensur, die ich den B„rentatzen gab, auf II a lautete. Das Herzle ist zwar meine Frau, und ich w„re also wohl verpflichtet gewesen, ihr eine "I mit Stern" zu verleihen; aber das w„re geschmeichelt und also unwahr gewesen, und hierzu gebe ich mich sogar in Kchenangelegenheiten nicht her. H„tte Kl„rchen die Tatzen trotz der lebhaften Mithilfe Pappermanns verdorben gehabt, so w„re es mir berhaupt nicht eingefallen, ihr eine Zensur zu erteilen, denn nach Paragraph 51 der "Strafprozeáordnung fr das Deutsche Reich vom 1. Februar 1877" habe ich in allen derartig heiklen F„llen als Ehemann das Recht, meine Aussage zu verweigern. Aber die Leistung war keine schlechte. Sie stand vielmehr, besonders was die beigefgten Wacholderbeeren, die Pilze und den Beifuá betrifft, so hoch ber dem Niveau der Gew”hnlichkeit, daá ich unbedingt zu einer I oder gar einer Ia gegriffen h„tte, wenn die Tatzen noch zwei bis drei Tage „lter gewesen w„ren. Der Grund lag also nicht am Herzle, sondern die Tatzen selbst waren schuld. Wenn ich hierdurch zu einer IIa gezwungen wurde, so fhle ich mich stark verpflichtet, der Wahrheit gem„á hinzuzufgen, daá sich die II nur auf den B„r, das a aber nur auf meine Frau bezieht. Nach dem Essen unternahmen wir beide, n„mlich sie und ich, einen Ritt nach dem schon erw„hnten Aussichtsbaum auf der Bergesh”he. Es kam mir darauf an, eine weite Umschau zu halten. Die Squaws der Sioux hatten nach dem Nugget-tsil gewollt. Sie h„tten schon lange vor uns hier eintreffen mssen, und doch war keine Spur von ihnen zu entdecken. Wir hatten berhaupt weder die F„hrte noch den Stapfen eines einzigen Men- //272// schen [Menschen] zu sehen bekommen. Darum ritt ich jetzt nach der dominierenden Kuppe, um von dort aus Umschau zu halten. Als wir da oben ankamen, gab es eine sch”ne, reine, klare, den Blick weithin tragende Luft. Ich stieg auf den Baum, so hoch mich seine Zweige trugen. Die Bergesgruppe des Nugget-tsil lag unter mir. Sie war bewaldet. jenseits dieser Waldregion breitete sich die von mir schon frher geschilderte, sp„rlich bewachsene Pr„rie. Ich konnte sie sehen, und noch weit in sie hinein, rundum. Aber es war kein Mensch zu entdecken, auch kein Tier. Ich hatte mein Fernglas mitgenommen. Ich suchte mit ihm die ganze Gegend ab. Keine Spur eines lebenden Wesens. Wir konnten sicher sein, heut nicht gest”rt zu werden. Wir ritten also wieder nach unserem Lager hinab und kamen dort an, als es zu dunkeln begann. Pappermann hatte fr trockenes Feuermaterial gesorgt, welches fr die ganze Nacht reichte. Er lag vor dem Zelteingang wie ein treuer. Hund, der sich verpflichtet fhlt, ihn zu bewachen. Der "junge Adler" saá in seiner N„he. Die beiden Enters hockten am Feuer und brieten ihren Hasen. Sie testen davon sp„ter auch an uns aus, und wir weigerten uns nicht, kameradschaftlich mitzuessen. Sie kamen uns ver„ndert vor. Sie erschienen uns unbefangener als sonst. Sie nahmen an unserm Gespr„ch bescheiden, aber doch in einer Weise teil, als ob gar nichts zwischen uns und ihnen liege. Wie kam das? Hatten sie jetzt ein besseres Gewissen als frher? Oder richtiger, waren ihre Absichten jetzt Weniger feindlich als vorher? Wahrscheinlich! Sogar auch in Beziehung auf Sebulon, der sich so ruhig und vernnftig benahm, als ob die heutige Schatzgr„berszene vollst„ndig aus seinem Ged„chtnis verschwunden sei. //273// Es lag im heutigen Milieu, daá wir ausschlieálich von Winnetou und seinen Apatschen sprachen. Ich erz„hlte einige sehr bezeichnende Episoden, die ich mit ihm erlebt hatte; Pappermann berichtete ber die Art und Weise, in welcher er ihn kennengelernt hatte, und der "junge Adler" schilderte in verschiedenen Charakterzgen den tiefen Einfluá, den der Verstorbene auch noch nach seinem Tod auf die Indianer, besonders aber auf die Apatschen und die ihnen verwandten V”lkerschaften „uáerte. Die beiden Enters h”rten nur zu. Sie sprachen nicht, kein Wort, aber man sah ihnen an, wie ganz und gar sie bei der Sache waren. Das freute mich. Sie hatten wahrscheinlich von seiten ihres Vaters und seiner Genossen soviel Feindseliges ber mich und Winnetou geh”rt, daá es ihnen gar nichts schaden konnte, jetzt einmal etwas Besseres und Richtigeres zu erfahren. Der "junge Adler" fhlte in seiner Feinsinnigkeit, welche stillen Absichten ich w„hrend dieses Gespr„ches mit dem Brderpaar verfolgte, und er ging auf diese Absichten ein, indem er mich in dem Bestreben, ihren Haá in Achtung umzuwandeln, untersttzte. Das Abendessen brachte hierin eine nur kurze Unterbrechung. Als es vorber war, griff Pappermann nach einer der Zigarren, von denen er sich aus Trinidad einen Vorrat mitgenommen hatte. Die beiden Enters zogen, dies sehend, ihre kurzen Pfeifen und die Tabaksbeutel aus den Taschen. Sie schauten fragend zu dem Herzle herber und bekamen die gewnschte Erlaubnis bereitwillig zugenickt. Der "junge Adler" rauchte nicht. Er behauptete, nur bei Beratungen zu rauchen, und zwar nur aus dem Kalumet, sonst nicht. Was mich betrifft, so weiá man, daá ich sehr, sehr stark rauchte. Ich gestehe sogar ein, daá ich der st„rkste von allen Rauchern //274// war, die ich kennengelernt habe. jetzt bin ich es nicht mehr. Es sind nun fnf Jahre her, da bat mich das Herzle, nicht mehr soviel zu rauchen. Sie meinte, ich habe meinen Lesern noch auáerordentlich viel zu sagen und msse also trachten, solange wie m”glich zu leben. Da legte ich die Zigarre, die ich im Mund hatte, weg und sagte: "Das ist die letzte gewesen im Leben, ich rauche nie wieder!" Warum h„tte ich meiner Frau nicht gehorchen sollen? Sie hatte doch recht! So stand ich also nun auf demselben Punkt wie der "junge Adler": H”chstens nur noch bei indianischen Beratungen zu rauchen, und zwar aus dem Kalumet, sonst nie! Trotzdem f„llt es mir nicht ein, die anregende Wirkung einer guten, verst„ndig genossenen Zigarre oder Pfeife zu leugnen, und ebensogut ist mir sehr wohl bekannt, daá unsere allt„gliche Phantasie am liebsten und wohl auch am bequemsten auf Tabaksw”lkchen aus der Tiefe in die H”he steigt. Das Ged„chtnis scheint ge”ffnet und die Seele zur Mitteilung bereitwilliger zu werden. Das beobachtete ich jetzt auch am "Jungen Adler". Er rauchte zwar nicht selbst, aber seine Hand spielte mit den Ringeln und Ringen, die der neben ihm sitzende Pappermann seinen Lippen entgleiten lieá. Er sog den Duft von dessen Zigarre mit Behagen ein und schien hierdurch eine ganz andere Gedankenrichtung und Ausdrucksweise zu bekommen. Es ist gewiá mehr als sonderbar, daá der freie Indianer niemals zum Gewohnheitsraucher wird und doch, oder vielleicht grad deshalb, den besseren und feineren Wirkungen des Nikotins zug„nglich ist. Er raucht nur in besonders wichtigen und heiligen Augenblicken. Der "junge Adler" besaá ein reiches Innenleben; aber er war schweigsam. Heut trat er zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, ein wenig aus sich heraus, aber auch //275// nur vorsichtig, und so nach und nach. Von sich selbst sprach er nicht, sondern ausschlieálich nur von Winnetou, und ich hatte das Gefhl, daá es der Einfluá des narkotischen Duftes war, der ihm die Lippen ”ffnete. Das Herzle benutzte diese Gelegenheit zu einer Frage, deren Beantwortung ihr schon seit unserem kurzen Aufenthalt am Kanubisee auf dem Herzen lag. Der junge Apatsche hatte soeben von dieser unserer Begegnung mit der sch”nen Aschta gesprochen, da fragte meine Frau: "Ich sah den Stern auf ihrem Gewand, und ich sehe ihn auch hier bei Euch. Was ist es mit diesem Stern? Und was ist es mit ,Winnetou' und ,Winnetah'? Oder drft Ihr es nicht sagen? Ist es ein Geheimnis?" Er schloá fr kurze Zeit die Augen. Dann ”ffnete er sie wieder und antwortete: "Es ist kein Geheimnis. Jedermann darf es h”ren. Ja, wir wnschen sogar, daá alle Welt es erfahre und dasselbe tue wie wir. Aber soll ich grad hier davon sprechen und grad jetzt?" W„hrend dieser Worte berhrte sein Blick die beiden Enters. Ich verstand ihn und erwiderte: "Warum nicht? Es gibt kein Hindernis." "So sei es!" Er schloá die Augen wieder und dachte nach. Dann begann er: "Ich wollte, ich drfte in der Sprache der Apatschen zu euch reden; denn diese Sprache bildet das Gewand, in welchem das, wovon ich spreche, mir in das Herz gestiegen ist. Die Sprache der Bleichgesichter wirft h„áliche Falten um diese Gestalten meines Innern." Er hatte die Augen noch geschlossen gehalten. jetzt schlug er sie auf und fuhr fort: //276// "Es gibt in weiter, weiter Ferne von hier ein Land mit dem Namen Dschinnistan. Nur uns, den roten M„nnern, ist es bekannt, den Weiáen aber nicht." Man kann sich meine šberraschung denken, als ich diesen Namen und diese Worte aus diesem Mund h”rte. Dem Herzle ging es ebenso. Sie griff rasch nach meiner Hand, als ob sie eine Stiitze brauche, um nicht schnell mit der Mitteilung herauszuplatzen, daá er sich ber unsere Unwissenheit in hohem Grad irre. "Dschinnistan?" fragte ich. "Ist dieses Wort aus der Sprache der Apatschen?" "Nein, sondern aus einer hier vollst„ndig unbekannten Sprache. Es sind viele, viele tausend Jahre her, da war Amerika noch mit Asien verbunden. Es gab im hohen Norden eine Brcke von dort nach hier herber. Diese Brcke ist jetzt in einzelne Inseln zerrissen und zerfallen. Zu dieser Zeit, also vor Tausenden von Jahren, kamen groáe, herrliche Menschen, die k”rperlich und geistig wie Riesen gestaltet waren, ber diese Brcke zu unsern Ahnen herber und brachten Gráe von ihrer Herrscherin, der K”nigin Marimeh." Wieder drckte das Herzle mir heimlich die Hand. Sie fhlte ebenso wie ich, daá unsere Marah Durimeh gemeint sei. Der "junge Adler" fuhr fort: "Ihre Boten hatten k”stliche Geschenke zu berreichen. Es war ihnen verboten, Gegengeschenke zu nehmen, denn eine Gabe, die erwidert werden muá, ist kein Geschenk, sondern eine Erpressung. Die Gesandten Marimehs erz„hlten von dem hochgelegenen Reich Dschinnistan. In diesem gibt es nur ein einziges Gesetz, welches das ,Gesetz der Schutzengel' heiát. Darum wird Dschinnistan auch das ,Land der Schutzengel' genannt. N„mlich ein jeder Untertan dort hat im Stillen der un- //277// bekannte [unbekannte] Schutzengel eines andern Untertanen zu sein. Wer sich entschlieát, der Schutzengel seines eigenen Feindes zu sein, der gilt als Held, denn er hat sich selbst berwunden. Das gefiel unseren Urv„tern, denn sie waren ebenso edel wie die Bewohner des Erdteiles Asien. Sie baten die Gesandten der K”nigin Marimeh, ihnen zur Einfhrung dieses Gesetzes hier in Amerika behilflich zu sein. Diese waren gern bereit. Sie taten, um was man sie gebeten hatte, und zogen dann wieder heim." "Kamen sie wieder?" fragte das Herzle. "Dieselben nicht, aber andere. Nach jedem Menschenalter kam eine Gesandtschaft, um Geschenke zu bringen und nachzusehen, ob das Gesetz auf dieser Seite der Erde noch gelte. So vergingen mehrere Jahrtausende. Der Himmel wohnte auf Erden. Das Paradies stand weit ge”ffnet. Es gab keinen Unterschied mehr zwischen Engel und Mensch, weil jeder Mensch ein Engel war, n„mlich der Schutzengel eines andern. Da pl”tzlich blieb die Gesandtschaft aus, die n„chste, die bern„chste auch. Man erkundigte sich, man schaute nach. Die Brcke von Asien nach Amerika war eingestrzt. Nur noch die Pfeiler standen, die von einer wilden See umtobten Inseln." "Wenn ich mich nicht irre, stehen sie heute noch", fiel Pappermann ein. "Ich glaube, man nennt sie die Aleuten." "Das stimmt", nickte das Herzle. "Ihr seid ein guter Geograph, Mr. Pappermann!" "Oh, das will gar nichts sagen", lachte er. "Als ich in die Schule ging, drben in Deutschland, da kannten wir die Aleuten und die Behringstraáe besser als unsere eigenen St„dte und unsere eigenen Gassen!" "Es vergingen viele, viele Menschenalter, ohne daá sich eine Gesandtschaft sehen lieá", fuhr der "junge Adler" fort. "Die Verbindung blieb unterbrochen." //278// "Konnte man nicht versuchen, sie wieder anzuknpfen?" fragte meine Frau. Der Gefragte l„chelte trbsinnig. "Von unserer Seite geschah nichts hierzu", antwortete er. "Wir waren ja Rote! Wir waren Indianer! Wir wollten glcklich und selig sein, doch ohne Mhe und Anstrengung. Das hielten wir fr unser gutes Recht. Ein erk„mpftes Glck war uns zu teuer. Wir glaubten, es billiger haben zu k”nnen. Wir ahnten nicht, daá der groáe, allweise Manitou uns prfte, daá das Ausbleiben der Gesandtschaft von ihm verordnet war, um uns aufzurtteln und zur eigenen T„tigkeit zu spornen. Unsere Ahnen aber regten sich nicht; sie blieben sitzen. Sie hatten keinen Dank fr das Gesetz von Dschinnistan. Sie hatten keine entgegenkommende Tat fr Manitou, fr die K”nigin Marimeh, fr die Erhaltung ihres Paradieses, ihrer Seligkeit, ihres Glckes. Das ist die groáe, die unverzeihliche Snde unserer Ahnen, deren Folgen wir zu tragen haben bis auf den heutigen Tag!" Da st”hnte Sebulon leise: "Die Ahnen - die Ahnen - die V„ter!" "Schweig, und st”re nicht!" bat sein Bruder. Der junge Apatsche fuhr fort: "Dem Gesetz von Dschinnistan fehlte die bisher von Generation zu Generation bewirkte Erneuerung der Heimatkraft. Es wurde schwach; seine Wirkung ging verloren. Die Engel wurden wieder zu Menschen. Der Himmel verlieá die Erde. Das Paradies verschwand. Die Liebe starb. Der Haá, der Neid, die Selbstsucht, der Hochmut begannen wieder, zu regieren. Das eine, groáe Reich mit dem einen, groáen Gesetz fing an, zu wanken. Der einen groáen Rasse, die sich an dem //279// einen, groáen Gesetz aufgerichtet und emporgebildet hatte, ging diese Sttze, dieser Pfeiler verloren. Sie fiel in sich zusammen, zwar langsam, langsam, Jahrhunderte hindurch, aber sicher. Die Herrscher wurden zu Despoten, die Patriarchen zu Tyrannen. Hatte es erst nur ein Gesetz der Liebe gegeben, so regierte nun nur noch ein Gesetz des Zwanges. Was vorher segnete, das fluchte; was vorher zusammenstrebte, das bestand jetzt darauf, sich zu meiden. Die einzig m”gliche Rettung schien in der Hand der Macht, der schonungslosen Strenge zu liegen. Und sie kamen, die Bedrcker, die Zuchtmeister, die Gewaltherrscher. Sie regierten mit eisernen F„usten, aber nur einige wenige Jahrhunderte lang. Jeder Druck, auch der Tyrannendruck, erzeugt Gegendruck, erzeugt W„rme, erzeugt innere Hitze, die nach auáen und sich zu befreien strebt. Dieser Druck der nur durch Gewalt zusammengehaltenen Wasser wuchs, bis die Ufer nicht mehr widerstehen konnten. Das Gewicht der verflossenen Jahrtausende begann, zu wirken. Ich bediene mich eines geographischen Bildes zur Verdeutlichung dieser geschichtlichen Tatsache: Der obere See dr„ngte auf den Michigansee, dieser auf den Huronensee und dieser auf den Eriesee. Von dieser ungeheuren Schwere muáten selbst Felsenufer brechen. Und sie brachen! Der Niagara bildete sich. Erst der Fluá, dann der Fall, der frchterliche, der entsetzliche, der unaufhaltsame Fall, durch den die rote Rasse in Atome zerst„ubte und noch weiter zerst„ubt, wenn nicht aus der Tiefe dieses Sturzes sich ein groáer, rettender Gedanke erhebt, in dem die Macht verborgen liegt, die St„ubchen, Tropfen, Wellen und Wasser zu sammeln und im zuknftigen Ontario zur Einheit zurckzubilden. Dieses Bild wird euch fremd und also nicht gel„ufig sein - - -" //280// "Es ist uns gel„ufig", fiel das Herzle schnell ein. "Es hat sich auch in uns selbst, ohne Zutun Anderer, gebildet. Wir haben oft, sehr oft darber gesprochen, daheim und auch hier im Land. Das letzte Mal am Niagara selbst, mit Athabaska und Algongka, den H„uptlingen der - - -" "Mit Athabaska?" fuhr der "junge Adler" in froher šberraschung auf. "Ja." "Und mit Algongka?" "Auch mit ihm." "Zu gleicher Zeit?" "Zur gleicher Zeit. Sie waren beisammen." Diese Nachricht lieá ihn von seinem Sitz aufspringen. Seine Freude war so groá, daá er gar nicht daran dachte, daá ein Indianer sich weder vom Schmerz noch von der Freude berw„ltigen lassen darf. "Sie waren beisammen, beisammen! " rief er aus. "Der Eine hat die mhselige, weite Reise zu dem Andern gemacht! Dann sind beide nach dem Niagara gekommen, dem groáen, erschtternden Bild unserer Vergangenheit und Gegenwart. Und dann - - dann - -. Wiát Ihr, wohin sie von dort aus wollten?" "Nach dem Mount Winnetou." "Ist das wahr? Wiát Ihr das gewiá und wirklich, Mrs. Burton?" "Gewiá und wirklich!" versicherte das Herzle, und ich best„tigte es. Da legte er die H„nde zusammen, hob den Blick empor, als ob er beten wolle, und sagte im Ton einer tief, tief innerlichen Freude: "Nach dem Mount Winnetou! Gerettet - - gerettet - - gerettet!" //281// "Was ist gerettet, was?" fragte meine wiábegierige Gattin, die Klara, nicht das Kl„rchen. Er z”gerte mit der Antwort, gab sie aber doch, indem er sich langsam wieder niedersetzte: "Der groáe Gedanke, der aus der Tiefe des Niagara sich erheben soll, ist gerettet." "So ist er also schon da? Ist schon gefunden?" "Er brauchte nicht gefunden zu werden. Er ist schon l„ngst, schon seit Jahrtausenden da. Er wurde mit in das Verderben, in den Sturz, in den Strudel des Niagara gerissen. Aber er wurde nicht zerschmettert und nicht zermahlen und nicht zermalmt wie wir, sondern grad als ihn die Wasser fr immer verschlungen zu haben schienen, tauchte er rein, klar und wie ein Wunder gl„nzend aus ihren Wirbeln auf, um von den Nachkommen Derer erfaát und festgehalten zu werden, die es einst der Mhe nicht fr wert erachteten, ihn, den Gast aus Dschinnistan, in bleibenden Schutz zu nehmen." Er hatte in sch”ner, lieber Begeisterung gesprochen. Man sah und h”rte ihm an, daá er mit seinem ganzen Denken und Fhlen bei dieser Sache war. Auch die neugierige Klara wurde wieder zum Kl„rchen, ja, zum Herzle, indem sie, ebenso enthusiasmiert wie er, ausrief: "Ich weiá, was Ihr meint! Ich kenne ihn, diesen groáen, rettenden Gedanken!" "Das ist fast unm”glich", warf er ein. "O nein, o nein! Wir kennen diesen Gedanken wahrscheinlich schon eher, viel eher als Ihr! Ihr meint doch das Gesetz von Dschinnistan, nichts anderes: Ein jeder Mensch soll der Engel eines andern Menschen sein! Habe ich recht?" Ein tiefes, aber frohes Staunen ging ber sein Gesicht. Er rief aus: //282// "Wirklich, wirklich, Ihr habt mich begriffen! Wie ist das m”glich, Mrs. Burton?" "Weil wir dieses Gesetz, wie ich Euch schon sagte, ebenso kennen wie Ihr", antwortete sie. "Und weil - - paát auf, was ich Euch sage - - - weil wir Dschinnistan kennen und auch die K”nigin Marimeh, obwohl Ihr behauptet, daá nur die Roten das wissen, die Weiáen aber nicht." Er wuáte zun„chst nicht, was er hierauf sagen sollte. Er sah mich fragend an. "Sie hat recht", best„tigte ich. "Wir wissen sogar den richtigen Namen der K”nigin. Sie heiát nicht Marimeh, sondern Marah Durimeh. Diese fnf Silben wurden im Laufe der Zeit von euch in drei zusammengezogen." "Wenn Ihr es sagt, Ihr selbst, dann muá ich es glauben", erwiderte er. "Wie froh ich darber bin, wie froh! Ihr kennt die K”nigin; ihr kennt Dschinnistan, und ihr kennt auch das groáe, das wunderbar einfache und doch allumfassende Gesetz dieses Landes. Da seid Ihr uns ja eine viel, viel gr”áere und eine viel, viel wirksamere Hilfe als Athabaska und Algongka, die Ihr auch schon kennenlerntet! Wissen sie, wer Ihr seid?" "Nein. Ich verschwieg es ihnen. Wir waren Mrs. und Mr. Burton, weiter nichts." Da strahlte sein sonst so ernstes Gesicht vor Vergngen f”rmlich auf. "Wie mich auch das erfreut, auch das!" sagte er. "Welch eine šberraschung, wenn man euch erkennt! Welch ein tiefer, sch”ner und beglckender Eindruck auf Tatellah-Satah, meinen geliebten Meister, wenn er erf„hrt, daá Old Shatterhand nichts Anderes will als er! Ihr wurdet gewnscht, aber doch gefrchtet, Mr. Burton!" //283// "Warum gefrchtet?" "Weil Tatellah-Satah Euch „uáerlicher ninmt, als Ihr seid. Weil er befrchtet, daá Ihr dem geplanten Denkmal, diesem Prunkwerk oberfl„chlicher und kurzsichtiger Denker, beistimmen werdet. Eure Stimme wiegt schwer; das weiá er, und das wissen wir alle. F„llt sie auf die Seite der Prahler, so erwartet uns anstatt der ersehnten Neugeburt die v”llige Vernichtung. Die Seele unserer Nation, unserer Rasse ist erwacht. Sie streckt sich; sie bewegt sich. Sie beginnt zu denken. Sie will ihre Glieder als ein Einiges, als ein Zusammengeh”riges, als ein groáes Ganzes empfinden. Alle Einsichtigen streben nach diesem beseligenden, St„rke verheiáenden Einheitsgefhl. Nun aber seht die Sioux, die Utahs, die Kiowas, die Komantschen! Sie greifen zu den Waffen, nicht gegen die Weiáen, sondern gegen sich selbst, gegen ihre eigene Seele. Sie stehen bereit, diese Seele, die soeben erst im Erwachen ist, wieder niederzutreten, sie fr immer zu vernichten. Warum?" Er wollte diese seine Frage wohl selbst beantworten, aber das Herzle kam ihm schnell zuvor: "Weil Old Surehand, Apanatschka, ihre S”hne und ihr Anhang das wahlberechtigte Nationalgefhl dieser St„mme verletzen, indem sie im Begriff stehen, dem H„uptling der Apatschen eine beispiellos berschw„ngliche Ehre zu erweisen, die ihm nicht gebhrt." Da warf er einen erstaunten, ja fast erschrockenen Blick zun„chst auf sie und dann auf mich. Es war, als ob er glaube, seinen Ohren nicht trauen zu drfen. "Wie sagte Mrs. Burton?" fragte er. "Sie nennt diese Ehre eine beispiellos berschw„ngliche?" "Ja, das tue ich!" antwortete das Herzle. "Und daá diese Ehre ihm nicht gebhre?" //284// "Auch das behaupte ich!" "Und Ihr liebt unsern Winnetou, Mrs. Burton? Und Ihr achtet ihn?" Er war sehr ernst geworden. Er hatte in diesem Augenblick das Aussehen, als ob sein Gesicht aus Marmor gehauen sei. Denselben Ernst zeigte auch meine Frau. Sie erwiderte: "Ich liebe ihn, und ich achte ihn, wie auáer meinem Mann keinen anderen Menschen!" "Und doch sprecht Ihr von Ueberschwang und von Unverdienst?" Er stand langsam wieder von seinem Sitze auf. Das Herzle tat ebenso. Das Gefhl, daá der gegenw„rtige Augenblick ein hochwichtiger sei, lieá Beide nicht sitzen bleiben. Auch ich erhob mich von der Erde. Ich hatte nicht nur dieselbe Empfindung, sondern mir war sogar, als ob in diesem Augenblick eine Vorentscheidung getroffen werde, von welcher Vieles und Groáes abh„ngig sei. Ich war dreimal „lter als dieser junge Mann, aber es fiel mir trotzdem nicht ein, mich nun auch fr dreimal klger zu halten. Fr mich personifizierte sich in ihm nicht nur die soeben beginnende Bewegung, die mit dem Wort "Jungindianer" bezeichnet worden war, sondern das Schicksal und die Zukunft der ganzen indianischen Rasse. Er war vier Jahre lang bei den Weiáen gewesen und hatte es da, wie es schien, zu ungew”hnlichen Erfolgen gebracht. Er kannte Athabaska und Algongka. Er korrespondierte mit Wakon, dem Berhmten. Er war der Schler und, wie ich vermutete, der Liebling von Tatellah-Satah, also der Nachfolger meines Winnetou im Herzen und in der Seele des gr”áten Medizinmannes aller roten Nationen. Da muáte ich wohl bescheiden sein. Da hatte ich mich zu hten, mich //285// zu berheben. Er stand trotz seiner Jugend vollst„ndig geistig ebenbrtig vor mir. Darum entlieá ich meine Frau aus dem Gespr„ch und antwortete an ihrer Stelle: "Grad weil wir ihn in dieser Weise lieben und in dieser Weise achten, darf und kann ich nicht dulden, daá man ihn mir fr die Nachwelt l„cherlich macht. Man baue sein Monument noch so hoch, in Wahrheit steht er noch h”her! Man zeichne sein Abbild noch so sch”n, er selbst war tausendmal sch”ner! Wer ihm ein sichtbares Denkmal setzt, der erh”ht ihn also nicht, sondern der zwingt ihn, herabzusteigen. Er entehrt ihn, anstatt ihn zu ehren. Winnetou war weder Gelehrter noch Knstler, weder Schlachtensieger noch K”nig. Er besaá kein einziges ”ffentliches Verdienst. Wofr also ein Monument? Und wozu ein so beispiellos seltsames und kostspieliges? Ein so beispiellos schreiendes? Womit hat unser unvergleichlich edler Freund eine solche Kr„nkung, eine solche Beleidigung verdient? Es ist wahrlich keine Herabsetzung, wenn ich von ihm behauptete, er sei nicht Gelehrter oder Knstler, nicht Schlachtensieger oder K”nig gewesen, denn er wahr mehr als das Alles: Er war Mensch! Er war Edelmensch! Und er war der erste Indianer, in dem die Seele seiner Rasse aus dem Todesschlaf erwachte. In ihm wurde sie neu geboren. Darum war er nur Seele und wollte nur Seele sein! Und darum hat er nur Seele zu sein und Seele zu bleiben! Weg also mit allen Monumenten! Er hat in unserem Herzen gewohnt und soll diese Wohnung behalten! Wer da glaubt, ihn uns aus dem Herzen reiáen und in Metall oder Stein begraben zu k”nnen, der bekommt es mit uns zu tun! Verstanden? Er soll leben und leben bleiben, in mir, in uns, in Euch, in seinem Volke, in - - - der Seele seines Volkes, die in ihm zu neuem Bewuátsein kam, und zwar zu dem Bewuát- //286// sein [Bewuátsein], daá fr eine dem Untergang geweihte Nation das groáe Gesetz von Dschinnistan der einzige Weg ist, sich von diesem Untergang zu retten. Er h„tte sich gar wohl als Held, als Feldherr aufspielen k”nnen. Er verzichtete darauf, denn er erkannte, daá dies das Ende nur beschleunigt h„tte. Er riet zum Frieden, und wohin er nur kam, da brachte und gab er nur Frieden. Er war der Engel der Seinen! Er war der Engel eines jeden Menschen, der ihm begegnete, ob Freund, ob Feind, ganz gleich! Als die Seele seines Volkes in ihm erwachte, erwachte sie notwendigerweise zum Bewuátsein jenes Engelsgesetzes, in dessen letzten Tagen sie einst eingeschlafen und hingeschwunden war. Winnetou war also der seelisch direkte Nachfolger des letzten, groáen, altindianischen Herrschers, zu dem die Gesandten der K”nigin Marimeh kamen, um dann nicht wieder zu erscheinen. Habt ihr das begriffen, ihr, seine roten Brder? Habt ihr begriffen, daá es keinem Volk erlaubt ist, Kind zu bleiben? - Daá ihr einst Kinder waret und nur darum dem Untergange zugetrieben wurdet, weil ihr nicht aufh”ren wolltet, Kinder zu sein? Habt ihr begriffen, daá ihr als Kinder eingeschlafen seid, um nun nach schweren Niagaratr„umen als M„nner zu erwachen? Habt ihr begriffen, daá ihr nun, wenn ihr nicht M„nner werdet, fr immer verloren seid? Habt ihr begriffen, was es heiát, ein Mann zu werden? Eine Pers”nlichkeit, die aus eigener Energie zu tun und zu handeln beliebt, ohne mit sich handeln zu lassen? Eine Pers”nlichkeit, die ihre Ziele kennt und nach ihnen strebt, ohne nach irgendeiner Seite abzuweichen? Habt ihr begriffen, wie es geshnt werden muá, wenn Hunderte von kleinen und immer kleineren Indianernationen und Indianernati”nchen sich tausend //287// Jahre lang untereinander bek„mpfen und vernichten? Daá es ein millionenfacher Selbstmord war, an dem ihr zugrunde gegangen seid? Daá der Blut- und L„nderdurst der Bleichgesichter nur eine Zuchtrute in der Hand des groáen, weisen Manitou war, deren Schl„ge euch aus dem Schlaf zu wecken hatten? Daá ihr nur durch Liebe shnen k”nnt, was ihr durch Haá verschuldet? Daá der Himmel eurer Ahnen verlorenging, sobald ein jeder rote Mann zum Teufel seines Bruders wurde? Und daá dieser Himmel sich nur dann wieder zur Erde neigt, wenn jeder rote Mann sich bestrebt, der Engel seiner Brder zu sein, wie es war zu jener Zeit, in welcher Marimeh, die K”nigin, noch nicht gezwungen war, euch aufzugeben?" Das war ein langer, langer Satz, den ich gesprochen hatte, fast so, als ob eine ganze Menge von Zuh”rern vorhanden sei, und doch waren ihrer so wenige. Aber es stand in Winnetous Brief, daá in meinem Herzen von heute an sein Puls mit dem meinigen schlagen werde, und so kamen mir Gedanken und Worte ber die Lippen, die ich sonst vielleicht zurckgehalten h„tte. Der "junge Adler" stand vor mir, als ob sein Blick mir jedes einzelne Wort vom Mund nehmen wolle. Ich sah, daá er staunte und daá dieses Staunen wuchs. Kaum hatte ich das letzte Wort ausgesprochen, so erklang seine verwundene Frage: "Sagt, Mr. Burton, waret Ihr wirklich noch nicht bei Tatellah-Satah?" "Niemals", antwortete ich. "Was habt Ihr aus seiner groáen Bchersammlung gelesen?" "Nichts. Kein einziges Buch jemals gesehen, viel weniger gelesen." //288// "Sonderbar, h”chst sonderbar! Auch von Winnetou k”nnt Ihr das nicht haben!" "Was?" "Die Gedanken, die Ihr soeben in Worte kleidet." "Ein jeder Mensch hat seine eigene Gedankenwelt. Ich stehle nicht aus andern Welten. Auch die Fragen, die ich Euch vorlegte, geh”ren mir. Es steht Euch frei, sie zu beantworten oder nicht." "Ich antworte gern. Nicht nur durch das Wort, sondern auch durch die Tat. Ihr fragtet mich, ob wir begriffen haben. Vielleicht nicht Alles, aber doch wohl das meiste. Der Beweis liegt hier." Er deutete auf den zw”lf strahligen Stern auf seiner Brust und fuhr f ort: "Mrs. Burton wnscht zu wissen, was das zu bedeuten hat, und ich antworte: Daá wir bereit sind, die Vergangenheit zu shnen. Daá wir nicht l„nger hassen, sondern lieben wollen. Daá wir aufgeh”rt haben, die Teufel unserer Brder zu sein, und uns bemhen, des verlorenen Paradieses wrdig zu werden. Kurz, das Gesetz von Dschinnistan soll wieder bei uns gelten. Wir wollen innig verbunden sein, nicht l„nger auseinander streben. Wir wollen uns umschlingen, so eng, daá keine Macht dazwischen, treten, dazwischen greifen kann. Wir haben keinen Herrscher, der uns das befehlen k”nnte; wir befehlen es uns selbst. Von Tatellah-Satah, dem Meister, ging dieser Gedanke aus. Ich war der erste, den er zum ,Winnetou' ernannte. Bald wurden es zehn, dann zwanzig, fnfzig, hundert; jetzt z„hlen sie schon auf tausende." "Warum gabt ihr euch grad Winnetous Namen?" fragte das Herzle. "Gab es irgendwo einen lieberen oder besseren? //289// War Winnetou nicht ein Vorbild in der Erfllung aller unserer Gebote und Verpflichtungen? Hatte er nicht alle diese Gebote erfllt, ohne hierzu verpflichtet zu sein? Und vor allen Dingen die Hauptsache: Sind die Namen Winnetou und Old Shatterhand nicht bei der roten Nation zum Sprichwort geworden? Zum Symbol der Freundes- und der Menschenliebe, der Hilfsbereitschaft und der Aufopferung sogar bis in den Tod? Gab es jemals, so weit die Geschichte reicht, zwei aufrichtigere und treuere Freunde als diese Beiden? Wo ist das Wort, daá einer der Schutzengel des Anderen war, wohl richtiger als bei ihnen? Was wir getan haben, ist nichts Besonderes. Wir haben einen Clan, einen neuen Clan gegrndet, wie es deren so viele gab und heut noch gibt bei den roten M„nnern. Ein jedes Mitglied verpflichtet sich, der Schutzengel eines andern Mitgliedes zu sein, das ganze Leben hindurch, bis in den Tod. Wir h„tten diesen Clan also den Clan der Schutzengel heiáen k”nnen, haben ihn aber den Clan Winnetou genannt, weil dies bescheidener und praktischer klang. Wir treffen damit das Richtige, und wir ehren dadurch zu gleicher Zeit das Andenken des besten und geliebtesten H„uptlings aller Zeit und aller Apatschenst„mme. Aber wir wollen bei der Wahrheit bleiben. Wir wollen nicht bertreiben. Es soll dies das einzige Denkmal sein, welches ihm die rote Rasse setzt. Es gibt kein besseres und kein wahreres. Ein Denkmal von Gold oder Marmor, in Riesengr”áe, auf herrschender Bergesh”he, weit ber Land und Volk hinschauend, wrde Lge, wrde Ueberhebung sein. Ueberhebung und Lge von uns, nicht aber von Winnetou. Er log nie, und er war bescheiden. In dieser Wahrhaftigkeit und Bescheidenheit haben wir ihm zu gleichen. Er soll unsere Seele werden, unsere Seele sein. Dann //290// steht er h”her als der h”chste Punkt der Felsenberge! Und dann ist er gr”áer, unz„hligemal gr”áer als die Kolossalstatue, die ihm kleine Menschen jetzt errichten wollen! Es macht mich glcklich, geh”rt zu haben, daá Old Shatterhand derselben Meinung ist. Ich wnsche, daá Tatellah-Satah dies so bald wie m”glich erf„hrt. Erlaubt ihr mir, es ihm durch einen Boten sagen zu lassen?" "Sehr gern. Aber wer soll dieser Bote sein?" fragte ich. "Keiner von uns. Ich rufe ihn." Er wendete sich vom Feuer ab, nach Sden, legte die H„nde an den Mund und lieá die drei Silben "Win - - ne - - tou!" erschallen, nicht berlaut, aber dennoch weit hinausgetragen. "Win - -ne - -tou!" klang es zurck. "Ist das ein Echo?" fragte das Herzle. "Nein", antwortete der "junge Adler". "Es ist ein Winnetou." Es war Nacht. Die Sterne leuchteten. Bei ihrem Schein sahen wir nach kurzer Zeit eine Gestalt sich unserem Feuer n„hern, langsam, mit sicherem Schritt und ohne Eile. Sie trug den gleichen Lederanzug wie einst mein Winnetou. Ihr Haar war oben in einen Schopf gewunden und hing dann weit auf den Rcken herab. Waffen trug sie nicht. Sie blieb still vor uns stehen. Nun traf der Schein des Feuers ihr Gesicht. Wir sahen, daá es ein Mann im Alter von vielleicht vierzig Jahren war. "Du bist der Beschtzer des Nugget-tsil?" fragte der "junge Adler". "Ich bin es", antwortete der Andere. "Sende sofort einen Boten an Tatellah-Satah. Laá ihm sagen, daá der ,junge Adler' zurckgekehrt ist und seine Aufgabe l”ste. Laá ihm ferner sagen, daá auch Old Shatterhand gekommen ist und Winnetous Nachlaá //291// fand. Und laá ihm endlich sagen, daá er sich im Denkmalskampf auf Old Shatterhand verlassen kann wie auf sich selbst!" Dies wurde selbstverst„ndlich in der Sprache der Apatschen gesagt. Hierauf machte der "junge Adler" eine Handbewegung des Gruáes, worauf der Winnetou sich entfernte, ohne ein weiteres Wort zu sprechen. "Wie seltsam!" sagte das Herzle zu mir. "Nicht seltsam, sondern im Gegenteil sehr leicht erkl„rlich", entgegnete er. "Ihr werdet bei Tatellah-Satah, also am Mount Winnetou, die Organisation unseres Clan genau kennenlernen und an ihr keine Spur von Seltsamkeit entdecken." "Drfen wir nicht schon jetzt Eingehendes erfahren?" fragte sie. "Ich bin ein Heimkehrender, also kein zuverl„ssiger Belehrer. Zwar stand ich auch in der Ferne mit dem Mount Winnetou im Verkehr, aber nur in Beziehung auf Hochwichtiges und Algemeines. Um Auskunft zu erteilen, bin ich jetzt selbst nicht unterrichtet genug." Die beiden Enters hatten sich bisher vollst„ndig schweigsam verhalten. Es fiel uns also auf, daá Hariman sich grad in diesem Augenblick h”ren lieá, indem er sagte: "Aber diese Sache ist doch unendlich interessant fr mich! Darf man nicht wenigstens erfahren, ob auch Weiáe Mitglieder dieses Clan Winnetou werden k”nnen?" Der Gefragte antwortete: "Er wurde ursprnglich nur fr Indianer gegrndet, doch wrde es gegen seinen Grundgedanken sein, die Weiáen auszuschlieáen. Wir wnschen, daá die N„chstenliebe, nach der wir streben, nicht nur uns, sondern die ganze Menschheit vereine." //292// "K”nnte man uns wohl verbieten, fr uns einen besonderen Clan Winnetou zu grnden?" "Kein Mensch besitzt das Recht zu diesem Verbote." "Kann ein jedes Mitglied sich das andere Mitglied w„hlen, welches es beschtzen will?" "Nein. Es hat seine Wnsche zu melden, und es wird ihnen, wenn es m”glich ist, Rechnung getragen. Aber wenn einem Jeden die Wahl seines Schtzlings freistnde, so wrde es bald sehr viele Personen geben, welche zahlreiche Beschtzer haben, und ebenso viele, die gar keinen Schutzengel besitzen. Jemand, den man liebt, zu beschtzen, ist kein Verdienst. Aber der Engel eines Verhaáten oder gar Verachteten zu sein, das ist ein schwerer, steiler Weg zur edlen, wahren Menschlichkeit empor." "Und kennt man ”ffentlich den Beschtzer und seinen Beschtzer?" "Nein. Das ist Geheimnis. Nicht einmal der Beschtzte kennt seinen Beschtzer." "Auch sp„ter nicht?" "Doch! N„mlich nach dessen Tod. Beide werden eingeschrieben. Und jeder Beschtzer tr„gt den Namen seines Schtzlings auf der Innenseite des Sternes auf seiner Brust. L„st man nach seinem Tod diesen Stern vom Gewand los, so sieht man, wessen Engel er gewesen ist." " Well! Das soll man auch bei mir sehen!" "Bei dir?" fragte sein Bruder erstaunt. "Ja, bei mir!" antwortete Hariman in sehr bestimmtem Ton. Da lachte Sebulon auf und fragte: "Bist du etwa auch ein Winnetou, n„mlich ein verkappter?" //293// "Nein, aber ich will einer werden!" "Laá dich nicht auslachen! Meinst du, daá man dich, grad dich, als ersten Weiáen zulassen wrde?" "Nein. Das bilde ich mir nicht ein. Aber ich werde trotzdem und trotzdem ein Winnetou sein. Die Sache gef„llt mir; sie gef„llt mir sogar auáerordentlich. Ich will sie zu der meinigen machen. Und da es mir unm”glich ist, ein roter Winnetou zu werden, so werde ich ein weiáer!" "Auf welche Weise?" "Auf die einfachste Weise, die es gibt: Ich grnde einen Clan fr weiáe Winnetous." "Wann?" "Heut, hier, jetzt, sogleich!" "Verrckter Kerl." Er machte bei diesem Ausruf eine geringsch„tzige wegwerfende Handbewegung. Hariman aber lieá sich nicht irremachen. Er sagte: "Lach, wie du willst! Und spotte darber! Ich tue es doch! Ich muá, ich muá! Und du wirst wohl auch noch mssen!" "Ich? Mssen? F„llt mir nicht ein!" "Ob es dir einf„llt oder nicht, ist Nebensache. Mir ist es auch nicht eingefallen. Es kommt, ohne daá man es will. Und wenn es da ist, hat man zu gehorchen. Also, ich grnde jetzt einen Clan Winnetou fr Weiáe. Ob ich das erste und einzige Mitglied dieses Clans bin und bleibe, darauf kommt in diesem Augenblick nichts an. Und ob ich mich damit l„cherlich mache, ist mir gleichgltig. Ich wnsche aber, daá wenigstens noch Einer beitritt, und dieser Eine bist du, Sebulon! "Darauf rechne nicht, ja nicht!" antwortete dieser. "Ich rechne dennoch darauf, dennoch, und du wirst sehen, daá du muát - daá du muát! Mrs. Burton, Ihr //294// seid eine Dame, und darum vermute ich, Ihr habt N„hzeug mit?" "Allerdings", antwortete das Herzle. "Ich bitte um eine N„hnadel und um einen Faden guten, schwarzen Zwirn! Auch um eine Schere!" "Das sollt Ihr haben", sagte sie und ging nach dem Zelt, um das Gewnschte zu holen. "Und Ihr, Mr. Burton, seid Schriftsteller", wendete er sich an mich. "Ihr habt also wahrscheinlich Tinte und Feder, sogar hier, so tief im Westen?" "Ein Reiseschreibzeug ist da", erkl„rte ich. "So bitte, gebt mir eine Feder und einige Tropfen Tinte! Papier habe ich selbst." "Meine Frau wird Beides mitbringen. "Was willst du mit Tinte und Feder?" fragte Sebulon. "Den Namen der Person aufschreiben, die ich beschtzen will." "Wahnsinn, wirklich Wahnsinn! Darf ich nicht wenigstens wissen, wer diese Person ist?" "Nein! Kein Mensch soll es wissen! Du am allerwenigsten!" Nachdem das Herzle die gewnschten Gegenst„nde gebracht hatte, schnitt Hariman aus dem Fell des heut verzehrten Hasen einen kleinen, zw”lfstrahligen Stern heraus, von dem er mit Hilfe seines scharfen Messers die Haare schabte. Dann schnitt er sich ein Stckchen Papier zurecht und schrieb, es auf sein Knie legend, in langsamen, sorgf„ltigen Zgen den betreffenden Namen darauf. Hierauf bezeichnete er die betreffende Stelle auf der Brust seines Rockes, zog ihn aus und schickte sich an, den Stern dort festzun„hen. Sebulon folgte jeder dieser seiner Bewegungen mit mehr als gespannten Blicken. Auf seinem Gesicht wechselte der Aus- //295// druck [Ausdruck] des Spottes mit dem eines tiefen, „ngstlichen Interesses. Hariman hatte kein Geschick zum N„hen. Schon nach den ersten Stichen trennte er sie wieder auf. Das wiederholte sich. Er wurde ungeduldig. "Es ist, als ob es nicht sein sollte; ich tue es aber doch!" zrnte er. Da fragte meine Frau: "Wollt Ihr nicht mir erlauben, den Stern festzun„hen? Ich bringe das wohl leichter und schneller fertig." "Wollt Ihr wirklich, Mrs. Burton? Wie lieb Ihr seid, wie lieb! Ja, da habt Ihr den Rock, den Stern, das zusammengeschlagene Papier, welches unter den Stern zu liegen kommt, die Schere, die Nadel und Alles! Aber bitte, schlagt das Papier ja nicht etwa auf, um es zu lesen!" Sie legte das Papier an die bezeichnete Stelle des Rockes, den Stern darauf und begann, die Arbeit in sehr sorgf„ltiger Weise auszufahren. Zw”lf Strahlen erforderten viele, viele Stiche. "So groáe Mhe h„tte ich mir nun freilich nicht gegeben! " gestand Hariman. Und nach einer Weile fgte er, wie zu sich selbst sprechend, hinzu: "Es ist doch eigentmlich, ganz, ganz eigentmlich mit dieser Sache! Als ich den Namen schrieb, war es mir, als unterschriebe ich mein Todesurteil. Und doch war es mir so leicht und so wohl dabei!" Auch Sebulon paáte auf. Er verwandte fast keinen Blick von meiner Frau. Aber seine Aufmerksamkeit hing mehr an ihrem Gesicht als an ihrer arbeitenden Hand. Zuweilen schloá er die Augen, als ob ihm etwas darin wehe tue. Und - - was war denn das? - - ich sah einen Tropfen von seiner Stirn rinnen, und noch einen und wieder einen! Schwitzte er? Seine H„nde //296// zuckten nach dem Hasenfelle. Er schien nicht zu wollen, ergriff es aber doch. Dann nahm er die Schere und schnitt, ganz wie vorhin sein Bruder, einen zw”lfstrahligen Stern daraus. Das geschah so z”gernd, so widerwillig, fast wie im Traum. Dann schabte er die Haare herunter, schob dem Herzle den Stern zagend hin und ersuchte sie: "Bitte, Mrs. Burton, mir dann auch!" "Ann„hen?" fragte sie. "Ann„hen", nickte er. "Mit einem Papier?" "-ja, mit einem Papier und dem Namen. Den schreibe ich jetzt." "Also doch! Habe ich es nicht gesagt?" rief Hariman aus. "Schweig!" fuhr sein Bruder ihn an. "Ich tue es nicht, weil du es wolltest, sondern weil ich es will! Ich kann auch beschtzen! Verstanden?" "Aber wen?" fragte Hariman. "Das ist mein Geheimnis! Hast du mir etwa den von dir geschriebenen Namen gesagt? So erf„hrst also auch du den nicht, den ich schreiben werde!" Er griff zu Feder und Papier und schrieb. Es handelte sich nur um einen kurzen Namen, also um eine Arbeit von wenigen Silben; aber er brachte doch l„ngere Zeit damit zu. Er unterbrach sich mehrere Male. Er holte tief, tief Atem. Endlich war er fertig, lieá die Schrift trocken werden, legte das Papierchen dann mehrfach zusammen und schob es dem Herzle hin. Was die Brder da taten, das war eigentlich ganz und gar nichts Auáergew”hnliches. Wohl mancher an meiner Stelle h„tte es als Kinderei, als Spielerei bezeichnet. Und doch w„re es mir vollst„ndig unm”glich //297// gewesen, darber zu l„cheln. Ich hatte das Gefhl, als ob dabei ein innerer Zwang vorhanden sei, dem weder der Eine noch der Anderere widerstehen konnte. Als das Herzle mit der Arbeit fertig war, zogen die Brder ihre R”cke wieder an. Sie betrachteten einander, erst ernst, fast feindselig, dann freundlicher und immer freundlicher. Endlich lachte Hariman; Sebulon aber l„chelte nur. "Weiát du nun, was du bist?" fragte der Erstere. "Ein Winnetou", antwortete der Letztere. "Ja. Aber weiát du auch, was das bedeutet?" "Daá ich der Engel eines Andern bin, den ich zu beschtzen habe." "O, nicht nur das! Das meine ich berhaupt gar nicht, denn das versteht sich ganz von selbst. Sondern du fhrst jetzt den Namen dessen, den wir gehaát haben, wie man eigentlich keinen Menschen haát, sondern nur Bestien und Teufel!" "Du doch ebenso!" "Freilich wohl! Aber hast du dir berlegt, daá es nun mit diesem Haá zu Ende ist? Zu Ende sein muá - muá?" "Nichts, gar nichts habe ich mir berlegt!" brauste Sebulon auf. "Ich tue das, was ich will! Das berlegen bringt nur fremden Willen. Ich bin ein Winnetou geworden, und - - -" "Nein, Ihr seid keiner geworden", fiel der "junge Adler" ein. Es war das erste Mal, daá er freiwillig zu Sebulon sprach. "Nicht?" fragte dieser. "Fehlt etwa noch etwas daran?" "Ja." //298// "Was?" "Der Schwur." "Der Schwur? Man hat zu schw”ren? Etwas zu beeiden? Was?" "Daá man seiner Schutzengelpflicht getreu sein will bis in den Tod. Die roten M„nner brauchen keinen Schwur. Bei ihnen genagt der Handschlag, denn er ist ihnen ebenso heilig wie der Eid." "Uns auch!" rief Hariman. "Ja, uns auch!" rief Sebulon. "So steht auf!" gebot er ihnen. Sie taten es. Auch er erhob sich von seinem Sitz. In diesem Augenblick warf Pappermann ein groáes, harziges Holzstck in das Feuer. Die Flamme loderte auf. Sie zngelte nach allen Richtungen. Da schien sich der Wald mit geistergleichen Wesen zu beleben. Die n„chtlichen Schatten der B„ume und Str„ucher bewegten sich. Sie huschten hin und her. Sie sprangen empor und sanken zu Boden. "Reicht euch die H„nde!" befahl der junge Indianer. Sie gehorchten. Da trat er ganz zu ihnen heran, legte seine Hand auf die ihrigen und forderte sie auf: "Sprecht mir die Worte nach: ,Unsern Schtzlingen treu bis in den Tod!'", "Unsern Schtzlingen treu bis in den Tod!" erklang es vereint aus ihrem Munde. "Dieses Wort ist unser Schwur! Sprecht das nach!" "Dieses Wort ist unser Schwur!" fgten sie hinzu. "So! Nun erst k”nnt ihr behaupten, Winnetou geworden zu sein. Denn nicht der Stern tut es, sondern der Wille. Und diesen Willen habt ihr kundgegeben. Des bin ich Zeuge. Gebt auch mir, dem Zeugen, eure H„nde!" //299// "Hier ist die meine", sagte Hariman, indem er sie ihm gab. "Und hier die meine", sprach Sebulon. Der junge Apatsche ergriff beide, die eine mit seiner Rechten, die andere mit seiner Linken und fragte. "Seid ihr euch der Wichtigkeit dieses Augenblicks bewuát?" Keiner antwortete. Da fuhr er fort. "Was ihr nicht wiát, weiá Manitou, und was ihr nicht k”nnt, kann er. Wer Andere beschtzt, beschtzt sich selbst. Indem ihr euch vorgenommen habt, die Engel eurer Schtzlinge zu sein, sind in Wirklichkeit sie eure Engel geworden. Bleibt euch und ihnen treu! Das ist der einzige Dank, den sie von euch verlangen!" - - - [//300//] Fnftes Kapitel. Am Deklil-to. Ich hatte den n„chsten Tag dazu bestimmt, einen šberblick ber die ausgegrabenen Skripturen zu gewinnen, sah mich aber leider in der Hoffnung, dies tun zu k”nnen, get„uscht. Wir saáen noch beim Morgenkaffee, da tauchte am sdlichen Rande der Lichtung die Gestalt eines Indianers unter den B„umen hervor und kam auf uns zu. Es war der Winnetou von gestern abend. Er wendete sich nur an den "Jungen Adler". Uns andere schien er mit keinem Blick zu berhren. Er sprach seine Muttersprache, nicht englisch. "Es kommen Reiter", meldete er. "Woher?" fragte unser junger Freund. "Zwischen Nordwest und West." "Wie viele?" "Eine groáe Schar. Man konnte sie nicht z„hlen. Sie waren noch zu weit entfernt." "So komm wieder, sobald es m”glich ist, ihre Zahl zu bestimmen!" Der Winnetou entfernte sich, kehrte aber schon nach vielleicht zehn Minuten zurck und berichtete: //301// "Es sind Reiter und Reiterinnen. Zwanzig M„nner und viermal zehn Squaws, mit vielem Gep„ck auf Maultieren hinterher." "Wie weit entfernt von hier?" fragte der "junge Adler". "Sie werden in einer Viertelstunde den Nugget-tsil erreichen." "Sie m”gen kommen. Man beobachte sie, aber ohne sich von ihnen sehen zu lassen. Es sind die Squaws der Sioux, die nach dem Mount Winnetou wollen. Wer die M„nner sind, das weiá ich jetzt noch nicht. Wir reiten von hier nach dem Deklil-to. Ich glaube nicht, daá ich deiner Hilfe noch einmal bedarf." Hierauf entfernte sich der Winnetou, ohne eine einzige Silbe, die nicht von seiner Pflicht geboten war, auszusprechen. Das war Disziplin! Als unser alter, guter Pappermann erfuhr, wen wir hier bei uns zu erwarten hatten, kam er in eine Aufregung, die er zwar verbergen wollte, aber nicht verbergen konnte. Die Gebrder Enters fhlten sich unsicher. Sie fragten, ob sie sich vielleicht zurckziehen sollten. "Ihr geh”rt jetzt zu uns, und ihr bleibt bei uns", antwortete ich. "Wie ich eigentlich heiáe, ist zu verschweigen." Damit war diese Sache abgemacht. Ich sah mit meinem Herzle den Nahenden mit groáem Interesse entgegen, obgleich ich es bedauerte, auf die Durchsicht der Manuskripte nun verzichten zu mssen. Es verging eine Viertelstunde nach der anderen. Diese Leute nahmen sich Zeit. Endlich, nach ber einer Stunde, h”rten wir schon von weitem den L„rm, den sie machten. Sie kamen zu Fuá. Die Pferde waren wegen der steilen Stellen, die es gab, unten am Berg gelassen worden. Wir wurden bemerkt, noch ehe sie unter den B„umen hervorgetreten //302// waren. Das schlossen wir aus dem Umstand, daá die lauten Stimmen jetzt pl”tzlich verstummten. Hierauf sahen wir einen sehr langen und sehr hageren Menschen erscheinen, der sich in einem sonderbar hochbeinigen, schlingernden Gang auf uns zu bewegte. Er war nicht indianisch gekleidet, sondern er trug einen sehr eleganten Yankeeanzug mit einem sehr weiáen und sehr hohen Kragen und ebenso weiáen, gl„nzenden Manschetten. An seiner Brust prahlte eine groáe, echte Nadelperle, und an seinen Fingern gl„nzten verschiedene Diamanten nebst anderen Edelsteinen. Aber seine H„nde waren groá, sehr groá, seine Fáe ebenso, und seine Nase - - oh, diese Nase! Die konnte nur von einer riesennasigen indianischen Mutter und einem noch riesennasigeren armenischen Vater stammen und war dann an ihren beiden Seiten derart abgeschliffen worden, daá sich nur die dnne Scheidewand erhalten hatte. Zu dieser Nase erschienen die wimperlosen, zudringlichen Žuglein viel zu klein. Das Gesicht war schmal. Der Kopf glich einem Vogelkopfe, aber dieser Vogel war ganz gewiá kein khner Adler, sondern nur ein monstreschnabeliger Pfefferfresser. Also dieser Mann kam auf uns zugeschlingert, blieb vor uns stehen, ohne zu gráen, betrachtete uns, Einen nach dem Anderen, wie leblose Gegenst„nde oder wie v”llig wertlose Personen, die sich das gefallen lassen mssen, und fragte dann: "Wer seid ihr?" Seine Stimme klang scharf und spitz. Leute mit solchen Stimmen pflegen gefhl- und rcksichtslos zu sein. Er erhielt nicht sogleich eine Antwort, darum wiederholte er seine Frage: "Wer seid ihr? Ich muá das wissen!" Mir und dem Herzle fiel es nicht ein, ihm Rede zu //303// stehen, dem "Jungen Adler" noch viel weniger. Die beiden Enters hatten Grund, sich nicht hervorzutun, und so war es schlieálich Pappermann, welcher das Wort ergriff: "Ihr mát das wissen? Ihr mát? Ah, wirklich? Wer zwingt Euch dazu?" "Zwingt?" fragte der Mann erstaunt. "Von einem Zwang ist keine Rede. Ich will?" "Ah, Ihr wollt! Das ist freilich etwas Anderes! Nun, so wollt einmal! Bin neugierig, wie weit Ihr es mit diesem Eurem Willen bringt!" "Genauso weit, wie ich eben will! Wenn es Euch etwa beliebt, mir mit Albernheiten zu antworten, so haben wir die Mittel in den H„nden, Euch zu zwingen, ernst zu sein!" Wir Anderen alle saáen. Nur Pappermann hatte gestanden, als der Fremde kam. Er schritt jetzt langsam auf ihn zu, stellte sich gewichtig vor ihm auf und fragte: "Zwingen? Uns zwingen? Etwa Ihr? Den Mann, der das sagt, muá ich mir doch einmal genauer betrachten!" Er faáte ihn bei den Armen, drehte ihn nach rechts, nach links, schlieálich ganz um sich herum, schttelte ihn, daá alle Knochen wackelten, und sagte dann: "Hm! Sonderbar! Bin doch sonst nicht so dumm! Aber aus diesem Kerl werde ich mir nicht klug. Ihr seid kein Ganzindianer, sondern nur ein halber? Ist das richtig?" Der Gefragte wollte aufbrausen, anstatt willig und direkt zu antworten, da aber schttelte der alte Westmann ihn zum zweiten Mal und warnte: "Halt! Keine Grobheiten oder gar Beleidigungen! Die vertrage ich nicht! Wer hierher kommt und uns, ohne zu gráen, zwingen will, uns aushorchen zu lassen, wie es ihm beliebt, der ist erstens ein ungezogener Mensch //304// und zweitens ein Schafskopf sondergleichen. Hier ist unser Lagerplatz. Nach den Gesetzen der Pr„rie geh”rt er uns, bis wir ihn verlassen. Wir waren eher da als Ihr. Wir sind hier daheim. Wer unser Heim betritt, der hat h”flichst zu gráen und sich auszuweisen, wer er ist und was er will. Verstanden? Und nun sagt mir vor allen Dingen erst einmal Euern Namen! Aber schnell! Ich scherze nicht! Sondern ich pflege solche V”gel, wie Ihr seid, sehr schnell richtig pfeifen zu lehren!" Er hielt ihn noch an beiden Armen fest, so fest, daá der Fremde das Gesicht vor Schmerz verzog und kleinlaut antwortete: "So laát doch wenigstens los! Mein Name ist Okih-tschin-tscha. Bei den Bleichgesichtern heiáe ich Antonius Paper!" "Antonius Paper und Okih-tschin-tscha? Sch”n! Aber ein Ganzindianer seid Ihr nicht?" "Nein." "Sondern nur ein halber, ein Mischling?" "Ja." "Eure Mutter war Indianerin?" "Ja." "Von welchem Stamme?" "Sioux." "Und Euer Vater?" "Der kam aus dem gelobten Land herber und war von Geburt Armenier." "Schade, jammerschade!" "Wieso?" "Es tut mir so leid um das gelobte Land, daá es sich die Ehre, Euch geboren zu haben, hat entschlpfen lassen! Die Armenier sind, wenn sie herberkommen, immer H„ndler. Ihr wohl auch?" //305// "Ich bin Bankier!" erwiderte der Fremde stolz. "Nun aber laát mich los! Und sagt auch, wer Ihr seid!" "Das soll geschehen. Ich bin ein alter, wohlbekannter Pr„riel„ufer und heiáe Pappermann, Maksch Pappermann, verstanden? Nebenbei ist es mein ganz besonderes Metier, grobe Leute h”flich und dumme Menschen gescheit zu machen. Ihr seid nicht allein? Eure Begleiter stecken noch da drben unter den B„umen?" "Ja." "Es sind Frauen dabei?" "Ja." "Siouxfrauen, die nach dem Mount Winnetou wollen?" "Ja. Woher wiát Ihr das?" "Das ist meine Sache, nicht Eure. Wer sind die M„nner dabei?" "Das sind die Herren vom Komitee mit ihrer Dienerschaft und den Fhrern." "Was fr ein Komitee?" "Das Komitee fr den Denkmalbau eines - - -" Er hielt inne. Es fiel ihm ein, daá Weiáe als Mitwisser ja eigentlich ausgeschlossen seien. Darum fuhr er fort: "Fragt sie selbst! Ich bin nicht erm„chtigt, ber die Zwecke dieses Komitees Auskunft zu erteilen! Und laát mich nun doch endlich los!" Da schttelte Pappermann ihn noch einmal tchtig durch, gab ihn dann frei und sagte: "So kehrt zu ihnen zurck, und sagt ihnen meinen Namen! Besonders den Damen! Es sind einige dabei, die mir beistimmen werden, daá man hier zu gráen hat!" Herr Antonius Paper schlingerte wieder ber die Lichtung hinber, bis er unter den B„umen verschwand. Sein Indianername Okih-tschin-tscha bedeutet //306// in der Siouxsprache soviel wie "M„dchen". Er schien sich also schon von Jugend auf durch m„nnliche Taten und m„nnliche Eigenschaften nicht allzusehr ausgezeichnet zu haben. Er war der Kassierer des "Denkmalkomitees fr Winnetou". Man wird sich erinnern, daá gerade er und sein Verh„ltnis zu Old Surehand mir gleich von Anfang an als nicht vertrauenswert erschien. Nun ich ihn heut zum ersten Mal sah, war der Eindruck, den er auf mich machte, kein gnstiger. Das Herzle dachte ebenso. "Ein Mischling!" sagte sie. "Du bist doch immer der Meinung, daá diese Halbblutleute meist nur die schlimmen Eigenschaften ihrer Eltern erben?" "Ja, meist. Aber schau! Man kommt!" Kaum hatte der Halbindianer da drben den Namen Pappermann genannt, so h”rten wir den frohen Ruf einer weiblichen Stimme, und gleich darauf erschienen zwei Frauengestalten, die mit eiligen Schritten ber die Lichtung herberkamen. Die Eine war Aschta, die wir am Kanubisee gesehen hatten, die Andere wahrscheinlich ihre Mutter. Die brigen Ladies folgten ihnen auf dem Fuá, hinter ihnen die M„nner in langsameren, wrdigeren Schritten. Wir standen alle auf. "Mir wird ganz schwach!" sagte Pappermann. Er lehnte sich an den n„chsten Baum. Aber seine alten, guten, treuen, ehrlichen Augen standen weit offen und waren mit seligem Ausdruck auf die beiden, sich n„hernden Frauen gerichtet. Man sah sofort, daá diese Beiden Mutter und Tochter waren, so sprechend „hnlich, so fast v”llig gleich zeigten sie sich nicht nur in Beziehung auf ihre Gesichtszge, sondern auch in Hinsicht auf ihren Gang, ihre Haltung und die Art, sich zu bewegen und sich auszudrcken. //307// Dazu kam, daá sie v”llig gleich gekleidet waren. Die vierzig Indianerinnen stimmten in ihren Anzgen berhaupt alle berein. Auch trugen sie alle den Stern des Clan Winnetou. Aschta hieáen beide. Sie kamen Hand in Hand. Die Mutter war beinahe fnfzig Jahre alt, aber immer noch sch”n, und zwar von jener Sch”nheit, an welcher die Seele nicht weniger Anteil hat als der K”rper. "Da ist er!" sagte die Tochter, indem sie auf Pappermann zeigte. "Und dort steht der ,Junge Adler', von dem ich dir auch erz„hlte." Aber die Mutter achtete jetzt nicht auf den Letzteren, sondern nur auf den Ersteren. Sie gab die Hand ihrer Tochter f rei, blieb einen Augenblick stehen, lieá ihren Blick ber ihn gleiten und sagte: "Ja, er ist es, der Liebe, der Gute, der Bescheidene!" Sie trat bis ganz zu ihm heran, ergriff seine H„nde, hob ihre sch”nen, dunklen, aber klaren Augen zu seinem Gesicht empor und fragte: "Warum kamt Ihr nicht? Warum seid Ihr uns ausgewichen, immer und immerfort? Es ist grausam, den Dank der Herzen, die es ehrlich meinen, abzulehnen. Bitte, gebt mir Eure Stirne; ja, gebt sie mir!" Er bog den Kopf nieder. Sie hob die H„nde, zog ihn n„her und káte ihn auf die Stirne und auf die beiden Wangen. Da konnte er sich nicht l„nger halten. Er brach in ein lautes Schluchzen aus, drehte sich um und entfernte sich mit eiligen Schritten, in den Wald hinein. "Hier wird gekát!" h”rte man eine scharfe, spitze Stimme erklingen. Das war der Halbindianer, der bei den anderen M„nnern hinter den Frauen stand. Aller Augen richteten sich auf ihn. //308// "Welch ein Wort", rief Aschta, die Tochter, aus. "Er soll es báen! " Sie hob drohend den Arm und eilte zornig auf ihn zu. "Aschta! " erklang da die Stimme der Mutter. "Berhre ihn nicht! Er ist schmutzig!" Die Tochter hemmte ihren Schritt und ging zur Mutter. Diese nahm sie wieder bei der Hand und sagte, so daá alle es h”rten: "Komm, wir gehen, den Andern, den Freund, den Retter zu suchen, denn er steht h”her, tausendmal h”her als jener dort, der es wagt, ber Dankbarkeit zu spotten!" Beide entfernten sich in der Richtung, nach welcher Pappermann den Platz verlassen hatte. Ich war der Meinung, daá hierauf zwischen uns und den Neuangekommenen ein kurzer Verlegenheitszustand eintreten werde, der unbedingt berwunden werden muáte, aber ich hatte mich geirrt. Mr. Antonius Paper oder vielmehr Mr. Okihtschin-tscha schien eine dicke Haut zu besitzen, durch welche Strafreden, wie die soeben angeh”rte, nicht zu dringen vermochten. Er tat, als ob nicht das Geringste vorgefallen sei, und ergriff sofort wieder das groáe Wort, indem er sich an die bei ihm stehenden Gentleman wendete, die alle indianisch gekleidet waren, obgleich man ihnen ansah, daá sie nicht mehr der Pr„rie oder dem Urwald angeh”rten: "Der Sprecher der hier lagernden Gesellschaft hat sich leider entfernt. Er kann uns also nicht sagen, wer die Anderen, die Zurckgebliebenen sind. Wir werden es aber erfahren. Ich sorge dafr!" Er kam auf uns zu. "Der Unglckselige!" sagte das Herzle. "Er wird doch nicht etwa mit dir anbinden?" //309// "Er wrde sofort wieder abgebunden sein!" lachte ich vergngt. Ihre Befrchtung erwies sich als begrndet. Der Mann wendete sich an mich. Alle Welt schaute nach ihm und war auf seine Fragen und meine Antworten gespannt. "Mr. Pappermann hat es fr gut gehalten, sich zurckzuziehen", begann er; "ich frage also nun Euch. Wie ist Euer Name?" "Ich heiáe Burton", antwortete ich. "Und die Lady da neben Euch?" "Ist meine Frau." "Die beiden Gentlemen, die hinter Euch stehen?" "Sind Brder. Mr. Hariman Enters und Mr. Sebulon Enters." Den "jungen Adler" sah er nicht, weil dieser abseits stand. Er fuhr in seinem Verh”r fort: "Wo kommt Ihr her?" "Aus dem Osten." "Wo wollt Ihr hin?" "Nach dem Westen." "Redet nicht so dumm! Das ist ja eben der Westen, wo Ihr seid! Und wenn ich einmal frage, so will ich Namen und Orte wissen, nicht aber alberne Ausdrcke, aus denen man sich nichts nehmen kann!" Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, so bekam er eine derartige Ohrfeige von mir, daá er sich halb um sich drehte und dann niederstrzte. Hierauf wendete ich mich nach rechts: "Die Ladies wollen verzeihen, daá es hier genauso aus dem Wald schallt, wie hineingesprochen wird; wir sind ja eben im Wald!" Und nach links hinber fgte ich hinzu: //310// "Ich bitte einen der andern Gentlemen, die Unterhaltung mit mir fortzusetzen. Mr. Paper wird wahrscheinlich darauf verzichten." "Verzichten?" rief er aus, indem er sich vom Boden aufraffte. "F„llt mir nicht ein! Ich bin geschlagen worden - geschlagen! Das erfordert Strafe - sofortige Strafe!" Er suchte hastig in seinen Taschen herum und brachte zun„chst ein Messer hervor, eine sehr elegante, sogenannte Sicherheitsklinge, die er sehr behutsam, um sich ja nicht selbst zu stechen, ”ffnete. Dann kam ein kleiner, allerliebster Salonrevolver zum Vorschein, den er entsicherte und spannte. Nach diesen groáartigen Vorbereitungen wollte er sich von neuem an mich machen. Die Folge w„re eine noch gr”áere Blamage gewesen, zu der es aber nicht kam, denn einer der Gentlemen schob ihn beiseite und sagte: "Steckt diese Waffen wieder ein, Mr. Paper! Mit gewaltt„tigen Leuten spricht man anders!" Er tat mit verbindlichem L„cheln zwei Schritte auf mich zu, machte mir eine noch verbindlichere Verbeugung und begann: "Wir wnschen, uns Euch vorzustellen, Mr. Burton. Ich bin Agent, Agent fr alles m”gliche, und heiáe Evening. Hier steht Mr. Bell, Simon Bell, Professor der Philosophie. Und da steht Ihr Mr. Edward Summer, der auch Professor ist, n„mlich Professor der Klassikal-Philologie. Gengt Euch das?" Man sah es ihm an, daá er erwartete, mir auáerordentlich imponiert zu haben, und ich gestehe auch gern ein, daá diese beiden Professoren bisher meine Hochachtung besaáen; gesehen hatte ich sie noch nie. Ich war also gern bereit, so h”flich wie m”glich zu sein und ihnen //311// in jeder Weise entgegenzukommen, zumal diese vier M„nner im Verein mit Old Surehand ja das Komitee bildeten, in dessen H„nde das Schicksal des geplanten Winnetoudenkmals gegeben war. Ich verbeugte mich also ebenso verbindlich, wie er es getan hatte und antwortete: "Ich fhle mich geehrt, so hervorragende M„nner der Wissenschaft kennenzulernen, und erkl„re mich bereit, dies, wenn ich Euch dienen kann, zu beweisen." "Das ist mir lieb, sehr lieb! Ich werde Euch sofort Gelegenheit geben, diesen Beweis zu fhren. Wir sind n„mlich in einer wichtigen Angelegenheit gekommen, diesen Platz hier zu besichtigen. Wir glaubten, niemand hier zu finden. Eure Gegenwart ist uns st”rend." So unendlich h”flich, wie er das sagte, so unendlich rcksichtslos war es auch. Ich sah die beiden Professoren an und antwortete nicht sogleich. "Ihr versteht mich doch?" fragte er. "Gewiá", erwiderte ich. "Es ist ja deutlich genug." "Nun?" "Ihr wnscht, daá wir uns entfernen?" "Ja." "Wir alle?" "Alle!" "Wie weit?" "Welch eine Frage! Ich meine ganz selbstverst„ndlich nicht nur zehn oder zwanzig oder fnfzig Schritte! Ihr sollt fort von hier, vollst„ndig weg, weg, weg!" "Wnschen das auch die Herren Professoren?" Die Herren bejahten diese Frage sehr energisch, und der Agent fgte noch berdies erkl„rend hinzu: "Ihr scheint ein berm„áig gewaltt„tiger Mann zu sein. Unsere Angelegenheit aber ist eine so zarte, feine //312// und diskrete, daá Ihr ganz gewiá an keine Stelle paát, an der wir uns befinden." "Das sehe ich ein, Mr. Evening; ja wirklich, das sehe ich ein. Wir werden diesen Platz also verlassen." "Nicht nur zum Schein?" "Nein." "Und wann?" "Sofort. Ich bitte nur um soviel Zeit, als wir n”tig haben, das Zelt abzubrechen und die Pferde zu satteln." "Die sei Euch gern gew„hrt. Ich sehe, Ihr seid vernnftiger, als wir dachten!" Ich wendete mich mit meiner Frau nach dem Zelt und bat die beiden Enters, uns zu helfen. "Wie schade! jammerschade!" klagte das Herzle leise. "Diese uns so heilige St„tte in dieser Weise verlassen zu mssen!" Ich sah ihr an, das Weinen stand ihr nahe. "Sei ruhig, Schatz!" bat ich. "Wir kommen auf dem Rckweg wieder her, und gewiá in anderer Weise und in anderer Begleitung!" "Aber muá es denn sein? Mssen wir denn weichen? Grad diesen Menschen weichen? Haben wir nicht ein viel, viel gr”áeres Recht, hier zu sein, als sie? Ist es nicht vielleicht eine Schw„che von dir?" "Im Gegenteil, ein Sieg." "Da m”chte ich dich fast bitten, mir dies zu beweisen!" "Ist gar nicht n”tig, du wirst es ganz von selbst einsehen, und zwar noch ehe wir gehen. Wir liefern hier unser erstes, bedeutendes Avantgardegefecht fr unser Ideal. Du wirst den Sieg bald sehen, vielleicht auch h”ren! Ich bitte, dich mit dem Einpacken soviel wie m”glich zu beeilen!" //313// Mit diesem Einpacken ging es bedeutend schneller, als wir dachten. Die Herren vom Komitee hatten die Gte, uns einige von ihren Hands*) zur Hilfe zu stellen, so daá wir grad fertig und zum Aufbruch bereit waren, als Aschta, die Mutter und Aschta, die Tochter mit Pappermann aus dem Wald zurckkehrten. Sie kamen Hand in Hand, er in der Mitte, auf beiden Seiten von Mutter und Tochter gefhrt. Sein altes, liebes Gesicht strahlte im Ausdruck einer tiefen, reinen, heiligen Freude. Als er die Maultiere bepackt sah, uns beiden Pferden stehend und den "Jungen Adler" sogar schon im Sattel sitzend, rief er verwundert aus: "Was ist das? Wollt ihr etwa fort?" "Ja, fort", antwortete ich. "Steigt auf!" "Unm”glich! Ich habe versprochen, zu bleiben!" "So bleibt! Wort muá man halten! Ich aber habe versprochen, den Nugget-tsil zu verlassen, und zwar sofort." "Wem?" "Den Gentlemen da. Ich deutete dabei auf die Herren vom Komitee. "Wir sind ihnen zu gewaltt„tig!" fgte Hariman Enters hinzu, um seinem Žrger Luft zu machen. "Nicht zart, nicht fein, nicht diskret genug!" vervollst„ndigte Sebulon Enters. "Sie meinen, daá Mr. Burton an keine Stelle paát, an der sie sich befinden!" "Das ist eine Lge, eine ganz unversch„mte, flegelhafte Lge!" brauste Pappermann auf. "Mr. Burton ist ein Gentleman, wie es hier unter uns wohl keinen -" "Still!" unterbrach ich ihn. "Wem habt Ihr versprochen, hierzubleiben?" ________________ *) Dienerschaft //314// "Diesen beiden Ladies." "Wie lange hierzubleiben?" "Das wurde nicht gesagt. Gewiá aber war gemeint, bis wenigstens morgen. Wir haben uns soviel zu erz„hlen. Mát Ihr wirklich fort, wirklich?" "Ja, unbedingt! Ihr k”nnt ja hierbleiben und morgen nachkommen!" "Was? Euch allein lassen, Euch und Mrs. Burton? Da w„re ich ja der gr”áte Halunke, den es gibt! Nein, nein! Ich reite mit! Ich bitte die Ladies, mir mein Wort zurckzugeben! Sie werden es tun, gewiá, gewiá! Denn ich verspreche ihnen, daá wir uns bald, sehr bald wiedersehen!" Er káte ihnen in b„renhafter, aber um so rhrender Zartheit die H„nde und ging zu seinem auch schon gesattelten Maultier. Da richtete sich die Mutter hoch auf und fragte mit lauter, gebieterischer Stimme ber den Platz hinweg: "Was ist hier geschehen? Ich will es wissen, ich, das Weib Wakons, des Unbestechlichen, der sich weigerte, Mitglied dieses Komitees zu sein! Wer sagt es mir, wer?" "Der wird es dir sagen, der da kommt", antwortete ihre Tochter, indem sie auf den "jungen Adler" deutete, der sein Pferd in t„nzelndem Schritt nach der Stelle trieb, wo beide standen. Als er sie erreicht hatte, rief er mit weithin vernehmbarer Stimme: "Ich bin ein Winnetou vom Stamm der Apatschen. Ich kehre aus den Wohnorten der Bleichgesichter heim zur St„tte meiner Ahnen. Man nennt mich den ,jungen Adler'- - -" "Der junge Adler - - der junge Adler - - der junge Adler!" raunte es von Mund zu Mund. Man //315// kannte diesen Namen, obgleich sein Tr„ger noch so jung an Jahren war. Er fuhr fort: "Ich erkl„re hiermit im Namen aller Winnetous vom Stamm der Apatschen, daá dieses Komitee nicht wrdig ist, die groáe Frage, vor deren L”sung wir hier stehen, zu entscheiden! Der Schlag in das Gesicht war wohl verdient, war die einzig richtige Antwort, die es gab! Nicht nur Antonius Paper, sondern das ganze Komitee hat ihn erhalten. Ich habe gesprochen. Howgh!" Er nahm sein Pferd vorn hoch, um den Platz zu verlassen. "Auch du willst fort?" fragte die Mutter. "Auch ich? Vor allen Dingen ich! Doch sehen wir uns wieder", antwortete er. "Wann und wo?" fragte die Tochter. "Am Mount Winnetou." Diese beiden Fragen und Antworten wurden nicht in englischer Sprache, sondern im Apatsche ausgesprochen. Die Mutter fgte in leiserem Ton hinzu: "Du bist ein Liebling Wakons, meines Gatten. Du wirst auch ihn am Mount Winnetou sehen. Kommst du vielleicht schon vor den Tagen der Ausstellung zu Tatellah-Satah?" "Ich hoffe es." "So sag ihm, daá Aschta, das Weib Wakons und zugleich die Tochter des gr”áten Medizinmannes der Seneca, im Kampf gegen den Unverstand mit allen Frauen der roten Rasse an seiner Seite steht." "Ich danke dir in seinem Namen. Wie kommt es, daá ihr trotzdem mit dem Komitee dieses Unverstandes reitet?" "Der Zufall fhrte uns mit ihnen zusammen. Sie //316// hingen sich an uns, obgleich wir das nicht wnschten. Sie wollen erfahren, was wir in unserm Campmeeting am Mount Winnetou beraten und beschlieáen werden. Wir teilen es ihnen nicht mit. Wir bergeben dir unsern Freund und Retter und bitten dich, ber ihn zu wachen. Wer ist das Bleichgesicht, welches sich mit seiner Squaw bei dir befindet?" "Hat Pappermann es euch nicht gesagt?" "Nein. Wir fragten ihn, aber er schwieg. Doch scheint er diese beiden sehr, sehr hochzuachten." Ich hielt so nahe bei ihnen auf dem Pferd, daá ich diese Worte h”rte. Die Mutter glaubte, von mir, dem Weiáen, nicht verstanden zu werden. Der "junge Adler" warf einen fragenden Blick herber.. Er h„tte den beiden Frauen gar so gern gesagt, wer ich war. Ich gab ihm mit den Augenlidern die Erlaubnis dazu. Da trieb er sein Pferd' noch einen Schritt weiter an sie heran und sprach: "Wenn dieser Weiáe und seine Squaw nicht erfahren sollen, was ihr jetzt mit mir redet, so mát ihr leiser sprechen." "Warum?" "Er versteht die Sprache der Apatschen." Sie erschrak. "So hat er uns ja schon verstanden!" hauchte sie schnell und verlegen. "Allerdings, und zwar jedes Wort. Aber du hast nicht n”tig, zu erschrecken. Er ist ein Freund Winnetous, und er ist auch der deinige, der Eurige. Er will nicht, daá man jetzt schon seinen Namen erf„hrt; aber wenn ihr mir versprecht, verschwiegen zu sein, so darf ich ihn euch nennen." "Wir werden verschwiegen sein!" "Nun wohl, es ist Old Shatterhand." //317// "Old Shat - - -!" Sie konnte den Namen vor Ueberraschung nicht ganz aussprechen. Sie erbleichte fr einen Augenblick. Dann r”tete sich unter der zurckkehrenden Blutwelle ihr Gesicht um so mehr. "Ist das wahr? - Ist das wahr?" "Ja, es ist wahr; er ist es", versicherte der "Junge Adler". "Der beste, der wahrste, der treueste Freund und Bruder unseres Winnetou! Zum ersten Mal im Leben sehe ich ihn! O k”nnte ich - - k”nnte ich - -!" Sie sprach auch diesen Satz nicht ganz aus. Sie schlug die H„nde zusammen und schaute wie hilflos zu mir empor. Ihre Tochter aber trat zu mir heran und káte, ehe ich es verhindern konnte, meinen Steigbgelriemen. Ebenso schnell zog sie auch den Rocksaum meines Herzle an die Lippen. "Und das ist seine Squaw - - - seine Squaw!" fuhr die Mutter fort. "O, h„tte ich doch nicht versprochen, zu schweigen! Ich wrde vor Freude jubeln, jubeln, jubeln!" Da schwang das Herzle sich vom Pferd, umarmte sie, káte sie auf Mund und Wangen und sagte in englischer Sprache: "Ich verstehe nicht, was Ihr sprecht, aber ich lese es aus Euren Augen und von Euren Lippen. Ich liebe euch beide! Ich begráe euch! Wir sehen uns wieder, bald, bald! Jetzt aber mssen wir fort!" Sie gab der Tochter denselben dreifachen Kuá wie der Mutter und stieg dann wieder auf das Pferd. Ich reichte den beiden lieben, sch”nen Indianerinnen die Hand und sagte: "Wakon, der unermdliche Forscher und Finder, steht hoch in meinem Geist und noch h”her in meiner //318// Seele; denn es ist die Seele seiner Nation, nach der er sucht. Ich freue mich, geh”rt zu haben, daá ich ihn am Mount Winnetou sehen werde. Und ich bin stolz darauf, schon heut seiner Squaw und seiner Tochter begegnet zu sein. Am meisten aber beglckt es mich, zu wissen, daá wir Verbndete sind. Das Andenken Winnetous geh”rt in die Herzen unserer M„nner und Frauen, in die Seelen unserer V”lker, nicht aber auf die kahlen, windigen H”hen prahlerischer Oeffentlichkeit. Ich bitte, zu verschweigen, daá ihr mich hier getroffen habt. Wir sehen uns wieder! Zur rechten Zeit an der richtigen Stelle!" Wir ritten fort, mit h”flichem Gruá fr die Frauen, doch ohne einen Blick fr die M„nner. Es ging langsam dieselben Steilungen hinab, die wir heraufgekommen waren. Unten sahen wir die Pferde derer stehen, die uns vertrieben hatten; sie kmmerten uns nicht. Dann, als der Weg eben wurde und wir aus dem Wald herauskamen, konnten wir eine gr”áere Schnelligkeit entwickeln und unsern Ritt beeilen. Denn nun wir einmal den Nugget-tsil verlassen hatten, galt es, unser n„chstes Ziel, den Deklil-to*) so bald wie m”glich zu gewinnen, weil der gr”áte Teil der Strecke zwischen hier und dort aus feindlichem Land bestand. Die alten, blutrnstigen Zeiten waren ja, Gott sei Dank, vorber, aber der Haá, der damals regierte, war noch nicht tot; der lebt heute noch. Das war sehr deutlich aus den Briefen zu ersehen, die ich von To-kei-chun, dem H„uptling der Racurroh-Komantschen, und von Tangua, dem „ltesten H„uptling der Kiowa, erhalten hatte. Unser Weg fhrte durch das Gebiet dieser beiden St„mme, und ich war mir sehr wohl bewuát, daá ich, wenn auch keinen wirklichen Leichtsinn, ________________ *) Dunkles Wasser //319// aber doch gewiá ein Wagnis beging, indem ich mit meiner Frau, die den doch immerhin m”glichen Gefahren nicht gewachsen sein konnte, grad diese schlimme Gegend durchquerte. Ich hatte kein ganz gutes Gewissen, htete mich aber, ihr dies zu sagen. Sie hatte keine Ahnung von diesen meinen Gedanken. Sie war ganz unbefangen. ja, noch mehr, sie war sogar sehr heiter. W„hrend wir auf ebenem Boden im k”stlichen Galopp nebeneinander dahinflogen, warf sie mir von der Seite her zuweilen einen heimlich sein sollenden Blick zu, den ich aber doch wohl bemerkte. Ich verstand diese Blicke. Sie kann kein Unrecht ertragen, auch dann, wenn dieses Unrecht nicht in einer Tat, sondern nur in einem Gedanken besteht. Es muá heraus. Sie muá es bekennen. Eher l„át es ihr keine Ruhe. Sie hatte jetzt so etwas, was sie loswerden wollte. Daher ihre Blicke. Endlich, als sie wieder einmal so forschend herberschaute, sah ich ihr voll in das Gesicht und forderte sie lachend auf: "Na also, heraus damit!" "Womit?" fragte sie. "Mit dem Gest„ndnis!" "Gest„ndnis? Was sollte ich wohl zu gestehen haben?" "Irgend Etwas." "Aber was?" "Das hoffe ich von dir zu erfahren!" "So? H”re, was h„ltst du wohl von einer Ehe, in welcher die arme, unglckliche Frau ihren Mann nie ansehen darf, weil er bei jedem Blick, den sie auf ihn richtet, glaubt, sie habe ihm ein Gest„ndnis zu machen?" "Meine Meinung lautet dahin, daá diese arme, unglckliche Frau sehr glcklich verheiratet ist, denn sie hat einen Mann, der sie kennt und durchschaut!" //320// "Hm! Der aber trotzdem nicht weiá, was sie ihm bekennen und gestehen soll, denn er sagt immer nur: ,Ich hoffe, es von dir zu erfahren!' Leider ist es in diesem jetzigen, einen, einzigen Fall endlich, endlich einmal richtig, daá ich dir Abbitte zu leisten habe. Ich war nicht einig mit dir. Wenn auch nur im Stillen, aber doch." "Nicht einig? Inwiefern?" "Ich w„re so gern da oben geblieben. Ich wollte nicht weichen. Ich hielt es wirklich fr eine Schw„che von dir, ihnen Platz zu machen." "Und aber nun?" "Ja, aber nun! Du hattest Recht! W„ren wir geblieben, so h„tte es nur Geh„ssigkeiten gegeben, herber und hinber. Also eher eine Niederlage, als einen Sieg. Auch an eine ruhige Durchsicht der ausgegrabenen Manuskripte w„re nicht zu denken gewesen. Hier aber sind wir frei, ohne Zank und Streit und Bitterkeit, und - - das erste, groáe Avantgarde-Gefecht, von dem du sprachst, ist gewonnen." "Das siehst du ein?" "Aber gern, sehr gern! Diese „ltere Aschta, die Frau Wakons, hat mir imponiert. Sie ist ein Charakter, eine groá angelegte Frau. Kein einziges von all den Komiteemitgliedern reicht geistig an sie heran. Die ist wahrlich nicht nach dem Mount Winnetou unterwegs, um dort Suffragettenreden zu halten! Die weiá, was sie will! Aber sie sagt es nicht; das imponiert mir ganz besonders! Indem du dich vertreiben lieáest, hast du dir in ihr eine Helferin gewonnen, die nicht zu untersch„tzen ist." "Ja", lachte ich fr”hlich, "es wird eine Amazonenschlacht zwischen ihr und dem Komitee! Ich bin auáerordentlich gespannt auf die Entwicklung, der wir //321// nicht etwa nur als Zuschauer entgegengehen, sondern an der wir als Mitwirkende sehr eng beteiligt sind. Wir h”rten, daá Kiktahan Schonka ein unerbittlicher Feind von Wakon ist. Ich vermute, daá Wakon an der Spitze der jungen Sioux ebenso nach dem Mount Winnetou kommen wird, wie Kiktahan Schonka die alten Sioux nach dem "dunklen Wasser" fhrt. Zwei feindliche Richtungen desselben Stammes, die auf fremdem Gebiet aufeinanderplatzen! Wie kurzsichtig! Grad hieran ging die Rasse zugrunde! Dem muá gesteuert werden! Also du bist wieder einverstanden mit mir?" "Vollst„ndig. Wo lagern wir heute abend?" "An der Nordgabel des Red River. Morgen kommen wir an die Salzgabel desselben Flusses, an welcher damals das Dorf der Kiowas lag. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Wir werden aber trotzdem die Stelle vermeiden, um unser m”glichstes zu tun, Niemandem zu begegnen." Es geschah, wie ich gesagt hatte. Wir erreichten gegen Abend die Nordgabel des roten Flusses und machten an ihrem Wasser Lager. Sehr interessant war, was wir w„hrend unseres Gespr„ches da von Pappermann erfuhren. Er hatte n„mlich w„hrend seiner Unterhaltung mit den beiden Aschtas aus einigen Žuáerungen der Mutter geschlossen, daá der Kassierer Antonius Paper bemht gewesen war, sich um die Hand der Tochter bewerben zu drfen. Man hatte ihn rundweg abgewiesen, und nun benutzte er jede Gelegenheit, hierfr in seiner ihm eigenen Weise Rache zu nehmen. Als der Alte dies erz„hlte, beobachtete ich den "jungen Adler". Er tat, als ob er es gar nicht h”re. Er sagte kein Wort und bewegte keinen Zug seines Gesichtes. Aber grad diese Unbeweglichkeit sprach deutlicher, als lauter Zorn h„tte sprechen k”nnen. //322// Noch ehe wir uns an diesem Abend schlafen legten, beschrieb ich meinen Gef„hrten den Weg, den ich damals, um Sander zu verfolgen, von dem Dorf der Kiowas gemacht hatte. Von da aus nach dem Rio Pecos und von dort hinauf nach dem "dunklen Wasser". Es gab von der Stelle aus, an der wir uns heute befanden, einen direkteren, einen n„heren Weg. Schlugen wir diesen ein, so konnten wir uns sofort von hier aus nach West wenden, ohne erst nach der Salzgabel des Red River zu reiten. Ich hatte damals nur darum nicht den krzeren, sondern den weiteren Weg gemacht, weil er von Sander, den ich verfolgte, eingeschlagen worden war. Ich stellte es nun jetzt meinen Begleitern anheim, sich eine von beiden Routen zu w„hlen. Sie waren so klug, sich fr die krzere zu entscheiden, und so kam es, daá wir eher in die N„he des Zieles gelangten, als sie andernfalls von uns erreicht worden w„re. Die Gegend, durch welche wir zuletzt ritten, war ”d und wasserlos. Kein Baum, kein Strauch, kein Grashalm erfreute das Auge. Es gab nur Stein und Felsen, weiter nichts. Das Gel„nde war bisher ziemlich eben gewesen, begann aber nun, langsam zu steigen. Es war schon Mittag. Wir hielten aber nicht an, um zu essen oder auszuruhen, denn es fehlte das Wasser, auf das wir erst sp„ter, wenn wir h”her hinaufkamen, rechnen durften. Da sahen wir einen Reiter, weit vor uns drauáen, der hinter einer kleinen Anh”he verborgen gewesen war und nun langsam hervorkam, um uns entgegen zu reiten. Er hatte uns von diesem seinem Versteck aus beobachtet. Warum blieb er nicht verborgen? Warum kam er schon jetzt hervor? Er konnte uns ja noch gar nicht genau erkennen. Ein erfahrener Krieger h„tte gewartet, bis er uns in gr”áerer N„he hatte. Lag der Grund etwa nur //323// darin, daá die alten Zeiten der Gefahr vorber waren und man darum berhaupt nicht mehr so vorsichtig zu sein brauchte wie frher? Es war ein Indianer. Er lenkte sein Pferd langsamen Schrittes auf uns zu. Dann hielt er an, um uns an sich kommen zu lassen. Er war keineswegs von hoher, breiter, sehniger Gestalt, sondern eher klein als groá zu nennen. Seine Kleidung bestand aus buntem Pueblostoff. Unter dem aus Agavefasern geflochtenen Hut floá das dunkle Haar lang auf den Rcken hernieder. Im Grtel trug er ein Messer, am Riemen ein leichtes Gewehr. Sein Pferd war kein gew”hnlicher Gaul, und die Haltung des Reiters durfte als selbstbewuát, ja, ich m”chte sagen, als indianisch-edel bezeichnet werden. Das Gesicht, ganz selbstverst„ndlich vollst„ndig bartlos, wollte mir bekannt erscheinen; nur wuáte ich nicht gleich, warum, woher und wohin. Er hatte weichere Linien und eine hellere, w„rmere Farbe, als Indianer gew”hnlich zu haben pflegen. Und der Blick seines milden, ernsten, offenen Auges, welches fast an Winnetous Schwester Nscho-tschi erinnerte - ah, da kam es mir, da wuáte ich es mit einem Mal, wo und wann ich diesen Indianer gesehen hatte! Und in demselben Augenblick wurde ich auch von ihm erkannt. Ich war zuf„llig am Ende unseres kleinen Trupps geritten. Darum traf mich sein Auge zu allerletzte Es vergr”áerte sich unter dem Eindruck der šberraschung, der Freude. Die Wangen r”teten sich zusehends, fast wie bei einem jungen M„dchen, dem von dem erregten Puls das Blut in das Gesicht getrieben wird. Er wollte das zwar verbergen, brachte es aber nicht fertig, w„hrend er es aber mir ganz gewiá nicht ansehen konnte, daá ich mich seiner erinnerte. Ich konnte mich beherrschen, er aber nicht; ich war ja ein Mann; er aber war keiner. Und nun wuáte //324// ich auch, warum er so gegen alle m„nnliche Vorsicht nicht versteckt geblieben, sondern auf uns zugeritten war! Er sah fast verlegen aus und vergaá, uns anzureden. Darum ergriff Pappermann, der an unserer Spitze ritt, das Wort. Er hielt sein Pferd an und sagte: "Wir gráen unsern roten Bruder. Ist das der richtige Weg nach dem Pa-wiconte?" Der Gefragte antwortete: "Ich geh”re zu dem Stamm der Kiowas. Pa-wiconte aber ist ein Siouxwort, doch kenne ich es ja, dieser Weg ist der richtige nach dem See. Wollen meine Brder hin?" "ja." "So warne ich sie." "Warum." "Pa-wiconte heiát ,Wasser des Todes'. Reitet ihr hin, so kann der See allerdings sehr leicht zu einem Wasser des Todes fr euch werden." Pappermann hatte in seinem indianisch-englischen-spanischen Kauderwelsch gefragt; die Antwort war ihm in einem ziemlich guten Englisch geworden. Die Stimme des Kiowa klang wie die Stimme einer Frau, die sich bemht, tief wie ein Mann zu sprechen. "Warum drohst du uns mit dem Tod?" erkundigte sich der alte J„ger. "Ich drohe nicht, sondern ich warne", erwiderte der Rote. "Beides ist gleich, wenn wir nur den Grund erfahren!" "Grnde, wie dieser, sind nicht billig. Man teilt sie nur den besten Freunden mit." "Wir sind deine Freunde!" "Das sagst wohl du; ich aber kenne dich nicht." "So wisse, wer wir sind: Ich heiáe Maksch Papper- //325// mann [Pappermann] und bin schon vierzig Jahre lang als Westl„ufer bekannt. Da sind zwei Gentlemen, die Hariman und Sebulon Enters heiáen. Der dritte Gentleman dort hinten ist Mr. Burton, und die Lady hier ist Mrs. Burton, seine Frau. Und unser roter Bruder da an meiner Seite ist ein Sohn der Apatschen und wird der ,junge Adler' genannt." Der Kiowa sah uns in der Reihenfolge, in der wir nacheinander aufgez„hlt wurden, mit scharfem, forschendem Auge an. Nur bei mir lieá er den Blick sinken. Bei meiner Frau war es, als ob er sie durchbohren wolle. An den "jungen Adler" ritt er nahe heran und sprach: "Man erz„hlt bei uns von einem ,jungen Adler' der Apatschen, welcher aus dem Stamm Winnetous und sogar sein Verwandter ist. Bist du etwa dieser?" "Ich bin es", antwortete unser Begleiter. "Du hast diesen Namen schon als Knabe bekommen, weil du einen f reien Kriegsadler fesseltest und ihn zwangst, dich durch die Luft vom hohen Horst zur Erde zu tragen. Ist das richtig?" "Es ist richtig." "So reiche ich dir meine Hand. Ich sehe den Stern der Winnetou auf deiner Brust. Auch ich bin ein Winnetou, doch habe ich jetzt noch Grund, es nur wenige sehen zu lassen. Schau her! Vertraust du mir?" Er hob den Auf schlag seiner Jacke; da kam der zw”lfstrahlige Stern zum Vorschein. "Ich vertraue dir!" versicherte der "junge Adler". "So erlaube mir, euer Fhrer zu sein! Ich habe euch erwartet." "Du - - ? Uns - - ?" fragte der Apatsche. "Unm”glich!" //326// "Es ist nicht nur m”glich, sondern wirklich. Glaube es mir!" Der "junge Adler" schien doch irre werden zu wollen. Ein Angeh”riger der feindlichen Kiowas! Der Stern konnte leicht den Zweck haben, b”se Absichten zu verdecken! Ich bekam einen schnellen, fragenden Blick herbergeworfen und gab mit einem bejahenden Augenzwinkern heimliche Antwort. Da entschied der "junge Adler": "Ja, sei unser Fhrer!" Er wollte weitersprechen, kam aber nicht dazu, denn Sebulon Enters richtete die schnelle, ganz unvorbereitete Frage an den Kiowa: "Sind die Sioux schon da?" "Was fr Sioux?" fragte dieser. "Die von dem alten H„uptling Kiktahan Schonka angefhrt werden und nach dem Pa-wiconte wollen. Und die Utahs mit ihrem Anfhrer Tusahga Saritsch?" Da verschwand der freundliche Ausdruck aus dem Gesicht unseres neuen Bekannten; sein Blick wurde sch„rfer, und er fragte: "Kennt Ihr diese beiden H„uptlinge?" "Ja", antwortete Enters. "Ich h”rte, ihr seid Brder?" "Die sind wir." "Kiktahan Schonka hat euch nach dem Pa-wiconte gesandt?" "Ja." "So beeilt euch, schleunigst hinzukommen! Ihr werdet dort erwartet. Meldet euch bei Pida, dem H„uptling der Kiowas, dem Sohn des alten berhmten H„uptlings Tangua! Der wird euch zu Kiktahan Schonka und Tusahga Saritsch bringen." "Beeilen sollen wir uns? Warum?" //327// "Das weiá ich nicht. Es wurde mir gesagt." "Aber was wird dann aus euch? Wann und wo treffen wir euch wieder?" Diese Frage wurde an mich und meine Frau gerichtet. Ich antwortete: "Sorgt euch nicht um uns! Wenn ich euch jetzt verspreche, daá ihr uns zur rechten Zeit und an der richtigen Stelle treffen werdet, so werde ich ebenso Wort halten, wie ich in Beziehung auf die Teufelskanzel Wort gehalten habe. Reitet also getrost weiter! Ihr k”nnt euch auf jedes Wort, welches hier dieser Kiowa euch sagt, verlassen." "Und dieser Pa-wiconte ist wirklich das ,dunkle Wasser', in dem unser Vater starb?" "Ja. Ihr habt die Beschreibung der ™rtlichkeit in meinem Buch gelesen. ihr werdet sie sofort erkennen." "Aber der Weg ist uns unbekannt. Wie lange reitet ihr noch mit?" Da antwortete der Kiowa schnell an meiner Stelle: "Ihr reitet von jetzt an allein. Die andern weichen von der bisherigen Richtung ab. So will des Kiktahan Schonka, und dem habt ihr zu gehorchen! Euer Weg braucht euch nicht zu sorgen. Er geht genau geradeaus. Sobald ihr in die N„he des Sees gelangt, werdet ihr auf Posten treffen, welche euch zu Pida fhren." Er sagte das in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Die beiden Enters gehorchten. Sie trennten sich von uns und ritten weiter. Es schien, als ob sie uns nur ungern verlieáen, obgleich sie doch darauf gefaát gewesen waren, sich von uns scheiden zu mssen, um uns an die Feinde zu verraten. Als sie auáer H”rweite waren, wendete sich der Kiowa an den "jungen Adler": "Kennt mein Bruder diese zwei M„nner?" //328// "Wir kennen sie genau", nickte dieser. "Wiát ihr, daá sie eure Feinde sind?" "Ja." "Daá sie euch an Kiktahan Schonka auszuliefern haben?" "Auch das wissen wir." "Und dennoch reitet ihr mit ihnen? Uff, uff! Das ist ganz genau wie einst Winnetou oder Old Shatterhand! Lieber mitten in der Gefahr, als nur an ihrem Rande!" Bei diesen Worten glitt ein warmer Seitenblick ber mich hin. Dann fuhr er fort: "Aber warum begleitet ihr sie nach dem See, der euch Verderben droht? Etwa nur, um sie zu entlarven und zu bestrafen? Nein! Ihr hattet auch noch andere, wichtigere Grnde. Darf ich sie erraten?" "Tue es!" "Ihr wolltet die Zusammenkunft der Kiowas und Komantschen mit den Sioux und Utahs belauschen. Habe ich recht?" "Mein roter Bruder scheint sehr scharf zu denken!" Jetzt l„chelte der Kiowa und sagte: "Pida, der Freund Old Shatterhands, denkt noch viel sch„rfer!" "Bist du etwa sein Abgesandter? Handelst du in seinem Auftrag?" Da hob der Kiowa seine sch”nen, ehrlichen Augen zu mir empor und antwortete: "Nein! Er weiá nichts von dem, was ich tue. Er ist der H„uptling seines Stammes und der Sohn seines Vaters. Als dieses beides hat er Euer Feind zu sein. Aber er liebt Old Shatterhand, und er verehrt ihn wie keinen anderen Menschen. Darum wnscht er in seinem //329// Herzen, daá Old Shatterhand, wie er immer siegte, so auch jetzt wieder siegen m”ge, aber nicht mit den Waffen, sondern in Liebe und Vers”hnung. Er will nicht wissen, was ich tue; darum tue ich, was ich will, ohne ihn zu fragen. Ich fhre euch nach dein besten Ort, den es fr euch und eure Absichten gibt." "Nicht nach dem Wasser des Todes?" "O doch! Aber auf einem Umweg, damit man euch nicht sehe. Auf diesem gelangt ihr nicht nur an das ,Wasser des Todes', sondern auch an das ,Haus des Todes'. Frchtet ihr euch vor Geistern?" "Nur Lebende sind zu frchten, nicht aber die Toten. Ich h”rte noch nie von einem Haus des Todes. Wo liegt es?" "Am See. Es war unbekannt. Es wurde erst vor zwei Jahren entdeckt. Man fand es voller Gebeine aus uralter, uralter Zeit, mit zahllosen Totems, Wampums und anderen heiligen Dingen. Das alles hat man geordnet, wohl mehrere Wochen lang. Dann wurde das Kalumet des Geheimnisses darber geraucht, und Niemand mehr darf es betreten. Wer es dennoch wagt, sich der Stelle des Ufers zu n„hern, die nach dem Haus fhrt, wird von den Geistern derer, die einst hier starben, get”tet." "Und dennoch willst du es wagen?" "Ja." "Welch ein Mut!" Es war nicht zu ersehen, ob der "junge Adler" diesen Ausruf ernst oder ironisch meinte. Der Kiowa sah vor sich nieder, hob dann schnell den Kopf und antwortete l„chelnd: "Allein wrde ich es nicht tun; mit Euch aber kann mir nichts geschehen. Das weiá ich so genau, als h„tte //330// ich es aus dem Mund unseres groáen guten Manitou selbst geh”rt. Ihr kennt mich nicht. Ihr drft mir wohl miátrauen. Aber ich bitte Euch, mir dennoch zu folgen! Ich kann Euch keine andere Sicherheit als h”chstens nur die Frage geben: Kennt Ihr vielleicht Kolma Putschi?" "Ja." "Sie ist meine Freundin. Und kennt Ihr vielleicht gar auch Aschta, die Squaw von Wakon, des berhmtesten Mannes der Dakotast„mme?" "Auch diese." "Wir wohnen weit voneinander entfernt, aber wir verkehren ”fters durch besondere Boten. Ich hoffe, beide in n„chster Zeit pers”nlich zu sehen, trotz der Feindschaft, die zwischen unseren V”lkern waltet. Habt Ihr nun Vertrauen zu mir?" Diese Mhe, uns Zuversicht einzufl”áen, war rhrend. Wer weiá, was er alles wagte, um uns zu Diensten zu sein! Und er schien gar nicht zu ahnen, daá er dadurch, daá er diese beiden Frauen seine Freundinnen nannte, sich selbst als Weib bezeichnete. Ich antwortete: "Wir haben Vertrauen. Wir hatten es gleich vom ersten Augenblick an, als wir dich sahen. Fhre uns also! Wir werden dir folgen." "So kommt!" Die beiden Enters hatten sich schon eine groáe Strecke entfernt. Wir folgten zun„chst langsam ihrer Spur, damit sie nicht sehen m”chten, nach welcher Seite wir ritten, und erst als sie am Horizont verschwunden waren, wichen wir von unserer bisherigen Richtung nach rechts ab, weil wir, um nach dem "Haus des Todes" zu kommen, nicht in direkter Linie nach dem See zu trachten hatten, sondern ihn umgehen muáten. Der Kiowa ritt voran, und Pappermann hielt sich an seiner Seite, jeden //331// falls [Jedenfalls] um ihn auszufragen und kennen zu lernen. Ich h”rte, daá er sich zun„chst bei ihm erkundigte, woher er die Brder Enters kenne. "Ich kenne sie nicht", lautete die Antwort. "Aber Kiktahan Schonka hat einen Boten gesandt, um seine Ankunft zu melden. Er lieá durch diesen Boten sagen, daá zwei Bleichgesichter eintreffen wrden, die Brder seien und sich verpflichtet h„tten, Old Shatterhand, seine Squaw, einen alten, weiáen J„ger, der ein blaues Halbgesicht habe, und den ,jungen Adler' der Apatschen an die Sioux auszuliefern; diese Vier seien dem sicheren Tod geweiht. Da machte ich mich auf, sie zu retten. Ich entfernte mich einen halben Tagesritt vom See und blieb an einer Stelle, an der sie vorber muáten, sobald sie kamen. Ich wartete gestern und heut. Da sah ich euch erscheinen. Die Zahl stimmte: Ein Indianer, vier weiáe M„nner und eine weiáe Squaw. Ich ritt auf euch zu und nahm mir vor, euch vor allen Dingen von den gef„hrlichen Brdern zu trennen. Das ist geschehen." "So glaubt Ihr also, Mr. Burton sei Old Shatterhand?" "Ja. Irre ich mich?" "Fragt ihn selbst!" "Das ist nicht n”tig. W„re er es nicht, so h„ttet Ihr sogleich mit einem Nein geantwortet. Die Auskunft, die Ihr nicht gegeben habt, ist also deutlich genug." Weiter war nichts zu h”ren, weil die beiden Voranreitenden jetzt den Schritt ihrer Pferde beschleunigten. Aber das Herzle sagte zu mir: "So ist es mit deinem Inkognito also vorbei!" "Noch nicht", antwortete ich. "Glaubst du, daá dieser Kiowa schweigt?" "Wenn ich es wnsche, ja." //332// "So gef„llt er dir?" "Gewiá!" "Mir auch. Weiát du, er hat so etwas Aufrichtiges und zugleich Wehmtiges an sich. Die Wehmut blickt allerdings fast aus jedem indianischen Auge, aber hier tritt sie doppelt deutlich hervor. Es ist, als ob dieser Mann einen tiefen, andauernden Gram in sich trage. Man sollte helfen k”nnen! - Meinst du nicht?" "Hm! Mein Herzle m”chte freilich gern allen Leuten helfen, doch ist innerem Kummer nicht so leicht beizukommen, wie du denkst. Man muá ihn vor allen Dingen erst kennenlernen, und du weiát, die Indianer sind verschwiegen." "Oh, was das betrifft, da kennst du mich. Was ich einmal wissen will, das frage ich gewiá heraus!" "Ja, leider, leider!" "Sogar aus Indianern!" "Gewiá, gewiá! Ich kenne dich! Du fragst es heraus, ganz gleich, ob die Menschen weiá oder rot, gelb, grn oder blau aussehen! Aber der hier ist verschwiegen." "Denkst du?" "Ja. Der sagt dir nichts!" "Hm! Wollen wir wetten?" "Ich wette nie. Das weiát du doch." "Was zahlst du mir, wenn ich schon morgen frh seinen ganzen Kummer kenne?" "Was forderst du?" "Nochmals fnfzig Mark fr unser Radebeuler Krankenhaus!" "Kind, werde mir nicht zu teuer!" rief ich erschrocken aus. "Wieviel zahlst du denn, wenn du morgen frh nichts erfahren hast?" "Das doppelte, n„mlich zur Strafe hundert Mark!" //333// "Das ist freilich h”chst anst„ndig, ja sogar nobel! Das Krankenhaus k”nnte also bei dieser Wette nur gewinnen. Aber woher nimmst du die hundert Mark?" "Von meinem Kredit bei dir!" "Ich danke, danke! Fr Wetten kreditiere ich keinen Pfennig. Versuche es dort mit dem alten Pappermann! Vielleicht gelingt es dir, ihn fr dein Krankenhaus zu interessieren!" "Der arme Teufel! Hat weder in seinem Hotel noch auf seinem Hotel noch etwas stehen! So sagte er doch wohl? brigens bitte ich dich, ihn von dem Kiowa zu trennen." "Warum?" "Weil ich von jetzt an hingeh”re!" "Ah? Du willst deine Forschung sogleich beginnen?" "Ja. Ich muá unbedingt erfahren, was dieser Indianer auf dem Herzen hat. Denke dir, wenn man ihm helfen k”nnte! Also bitte, ruf Pappermann von ihm weg!" Ich tat es mit heimlichem Vergngen, denn es verstand sich fr mich ganz von selbst, daá auch der Kiowa den herzlichen Wunsch hegte, sich an meine Frau zu machen und sie so grndlich wie m”glich auszufragen. Diese beiden blieben von jetzt an w„hrend des ganzen Nachmittages beisammen. Sie fanden sichtlich Gefallen aneinander. Und ich hatte keinen Grund, sie dabei zu st”ren. Das Terrain stieg h”her und h”her. Wir n„herten uns zusehends den Bergen, zwischen denen das "Dunkle Wasser" liegt. Gegen Abend sahen wir seitw„rts von uns die Linie des Waldes, welcher den See verkndet. Dort hatten wir damals am Abend gelagert, ehe wir frh vollends bis an das Wasser geritten waren. Heut schlugen wir einen Bogen um Wald und See herum, berschritten //334// einen breiten, aber nicht sehr tiefen Bach, welcher den Ausfluá des hochinteressanten Wasserbeckens bildete, lieáen die Pferde hier trinken und lenkten sie dann zwischen steilen Felsen nach einer dicht bewaldeten H”he empor, auf welcher die Stelle lag, die fr heute unser Ziel zu bilden hatte. Das "Haus des Todes" noch zu erreichen, war es zu sp„t, denn es dunkelte bereits so sehr, daá wir uns beeilen muáten, noch vor vollst„ndiger Nacht das Zelt aufzuschlagen und aus Steinen eine Feuerstelle zu errichten, durch welche die Flamme fr andere unsichtbar wurde. Uebrigens versicherte uns der Kiowa, daá wir hier oben vor Lauschern v”llig bewahrt seien. Der Ort, an dem wir uns befanden, geh”rte schon zu dem Gebiet, welches nicht betreten werden sollte. Es bedurfte nur noch eines kurzen Abstieges, um an das "Haus des Todes" zu gelangen, doch war dieser Abstieg so steil, daá er w„hrend der Abendd„mmerung nicht hatte gewagt werden k”nnen. Wir waren gezwungen, damit bis morgen frh zu waren. Unten am See lagerten, getrennt voneinander, die Kiowa und die Komantschen. Die Sioux und die Utahs waren noch nicht da, wurden aber fr jeden Augenblick erwartet. W„hrend der "junge Adler" die Pferde besorgte, errichtete ich mit Pappermann das Zelt. Der alte Westl„ufer befand sich in schlechter Laune. Er hustete und knurrte vor sich hin, als ob er etwas sagen wolle, aber den Anfang nicht finden k”nne. Darum fragte ich ihn direkt, was mit ihm sei. "Was soll mit mir sein!" antwortete er, doch so, daá ich es allein h”rte. "Ich „rgere mich!" "Worber?" "Und ich traue nicht!" "Wem?" //335// "Dem Kiowa!" "Warum?" "Das fragt Ihr noch? Seht Ihr denn nichts, gar nichts? Habt Ihr nicht selbst auch Augen?" "Wofr?" "Wofr? Sonderbares Fragen! Worber? Wem? Warum? Wofr? Und auf solche abgerisserte Silben soll man eine verst„ndige Antwort geben k”nnen! Wiát Ihr, wie langes her ist, seit wir diesen Kiowa getroff enhaben?" "Fast sechs Stunden." "Richtig!. Und was hat er in diesen sechs Stunden gemacht?" "Uns hierher gefhrt." "Das meine ich nicht. Das war seine Pflicht. Er hat aber etwas getan, was ganz und gar nicht seine Pflicht gewesen ist! Ja, ganz und gar nicht! Aergert Ihr Euch nicht auch darber?" ;,Ich? Es ist mir nichts bekannt, worber ich mich zu „rgern h„tte!" "So? Wirklich? Nichts, gar nichts? Ist das nichts, wenn dieser Indianer sechs volle Stunden lang unaufh”rlich neben Eurer Lady reitet und derart mit ihr spricht, daá sie weder Augen noch Ohren fr andere Leute hat, auch nicht fr Euch selbst? Ist das wirklich nichts?" Also das war es! Er war eiferschtig auf den Kiowa! Er hatte meine Frau gern, sehr gern, und es machte ihn, den alten, vereinsamten Menschen, glcklich, wenn sie sich unterwegs mit ihm ein Viertel- oder ein halbes Stndchen unterhielt. Um dieses Glck sah er sich heute gebracht. Ich tat aber, als ob ich kein Verst„ndnis dafr habe und antwortete. "Ja, das ist allerdings nichts. Es gab w„hrend //336// der ganzen Zeit nichts Wichtiges, was ich, mit meiner Frau h„tte besprechen mssen. Ich ersehe also gar keinen Grund, der mich h„tte veranlassen mssen, ihre Unterhaltung mit diesem unseren neuen Freund abzubrechen." "Freund? Freund nennt Ihr ihn? Hm!" "Soll ich nicht?" "Nein! Man hat vorsichtig zu sein! Ich heiáe Maksch Pappermann und bin ein alter, erfahrener Kerl. Ehe ich Jemand meinen Freund nenne, pflege ich tage-, wochen- und monatelang zu prfen! Auch Ihr pflegt sonst auáerordentlich vorsichtig zu sein, noch vorsichtiger als ich. Heute aber seid Ihr ganz wie aus- oder umgewechselt. Ich warne Euch! Ich meine es gut! Ich bitte Euch, nehmt es von mir an! Wollt ihr?" "Ja. Sie sollen nicht wieder sechs Stunden lang miteinander reden." "So recht, so recht! Ich finde das auáerordentlich vernnftig von Euch. Wenn Ihr in dieser Weise redet, werfe ich meinen Žrger ber den Haufen und fange wieder an, zu lachen. Glaubt Ihr, daá wir hier wirklich sicher sind? Nichts zu befrchten haben?" "Vollst„ndig sicher." "Es ist doch toll, was fr ein Vertrauen Ihr zu diesem Roten habt!" "Ihr irrt. Ich vertraue ihm, weil ich mir selbst vertraue. Ich h”re nicht auf ihn, sondern nur auf mich. Es war doch auch bei Euch von Miátrauen keine Rede!" "Ja, zuerst! Aber diese Schwatzhaftigkeit kam mir verd„chtig vor. Mir scheint, er hat Mrs. Burton ausgefragt und wird nun das, was er h”rte, da unten bei den Kiowas und Komantschen erz„hlen!" "Das befrchte ich nicht. Uebrigens ist er noch gar nicht unten bei ihnen." //337// "Well! Ich passe auf ! Mir soll nichts entgehen! Ich lasse mich nicht betrgen!" Damit war die Sache fr jetzt abgemacht. Als ich das Herzle nach dem Essen ein wenig ironisch fragte, ob es ihr gelungen sein, hinter das Geheimnis des Indianers zu kommen, antwortete sie: "Leider noch nicht. Er ist verschwiegen." "Aber du hast doch beinahe sechs Stunden lang nur allein mit ihm gesprochen! Nennst du das schweigen oder verschwiegen sein?" "Man kann sprechen, ohne zu plaudern. Wir haben nicht ber sein eigenes, kleines Leid, sondern ber das groáe, erhabene Leid der ganzen roten Rasse gesprochen. Er denkt sehr richtig, und er fhlt tief. Ich habe ihn liebgewonnen, sehr lieb!" "Oho!" "Ja, wirklich! Es ist mir da freilich etwas begegnet, was ich dir gestehen muá." "Schon wieder ein Gest„ndnis?" "Leider, leider! Ich begreife es nicht! Wenn er so lieb und warm fr seine Nationen sprach, wenn er es so tief beklagte, daá wir Weiáen die Roten fr minderwertig halten, da wurden seine sch”nen, ehrlichen Augen feucht, und es stieg in mir auf, als msse ich ihn auf Stirn und Wange kssen und ihm die Tr„nen mit meinen H„nden trocknen. Das muá ich dir sagen. Er ist ein Mann. Ich wiederhole: Ich verstehe es nicht!" "Wenn nur ich es verstehe, liebes Kind", antwortete ich. "Und verstehst du es?" "Ja" "Und erteilst du mir Absolution?" "Sehr gern. Sprechen wir morgen weiter hierber. //338// Hast du vielleicht erfahren, wo das Kiowadorf jetzt liegt, in dem ich damals zu Tode gemartet werden sollte?" "Ja. Es lag an der Salzgabel des Red-River. jetzt aber liegt es weit im Westen davon, auch an einem kleinen Fláchen, dessen Name mir aber entfallen ist. Er hat dich sofort erkannt, als er dich heut erblickte." "Ah? So sah er mich also nicht zum ersten Male ?" "Nein. Er kennt dich von damals her. Er war im Dorf, als man dich brachte. Er stand dabei, als du mit H„nden und Fáen an die Pf„hle gebunden warst. Er hat mir alles erz„hlt, so ausfhrlich, wie ich es nicht einmal von dir selbst erfahren habe." "Sprach er auch vom alten Sus-Homascha *), der mich so gern retten wollte?" "Ja. Sus-Homascha hatte zwei T”chter. Die eine war die Frau des jungen H„uptlings Pida. Ihre Ehe war auáerordentlich glcklich und ist es auch noch heute. Sie war von Santer [sic!] berfallen und mit einem Schlage auf den Kopf bet„ubt worden. Man hielt sie fr tot. Man holte dich. Man behauptet noch heut, daá du ihr das Leben gerettet habest. Darum ist Pida noch heut in unerschtterlicher Dankbarkeit dein Freund. Denke dir, seine Frau ist mit hier?" "Unten am See? Bei den Kiowa?" "Ja. Als man erfuhr, daá auch Old Shatterhand mit nach dem Mount Winnetou geladen sei, lieá sie sich nicht halten. Sie wollte ihren Retter wiedersehen. Es scheint berhaupt mit den Frauen der Kiowas eine „hnliche Bewandtnis zu haben wie mit den Squaws der Sioux. Auch sie haben sich zusammengetan; auch sie wollen mitberaten. Sie sind nicht in den D”rfern zurck *) "Eine Feder". Siehe Winnetou III, S. 553 //339// geblieben [zurckgeblieben], aber wo sie sich befinden, das konnte ich noch nicht erfahren." "Du vergiát dein eigentliches Thema. Du sprachst von den zwei T”chtern des alten Sus-Homascha. Die Eine war Pidas Frau. Die Andere - - -" Das fiel das Herzle schnell ein: "Ja, die Andere, die hieá Kakho-Oto *). Sie wollte und sie sollte deine Squaw werden, damit du gerettet wrdest; du aber wiesest sie ab. Sie war trotzdem so edel, dir zur Flucht zu verhelfen. Sie lebt noch. Sie ist ledig geblieben. Nie hat ein Mann sie berhren drfen, und sie ist es, die alle die vielen Jahre, welche zwischen damals und jetzt liegen, dazu verwendet hat, dein und Winnetous Andenken auch bei den Kiowas zu heiligen und Eure Ideale der Edelmenschlichkeit, der Friedfertigkeit und der N„chstenliebe in ihnen wachsen und groá werden zu lassen. Sie wnscht nichts sehnlicher, als nach dem Mount Winnetou kommen und dich dort sehen zu k”nnen. Du aber sollst sie nicht wiedererkennen. Sie ist inzwischen alt geworden und wohl auch h„álich dazu. Sie hofft, daá du sie sehen kannst, ohne zu wissen, wer sie ist. Sie hat uns den Kiowa entgegengeschickt, um uns zu warnen und hierher zu fhren. Wir k”nnen uns auf ihn verlassen. Er wird sich so verhalten, als ob er nicht zu seinem Stamm, sondern ganz zu uns geh”re, und uns jeden Wunsch erfllen, der mit seiner Heimatliebe und Indianerehre vereinbar ist. Freust du dich darber?" "Ja, herzlich! Und deine eigene Freude wird eine doppelte sein, wenn du diesen treuen Mann noch n„her kennenlernst. Bitte, laá uns heut' zeitig zur Ruhe gehen. _____________________ *) "Dunkles Haar" //340// Es ist m”glich, daá morgen ein ereignisvoller Tag wird, der ausgeruhte Kr„fte von uns verlangt." Sie war einverstanden. Sie zog sich sehr bald in ihr Zelt zurck, und auch wir anderen legten uns schlafen. Unter anderen Umst„nden h„tte ich fr diese Nacht die Wache unter uns verteilt, da ich aber wuáte, wer der Kiowa war und daá ich ihm vertrauen durfte, war es nicht n”tig, diese Vorsichtsmaáregel zu treffen. Unser alter Pappermann aber war anderer Meinung ber ihn. Er legte sich in seine N„he, um ihn w„hrend der Nacht zu beaufsichtigen. Ich hatte keinen Grund, ihn daran zu verhindern [hindern]. Am anderen Morgen wachte ich nicht von selbst auf, sondern ich wurde geweckt, und zwar von dem, von dem ich soeben gesprochen habe, von Pappermann. Er sah ganz erregt aus, hatte ein rotes Gesicht und sagte: "Verzeiht, Mr. Burton, daá ich Euch aus dem Schlaf st”re! Es sind Dinge geschehen, schreckliche Dinge! Dinge, die mich veranlaáten, Euch sofort zu wecken!" "Was ist es?" fragte ich, indem ich schnell aufsprang. "Etwas Entsetzliches! Etwas Frchterliches!" "Also was? Sagt es schnell!" "So schnell, wie Ihr wollt, kann ich das nicht. Ich muá Euch da erst vorbereiten." "Ist nicht n”tig! Nur heraus damit?" "Es ist n”tig! Sogar sehr! Wenn ich Euch nicht vorher vorbereite, fallt Ihr vor Schreck um wie ein Klotz, den niemand wieder aufheben kann." ,Ich?" "Ja." "Vor Schreck?" "Wie ich sage: vor Schreck!" "Nur ich allein?" //341// "Ja! " "Nicht auch Ihr?" "Nein, ich nicht! Obgleich auch ich erschrak, als ich es sah. ja, wahrhaftig, auch ich erschrak! Ich erschrak so, als ob sie meine eigene Frau w„re, nicht aber die Eurige!" "Ah! So betrifft es meine Frau?" "Ja! Natrlich! Eure Frau!" "Gott sei Dank!" Ich holte tief Atem. Der alte, brave J„ger sah so aus, als ob es sich wirklich um ein sehr b”ses, nie wieder gut zu machendes Ereignis handle. Vielleicht gar um ein Ereignis, durch welches unsere guten Pl„ne vernichtet wrden. Darum hatte er mir, dem sonst so ruhigen, denn doch eine Art Schreck eingejagt. Nun er aber von dem Herzle sprach, war ich sofort beruhigt. "Gott sei Dank?" fragte er. "Ihr habt Gott gar nicht zu danken!" "Ist ihr ein Unglck geschehen?" "Hm, wie man es nimmt! Vielleicht ihr nicht, aber Euch! Ihr werdet mit H„nden und Fáen dreinschlagen!" "Das glaube ich nicht." "Oho! Ich bin zwar niemals verheiratet gewesen, aber ich kann mir trotzdem denken, wie es einem zumute ist, wenn so etwas geschieht. Ich wrde den Kerl zerreiáen!" "Welchen Kerl?" "Welchen? Ihr ahnt also immer noch nichts?" "Nichts! Rein gar nichts!" "So muá ich es Euch sagen, wirklich sagen! Aber verspreche mir vorher, nicht umzufallen!" "Gut! Also, ich falle nicht um!" "Und nicht sofort zuzuschlagen, besonders auf mich!" //342// "Auch das; ich schlage nicht zu!" " Well, so will ich es wagen. Also h”rt!" Anstatt noch n„her an mich heranzutreten, wie man es bei intimen Mitteilungen zuweilen zu machen pflegt, trat er zwei Schritte zurck und sagte: "Sie ist Euch untreu!" "Wer?" "Welch eine Frage! Wer! Natrlich Eure Frau! Das Herzle, wie Ihr sie nennt, wenn Ihr deutsch mit ihr sprecht!" "Gott sei Dank!" wiederholte ich. "Nun wird mir das Herz vollends leicht! Ich dachte wunder was fr ein Unheil Ihr mir zu beichten h„ttet!" " All devils! Mir bleibt der Verstand stehen! Ich sage diesem Mann da, daá ihm seine Frau untreu geworden ist, und da schreit er zum zweiten Male: ,Gott sei Dank!' Und da versichert er allen Ernstes, daá ihm das Herz vollends leicht geworden sei! Begreife, wer das kann! Ich nicht!" Und wieder n„her zu mir herantretend, fuhr er in sehr ernstem Ton fort: "Auch ich habe sie lieb gehabt, sehr lieb, euer Herzle. Ich habe sie geachtet und verehrt. Ich habe sie fr die beste, die liebste, die vernnftigste und die vortrefflichste Frau der ganzen Welt gehalten. Ich w„re fr sie in das Feuer und in das Wasser gesprungen. Ich h„tte fr sie mein altes Leben gelassen, zehnmal, hundertmal und tausendmal! Das ist nun vorbei, vollst„ndig vorbei! Es kann mir nicht einfallen, fr sie auch nur in ein kleines Streichholzfl„mmchen oder in einen Kaffeel”ffel voll Wasser zu springen. Sie ist es nicht wert, nicht wert! So einen Mann zu haben, so einen! Und ihm dennoch untreu zu werden! Und zwar mit was fr einem, mit was fr einem!" //343// "Wer ist denn dieser eine? Oder vielmehr dieser andere?" "Erratet Ihr das nicht?" "Nein." "Ja, begreiflich! Es ist auch wirklich gar nicht zu erraten. Wenn nur wenigstens ich es w„re! Oder irgendein anderer Weiáer! Aber Euch um einer Rothaut willen untreu zu werden, das ist stark, das ist sogar noch st„rker als stark! Das ist einfach niedertr„chtig!" "Rothaut sagt Ihr? Der ,junge Adler' liegt noch dort an seiner Stelle; der Kiowa aber ist nicht mehr da; er ist fort. Ihr meint also den?" "Ja, den! Eure Frau ist n„mlich auch fort!" "Ist das alles?" "Nein, sondern es kommt noch viel, sehr viel dazu. Soll ich es Euch erz„hlen?" "Ja, bitte!" "Das kam so: Ich war wtend auf den Kerl, weil er gestern am Nachmittag so lange und so unausgesetzt mit ihr gesprochen hatte. Ich habe Euch schon gesagt, daá dies meinen Verdacht erregte. Ich nahm an, daá er Eure Frau aushorchen wollte, um uns alle dann an die Indianer da unten zu verraten. Ich beschloá, ihn zu beobachten, und ich tat es. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Am frhen Morgen erwachte er sehr zeitig. Eure Frau trat aus ihrem Zelt. Sie pflegt des Morgens und des Abends zu beten; das weiá ich nun. Sie tut das nie im Zelt, sondern stets unter freiem Himmel. Sie geht dabei zur Seite, damit man es nicht sehe. So auch heute. Als sie sich entfernt hatte, stand der Kiowa auf und folgte ihr. Das kam mir verd„chtig vor. Ich lieá eine Zeit vergehen, und als weder sie //344// noch er zurckkehrte, schlich ich mich ihnen nach. Was denkt Ihr, was ich sah?" "Nun, was?" "Sie saáen auf einem Stein!" "Weiter nichts?" "Nebeneinander!" "Weiter nichts?" Er sah mich verwundert an und fuhr in erh”htem Ton fort: "In inniger Umarmung!" "Weiter nichts?" Da rief er mich an: "Sie schn„belten miteinander!" "Weiter nichts?" "Der Rote gab Eurem Herzle einen Kuá!" schrie er mir zu. "Weiter nichts?" "Und Euer Herzle káte ihn wieder!" brllte er mir in das Gesicht. "Weiter nichts? Weiter gar nichts?" fragte ich sehr freundlich und ruhig. Da wich er von mir zurck, schlug die H„nde zusammen und jammerte: "Hab mir's gedacht - hab mir's gedacht! Nun ist das Unglck da! Wenn auch in anderer Gestalt als ich mir dachte! Er f„llt nicht um, und er schl„gt nicht zu; aber er ist verrckt geworden vor Schreck! Er ist bergeschnappt, vollst„ndig bergeschnappt! Er sagt weiter nichts als weiter, immer weiter!" "O, ich kann auch noch anderes sagen", lachte ich. "Sitzen sie denn noch dort - auf dem Stein?" "Ich hoffe es!" "Was? Ihr hofft es?" //345// "Ja! Ich hoffe es sogar sehr! Um sie berfhren zu k”nnen! Um sie mit Euch zu berraschen!" "Das wollen wir tun!" "Wirklich?" "Ja, und zwar sofort!" "So kommt! Ich fhre Euch!" "Wartet nur noch einen einzigen Augenblick! Ich muá Euch n„mlich vorher sagen, daá ich mit diesem Kiowa nicht so streng verfahren werde, wie Ihr wahrscheinlich erwartet. Wir haben in den letzten Tagen verschiedene Male ber die Kiowa gesprochen. Ihr wiát, was ich bei ihnen erlebte, als ich zum letzten Mal dort war?" "Ja. Jedermann weiá es. Und Eure Frau hat es mir unterwegs noch einmal ganz ausfhrlich erz„hlt. Daá Ihr zu Tode geschunden werden solltet und nur durch die Tochter eines berhmten Kriegers, welcher ,Eine Feder' hieá, gerettet wurdet." "Richtig! Diese Tochter hieá Kakho-Oto. Ihr habe ich mein Leben zu verdanken." "Wollt Ihr um ihretwillen etwa diesem Kiowa verzeihen, der Euch um Eure Frau betrgt?" "Ja." "H”rt! Das geht nicht! Das w„re Schw„che, unverzeihliche Schw„che!" "Das bestreite ich. Nun kommt!" "So wollt Ihr wirklich nichts tun, wirklich gar nichts?" "Gar nichts!" "Auch Eurer Frau nicht?" "Nein." Da fuhr er auf: "Herr - - -! Mr. Burton! Ich muá Euch sagen, daá - daá - - - daá ich eine Bitte, eine sehr, sehr groáe Bitte habe." //346// "Welche?" "Erlaubt wenigstens mir, diesen roten Halunken bei der Parabel zu nehmen und ihm ein Dutzend Ohrfeigen herunter zu hauen!" "Wrde Euch das ein Vergngen machen?" "Ein groáes, ein ganz unb„ndiges!" "So tut es!" "Ihr habt nichts dagegen?" "Ganz und gar nichts. Schlagt zu, so viel und so kr„ftig lhr wollt!" "So rufe nun jetzt ich: Gott sei Dank! Das sollen Ohrfeigen sein, wie es nicht gleich wieder welche gibt! Nun kommt! Schnell, schnell!" Er schritt voran, und ich folgte. Er fhrte mich durch das Gebsch nach einer kleinen Bl”áe, die er aber nicht sofort betrat, sondern er blieb zwischen den beiden letzten Str„uchern stehen, deutete hindurch und sagte leise: "Da schaut! Dort sitzen sie noch! Wie gef„llt Euch das?" Das Herzle saá mit dem Kiowa auf einem niedrigen Felsstck, welches einen sehr bequemen Sitz bildete. Sie hatte den rechten Arm um seine Schulter geschlungen und hielt mit der linken Hand seine beiden H„nde fest. Er war etwas krzer als sie. Sein Kopf lehnte z„rtlich an ihrer Seite. Pappermann sah mich an, als ob er einen gewaltigen Zornesausbruch erwarte. Ich l„chelte aber. Das regte ihn auf. "Ihr lacht?" fragte er, zwar leise, aber doch sehr eindringlich. "Ich frage Euch allen Ernstes, wie Ihr das findet?" "Etwas intim, weiter nichts", antwortete ich. "Etwas intim - - -! Weiter nichts -!" wiederholte er. " Nun, ich finde es weit mehr als nur intim //347// von diesem Halunken; ich finde es verbrecherisch! Und da Ihr mir gestattet habt, ihm ein Dutzend MauIschellen herunter zu hauen, so werde ich ihn keinen Augenblick l„nger, als n”tig ist, darauf warten lassen! Also paát auf! Es geht los! Sofort - sofort!" Er drang zwischen den beiden Bschen durch und eilte auf die Gruppe zu. Ich folgte ihm mit derselben Schnelligkeit. Die beiden vermeintlichen Inkulpaten standen auf, sobald sie uns erblickten. Pappermann schien sein R„cheramt ausben zu wollen, ohne dabei ein einziges Wort zu sagen. Er packte den Kiowa mit der Linken bei der Brust und holte mit der Rechten aus, um zuzuschlagen. Da griff ich rasch zu, hielt ihm diese Rechte fest und sagte: "Halt, lieber Freund! Lassen wir ja keine der Vorschriften auáer acht, die einem jeden Gentleman fr solche F„lle gegeben sind!" "Welche Vorschriften?" fragte er, indem er sich bemhte, mir seinen Arm zu entziehen. "Wenn zwei Gentlemen die Absicht haben, einander zu beohrfeigen, so sind sie unbedingt verpflichtet, vorher sich einander vorzustellen!" "Was heiát das, sich einander vorzustellen?" "Einander zu sagen, wer und was sie sind." "Das ist hier unn”tig, denn wir kennen uns ja schon. Dieser rote Halunke, den Ihr einen Gentleman nennt, weiá, daá ich Maksch Pappermann bin, und ich weiá, daá er kein Gentleman, sondern eben ein roter Schurke ist. Darum kann ich - - -." "Aber seinen Namen habt Ihr noch nicht beachtet. Dieser Gentleman ist n„mlich eigentlich eine Lady und wird, solange ich es weiá, Kakho-Oto genannt. So! Nun schlagt zu!" //348// Ich gab ihm seinen Arm frei. Aber er bewegte ihn nicht. Er schaute mir wortlos in das Gesicht, als ob er verstummt sei. "Ka-kho-O-to?" fragte er endlich wie geistesabwesend. "Ja", nickte ich. "Kein - - Gentleman - - - sondern eine Lady!" "Ganz so, wie ich sagte!" "Also wohl gar die Tochter von ,Eine Feder', die Euch damals das Leben gerettet hat?" "Ja, dieselbe!" Da holte er tief, tief Atem, machte ein „uáerst verzweifeltes Gesicht und rief aus: "Alle guten Geister! Das kann nur mir passieren, mir, der ich Maksch Pappermann heiáe! 0 dieser unglckselige Name, dieser unglckselige Name! Wo hat sich jemals, wenn irgendeiner einen anderen ohrfeigen wollte, herausgestellt, daá dieser andere eine Lady ist! Und nun ich so selig war, einmal so aus ganzem Herzen zuhauen zu k”nnen, muá das mir, grad mir passieren! Ich bin blamiert fr alle Zeit! Sogar fr alle Ewigkeit! Ich trete ab! Ich werde unsichtbar! Ich verschwinde!" Er drehte sich um und rannte fort. Doch, an den Bschen angekommen, blieb er fr einen Augenblick stehen und rief zurck: "Aber, Mr. Burton, ein Freundschaftsstreich war das ganz und gar nicht von Euch!" "Wieso?" fragte ich. "Ihr h„ttet mir diese Blamage sehr wohl ersparen k”nnen! Brauchtet mir nur zu sagen, daá diese Lady kein Mann, sondern ein Frauenzimmer ist!" "Euch dieses Geheimnis zu verraten, dazu war ich nicht befugt. Ich hatte Euch nicht verschwiegen, daá der //349// Kiowa Vertrauen verdient. Das war genug. Warum habt Ihr mir nicht geglaubt?" "Weil ich ein Esel bin! Ein kompletter Esel! Mit allem m”glichen,. was zu einem wirklichen Esel geh”rt! Ich Schaf!" Nun verschwand er. Kakho-Oto stand mit gesenkten Augen vor mir. Ihre Wangen waren vor Verlegenheit tief ger”tet. Ich zog sie an mich, káte sie auf die Stirn und sagte in ihrer Muttersprache: "Ich danke dir! Ich habe dein gedacht, bis ich dich wiedersah. Willst du uns Schwester sein? Uns beiden?" "Wie gern! Dir und ihr!" antwortete sie. Dann eilte sie in tiefer Bewegung fort. Das Herzle fragte mich zun„chst, warum Pappermann ausgeholt habe, um zuzuschlagen. Einige Worte gengten, sie hierber zu verst„ndigen. Sie lachte herzlich. Dann bedankte sie sich bei mir dafr, daá ich ihr nicht mitgeteilt hatte, wer der Kiowa eigentlich sei. H„tte ich das getan, so w„re ihr die k”stliche šberraschung des heutigen Morgens verloren gewesen. Dann kehrten wir zum Zelt zurck, wo ich ein kleines Feuer machte, an dem sie den Kaffee bereitete. Zu diesem stellten sich Pappermann und Kakho-Oto ein. Beide bemhten sich, m”glichst gleichgltig zu erscheinen. Aber dem alten, braven Westmann ging der Pudel, den er geschossen hatte, doch zu nahe. Er betrachtete die Indianerin immerw„hrend von der Seite her. Als "Frauenzimmer" schien sie ihm ausnehmend zu gefallen. Pl”tzlich griff er nach ihrer Hand, zog sie an seine Lippen und knurrte reumtig: "Und so etwas habe ich beohrfeigen wollen! Bin ich da nicht selbst Maulschellen wert?" Damit war die Sache zwischen beiden abgemacht; sie wurden die besten Freunde. //350// Nach dem Frhstck wurde das Zelt abgebrochen. Wir sattelten die Stangen desselben lang anstatt quer, weil Kakho-Oto sagte, daá der Weg nach dem "Haus des Todes" ein sehr schmaler sei. Er fhrte zuweilen so steil bergab, daá wir bald nicht mehr reiten konnten, sondern absteigen muáten. Wir folgten einem schmalen, aber sehr reiáenden Bach, welcher eine tiefe Schlucht gegraben hatte, die in zahlreichen Windungen zur Tiefe ging. Eine Aussicht gab es da nicht. So waren wir weit ber eine halbe Stunde lang abw„rts geklettert, da sahen wir pl”tzlich eine hohe, fast vollst„ndig nackte Schutthalde vor uns liegen, die aber nicht aus gew”hnlichem, kleinem Schutt, sondern aus groáen Felsstcken bestand, welche den Anschein hatten, als ob vor vielen Jahrhunderten hier ein gewaltiger Bergsturz stattgefunden habe. "Wir sind beim ,Haus des Todes' angekommen", sagte Kakho-Oto, indem sie auf diese Felsentrmmer deutete. "Das ist es?" fragte ich. "So sind die Felsen hohl?" "Ja. Sie sind nicht von oben herabgefallen, sondern knstlich aufgebaut. Kommt!" Sie fhrte uns um eine Ecke der Felsenst„tte, und da standen wir vor einem massiven, mehr breiten als hohen Tor, welches keine bogenf”rmige, sondern eine gerade Schlieáung hatte. Die beiden Seitensteine hatten eine Breite von ber zwei Metern. Sie zeigten gut erhaltene Relieffiguren von H„uptlingen, welche im Begriff standen, durch das Tor in das Innere des Tempels zu treten. Die H„uptlinge waren charakterisiert durch ein, zwei oder drei Adlerfedern, die sie im Kopfhaar trugen. Auch der Oberstein war mehrere Meter hoch. Er zeigte die Figur eines Beratungsaltars, auf welchem H„uptlinge ihre ,Medizinen' opferten. "Aber das ist ja gar kein ,Haus des Todes', gar //351// keine Begr„bnisst„tte sagte ich, "sondern ein Beratungstempel in dessen Altar die Medizinen aufbewahrt werden, bis das, was man beraten hat, ausgefhrt worden ist!" Kakho-Oto l„chelte "Das weiá ich wohl", sagte sie, "aber wir drfen das dem gew”hnlichen Volk nicht sagen, sonst wrde die St„tte nicht so heilig gehalten, wie die H„uptlinge es wnschen. brigens gibt es so viele Leichen hier, daá der Ausdruck ,Haus des Todes' gar wohl auch berechtigt ist. Gehen wir sogleich hinein?" "Wie weit ist es von hier bis zum See?" "Bis zum Wasser nur zweihundert Schritte." "So mssen wir vorsichtig sein. Es kommen nicht nur einheimische, sondern auch fremde Indianer her, welche das Verbot, diesen Ort hier zu betreten, wohl kaum beachten werden. Wir mssen also vor allen Dingen unsere Pferde verbergen und uns Mhe geben, keine Spuren zu verursachen. Erst wenn das geschehen ist, betreten wir den Tempel. Suchen wir also nach einer Stelle, die sich zum Versteck fr uns und die Pferde eignet!" "Die ist bereits gefunden", sagte Kakho-Oto. "Ich habe gesucht, noch ehe ich den See verlieá, um euch entgegenzureiten. Kommt!" Sie fhrte uns eine kurze Strecke zurck und dann in eine Seitenschlucht hinein, aus welcher wieder eine dritte Vertiefung abzweigte, die grad groá genug war, sich fr unsere Zwecke ganz vortrefflich zu eignen. Es gab da Wasser und Grnfutter mehr als genug. Wir sattelten ab, hobbelten die Pferde und die Maultiere an und gaben ihnen unsern alten Pappermann als W„chter. Er war ganz damit einverstanden, nicht "berall mit herumkriechen zu mssen"; so drckte er sich aus. Wir andern aber kehrten nach dem "Haus des Todes" zurck. //352// Dort wieder angekommen, schritten wir zun„chst die Umgebung ab. Es war die Spur weder eines Menschen noch eines Tieres zu sehen. Wir verwischten mit Hilfe von Zweigen unsere F„hrte sofort hinter uns her. Als wir vorhin von der H”he unseres gestrigen Lagers herabkamen, waren wir an die Rckseite des Baues gelangt. An dieser Seite befand sich, wie bereits beschrieben, das Tor. Dies war hinter Bschen und B„umen derart verborgen gewesen, daá kein Mensch geahnt h„tte, daá hier ein Tempel stehe. Erst als zuf„llig ein verlassenes, aber nicht ausgel”schtes Lagerfeuer weiter um sich gefressen und das Gebsch zerst”rt hatte, war das Tor sichtbar und das Geheimnis verraten worden. Man sah die Spuren des Feuers noch jetzt am verr„ucherten Gestein. Als wir von der Hinter- nach der Vorderseite des vermeintlichen natrlichen Felsensturzes gelangten, sahen wir das Wasser des Sees in der bereits angegebenen Entfernung vor uns liegen. Die an- und bereinandergeh„uften Quader und Steinbrocken waren also vom See aus sehr deutlich und auch weithin zu sehen, machten aber einen so natrlichen Eindruck, daá gewiá kein Mensch von selbst auf den Gedanken gekommen w„re, daá es sich um ein knstliches Bauwerk handle. Der Felsenabsturz war so steil und derart angeordnet, daá man ihn unm”glich ersteigen konnte. Nur in den Winkeln, wo sich im Lauf der Zeit der Staub der Lfte angesammelt hatte, gab es ein wenig Grn, sonst aber war alles nur glatter, lebloser Stein. Hierauf konnten wir zur Betrachtung des Innern gehen. Durch das Tor eingetreten, befanden wir uns in einem nicht allzu weiten, aber sehr hohen Raum, dessen Bau ein ganz eigentmlicher war. Man denke sich einen auseinandergeschnittenen, also halben Zuckerhut, der mit seiner geraden, senkrechten Schnittfl„che am Felsen lehnt, //353// w„hrend seine gebogene, halbkegelf”rmige Wand von den Felsenstcken gebildet wurde, aus denen der vermeintliche Bergsturz bestand. Diese Wand ging also nicht senkrecht, sondern schief nach innen empor. Sie bildete keine glatte Fl„che, sondern ihre riesigen Quader lagen derart neben- und bereinander, daá immer auf einen vorstehenden ein zurckliegender folgte. Hierdurch wurden Nischen gebildet, die zur Aufbewahrung von Mumien, Skeletten oder einzelnen Knochenteilen dienten. Am Boden, genau auf der Mitte desselben, stand ein steinerner Altar. Er besaá, wie wir erst sp„ter bemerkten, im Innern eine H”hlung, auf welcher eine schwere, glatte Platte lag. Die Seitenfl„chen dieses Altars zeigten vierundzwanzig Relieffiguren, n„mlich zw”lf Adlerfedern und zw”lf festgeschlossene H„nde. Es wechselte je eine Hand mit einer Feder ab. Die geschlossene Hand ist das Zeichen der Verschwiegenheit. Die Figuren sagten also, daá nur H„uptlinge sich diesem Altar nahen durften und daá ber alles, was da beraten und vorgenommen wurde, die Geheimhaltung zu beobachten sei. Die Platte sah in ihrer Mitte schwarz aus. Es hatte bei jeder Beratung ein Feuer auf ihr gebrannt. Besondere Sitze, wenn auch nur aus Stein, sah man nirgends. Die Beleuchtung dieses fremdartigen Raumes war, fast m”chte ich sagen, eine magische. Es herrschte, genau abgemessen, ein Zweidritteldunkel. Das wenige Licht, was es gab, kam durch die Quadermauer. Man hatte von Stelle zu Stelle in ihr einen Quader ausgelassen, so daá entstanden waren, durch welche der Schein des Tages Zutritt finden konnte. Aber die Mauer war auáerordentlich dick, so daá eine jede dieser Oeffnungen schon mehr einen tiefen Gang nach auáen bildete, dessen Ende von unten aus nicht zu ersehen war. Zudem waren //354// die Oeffnungen von drauáen sehr frsorglich verkleidet worden, damit man sie nicht etwa vom See aus bemerken m”ge. Es ging also von dem hereinbrechenden Lichte der gr”áte Teil verloren, noch ehe es das Innere des Tempels erreichte. Ich habe eine „hnliche geheimnisvolle Beleuchtung in einigen „gyptischen K”nigsgr„bern gefunden, die allerdings sehr niedrig sind. Dieser Tempel am "See des Todes" hatte aber eine solche H”he, daá die Wirkung sich unendlich steigerte. In jeder Nische eine dunkle, hockende Mumie, die kaum zu erkennen war, oder ein helleres Skelett in kauender Stellung, oder eine Sortierung von Sch„deln, Arm- oder Beinknochen, die keinen Zusammenhang besaáen. Das alles Ueberreste einstiger Existenzen! Denn ber jeder Nische war eine Adlerfeder eingehauen, zum Zeichen, daá diese K”rperteile einst H„uptlingen geh”rten. Die Luft, in der wir uns befanden, war gut, denn die Oeffnungen waren zahlreich. Sie gingen bis hinauf an die Spitze. Es war also genug Zusammenhang mit der „uáeren Atmosph„re vorhanden. Und, was mir besonders als wichtig erschien, man konnte von Oeffnung zu Oeffnung, also, um mich so auszudrcken, von Fenster zu Fenster gelangen. Oder vielmehr, man hatte das frher gekonnt, denn es fhrten von Fenster zu Fenster und von Nische zu Nische freie, aus der Mauer ragende Stufensteine empor, die bis zum Boden hinabgereicht hatten. Jetzt aber fehlten die untersten dieser Stufen. Man hatte sie abgehauen. Daá dies erst vor kurzer Zeit geschehen war, sah man an der zurckgebliebenen Fl„che, die von ihrer dunkleren Umgebung hell abstach. "Schade, daá diese Stufen jetzt nun fehlen' , sagte das Herzle. "Warum?" fragte ich. //355// "Weil ich gern da einmal hinauf m”chte." "Klettergemse!" scherzte ich. Sie klettert n„mlich gern. Ich muá bei Gebirgswanderungen sie immer besonders abhalten, gef„hrliche Stellen zu betreten. "Tyrannisiere mich nicht!" antwortete sie. "Ich kenne dich genau; niemand wnscht so sehnlichst wie du, da hinaufzusteigen. Du muát in alle Nischen gucken. Und du muát durch jedes Fenster hinausteigen, um zu wissen, was drauáen zu sehen ist. Willst du das leugnen?" "Nein. Zwar, daá ich in jede Nische gucken will, ist bertrieben. Aber daá ich unbedingt einmal zu irgendeinem Fenster hinaussteigen dazu fhle ich mich geradezu verpflichtet. Es ist unerl„álich, von da oben aus Umschau zu halten. Ich muá wissen, wie weit man von da aus den See berschaut. Vielleicht sieht man von hier oben aus etwas, was man sonst nicht sehen wrde." "Aber wie kommst du bis da hinauf, wo die Stufen beginnen?" "Sehr einfach: Wir bauen eine Leiter." "Sehr richtig, sehr richtig!" spendete sie mir Beifall. "Wir bauen eine Leiter, und zwar sofort. Komm, schnell!" Wir gingen hinaus. Ich fand sehr leicht zwei lang aufgeschossene Stangenh”lzer und schnitt die n”tigen Quersprossen dazu. Riemen waren genug da. Bald war die Leiter fertig. Wir gingen wieder hinein, legten sie an und stiegen hinauf. Sie reichte grad bis zu der niedersten der noch vorhandenen Stufen. Von dieser aus stiegen wir weiter nach oben, ohne Gel„nder, auf frei aus der Mauer ragenden Steinen, die als Stufen galten. Das war nicht ungef„hrlich. Ein jeder dieser Steine muáte geprft werden, bevor man sich ihm anvertraute. So kamen wir an vielen Nischen vorber, deren Inhalt wir untersuchten. //356// Ich sehe davon ab, diese Mumien und Skelette zu beschreiben. Ich liebe es nicht, als Schriftsteller zu gelten, der seine Erfolge im Sensationellen, Blutigen oder Schaudererweckenden sucht. Als wir hoch genug gekommen waren, stiegen wir in eine der obersten Fenster”ffnungen. Sie war so groá, daá wir aufrecht in ihr stehen konnten, ja sogar noch bedeutend gr”áer. Sie glich einem Gang. Wir hatten neun Schritte zu tun, ehe wir aus ihr in das Freie traten. Da standen wir hoch oben auf dem knstlich aufgefhrten Bergsturz und berschauten einen groáen Teil des Sees. Aber wir waren vorsichtig; wir blieben nicht aufrecht, sondern wir setzten uns. Wie leicht konnte ein Kiowa oder ein Komantsche in der N„he sein, der uns sofort bemerken muáte, wenn wir so gedankenlos waren, uns in ganzer Figur zu zeigen. Und richtig! Es war nicht nur einer da, sondern wir sahen viele, sogar sehr viele. Sie ritten zweihundert Schritte entfernt am Ufer des Sees an uns vorber, langsam, md und still, im G„nsemarsch, immer einer hinter dem andern. "Das sind die Sioux des alten Kiktahan Schonka", sagte ich. "Die Utahs sind entweder schon vorber, oder sie kommen erst hinter ihnen her." "So sind wir gerade zur rechten Zeit gekommen", sagte das Herzle. "Nun gibt es wohl Gefahr?" "Fr sie, ja, aber nicht fr uns", antwortete ich. Der ,junge Adler' war still; aber Kakho-Oto meinte: "So muá ich euch verlassen. Werdet ihr mir aber vertrauen? Werdet ihr mir zutrauen, daá ich nichts tue, was euch schaden k”nnte?" "Wir glauben an dich", antwortete ich ihr in ihrer Muttersprache. "Wann drfen wir dich wieder erwarten?" "Das weiá ich nicht. Ich gehe, um zu beobachten, //357// was geschieht, um es euch dann zu sagen. Habe ich euch nichts zu berichten, so komme ich nicht. Erfahre ich aber Wichtiges, so kehre ich sehr schnell zurck. Wo treffe ich euch?" "Da, wo du willst." "So bitte ich dich, m”glichst dort, wo jetzt die Pferde stehen, zu bleiben. Begib dich nicht unn”tig in Gefahr! Unternimm es vor allen Dingen nicht, uns zu beschleichen! Ich wache fr euch. Meine Augen sind eure Augen! Ihr werdet alles erfahren, was ich selbst erfahren kann." Ich versprach, ihr diesen Wunsch zu erfllen; dann entfernte sie sich. Wir aber blieben noch hier oben, um die vorberziehenden Roten zu beobachten. Es dauerte lange Zeit, ehe die Sioux passiert waren. Dann kamen die Utahs. Es tat mir innerlich wehe, diese kurzsichtigen, haáerfllten Leute so daherschleichen zu sehen. "Wer wird gewinnen?" fragte das Herzle; "sie oder wir?" "Wir!" antwortete ich zuversichtlich. "Siehst du nicht ganz deutlich, daá es nicht unser Verderben ist, welches da an uns vorberzieht, sondern unser Sieg?" "Woran soll ich das merken?" "An ihrer Langsamkeit, ihrer Haltung, ihrer Gleichgltigkeit und, vor allen Dingen, an ihren leeren Futterbeuteln und Satteltaschen?" "Wieso?" Auch der ,junge Adler' sah mich fragend an Ich fuhr fort: "Sie haben keinen Proviant, weder fr sich, noch fr ihre Pferde." "Den bekommen sie doch jedenfalls von ihren jetzigen Verbndeten, den Kiowas und Komantschen." "Das „ndert nichts, denn das ist nur fr einstweilen. Diese alten Indianer sind leichtsinniger, viel leichtsinniger, //358// als frher die jungen jemals waren. Sie denken nur an die Vergangenheit und sind unf„hig, die Gegenwart zu begreifen. Zog man frher in den Krieg, so tat man das in einzelnen Trupps, nicht aber gleich in der St„rke von tausend Mann. Und diese Trupps waren leicht zu erhalten und zu pflegen. Es gab Bffel zur Jagd, und der Weg wurde m”glichst ber die grasigsten Pr„rien genommen, die den Pferden das n”tige Futter spendeten. Der Indianer machte im Frhling Fleisch fr sechs Monate und im Herbst wieder Fleisch fr sechs Monate. Da gab es so groáe Vorr„te von geriebenem und getrocknetem Fleisch, daá es zu jeder Zeit leicht war, sich fr lange Kriegszge zu verproviantieren. Wo sind jetzt die Bffel? Wo die anderen jagdbaren Tiere? Wo gibt es jetzt einen Indianer, der in seinem Zelt Fleischvorr„te fr Monate hat? Wo sind die Pferde, die es frher gab? Auf die man sich in Hunger und Durst, in Frost und Hitze, in Wind und Wetter, in jeder Gefahr und selbst beim schwersten, verwegensten Todesritt verlassen konnte? Das gab es frher; jetzt aber ist alles anders. Wer da glaubt, in der alten Weise verfahren zu k”nnen, der ist verloren. Mein B„rent”ter h„ngt daheim. Mein Henrystutzen und meine Revolver stecken im Koffer. Sie haben sich berlebt. Was aber tun Kiktahan Schonka und Tusahga Saritsch? Sie sind ausgezogen mit tausend Sioux und tausend Utahs. Mit Leuten und mit Pferden, die keine Spur von Kriegsgewohnheit besitzen. Und, vor allen Dingen, ohne den n”tigen Proviant! Nun sind sie gezwungen, bei den Kiowas und Komantschen zu betteln. Wo aber haben die ihre Fleisch- und Brotvorr„te? Sie haben nichts! Auch sie werden ausziehen zu zwei Tausenden, zusammen also wahrscheinlich viertausend Mann und viertausend Pferde, ohne den //359// mitzuschleppenden Troá! Woher den t„glichen Proviant, das Futter, das Wasser fr so unvernnftig viele nehmen? Es braucht kein einziger von ihnen erschossen oder erstochen zu werden. Sie kommen vor Hunger um, vor Hunger und Durst, alle, alle! Indem ich sie hier an uns vorbeireiten sehe, ist es mir, als ob sie nicht K”rper seien, sondern verschmachtete Seelen, die nach dem Jenseits ziehen, um dort in ihren leeren, ewigen Jagdgrnden vollends zu verhungern!" "Uff, uff!" rief der ,junge Adler', dem meine Darstellung sofort einleuchtete. Das Herzle aber war still. Auch sie sah ein, daá ich recht hatte; aber diese Einsicht erhob sie nicht, sondern sie drckte sie nieder. Ihr gutes Herz sah sofort viertausend untergehende Menschen vor sich, und daá es unsere Aufgabe war, an diesem Untergang mitzuwirken, das tat ihr leid und wehe. Als der letzte der Utahs vorber war, stiegen wir wieder hinab, versteckten die Leiter sehr sorgf„ltig, so daá sie selbst von einem scharfen Auge nicht entdeckt werden konnte, und kehrten dann zu Pappermann und unseren Pferden zurck. "Kakho-Oto war hier", meldete er. "Sie sattelte sehr eilig und ritt dann fort. Sie sagte, Ihr wátet schon, wohin." Nun schlugen wir das Zelt auf und machten es uns bequem. Ich war entschlossen, dem Wunsche unserer Freundin gehorsam zu sein und uns keiner Gefahr auszusetzen. Es war auf alle F„lle am besten, wir blieben hier still verborgen, ohne uns zu regen. So gab es also Zeit und Gelegenheit, das Verm„chtnis meines Winnetou vorzunehmen und durchzusehen. Ich ”ffnete die Pakete, und dann waren wir beide, sowohl das Herzle als auch //360// ich, fr den ganzen Vor- und Nachmittag in ihren Inhalt vertieft. Ueber diesen Inhalt habe ich an anderer Stelle zu sprechen; fr jetzt will ich nur sagen, daá wir noch nie etwas „hnliches gelesen hatten, und daá der Schatz, der sich uns hier auf tat, unendlich gr”áer war, als wenn er Geld und Edelsteine im Gewicht von vielen Zentnern enthalten h„tte. Gegen Abend stellte sich Kakho-Oto ein. Sie meldete uns, daá die Kiowas, Komantschen, Utahs und Sioux nun alle versammelt seien, und zwar ber viertausend Mann stark, von jedem Stamm etwas ber tausend Krieger. Also genauso, wie ich es vermutet hatte. Am Vormittage hatte man gegessen. Am Nachmittage waren die verschiedensten Vorberatungen abgehalten worden. Es hatte sich nach langen Widersprchen endlich Einigkeit ergeben, so das eine nachtr„gliche Hauptberatung eigentlich berflssig gewesen w„re, wenn sie nicht als Schluázeremonie alles Vorhergehende zu kr”nen gehabt h„tte. "Also diese Hauptberatung findet statt?" fragte ich. "Ja", antwortete die Freundin. "Wann?" "Grad um Mitternacht." "Wenn ich doch dabeisein k”nnte, ohne gesehen zu werden!" Da fiel das stets besorgte Herzle schnell ein: "Nein! Daraus wird nichts! Das ist zu gef„hrlich!" "Wieso gef„hrlich?" "Wenn sie dich erwischen, ist es um dich geschehen! Ich als deine Frau habe vor allen Dingen darauf zu sehen, daá du zu jeder Zeit mir wenigstens am Leben bleibst!" Kakho-Oto l„chelte. Das tat ich auch und fragte das Herzle: //361// "Aber wenn es sich nun herausstellt, daá es nicht gef„hrlich ist?" "So gehe ich mit, um die Sache zu prfen! Als Junggeselle Westmann sein, ist keine Kunst. Aber sich noch als Westmann geberden, wenn man schon l„ngst verheiratet ist, und seine Frau bei sich hat, das wird einem jeden vernnftigen Mann so fern wie m”glich liegen! Wenn wir Frauen einmal jemand belauschen, so wird gleich ein groáes Hallo darber gemacht. Aber wenn die Herren M„nner im Wald herumkriechen, um Indianer zu behorchen, da behauptet man, es sei erstens notwendig und zweitens geh”re es zur Khnheit und zum Heldentum. Ich habe da einen sehr guten Gedanken, der diese gef„hrliche Lauscherei vollst„ndig unn”tig macht." "Welchen?" "Kakho-Oto nimmt an dieser Hauptberatung teil und sagt uns dann, was gesprochen worden ist." Da lachte ich laut auf und entgegnete: "Diesen Gedanken nennst du gut? Er ist so t”richt wie m”glich! Nie wird ein gew”hnliches weibliches Wesen an einer derartigen H„uptlingsversammlung teilnehmen drfen!" "Wirklich nicht?" "Nein!" "Das ist eine Schande! Aber erfahren mssen wir auf alle F„lle, was, beraten worden ist! Wie fangen wir das an?" Da l„chelte die Freundin abermals und antwortete: "Ihr werdet bei dieser Versammlung zugegen sein." "Wir? Wir beide?" fragte das Herzle schnell. "Ja. "Ich denke, als Frau darf ich nicht!" "Es geschieht im Geheimen. Niemand wird euch //362// sehen. Die H„uptlinge kommen n„mlich nach dem ,Haus des Todes'. Der Medizinmann der Komantschen will es so, und der Medizinmann der Kiowas stimmt ihm bei. Sie behaupten, das ,Haus des Todes sei schon vor Jahrtausenden ein Beratungshaus der Anfhrer gewesen und solle es nach seiner Entdeckung jetzt nun wieder sein. Zugleich sei es die Begr„bnissttte der H„uptlinge. Weibern sei es bei sofortiger Todesstrafe verboten, gew”hnlichen Kriegern ebenso, auáer sie kommen zur Bedienung der H„uptlinge mit." "Das ist ja vortrefflich!" meinte das Herzle. "Sie kommen also um Mitternacht?" "Ja, kurz vorher, denn die Zeremonie hat genau um Mitternacht zu beginnen." "Da stellen wir uns zeitig ein, vielleicht schon um elf!" "Aber du doch nicht!" sagte ich. "Warum nicht?" fragte sie. "Du hast doch soeben erst geh”rt, daá ,Weibern' der Zutritt bei sofortiger Todesstrafe verboten ist! Das ist mir zu gef„hrlich! Ich als dein Mann habe vor allen Dingen darauf zu sehen, daá du zu jeder Zeit mir wenigstens am Leben bleibst! Ich fhle mich also zu der Erkl„rung verpflichtet, daá du von der Teilnahme an diesem n„chtlichen Abenteuer vollst„ndig ausgeschlossen bist!" "Oho! Ich verweigere den Gehorsam! Nimmst du deine Erkl„rung nicht sofort zurck, so gehe ich auf der Stelle nach dem ,Haus des Todes' und verstecke mich dort bis Mitternacht, um euch alle miteinander zu belauschen, nicht nur die Indianer, sondern auch euch!" "Wohin willst du dich verstecken?" "Das weiá ich noch nicht." //363// "Das muá man aber wissen!" "Schon vorher?" "Gewiá! Es ist sehr schnell gesagt: ich verstecke mich. Aber den richtigen Platz zu finden, das erfordert Ueberlegung, die nicht zu sp„t kommen darf. Wir wissen noch nicht, wie viele Personen sich einstellen werden - - -" "Ich weiá es," fiel Kakho-Oto ein. "Es kommen Kiktahan Schonka, Tusahga Saritsch, Tokeichun und Tangua, die vier Oberh„uptlinge, sodann die beiden Medizinm„nner der Kiowas und der Komantschen und auáerdem fnf Unterh„uptlinge von jedem der vier St„mme. Auch einige gew”hnliche Krieger sind dabei, um das n”tige Feuerholz und Tangua zu tragen, der nicht gehen kann. Jeder Stamm wird sein eigenes Beratungsfeuer brennen. Das Feuer fr alle aber wird auf dem Altare angezndet, der die Medizinen der Oberh„uptlinge zu empfangen hat, bis das, was die Beratung ergeben hat, auch ausgefhrt worden ist." "So k”nnen wir also annehmen", fuhr ich nun fort, "daá wenigstens dreiáig Personen vorhanden sein werden. Wo und wie sie sich verteilen und plazieren, das wissen wir nicht. Es gibt somit im unteren Teil des Hauses, im Parterre, im Flur, auf dem Fuáboden, keine einzige Stelle, an der wir sicher sein k”nnten, nicht bemerkt zu werden. Es ist da berhaupt kein einziger Gegenstand vorhanden, hinter dem wir uns verstecken k”nnten. Es steht da ganz allein nur der Altar, um den sie sich versammeln werden." "So verstecken wir uns oben!" rief das Herzle. "Mit Hilfe der Leiter! In den Nischen, in den Luftl”chern, in den Fenstervertiefungen!" "Ganz recht!" nickte ich. "Aber denkst du dabei auch an die Feuer?" "Soll ich das? Wozu?" //364// "Wozu? Welche Frage! Um nicht zu ersticken oder durch immerw„hrendes R„uspern und Husten dich wenigstens zu verraten! Es werden fnf Feuer brennen, vier Stammes- und ein Altarfeuer. Diese Feuer werden mit Holz, Reisig usw. gen„hrt. Das gibt, zumal wenn dieses Material nicht ganz trocken ist, einen so bedeutenden Rauch und Qualm, daá es da oben, wohin du steigen willst, gar nicht auszuhalten ist, auáer wir finden einen Platz, wo dieser Qualm und Rauch uns nicht erreicht." "Denkst du, daá es einen solchen gibt?" "Ich hoffe es. Unten k”nnen wir uns freilich nicht verstecken; wir mssen hinauf. Aber auch nicht zu hoch, weil wir da nichts h”ren wrden. Es gilt, die Windrichtung zu erkennen und den Luftzug zu berechnen. Das Tor und alle Fenster”ffnungen stehen offen. Es wird also Luftzug mehr als genug vorhanden sein. Aber nach welcher Seite geht er? Ich schlage vor, das wir probieren! Wir haben fast noch eine Viertelstunde Zeit, ehe es Abend wird. Gehen wir schnell nach dem Haus, um ein Feuer anzuznden und zu sehen, wohin der Rauch entweicht." "Und dabei erwischt zu werden!" warnte Pappermann. "Es kommt niemand", versicherte Kakho-Oto. "Wir k”nnen es unbesorgt tun." Mein Vorschlag wurde also ausgefhrt. Wir begaben uns nach dem alten Bauwerk und sammelten unterwegs soviel drres Holz, wie n”tig war, den geplanten Versuch zu machen. Die Leiter wurde wieder hervorgeholt. Als das Feuer brannte, blieb Pappermann unten, um es zu schren; wir vier anderen aber stiegen hinauf und beobachteten die durch die W„rme verursachte Luftbewegung und den abziehenden Rauch. Hierdurch ent- //365// deckten [entdeckten] wir die fr uns am besten geeignete Stelle und stiegen wieder hinab, um das Feuer auszul”schen und jede Spur desselben sorgf„ltig zu vertilgen. Dann kehrten wir nach unserem Lagerplatz zurck. Kakho-Oto aber verabschiedete sich von uns, um sich zu ihren Kiowas zu verfgen und am n„chsten Morgen zeitig wiederzukommen. W„hrend meine Frau uns am Lagerfeuer das Abendessen bereitete, gossen wir uns mit Hilfe des vorhandenen B„renfettes und einer aufgedrehten, ungef„rbten Baumwollschnur einige kleine Kerzen, die wir n”tig hatten, um bei unserem nicht ungef„hrlichen Aufstieg in die H”he des Hauses nicht ganz und gar im Dunkeln zu sein. Denn gef„hrlich war es immerhin, auf den frei aus der Mauer ragenden Stufensteinen, die keine Spur von Brstung oder Gel„nder hatten, ohne hellere Beleuchtung emporzuklimmen. Jedem Ausgleiten muáte unbedingt der Absturz folgen. Darum wollte ich mit dem ,jungen Adler' allein hinauf. Das Herzle war da eigentlich recht berflssig, zumal sie von den Verhandlungen, die ganz selbstverst„ndlich indianisch gefhrt wurden, kein Wort verstehen konnte. Aber gerade, weil sie die Gefahr erkannte, bestand sie darauf, uns begleiten zu drfen, weil sie mehr Besorgnis fr mich als fr sich selbst hatte und die Ueberzeugung hegte, daá ich in ihrer Gegenwart vorsichtiger sein wrde als ohne sie. Als die elfte Stunde nahte, brachen wir auf und hinterlieáen unserem Pappermann die Weisung, falls wir gegen Morgen noch nicht zurck sein sollten, vorsichtig nachzuschauen, was uns im ,Haus des Todes' festgehalten habe. Wir nahmen unsere Revolver mit, obwohl wir keineswegs glaubten, sie brauchen zu mssen. Im Hause angekommen, zndeten wir die drei Kerzen an. Der Aufstieg war noch schwieriger, als ich vorausgesehen hatte, //366// und zwar der Leiter wegen. Wir brauchten sie, um zur untersten Stufe hinaufzukommen, und da wir sie unm”glich stehenlassen konnten, weil sie uns verraten h„tte, muáten wir sie mit hinaufnehmen. Ich stieg voran, dann folgte das Herzle, der "junge Adler" hinter ihr her. Indem ich vorn und er hinten die Leiter waagrecht faáte, bildete sie fr meine Frau ein mitwandelndes Sicherheitsgitter, an dem sie sich im Falle der Not zu halten vermochte. Wir gelangten langsam, sehr langsam, aber doch glcklich hinauf. Da schoben wir die Leiter in die tiefe Fenster”ffnung, so daá sie in ihr vollst„ndig verschwand, l”schten unsere kleinen, fast ganz unzureichenden Licht aus und stiegen durch die Oeffnung, welche auf den knstlichen Felsensturz mndete, hinaus ins Freie. Es gab ber uns einen hellen Sternenhimmel. Das von ihm niederfallende Licht reichte hin, uns den See als eine mattsilberne Fl„che zu zeigen, die im Schattenrahmen der Uferstr„ucher lag. Wir brauchten nicht lange zu warten, so bewegte es sich da vorn. Es kamen Gestalten, langsam und einzeln, eine hinter der anderen. je n„her sie kamen, um so deutlicher konnten wir sie erkennen. Freilich, ihre Gesichtszge nicht. Auch die Gestalten waren nicht scharf konturiert. Aber daá es Indianer waren, darber gab es keinen Zweifel. Auch die Bahre sahen wir, auf welcher der H„uptling der Kiowas getragen wurde. Sie bestand aus einer Decke, welche zwischen zwei Stangenh”lzern befestigt war. Andere trugen groáe Holz- und Reisigbndel. Wir z„hlten vierunddreiáig Personen. Wir warteten, bis die letzte von ihnen im Innern des Hauses verschwunden war, und schlpften dann auch hinein. Wir hatten da eine undurchdringliche Dunkelheit vor uns und setzten uns nieder. Geheimnisvolles Ger„usch lieá sich in der Tiefe unter //367// uns h”ren, weiter nichts. Niemand sprach, kein Ruf, kein Befehl, kein Kommando erscholl. Es schien alles sehr genau vorher besprochen worden zu sein. Da sprang irgendwo ein Funke auf, noch einer und noch einer. Diese Funken verwandelten sich in kleine Fl„mmchen. Die Fl„mmchen wurden zu Flammen, die Flammen zu brennenden Feuern. Es gab vier Feuer, welche die Ecken eines Quadrates bildeten, in dessen Mitte der Altar stand. Um diese Feuer lagerten sich phantastische Indianergruppen, die H„uptlinge jedes Stammes um ihre besondere Flamme. Der Rauch stieg empor, aber er bel„stigte uns nicht er verschwand durch die Oeffnungen der gegenberliegenden Seite. Auch der Schein der Feuer stieg empor; aber je h”her, um so ungengender und geheimnisvoller wirkte er. Beim Flackern der Flammen schien sich nicht nur unten, sondern auch hier oben alles zu bewegen, die Nischen, die Mumien, die Gerippe, die verworrenen Teile der Knochen. Das Herzle griff nach meiner Hand, drckte sie krampfhaft fest und flsterte mir zu: "Wie geisterhaft, ja, gespensterhaft! Fast frchte ich mich!" Wnschest du dich weg von hier?" fragte ich. "Nein, nein! So etwas gibt es ja niemals, niemals wieder! Denke, wir sind im Inferno!" Das Bild, welches sie da brachte, war nicht unzutreffend; ich aber h„tte lieber gesagt, im Fegefeuer. Was da unten beschlossen werden sollte, war Snde, ja; aber es hatte nicht unbedingt zur Verdammung zu fhren; wir selbst waren ja da, um ihm ein besseres Ende, einen glcklichen Ausgang zu geben. Mir kamen die Gestalten da unten vor, nicht als ob sie Abk”mmlinge vergangener Jahrtausende, sondern die zu erl”senden Seelen jener uralten Zeiten seien, die sich hier versammelt hatten zur //368// letzten, b”sen Tat, in deren Schoá die Befreiung aus der Finsternis zu suchen und zu erfassen war. Indem ich dies dachte, erklang das erste Wort, welches gesprochen wurde: "Ich bin Avat-towah *), der Medizinmann der Komantschen. Ich sage: es ist Mitternacht!" Und eine zweite Stimme schloá sich an: "Ich bin Onto tapa **), der Medizinmann der Kiowa. Ich fordere auf, die Verhandlung zu beginnen!" "Sie beginne!" rief Tangua. "Sie beginne!" rief To-kei-chun. "Sie beginne!" rief Tusahga Saritsch. "Sie beginne!" rief Kiktahan Schonka. Auch jetzt konnten wir die Gesichtszge der Genannten nicht erkennen. Wir sahen nur ihre Gestalten und h”rten ihre Stimmen wie aus einer nicht mehr zur Erde geh”renden Unterwelt herauf. Da trat der Medizinmann der Komantschen an den Altar und sprach: "Ich stehe vor dem heiligen Bewahrungsort der Medizinen. Im Tempel unseres alten, berhmten Bruders Tatellah-Satah h„ngt die Riesenhaut des l„ngst schon ausgestorbenen Silberl”wen, auf welcher folgendes geschrieben steht: ,Bewahret eure Medizinen! Das Bleichgesicht kommt ber das groáe Wasser und ber die weite Pr„rie herber, um euch eure Medizinen zu rauben. Ist er ein guter Mensch, so wird es euch Segen bringen. Ist er ein b”ser Mensch, so wird es ein Wehklagen geben in allen euren Lagern und in allen euern Zelten.'" Hierauf trat auch der Medizinmann der Kiowas an den Altar und sprach: "Aber neben diesem Fell des Silberl”wen h„ngt die Haut des groáen Kriegsadlers; auf der steht geschrieben: ____________________________ *) "Groáe Schlange". **) "Fnf Berge". //369// ,Dann wird ein Held erscheinen, den man ,den jungen Adler' nennt. Der wird dreimal um den Berg der Medizinen fliegen und sich dann zu euch niederlassen, um euch alles wiederzubrigen, was das Bleichgesicht euch raubte.' Ich frage euch, die Oberh„uptlinge der vier vereinigten St„mme: Wollt ihr den Beschlssen treu bleiben, welche heute unter euch getroffen worden sind?" "Wir wollen", antworteten alle vier. "Und seid ihr bereit, eure Medizinen hier niederzulegen zum Pfand dafr, daá ihr alles tun werdet, es auch auszufhren?" Ein lautes, vierfaches Ja erscholl. "So bringt sie her, und gebt sie ab!" Sie taten es. Sogar Tangua lieá sich zum Altar tragen, um seine Medizin mit eigener Hand abzugeben. Kiktahan Schonka klagte, indem er dem Medizinmann die seinige berreichte: "Es ist nur die H„lfte. Die andere H„lfte ging unterwegs verloren, als Manitou seine Augen von mir wendete. Er kehre mir sein Antlitz wieder zu, damit mir nicht auch diese andere H„lfte noch verloren gehe! Die Last meiner Winter drckt mich dem Grabe zu. Soll ich jenseits des Todes ohne Medizin erscheinen, und fr ewig verloren sein? Schon um mich vor diesem Untergang zu retten, bin ich gezwungen, alles zu tun, um zu halten, was ich heute versprach!" Die Platte wurde vom Altar gehoben und dann, als die Medizinen im Innern desselben verschwunden waren, wieder daraufgelegt. Dann h„ufte man Holz und Reisig darber und steckte es in Brand, doch nicht nach unserer, sondern nach indianischer Weise, so daá nur ein kleines Feuer entstand, in welches nur die Spitzen der H”lzer ragten, die, wenn sie verzehrt waren, //370// immer nachgeschoben wurden. Das war das "Feuer der Beratung", die nun begann. Sie war sehr feierlich. Sie wurde durch das sehr umst„ndliche Rauchen der Friedenspfeife eingeleitet. Man hielt trotz der vorangegangenen Vorberatungen noch sehr ausfhrliche Reden. Es w„re wohl interessant, wenn ich diese Reden hier w”rtlich wiederholte. Einige von ihnen gestalteten sich zu wahren Meisterstcken der indianischen Redekunst. Aber der Mangel an Raum gebietet mir, nicht so umst„ndlich zu sein, wie diese Indianer es waren. Es gengt, zu sagen, daá wir auf unserem Platze alles, was gesprochen wurde, sehr deutlich verstanden. Es ging uns fast kein einziges Wort verloren. Das Resultat der Verhandlungen war fr uns folgendes: Die vier St„mme planten einen šberfall des Lagers der Apatschen und ihrer Freunde am Mount Winnetou. Durch diesen šberfall sollte die geplante Verherrlichung Winnetous vereitelt werden. Zugleich hoffte man, dadurch in den Besitz groáer Beute und all der Sch„tze zu kommen, welche jetzt in diesem Lager zusammenflossen. Es waren das besonders die freiwilligen Gaben an Nuggets und anderen Edelmetallen, die, entweder von ganzen St„mmen, Clans und Gesellschaften oder von einzelnen Personen gespendet, herbeigetragen wurden. Man wollte hier am ,dunklen Wasser' noch einige Tage bleiben, um von dem bisherigen langen Ritte auszuruhen, und dann nach einem Ort marschieren, den sie "das Tal der H”hle" nannten. Dieses Tal lag in der N„he des Mount Winnetou und bot, wie man sagte, selbst fr eine so groáe Zahl von Kriegern ein sicheres Versteck. Aus diesem Versteck heraus sollten dann die Apatschen und ihre Verbndeten berfallen werden. Von h”chstem Interesse fr uns war ein ganz be- //371// sonderer [besonderer] Punkt, den wir erlauschten. Die vier verbndeten St„mme hatten n„mlich einen Kumpan bei den Apatschen, der es bernommen hatte, sie ber alles zu unterrichten, ihren Streich mit vorzubereiten und ihnen die passendste Zeit zu seiner Ausfhrung anzugeben. Dieser Spion und Verr„ter war um so gef„hrlicher, als er nicht zu den gew”hnlichen, gleichgltigen Personen geh”rte, sondern mit im Denkmalkomitee saá und als Mitglied desselben alles m”gliche wuáte und allseitig ein besonderes Vertrauen genoá. Das war Mr. Antonius Paper, mit dem indianischen Namen Okih-tschin-tscha und dem schlingernden Gange. Dies zu erfahren, hatte ganz besonderen Wert fr uns. Fr diese seine Mitwirkung war ihm ein bedeutender Anteil an der Beute, ber dessen H”he man aber nicht sprach, verheiáen worden. Die Oberh„uptlinge schienen eine Scheu zu haben, sich vor ihren Unterh„uptlingen ber diesen Punkt deutlich auszudrcken. Es wurden da die Gebrder Enters mitgenannt, welche das, was man ihnen versprochen hatte, nicht bekommen sollten, weil man es diesem Antonius Paper auszuzahlen hatte, dem man seinen Lohn aber auch vorenthalten wollte, weil er an die beiden Enters zu entrichten w„re. Es handelte sich da jedenfalls um eine groáe Lumperei, ber die man nicht gern sprach. Ich vermutete, daá man alle drei, sowohl Paper als auch die Enters, um ihren Lohn betrgen und sie dann auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen wollte. Als die Zeremonie zu Ende war, wurde das Beratungsfeuer auf dem Altar von den beiden Medizinm„nnern ausgel”scht. Sie strichen die Asche von der Platte und traten dann um einige Schritte von dem Altar zurck. Hierauf sagte der Medizinmann der Komantschen in feierlichem Ton: //372// "So oft das heilige Feuer ber den Medizinen erlischt, ist das Wort des Silberl”wen zu wiederholen: Bewahret eure Medizinen! Das Bleichgesicht kommt ber das groáe Wasser und ber die weite Pr„rie herber, um euch eure Medizinen zu rauben!... Und der Medizinmann der Kiowas fgte hinzu: "So oft das heilige Feuer ber den Medizinen erlischt, ist auch das Wort des groáen Kriegsadlers zu wiederholen: Es wird ein Held erscheinen, den man den ,jungen Adler' nennt. Der wird dreimal um den Berg fliegen und sich dann zu euch niederlassen, um euch die geraubten Medizinen wiederzubringen. Dann wird die Seele der roten Rasse aus ihrem tausendj„hrigen Schlaf erwachen, und was getrennt war, wird zur geeinigten Nation und zum groáen Volk werden!" Von jetzt an sprach niemand mehr, aber man blieb sitzen, bis die Feuer nach und nach verl”schten und schlieálich auch der letzte noch glimmende Funke verschwunden war. Dann geschah der Aufbruch. Die Indianer verlieáen das Haus genauso, wie sie gekommen waren: langsam und still, einzeln, einer hinter dem andern. Unsere Blicke folgten ihnen, bis sie das Wasser des Sees erreichten und dann nach beiden Seiten abschwenkten. Das Herzle holte tief, tief Atem. "Welch ein Abend! Welch eine Nacht!" sagte sie. "Das werde ich nie, nie vergessen! Was tun wir jetzt?" "Wir steigen hinab und holen uns die Medizinen", antwortete ich. "Drfen wir das?" "Eigentlich ist es verboten. Es steht der Tod darauf. Kein Indianer wrde wagen, sich an ihnen zu vergreifen. Fr uns ist es einfach ein Gebot der Notwendigkeit." Der "junge Adler" h”rte das. Er sagte nichts dazu. //373// Wir brannten unsere drei Lichter wieder an, griffen zu unserer Leiter und stiegen langsam und „uáerst vorsichtig wieder hinab. Unten angekommen, traten wir an den Altar. Da fragte der junge Apatsche in seiner Muttersprache: "Du willst sie wirklich nehmen?" "Ja, unbedingt", antwortete ich. "Sie sind eine Macht in meiner Hand, und zwar eine groáe, segensreiche Macht." "Das weiá ich. Aber ich bin Indianer, und ich kenne die Bedeutung und die Unverletzlichkeit der Medizinen, die an solcher Stelle niedergelegt worden sind. Weiát du, was meine Pflicht mir hier gebietet?" "Ja. Du hast zu verhindern, daá ich sie berhre. Sogar Gewalt hast du zu gebrauchen. Aber, habe ich etwa die Absicht, sie nicht heilig zu halten, sie zu verletzen?" "Nein. Die hast du nicht. Und du bist Old Shatterhand, ich aber bin ein Knabe. Ein Kampf mit dir w„re mein Tod. Dennoch bitte ich dich um die Erlaubnis, eine Bedingung stellen zu drfen!" "Du darfst." "Wenn du das Bleichgesicht des Silberl”wen sein willst, welches zu uns herberkommt, uns unsere Medizinen zu nehmen, so laá mich der junge Indianer des Kriegsadlers sein, der vom Mount Winnetou herniederkommt, um seinen Brdern ihre Medizinen zurckzugeben!" "Kannst du das?" "Wenn du willst, ja!" "Fliegen?" "Ja." "Dreimal um den Berg?" "Ja!" Das war ein ganz eigenartiger, vielleicht sogar ein groáer Augenblick. Dieses Dunkel! Dieser schauerliche //374// Ort! Ein Bleichgesicht im Greisenalter. Ein hochbegabter, khner Indianer im hoffnungsreichsten Jugendalter! Beide hier am Altar einander gegenberstehend, mit kleinen, winzigen Lichtern in den H„nden, deren sp„rlicher Schein von der Finsternis schon zwei, drei Schritte weit verschlungen wurde! Er sprach vom Fliegen. Er versicherte, es zu k”nnen, und zwar mit einer Stimme und in einem Ton, der jeden Zweifel ausschloá! Er meinte k”rperliches Fliegen. Ich aber dachte ebenso sehr auch an den seelischen, an den geistigen Flug, den er, der Typus seiner verjngten Nation, zu nehmen hatte, wenn er ihr die im Verlauf der Jahrtausende verlorengegangenen "Medizinen" zurckbringen wollte. Aber ich hatte ein groáes, ein warmes und ich m”chte sagen, ein heiliges Vertrauen zu ihm. "Ich glaube dir!" antwortete ich. "Ich nehme sie jetzt. Aber ich gebe sie dir, sobald du sie von mir verlangst!" "Deine Hand darauf!" "Hier!" Wir reichten einander die H„nde. "So nimm sie!" sagte er und griff nach der Platte, um mir zu helfen, sie auf die Seite zu schieben. Sie war fast noch heiá. Ich nahm die Medizinen aus dem ge”ffneten Altar. Wir schoben die Platte in ihre vorige Lage zurck und verlieáen dann, nachdem wir die Lichter verl”scht hatten, das Haus, um nach unserm Lagerplatz zurckzukehren. Die Leiter nahmen wir mit, damit sie nicht nachtr„glich noch zur Verr„terin an uns werde. Unser Aufenthalt am "Dunklen Wasser" hatte von jetzt an als beendet zu gelten. So kurz er gewesen war, So sehr konnten wir mit seinen Ergebnissen zufrieden sein. [//375//] Sechstes Kapitel. Am Mount Winnetou. Es war ungef„hr eine Woche sp„ter. Wir hatten w„hrend der letzten Nacht am unteren Klekih Toli gelagert und ritten nun am frhen Morgen an seinem Ufer aufw„rts. Klekih Toli ist ein Apatschewort. Es heiát so viel wie "weiáer Fluá". Dieser Fluá hat ein bedeutendes Gef„lle. Er kommt in zahlreichen Kaskaden vom Mount Winnetou herab. Der weiáe Schaum dieser Kaskaden ist es, der ihm seinen Namen gegeben hat. Er ist tief eingeschnitten. Darum sind seine Ufer hoch und steil, oben mit Wald und unten mit Buschholz bewachsen. Da, wo er aus dem gewaltigen Massiv des Mount Winnetou tritt, bildet er mehrere Wasserf„lle, welche ihrer Umgebung ein h”chst energisches Aussehen erteilen. Wir waren vier Personen; das Herzle, der "junge Adler", Papperrnann und ich. Die beiden Enters hatten wir am "Dunkeln Wasser" nicht wieder zu sehen bekommen, zumal kein besonderer Grund fr uns vorhanden war, ein solches Wiedersehen herbeizufhren. Daá wir ihnen irgendwo und irgendwann wieder begegnen wrden, //376// verstand sich ganz von selbst. Kakho-Oto war am Morgen nach der Beratung im "Haus des Todes" zu uns gekommen und hatte uns berichtet, daá im Lager der Roten nichts Besonderes geschehen sei. Sie fragte uns nicht, was wir erlauscht h„tten; darum schwiegen auch wir darber, um sie nicht mit sich selbst und ihren Stammespflichten in Konflikt zu bringen. Vor allen Dingen wurde ihr verheimlicht, daá wir uns in den Besitz der Medizinen gesetzt hatten. je weniger Personen das wuáten, um so besser war es fr uns. Als wir ihr unsern Entschluá kundgaben, sofort weiter zu reiten, tat ihr diese schnelle Trennung wehe. Sie h„tte uns gern begleitet, sah aber wohl ein, daá dies mehr eine Bel„stigung als eine Erleichterung fr uns gewesen w„re und daá sie mehr und besser fr uns wirken konnte, wenn sie bei den Kiowa blieb. Doch wurde verabredet, uns unter allen Umst„nden am Mount Winnetou wiederzusehen. Diesem Berg waren wir jetzt nun nahe, obgleich wir ihn noch nicht sahen, der tiefen Fluárinne wegen, in der wir ritten. Es gab vom "Dunkeln Wasser" aus einen anderen, bequemeren Weg nach dem Mount Winnetou, den wir aber vermieden hatten, weil wir annahmen, daá er unter den jetzigen Verh„ltnissen belebter sein werde, als wir wnschtet. Wir wollten unntze Begegnungen vermeiden und am liebsten dort pl”tzlich eintreffen, ohne vorher gesehen und beachtet worden zu sein. Darum kamen wir von einer nicht gerade berm„áig wegsamen Seite her und waren nun aber doch gezwungen gewesen, nach dem Ydekih Toli einzubiegen, um nicht an unserem Ziel vorberzugehen. Daá wir dadurch auf einen jetzt viel betretenen Weg geraten waren, bemerkten wir an den Spuren von Menschenfáen und Pferdehufen, die uns in die Augen fielen. Und gar bald //377// sahen wir auch einige Indianer, welche an einer Stelle, an der wir vorber muáten, zwischen den Bschen hockten. Es waren ihrer vier. Ihre Pferde weideten am Wasser. Sie waren unbemalt und nur mit der Lanze bewaffnet, trotzdem aber sofort als Kanean-Komantschen zu erkennen. Als sie uns erblickten, richteten sie sich aus ihrer hockenden Stellung auf und schauten uns entgegen. Sie bildeten einen Posten, den man hier aufgestellt hatte, um alle, die hier vorbeikamen, zu kontrollieren. Der "junge Adler" ritt uns voran und still gráend an ihnen vorbei. Ihn lieáen sie passieren, uns aber hielten sie an. " Wohin wollen meine weiáen Brder?" fragte der Žlteste von ihnen. "Nach dem Mount Winnetou", antwortete ich. "Was wollen sie dort?" "Wir wollen zu Old Surehand." "Der ist heut nicht dort." "Und zu Apanatschka, dem H„uptling der Kanean-Komantschen. "Auch der ist nicht dort. Sie sind beide miteinander fortgeritten." "So werde ich dort warten, bis sie wiederkommen." "Das ist unm”glich." "Warum?" "Es drfen jetzt keine Bleichgesichter nach dem Mount Winnetou." "Wer hat es verboten?" "Das Komitee." "Wem geh”rt der Mount Winnetou? Geh”rt er dem Komitee?" "Nein", antwortete er verlegen. "So hat dieses Komitee auch nichts zu befehlen und nichts zu verbieten!" //378// Ich trieb mein Pferd zum Weitergehen an. Da griff er mir in die Zgel und sagte: "Ich muá Euch anhalten. Ich darf Euch nicht vorberlassen. Ihr habt umzukehren!" "Versuche es!" Bei diesen Worten nahm ich mein Pferd vorn hoch und schttelte ihn ab. Die drei andern wollten Pappermann und das Herzle zurckhalten. Mein Pferd tat einen Satz mitten zwischen sie hinein und trieb sie auseinander. Pappermann rief lachend aus: "Mich zurckweisen! Den Maksch Pappermann festhalten! Hat man schon einmal so etwas erlebt? Wer es wagt, mich anzufassen, den steche ich auf der Stelle nieder!" Er lieá sein Maultier einige Sprnge dorthin tun, wo die vier Lanzen in der Erde steckten. Im n„chsten Augenblick war ich auch dort. Zwei rasche Griffe, und die Lanzen befanden sich in unseren H„nden. Er nahm die eine durch die Lederschlinge an den Arm und senkte die andere zum Stoá. Ich tat ganz dasselbe. "So!" lachte er. "Wer nicht erstochen sein will, der mache sich aus dem Weg! Vorw„rts!" Wir ritten weiter. Die Komantschen waren junge Leute. Der Žlteste von ihnen z„hlte gewiá noch nicht dreiáig Jahre. Sie stammten also nicht aus der alten kriegerischen Zeit. Sie wuáten vor Verlegenheit nicht, was sie machen sollten. Sie schwangen sich auf ihre Pferde und kamen hinter uns her. Sie baten uns, ihnen ihre Lanzen wiederzugeben und ja nicht weiterzureisen, sondern zu warten, bis sie uns nach vorn gemeldet h„tten. Dann wrden wir erfahren, ob wir unsern Weg fortsetzen drften oder nicht. Da es nicht in unserer Absicht liegen konnte, sie //379// vor ihren Kameraden zu blamieren, so gaben wir ihnen ihre Lanzen wieder, setzten unseren Weg aber ununterbrochen fort. Sie getrauten sich nicht mehr, dies zu verhindern, und ritten hinter uns her, denn ohne Beaufsichtigung durften sie, wie es schien, uns nicht lassen. Nach ungef„hr einer Stunde kamen wir an einen zweiten Posten, der auch aus vier Personen bestand. Diese machten denselben Versuch, uns anzuhalten. Wir weigerten uns, zu gehorchen. Die ersten vier fhlten sich jetzt st„rker als vorher. Da stieg ich vom Pferd, ging zu dem Maultier, welches meinen Koffer trug, ”ffnete ihn, nahm die beiden Revolver nebst Munition heraus, steckte die letztere zu mir, spannte die Revolver, ging fnfundzwanzig Schritte zur Seite, zielte und gab schnell hintereinander acht Schsse ab. jeder der Komantschen bekam einen Ruck in den Arm, in dem er die Lanze hielt. Ich hatte alle acht durchl”chert. Ich lud wieder, kehrte dann zu meinem Pferd zurck, stieg auf und sagte: "Jetzt habe ich nur auf die Lanzen gezielt. Von jetzt an aber ziele ich auf die M„nner. Merkt euch das!" Wir ritten weiter. Sie blieben eine kleine Weile, leise miteinander sprechend, halten; dann kamen sie hinter uns her, alle acht, ohne es aber zu wagen, sich uns mehr, als wir wnschtet, zu n„hern. Nach wieder einer Stunde erreichten wir den n„chsten Posten, der ebenso wie die vorigen aus vier Mann bestand, die nur Lanzen trugen. Auch sie wollten sich uns in den Weg stellen; als sie aber sahen, daá wir begleitet wurden, wichen sie zur Seite, lieáen uns vorber und schlossen sich ihren hinter uns reitenden acht Stammesgenossen an. Das machte dem Herzle Spaá. "Nun ist es genau ein Dutzend!" sagte sie. "Und //380// wir sind nur drei M„nner und eine Frau! Sind das jene khnen Roth„ute, von denen man liest und erz„hlt? Sind das jene Komantschen, die man als die verwegensten unter allen Indianern schildert?" "Irre dich nicht", antwortete ich. "Sie sind jung, sind ungebt. Gib ihnen eine Handvoll Erfahrung, so wirst du sehen, daá sie ihren V„tern nichts nachgeben. Wir haben sie einfach verblfft; das ist alles!" jetzt hatten wir anderthalb Stunden zu reiten, ehe wir den n„chsten Posten erreichten. Da stand eine ger„umige Blockhtte, bei der zahlreiche Holzkl”tze lagen, die als Sessel dienen sollten. Hier waren mehr Menschen als nur vier. Ich z„hlte zehn: acht Indianer und zwei Weiáe. Der Pferde waren ebenso viele. Den beiden Weiáen schienen die Roten nicht vornehm genug zu sein. Sie hatten sich abseits von ihnen gesetzt. Sie frhstckten aus ihren Satteltaschen und tranken Brandy dazu. Die Flasche stand zwischen ihnen. Das sahen wir von weitem. Als wir aber n„her kamen, erkannten wir den Irrtum: die zwei waren nicht Weiáe, sondern ein Indianer und ein Halbindianer, aber so wie Weiáe gekleidet, w„hrend die Komantschen die Tracht ihres Stammes zeigten. Und diese beiden waren uns nicht einmal fremd, sondern Bekannte, sehr gute Bekannte von uns. N„mlich der Halbindianer war Herr Okih-tschintscha, genannt Antonius Paper, und der Ganzindianer hatte sich uns als Mr. Evening vorgestellt, Agent fr alles m”gliche. Neben ihnen lagen ihre Flinten und einige geschossene V”gel. Sie schienen sich also auf einer Jagdpartie zu befinden. Sie sprangen beide auf, als sie uns erkannten. "Halloo, Halloo!" rief Paper aus. "Das ist ja dieser ekelhafte Burton mit seinem blauen Boy! Also //381// darum ritt der ,junge Adler' so schnell vorber! Er will sie einschmuggeln! Haltet sie auf! Sie drfen nicht weiter! Ergreift sie! Nehmt sie gefangen!" Diese Aufforderung war an die Indianer gerichtet. Mr. Evening aber fgte warnend hinzu: "Nehmt euch aber in acht! Gewaltt„tige Menschen! Dieser Burton ist gewohnt, augenblicklich zuzuschlagen!" Wir achteten nicht auf diese Rufe, sondern lenkten unsere Tiere nach dem Wasser und stiegen ab, um sie trinken zu lassen. Es war die Zeit dazu. Indem wir das taten, erstatteten unsere zw”lf bisherigen Begleiter Bericht ber uns. Wir h”rten zwar nicht, was sie sagten, konnten uns aber sehr wohl denken, daá sie sich nicht in Lob und Preis ber uns ergingen. "Dieser Paper wird doch nicht etwa so t”richt sein, wieder mit dir anzubinden!" meinte das Herzle besorgt. "Er wird es sehr wahrscheinlich!" antwortete ich. "Derartige Menschen werden niemals klug!" "Schl„gst du wieder?" "Nein." "Gott sei Dank! Ich sehe das gar nicht gerne!" "Hier ist ein anderer Ort. Da kann man sich auch anders wehren." Kaum hatte ich das gesagt, so kam der Genannte auf uns zugeschlingert, stellte sich grad vor mich hin und sagte: "Heut rechnen wir ab, Mr. Burton, vollst„ndig ab. Ihr seid mein Gefangener!" Ich antwortete nicht. "Habt Ihr es geh”rt?" fragte er. "G„be es hier Handschellen, so wrde ich sie Euch anlegen lassen. Denn solche Halunken - - - "Halunken?" fragte ich schnell, ihn unterbrechend. //382// "Ja, Halunken! Denn nur ein Halunke kann - - -" Er konnte den angefangenen Satz nicht vollenden, denn ich packte ihn mit beiden H„nden oberhalb der Hften, trat mit ihm ganz nahe an das Wasser heran und schleuderte ihn, soweit ich konnte, in den hier ziemlich tiefen Fluá hinein. "Hilfe, Hilfe!" brllte er noch in der Luft. Dann sank er unter, kam aber schnell wieder zum Vorschein, begann wie ein Hund zu paddeln und wurde von der reiáenden Str”mung fortgetragen. "Hilfe, Hilfe!" schrie er weiter. "Holt ihn heraus! Holt ihn heraus!" rief William Evening, der Agent fr alles. "Laát ihn nicht ertrinken, laát ihn nicht ertrinken!" Die Indianer beeilten sich, dem im Wasser Treibenden zu folgen und ihn mit Hilfe ihrer Lanzen an das Ufer zu ziehen. Ich aber ging auf den Agenten zu, l„chelte ihn ebenso verbindlich an, wie er mich am Nugget-tsil angel„chelt hatte, machte ganz so, wie er dort, eine noch verbindlichere Verbeugung und sagte mit seinen eigenen, dortigen Worten: "Wir sind in einer wichtigen Angelegenheit an diesen Platz gekommen. Wir glaubten, niemand hier zu finden. Eure Gegenwart ist uns st”rend." Er sah mich groá an. "Ihr versteht mich doch?" fragte ich ihn genauso, wie er mich gefragt hatte. Da kam ihm die Einsicht. Er erinnerte sich der Szene und begann zu ahnen, daá ich jetzt im Begriff stand, den Spieá herumzudrehen. "Gewiá", antwortete er. "Es ist ja deutlich genug.'. "Nun?" "Ihr wnschet, daá wir uns entfernen?" //383// "Ja." "Wann?" "Sofort! Sonst helfe ich nach!" Ich zog den Revolver. Zugleich nahm Pappermann den seinen aus der Tasche. "Wir gehen; wir gehen!" versicherte der Agent fr alles sehr eindringlich und sehr schnell. "Da bringen sie Mr. Paper. Hoffentlich hat ihm der Schreck nicht die Kraft geraubt, auf das Pferd zu steigen!" "Sollte dies der Fall sein, so bin ich sehr gern bereit, ihn sofort wieder stark zu machen. Wem geh”rt der Hut, der dort am Aste h„ngt?" "Mr. Paper." "So paát auf, was ich tue!" Die Indianer hatten Herrn Okih-tschin-tscha aus dem Wasser gezogen. Er triefte. Er hatte, wie es schien, genug. Er beeilte sich, in das Innere des Blockhauses zu kommen. Noch hatte er es nicht erreicht, so hob ich den Revolver und zielte nach dem Hute. Ich traf. Paper erschrak so ber den Schuá, daá er stehen blieb. Ich deutete nach der durchl”cherten Kopfbedeckung und sagte: "Das war der Hut! Nun kommt der Mann, der mich arretieren wollte! Ich gebe Mr. Antonius Paper nur fnf Minuten Zeit. Hat er sich dann nicht davongemacht, so bekommt er ein zweites Loch, aber nicht durch den Hut, sondern durch den Kopf. Fare well, Mr. Evening! Ich hoffe, Ihr macht Euch ebenso schnell von dannen!" Da hob Pappermann auch seinen Revolver und rief mir zu: "Also fnf Minuten, nicht mehr! Dann ich den einen und Ihr den andern!" //384// Da griff Herr Okih-tschin-tscha schnell nach seinem durchl”cherten Hut, stlpte ihn auf und rannte nach seinem Pferd. Der Agent fr alles packte alles, was er aus der Satteltasche genommen hatte, auch die Brandyflasche, wieder hinein, raffte die beiden Gewehre auf, denn Antonius Paper hatte das seinige vor Angst vergessen, und noch waren die fnf Minuten nicht vorber, so ritten beide, ohne sich umzusehen, in gr”áter Eile davon. Nichts imponiert dem Indianer mehr als Mut und Energie. Unser Verhalten fl”áte den Komantschen Achtung ein. Die Folge hiervon zeigte sich sofort. Der Aelteste von ihnen kam zu uns heran und fragte: "Meine weiáen Brder kennen, wie man mir sagt, Old Surehand?" "Ja", antwortete ich. "Und auch Apanatschka, unsern H„uptling?" "Auch ihn. Ich kenne sogar Joung Surehand und Joung Apanatschka. Die beiden V„ter und die beiden S”hne nennen mich ihren Freund." "Haben sie dir gesagt, was hier geschehen soll?" "Ja. Sie haben mir Briefe darber geschrieben. Sie haben mich eingeladen, nach dem Mount Winnetou zu kommen." "Hast du diese Briefe mit?" ,,Ja." "Ich bitte dich, sie mir zu zeigen, damit ich sie lese!" "Sehr gern, sehr gern!" Ich muáte zwar den Koffer wieder ”f fnen, z”gerte aber gar nicht, es zu tun. Das Herzle half mir dabei. Es gibt Augenblicke, in denen ihr der Schalk im Nacken sitzt; dann hat man sich vor ihr in acht zu nehmen. Jetzt war ein solcher Augenblick. Sie ”ffnete nicht meinen, sondern ihren Koffer, nahm vier quittierte Hotelrechnungen //385// aus Leipzig, Bremerhaven, New York und Albany heraus, reichte sie dem Komantschen hin und sagte: "Hier! Von den beiden V„tern und von den beiden S”hnen!" Er machte mit der Hand ein Zeichen der Hochachtung und griff nach den Papieren. Er betrachtete sie sehr eingebend. Sein Gesicht nahm dabei mehr und mehr den Ausdruck an, den man als ,,Kennermiene" bezeichnet. Er wendete sich an seine Leute und best„tigte, indem er die Rechnungen einzeln emporhob: "Es stimmt; es ist wahr! Hier ist der Brief von Old Surehand und hier von Joung Surehand, hier von Apanatschka und hier von Joung Apanatschka. Auf allen diesen Briefen steht, daá diese Bleichgesichter Freunde sind und daá sie nach dem Mount Winnetou kommen sollen!" Seine Kameraden wuáten wahrscheinlich sehr genau, welche Knste ihm zuzutrauen seien und welche nicht, denn einer von ihnen fragte: "Kannst du es denn lesen?" "Nein", antwortete er; "aber ich sehe es. Howgh!" Er gab dem Frager die "Briefe" hin. Dieser prfte sie ebenso eingehend und rief dann, indem er sie weitergab: "Auch ich sehe es. Howgh!" So gingen die Rechnungen weiter von Hand zu Hand. Ein jeder gab sein entscheidendes: "Auch ich sehe es, Howgh!" dazu, und dann bekamen wir sie zurck, wobei der Anfhrer unser Schicksal entschied: "Also drfen meine weiáen Brder mit ihrer Squaw getrost weiterreisen. Die Krieger der Kanean-Komantschen haben ihren H„uptlingen mehr zu gehorchen als dem Komitee!" //386// Wir steckten die Rechnungen wieder in den Koffer. Das Herzle reichte dem wackeren Schriftverst„ndigen die Hand zum Abschied und sprach: "Mein roter Bruder ist nicht nur klug und verst„ndig, sondern auch in der Deutung unserer Totems und Wampums sehr wohl bewandert. Er hat ein sehr gutes Herz. Ich danke ihm und werde mich seiner stets gern erinnern." Das war ihm fast zu viel. Er war beinahe starr vor Glck. Seine Augen strahlten. Er hielt ihre Hand fest, als ob er sie nicht wieder hergeben wolle, und stammelte endlich: "Meine weiáe Schwester hat strahlende Worte, wie die Sonne klingende Strahlen hat. Ich danke ihr! Ich hoffe, wir sehen sie wieder!" Auch wir gaben ihm die Hand; dann ritten wir weiter. Meine Frau nahm an, daá der uns vorangeeilte "junge Adler" an irgendeiner Stelle anhalten werde, um auf uns zu warten. Ich aber war anderer Meinung. Er hatte sich von uns getrennt, um uns bei den zu erwartenden interessanten Szenen nicht zu st”ren. Er wollte denen, die innerlich gegen uns standen, Gelegenheit geben, sich zu blamieren, und um das zu erreichen, durfte er nicht bei uns sein. Ich war also berzeugt, daá wir ihn erst an Ort und Stelle wiedersehen wrden. Wir kamen an noch mehreren anderen Wachtstationen vorber. Die dort befindlichen Indianer hielten uns nicht an. Sie wichen vor uns zur Seite. Die argw”hnischen Blicke, die sie dabei auf uns warfen, sagten nur zu deutlich, daá sie eine Instruktion erhalten hatten, die fr uns keine freundliche war. ich vermutete, daá uns durch Mr. Okih-tschin-tscha ein Empfang bevorstand, auf den uns zu freuen wir keine Veranlassung hatten. //387// Es gab Anzeichen, daá wir uns unserem Ziel n„herten. Bei gewissen Krmmungen des Flusses erschien uns ein ganz eigenartig gebildeter Bergkoloá, der, je weiter wir vorrckten, immer h”her und h”her stieg und alle anderen H”hen, zwischen denen der Fluá sich hindurchzuwinden hatte, weit berragte. Schlieálich lag ein Zelt oder ein Halbzelt an unserem Weg, bald wieder eins, hierauf wieder und wieder eins. Sie mehrten sich. Sie traten immer enger zusammen. Es sah ganz So aus, als ob wir durch die „uáerste Gasse einer weit ausgedehnten Lagerstadt nach ihrem Mittelpunkt ritten. Vor diesen Zelten saáen Indianerinnen, die uns neugierig und mit ungew”hnlichem Interesse betrachteten. Man sah ihnen an, daá sie von unserm Kommen unterrichtet waren. Kinder gab es keine. Die hatte man nicht mit nach dem Mount Winnetou bringen drfen. Auch M„nner sahen wir nicht. Die waren uns schon voraus, um bei der Szene zugegen zu sein, die uns erwartete. Nun verbreiterte sich das Tal des Flusses sehr schnell, bis die Uferh”hen pl”tzlich derart nach beiden Seiten zurckwichen, daá wir die ganze vor uns liegende Hochebene mit einem einzigen Blick zu berschauen vermochten. Der Eindruck, den das, was wir sahen, auf uns machte, war ein derartiger, daá wir wie mit einem gemeinsamen Ruck unsere Pferde und Maultiere anhielten. "Herrlich! Herrlich!" rief ich aus. "Mein Gott, wie sch”n, wie sch”n!" sagte das Herzle. "Gibt es denn wirklich so etwas auf Erden?" Und der alte Pappermann stimmte ein: "So eine Stelle habe ich freilich noch nicht gesehen, noch nie, noch nie!" Man denke sich einen gigantischen weit ber tausend Meter aufsteigenden Riesendom, vor dem sich ein ebenso //388// riesiger, freier Platz ausbreitet, der durch mehrere Stufenreihen in eine obere und eine untere H„lfte geschieden ist. Der Dom steht auf der westlichen Seite dieses Platzes und geht nach und nach in viele andere Trme ber, die in perspektivischer Verjngung im geheimnisvollen Blaugrau des Westens verschwinden. Auf den anderen drei Seiten ist der Platz von niedrigeren Bergen rundum derart eingefaát, daá es nur eine einzige Lcke gibt, n„mlich das Fluátal im Osten, durch welches wir heraufgekommen sind. Dieser Riesendom ist der Mount Winnetou. Sein Hauptturm steigt wie eine von den khnsten Naturgewalten improvisierte Gotik hoch ber die Wolken empor. Seine Zackenspitze besteht aus nacktem Gestein, welches aus weichen, grnschimmernden Mattend„chern emporw„chst. Zwischen diesen Zacken liegt weiágl„nzender Schnee, den unaufh”rlich die Sonne kát, bis er sich, in Liebe aufgel”st, aus Wasserstaub in Wasserstrahl verwandelt und dann von Stein zu Stein, von Schlucht zu Schlucht zur Tiefe springt. Da, wo der Turm sich zum eigentlichen Domgeb„ude weitet, sammeln sich diese Wasser und bilden mit den von den Nachbarbergen str”menden B„chen einen See, aus dem zu beiden Seiten je ein Wasserfall wohl ber sechzig Meter schroff hinunterstrzt und dann, der eine nach Sden, der andere nach Norden, flieát, um die Hochebene, also den freien Domplatz, zu umfassen und dann im Osten sich zu dem Klekih Toli-Flusse zu vereinen, an dem wir heut heraufgeritten sind. Unterhalb der grnen Matten hoch oben auf dem Riesenturm beginnt der erste lichte, dann aber immer dunkler und dichter werdende Wald, der den See geheimnisvoll umfaát und dann am Dom herniedersteigt, bis er den freien Platz erreicht und hierauf, sich in Gebsch verwandelnd, in die saftgrasige Pr„rie der Ebene bergeht. Dieser See heiát //389// Nahtowapa-apu *). Am ”stlichen Teil des dicht bewachsenen Domes liegt das Portal, ein breit ge”ffnetes H”hental, in welchem man zum hohen, langen First des eigentlichen Bergmassives und zu dem "See der Medizinen" steigt. ber diesem Portal erhebt sich der Nebenturm des Mount Winnetou, welcher zwar nicht so hoch und nicht so schwer wie der Hauptturm ist, aber z. B. in Tirol doch als eine Dolomitennadel allerersten Ranges gelten wrde. Auch er ist dicht bewaldet. Aus dem dunklen Grn der Tannen und Fichten steigen die helleren Hochgebirgswiesen empor. Auf halber H”he steht ein altindianischer Wartturm, von dem aus man die ganze Ebene und die oberen Windungen des Flusses zu berschauen vermag. Und einige Fuá weiter herab weichen Berg und Wald zurck, um ein weit hervorragendes Plateau zu bilden, auf welchem, einer uneinnehmbaren Festung „hnlich, eine nach beiden Seiten lang ausgestreckte Reihe von Geb„uden steht, deren Alter ganz gewiá noch ber die Tolteken- und Aztekenzeit zurckweicht und auf jene graue Vergangenheit deutet, deren Reste jetzt so auáerordentlich selten sind. Da oben wohnt Tatellah-Satahl der "Bewahrer der groáen Medizin". Man geht durch den vorderen Teil des Tales und dann durch ein Seitental hinauf zu ihm. Doch ist es keinem Menschen gestattet, ohne seine besondere Erlaubnis diesen Weg zu betreten. Der Hauptturm des gigantischen Domes ist der eigentliche Mount Winnetou, der Nebenturm aber der "Berg der Medizinen". Und dieser letztere ist es, von dem es heiát, daá der "junge Adler" dreimal um ihn fliegen werde, um dem roten Mann die verlorengegangenen Medizinen zurckzubringen. _______________________ *) "Geheimnis- oder Medizinensee". //390// Die hochebene Pr„rie vor dem Mount Winnetou war so groá, daá ihr Durchmesser die L„nge fast einer ganzen Reitstunde betrug. Sie war jetzt nicht leer, sondern mit Htten und Zelten besetzt, welche in ihrer Gesamtheit eine ganze Stadt bildeten. Weil nun die eine H„lfte der Ebene h”her lag als die andere, zerfiel diese Stadt in eine Ober- und eine Unterstadt. Dies nur der Lage nach. Ob auch in anderer Beziehung ein Unterschied zwischen beiden herrschte, war in der kurzen Zeit, die wir betrachtend auf sie hinblickten, nicht zu sehen. Die untere Stadt war dichter besetzt als die obere. Die letztere enthielt nur Zelte; in der ersteren gab es auch kleinere Blockhtten und weitl„ufige Holzbauten, deren Zweck wir nicht sogleich erkannten. Einige von ihnen schienen Lagerh„user zu sein. Andere hatten das Aussehen von Hotels oder Restaurationen. Vielleicht waren es auch Versammlungsh„user. Vor den Zelten steckten die Lanzen ihrer Besitzer. Zwischen ihnen weideten die Pferde. Zahlreiche Feuer brannten, an denen gebacken und gebraten wurde, denn es war kurz ber Mittagszeit. Es herrschte berhaupt ein reges Leben. Man sah keinen einzigen Weiáen, nur lauter Rote. Die meisten von ihnen trugen indianische Kleidung. Ein groáer Platz war zu Kampf- und Reiterspielen abgesteckt, ein anderer fr Beratungen und andere ”ffentliche Angelegenheiten. Auf dem letzteren sah ich ungef„hr zwanzig nebeneinanderliegende Sitzpl„tze, welche h”her waren als der ebene Boden. Wahrscheinlich fr das Komitee und andere hervorragende Personen. Es waren grad jetzt eine Menge Menschen dort, deren ganze Aufmerksamkeit auf uns gerichtet zu sein schien, denn sie deuteten, sobald wir erschienen, zu uns herber und sprachen auch sehr laut dabei. //391// Grad vor uns ging eine uralte, steinerne Brcke ber den Fluá, eine von der Art, daá man hben hoch hinauf und drben wieder tief hinunter muá. Solche Brcken eignen sich sehr gut zur Verteidigung des betreffenden Fluáberganges. Diese Stelle war also schon in uralter Zeit als eine geographisch und strategisch sehr wichtige betrachtet worden. Drben auf der anderen Seite hielt eine Schar von Indianern zu Fuá. Sie sahen uns an, als ob sie auf uns warteten. Wir aber nahmen uns Zeit. Wir genossen den Anblick des grandiosen, unvergleichlichen Gebirgspanoramas und der hochinteressanten Staffage, welche sich innerhalb der gegebenen Riesenlinien klein und belanglos bewegte. Waren die Menschen frherer Jahrtausende vielleicht gr”áer gewesen als die heutigen? Hierher geh”rten doch eigentlich wohl Enakss”hne, die auf elefantengroáen Pferden reiten, und Frsten, deren Trone [Throne] bis in die Wolken reichen! Die Sonne stand hoch, scheinbar senkrecht ber uns. Sie warf nur geringen Schatten um unsere Fáe. Sie leuchtete in jeden Winkel, in jede Spalte und Ritze, in alles Verborgene. Kein W”lkchen stand am Himmel; kein Lftchen ging vorber. Die Erde war hier so bedeutend, so hoch, so stark, so kerngesund. Ein Duft von Kraft und Willensfreude erquickte Auge und Herz. Hier oben war der rechte Platz fr neue, gute und glckliche Menschheitsgedanken! Nun ritten wir weiter, die Brcke hinauf und hinunter. Drben wurden wir sofort von den Roten umringt. Ja, sie hatten auf uns gewartet. Sie waren beauftragt, uns gefangen zu nehmen. Ein jeder von ihnen trug ein farbiges Band um den Arm; sie bildeten, wie wir dann erfuhren, die Ordnungspolizei des Komitees. Als sie uns zwischen sich genommen hatten, fragte der, welcher ihr Anfhrer war, in englischer Sprache: //392// "Ihr seid die Bleichgesichter, welche unsern Mister Antonius Paper in das Wasser geworfen haben?" "Ja, die sind wir", antwortete Pappermann in fr”hlichem Ton. "So werdet ihr bestraft!" "Von wem?" "Vom Komitee!" " Pshaw! Wo ist denn dieses famose Komitee?" "Da drben!" Er deutete nach dem Beratungsplatz. "So geht hinber und sagt, wir kommen gleich! Solche Leute muá man sich einmal genau betrachten!" "Wir tun, was uns beliebt! Wir gehen nicht voran, sondern wir gehen mit euch! Wir arretieren euch! Wir bringen euch hinber!" "Ihr uns?" lachte er. "Versucht es einmal!" Er lieá sein vortreffliches Maultier einen Kreis um sich selbst schlagen, und wir folgten seinem Beispiel. Die Roten flogen auseinander; mehrere wurden zur Erde gerissen. Wir aber jagten davon, direkt nach dem Platz hinber. Sie sprangen schreiend hinter uns her. Dort angekommen, sprengten wir mitten in den Menschenhaufen hinein, jagten ihn auseinander und sprangen dann aus dem Sattel. "Dieser Platz ist gut", sagte ich, "hier bleiben wir. Herunter mit dem Gep„ck!" "Oho!" rief da eine Stimme hinter mir, "der tut ja, als ob er gar nicht Gefangener sei, sondern hier zu befehlen h„tte!" Ich drehte mich nach ihm um. Es war Herr Okih-tschin-tscha, genannt Antonius Paper. Neben ihm stand William Evening, der Agent fr alles. "Gefangener?" fragte ich, indem ich, die H„nde nach ihnen ausstreckend, auf sie zuging. //393// Da verschwanden sie schnell hinter den anderen. Ihre Stelle wurde sofort von Simon Bell und Edward Summer, den beiden Professoren, eingenommen. Der erstere machte eine gebieterische Handbewegung und sprach: "Zurck mit Euch! Ich bitte, das Verh„ltnis zwischen uns und Euch nicht zu verkennen! Ihr seid arretiert!" "Von wem?" "Von uns! Ihr habt schon am Nuget-tsil [Nugget-tsil] geh”rt, daá Eure Gegenwart uns st”rend ist. Sie ist es auch noch heute!" "Ah, wirklich?" "Ja, wirklich!" "Hm! Das ist doch nicht zu glauben!" "Glaubt, was Ihr wollt, doch was ich sage, gilt: Ihr seid arretiert!" "Das heiát doch wohl, wir werden von euch festgenommen und festgehalten?" "Allerdings; das heiát es!" "Also, wenn jemand Euch st”rend ist, so arretiert Ihr ihn, so haltet Ihr ihn fest! Sonderbar! Diese Art der Logik konnte ich von einem Professor der Philosophie wohl kaum erwarten!" Da fuhr er mich an: "Schweigt! Wir arretieren Euch nicht, weil uns Eure Gegenwart unangenehm ist, sondern weil Ihr es gewagt habt, Euch an einer Person unseres Komitees zu vergreifen! Das muá bestraft werden!" "Hiebe bekommt er, Hiebe!" rief Antonius Paper. Da ballte Pappermann die Faust und dr„ngte auf ihn zu. Dadurch bildete sich eine Lcke zwischen den uns umringenden Anwesenden, welche uns erlaubte, zwei Personen zu sehen, die sich dem Versammlungsort gen„hert hatten und auf die sich da abspielende Szene aufmerksam //394// geworden waren. Sie trugen jetzt nicht europ„ische Kleidungsstcke, sondern indianische Anzge. Trotzdem oder vielmehr grad darum erkannte ich sie sofort, n„mlich Athabaska und Algongka, die beiden H„uptlinge aus dem Hotel am Niagarafall. "Was tut man hier?" fragte der erstere, indem er sich an Professor Bell wendete. "Wir arretieren zwei gef„hrliche Tramps mit ihrer Squaw, die sich an Okih-tschin-tscha vergriffen und ihn in das Wasser geworfen haben. Es wird ein Pr„riegericht abzuhalten sein, um sie zu bestrafen. Wir bitten, an dieser Sitzung teilzunehmen." Er hatte im Tone groáer Hochachtung gesprochen. "Zeigt sie uns!" gebot Algongka. Man machte ihnen Platz, so daá sie uns sahen. Ja, das waren noch H„uptlinge von altem Schrot und Korn! Ihre Gesichter zeigten nicht die geringste Spur von šberraschung. Ganz so, als ob wir erst gestern Abend auseinandergegangen seien, so káten sie dem Herzle die Hand, drckten mir die meinige und wendeten sich dann an die Professoren. "Von Tramps ist hier keine Rede", versicherte Athabaska. "Das sind Mistres und Mister Burton, die wir sehr achten und lieben. Wer sie beleidigt, beleidigt auch mich! Howgh!" "So richtig", stimmte Algongka bei. "Wer sie beleidigt, beleidigt auch mich! Howgh!" "Aber dieser Burton hat mich in das Wasser geworfen!" begehrte Antonius auf. Athabaska mochte ihn schon kennen. Er fragte ihn in halb ironischem und halb geringsch„tzendem Tone: "Solltet Ihr etwa ertrinken?" "Ja, gewiá!" antwortete er. //395// "Seid Ihr denn ertrunken?" "Nein!" "Mr. Burton tut gewiá nichts ohne Grund. Geht also hin und springt wieder hinein, und wenn Ihr dann ertrinkt, so seid Ihr quitt mit ihm!" Her Okih-tschin-tscha war also abgetan. Professor Summer aber fhlte sich in seiner Wrde als stellvertretender Vorsitzender gekr„nkt. Er als jetziger Theoretiker konnte sich dem Eindruck der kraftvollen Pers”nlichkeiten dieser beiden durch die schwere, praktische Lebensschule gegangenen H„uptlinge nicht entziehen. Sie imponierten ihm, und das war ihm wohl „rgerlich. Darum versuchte er, ihnen gegenber seine Autorit„t geltend zu machen, indem er sich mit den Worten an sie wendete: "Ich mache euch darauf aufmerksam, Meschschurs, daá es nach unseren Satzungen jedem Weiáen verboten ist, sich am Mount Winnetou sehen zu lassen. Und diese Personen hier sind ja Weiáe!" Er sagte das in ziemlich scharfem Ton. Es klang ganz so, als ob hier schon gewisse Reibungen stattgefunden h„tten, von denen wir noch nichts wuáten. Athabaska richtete sich in seiner ganzen L„nge auf. Um seine Lippen spielte ein stolz ironisches L„cheln, als er mit der Frage antwortete: "Darf ich fragen, von wem die Satzungen stammen?" "Von uns, dem Komitee! Wir haben sie aufgestellt, und zwar aus guten, wohlerwogenen Grnden!" "Und von wem stammt dieses Komitee? Wer hat es eingesetzt? Wer hat ihm die Macht erteilt, Gesetze zu geben und gewaltsam auszufhren? K”nnt ihr euch auf die Autorit„t Gottes oder der Vereinigten Staaten berufen? Ihr seid ein Komitee von Old Surehands und Apanatschkas Gnaden, weiter nichts? Ihr habt euch //396// selbst gew„hlt. Nun aber kommen wir, um diese Wahl und eure Satzungen zu prfen!" Er sprach ernst und stolz, fast wie ein K”nig. Die beiden Professoren stachen von dieser seiner Gr”áe ganz entschieden ab. Er warf einen Blick rundum und fuhr dann fort: "Dies ist der Beratungsort, an dem sich das Schicksal der roten Nation entscheiden soll. Wer sind die M„nner, die diese Entscheidung treffen? Ich sehe hier zwanzig Sitze. Fnf von ihnen sind sehr hoch, die anderen etwas niedriger. Fr wen sind diese fnf?" "Fr uns, das Komitee." "Und die anderen?" "Fr die H„uptlinge, welche zu den Beratungen eingeladen werden." "Wie heiáen sie?" Er nannte die Namen, Athabaska und Algongka waren auch mit dabei, auch alle, die mir geschrieben hatten. Athabaska fuhr fort: "Ich vermisse einen H„uptling, und zwar gerade denjenigen, dessen Namen ich am allerliebsten h”rte, n„mlich Old Shatterhand." "Er ist ein Weiáer!" "Wohl gar nicht mit eingeladen?" "Doch! Wir haben ihn angewiesen, sich die Nummermarke fr seinen Platz beim Schriftfhrer zu holen." "Und ihr meint, daá er dies tu? Was fr Menschen ihr seid? Und das nennt sich ein Komitee! Ich sage euch, falls Old Shatterhand wirklich kommt, wird er sich den Platz nehmen, der ihm beliebt, nicht aber den, den ihr ihm bietet! Und wir beide, Athabaska und Algongka, verzichten berhaupt auf diese, von euch bestimmten Sitze. Wie kommt das Komitee dazu, sich h”her //397// zu setzen als die alten, berhmten H„uptlinge der eingeladenen Nationen? Wer hat Sie befugt, ber unsern Sitzen sich Throne zu errichten? Macht Platz! Wir gehen. Wir geh”ren nicht hierher!" Er nahm mich und meine Frau bei der Hand und schritt vorw„rts. Die Roten wichen vor uns zurck. Gleich aber blieb er wieder stehen, wendete sich an die Professoren zurck und sagte: "Es ist der gr”áte aller Fehler, grad Bleichgesichter, die unsere Rasse lieben, von den Beratungen am Mount Winnetou auszuschlieáen. Kein Mensch steigt ohne die Hilfe anderer Menschen empor. So auch die V”lker, die Nationen, die Rassen. Streicht euren steinernen Winnetou und euch so rot an, wie ihr wollt, Ihr werdet durch alle diese R„te es doch nicht verhten, daá ihr dann gezwungen seid, ber euer t”richtes Werk noch tiefer als tief zu err”ten!" Dann wendete er sich zu mir: "Ich kenne Eure Gesinnungen und Gefhle fr das arme Volk der Indianer. Und dennoch bin ich berrascht, Euch hier zu sehen. Wiát Ihr, um was es sich hier handelt?" "Ich vermute, daá man Winnetou ein gigantisches, steinernes oder ehernes Denkmal setzen will." "So ist es. Diese Idee geht von Old Surehand und Apanatschka aus, die ihre S”hne gern berhmt wissen wollen. Denn diese sind es, welche das Denkmal zu fertigen haben. Es wurde ein Komitee eingesetzt, diese Sache zu leiten. Es ergingen Einladungen an alle St„mme der roten Nation. Diese Angelegenheit wurde mit derselben Smartneá behandelt, wie man eine Eisenbahn- oder Oelgesellschaft grndet. Man begann sehr zeitig und sehr still. Man legte vor allen Dingen Beschlag //398// auf die herrliche Gotteswelt, in der Ihr Euch hier befindet. Der Berg wurde Mount Winnetou genannt. Man will hier eine Stadt grnden, die Winnetou-City heiáen soll und nur von Indianern bewohnt werden darf. Man pumpt in der N„he schon ™l. Man hat den einen Wasserfall schon in Ketten geschlagen, um Elektrizit„t zu gewinnen. Dadurch ist mit der Zerst”rung des herrlichen Landschaftsbildes und der Entweihung und Beschmutzung aller Ideale unseres groáen Tatellah-Satah begonnen. Man f„llt den Wald. Man zerst”rt ihn durch Steinbrche, die man in den Felsen schl„gt, um Material fr den Kollossalbau des Denkmales und der H„user zu gewinnen. Man will sogar das Wunder dieser Gegend, den herrlichen "Schleierfall", vernichten, um Platz fr Profangeb„ude zu gewinnen. Das wiát Ihr wahrscheinlich noch nicht. Ihr werdet es aber sehr bald erfahren, dies und noch viel mehr dazu." Er machte eine Pause, welche Algongka benutzte, einzufallen: "Man gibt vor, durch dieses Denkrnalsprojekt alle roten St„mme vereinen zu k”nnen. Es ist aber gerade das Gegenteil, welches man erreicht. Man entzweit uns mehr und mehr, innerlich und „uáerlich. Ihr seht das schon an dem Platz, der vor Euch liegt: hier die Unterstadt und dort die Oberstadt. Hier unten haben sich die Anh„nger des Denkmalplanes festgesetzt; droben wohnen die Gegner desselben, zu denen auch wir geh”ren. Und hoch oben ber uns allen grollt Tatellah-Satah und l„át sich vor niemand sehen. Seit man hier baut, ist er kein einziges Mal herabgekommen und hat auch keinem einzigen Menschen erlaubt, zu ihm hinaufzukommen. Er verkehrt nur mit den "Winnetous", durch welche er mit der Menschenwelt in Verbindung steht. Auch wir sahen //399// ihn noch nicht. Wir lieáen ihm unsere Ankunft melden; er aber forderte Geduld, bis Einer gekommen sei, den er mit Schmerzen erwarte. Dann sei es Zeit fr ihn, sein Haus zu verlassen und sich denen zu zeigen, die gleichen Gefhles und gleichen Willens mit ihm sind." "Wer mag der Eine sein?" fragte das Herzle. "Das wissen wir ebensowenig wie der ,Winnetou', der uns diese Botschaft brachte. Aber wir warten, und wir wnschen, daá der Betreffende bald kommen werde. Euer Ziel, Mr. Burton, ist uns unbekannt. Seit Ihr nur aus Zufall hier?" "Nein," antwortete ich. "So war es Eure Absicht, nach dem Mount Winnetou zu kommen?" "Ja." "Und hier zu bleiben?" "Und hier zu bleiben, bis die Verwicklungen behoben sind." "Wo werdet ihr wohnen? In der Unter- oder in der Oberstadt?" "Droben bei Euch." "So bitten wir Euch, Euer Zelt in unserer unmittelbaren N„he aufzuschlagen. Vielleicht erfahren wir dann auch, wenn es euch beliebt, wer euch, den Weiáen, veranlaát hat, Eurer Reise grad und genau nur dieses Ziel zu geben. "O, was das betrifft, so k”nnt Ihr das schon jetzt erfahren. Ich wurde eingeladen, herzukommen. Und auáerdem w„re ich auch ohnedies nach dem Mount Winnetou geritten, weil Ihr so viel und so interessant nicht nur von diesem Berge spracht, sondern auch von den Pl„nen, welche hier zur Ausfhrung kommen sollen." "Wir? Wir beide?" fragte er. //400// "Ja, ihr beide." "Wann und wo?" "Im Clifton-Hotel, am Niagarafall." "Dort? Ja, da haben wir Euch zwar kennen und sehr, sehr sch„tzen gelernt, aber doch nicht von dem Mount Winnetou gesprochen!" "Ja, nicht mit mir, aber doch miteinander! Ich h”rte zu, denn ich saá am n„chsten Tisch." "Uff, uff!" rief er aus. "Uff, uff!" rief auch Athabaska. "Wir unterhielten uns in der Sprache der Apatschen. Wir waren berzeugt, daá dort niemand sie versteht. Ihr aber verstandet uns doch?" Ich wollte antworten; da aber ert”nten von der Oberstadt her laute Rufe. Es ging durch die Zeltgassen eine Bewegung, die uns n„her kam. Man eilte nach allen Seiten, um eine Botschaft zu verbreiten. Nicht mehr lange, so verstanden wir, was man sich sagte. "Tatellah-Satah kommt! Tatellah-Satah kommt!" rief man einander zu. "Ist es m”glich?" fragte Algongka. "Ist es wahr?" erkundigte sich Athabaska. "Dann máte ja der hier eingetroffen sein, auf den er wartet! Wer ist das? Wer hat ihn gesehen?" Und da erschienen zwei Reiter oder vielmehr zwei Reiterinnen, die aus der Oberstadt im Galopp herabgeritten kamen. Sie berflogen mit ihren Blicken die Unterstadt, sahen den Menschenhaufen, den wir bildeten, und lenkten ihre Pferde auf uns zu. Es waren die beiden Aschtas, Mutter und Tochter. Bei uns angekommen, sprangen sie von ihren Pferden, eilten, ohne eine andere Person anzusehen, auf uns zu und begráten uns mit rhrender, mir beinahe unver- //401// st„ndlicher [unverst„ndlicher] Freude. Aber das Verst„ndnis kam mir sofort, als die Mutter ihrem Gruá die Worte hinzufgte: "Nun sind wir erl”st; nun sind wir erl”st! Und zwar durch Euch, Mr. Burton!" "Erl”st? Durch mich?" fragte ich. "ja, durch Euch! Denn nun ist das Warten zu Ende, und Tatellah-Satah wird mit Taten beginnen, mit Taten! Der ,junge Adler' kam hier an und ritt sofort zu ihm hinauf, um Euch zu melden. Vom Wachtturm aus wurde ausgeschaut und, als ihr kamt, das Zeichen herabgegeben. Nun verl„át der gr”áte Medizinmann aller roten V”lker zum erstenmal seit langer Zeit sein hohes Felsenschloá, um Euch entgegen zu kommen. Wir sind so froh, so froh!" Sie drckte mir wieder und wieder die Hand und káte dann das Herzle. Dann bekam auch unser alter, braver Pappermann den ihm gebhrenden Teil des herzlichen Willkomms. So sehr Athabaska und Algongka ihre Gesichtszge in der Gewalt hatten, jetzt konnten sie doch ihr Erstaunen nicht verbergen; aber sie fanden keine Zeit, es in Worten auszudrcken, denn es nahte sich von der Oberstadt her ein Reiterzug, der unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Voran ritt der "junge Adler". Dann folgte in zwei Abteilungen die Leibgarde des Medizinmannes, auf kohlschwarzen Rossen, deren Schabracken aus den Fellen von Silberl”wen bestanden. Die Reiter waren auserlesene junge Leute, alle genauso gekleidet wie einst Winnetou sich zu kleiden pflegte, nicht mit Lanzen und Flinten bewaffnet, sondern nur mit Messer und Revolver im Grtel und den Lasso in Schlingen von der Schulter zur Hfte herab. Ein jeder trug das Zeichen des Winnetou auf der Brust. Als sie in unsere N„he gelangten, lenkte der //402// "junge Adler" zu uns herber, deutete auf unsere Gruppe und hielt dann an. Auch alle anderen hielten. Ihre Reihen l”sten sich, und aus ihrer Mitte ritt der Gebieter hervor, langsam auf uns zu, fast bis zu uns heran, parierte da sein Tier und berflog uns mit prfendem Blick. Er wurde von einem herrlichen, schneeweiáen Maultier getragen, dessen M„hne in langgeflochtenen Z”pfen fast bis zur Erde niederhing. Die Schabracke bestand aus jenem unvergleichlichen altindianisehen Federgeflecht, von dem jeder Quadratdezimeter ein ganzes Verm”gen kostet. Die Bgel waren von purem Gold, inkaperuanisch ziseliert. Ein Mantel hllte ihn ein, so daá man den Anzug, den er darunter trug, nicht sah. Dieser Mantel war von blauer Farbe, aber von einem Blau, wie ich noch niemals eines gesehen habe und wahrscheinlich auch keines wieder sehen werde. Der Stoff war auáerordentlich fein, wie allerfeinste, indische Seide, aber dennoch keine Seide, sondern von jenem l„ngst verschwundenen sagenhaften Gewebe, von dem man erz„hlt, daá nur die Frauen der alten, sdamerikanischen Herrscher es herzustellen verstanden. Sein Kopf war unbedeckt, und dennoch aber wohlbedeckt, und zwar von einem auáerordentlich reichen, starken, silbergl„nzenden Haar, welches zu beiden Seiten in langen Z”pfen bis auf die Steigbgel niederfiel. "Marah Durimeh!" flsterte das Herzle mir zu. Sie hatte recht. Genauso trug auch meine alte, herrliche, meinen Lesern wohlbekannte Marah Durimeh ihr Haar. Auch seine Gesichtszge waren den ihren derart „hnlich, daá es mich beinahe erstaunte. Vor allem die Augen, diese groáen, weit offenen, unerforschlichen, selbst aber alles erforschenden Augen, in denen der Ausdruck einer unerbittlichen Strenge und doch auch wieder //403// einer heiligen Gte lag, die alles verstehen und alles verzeihen konnte. Und als er zu sprechen begann, erschrak ich fast. Es berlief mich kalt. Seine Stimme war unbedingt die Marah Durimehs, so voll, so tief, so wirkungsstark, ein klein wenig m„nnlicher gef„rbt, aber doch genau dieselbe! "Wer von euch ist Old Shatterhand?" fragte er, indem sein Blick uns prfte. Bei seinem Erscheinen war jedermann verstummt, so tief wirkte seine geheimnisvolle, unwiderstehliche Pers”nlichkeit. Als er aber diesen Namen nannte, flsterte es rund um mich her: "Old Shatterhand? Old Shatterhand? Ist doch nicht hier! Kann unm”glich hier sein! Oder doch, oder doch?" "Ich bin es", antwortete ich, indem ich hervortrat und langsam auf ihn zuschnitt. Eine Sekunde lang war es, als ob sein Blick mich umfassen und verbrennen wolle, dann schwang er sich mit jugendlicher Leichtigkeit aus dem Sattel, um mir einige Schritte entgegenzukommen und dann meine H„nde zu fassen. So standen wir nun voreinander, ernst, unendlich ernst, und doch mit inniger Freude. Auge in Auge. Fest ineinandergetaucht. Uns beide der Wichtigkeit des gegenw„rtigen Augenblickes voll und ganz bewuát. Da begann er wieder zu sprechen: "Man sagte mir, du seist ein Greis geworden. Du bist keiner! Das Menschenleid kann zur Matrone werden, doch nie die Menschenliebe, die uns vereint, obgleich ich dich seit kurzem erst verstehe. Ich heiáe dich willkommen!" Er káte mich, drckte mich an sich und káte mich wieder und wieder. Dann ergriff er meine Hand und wendete sich an die Schar der Anwesenden: //404// "Ich kenne euch nicht. Ich bin Tatellah-Satah, und hier an meiner Seite steht Old Shatterhand. Aber irrt euch nicht in uns! Wir sind nicht nur das, sondern wir sind mehr. Ich bin die Sehnsucht der roten V”lker, welche, nach Osten schauend, auf Erl”sung warten. Und er ist der anbrechende Tag, der ber L„nder und Meere wandert, um uns die Zukunft zu bringen. So soll ein jeder Mensch zugleich auch die Menschheit bedeuten, und was ihr hier an meinem Berg tut, mag es recht oder unrecht sein, das tut ihr nicht fr euch und nicht fr den heutigen Tag, sondern fr Jahrhunderte und Jahrtausende und fr die V”lker aller Erdenl„nder!" Und das Wort nun wieder an mich richtend, fuhr er fort: "Steig auf dein Pferd und folge mir! Du bist mein Gast! Der liebste, den ich kenne! Was mein ist, sei auch dein!" "Ich bin nicht allein," antwortete ich. "Ich weiá es. Es wurde mir vom Nugget-tsil gemeldet. Bring mir die Squaw, von der meine Sp„her sagen, sie sei wie Sonnenschein! Bring mir ihr Pferd! Und bring mir auch den alten, treuen J„ger!" Ich holte das Herzle. Es war ihr, als msse sie vor ihm niederknien und ihm die H„nde kssen. Er aber zog sie an sich und sprach: "Noch nie berhrten meine Lippen ein Weib. Du sollst die erste sein, die erste und die letzte, die einzige!" Er káte sie auf die Stirn und auf die Wangen. Dann bat er: "Steig auf! Ich hebe dich!" Pappermann hatte ihr Pferd gebracht. Der "Bewahrer der groáen Medizin" faltete seine H„nde zum Bgel. Das Herzle trat hinein und wurde von ihm in //405// den Sattel geschwungen. Hierauf bekam auch Pappermann einen gtigen H„ndedruck und den Befehl, sich mit dem Gep„ck uns anzuschlieáen. Bevor Tatellah-Satah selbst wieder aufstieg, hielt ich es fr geraten, ihm zun„chst unsere Freundinnen, die beiden Aschtas, und dann auch Athabaska und Algongka vorzustellen. Er gewann sich ihre Herzen sofort durch die Art und Weise, in der er das entgegennahm. Dann schwang er sich wieder auf sein Maultier und geleitete uns zu seinen Trabanten, welche mit uns in derselben Ordnung davonritten, in der sie gekommen waren: Voran der "junge Adler", dann die H„lfte der Winnetous, hierauf Tatellah-Satah mit dem Herzle und mir, hinter uns Pappermann mit den Gep„ckmaultieren und dann die andere H„lfte der Leibgarde. So ging es aus der Unterstadt hinauf in die Oberstadt und dann dem Innental zu, welches ich als Portal des Mount Winnetou bezeichnet habe. berall, wo wir vorberkamen, standen rechts und links die Indianer, um ihrem gr”áten und berhmtesten Forscher und Gelehrten in ihrer stillen und doch so laut sprechenden Art und Weise ihre Hochachtung und Huldigung darzubringen. Es war als ob ein K”nig oder ein Heiliger an ihnen vorberziehe, nach ihrer Anschauung vielleicht beides zugleich. Das Herzle war sehr bleich, war tief ergriffen, und mir ging es nicht anders. Als wir die von Zelten besetzte Vorebene des Mount Winnetou hinter uns hatten, ”ffnete sich die kompakte Masse des Vorderberges zu einem hohen, breiten Felsentor, durch welches wir das in das Innere des Berges fhrende Tal betraten. Die W„nde dieses Tales stiegen hoch an; sie waren bewaldet. "Bevor wir hinauf zum ,Schlosse' reiten, fhre ich euch zu meinem Wunder", sagte Tatellah-Satah. "Ich //406// meine den Schleierfall, den es nur hier, sonst nirgends gibt. Ihr werdet vorher noch anderes sehen, n„mlich das berhmte ,Ohr des Teufels', dessen Zweck man nicht mehr kennt, und das Modell zur Winnetoustatue, an welchem Young Surehand und Young Apanatschka arbeiten." Ich antwortete nicht; ich blieb still. Ich tat, als ob mich dieses "Ohr des Teufels" gar nicht interessiere. Bekanntlich hatten wir den alten Kiktahan Schonka und seinen Verbndeten Ttisahga Saritsch in der Bergellipse kennengelernt, welche den Namen Tscha Manitou, "Ohr Gottes", fhrt. Wir erfuhren dort, daá es eine zweite, derartige Ellipse gibt, die man Tscha Kehtikeh, das "Ohr des Teufels", nennt. War damit der Ort gemeint, von dem der Medizinmann jetzt sprach? Das Herzle schaut mich an. Sie war der Meinung, daá es meine Pflicht sei, mich ber diesen Gegenstand zu „uáern. Ich aber schttelte leise den Kopf. Als der "Junge Adler" an der Devils pulpit von dem 'Ohr Gottes" und dem "Ohr des Teufels" sprach, hatte er gesagt, daá er das Geheimnis dieser beiden Orte von Tatellah-Satah zu erfahren hoffe; ich aber war der Meinung gewesen, daá der Medizinmann selbst noch nicht alles wisse. Darum hielt ich es fr richtiger, nicht eher hierber zu sprechen, als bis ich erfahren hatte, wie weit seine Kenntnis dieses Gegenstandes reiche. Der Boden, auf dem wir ritten, glich keineswegs einem Wildnispfad, sondern einer alten, j„mmerlich ab- und ausgefahrenen deutschen Dorf straáe, auf welcher schwere Lastwagen verkehren. Es gab tief eingeschnittene Wagengeleise und Pferdespuren, die darauf schlieáen lieáen, daá die hier transportierten Lasten nicht ohne Tierqu„lerei bewegt worden waren. Das Herzle konnte nicht umhin, //407// eine bedauernde Bemerkung hierber zu machen. Ich antwortete. Tatellah-Satah war still. Aber seine Brauen zogen sich zusammen, und sein Gesicht legte sich in strenge Zge. Dieser Fahrweg fhrte bergan, doch so langsam, daá man es kaum bemerkte. Bald zweigte links ein breiter Reitweg ab, der schneller zur H”he stieg. "Unser Weg hinauf zum Schlosse erkl„rt der Alte. "Wir aber bleiben jetzt noch unten; wir reiten weiter." Nach vielleicht einer Viertelstunde mndete das Tal ganz pl”tzlich auf einen freien Platz, der schmal begann, aber nach und nach immer breiter und breiter wurde. Mit dieser Breite wuchs die Steilheit der Felsen. Diese letzteren zeigten zu beiden Seiten unseres Weges je einen nicht genau kreisf”rmigen Einschnitt. Beide Einschnitte lagen einander gegenber. Sie bildeten riesige Felsennischen, zur rechten und linken Seite des Platzes gelegen. Es fiel mir auf, daá die eine so tief und breit und auch genauso abgerundet wie die andere war. Ich gewann den Eindruck, daá zwar die Natur die Bildnerin gewesen war, daá aber die Menschenhand nachgeholfen hatte, und zwar vor mehreren Tausenden von Jahren. Daá diese Menschenarbeit nicht nur einen besonderen Zweck, sondern auch einen tieferen Sinn gehabt hatte, verstand sich ganz von selbst. Ich hatte sogleich meine eigenen Gedanken hierber, zumal mir ein Umstand in die Augen fiel, der mich sofort an die Devils pulpit erinnerte, wo wir die Beratung der Utahs und der Sioux belauscht hatten. N„mlich im vorderen Teil der beiden Nischen bestand der Boden aus sehr fest zusammengefgten Steinplatten, die keine Vegetation aufkommen lieáen. Und ber diese Platten erhob sich in beiden Nischen ein kanzelartiger Felsen, der einer kleinen, frheren Insel glich und Stufen //408// hatte. Das gemahnte direkt an jene Beratungskanzel, auf deren Stufen ich die kleinen Hundepf”tchen gefunden hatte, welche einen Teil der Medizin des alten Kiktahan Schonka bildeten. Der hintere Teil beider Nischen aber war derart mit Gestrpp, Gestr„uch und B„umen besetzt, daá man sich hinter diesen Bschen leicht eine zweite Kanzel denken konnte, „hnlich derjenigen, auf welcher der B„r sein Lager aufgeschlagen hatte und von uns erlegt worden war. Wenn man nicht tiefer dachte, konnte man also sehr wohl auf den Gedanken kommen, daá jede dieser Nischen eine Wiederholung des ellipsenf”rmigen Talkessels bedeute, der uns als die Devils pulpit bekannt geworden war. Ich sage mit Absicht, "wenn man nicht tiefer dachte", denn ich hatte groáe Lust, diesen Vergleich nicht fr einen tief sinnigen, sondern fr einen oberfl„chlichen zu halten, fand aber keine Zeit, weiter nachzudenken, weil Tatellah-Satah jetzt das Schweigen unterbrach, indem er, nach rechts und links deutend, sagte: "Das sind die ,Ohren des Teufels', auf dieser Seite eines und auf der anderen Seite eines. Hast du schon einmal von ihnen geh”rt?" "Nicht von zweien, sondern nur von einem", antwortete ich. "In Wirklichkeit ist auch nur ein einziges da; denn das eine ist richtig, und das andere ist falsch. Aber welches das richtige und welches das falsche ist, das weiá man bis heute noch nicht." "Aber frher hat man es gewuát?" "Ja. Dieses Wissen ist aber wieder verlorengegangen. Ich gab mir alle Mhe, es zurckzufinden, doch leider ohne Erfolg. Es gibt zwei ,Teufelskanzeln', die eine hier, die andere droben in Colorado. Die dortige ist das ,Ohr Gottes'; die hiesige ist das ,Ohr des Teufels'. //409// Ich werde dir erz„hlen, was diese Namen bedeuten, doch nicht jetzt, sondern sp„ter." Wir ritten weiter. Der Platz, auf dem wir uns befanden, war bis jetzt noch von ber tausendj„hrigen, breitwipfeligen Laubb„umen besetzt gewesen, die uns die Aussicht benahmen, doch als wir an ihnen vorber waren, wurde der Blick in die Ferne frei, und wir hielten unsere Pferde an, denn das, was wir sahen, fesselte uns sofort und derartig, daá es uns innerlich und „uáerlich ganz in Anspruch nahm. "Das ist das Wunder; von dem ich sprach, der Schleierfall", sagte der Medizinmann, indem er vorw„rts deutete. Wir konnten den hohen, hinteren Teil des breiten Platzes bersehen. Da oben, aber fr uns unsichtbar, weil wir uns in der Tiefe befanden, lag der bereits erw„hnte "Geheimnis- oder Medizinensee". Von ihm aus warf sich die H”he so steil zu uns herab, daá ihre Bewegung eine genau senkrechte war, und zwar in ihrer ganzen Breite. Ich habe schon erw„hnt, daá dieser See zwei Wasserf„lle speiste, welche zu beiden Seiten des Mount Winnetou niederfielen, um den "Weiáen Fluá" zu bilden. Aber in diesen Katarakten entfernte er nicht das ganze Wasser, welches ihm berflssig war, sondern es gab noch einen dritten Weg, sich von ihm zu befreien, n„mlich eben durch den Schleierfall. W„hrend der See nach auáen die beiden schmalen F„lle speiste, lief er nach innen in breitester Weise ber, von einer bis zur anderen Seite des Platzes, auf dem wir uns unten befanden. Die Linie, auf der er dies tat, war vollst„ndig gerad und vollst„ndig horizontal, so daá das Wasser gleichm„áig verteilt, glatt und eben, wie ein polierter Spiegel, in das Tal herniederstrzte. //410// Dieser Spiegel war gewiá fnfzig Meter hoch. Seine Gl„tte wurde keinem einzigen Punkt getrbt und sein Zusammenhang um keinen Zentimeter unterbrochen. Und da er die ganze Breite des Innentales einnahm, so kann man sich wohl denken, was fr einen tiefen, tiefen Eindruck er machte! Es war jetzt kurz nach Mittag. Die Sonne stand hoch. Ihre Strahlen fielen schr„g auf den Wasserspiegel und wurden von ihm derart gebrochen und zurckgegeben, daá es schien, als ob er nicht aus Wasser, sondern aus flssigem Gold, Silber und Kupfer und aus fallenden Str”men von Diamanten, Rubinen, Saphiren, Smaragden, Topasen und anderen Edelsteinen bestehe. Das erschien allerdings wie ein Wunder! Noch wunderbarer aber war, daá dieser Fall unten nicht etwa einen See oder eine andere, derartige Wasseransammlung bildete, sondern sofort und restlos in der Erde verschwand. "Wo sieht man dieses Wasser wieder?" fragte ich Tatellah-Satah. "Im ,Tal der H”hle', fnf Reitstunden weit von hier", antwortete er. Das war mir sehr interessant, denn dieses Tal der H”hle war ja der Ort, an dem Kiktahan Schonka mit seinen Verbndeten sich verstecken wollte. Tatellah-Satah fuhr fort: "Um diese Tageszeit ist der Fall wie von Gold und Edelsteinen gewebt, nicht aber ein Schleierfall. Doch schaut ihn Euch sp„ter an! Des Abends oder des Nachts, im Dunkel, im Halbdunkel, im Mondschein, im Sternenschein, im vereinigten Mond- und Sternenschein! Da ist es, als ob man sich auf einem anderen Stern, in einer anderen Welt befinde, nicht aber auf dieser Erde, der nichts mehr heilig gilt!" Er deutete dabei auf ein im Entstehen begriffenes //411// Bauwerk, welches in kurzer Entfernung vor dem Wasserfall aus der Erde und derart zum Himmel strebte, als ob ihm die Aufgabe gestellt sei, dieses Wunder zu entweihen. Es bestand jetzt aus einem ungeheuer schweren, massigen Postamente von zehn bereinander liegenden Riesenstufen, die so breit und so hoch waren, daá ihr Gewicht viele Tausende von Zentnern betrug und jedenfalls darauf berechnet war, ungeheure Lasten zu tragen. Auf diesem Piedestal erhoben sich zwei Balkengerste, mit deren Hilfe an dem unteren Teil einer Kolossalstatue gearbeitet worden war. Das eine Bein war bis zum Knie, das andere bereits bis zur H„lfte des Oberschenkels entwickelt. Man sah deutlich, daá die Figur eine indianische Reithose und Mokassins tragen sollte. "Welch eine Snde!" klagte das Herzle. "So ein formloses Menschenwerk grad vor so ein Gotteswunder zu stellen! Wer ist der Mann, der das ersonnen hat?" "Es ist nicht einer, sondern es sind vier!" antwortete Tatellah-Satah. "Old Surehand, Apanatschka und ihre S”hne!" "Was? Wie?" rief ich aus. "Soll diese Figur hier etwa Winnetou werden?" Der Medizinmann nickte nur. "Unm”glich! Hierher!? Ich denke, man will ihn auf die H”he des Berges stellen!" Seit wir uns in diesem Tal befanden, waren wir nicht mehr in der Mitte, sondern an der Spitze der Trabanten geritten. Der "junge Adler" befand sich also bei uns. Er antwortete: "Das ist richtig. Die endgltige Figur soll auf den hohen Bergesvorsprung, den ich Euch noch zeigen werde. Das Modell steht in der Unterstadt- in einem besonderen Geb„ude. Dieses hier soll der Probeversuch sein. Von //412// ihrem Gelingen h„ngt es ab, ob der Plan auszufahren ist oder nicht. Zu so einem Kolossalwerk sind auch kolossale Mittel n”tig. Um diese Mittel zusammenzubekommen, muá man die Geber fr das Werk begeistern. Darum hat man gerade diesen Platz fr die Probestatue gew„hlt. Old Firehand [Surehand] und Apanatschka bauen sie aus ihren eigenen Mitteln. Die Mittel zur Ausfhrung des eigentlichen Werkes erwartet man von der roten Nation. Um diese zu begeistern, ist der Platz hier am Schleierfall am geeignetsten. Da soll die Statue vorgefhrt werden. Da soll sie beleuchtet werden, des Nachts, mit Elektrizit„t, mit Lampions und knstlichem Feuerwerk. Man rechnet dabei auf die jedenfalls groáartige, berw„ltigende Mitwirkung des Schleierfalles." "Und das duldet Ihr?" fragte das Herzle, das auáerordentlich kunstempfindlich ist und sich durch diesen Plan wie innerlich verwundet fhlte. "Ich nicht!" antwortete Tatellah-Satah, indem er wie schw”rend die Hand erhob. "Doch stand ich allein. Ich konnte nur vorbereiten und muáte warten. Nun aber der gekommen ist, auf den ich hoffte, gebe ich ihm dieselbe Frage: Und das duldest du?" Er richtete sie an mich. Da stieg etwas ganz Eigentmliches, etwas Unbeschreibliches in mir auf. "Habe ich Einfluá auf dein Volk, auf deine Rasse?" fragte ich ihn. "Nein!" "Nein?" fragte er. "Und h„ttest du ihn nicht, so bist du doch, der du bist. Ich brauche dein Auge; ich brauche dein Ohr; ich brauche deine Hand; ich brauche dein Herz. Wenn du mir das gibst, so werde ich siegen!" Da reichte ich ihm die Hand und antwortete: "Hier Auge und Ohr, hier Hand und Herz. Ich bin dein!" //413// Da drckte er mir die Hand, daá es mich fast schmerzte, und sprach: "So heiáe ich dich zum zweiten und zum h”chsten Male willkommen! Du sollst mein Gast sein, wie noch niemand mein Gast gewesen ist - - -" Schnell unterbrach ich ihn: "Laá mich dein Gast sein, wie ich es wnsche, anders nicht!" "Und was wnschest du?" "Ein freier Mann zu sein, kommen und gehen zu drfen, ohne gehindert zu werden. Vertrauen bei dir zu finden, so wie du dir selbst vertraust!" "So sei es! Du bist dein eigener Herr, und alles, was ich habe, ist dein!" Da kam es wieder ber mich wie vorhin. Ich deutete auf das schwer lastende Bauwerk und sprach: "So sage ich dir: Eher werden diese Quadern von selbst in der Erde verschwinden, auf die man sie gegrndet hat, als daá man meinen Winnetou mit Lampions und Feuerwerk beschimpft! Doch versuchen wir es zun„chst in Liebe!" "Ja, zun„chst in Liebe", stimmte er bei. "Kommt, kehren wir um; wir sind hier fertig!" Wir ritten den Weg, den wir gekommen waren, zurck, bis wir die Stelle erreichten, an welcher der Reitpfad zur Seite ab hinauf nach dem Schloá fhrte. Dem folgten wir. Unterwegs erfuhren wir von dem "jungen Adler", daá der Platz am Schleierfall jetzt regelm„áig von Arbeitern wimmelte und heute nur deshalb so leer und einsam gewesen sei, weil alle Kr„fte nach den Steinbrchen muáten, um neue Quadern zu holen. Das Herzle war sehr ernst und nachdenklich geworden. Sie sah, daá ich sie daraufhin beobachtete und wohl gern den Grund //414// erfahren h„tte; darum sagte sie, ohne diese meine Frage abzuwarten: "Dein Wort, daá diese Quadern wohl eher in die Erde verschwinden werden, als daá du Lampions und Feuerwerk duldest, hat sich wie ein Gewicht auf mich gelegt. Es kommt bei dir so h„ufig vor, daá das, was du sagst, in Erfllung geht, selbst wenn andere es fr vollst„ndig unm”glich halten. Zuweilen ist diese Erfllung eine geradezu w”rtliche. Und als du vorhin sprachst, hatte ich das Gefhl, als ob das, was du sagtest, eine solche Prophezeiung sei, aus dir selbst herausgestiegen, ohne alle Ahnung, woher es kommt." "Und das bedrckt dich nun?" fragte ich. "Bedrcken? Nein! Es hebt mich ganz im Gegenteil innerlich empor. Es macht mich fest. Es ist mir, als ob ich ein unerbittliches Schicksal nahen h”re, welches uns zu Hilfe kommt. Das macht mich still und sinnend." W„hrend dieses kurzen Redewechsels hatten wir eine Stelle des Weges erreicht, von welcher aus man frei nach der Spitze des Vorberges zu schauen vermochte. Da hielt Tatellah-Satah sein Maultier an, deutete empor und fragte: "Seht ihr innerhalb der sdlichsten Felsennadel das riesige Adlernest, welches fr Menschen nicht erreichbar scheint?" Wir sahen es. Der Medizinmann fuhr fort: "Da hinauf stieg der ,junge Adler', als er noch Knabe war. Er wollte sich aus dem Horst des groáen Kriegsadlers seinen Namen und seine Medizin holen. Aber der Riemen zerriá, an dem er hing. Er strzte in das Nest und konnte nicht wieder hinauf. Er t”tete die zwei jungen. Da kam die Alte. Er k„mpfte mit ihr und zwang sie, ihn aus jener frchterlichen H”he //415// herunter in das Tal zu tragen. Nun sind ihre Federn, ihre Krallen und ihr Schnabel sein Schmuck, die Krallen und Schn„bel der jungen aber seine Medizin. Er wird seitdem der ,junge Adler' genannt. Ich aber bin sein Pate, denn als er mit der Adlern geflogen kam, saá ich vor meiner Tr, und er landete gerade vor meinen Fáen." Das klang wie ein M„rchen oder gar wie eine Mnchhauseniade, und doch war es wahr; das verstand sich ganz von selbst, Der "junge Adler" hatte es nicht geh”rt; er war weiter fortgeritten und wir folgten ihm, ohne daá ich den Alten bat, uns den Vorgang ausfhrlicher zu erz„hlen. Dem Herzle aber sah ich es an, daá sie entschlossen war, es sobald wie m”glich zu h”ren und sich zu diesem Zweck an den jungen Mann selbst zu wenden. Der Reitweg fhrte in zahlreichen Windungen so weit an der Innenseite des Berges empor, bis die H”he des "Schlosses" erreicht worden war. Dann wendete er sich nach der vorderen, also nach der ”stlichen Seite des Mount Winnetou, von welcher aus, als wir sie erreichten, wir die Ober- und die Unterstadt in der Tiefe vor uns liegen sahen. Von da unten war der "junge Adler" hier heraufgeritten, um Tatellah-Satah unsere Ankunft zu melden. Hoch ber uns sahen wir den Wachtturm ragen. Der "Bewahrer der groáen Medizin" deutete da hinauf und sagte zu dem "jungen Adler": "Da oben wirst du wohnen. jetzt aber kommst du mit uns, die Pfeife des Friedens und der Gastlichkeit zu rauchen." Das "Schloá" bestand nicht etwa aus nur einem oder nur einigen Geb„uden. Es bildete eine Felsenstadt fr sich. Die Jahrhunderte und Jahrtausende hatten an //416// ihr gebaut. Darum waren alle amerikanischen Bauarten und Baustile hier vertreten, von dem erstbewohnten Felsenloch und der ersten Kordillerenhtte bis zur altperuanischen Festung, zum altmexikanischen Versammlungshaus und zum steinernen Wigwam n”rdlicher Gegenden. Es gab da gewaltige Felsen- und Adobeswerke nach Art der Pueblost„mme. Die wurden, wie ich dann sp„ter sah, als Vorratsh„user benutzt, in denen seit undenklichen Zeiten groáe Mengen von Getreide und getrockneten Nahrungsmitteln aufbewahrt wurden, ohne verderben zu k”nnen. Da ragten Mauern, die aus noch gr”áeren Riesensteinen bestanden, als ich z. B. in Baalbek und anderen berhmten orientalischen Orten gesehen hatte. Wir ritten an allen m”glichen indianischen Zelten, Htten, H„usern, Pal„sten, Balkonen, Veranden, D„chern, Tennen, Scheunen und Schuppen vorber, die sich wie ein langgestrecktes, festes Mauerband um die H”he des Berges legten und als steinerne Gr”áe aus uralter Zeit hinunter in die Tiefe schauten, wo in der Ober- und Unterstadt das kleine Volk der Gegenwart sich mit allen Kr„ften dagegen wehrte, endlich einmal gr”áer werden zu sollen. Aber so aufrichtig ich die rote Rasse liebe und so gern ich nur Gutes, Edles und Groáes von ihr berichten m”chte, so muá ich doch der Wahrheit die Ehre geben und darum offen bekennen, daá alle diese Bauwerke trotz ihrer teilweisen Riesenhaftigkeit mir doch so niedrig und so geistesabwesend vorkamen, daá sie mir weder imponieren noch mich erfreuen konnten. Sie machten alle einen so - so - - indianischen Eindruck auf mich. Es war nichts an ihnen, was zum Himmel strebte. Wir sahen so wenig Fenster. Es gab kein Verlangen nach freier, gesunder Luft, nach Licht und Tageshelle. Und es gab unter allen diesen Geb„uden kein einziges, welches //417// gleich einer Kirche oder einer Moschee empor zur H”he strebte. Hiervon bildete der Wachtturm die einzige Ausnahme; aber sein Zweck wies doch auch nur nach unten, nicht nach oben. Er war zur Beherrschung der Tiefe da, nicht aber als Fingerzeig fr ein geistiges Aufw„rtsstreben. Diese Beobachtung tat mir weh. Und dem Herzle auch; das sah ich ihr an. Sie empfindet viel zarter, viel feiner als ich. Ihre Seele steht dem Leid des Erden- und des Menschenlebens viel offener als die meine. Und hier lag das ungeheure Leid einer ganzen, groáen, fast untergegangenen Rasse in untrglichen, steinernen Beweisen vor unsern Augen! Selbst der Wachtturm hatte nicht eigentlich Turmesgestalt, sondern er bildete ein niedriges, vierseitiges Prisma mit vollst„ndig ebener Dachfl„che. Die Indianer haben keine Trme, keine Minareh. Sie haben die Winke ihrer Riesenb„ume nicht verstanden; sie haben keine Dome gebaut. So sind sie auch geistig an der Erde geblieben. Sie sahen den Vogel fliegen. Der Adler stand ihnen hoch. Ihr stolzester Schmuck bestand aus seinen Federn. Aber es ihm nachzutun und sich ber den Boden zu erheben, dieser Gedanke bewegte sie nicht. Fliegen lernen! Fliegen lernen! Wer das nicht will, bleibt unten, sei er Volk oder sei er Person. Die andern berholen ihn. Er aber kriecht auf der Erde weiter und wird in ihr so ganz und gar verschwinden, daá von ihm kaum ein Ged„chtnis brigbleibt. Das ist das Schicksal des Indianers, wenn er nicht im letzten Augenblick noch fliegen lernt. Dieser Eindruck des Felsenschlosses wurde dadurch gemildert, das es wohlbev”lkert war. berall standen Leute, auf den Zinnen, auf den D„chern, an den Luken, //418// vor den Taren, auf den Gassen; M„nner, Frauen und Kinder. Die M„nner genau wie Winnetou gekleidet, mit dem Sterne auf der Brust, auch die Frauen auáerordentlich sauber und intelligenten Auges, die Kinder ebenso. Nirgends die indolenten Papusengesichter, denen man anderw„rts begegnet. Und auch nirgends auf den Gesichtern der Ausdruck der stummen Klage oder jenes nationalen Trbsinns, der auf jede Freude und auf alles Glck verzichtet zu haben scheint. Ich sah nur intelligente Zge, nur heitere Mienen. Man freute sich. Man lachte. Tatellah-Satah wurde mit tiefen Verneigungen und respektvollen Handbewegungen begrát. Man widmete ihm die gr”áte, die aufrichtigste Ehrfurcht, und - man liebte ihn. Mit gr”áter Wiábegier waren die Augen auf mich und das Herzle gerichtet. Man wuáte, wer es war, den der "Bewahrer der groáen Medizin" in eigener Person abgeholt hatte. Man nannte meinen Namen; man rief ihn mir jubelnd zu; denn man wuáte, daá nun die so lange hinausgeschobene Aktion beginnen werde. "Und das ist seine Squaw - - seine Squaw - - - seine Squaw!" h”rte ich sagen. Ich erw„hne, daá das Wort "Squaw" nicht etwa einen untersch„tzenden Beigeschmack besitzt. Es gibt Romanschriftsteller, welche die Indianerfrauen als rechtlos, als die Sklavinnen ihrer M„nner schildern. Das ist grundfalsch. In Wahrheit hat es schon Indianerfrauen gegeben, welche H„uptlinge gewesen sind. Die Stellung der Frau wird besonders auch dadurch erh”ht, daá die Erbfolge sich gew”hnlich in weiblicher Linie vollzieht. Dem Verstorbenen folgt nicht sein eigener Sohn, sondern der Sohn seiner Schwester. Es war also keineswegs etwas Ungew”hnliches, daá man dem Herzle dieselbe Aufmerksamkeit schenkte wie mir. //419// Wir ritten durch das breite, sehr tiefe Tor eines sich lang ausstreckenden Geb„udes, dessen Auáenmauer durch schmale, schieáschartenf”rmige, aber sehr hohe Oeffnungen unterbrochen wurde. jede dieser Oeffnungen fhrte auf einen steinernen Balkon, von welchem aus man die ganze Vorebene des Mount Winnetou berblicken konnte. Durch dieses Tor gelangten wir in einen sehr ger„umigen Hof, in welchem uns ein zweites, „hnliches Geb„ude gegenberstand. Auch dieses hatte ein Tor, welches in einen zweiten Hof, zu einem dritten Geb„ude fhrte. So stieg eine ganze Folge von miteinander abwechselnden H”fen und Geb„uden in einer Felsspalte empor, die unten sehr breit war und nach oben immer enger wurde. Demgem„á waren auch die Geb„ude und H”fe unten sehr breit und wurden dann um so schmaler, je h”her sie stiegen. Die Seiten der H”fe wurden von den beiden W„nden der Felsenspalte gebildet, und an allen diesen Seiten fhrten tief eingehauene Pfade rechts und links nach dem Wald empor, auf dessen Wiesen der kostbare Pferdebestand des berhmten Medizinmannes weidete. Im untersten, gr”áten Hofe stiegen wir ab. Tatellah-Satah fhrte uns in das Haus, mich, das Herzle und den "Jungen Adler". Niemand durfte uns folgen. Er leitete uns ber Stufen zur Etage empor, nach einem ziemlich groáen und ziemlich hohen Raum, in dessen Mitte eine von sechs ungeheuren Grizzlyb„ren getragene Platte stand. Auf ihr lagen wohl ber ein Dutzend Friedenspfeifen mit allem Zubeh”r. Hier wurden die gew”hnlichen G„ste empfangen; uns aber fhrte er weiter, durch eine ganze Reihe der verschiedensten R„ume, bis wir an einen ledernen, k”stlich gegerbten und bemalten Vorhang gelangten, den er mit der Aufforderung zurckschlug: //420// "Tretet ein, und setzet euch nieder; ich kehre schnell zurck." Wir taten es und sahen gleich mit dem ersten Blick, daá wir uns in einem kleinen, mit groáer Liebe behteten Heiligtum befanden. Zwei mit Glas verschlossene Luken spendeten helles Licht. Das Ganze war als Zelt eingerichtet, doch nicht als Kriegs-, sondern als Friedenszelt, dessen Bahnen abwechselnd aus h”chst seltenen weisen Biber- und weiáen Pr„riehuhnfellen bestanden. Vier schlohweiáe Bffelfelle lagen am Boden, derart arrangiert, daá sie weiche Sitze bildeten, w„hrend die K”pfe mit den starken H”rnern als Ellbogen- und Rckensttze dienten. Zwischen ihnen trugen vier Jaguark”pfe eine groáe, polierte Schale, die aus dem heiligen Pfeifenton des Nordens geschnitten war. Auf ihr lag ein Kalumet. Es war nicht groá, nicht kostspielig, sondern weit eher klein und ganz gew”hnlich. Es zog durch nichts, durch gar nichts den Blick auf sich, und doch erkannte ich es sofort als die wertvollste und unsch„tzbarste Friedenspfeife, die es hier gab und berhaupt geben konnte. "Winnetous Pfeife!" rief ich aus. "Die Pfeife, die er trug, als ich ihn kennenlernte! Welch eine šberraschung, welche Freude!" "Irrst du dich nicht vielleicht?" fragte das Herzle. "Unm”glich!" "So muá ich sie betrachten." Sie wollte hintreten und zugreifen. "Halt!" bat ich. "Rhre ja nichts an! Ich sehe, hier ist ein heiliger Ort; den haben selbst Freunde, wie wir sind, heilig zu halten!" Ich fhrte sie zu den Fenstern. Wir hatten die Ebene mit ihren Zelten und Blockh„usern unter uns liegen. Es schienen soeben wichtige Personen angekommen zu //421// sein; das ersahen wir aus der Bewegung, die es gab. Wir fanden aber keine Zeit zur Beobachtung, denn Tatellah-Satah kam jetzt. Er hatte den Mantel abgelegt, und nun sahen wir, was fr ein Gewand er darunter getragen hatte, n„mlich einen ganz gew”hnlichen indianischen Anzug von weichgegerbtem, naturfarbenem Leder, ohne eine Spur von verschonender Stickerei oder sonstigem Schmuck. Er nahm zun„chst das Herzle bei der Hand und fhrte sie dahin, wo sie sich setzen sollte. Sein Sitz war ihr gegenber. Ihm zur Rechten war mein Platz und zur Linken der des "jungen Adlers". Der alte Pappermann war unten bei den Pferden geblieben. Tatellah-Satah setzte sich zun„chst nicht. Er blieb stehen und sprach: "Mein Herz ist tief bewegt, und meine Seele k„mpft mit dem Leid vergangener Zeiten. Als zum letzten Mal hier an dieser Stelle das Kalumet geraucht wurde, war es ein Rauch des Abschiedes. Hier, wo jetzt unsere weiáe Schwester sitzt, saá Nscho-tschi, die sch”nste Tochter der Apatschen, die Hoffnung unseres Stammes; hier wo jetzt Old Shatterhand sitzt, saá Winnetou, mein Liebling, den keiner so kannte wie ich; hier, an Stelle des "jungen Adlers", saá Intschu-tschuna, der kluge und tapfere Vater dieser beiden. Sie waren gekommen, um Abschied von mir zu nehmen. Nscho-tschi wollte nach dem Osten, in die St„dte der Bleichgesichter, um ein Bleichgesicht zu werden. Im Innern meines Auges standen Tr„nen. Die Tr„gerin aller unserer Wnsche und Hoffnungen verlieá uns, weil ihre Liebe uns nicht mehr geh”rte. Es war ein trber Tag; drauáen heulte der Sturm, und in meiner Seele war es dunkel. Sie gingen. Nscho-tschi kehrte nicht zurck. Sie wurde mit ihrem Vater ermordet. Nur Winnetou kam. Ich haderte mit ihm. Ich zrnte dem, //422// um dessentwillen die Tochter unseres Stammes sich von uns gewendet hatte. Da legte Winnetou sein Kalumet in diese Schale und schwor, daá er diese Pfeife nicht eher wieder berhren werde, als bis ich erlaube, daá sein Bruder Shatterhand sich hier zu uns setze und den Gruá des Friedens mit uns rauche. Er war noch oft, noch oft bei mir. Er wohnte und bte und arbeitete monatelang am Mount Winnetou, nie aber hat er dieses Zelt wieder betreten, und nie hat es ein anderer betreten drfen. Nur sein Schwur saá hier und wartete, wartete lange, lange Zeit. Winnetou starb. Er starb am Herzen Old Shatterhands. Ich zrnte mehr als vorher. Mir schien, als sei die Zukunft der Apatschen mit ihm gestorben. Ich war der Bewahrer der Medizinen. Ich ahnte die Geschichte und die Geheimnisse unserer Rasse. Ich hatte diese Rasse vom Untergang, vom Tod retten wollen. Ihre Seele sollte erwachen in Winnetou, dem gedankentiefsten, dem edelsten der Indianer. Nun war er tot, und die Seele seiner Rasse war gestorben. So glaubte ich, ich Tor!" Er hielt inne, schaute eine kleine Weile durch das Fenster, welches ich ge”ffnet hatte, und fuhr dann fort: "Es kamen helle, sonnige Tage. Die Stimme des Lebens drang wieder zu mir herein. Und wo ich sprechen h”rte, sprach man von Winnetou. Er lebte. Er kam vom Hancockberg, wo er erschossen wurde, ber Pr„rien, T„ler und Berge in seine Heimat zurck. Immer n„her und n„her. Er war nicht tot. War er berhaupt gestorben? Seine Taten wachten auf. Seine Worte wanderten von Zelt zu Zelt. Seine Seele wurde laut. Sie begann zu sprechen, zu predigen. Sie schritt durch die T„ler. Sie stieg auf die Berge. Sie kam zu uns herauf, zum "Berg der Medizinen". Sie kam zu mir her //423// ein [herein], und als ich sie erkannte, da war es zwar die Seele Winnetous, zugleich aber auch die Seele seines Stammes, seines Volkes, seiner Rasse. Sie lieá sich bei mir nieder. Ich h”rte sie t„glich und stndlich. Zu allen Tren, zu allen Luken, zu allen Oeffnungen drang der Name Winnetou zu mir herein. Er war im Munde aller roten Nationen. Er wurde zur Turmesflamme, die ber die Savannen und ber die Berge leuchtet. Wer Gutes, Reines und Edles wollte, der sprach von Winnetou. Wer nach Hohem, nach Erhabenem trachtete, der redete von ihm. Winnetou wuchs zum Ideal. Er ist die erste geistige Liebe seiner Rasse! Ich lernte viel begreifen, was ich frher nicht begreifen konnte. Ich lernte, still und ruhig sein, wenn ich oft und oft Old Shatterhand neben Winnetou nennen h”rte. Ich stieg zu der Erkenntnis empor, daá diese beiden unzertrennlich sind im groáen Menschheitsgedanken. Trat ich dann in Stunden inneren Kampfes in dieses Zelt, in dem ich jetzt zu euch spreche, so sah ich Winnetou seelisch vor mir stehen, wie er das Kalumet in die Schale legte und seine Hand zum Schwur erhob, sie ohne seinen Bruder Shatterhand nicht wieder zu berhren." Wieder machte er eine Pause. Wir h”rten ferne Stimmen durch das offene Fenster klingen. Sie stiegen von der Stadt herauf. Es waren Begráungsrufe. Tatellah-Satah ging hin, schaute hinab und sagte: "Es sind H„uptlinge angelangt; sie tragen den Federschmuck. Wer sie sind, werden wir bald erfahren." Dann kehrte er zu uns zurck und fuhr fort: "Nie habe ich so deutlich wie jetzt, in diesem Augenblick, gefhlt, daá Winnetou noch lebt. Old Shatterhand kam ber Land und Meer herber, und es geht von ihm eine geheimnisvolle Best„tigung aus, daá es fr //424// seinen roten Bruder nicht die alten lgenhaften ,ewigen Jagdgrnde' gibt, die nur fr die Herdenmenge erfunden waren. Ich habe Old Shatterhand geschrieben. Ich habe ihn gebeten, zu kommen, um seinen Bruder Winnetou zu retten. Aber ich bin berzeugt, daá Old Shatterhand sehr wohl weiá, von wem diese Bitte ausgegangen ist: nicht von Tatellah-Satah, sondern von Winnetou, von der Seele der roten Nation, die von ihren eigenen S”hnen niedergerungen und erstickt werden soll. Sie will empor! Sie will fliegen lernen! Sie will nicht nur essen und trinken und daran verhungern, sondern sie will mehr. Sie will teilhaben an allem, was Manitou der ganzen Menschheit gab, nicht nur einzelnen Nationen. Sie will nicht l„nger Kind bleiben, denn wehe dem Volk, welches sich str„ubt, mndig zu werden! Sie will wachsen. Da aber eilt die Torheit der Unverst„ndigen herbei, dem Kind vorzulegen, daá es ein Mann, ein Held, ein Riese sei, und diese Lge in Erz und Marmor zu verewigen. Das ist ein Mord und, da er von Personen unserer eigenen Rasse ausgeht, eine Vernichtung unserer selbst. Das kann Tatellah-Satah nicht dulden, und das darf auch Old Shatterhand nicht dulden! Ich bin so froh, so glcklich, daá er gekommen ist, uns seine Hand zu bieten. Er sitzt zu meiner Rechten wie damals Winnetou. Es dr„ngt mich, zu denken, er sei wirklich Winnetou. Und ebenso sei unsere weiáe Schwester keine andere als Nscho-tschi, der Liebling unseres Volkes. Ich bin Tatellah-Satah, der ,Bewahrer der groáen Medizin'. Ich heiáe euch willkommen. Ich fhle tief in mir die N„he dessen, den ich liebte, wie ich keinen andern liebte. Er sehe und h”re, daá heut sein Schwur in Erfllung geht. Old Shatterhand ist hier. Ich habe ihn gehaát; nun aber liebe ich ihn. Er sei mein Bruder, wie ich der //425// seine bin. Das Kalumet unseres Winnetou soll es bezeugen!" Er griff nach der Pfeife, fllte sie, setzte sie in Brand, tat die sechs ersten Zge, blies den Rauch nach oben, nach unten und nach den vier Himmelsrichtungen, sprach die gebr„uchlichen Formeln dazu und reichte dann mir die Pfeife. Ich stand auf und sprach: "Ich gráe meinen Winnetou, und ich lausche dem Erwachen seines Volkes. Ich war stets er, und er war stets ich. So sei es auch heut, und so bleibe es immerdar! Dies genug der Worte; lassen wir Taten sprechen! Die Zeit dazu ist schon heut!" Hierauf tat ich dieselben sechs Zge und gab dem Medizinmann das Kalumet dann wieder. Er reichte es dem Herzle und sprach: "Nimm du es hin, wie unsere Nscho-tschi! Sie spreche jetzt zu uns aus deinem Munde!" Das war eine groáe Ehre. Ich freute mich darber, doch nicht ohne eine kleine Bangigkeit. Sie sollte sprechen! Was wrde sie sagen? Und sie sollte rauchen! Den scharfen, mit Sumach vermischten Tabak! Sie hatte nur ein einziges Mal in ihrem Leben geraucht, zum Scherz, eine halbe Zigarette. Sie schaute mich an und las in meinen Augen die Warnung: "Herzle, ich bitte dich um Gottes willen, blamiere mich nicht etwa!" Sie aber l„chelte zuversichtlich, nahm die Pfeife, stand auf und sprach: "Ich liebe Nscho-tschi, die Tochter der Apatschen. Ich kam an ihr Grab und betete. Da fhlte ich, daá es kein Grab, kein Tod, keine Leiche sei. Nur Ueberflssiges verwest; alles andere aber bleibt. So wie sie, schwand auch dein Volk; seine Seele aber blieb. Und seid ihr stark genug, so wird sie sich den neuen, herrlichen //426// K”rper schaffen, der ihr schon l„ngst gebhrte. Gib mir dein Herz, o Tatellah-Satah; das meinige ist schon dein eigen!" Sie tat mutig alle sechs Zge und gab die Pfeife dann zurck. Als sie sich wieder niedersetzte, hatte sie feuchte Augen; aber es war nicht zu unterscheiden, ob es die Rhrung oder eine Folge des Tabaks war. Hierauf bekam auch der "junge Adler" das Kalumet. Er erhob sich und sprach: "So weit die Erde reicht, ist jetzt eine groáe Zeit. Doch ist diese Zeit nicht vollendet; sie steht nur erst im Werden. Sie ist noch jung; sie hat sich zu entwickeln und wir mit ihr. Die Menschheit steigt zu ihren Idealen auf. Steigen auch wir! Bleiben wir nicht unten, wie bisher! Schon regt der ,junge Adler' seine Schwingen. Fliegt er dreimal um den Berg, so f„hrt der rote Mann aus dem Scheintod auf, und der Tag, der ihm geh”rt, bricht heran!" Auch er tat die vorgeschriebenen sechs Zge und gab das Kalumet dann an den "Bewahrer der groáen Medizin" zurck. Dieser hatte es langsam auszurauchen, ohne daá weiteres dabei gesprochen wurde. Hierauf war die Zeremonie vollendet. TatellahSatah geleitete uns nach dem erstbeschriebenen, groáen Raum mit den vielen Friedenspfeifen. Da zeigte er auf einen dort wartenden, riesenhaften Indianer und sagte: "Das ist Intschu-inta *), euer Diener. Er wird euch nach eurer Wohnung fhren. Er sagt euch alles, was ihr wissen wollt. Er war der Liebling Winnetous. Sei er nun auch der eurige! Nur einmal bitte ich euch, meine G„ste auch beim Essen zu sein, nur heut am ersten __________________________ *) "Gutes Auge" //427// Tage, in einer Stunde; dann aber seid ihr stets und in allem frei, k”nnt aber zu mir kommen, so oft es euch beliebt." Er reichte uns die Hand und zog sich dann zurck. Wir gingen zun„chst nach dem Hof hinab, wo wir unsere Pferde gelassen hatten. Da stand aber nur der Hengst des "jungen Adlers" und das Maultier, welches sein Paket trug. Er stieg auf und ritt davon, hinauf nach dem Wachtturm, der ihm zur Wohnung angewiesen war. Unsere Pferde und Maultiere waren, wie wir von Intschu-inta erfuhren, von Pappermann nach unserm Quartier gefhrt worden, wohin wir ihnen jetzt nachfolgten. Intschu-inta war, wie bereits gesagt, ein wahrer Hne von Gestalt, gewiá schon ber 6o Jahre alt, doch von noch jugendlicher Rstigkeit. Ein wahrheitsliebender, treuer, stolzer Charakter. Wenn er als unser "Diener" bezeichnet worden war, so war er das freiwillig. Es hatte nichts mit dem Begriff der Unterordnung, der Gehorsamleistung zu tun. Er war trotzdem in jeder Beziehung sein eigener, selbst„ndiger Herr. Er fhrte uns durch die schon erw„hnten Tore nach dem zweiten, dritten, vierten, fnften und sechsten Innenhof. Das dort stehende Geb„ude war fr uns bestimmt, ganz allein nur fr uns. "Es ist Winnetous Haus," erkl„rte uns das "Gute Auge". "Wohnte er da?" fragte ich. "Stets, so oft er kam", antwortete der Diener. "Die R„ume, in denen Old Shatterhand wohnen wird, sind noch ganz genauso, wie sie von Winnetou verlassen wurden, als er zum letzten Male hier war. Wenn Intschu-tschuna kam, wohnte er bei seinem berhmten Sohn. Und ebenso Nscho-tschi. Unsere weiáe Schwester wohnt in den Stuben, welche von der sch”nen, gtigen Schwester Winnetous bewohnt worden sind." //428// Auch dieses Geb„ude hatte Balkone vor den schmalen Scharten”ffnungen der Mauerfronten. Infolge der hohen Lage muáte es da einen noch weiteren Fernblick geben als unten bei Tatellah-Satah. Unsere Pferde und Maultiere waren in einem stall- oder schuppenartigen Nebengeb„ude untergebracht. Wir aber stiegen die Treppe zu den Wohnr„umen empor und gelangten da zun„chst in eine groáe, indianisch ausgestattete Stube, in welcher hohe Tongef„áe zum Waschen standen. Es gab da zahlreiche Sitze verschiedener Art und auch eine Platte mit Friedenspfeifen. "Das ist der Empfangssalon", l„chelte das Herzle. Die W„nde waren mit allerlei Waffen ausgestattet. Ich sah einige Messer, Pistolen und Flinten, die ich kannte. Sie hatten Jagdgenossen von uns geh”rt. Der Diener fhrte uns durch das ganze Geb„ude. Es h„tte bequemen Raum fr 30-40 G„ste gehabt, und ich máte mehrere Druckbogen fllen, um die Einrichtung und Ausstattung auch nur einigermaáen zu beschreiben. Darum unterlasse ich das jetzt, zumal ich sp„ter, wenn ich "Winnetous Testament" ver”ffentliche, auf dieses Haus und seine R„ume zurckzukommen habe. Mit welchen Gefhlen ich die drei nebeneinanderliegenden Stuben betrat, welche den Zweck gehabt hatten, Winnetou zum eigentlichen Gebrauch zu dienen, kann man sich wohl denken. Links lag die Schlafstube. Hieran stieá die bedeutend gr”áere Wohnstube. Hierauf folgte die ebenso groáe Arbeitsstube. Aus jedem dieser drei R„ume konnte man hinaus auf den Balkon treten, um die herrliche Aussicht, die sich da bot, zu genieáen. In der Schlafstube gab es ein sehr weiches, sehr hohes und auáerordentlich sauberes Lager von Fellen und Decken. Hierzu einige Wassergef„áe zum Waschen und Trinken, //429// weiter nichts. Die Wohnstube war halb europ„isch, halb indianisch eingerichtet. Es gab niedrige und hohe Sitze, niedrige und hohe Tische. Auf diesen Tischen lag und an den W„nden hing gar mancher Gegenstand, den ich kannte, weil er von mir stammte. Darunter zwei Photographien, die ich fr gut getroffen gehalten hatte. Jetzt waren sie ziemlich verblichen. An der einen Wand hingen wohl gegen 20 Bl„tter mit Versuchen, diese Photographien nachzuzeichnen. "Er muá dich doch sehr, sehr lieb gehabt haben!" sagte das Herzle, indem sie diese Bl„tter eingehend betrachtete. "Seine Hand ist nicht talentlos gewesen. Er traf, war aber ungebt, noch nicht einmal Schler! Es ist das so auáerordentlich rhrend!" In der Arbeitsstube stand - - ein Schreibtisch, ja, wirklich ein Schreibtisch, mit K„sten, Federn, Tinte und vielem Papier. Die Tinte war eingetrocknet. Hier hatte er, der Herrliche, sich im Schreiben gebt. Hier war er, der B„ndiger der wildesten Pferde, der Meister im Gebrauche einer jeden Waffe, auf die Jagd nach orthographischen Schnitzern gegangen! Mein lieber, lieber, mein einziger Winnetou! Und hier hatte er die bedeutsamsten Kapitel seines "Testaments" geschrieben, dessen Ver”ffentlichung mir bertragen worden ist! Auch anderes hatte er hier gearbeitet, mit Messer und Zange, mit Hammer und Feile, sogar mit Nadel und Zwirn! Nichts war ihm zu niedrig und zu klein gewesen. Sogar eine Ledermappe zu machen, hatte er versucht. Als ich sie ”ffnete, lag ein einziges Blatt darin. Darauf stand in groáen Buchstaben geschrieben: "Charly, mein Charly, wie liebe ich Dich!" Und als ich es umwendete, war auch die andere Seite beschrieben, doch klein und wie mit zitternder Hand: "Charly, ich sterbe fr Dich. Ich weiá es, ich weiá es! Dein Winnetou." //430// Intschu-inta stand dabei und sah, daá das Herzle, als wir das lasen, weinte. Auch mir stand ein Tropfen im Auge. Er, der starke Mann, drehte sich um und fuhr sich mit der Hand ins Gesicht. "Es ist hier alles so sauber! Grad als ob er erst vor einer Stunde hier gewesen sei!" sagte sie. "Wer hat hier auf Ordnung gehalten? Wer hat gewischt?" "Ich," antwortete er. "Wann?" "Jeden Tag." "Seit wann?" "Seit er zum letzten Male hier war." "Diese lange, lange Zeit? Jeden Tag? Trotzdem er nicht mehr kommen konnte? Trotzdem er nicht mehr lebte?" Da schttelte er leise den Kopf, l„chelte ebenso leise und antwortete: "Er sagte stets, es g„be keinen Tod, das habe ihm sein Bruder Shatterhand versichert. Und ich glaubte ihnen beiden. Ich glaube es auch noch heut." Er strich mit der Hand ber den Lederanzug, der da an der Wand hing, und fuhr fort: "Diese Leggins und diese Jacke trug er stets, wenn er die Absicht hatte, die Wohnung nicht zu verlassen. Bin ich hier allein, so ist es mir oft, als h”re ich die Lederfalten dieses Anzuges rauschen. War das Winnetou? Ging er unsichtbar hinter mir vorber? Wenn ich hier eintrete, ist es mir oft, als stehe er da drauáen auf dem Altane, die H„nde gefaltet, um zu beten, wie er zu tun pflegte, wenn ihn eine Sehnsucht oder ein Leid bewegte. Er nannte mich seinen Freund; ich aber war stolz darauf, mich seinen Diener nennen zu drfen. Ich legte ihm die H„nde unter die Fáe und w„re tausend- //431// mal gern fr ihn gestorben. Aber er hat sterben mssen. Denn nicht sein Leben, sondern sein Tod hat alle St„mme der Apatschen und alle roten V”lker aufgeschreckt, doch endlich die Augen zu ”ffnen und einzusehen, wie k”stlich das Leben eines einzelnen Menschen ist, um wieviel k”stlicher und unersetzlicher also das Leben einer ganzen Nation, einer ganzen Rasse! Wir waren blind. Wir sind nun sehend geworden! Wie habe ich ihn lieb gehabt, wie lieb, wie unendlich lieb!" Und pl”tzlich stand er vor mir, faáte meine Hand und bat: "Nimm seine Stelle ein! Nimm sie ein! Nicht nur hier im Hause, sondern auch hier bei mir!" Er klopfte sich an die Brust. Dann nahm er auch das Herzle an der Hand und fuhr fort: "Und dich flehe ich an, sei uns Nscho-tschi! Sprich zu den Frauen, die sich hier versammeln wollen! Fhre sie nicht zu Worten, sondern zur Tat! Tatellah-Satah ist Priester, aber nicht Krieger. Bedenkt das wohl! Darum war es die Sehnsucht unseres groáen Winnetou, seinen weiáen Bruder in dieses Haus zu leiten. Die Seele, die hier erwacht, braucht Schutz und Schirm vor ihrem eigenen Volk. Sie hofft auf euch, auf euch!" [//432//] Siebentes Kapitel. __K_„_m_p_f_e__. Der Mount Winnetou liegt im sdlichen Winkel zwischen Arizona und Neumexiko. Die dortigen freien Indianer erkennen keine Regierung ber sich an. Das "Komitee des Denkmals fr Winnetou" war so pfiffig gewesen, sich an den Vereinigten-Staaten-Kongreá zu wenden, und hatte die Erlaubnis erhalten, "am Mount Winnetou eine Stadt namens Winnetou anzulegen, dem einstigen H„uptling der Apatschen dort ein Denkmal beliebiger H”he und beliebigen Umfanges zu setzen und alle Einrichtungen zu treffen und alle Bauten vorzunehmen, die zur Erreichung dieser l”blichen Zwecke n”tig sind". So lautete die Genehmigung, welche der betreffende Delegierte ihnen erwirkte. Hieraufhin hatten sie ihr Werk begonnen, ohne sich um die Traditionen und Rechte anderer zu bekmmern. Die St„mme der Apatschen waren leicht gewonnen, weil es sich angeblich um ihren Liebling Winnetou handelte. Auch einige Komantschenst„mme dazu, denn Apanatschka war ja der H„uptling der Kanean-Komantschen. Einen H„uptling, auf den alle St„mme der Apatschen h”rten, //433// gab es seit Winnetou nicht mehr, und was den alten Tatellah-Satah betraf, dessen Einfluá sich ber alle roten St„mme erstreckte, so war er zwar nicht zu bewegen gewesen, in das Projekt zu willigen, aber Old Surehand und Apanatschka glaubten, daá es ihnen doch noch gelingen werde, ihn auf ihre Seite hinber zu ziehen. Sie rechneten hierbei auf den Zwang der Tatsachen, der unwiderstehlich ist, und begannen also, zu schaffen und zu bauen, ohne seine Einsprche zu beachten. Ein jeder seiner Einwrfe wurde mit der allerdings sehr wahren Behauptung zurckgewiesen, daá man die Genehmigung des Kongresses habe und eine h”here Autorit„t nicht anerkenne. Old Surehand und Apanatschka waren nicht mehr die Indianer resp. die Westm„nner, als die ich sie vor Zeiten kennengelernt hatte. Sie waren infolge ihrer Reichtmer und weit verzweigten Gesch„ftsverbindungen hoch ber ihre frheren Anschauungen und Verh„ltnisse hinausgewachsen. Sie geh”rten innerlich schon l„ngst nicht mehr zu den Roten, sondern zu den Weiáen. Dafr, daá der Indianer in jedem Augenblicke bereit ist, fr seine rote Farbe zu sterben, war ihnen das Verst„ndnis abhanden gekommen. Sie wollten mit ihrem Projekte ein "Gesch„ft" machen, und sie wollten ihre S”hne zu einer Berhmtheit emporschrauben, aus welcher neue Reichtmer zu sch”pfen waren. Aber Tatellah-Satah war nicht der Mann, der auf das, was er fr richtig hielt, so leicht verzichtete, wie sie dachten. Er wich zun„chst dem Zwang, aber nur scheinbar. Er konnte sie nicht hindern, den Wasserfall in elektrische Dr„hte zu fesseln, den Wald durch Steinbrche zu entweihen und eine Menge roter Arbeiter herbeizuziehen, die sich ganz gewiá nicht hierzu hergegeben h„tten, wenn sie nicht von ihren St„mmen ausgestoáenes Gesindel ge- //434// wesen [gewesen] w„ren. Aber er sandte zu den Mescaleros, den Llaneros, den Jicarillas, den Taracones, den Nawachos, den Tschiriguais, den Pinalenjos, den Kojoteros, den Gilas, den Lipans, den Mimbrenjos und den Kupferminenindianern. Das sind lauter Apatschenst„mme, welche den "Bewahrer der groáen Medizin" als den bedeutendsten Mann ihrer ganzen Rasse verehren. Er lieá ihre H„uptlinge kommen. Er sprach mit ihnen. Er erkl„rte ihnen, daá es sich hier weniger um die Ehrung ihres Winnetou, als vielmehr um eine Ehrung Young Surehands und Young Apanatschkas handle und berhaupt um ein ganz gew”hnliches Gesch„ft. Es gelang ihm sogar, ihnen klarzumachen, daá es eine Versndigung an Winnetou, dem in jeder Beziehung Bescheidenen, sei, ihn auf ein so laut hinausschreiendes Piedestal zu heben. Er bewies ihnen, daá dies den Untergang ihres Volkes nicht verz”gern, sondern nur beschleunigen k”nne, weil es die anderen St„mme neidisch gegen die Apatschen reize. Kurz, er erwirkte sich bei den H„uptlingen einen durchschlagenden Erfolg und schickte sie zu ihren Leuten zurck, um nun ihrerseits auf diese einzuwirken. Der Clan der "Winnetous" war bereits gegrndet; der wirkte mit. Die eigentliche, offene Aktion gegen das Stadt- und Denkmal-Komitee verschob Tatellah-Satah auf die Zeit der groáen Meetings, die am Mount Winnetou abgehalten werden sollten. Diese Zeit war nun fast nahe. Er wollte zun„chst sondieren. Er muáte wissen, wer von den H„uptlingen fr und wer gegen das Projekt war. Doch hatte er sich bis jetzt noch niemandem gezeigt. Er war auf seinem "Schloá" verborgen geblieben und heute zum ersten Male seit langer Zeit herabgekommen, um mich zu sich hinaufzuholen. Das erz„hlte er uns w„hrend des Mittagessens, zu //435// dem er uns geladen hatte. Es fiel ihm dabei gar nicht etwa ein, diese streitigen Dinge zu beklagen. Sein Blick war scharf und weitschauend. Er erkannte sehr wohl, daá es fast nur allein auf ihn ankam, die gegenw„rtigen Verh„ltnisse zur Basis einer neuen, hoffnungsreichen Zukunft auszugestalten. Ein derartiges Zusammenstr”men aller Arten von Indianern wie jetzt war wohl in Jahrhunderten nicht wieder zu erwarten, ganz abgesehen davon, daá diese Rasse berhaupt zu verschwinden hatte, wenn es nicht jetzt gelang, ihr neues, inneres Leben einzuhauchen. Darum war er fest entschlossen, diese Gelegenheit beim Schopfe zu fassen und der erwachenden Seele seiner Rasse eine breite Bahn zu schaffen. Die Eigenschaften, welche hierzu n”tig waren, besaá er wohl alle, auáer einer einzigen. Ich meine die initiative Offenheit, die aggressive Ehrlichkeit. Die besitzt der Indianer nicht. Er hat sie besessen, gewiá; aber sie ist ihm im Umgange mit den niemals worthaltenden Bleichgesichtern verlorengegangen. Er war gezwungen, sich auf die heimliche List zurckzuziehen, und das ist ihm schlieálich zum Charakter, zum Merkmal geworden. Nur ganz hervorragend edle Indianer, wie z. B. Winnetou, haben sich nicht gescheut, dann, wenn es n”tig war, zum ehrlichen, offenen Angriff zu schreiten und dies sogar schon vorher anzuknden; gew”hnlich aber h„lt der Indianer es nicht fr klug, in dieser Weise zu verfahren. Darum hatte Tatellah-Satah so lange gez”gert. Und darum hatte er mein Kommen erwnscht. Ich will mich eines bekannten, vulg„ren Ausdruckes bedienen, indem ich sage: Er traute mir den Mut zu, ganz offen das "Karnickel" sein zu wollen, "welches angefangen hat". Darum war es ihm von gr”áter Wichtigkeit gewesen, sobald wie m”glich zu erfahren, auf welcher Seite ich zu suchen sei, auf der seinen oder auf //436// derjenigen der Denkmalbauer. Seit er vom Nugget-tsil aus benachrichtigt worden war, daá ich treu zu ihm stehen werde, fhlte er sich von einer seiner gr”áten Sorgen befreit. Er hatte von Tag zu Tag gehofft, daá ich kommen werde, und nun ich endlich eingetroffen war, fragte er mich, ob ich bereit sei, in Wirklichkeit sein "Shatterhand", seine Schmetterhand zu sein, mit deren Hilfe es ihm m”glich werde, seine Gegner niederzuwerfen. "Ich bin bereit", antwortete ich. "Und ich schlage vor, daá wir sofort beginnen, wom”glich gleich jetzt, noch heut. Zun„chst in Gte und Liebe, dann aber, wenn das nicht wirkt, mit allen m”glichen F„usten!" Das befriedigte ihn vollst„ndig. Er gab mir Generalvollmacht, zu tun, was mir beliebte, und ber alles zu verfgen, was mir als n”tig erschien. So war ich also Herr meiner selbst und ohne jede Fessel oder Schranke, die mich beengen konnte. Das nutzte ich ganz selbstverst„ndlich ohne Z”gern aus. Es galt zun„chst, das Modell der Statue zu sehen. Darum ritten wir gleich nach dem Essen hinab nach der Stadt, ich, das Herzle, Pappermann und Intschu-inta, der Diener. Der letztere bat mich, sechs junge, aber trotzdem erfahrene und rstige "Winnetous" mitnehmen zu drfen, die meine Leibgarde seien. Tatellah-Satah wnsche das so. Ich willigte sehr gern ein. Ich hatte sehr viel vor, wobei mir diese Leute von groáem Nutzen sein konnten. Wir ritten nicht direkt nach der Stadt, sondern ich lenkte, unten im Innental angekommen, zun„chst nach dem Schleierfall ein. Wir untersuchten seine ganze Umgebung, auch die zwei Teufelskanzeln zu beiden Seiten des freien Platzes. Wir taten das so unbefangen wie m”glich, um nicht aufzufallen, und ich „uáerte kein ein //437// ziges [einziges] Wort ber die Gedanken, die ich dabei hatte. Aber der "Diener" war, wie ich sehr bald bemerkte, ein sehr scharfer Beobachter, was mich gar nicht wundernahm, da Winnetou ihn erzogen hatte. Er forschte nach jedem meiner Blicke. Er dachte nach. Er kombinierte. Er kam infolge seines wohlgebten Scharfsinns sehr bald auf die richtige F„hrte. Als wir umkehrten, um nun auf dem schon beschriebenen, tief ausgefahrenen Talweg hinaus nach der Stadt zu reiten, lenkte er sein Pferd fr einige Augenblicke neben das meinige und sagte: "Old Shatterhand wollte nicht den Schleierfall sehen." Ich schaute ihn fragend an. "Auch nicht den angefangenen Winnetou, den man bauen will", fuhr er fort. "Was denn?" forschte ich. "Die zwei ,Ohren des Teufels', das richtige und das falsche." Er hatte recht. Nur dieser beiden "Ohren" wegen hatte ich den Weg nach dem Innental eingeschlagen. Sie waren mir auáerordentlich wichtig. Noch viel wichtiger als der herrliche Wasserfall an sich. "Hm!" brummte ich. Das trieb ihn an, aus sich herauszugeben. "Ich kenne sie", versicherte er. "Aber es ist nicht wahr, was man von ihnen sagt. Man kann stehen, wo man will, so h”rt man nichts." "Hast du schon berall gestanden?" "Ja, berall. Sogar hinten, wo niemand hingehen darf, weil es verboten ist. Aber auch da h”rt man nichts." "Versprichst du mir, verschwiegen zu sein?" Er legte die Hand auf das Herz und antwortete: "Dir ebenso gern wie einst unserm Winnetou!" //438// "So wirst du bald h”ren lernen. Ich werde dir zeigen, wie man das macht. Kennst du das ,Tal der H”hle' am Mount Winnetou?" "Ganz genau!" "Vielleicht auch die H”hle?" "Ebenso." "Ist sie groá? Ist sie lang?" "Sehr groá und sehr lang! Man reitet von hier aus fast fnf Stunden, bis man sie erreicht, und doch ist sie so lang, daá sie bis zum Schleierfall geht und erst in seiner N„he endet." "Wir reiten morgen frh hin, um sie zu untersuchen. Bereite alles vor. Doch sage keinem Menschen ein Wort!" Jetzt war dieser Redewechsel zu Ende, denn wir hatten nun das Innental hinter uns, ritten durch das Felsentor und sahen die Zeltstadt vor uns liegen. Es herrschte jetzt in ihr ein regeres Leben als zur Stunde unserer Ankunft. Eine Reiterschar kam uns entgegen. Sie wollte allem Anscheine nach hinauf nach dem Schloá. Als diese Leute uns erblickten, hielten sie an. Nur zwei von ihnen ritten weiter, bis sie uns erreichten. Das waren Athabaska und Algongka. Sie saáen wunderbar zu Pferde. Nachdem sie in indianisch h”flichster Weise gegrát hatten, sagte Athabaska: "Wir wollten nach dem Berge, um Old Shatterhand, den Gast der roten M„nner, zu begráen. Wir hatten ihn lieb, noch ehe wir ihn sahen. Wir achteten ihn sehr hoch, als wir ihn dann kennenlernten, ohne seinen Namen zu wissen. Und nun er hier eingetroffen ist und sich genannt hat, drfen wir nicht warten, bis er zu unsern Zelten kommt, sondern wir reiten zu ihm, weil er der H”here ist." "Kann es unter Brdern einen geben, der h”her //439// steht als die andern?" fragte ich. "Wir geh”ren einem einzigen Vater, und der heiát Manitou. Wir stehen einander gleich. Ich besuche meine Brder. Ich bitte, an ihren Zelten die Pfeife des Willkommens mit ihnen rauchen zu drfen!" Diese H”flichkeit erfreute sie. Algongka antwortete: "Wir sind stolz auf diesen Wunsch unsers weiáen Bruders. Er komme mit uns. Er wird Freunde sehen. Bekannte aus frherer Zeit, die hier angekommen sind. Als sie h”rten, daá er schon anwesend sei, baten sie uns, mit nach dem Berg reiten zu drfen, um sich an seinem Angesicht zu erfreuen. Dort warten sie." Er zeigte auf die Gruppe, welche halten geblieben war. Wir ritten hin. Wer waren sie? Wen erkannte ich sofort, trotz der langen Zeit, die zwischen dem damals und der jetzigen Stunde lag? Es waren Wagare-Tey, der H„uptling der Schoschonen, Schahko Matto, der H„uptling der Osagen, und mehrere ihrer Unterh„uptlinge. Wie groá unsere Freude war, uns wiederzusehen! Auch Avaht Niah war da, der "Hundertundzwanzigj„hrige"! Sollte man das fr m”glich halten? Ganz selbstverst„ndlich hatte er jetzt nicht mit nach dem Berg reiten k”nnen. Er war vor seinem Zelt sitzen geblieben und ich bat, ihn zuerst aufsuchen und begráen zu drfen. Man hatte Wagare-Tey und Schahko Matto veranlassen wollen, ihre Zelte in der Unterstadt aufzuschlagen; sie aber waren so klug gewesen, sich nach den Verh„ltnissen zu erkundigen, und was sie da h”rten, hatte sie veranlaát, nach der Oberstadt zu reiten, um sich Athabaska und Algongka beizugesellen. Wir ritten zun„chst nach dem Zelt Wagare-Teys, der mit seinem alten Vater beisammen wohnte, hatten uns aber kaum hierzu in Bewegung gesetzt, so kamen //440// uns zwei Kanean-Komantschen entgegen, die auch hinauf nach dem Schloá wollten, aber, als sie uns sahen, halten blieben und sich an mich wendeten. Sie waren von Young Surehand und Young Apanatschka geschickt, um mich zu diesen beiden jungen Knstlern einzuladen, die bei unserer Ankunft abwesend gewesen waren. Sie hatten, als sie dann kamen, geh”rt, daá ich eingetroffen sei, und forderten mich nun durch diese ihre Boten auf, zu ihnen zu kommen, weil sie beabsichtigten, mir gleich noch heut ihr Kunstwerk, die Statue Winnetous, zu zeigen. Schon ”ffnete ich den Mund, um Antwort zu geben, da forderte Athabaska mich durch eine Handbewegung auf, still zu sein, und nahm die Sache selbst in die Hand, indem er zu den beiden Komantschen sagte: "Ihr seht hier Athabaska und Algongka, die H„uptlinge der fernsten, n”rdlichen V”lker, ferner Schahko Matto, den H„uptling der Osagen, und Wagare-Tey, den H„uptling der Schoschonen. Kehrt sofort zu Young Surehand und Young Apanatschka zurck, und sagt ihnen, daá wir mit ihnen zu sprechen haben, sogleich! Sie sollen augenblicklich kommen. Es handelt sich um etwas sehr Wichtiges!" Er sprach in einem derartigen Ton, daá die beiden Boten kein Wort zu entgegnen wagten und sich schleunigst davonmachten. Dann setzten wir unsern Weg nach den Zelten fort. Die, welche Athabaskal Algongka, Wagare-Tey und Schahko Matto geh”rten, standen nahe beisammen. Wir sahen, noch ehe wir sie erreichten, den Hundertundzwanzigj„hrigen sitzen. Sein weiáes, nach hinten gebundenes Haar hing ihm lang ber dem Rcken herab. Er war kein Skelett wie Kiktahan Schonka. Er konnte sich noch ziemlich leicht bewegen. Sein Auge war klar und der Ton seiner Stimme so frisch und bestimmt wie //441// bei einem Fnfzig- oder Sechzigj„hrigen. Er stand, als er uns kommen sah, ohne fremde Hilfe von der Erde auf und erfuhr von Wagare-Tey, seinem Sohn, daá der Trupp so schnell zurckkehre, weil man mich ganz unerwartet getroffen habe, mich und meine Squaw. Sein Gesicht war voll unz„hliger, kleiner F„ltchen, die es aber nicht im geringsten verunzierten. Es hatte keinen einzigen Flecken, keinen einzigen Zug, keine einzige h„áliche Stelle, durch welche seine Reinheit, was im Alter doch h„ufig vorzukommen pflegt, beeintr„chtigt worden w„re. Er war ein sch”ner, ein wirklich sch”ner Greis! Als er mich sah, erkannte er mich sofort. Seine alten, guten Augen strahlten vor Freude. Er kam auf mich zu, legte beide Arme um mich, zog mich an sich und rief aus: "O Manitou, o Manitou, du Groáer und du Gtiger! Wie danke ich dir fr dieses Glck, fr diese Freude! Wie sehnte ich mich, den besten, den aufrichtigsten Freund aller roten V”lker noch einmal zu sehen, bevor ich das unbekannte Wasser des Todes mit khn schwimmendem Arm zerteile! Meine Sehnsucht ist erfllt. Ich erfuhr, daá er kommen werde. Da beschloá ich, auch zu kommen. Das Alter streckte den drren Arm nach mir aus, mich festzuhalten. Ich aber fhlte mich jung und riá mich los. In meinem Herzen erklang eine Stimme, die mir sagte, daá ich zu meinem weiáen Bruder eilen msse, denn er bringe uns die Gte, die Liebe und die Einheit zurck, die uns einst verlassen haben. Und kaum bin ich gekommen, so kommt auch er! Und du bist seine Squaw?" Diese Frage war an das Herzle gerichtet. Wir waren von den Pferden gestiegen. Sie stand neben mir. "Sie ist es", antwortete ich. Da streckte er den Arm nach ihr aus, zog sie grad so an sich wie mich und fuhr fort: //442// "Er bringt uns eine Freundin, eine weiáe Schwester. Sie sei uns willkommen in unseren Zelten und in unseren Seelen! Ich bin der Aelteste von allen. Setzt euch im Kreise und bringt mir das Kalumet. Es soll eine der letzten und der sch”nsten Ehren sein, die Versammlung des Gruáes zu leiten. Old Shatterhand setze sich zu meiner Rechten, seine Squaw zu meiner Linken. Man entznde das Feuer der Freude!" Wie gesagt, so getan. Es war ein auáerordentlich rhrendes, gegenseitigem Willkommenheiáen, welches sich nun entwickelte. Die Pfeife ging unaufh”rlich von Hand zu Hand. Tausend Erinnerungen tauchten auf, sie alle mit dem herzlieben Namen Winnetou verknpft. Doch hatten wir jetzt keine Zeit, uns ihnen hinzugeben. Das muáte fr sp„ter verschoben werden. Mitten in diese lebhafte, frohe Szene hinein kamen Young Surehand und Young Apanatschka. Sie waren zu Pferde wie berhaupt dort jedermann. Sie stiegen ab. Aber niemand schien sie zu sehen. Sie wollten sich zu uns setzen, aber keiner rckte zu, und keiner machte ihnen Platz. So standen sie eine ganze, lange Weile. Dann gingen sie zu ihren Pferden, um wieder fortzureiten. Nun endlich wurden sie beachtet. Athabaska rief ihnen zu: "Die S”hne von Old Surehand und Apanatschka m”gen n„her treten!" Sie kehrten wieder um. Seine Stimme hatte jenen unwiderstehlichen Ton, dem man gehorchen muá, auch wenn man nicht gehorchen will. Alles war pl”tzlich still. Niemand sprach. Man konnte das leise Knistern des kleinen Feuers h”ren. Da fragte Athabaska die beiden: "Sind Young Surehand und Young Apanatschka H„uptlinge?" "Nein", antworteten beide. //443// "Ist Old Shatterhand H„uptling?" "Ja." "Es sind schon fast siebzig schwere Winter, die er verlebte; sie aber haben noch nicht einmal dreiáig leichte Sommer hinter sich. Und doch gehen sie nicht zu ihm, sondern sie verlangen, daá er zu ihnen komme! Seit wann ist es bei den roten M„nnern Sitte, daá das Alter der Jugend zu gehorchen hat und die Erfahrenheit der Unerfahrenheit? Wir wollen, daá unser Volk vom Schlaf auferstehe. Wir wollen, daá es seine Rechte und seine Pflichten erkennen lerne. Wir wollen, daá es sich zu den gebildeten Nationen z„hle. Wie aber sollen wir das erreichen, wenn wir nicht einmal das Gesetz der wildesten unter den Wilden achten, daá die Jugend das Alter ehre?" Da warf Young Surehand stolz ein: "Wir sind Knstler!" "Uff, uff!" rief Athabaska aus. "Ist das etwas Besseres, als Mensch zu sein und als alt und erfahren zu sein? Ihr seid Knstler? Habt ihr das schon bewiesen? Vielleicht ist Old Shatterhand auch einer. Er hat sich noch nicht als Knstler bezeichnet. Ihr aber nennt euch so. Darum werden wir euch prfen, ob euch dieser Name zukommt oder nicht. Und selbst wenn ein Knstler etwas so Hohes und so Herrliches w„re, daá kein anderer Mensch ihn zu erreichen vermochte, so máte man doch von ihm wohl erst recht die Tugenden fordern, die man an jedem gew”hnlichen Menschen zu sehen verlangt. Fragt eure V„ter, und fragt Kolma Putschi, was sie Old Shatterhand verdanken! Hat er nun fr diese seine Taten und fr alle Liebe, die er ihnen erwies, den S”hnen nachzulaufen, weil diese von sich behaupten, Knstler zu sein? Was soll denn diese eure Kunst? //444// Uns ein Riesenbild von Winnetou geben! K”nnt ihr das? Ich glaube, nicht! Unser groáer Winnetou war vor allen Dingen bescheiden. Er diente. Er achtete und ehrte das Alter selbst im geringsten Menschen. Seine gr”áte Lust war, zu helfen, zu tragen, zu beglcken. Ihr aber seid zu stolz, selbst seinem besten Freund den ersten Besuch, den H”flichkeitsbesuch, der nicht euch, sondern ihm gebhrt, zu machen. Ihr habt also Winnetou niemals verstanden und begriffen. Wie k”nnt ihr uns da ein Bild von ihm geben, welches wahr und ehrlich und nicht erlogen ist? Wo sind eure V„ter? Sind sie anwesend?" "Noch nicht. Sie ritten heute frh fort. Sie kehren erst am Abend wieder." "So sagt ihnen, wenn sie kommen, folgendes: Die hier versammelten H„uptlinge verlangen von ihnen, daá sie zu Old Shatterhand kommen, um ihn fr ihre S”hne um Verzeihung zu bitten. Wir aber werden nach Verlauf einer Stunde bei eurem t”nernen Winnetou eintreffen, um zu prfen, ob ihr Knstler seid oder nicht. jetzt k”nnt ihr gehen!" Sie stiegen auf ihre Pferde und ritten fort, ohne ein einziges Wort der Entschuldigung zu sagen oder der Verteidigung zu wagen. Und als wir nach Verlauf der angegebenen Zeit bei dem groáen, hohen Blockhause ankamen, in welchem sie an dem Modell gearbeitet hatten, standen sie an der Tr und empfingen uns still und ehrerbietig wie Leute, die gern zrnen m”chten und aber doch nicht drfen. Sie waren brigens ganz pr„chtige und sympathische junge Menschen, und ich sah es dem Herzle an, daá sie im Innern gern bereit war, sie zu verteidigen. Sie nickte und l„chelte ihnen heimlich zu; ich aber durfte ihnen nur einen gráenden Blick geben, weiter nichts, um Athabaska nicht zu beleidigen. //445// Als wir in das Geb„ude traten, sahen wir da s„mtliche "Herren vom Komitee" versammelt. Sie hatten sich eingestellt, um auf die H„uptlinge einzuwirken, wurden aber von diesen derart als Luft behandelt, daá sie es gar nicht wagten, sich ihnen zu n„hern oder gar etwa einen von ihnen anzusprechen. Das Haus war rund wie ein Zirkus gebaut und enthielt nur einen einzigen Raum. Die mit Leinwand berkleidete Holzblockmauer zeigte ein wohlgelungenes Panorama des hiesigen Platzes mit dem Mount Winnetou und seinen beiden riesigen Felsentrmen. Den vorderen, kleineren Turm mit dem "Schlosse" Tatellah-Satahs und den gr”áeren, h”heren mit der von hoch oben stolz herabschauenden gigantischen Winnetoufigur, selbstverst„ndlich jetzt nur erst projektiert. Als Modell vollendet aber ragte diese Figur in der Mitte des Raumes. Sie war ungef„hr acht Meter hoch und stand unter der gnstigen Wirkung des durch die offenen Dachfalten hereinbrechenden Oberlichtes. Fr die dunklen Abendstunden war elektrische Beleuchtung vorhanden, die hierzu n”tige Elektrizit„t wurde ohne groáen Kostenaufwand am Wasserfall erzeugt. Es war berechnet, daá sie sp„ter fr die ganze Stadt Winnetou ausreichen werde. Mein erster Blick war nach dem Gesicht Winnetous. Es war getroffen, berraschend getroffen. Und doch erschien es mir fremd. Es waren seine Zge, ganz genau seine Zge; aber sie waren nicht so freundlich ernst, so gtig und so lieb, wie ich sie kennengelernt hatte, sondern sie zeigten einen fremden Ausdruck, der ihm im Leben niemals eigen gewesen war. Dieser Ausdruck harmonierte allerdings mit der aggressiven Bewegung, welche der Figur von ihren Verfertigern erteilt worden war. Die Kleidung war mit peinlichster Gewissenhaftigkeit ausgefhrt. //446// Die mit Stachelschweinborsten geschmckten Mokassins, die gestickten Leggins, der eng anliegende, fast faltenlose, lederne Jagdrock, die ber die Schulter geschlagene, pr„chtige Santillodecke, unter welcher die Schlingen des von der rechten Achsel nach der linken Hfte gehenden Lassos hervorschauten. Am Grtel hing der Pulver- und Kugelbeutel frherer Zeit. Daneben steckte das Messer, unweit davon eine Pistole und ein Revolver. Den rechten Fuá wie zum Sprung vorgesetzt, sttzte sich die Figur auf die in der linken Hand gehaltene Silberbchse, w„hrend die rechte Hand einen geladenen zweiten Revolver drohend vorstreckte. In dieser vorw„rts strebenden Bewegung hatte die Gestalt etwas aal- oder schlangenhaftes. Oder man dachte an einen Panther, der sich aus seinem Hinterhalt hervorschnellt, um sich auf die Beute zu strzen. Hierzu paáte der nicht etwa nur drohende, sondern gierige Ausdruck des Gesichtes, welcher um so befremdender oder abstoáender wirkte, je deutlicher die Sch”nheit dieses Gesichtes trotz alledem hervortrat. "Schade, jammerschade!" flsterte mir das Herzle zu. "Leider, leider!" antwortete ich. "Und sie sind Knstler, wirkliche Knstler!" "Ganz zweifellos! Nur die Auffassung ist falsch. Es ist eine Snde, eine ungeheure Snde! Wie man Winnetou so etwas antun konnte, das begreife ich nicht! Und diese Figur soll auf die H”he des Berges!" "Niemals, niemals! Ich dulde das nicht. Und wenn man mich nicht h”rt, so greife ich zum letzten Mittel und zertrmmere sie vor aller Augen!" Die H„uptlinge waren still. Sie schritten langsam rund um das Bild, um es von allen Seiten zu betrachten, sagten aber nichts. Young Surehand und Young Apanatschka standen in der N„he. In ihren Gesichtern drckte //447// sich nicht die geringste Spannung aus. Sie waren vollst„ndig berzeugt, daá der Eindruck ihres Werkes auf uns ein unvermeidlich imponierender sei. Die Herren vom Komitee waren derselben Meinung. Sie hatten erwartet, uns in Ausrufe des Entzckens ausbrechen zu h”ren. Als aber Minute um Minute verging, ohne daá einer von uns ein Wort verlautete, begannen sie, uns Vorspann zu leisten, indem sie nun ihrerseits das taten, was wir unterliegen. Sie ergingen sich in lobenden Interjektionen, um uns zu verleiten, diesem ihrem Beispiel zu folgen. Aber die Wirkung, die sie erreichten, war dieser ihrer Absicht gerade entgegengesetzt: Die H„uptlinge wendeten sich dem Ausgang zu. Sie schritten hinaus, einer nach dem andern. Ich folgte mit dem Herzle. Da kam das Komitee, die beiden Knstler voran, uns nachgeeilt. Sie wollten Auskunft haben. Athabaska war der erste, der in den Sattel kam. Er wartete, bis wir andern oben saáen, und wendete sich dann an die Fragenden: "Dieser euer Winnetou ist die gr”áte Lge, die jemals hier zwischen den Bergen erklang. Zerschmettert sie! Da hinauf kommt sie mir nie, nie, nie!" Er deutete bei diesen Worten nach der H”he, auf welcher die Figur errichtet werden sollte. "Nie!" stimmte Algongka bei. "Nie - - nie - - nie - nie!" fielen auch die anderen H„uptlinge nebst ihren Unterh„uptlingen ein. "Und sie kommt hinauf!" rief Young Surehand. "Ja, sie kommt hinauf!" behauptete auch Young Apanatschka. "Beweist es, daá es eine Lge ist!" Und Mr. Antonius Paper, der immer Voreilige, kam demonstrativ zu uns herangeschlingert und schmetterte uns an: //448// "Wir sind das Komitee zur Errichtung des Winnetoudenkmals. Was wir beschlieáen, das geschieht. Die Figur kommt hinauf, hinauf!" Er fuchtelte dabei mit den Armen, grad vor Schahko Mattos Pferd. Dieser gab schnellen Schenkeldruck, ritt ihn ber den Haufen und antwortete: "Wirklich? Ihr seid das Komitee? So setzen wir euch ab und w„hlen ein anderes!" "Ja, ein anderes, ein anderes!" riefen die Unterh„uptlinge, w„hrend Mr. Antonius Paper sich vom Boden aufraffte und hinter den andern Mitgliedern des Komitees Schutz suchte. Da kam dem ersten Vorsitzenden, Professor Bell, eine Ahnung, daá es mit ihrem Vorhaben denn doch nicht so sicher stehe, wie er bisher angenommen hatte, und daá der jetzige Augenblick vielleicht wohl gar der entscheidende sei. Er tat einige Schritte zu mir herbei und fragte: "Welcher Meinung seid denn Ihr, Mr. Shatterhand? Ich bitte Euch, mir das zu sagen!" "Oh, auf das, was ich denke, kommt es hier doch gar nicht an", antwortete ich. "Das ist nicht wahr!" entgegnete er. "Ich bin berzeugt, daá man tun wird, was Ihr vorschlagt. Darum ersuche ich Euch, mir zu sagen: Was schlagt Ihr vor?" "Dazu ist jetzt wohl nicht die richtige Zeit und hier auch nicht der richtige Platz. Ich kenne berhaupt den mir angewiesenen Platz noch nicht. Ich kann also erst dann sprechen, wenn ich meine Nummermarke habe. Vielleicht hat euer Schriftfhrer die Gte, sie mir nach meiner jetzigen Wohnung zuzustellen." Hierauf ritt ich davon. Die anderen folgten sogleich. In der Oberstadt angekommen, gab es nur noch eine kurze Beratung. Wir alle waren der Ansicht, daá //449// nichts geschehen konnte, bevor wir mit Old Surehand und Apanatschka gesprochen hatten. Das war also abzuwarten. Hierauf verabschiedeten wir uns von den H„uptlingen und ritten nach den Zelten der Siouxfrauen, um unsere Freundinnen, die beiden Aschtas, fr heute abend zu uns einzuladen. Sie sagten freudig zu. Dann kehrten wir nach dem "Schlosse" zurck, bergaben dort unsere Pferde und stiegen durch den Wald zu Fuá nach dem Wachtturm hinauf, um den "jungen Adler" aufzusuchen und fr den Abend auch mit einzuladen. Es waren mehrere Indianer und Indianerinnen bei ihm, die er mit leichten Zimmer- und Flechtarbeiten besch„ftigte, warum und wozu, das fragte ich nicht. Tatellah-Satah war heut nicht mehr zu sehen. Er hielt es fr richtig, mich ganz mein eigener Herr sein zu lassen, wie auch ich mir vorgenommen hatte, ihn nicht eher aufzusuchen, als bis es n”tig war. So blieben wir am Abend mit unsern drei lieben G„sten allein und beobachteten mit stiller Freude, in wie unendlich zarter Weise die Herzen der jungen Leute sich einander mehr und mehr n„herten. Ich hatte es fr m”glich gehalten, daá Old Surehand und Apanatschka sich noch heut am Abend bei mir einstellen wrden. Das geschah aber nicht. Dafr aber fand ich, als ich am andern Morgen aufstand, einen Boten von ihnen vor. Sie lieáen mir sagen, daá ich wohl wáte, wie sehr sie mich liebten und achteten, und wie sehr sie sich freuten, mich wiederzusehen; aber es sei ihnen unm”glich, mich in der Wohnung ihres Feindes Tatellah-Satah aufzusuchen. Ich h„tte zu entscheiden zwischen ihnen und ihm; ein Drittes gebe es nicht. Uebrigens seien sie, falls ich zu ihnen nach der Unterstadt komme, zu jeder Zeit fr mich zu sprechen. Abbitte zu leisten, liege kein Grund vor, da //450// es fr ihre S”hne unm”glich gewesen sei, mich auf dem "Schlosse" aufzusuchen. Es fiel mir nicht ein, mir diese Botschaft zu Herzen zu nehmen. Es wirkten da jedenfalls Dinge, die ich nicht kannte und auch nicht kennen zu lernen n”tig hatte. Es gab hier nur eines zu beachten, n„mlich: Wer nicht will, der muá! Und heut frh hatte ich am allerwenigsten Lust und Zeit, mich mit pers”nlichen Streitfragen zu befassen. Ich muáte nach dem "Tal der H”hle", um topographisch orientiert zu sein, wenn die Feinde kamen, sich dort zu verstecken. Intschu-inta, unser riesiger "Diener", stand mit seiner Leibgarde schon seit dem Morgengrauen bereit, uns dorthin zu begleiten. Er hatte fr alles gesorgt, fr Speise und Trank, fr Lichter, Fackeln, Stricke, Haken und alle m”glichen anderen Gegenst„nde, deren wir bedurften, um die H”hle so, wie es notwendig war, kennenzulernen. Sie hatte fr mich eine ungew”hnliche Wichtigkeit. Es w„re mir wohl schwer geworden, bestimmte, klare Grnde hierfr anzugeben. Es handelte sich dabei mehr um eine Ahnung als um ein bestimmtes, sicheres Wissen. Aber seit ich gesehen hatte, wie pl”tzlich der Schleierfall in der Erde verschwand, und seit ich wuáte, daá die unterirdische H”hle bis nahe an diesen Fall heranreichte, war es mir, als ob sie in unsern hiesigen Erlebnissen eine nicht ganz unbedeutende Rolle spielen werde. Zum besseren Verst„ndnis dessen, was nun kommt, erinnere ich an die berhmte Mammuth”hle in Kentucky in den Vereinigten Staaten, die mit ihren Seitenh”hlen eine L„nge von ber dreihundert Kilometern besitzt. Ihr Hauptgang erstreckt sich unter der Erde sechzehn Kilometer weit. Es gibt da unz„hlige Sch„chte, Stollen, G„nge, Schluchten, Hallen, Stuben, S„le, Grotten, Dome, //451// Teiche, Seen, B„che, Flsse und Wasserf„lle. So ungef„hr dachte ich mir die H”hle am Mount Winnetou, und die Folge zeigte, daá ich mich da nicht geirrt hatte. Sie war zwar nicht von gar so riesigen Dimensionen, aber der Wunder gab es auch hier genug. Besonders war es die beraus reichliche und unvergleichliche Stalaktitenbildung, welche wir bestaunten. Der Weg nach der H”hle ging nicht durch die Stadt und dann den "weiáen Fluá" entlang, sondern man ritt auf der anderen Seite von der H”he hinab und hatte dann einem Bach zu folgen, der den Vorsatz gefaát zu haben schien, alle diejenigen, die sich seiner Leitung anvertrauten, dahin zurckzufhren, woher sie gekommen waren. Es ging immer rundum, doch in Schraubenlinien immer tiefer hinab. Dabei bekamen wir besonders den kleinen Mount Winnetou, auf dem Tatellah-Satah wohnte, von allen m”glichen Gesichtspunkten aus zu sehen. Einmal konnten wir das groáe Kriegsadlernest, welches unser Freund, der "junge Adler", erklettert hatte, besonders deutlich erkennen. Das war der Grund, daá das Herzle den "Diener" fragte, ob er ber diesen Vorgang unterrichtet sei. Heut war nur Pappermann, nicht aber auch der "Junge Adler" bei uns; so konnten wir also ber dieses sein Erlebnis sprechen, ohne indiskret zu sein. "Ja, ich weiá alles", antwortete Intschu-inta. "Ich stand ja neben Tatellah-Satah, der vor seiner Tr saá, als der ,junge Adler' vom Horst des Kriegsadlers herabgeflogen kam und grad zu unsern Fáen landete. Ich habe dieses Weibchen, welches viel, viel gr”áer als das Adlerm„nnchen war, dann mit erschlagen helfen. Einen st„rkeren, gr”áeren und gewaltigeren Vogel als dieses Weibchen gab es nie im ganzen Leben. Wie alt sie war, das wuáte man schon l„ngst nicht mehr. Jeder- //452// mann [jedermann] kannte sie. Sie litt kein M„nnchen bei sich; sie biá und jagte es fort. Man schrieb ihr ungeheure Kr„fte zu. Man behauptete, sie k”nne einen ausgewachsenen Pr„riewolf zum Horst tragen. Damals z„hlte der ,junge Adler' zw”lf Jahre. Er wohnte hier bei uns. Er war ein Verwandter Winnetous und der Liebling aller derer, die ihn kannten. Trotz dieser seiner groáen Jugend ging er nach Norden, um sich den Ton zu seiner Friedenspfeife aus den heiligen Steinbrchen von Dokota zu holen. Als er mit dem Ton zurckkam und die Pfeife geschnitten war, erkl„rte er, daá er sich nun auch seine Medizin erbeuten wolle. Er ging vierzig Tage in die Wste, um zu fasten, und da tr„umte ihm, daá er der ,junge Adler' heiáen werde und darum die beiden jungen Kriegsadler aus dem Horst holen solle; ihre Krallen und Schn„bel seien seine Medizin. Er war vom Fasten schwach. Er wog kaum noch die H„lfte von vorher. Dennoch wagte er es, das Gebot des Traumes sofort auszufhren, ohne sich recht zu erholen. Er nahm einen Lasso, steckte ein Messer und viele Riemen zu sich und begann den Aufstieg in die H”he des Horstes. Droben angekommen, fand er das Nest unzug„nglich. Um es zu erreichen, muáte man ein Stck darber hinausklettern und sich dann am Lasso herablassen. Er tat das. Er befestigte den Lasso am berh„ngenden Felsen und griff sich dann daran hinunter. Aber der Lasso war zu kurz. Als er das Ende erreichte, schwebte er noch hoch ber dem Nest und die Kr„fte verlieáen ihn. Er ”ffnete die H„nde und sprang in das Nest herab. Der Lasso schwebte hoch ber ihm hin und her und war nicht mehr zu erreichen." "Wie frchterlich!" rief das Herzle aus. "Gab es keinen Weg aus dem Nest?" "Nein", l„chelte der Erz„hler. "Adler pflegen nicht an //453// Wegen zu horsten. Die Adlermutter war abwesend; die beiden jungen aber lagen da. Sie rissen die Schn„bel auf und kreischten den Eindringling angstvoll an. Er t”tete sie, schnitt ihnen die K”pfe und die Krallen ab, steckte diese ein und warf die K”rper in die Tiefe. Dann begann er zu berlegen, wie er sich wohl entfernen k”nne. Aber es war keine M”glichkeit zu ersehen. Hoch ber ihm der Lasso, den er nicht erreichen konnte, unter ihm die grausige Tiefe, und er selbst im schwindelnden Felsenhorst, aus dem keine Ratte, keine Maus einen Rettungsweg gefunden h„tte, viel weniger ein Mensch! Und indem er das erkannte, sah er die Alte kommen, mit einem kleinen Wild in den F„ngen, welches sie fr ihre Jungen erbeutet hatte. Sobald sie ihn sah, lieá sie es fallen und schoá mit heiseren Schreien auf ihn zu. Er zog sein Messer, um sich zu verteidigen. Aber in demselben Augenblick war es, als ob eine laute, warnende Stimme ihm zurief: T”te sie nicht, und verletze sie nicht, sonst bist du verloren! Sie ist deine einzige Rettung!" "Ah, fliegen!" sagte das Herzle, tief Atem holend. "Ja, fliegen", nickte Intschu-inta. "Das war das Einzige; weiter gab es nichts." "Der arme Knabe! Wie erm”glichte er das?" "Nicht der arme Knabe! Sondern der khne, der kluge, der mutige Knabe! Hier kann es kein Bedauern geben, sondern nur ein Bewundern! Der Horst liegt auf einem kleinen Felsenvorsprung, von dem aus ein schmaler Riá in das Innere des Gesteines fhrt, um aber bald zu enden. Da lagen die H”lzer und Knppel der frheren Jahrg„nge des Horstes, denn der Kriegsadler baut sein Nest j„hrlich immer neu und also immer h”her. Es gelang dem Knaben, sich in diesen Riá zu retten, noch ehe das kreischende Raubvogelweib den Horst erreichte //454// und den wtenden Angriff begann. Er kroch nach und nach fast ganz unter die H”lzer und verteidigte sich mit ihnen. Dabei dachte er eifrig darber nach, wie er sich retten k”nne. Er war so klug, einzusehen, daá dies nur dadurch m”glich sei, daá der Adler ihn hinunter in die Tiefe trage. Er fragte sich, ob er trotz seiner jetzigen Leichtigkeit nicht doch zu schwer fr diesen Vogel sei. Indem er das dachte, lieá die Alte von ihrem Angriff ab, um nach ihren Jungen zu suchen. Dadurch gewann er Zeit zu ruhigerem Ueberlegen." "Er war zu schwer!" fiel das Herzle „ngstlich ein. "Allerdings war das anzunehmen", stimmte Intschu-inta bei. "Einen sicheren, ruhigen Flug konnte es also nicht geben, ganz abgesehen davon, daá der Adler sich aus allen Kr„ften str„uben wrde, ihn zu tragen. Aber wenn kein eigentlicher Flug, so war es doch wohl auch kein eigentlicher Sturz in die Tiefe. Es war vorauszusehen, daá die Flgelschl„ge die J„hheit und St„rke dieses Sturzes mildern wrden. Es galt also, den Adler so zu fesseln, daá er den Knaben weder mit dem Schnabel noch mit den Krallen verletzen, aber doch fliegen konnte. Schlingen und Fesseln, mit denen man dies erreicht, sind einem jeden Indianer, sogar auch den Kindern, gel„ufig. Kaum war der Gedanke gefaát, so wurde seine Ausfhrung vorbereitet. Riemen waren mehr als genug da. Mit Hilfe eines passenden, aus dem Horst gezogenen Holzes und dreier Riemen wurde schleunigst ein Knebel gefertigt, der den Adler zwang, Kopf und Hals gradeaus zu strecken. So war ihm der Gebrauch des gef„hrlichen Schnabels verwehrt. Fr die F„nge oder Krallen gab es eine fnffache Schlinge, die sp„ter noch zu verst„rken war. Fr den Leib eine Schleife, welche den Zweck hatte, die Flgel zu schlieáen und eng an den //455// K”rper zu zwingen, natrlich nur bis zu dem Augenblick, an dem der Flug zu beginnen hatte. Mehrere H”lzer wurden fest in die Felsenspalte geklemmt, so daá sich eine Art von Gitter zum Schutz des darinsteckenden Knaben bildete. Wollte der Adler ihn fassen, so war er gezwungen, den Kopf durch dieses Gitter zu stecken, der dann sehr leicht mit der Schlinge gepackt und festgehalten werden konnte." Meine Frau war auáerordentlich gespannt, ich nicht viel weniger. Pappermann las dem Erz„hler die Worte fast von den Lippen weg. Intschu-inta fuhr fort: "Kurze Zeit, nachdem diese Vorkehrungen getroffen waren, kehrte die Adlersfrau zurck. Sie schien die Leichen ihrer Kinder gefunden zu haben, denn sie fuhr in einer bedeutend gr”áeren Wut als vorher auf ihren Feind los. Sie besann sich nicht im geringsten, den Kopf durch das Gitter zu stecken. Sofort legte sich ihr die Schlinge um den Hals, und mochte sie sich noch so sehr wehren, einige Minuten sp„ter war ihr der Knebel angelegt, der sie zwang, Kopf und Hals geradeaus zu strecken Sie wehrte sich aus Leibeskr„ften, mit den Flgeln und den Krallen. Die letzteren wurden sehr leicht in Schleifen gefangen und dann fest ineinandergebunden. Um die ersteren zur Ruhe zu bringen, muáte der Knabe den gewaltigen Raubvogel, der sich aber nun schon nicht mehr wehren konnte, halb zu sich in den Felsenspalt ziehen, um ihm die Schwingen an den Leib zu drcken und dann mit Riemen festzubinden. Als dies geschehen war, konnte der Adler sich nicht mehr bewegen. Er war vollst„ndig berw„ltigt; der Sieger aber hatte nicht die geringste Verletzung davongetragen, der Vogel ebenso. Das Schwierigste war vorber; das Khnste konnte beginnen, n„mlich der fliegende Sturz oder der strzende Flug in die grausige Tiefe." //456// "Gott sei Dank, daá ich es nicht war!" meinte Pappermann. "Mir w„re dieses Wagnis gewiá nicht gelungen. Wen das Schicksal dazu verurteilt hat, Pappermann zu heiáen, der muá auf fester Erde bleiben, sonst geht er sicher kaputt! Doch weiter, schnell weiter! Ich bin gespannt!" Der Diener fuhr fort: "Nun das Raubtier geb„ndigt war, konnte der Knabe die Felsenspalte wieder verlassen. Er trat vor und schaute in den Abgrund. Es kam keine Spur von Zagen ber ihn. Es fiel ihm nicht ein, auch nur einen Augenblick zu z”gern. Jetzt war der Adler noch bei voller Kraft. Je schw„cher er wurde, desto gef„hrlicher war der Sprung von dem Horst in das g„hnende Nichts hinaus. Der Vogel stank nach Wild und Blut. Seine groáen, runden Augen glhten vor Haá und Wut. Und doch konnte nur er allein der Retter sein, weiter niemand, weiter nichts! Das sind R„tsel, die nur Einer l”sen kann, ein einziger, und dieser einzige ist gut, ist ewig gut! Der Knabe befestigte sich die besten seiner Riemen unter den Armen hindurch ber Brust und Rcken, band sie an die Krallen des Adlers, doch so, daá ihm die schlagenden Flgel des Vogels das Gesicht nicht verletzen konnten, und zog den letzteren bis hart an den Rand des Abgrundes. ,O Manitou, o Manitou!' rief er aus. Dann durchschnitt er die beiden Riemen, welche die Flgel fest an den Leib gehalten hatten. Der Adler regte sie; er bemhte sich, sie auszubreiten, aber er konnte sich nicht aufrichten, weil ihm die Krallen zusammengebunden waren. ,O Manitou, o Manitou!' betete der Knabe noch einmal. Dann schloá er die Augen, glitt langsam ber den Rand des Felsens hinaus und zog den Vogel nach." //457// "Weiter, weiter! " rief Pappermann. "Ich kann es nicht erwarten! "Ja, schnell, schnell!" bat auch das Herzle. Intschu-inta gehorchte: "Ich habe gesagt, daá der Knabe die Augen schloá. Strzte er? Nein. Er w„re in einigen Sekunden unten in der Tiefe aufgeschlagen. Aber die Sekunden vergingen, und er lebte noch. ber ihm rauschten Flgel. Er schwankte hin und her. Der Adler schrie in einem fort. Sein Kreischen klang ber Berg und Tal, das jedermann zur H”he schauen muáte. Da ”ffnete der Knabe die Augen. Er sah, daá er fiel, best„ndig fiel, aber nicht strzend, sondern langsam, in einer abw„rts gehenden Schraubenlinie. Der Adler wehrte sich. Er wollte nicht nieder. Er arbeitete mit allen Kr„ften seiner Schwingen. Aber der Knabe war zu schwer; der zog ihn hinab, bis in die N„he des Schlosses. Da erreichten sie den festen Boden. Aber der Knabe war noch nicht gerettet. Er hatte sein Messer nicht mehr. Er konnte die Riemen nicht durchschneiden, sich nicht vom Vogel befreien, der sich bemhte, wieder aufzusteigen. Es entspann sich ein Kampf, in dem der Adler st„rker als der Knabe war. Er schlug ihn mit den Schwingen; er riá ihn hin und her. Leute eilten herbei. Die Angst vor ihnen verdoppelte die Kr„fte des Adlers. Er berwand die an ihm h„ngende Last. Er ging noch einmal in die Luft, wenn auch nicht hoch. Er flog eine kurze Strecke weit, dann sank er wieder zur Erde, die er grad vor uns erreichte, vor Tatellah-Satah und vor mir. Da lag ein Stein. Ich hob ihn auf, und wir erschlugen den Riesenvogel. Der Knabe war gerettet. Die Flgelschl„ge hatten ihn arg mitgenommen; aber er l„chelte. Er jubelte sogar. Denn er hatte erreicht, was er erreichen wollte, n„mlich //458// seine - - Medizin. Seitdem wird er der ,junge Adler' genannt, und das Fliegen ist es, wovon er am liebsten spricht. Er ist sogar nach den St„dten und D”rfern der Bleichgesichter gegangen, um es dort zu lernen." "Und kann er es?" fragte das Herzle. "Das weiá ich noch nicht. Aber er ist schon seit gestern dabei, sich eigene FlgeI zu bauen. Also scheint er es doch zu k”nnen. Das drfen aber nur wir wissen, andere nicht." Wir waren w„hrend dieser Erz„hlung eine gute Strecke vorw„rts gekommen und folgten nun einer ganzen Reihe von T„lern und Schluchten, welche miteinander im Zusammenhange standen, aber nach so verschiedenen Richtungen fhrten, daá es oft schwer war, zu sagen, ob wir nach Nord oder Sd, nach Ost oder West ritten. Schon waren wir ber drei Stunden unterwegs. Da stieáen wir auf einen kleinen Fluá, dessen Wasser man es ansah, daá es nicht aus einer erdigen oder gar lehmigen, sondern aus einer felsigen Gegend kam. "Das ist das ,Wasser der H”hle', an dem wir nun aufw„rts reiten werden", sagte Intschu-inta. "Es kommt aus der H”hle und fhrt uns also direkt nach unserem Ziele." Wir schwenkten in diese Richtung ein. Als wir an dieses Wasser kamen, hatten wir den tiefsten Punkt unseres heutigen Weges erreicht. Nun ging es wieder aufw„rts, dem Mount Winnetou zu, wenn auch von einer anderen Seite. Wir hatten einen groáen Umweg gemacht. In der Luftlinie standen wir dem Berg ganz bedeutend n„her. Das Tal des Fláchens war eng und dabei dicht mit Nadelholz bewachsen. Oft fanden wir vor lauter Baumwuchs kaum genug Platz zum Vorw„rtskommen. Das dauerte weit ber eine Stunde lang. //459// Dabei wurden die Seiten des Fluátales immer h”her und h”her. Dann kam eine Stelle, wo sie pl”tzlich weit auseinandertraten und wohl eine halbe Reitstunde lang in schnurgerader Richtung verliefen. Dadurch entstand eine groáe, lange, pfannen„hnliche Bodenvertiefung, deren Sohle der Fluá wie eine mit dem Lineal gezogene Schnur durchschnitt. Eine ganz erstaunliche Vegetation von Riesenb„umen stieg zu beiden Seiten hoch empor. Zwischen den gigantischen St„mmen gab es dichtes Unterholz in Menge. Dicht war auch das Gestr„uch, welches den Boden dieser Felsenpfanne bedeckte. Einzelne Laub- und Nadelkronen ragten daraus empor. Hier gab es Laub und Gras in reicher Menge, zum Futter fr die Pferde. Allerdings, wenn die Pferde nach Tausenden z„hlten und nicht nur einige Tage, sondern l„ngere Zeit zu bleiben hatten, so reichte auch diese Menge nicht aus. "Das ist das Tal der H”hle", sagte Intschu-inta. "Und wo ist die H”hle?" fragte das Herzle. "Ganz hinten, am Ende des Tales, wo es direkt an den Mount Winnetou st”át. Kommt!" Wir ritten weiter. Also hier war es, wo die verbndeten Sioux, Utah, Kiowa und Komantschen sich verstecken wollten. Der Platz war gar nicht bel von ihnen gew„hlt. Nur lag er von uns sehr weit entfernt, und wer uns von hier aus berfallen wollte, der hatte vorher einen fnf Stunden langen, mhsamen Weg zurckzulegen. Oder gab es vielleicht einen krzeren, bequemeren Weg? Und war er unseren Gegnern bekannt? Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf. Sie erschienen mir der Beobachtung wert. Und sonderbar, kaum hatte ich ihnen Raum gegeben, so parierte ich mein Pferd und winkte den anderen, auch innezuhalten. Ich sah n„mlich eine Spur. Ich //460// stieg ab, sie zu untersuchen. Sie stammte von zwei Pferden, die nicht denselben Weg wie wir gekommen waren, sondern links von der H”he herab, und zwar vor h”chstens einer Stunde. Es gab also zwei Reiter, die da vor uns waren. Wer sie waren, konnte ich aus den Spuren nicht ersehen, jedenfalls aber Indianer. Ich nahm meinen Revolver aus der Tasche. Wir ritten weiter, aber langsam und vorsichtig, so ger„uschlos wie m”glich, immer einer hinter dem andern, ich voran. Wir folgten den Spuren, die in dem weichen, von den H”hen herabgeschwemmten Boden sehr deutlich zu sehen waren. Sie fhrten am Fluá hin, zwischen den Bschen hindurch, nach dem hinteren Teil der Talpfanne. "Sie sind nach der H”hle", sagte Intschu-inta. "Sie kennen sie!" "Und zwar so gut", fgte ich hinzu, "daá sie quer ber die wilden Vorberge gekommen sind und sie dennoch gefunden haben. Ihre Kenntnis ist also genauer noch als die deine." Wir n„herten uns dem Ende des Tales. Es h”rte da auf, wo der Fluá direkt aus dem Innern des Berges trat. Eine Oeffnung fhrte hinein. Sie war dreimal breiter als der Fluá und nur so hoch, daá ein Reiter hinein konnte, ohne sich bcken zu mssen. Das war der Eingang zu der groáen H”hle, die wir kennenlernen wollten. Vor diesem Eingange gab es einen kleinen, freien Platz, der von dem herabstrzenden Steinger”ll bestrichen wurde und darum vegetationslos war. Am Rand dieses Platzes angekommen, hielten wir an, denn nun sahen wir die beiden Reiter, die wir suchten. Sie waren abgestiegen und lagen auf dem Bauch an der Erde, mit den K”pfen ber etwas Weiáes gebeugt, was ein Papier oder sonst dem „hnliches zu sein schien. Ihre //461// Pferde knusperten von den letztj„hrigen Zweigen der Bsche. Die beiden S„ttel lagen in der N„he, dabei einige Taschen und Pakete, auch die Gewehre. Wir stiegen ab und fhrten unsere Pferde eine kleine Strecke zurck, um sie dort anzubinden, sonst konnten wir durch sie verraten werden. Dann kehrten wir wieder nach dem Buschrand zurck, um die beiden M„nner zu beobachten. "Kennst du sie?" fragte ich das Herzle. "Nein", antwortete sie. "Du hast sie aber gesehen!" "Nein, gewiá nicht!" "Aber doch! Sogar mehrere Stunden lang!" "Wo?" "Im ,Hause des Todes', bei der Beratung der H„uptlinge. Es sind die beiden Medizinm„nner der Kiowa und der Komantschen, welche den Altar ”ffneten." "Wirklich?" "Ganz gewiá!" "Dein Auge ist sicherer als das meine. Ich habe sie nur bei dem ungewissen, flackernden Licht der Feuer gesehen." "Ich auch. Aber der Westmann gibt sich vor allen Dingen Mhe, sich die Gesichtszge derer, die ihm wichtig sind, so gut wie m”glich einzupr„gen. Darin bist du nicht gebt. Das Papier, mit dem sie sich besch„ftigen, kann kein gew”hnliches sein. Mir scheint, es ist eine Karte oder so etwas. Sie fahren mit den Fingern darauf herum, heftig, als ob sie sich stritten. Sie sprechen dabei so laut, daá man es sogar hier bei uns fast h”ren kann. Ich schleiche mich hin, sie zu belauschen." "Ich mit?" "Nein, liebes Herzle", lachte ich. "In welcher //462// Sprache willst du lauschen? Und dein Anschleichen drfte wohl etwas laut ausfallen." "Schade! Ich m”chte gern auch mittun! Wie nun, wenn sie dich ermorden wollen? Erschieáen, erschlagen oder erstechen?" "So kommst du schnell, mir zu helfen!" "Das darf ich?" "Ja, das darfst du! Du darfst sogar dabei schreien und brllen und heulen, so sehr und so viel du nur willst!" "So geh! Ich komme sogar auf alle F„lle!" Ich gab Pappermann und Intschu-inta die n”tige Anweisung und trat dann zwischen die Bsche, um mich zu den Indianern hinzuschleichen. Das fiel mir nicht schwer, denn sie waren so sehr mit sich selbst besch„ftigt, daá sie weder Augen noch Ohren fr etwas anderes zu haben schienen. Ich kam so nahe an sie heran, daá ich von dem Strauch aus, der mich verbarg, mit meiner Hand den Fuá des auf dem Bauch ausgestreckten Kiowa h„tte ergreifen k”nnen. Das Thema, welches sie behandelten, war von gr”áter Wichtigkeit, nicht nur fr sie, sondern ebensosehr auch fr mich. Das, was ich fr Papier gehalten hatte, war nicht Papier, sondern Leder, seidendnn pergamentartig zubereitetes Leder, auf beiden Seiten beschrieben oder wohl auch bemalt. Die eine Seite enthielt eine genaue Zeichnung des Mount Winnetou und den Situationsplan des "Schlosses", welches der "Bewahrer der groáen Medizin" bewohnte. Auf der anderen Seite befand sich eine ebenso genaue Karte des Inneren der groáen H”hle, vor welcher wir uns befanden. Das wuáte ich schon nach Verlauf der ersten Minute, in der ich lauschte. Die Unterhaltung war sehr bewegt. Die Karte wurde bald //463// hinum- und bald wieder herumgedreht. Man nannte, suchte und fand die verschiedensten Namen, Stellen und Punkte. Das alles h”rte ich und merkte es mir. Ich erfuhr, daá die Karte dem Medizinmann der Komantschen geh”rte. Sie war ein ur-, uraltes Erbstck seiner Familie. Niemand auáer ihm durfte von ihr wissen, und nur der groáe, hochwichtige Zweck, der heut und hier zu verfolgen war, hatte ihn veranlaát, dieses Geheimnis zu lften. Der Medizinmann der Kiowa war auáerordentlich begierig darauf, den Inhalt dieser ledernen Urkunde genau kennenzulernen und sich einzupr„gen. "Also es ist gewiá und wahrhaftig und wirklich so, wie es hier steht?" fragte er. "Ja, wirklich!" nickte der Komantsche. "Wir liegen jetzt hier, an dieser Stelle?" Dabei deutete er auf den betreffenden Punkt der Karte. "Ja", antwortete der andere. "Und von hier aus kann man unterirdisch bis auf den Mount Winnetou kommen? Nicht nur gehend, sondern sogar zu Pferde?" "Gewiá, zu Pferde." "Und auf diesem Weg willst du uns und unsere viertausend Krieger nach oben fhren, um Tatellah-Satah und seinen ganzen Anhang zu berfallen? Uff, Uff! Das ist ein groáer Plan, ein sehr groáer Plan! Hat mein roter Bruder diesen Weg schon einmal gemacht? Ist er schon einmal oben gewesen?" "Nein, aber einer meiner Ahnen hat es heimlich versucht, und es gelang. Der Weg endet an mehreren Stellen; es gelang ihm aber nur, das eine Ende zu erreichen, nach dem auch ich gelangen will." "Das ist hinter dem Schleierfall?" //464// "Ja, Das ist der einzige Punkt, den man zu Pferde erreichen kann. Zu den anderen Punkten kann man nur zu Fuá kommen." "Aber wenn es nicht gelingt? Wenn ber viertausend Menschen in der H”hle stecken, ohne vor- oder rckw„rts zu k”nnen? Bedenke mein Bruder, was so viele Menschen und so viele Pferde brauchen!" Ich habe es bedacht. Ich bin darum vorausgeritten, um die H”hle vorher zu untersuchen. Und ich nahm dazu nur dich, meinen roten Bruder, mit, keinen andern Menschen, weil du ebenso ein Bewahrer der Medizin bist wie ich und Tatellah-Satah. Dir darf ich vertrauen." "So laá uns keine Zeit verlieren, sondern beginnen!" Er stand auf. Sie hatten sich also nicht gezankt, sondern es hatte infolge ihrer Lebhaftigkeit nur so geschienen. Der Komantsche erhob sich auch vom Boden. Er legte die Karte mit groáer, sorgf„ltiger Langsamkeit zusammen, um sie dann einzustecken. Da richtete auch ich mich auf, trat hinter dem Gezweig hervor und sagte: "Meine roten Brder werden wahrscheinlich doch ein wenig Zeit verlieren, ehe sie beginnen!" "Uff!" rief der Kiowa erschrocken. "Ein Weiáer!" "Uff, uff! Ein Bleichgesicht!" rief zu gleicher Zeit auch der Komantsche. Ich riá ihm das Pergament aus der Hand, steckte es nicht in seine, sondern in meine Tasche, stellte mich so, daá sie nicht zu ihren Gewehren konnten, und fuhr fort: "Ich nehme diese Karte einstweilen zu mir, weil ich euch helfen werde, den darauf bezeichneten Weg durch die H”hle zu finden!" //465// Nun hatten sie sich von ihrer Ueberraschung erholt. Sie richteten sich hoch und kampfbereit auf. "Wer bist du, daá du es wagst, mich zu bestehlen?" fragte der Komantsche. Dabei n„herte er sich mir, um zu seinem Gewehr zu gelangen. Ich zog den Revolver, spannte ihn und antwortete: "Ich stehle nicht! Wenn diese Karte dein rechtm„áiges Eigentum ist, wirst du sie wiederbekommen. Weg von den Gewehren, sonst schieáe ich! Ich bin nicht allein!" Ich winkte. Da kamen Pappermann, Intschu-inta und die Winnetous, das Herzle langsam hinterher. "Uff, uff!" rief der Kiowa, als er Pappermann erblickte. "Ein halbes, blaues Gesicht!" "Und eine weiáe Squaw!" fgte der Komantsche hinzu, jetzt wirklich erschrocken. "Ihr habt von diesem blauen Gesicht und von dieser Squaw geh”rt. Wer also bin ich?" fragte ich. "Old Shatterhand!" antwortete der Komantsche. "Old Shatterhand!" rief auch der Kiowa. "Unser Feind, unser grimmigster Feind!" "Das ist eine Lge! Ich bin keines Menschen Feind. ja, ich k”nnte wohl eher der Feind eines Weiáen als eines Roten sein! Fragt eure H„uptlinge, wie ich sie geschont habe! Fragt eure alten Krieger, ob sie ein Wort des Hasses von mir h”rten oder euch eine einzige Tat der Rache von mir berichten k”nnen! Ich liebe alle Menschen, und ich liebe auch euch. Ich will euer Glck und trete darum jeder eurer Absicht entgegen, die euch zum Unglck fhrt. Eine solche Absicht ist es, die ihr heut verfolgt. Ich dulde nicht, daá sie zur Ausfhrung kommt. Setzt euch wieder nieder, und gebt eure Messer ab. Ihr seid gefangen!" //466// "Wir sind nicht gefangen, sondern - - -" Mit diesen Worten sprang der Komantsche auf mich ein, doch wich ich einen Schritt nach rechts, faáte ihn an der Seite und warf ihn zur Erde. Intschu-inta, der Riese, kniete ihm auf die Brust und berw„ltigte ihn ohne alle Mhe. Ebenso verfuhr der wackere, alte Pappermann mit dem Kiowa. In krzester Zeit waren die beiden Gefangenen derart gefesselt, daá sie sich nicht rhren konnten. Wir setzten uns zu ihnen nieder. Die Winnetous holten unsere Pferde. Ich aber nahm vor allen Dingen die Karte wieder aus der Tasche und schlug sie auf, um sie genau zu betrachten. Sobald ich den ersten Blick auf sie geworfen hatte, wuáte ich, woran ich war. Ich wendete mich an den Komantschen: "Avat-towah, der Medizinmann der Komantschen, mag mir sagen, ob er eine groáe Sammlung von Bchern, also eine Bibliothek, besitzt." "Ich habe keine", antwortete er. "Es gibt bei allen M„nnern der Komantschen keine." "Weiá Avat-towah vielleicht, wo es eine gibt?" "Hier am Mount Winnetou, bei Tatellah-Satah." "Sonst nirgends?" "Ich weiá keine andere." "So wirst du diese Karte nicht wiederbekommen. Ich habe sie ihrem rechtm„áigen Eigentmer auszuliefern. Sie geh”rt Tatellah-Satah. Sie wurde ihm gestohlen." "Das ist eine Lge!" brauste der Medizinmann auf. "Das ist keine Lge, sondern die Wahrheit." "Beweise es!" "Sofort! Nur besitzt du wahrscheinlich nicht die Kentnisse, welche dazu geh”ren, zu verstehen, was ich sage. Diese Karte ist n„mlich numeriert, und zwar im alten Pokontschidialekt der Mayasprache. Hier unten, in //467// dieser Ecke, stehen die Hunderter: Jo-tuc: d. h. fnfmal vierzig; das bedeutet also zweihundert. Und hier in der anderen Ecke stehen die Zehner und Einer: wuk-laj; das heiát sieben und zehn, also siebzehn. Diese Karte ist also Nummer zweihundertsiebzehn der betreffenden Bibliothek oder einer ihrer Abteilungen. Ich werde sie Tatellah-Satah zeigen, und es wird sich heraustellen, daá sie ihm geh”rt." "Nichts hast du ihm zu zeigen, und nichts hat ihm zu geh”ren! Diese Karte ist gestohlen, aber erst jetzt von dir! Du bist der Dieb!" "Schweig, sonst geb ich dir eins auf das Maul, alter Spitzbube!" unterbrach ihn Pappermann. "Wo sind die Brder Enters?" Das war kein bler Trick, daá er diesen Namen brachte. Die beiden Roten erfuhren dadurch in bequemster Weise, daá wir nicht so unwissend waren, wie sie wahrscheinlich annahmen. Sie konnten ihre Ueberraschung nicht ganz verbergen, doch beherrschten sie sich schnell, und der Komantsche fragte in gleichgltigem Ton: "Enters? Wer ist das?" "Das sind die zwei Brder, die versprochen haben, uns an euch auszuliefern. Nun wiát ihr genug, um berzeugt sein zu k”nnen, daá wir gar keinen Grund und gar keine Lust haben, euch in Samt und Seide einzuwickeln. Sagt noch ein einziges Wort, was uns nicht gef„llt, so setzt es Hiebe, ganz gewaltige Hiebe ab!" Es w„re zwar besser gewesen, wenn Pappermann mich h„tte reden lassen; aber heut war es nach seinen frheren Jahren zum ersten Mal seit langer, langer Zeit, daá er wieder einmal Gefangene vor sich hatte, und so g”nnte ich dem alten, braven Burschen ganz gern die billige Genugtuung, ein wenig zu bramarbasieren. Die //468// beiden Medizinm„nner waren von jetzt an still. Der Name Enters hatte sie bedenklich gemacht. Wir muáten zun„chst essen. Das Herzle packte also die mitgebrachten Speisen aus und legte uns vor. Die Pferde wurden abgesattelt. Sie durften trinken und sich dann ihr grnes Futter suchen. Mir war die Karte ganz selbstverst„ndlich wichtiger als das Essen. Ich studierte sie genau und zog dabei Intschu-inta zu Rate, der mir versichert hatte, daá er die H”hle genau kenne. Da stellte sich ein Widerspruch zwischen ihm und der Karte heraus. Nach der letzteren gab es hier unten im Tal allerdings nur den einen Eingang zur H”hle, vor dem wir uns befanden, droben auf der H”he aber drei verschiedene Ausg„nge, zwei schmale und einen breiten. Der breite war der Pferdeweg, der hinter dem Schleierfall mndete. Die beiden anderen waren Fuáwege, die an einer gewissen Stelle von dem Pferdeweg abzweigten, noch eine Strecke beisammen blieben und dann sich teilten. Der eine mndete droben im Schloá; an welcher Stelle, das war nicht zu sagen; es genau zu bestimmen, war die Zeichnung zu klein. Der andere stieg nicht ganz so hoch. Er ging im Binnental aus; wie es schien, in der N„he der angefangenen Riesenstatue Winnetous oder einer der beiden Teufelskanzeln. Intschu-inta aber kannte keinen dieser drei Ausg„nge. Er wuáte zwar, daá frher, in alten Zeiten, mehrere Ausmndungen der H”hle vorhanden gewesen seien, doch habe man sie zugeschttet. Warum, das wuáte er nicht. Er behauptete, daá der H”hlenweg immer breit und sehr gut gangbar, im Innern des Berges aufw„rts fhre, bis er pl”tzlich schmal werde und dann vor einer Tropfsteingruppe ende. Diese Gruppe liege etwas seitw„rts vor dem Schleierfall, den man noch in der H”hle strzen h”re, wenn man scharfe Ohren habe. //469// Wer hatte nun recht? Intschu-inta oder die Karte? Jedenfalls die letztere. Ich beschloá also, mich auf sie zu verlassen, wenigstens in Beziehung auf den oberen Teil der H”hle und die dort befindlichen Ausg„nge. Bis dorthin aber konnte ich der Ortskenntnis des "Dieners" vollst„ndig trauen. Darum beschloá ich, die Pferde nicht hier zu lassen, sondern mitzunehmen. Wir hatten angenommen, nach dem Eingang zurckkehren zu mssen; aber wenn es oben einen so breiten und bequemen Ausgang gab, wie er auf der Karte verzeichnet war, so befanden wir uns dort ja schon daheim und hatten nicht n”tig, den Rckweg durch die H”hle zu machen und dann noch fnf Stunden weit nach Hause zu reiten. Intschu-inta blieb zwar dabei, daá wir, zumal mit den Pferden, unbedingt gezwungen sein wrden, wieder umzukehren; ich aber war der Ansicht; daá kein vernnftiger Mensch auf den Gedanken gekommen sein k”nne, die drei Ausg„nge v”llig zuzuschtten. Ich nahm vielmehr an, daá sie nur maskiert, also versteckt worden seien, und verlieá mich da auf meine Kombination und auf meine guten Augen. Sofort nach dem Essen bereiteten wir uns zur Durchforschung der H”hle vor. Wir selbst hatten Fackeln und Lichter mitgebracht, und als wir die Pakete der beiden Gefangenen ”ffneten, sahen wir, daá auch sie sehr reichlich damit versehen waren. Der Feuchtigkeit und Khle wegen hatten wir uns groáe, dnne, aber wasserfeste indianische Decken mitgenommen, die wir wie M„ntel um uns legen konnten. Die Pferde wurden wieder gesattelt, die Medizinm„nner auf die ihrigen festgebunden, einige Fackeln angebrannt, und dann begannen wir den unterirdischen Ritt, von dem ich mir so gute Erfolge versprach, obgleich ich gar nicht wuáte, woher sie kommen sollten. //470// Ich wrde mehrere Druckbogen brauchen, um das Innere dieser wunderbaren H”hle auch nur einigermaáen zu beschreiben, doch kann ich dies einstweilen unterlassen, da sich mir sp„ter reichlich Gelegenheit geben wird, sie so zu schildern, wie sie es verdient. Sie kommt in Winnetous Testament des ”fteren vor und ist dort der Schauplatz von Begebenheiten, ber die ich jetzt noch schweigen muá. Wir ritten durch eine geradezu herrliche Unterwelt. Voran Intschu-inta mit einem Winnetou als Fackeltr„ger, hinter ihnen ich mit dem Herzle, hierauf die Gefangenen, dann Pappermann mit den brigen Winnetous, von denen einer die zweite Fackel trug. Wo es n”tig war, zndeten wir uns zu den Fackeln auch noch Lichter an. Der Weg ging unausgesetzt aufw„rts, und zwar oft ziemlich steil. Die H”hle war sogar an ihren niedrigsten Stellen so hoch, daá wir nirgends von den Pferden zu steigen brauchten. Kein einziger der unterirdischen R„ume, durch die wir kamen, glich einem anderen. Es folgte Abwechslung auf Abwechslung, Ueberraschung auf Ueberraschung. Oft war die Ueberraschung so groá, daá wir uns lauter Ausrufe der Bewunderung nicht enthalten konnten. Es war ein Reich der herrlichsten Tropfsteinm„rchen, welches wir da kennenlernten. Die k”stlichen Gedanken, zu Spat, Aragonit und Sinter erstarrt, wuchsen als Stalaktiten von oben herab. Ebenso k”stliche Stalagmiten stiegen ihnen von unten aus entgegen, um sich mit ihnen zu Pfeifen, S„ulen, Orgeln und anderen Gebilden zu vereinigen, von denen man kaum glauben konnte, daá sie der Erde angeh”rten. Wir aber hatten leider nicht Zeit zu eingehender Betrachtung, die wir uns fr sp„ter aufheben muáten. Es dr„ngte uns vorw„rts, vorw„rts, hinauf nach der Stelle, wo es sich zu entscheiden hatte, ob wir weiter konnten oder nicht. So //471// ritten wir durch G„nge und Tunnels, durch kleine Kammern und riesige S„le, durch Refektorien und Kirchen, durch Vorh”fe und weite S„ulenhalle, durch Veranden und Korridore. Wir kamen an Abgrnden vorber, in deren Tiefe der Fluá rauschte. Wir schlpften zwischen dnnen Wasserf„den hindurch, die wie aus unsichtbaren Gartenschl„uchen spritzten. Wir kamen ber Stellen, wo es zu regnen schien. Wir sahen Kaskaden springen und Wasserstrahlen aus unsichtbaren Dachtraufen strzen. Aber wir verweilten uns nicht: weiter ging es, immer weiter, bis endlich der breite Weg zu Ende war. Er wurde mit einem Male so schmal und so unbequem, daá nur noch Fuág„nger vorw„rts konnten. "Du siehst, daá ich recht hatte", sagte Intschu-inta. "Der Weg fr Pferde ist zu Ende. Er fhrt nicht weiter. Es gibt keine Mndung, die hinter dem Schleierfall einen Ausgang bildet." Er schien recht zu haben. Wir befanden uns in einem breiten Gang, der vor einer Doppelgruppe von Stalaktiten und Stalagmiten haltmachte und sich dann als sehr schmaler Weg von dieser Gruppe nach rechts wendete. Nach der Karte aber machte er diese Wendung nicht, sondern er ging geradeaus, nachdem er den schmalen Pfad von sich abgezweigt hatte. Das war der entscheidende Punkt! Jetzt muáte es sich zeigen, ob ich mich auf meine Augen und auf mein Kombinationsverm”gen verlassen konnte oder nicht! Ich begann, die Tropfsteingruppe zu untersuchen, und sah sehr bald daá es gar keiner groáen Klugheit bedurfte, das Richtige zu entdecken. Stalaktiten sind n„mlich Tropfsteine, die sich von oben, also von der Decke herab, bilden. Unter Stalagmiten aber versteht man die Tropf steine, die aus dem Boden in die H”he wachsen. Treffen beide in der Mitte //472// zusammen, so bilden sich nach und nach S„ulen und S„ulengruppen. Die Stalagmiten entstehen anders als die Stalaktiten. Beide sind sehr leicht voneinander zu unterscheiden, weil sie nicht dieselbe Struktur besitzen. Hier nun sah ich sogleich; daá die von oben herabh„ngenden Tropfsteine echt waren; die von unten emporragenden aber waren nicht echt; sie waren Stalaktiten, keine Stalagmiten. Sie waren nicht an dieser Stelle entstanden, sondern man hatte sie hergeschafft und hier zusammengestellt. Warum und wozu? Sehr einfach: Um den breiten Pfad abzuschneiden, um ihn zu maskieren, zu verbergen, ganz genauso, wie ich vermutet hatte. Ich rttelte an dem „uáersten dieser Steine; er lieá sich bewegen. Ich schaffte ihn zur Seite. Um das zu tun, war ich vom Pferde gestiegen. Die anderen folgten diesem Beispiele und halfen, auch die n„chsten Steine zu entfernen. Dadurch wurde schon nach kurzer Zeit der breite Weg wenigstens so weit frei, daá wir uns von seiner Fortsetzung berzeugen konnten. Wir vergr”áerten die Bresche, bis ein Mann hindurch konnte. Da forderte ich Pappermann und einen der fackeltragenden Winnetous auf, mir in die Lcke zu folgen. Ich wollte sehen, was dahinter lag. Die anderen sollten warten und inzwischen noch so viele Steine zur Seite schaffen, bis auch die Pferde passieren konnten. Wir drei nahmen zu der einen, brennenden Fackel noch eine zweite als Reserve mit und drangen dann weiter vor, natrlich zu Fuáe. Es ging jetzt noch steiler empor als vorher. Bald h”rten wir es vor uns rauschen, dann brausen, dann donnern, ganz wie in der unmittelbaren N„he des Niagarafalles. Dieses Brausen und Tosen wurde so stark, daá wir unsere eigenen Worte nicht mehr h”rten. Die Wand zu unserer Rechten sank in die Tiefe; //473// die zu unserer Linken blieb. Von oben d„mmerte es, als ob der Tag durch eine starke Milchglasscheibe zu uns herniederschaue. Und pl”tzlich, nach einer Biegung des Weges, sahen wir ihn strzend herniederbrausen, den Schleierfall, in die Unterwelt, in der er sich zu dem Fláchen bildete, an dem wir vorhin nach der H”hle geritten waren. Es wehte ein so scharfer Wind, daá wir die Hte festhalten muáten. Wir schritten wie auf einer Felsenstraáe der Schweiz. Auf der einen Seite die Felswand, auf der anderen der g„hnende Abgrund, in dem der Wasserfall verschwand. Keine Barriere schtzte uns. Aber der Weg war fest und so breit, daá vier Pferde nebeneinander gehen konnten. So passierten wir den Wasserfall in seiner ganzen Breite, bis wir an ihm vorber waren, das Oberlicht verschwand und wir uns wieder nur auf das Licht unserer Fackel verlassen muáten. Hierauf ging es durch einen sehr aufw„rts strebenden Stollen, der nicht geraden Laufes, sondern gebogen war. Hier lieá sich das Ger„usch des Wasserfalles wieder vernehmen. Es wurde immer st„rker und st„rker, und als es so stark geworden war, daá es uns beinahe bet„ubte, sahen wir wieder den Schein des Tages, doch nicht von oben, sondern von vorn. Wir gingen darauf zu und befanden uns wenige Augenblicke sp„ter im Freien. Oder vielmehr nicht eigentlich im Freien, sondern zwischen der tosenden Masse des Schleierfalles und dem hochaufstrebenden Felsen, von dem sie sich, herunterstrzte. Wir standen hart an dem Abgrund, in dem sie verschwand. Da unten waren wir soeben vorbeigekommen. Wir befanden uns genau in derselben Lage, wie die Besucher des Niagarafalles, die sich hinter die herniederschmetternde Wogenwand bringen lassen, um dann sp„ter davon erz„hlen zu k”nnen. Man brauchte nur zwischen Wasser und Felsen nach dem „uáersten //474// Ende des Falles zu gehen, um durch ein dort befindliches Pflanzengestrpp hinaus auf die feste, trockene Erde zu gelangen. Ich wuáte nun genug. Wir kehrten also nach der Stelle zurck, an der sich unsere Begleiter befanden. Als wir dort ankamen, waren sie mit ihrer Arbeit noch nicht fertig. Die fortzuschaffenden Steine besaáen ein derartiges Gewicht, daá lange Zeit dazu geh”rte, sie entfernen. Das benutzte ich zu einer weiteren Exkursion. Ich wollte nun auch wissen, wohin der schmale Weg uns fhrte. Hierzu lieá ich mich aber nicht von Pappermann, sondern von Intschu-inta und einem Fackeltr„ger begleiten. Das Herzle bat, mitgehen zu drfen, und ich willigte ein, obgleich ihre Gegenwart uns das Suchen nicht erleichtern, sondern nur erschweren konnte. Ich rechnete, daá wir uns hier fast genau unter der Stelle befanden, auf welcher da oben die gewichtige Winnetoustatue sich im Bau zu erheben begann. Von hier aus bis zu der Stelle, wo der schmale Weg sich nach der Karte in zwei noch schm„lere Wege teilte, war gar nicht weit. Als wir hingelangten, sah ich augenblicklich, daá hier wieder Stalaktiten anstatt Stalagmiten lagen. Man hatte also auch da maskiert. Intschu-inta merkte nichts. Er blieb nicht stehen. Er ahnte nicht, daá sich hier einer der schmalen Wege abzweigte, und ging mit dem Fackeltr„ger weiter. Ich folgte ihnen, ohne etwas zu sagen. Der Weg, den sie vers„umten, war jedenfalls derjenige, der bei den Teufelskanzeln mndete. Den wollte ich mir aber fr mich allein aufheben. Der weitere Weg fhrte nach der Karte hinauf zum Schloá, und den h„tte ich sehr gern heute noch kennengelernt. Wir folgten darum dem schmalen Weg so weit, bis er zu enden schien. //475// "Da h”rt er auf", sagte Intschu-inta, indem er stehenblieb. "Und geht nicht weiter?" fragte ich. "Nein. Genau wie vorhin!" "Ja, genau wie vorhin! Nimmt man die Steine weg, die ihn verhallen, so sieht man sofort, daá er nicht alle ist, sondern sich hinter den Steinen fortsetzt. Fort mit ihnen!" Diese Stalaktiten waren nicht schwer. Ich hob einige zur Seite. Intschu-inta half. Was ich gedacht hatte, das zeigte sich: der Weg ging weiter. Hier war es gar nicht n”tig, alle Steine zu entfernen. Es gengte, ber sie hinwegzusteigen. Dann hinderte uns nichts mehr, weiterzugehen. Wir taten es. Aber von hier an h”rten die Tropfsteine auf. Es gab nur noch H”hlen ohne Sinterbildung. Und sie lagen immer eine h”her als die andere. Man hatte zu steigen. Schlieálich h”rte diese Bildung natrlicher Hohlr„ume ganz auf, und es ging zwischen Felsenspalten empor, auf knstlichen Stufen und G„ngen, die bermauert waren. Dabei war die Luft auáerordentlich trocken und rein. Ich hatte nicht nach der Uhr gesehen und auch weder die Stufen noch unsere Schritte gez„hlt; aber es war mir, als ob wir schon weit ber eine Viertelstunde emporgestiegen seien; da h”rten die Stufen pl”tzlich auf. Wir konnten nicht weiter. Wir befanden uns auf einer schmalen steinernen Treppe. Unter uns die Stufen, rechts Mauer, links Mauer, ber uns Mauer. Nirgends eine Tr, ein Fenster, eine Oeffnung oder sonst etwas dem „hnliches! Wie da hinauskommen? Grad ber der letzten, also obersten Stufe war eine Steinplatte angebracht. Sie konnte nicht schwer sein, denn sie war h”chstens drei Spannen im Geviert. Ich versuchte, sie zu heben. Es ging nicht. Sie hatte zwei //476// Vertiefungen, die jedenfalls nicht ohne Absicht angebracht worden waren. Ich konnte das Heft meines Messers hineinstecken. Dadurch gewann ich einen Griff, die Platte zu verschieben. Ich versuchte dies nach vorn, nach hinten, nach rechts - - vergeblich. Aber nach links bewegte sie sich endlich. Ich hatte das Gefhl, als ob sie auf einer Rolle laufe. Es entstand ber mir eine viereckige Oeffnung, durch welche ich steigen konnte. Ich tat dies aber nicht sofort, sondern ich war so vorsichtig, meinen Kopf nur erst bis zu den Augen hineinzustecken. Was sah ich? Einen sehr hohen, achteckigen, gemauerten Raum mit zwei Tren. Die W„nde waren vollst„ndig mit Passifloren )* berwachsen, deren Ranken bis hinauf an die Decke reichten, wo es rundurn zahlreiche Oeffnungen gab, das n”tige Licht hereinzulassen. Die Ranken waren so dicht, daá man von der darunterliegenden Mauer nichts sehen konnte. Sie grnten und blhten, und zwar fast berreich. Daá dies noch jetzt in der ziemlich sp„ten Jahreszeit geschah, war wohl eine Folge der H”henlage und auch des Umstandes, daá die Vegetation nicht im Freien stattfand, sondern auf das Innere eines geschlossenen Raumes angewiesen war. Die Passionsblume hat bekanntlich ber zweihundert Arten; hier aber waren nur zwei derselben vertreten. Die eigentliche Fl„chenbekleidung wurde von Passiflora quadrangularis gebildet, deren Prachtblumen, innen rosenrot angehaucht, einen Durchmesser von zehn Zentimeter besaáen. Das ergab rundum eine Bltenpracht sondergleichen. Von diesem Untergrund stach an der einen Wand eine vollst„ndig weiá blhende Passiflora incarnata ab , die so gezogen und beschnitten war, daá sie ein vier Meter hohes, aufrecht- _________________________ *) Passionsblumen //477// stehendes [aufrechtstehendes] Kreuz bildete, ein ganz auff„lliges Zeichen des Christentums hier an diesem mir fremden, geheimnisvollen Orte. Mir gegenber gab es eine Tr, welche nicht ge”ffnet war. Und da, wo ich mich befand, schien auch eine zu sein, nur konnte ich sie nicht eher sehen, als bis ich h”her stieg und dann aus der Oeffnung heraustrat. Da stellte es sich denn heraus, daá hier auf unserer Seite des Passiflorenraumes mehrere Stufen zu einem Ausgange emporfhrten, welcher verriegelt war. Ich stieg hinauf, schob den Riegel zurck und ”ffnete. Da stand ich drauáen im Freien, nahm mir aber nicht Zeit, die Stelle zu bestimmen, an der ich mich befand, sondern machte die Tr wieder zu, ging die Stufen wieder hinab und forderte Intschu-inta auf, heraufzukommen und mir zu sagen, ob er wohl wisse, wo wir seien. Er tat es. Kaum sah er den Raum, so rief er verwundert aus: "Uff! Das ist die Blumenkapelle, in welcher Tatellah-Satah zu beten pflegt!" "Zu wem betet er da?" fragte ich. "Zum groáen, guten Manitou. Zu wem sonst?" "Aber da ist doch das Kreuz, das Sinnbild des Christentums?" "Das stammt von Winnetou. Er hat es gepflanzt. Er sagte, das sei das Zeichen seines Bruders Old Shatterhand. Er verstehe es noch nicht, aber er werde es verstehen lernen, je h”her es hier wachse. Er hatte dich so lieb, so unendlich lieb!" Man kann sich wohl denken, wie tief mich das ergriff! Aber ich muáte diese Rhrung schnell berwinden und fragte weiter: "Wohin fhrt die Tr, die uns da gegenberliegt?" "Nach Tatellah-Satahs Schlafgemach." "Und die hier ber den Stufen?" //478// "Hinaus auf den Berg. Niemand hat geahnt, daá es auáerdem eine Falltr gibt, durch die wir jetzt gekommen sind!" Der Verschluá dieser Falltre bestand in der Platte, welche ich von ihrem Platze entfernt hatte. Sie war unter den Fuábodensteinen derjenige, welcher von der Seite her direkt an die unterste Stufe stieá, in die er, weil sie hohl war, hineingeschoben werden konnte. Indem ich das getan hatte, war die Falltre ge”ffnet worden. Ich brauchte ihn nur in seine vorige Lage zurckzuschieben, so war sie wieder zu. Nun stieg auch das Herzle mit dem Fackeltr„ger herauf. Sie brach beim Anblick der unz„hligen Leidensblumen in einen Ausruf der Bewunderung aus. Sie hatte da unten im Gange nicht geh”rt, was mir von Intschu-inta gesagt worden war. Dennoch erriet sie sofort den Zweck dieses Raumes. "Das ist ein Zimmer zum Gebet!" Mit diesen Worten schritt sie nach der Mitte der Stube. Dort stand eine Bank, die mit einem Fell berkleidet war. Sie setzte sich darauf, dem Kreuz grad gegenber, und sprach weiter: "Hier sitzt Tatellah-Satah, um mit Gott, seinem einzigen Herrn, zu sprechen. Er hat das Kreuz vor sich, das Erdenleid, welches den einzelnen Menschen und ganze V”lker erl”st. Da betet er fr die Erl”sung seiner Rasse. Hier m”chte ich sitzen und mit ihm beten, daá ihn der Herrgott erh”re!" "Tue es!" antwortete ich. "Wir gehen jetzt fort, doch nur, um wiederzukommen." "Hierher?" fragte sie. "Ja, hierher." "Wann?" //479// "Vielleicht schon in einer halben Stunde. Ich kehre in die Unterwelt zurck, um die beiden Gefangenen zu holen und auf diesem verborgenen Weg in das Schloá zu bringen. Da sieht sie kein Mensch auáer uns. Ich wnsche, daá niemand von ihren Angeh”rigen und Genossen erfahre, wo sie sich befinden. Es hat keinen Zweck, daá du uns in die H”hle zurckbegleitest. Du mátest doch mit uns wieder hier herauf." "Gut, so bleibe ich. Aber was tue ich, wenn mich jemand hier erwischt?" "Du wrdest als Freundin behandelt werden, sei es, wer es sei. Uebrigens ist es gar nicht n”tig, daá du dich erwischen l„át. Du brauchst nur hier die Stufen hinauf und in das Freie zu gehen, so bleibst du ungesehen. Es wrde wohl niemandem einfallen, nachzusehen, ob die Tr angelehnt ist oder nicht." "Ja, richtig! Also, ich warte hier." Sie setzte sich wieder auf die Bank. Wir anderen aber stiegen wieder in den Gang hinab. Wir Iieáen ihn nicht offen, sondern ich schob die Steinplatte wieder vor. Dann kehrten wir nach der Stelle zurck, wo unsere Gef„hrten auf uns warteten. Sie waren mit ihrer Arbeit, die Stalaktiten wegzur„umen, fast zu Ende. Ich setzte mich nieder, um die wenigen Minuten zu warten. Als ich still saá, fhlte ich, daá es von der Decke auf mich niedertropfte. Aber es war nicht Wasser, sondern zerriebenes Gestein. Es streute wie Mehl oder Sand auf mich herab. Zuweilen war auch ein erbsen-, bohnen- oder nuágroáes Stck dabei. Ich schaute empor. Das Licht unserer Fackeln reichte nicht bis ganz hinauf, trotzdem sah ich grad ber mir einen schmalen Riá, aus dem es br”ckelte. Das war in einer solchen H”hle nichts Auff„lliges. Darum kam ich gar nicht auf den Gedanken, nach den Ursachen //480// dieses Risses zu fragen. Und doch war es, wir sich sp„ter zeigte, von auáerordentlicher Wichtigkeit fr uns. Als der breite Weg freigeworden war, sagte ich, daá wir uns hier zu trennen h„tten. Die beiden Medizinm„nner hatten mit mir, Intschuinta und einem Fackeltr„ger zu Fuá nach oben zu steigen. Die andern aber ritten, indem sie unsere ledigen Pferde mitnahmen, unter Pappermanns Fhrung den vorhin von uns entdeckten Weg empor, der hinter dem Schleierfall mndete. Von dort aus hatten sie sich sogleich nach dem Schloá zu wenden. Wir warteten, bis sie fort waren. Dann verband ich den Medizinm„nnern die Augen und verbat mir alles Widerstreben. Hierauf nahm ich den Komantschen und Intschu-inta den Kiowa beim Arm. Der Fackeltr„ger schritt voran. So stiegen wir den schon einmal gemachten Weg nach dem Passiflorenraum empor. Das ging, weil die Augen der Gefangenen verbunden waren, so langsam, daá wir nicht, wie ich gesagt hatte, nach einer halben Stunde, sondern erst nach ber einer ganzen Stunde droben bei den letzten Stufen ankamen. Da machte ich mich daran, die Platte auf die Seite zu schieben. Indem ich dies tat, h”rte ich Stimmen. Es schien jemand bei meiner Frau zu sein. Ich ”ffnete die Falltr so ger„uschlos wie m”glich. Dann schob ich vorsichtig nur den oberen Teil meines Kopfes, bis an die Augen, hinaus, um zu sehen, wer da sprach. Das Herzle war verschwunden, jedenfalls durch die Treppentr hinaus, in das Freie. jetzt saá Tatellah-Satah auf der Bank, dem Kreuz gegenber. Bei ihm standen zw”lf Apatschenh„uptlinge, jngeren Alters, von denen ich keinen kannte. Der Žlteste von ihnen war nicht ber fnfzig Jahre alt. Der alte "Bewahrer der groáen Medizin" sprach mit sehr bewegter Stimme zu ihnen. Ich h”rte die Fortsetzung des angefangenen Satzes: //481// "Unser guter Manitou ist gr”áer, millionenmal gr”áer, als die roten M„nner bisher glaubten. Sie nahmen an, er sei nur ihr Gott, nicht aber auch der Gott aller anderen, die da leben. Falls dies auf Wahrheit beruhte, wie klein w„re er da, wie klein! Der Gott einiger armen Indianerscharen, die von den Bleichgesichtern zermalmt, zerquetscht und zertreten werden Wie groá und wie m„chtig máte dagegen der Gott der Weiáen sein! Und wie sehr máten wir da wnschen, daá dieser Gott der Weiáen an Stelle des ohnm„chtigen Manitou der Indianer trete! Doch dieser Wunsch wurde uns erfllt, noch ehe wir ihn empfanden. Schaut hin auf das Kreuz! Es blht, um uns zu Erl”sen. Es nimmt uns Manitou, um Manitou uns zu geben. Es sagt uns, daá es nur einen einzigen gibt, den Allm„chtigen, den Allweisen, den Allstarken, den Allgtigen, und daá wir ihn seiner Allst„rke und seiner Alliebe berauben, indem wir ihn nur fr uns haben wollen, fr uns allein, die wir die unglcklichste aller Nationen sind und die schw„chste aller Rassen. Das Kreuz ruht in der Erde und ragt zu Gott empor. Das ist das eine, was es bedeutet. Aber es breitet seine beiden Arme aus, um jedermann und alle Welt zu umfangen. Das ist das andere, was es bedeutet. Niemand von uns hat das gewuát. Old Shatterhand war es, der uns dieses Wissen brachte. Wir aber nahmen es nicht an. Ein einziger nur bewegte diese Kunde in seinem Herzen. Dieser einzige war Winnetou. Er beobachtete; er prfte. Er begann zu glauben. Und je fester dieser sein Glaube wurde, desto ”fter kam er zu mir, um mich zu bitten, diese Leidensblumen und dieses Kreuz an die Lieblingsst„tte meiner Gebete pflanzen zu drfen. Es war sein inniger Wunsch, Old Shatterhand zu mir zu bringen. Sein weiáer Bruder sollte hier, an //482// dieser Stelle, sehen, wie der Kreuzesgedanke und die šberzeugung von einem einzigen, groáen Manitou im Herzen seines roten Bruders Wurzel gefaát und sich zur Blte und Frucht entwickelt habe. Ich aber war dagegen. Ich haáte Old Shatterhand. Da ging Winnetou, der Herrliche, der Unvergleichliche, hin und kam nicht wieder. Doch was in seinem Herzen lebte, das kehrte zurck. Das kam zu mir. Das trieb mich tagt„glich hierher, in diesen Raum. Das lehrte mich nachdenken. Das brachte mir Licht. Das lehrte mich beten, nicht zu dem schwachen, kleinen Manitou der roten M„nner, sondern zu dem gewaltigen, unendlichen, erhabenen Manitou Old Shatterhands, der allein imstande ist, uns, seine roten Kinder, neu zu beseelen, damit wir endlich werden, was wir werden sollten, aber nicht geworden sind. Heut ist er da, Old Shatterhand, dem ich mein Haus und mein Herz versagte. Heut liebe ich ihn. Heut weiá ich es, daá ich nichts vermag ohne ihn, ganz ebenso, wie die rote Rasse ohne die weiáe nichts vermag. Er wird das Bleichgesicht sein, welches die uns verlorengegangenen Medizinen zurckzubringen hat. Wiát ihr, was das bedeutet? Er wird es sein, der uns in Liebe vereint, obgleich wir uns im Haá zerst”ren wollen. Und w„hrend wir - -" Er hielt mitten im Satz inne. Unsere Fackel, die wir noch nicht hatten ausl”schen k”nnen, begann sehr laut zu knistern. Sie sprhte Funken. Sie gab Rauch, der neben mir aus der Oeffnung stieg und von den Indianern sofort gerochen und gesehen wurde. Sie schauten alle zu mir her. Tatellah-Satah stand berrascht von seinem Sitze auf. So blieb mir nichts anderes brig, als, um mich sehen zu lassen, aus der Boden”ffnung zu steigen. //483// "Old Shatterhand!" rief er aus. "Old Shatterhand, von dem ich spreche!" "Old Shatterhand! Er ist's? Er ist's?" wurde er von den H„uptlingen gefragt. "Ja; er ist es!" antwortete er. "Ein Loch im Boden! Wo fhrt es hin? Wo kommst du her?" Diese letzteren Worte waren an mich gerichtet. ich ging auf ihn zu, zog die Karte, die ich dem Medizinmann der Komantschen abgenommen hatte, aus der Tasche, faltete sie auseinander, gab sie ihm und antwortete: "Schau hier nach! So wirst du sehen, woher ich komme." Er sah die Ueberschrift, und er sah die Zahl, da rief er auch schon aus: "Aus der geheimen Bibliothek! Die hochwichtige Karte, die einem meiner Ahnen gestohlen worden ist! Nach deren Dieb wir bisher vergeblich forschten! Im Verdacht stand der damalige Medizinmann der Komantschen, der mehrere Wochen lang hier Gast gewesen war und die Bibliothek sehr oft betreten hatte. Und jetzt bringt Old Shatterhand sie mir! Welch ein Wunder, welch ein groáes Wunder! Von wem hast du sie?" "Von dem Urenkel des Diebes. Ich zeige dir ihn." Es gengte ein Ruf von mir, so kamen Intschu-inta und der Fackeltr„ger zu uns heraufgestiegen und brachten die beiden Gefangenen mit. Sie wurden von den Apatschenh„uptlingen sofort erkannt. Diese letzteren wollten in laute Ausrufe der Verwunderung ausbrechen, ich aber wehrte ihnen durch eine Handbewegung ab und sagte leise: "Still! Sie drfen nicht sehen und h”ren, wo sie sind! Ich erz„hle nachher. Gibt es hier im Schlosse einen Ort, wo es m”glich ist, Gefangene derart aufzu- //484// bewahren [aufzubewahren], daá sie weder entfliehen noch von anderen Leuten gesehen werden k”nnen?" "Wir haben sehr gute und sehr sichere Gef„ngnisse hier", antwortete Tatellah-Satah. "So mag Intschu-inta sie dort unterbringen und dann wiederkommen. Ich brauche ihn noch." Tatellah-Satah gab seinem riesigen Diener mit unterdrckter Stimme die n”tigen Befehle, worauf dieser sich mit den beiden Medizinm„nnern und dem Fackeltr„ger entfernte, um sie nach dem Verlieá zu schaffen. Da wurde ber den Treppenstufen die Tr ge”ffnet, die ins Freie fhrte, und das Herzle lieá sich sehen. Es war ihr gelungen, sich rechtzeitig zurckzuziehen. Nun, da sie durch die angelehnte Tr sah, daá ich wieder da war, glaubte sie, sich auch mit sehen lassen zu drfen. Man kann sich denken, daá dies das Erstaunen der H„uptlinge nicht verringerte. Ich erz„hlte ihnen, so viel ich zu erz„hlen fr n”tig hielt, denn zum vollst„ndigen Mitwisser meiner Ansichten und Pl„ne wollte ich keinen von ihnen machen. Grad als ich fertig war, kehrte Intschu-inta zurck. Er meldete, daá die Gefangenen fest eingeschlossen und daá Pappermann und seine Begleiter vom Wasserfall her auf dem Schloá eingetroffen seien. Ich teilte ihm mit, daá er mich jetzt noch einmal hinunter in die H”hle zu begleiten und zu diesem Zweck zwei neue Fackeln zu besorgen habe. Das Herzle fragte, ob auch sie dabei sein rnsse. Als ich das verneinte, bat mich TatelIah-Satah, ihm meine Squaw anzuvertrauen. Er erwarte den Besuch von Kolma Putschi und werde sich sehr freuen, die beiden Frauen miteinander bekannt zu machen. Ich hatte natrlich nicht das geringste dagegen und stieg, als Intschu-inta mit den Fackeln kam, mit ihm wieder in die H”hle hinunter. //485// Es sei bemerkt, daá die zw”lf Apatschenh„uptlinge erst heut w„hrend unserer Abwesenheit hier angekommen waren und ihre Zelte in der Oberstadt aufgeschlagen hatten. Sie bildeten den Stab s„mtlicher Apatschenst„mme, auf welche Tatellah-Satah sich verlassen konnte. Ich hatte meinen ganz besonderen Grund, noch einmal hinunter in die H”hle zu steigen. Da ich einmal darber war, sie kennenzulernen, wollte ich sie auch gleich ganz kennenlernen; denn es gab einen kleinen Teil, den ich noch nicht kannte. Ich erinnere daran, daá der breite, reitbare Weg, der vom "Tal der H”hle" aus durch die letztere fhrte, droben hinter dem Schleierfall in das Freie mndete. An der Stelle, wo er mit Stalaktiten versetzt worden war, die wir entfernt hatten, zweigte von ihm ein schmaler Weg nach rechts, der nur fr Fuág„nger zur H”he fhrte. Sein eigentliches Ende fand dieser schmale Weg ganz oben im Passiflorenraum. Bis dorthin waren wir ihn gegangen. Aber schon unten in der H”hle zweigte von ihm ein zweiter, schmaler Weg ab, an dem wir vorbeigekommen waren, ohne daá meine Begleiter etwas von ihm bemerkten. Nur mir allein war die Stelle aufgefallen, an welcher die als Stalagmiten verwendeten Stalaktiten andeuteten, daá auch hier ein frher gangbarer Weg mit Steinen versetzt und maskiert worden sei. Nach dieser Stelle kehrten wir jetzt zurck. Ich hatte nur Intschu-inta mitgenommen, weil er der Vertraute des Medizinmannes war, denn um eine sehr vertrauliche Sache handelte es sich jetzt bei der neuen Entdeckung, die ich machen wollte. N„mlich wenn ich die oberirdischen und die unterirdischen Oertlichkeiten miteinander in Verbindung brachte, so ergab sich fr mich folgendes: Der breite Weg mndete im Bergtal, hinter dem Wasserfalle. Der schmale Weg //486// mndete in seinem letzten, h”chsten Ende droben im Schlosse. Die zwischen beiden liegende Abzweigung dieses schmalen Weges, die ich jetzt suchte, muáte also zwischen dem Wasserfall und dem Schloá mnden. Und wenn ich mich da fragte, welcher Ort hierzu wohl am geeignetsten sei, so stieá meine Vermutung immer nur auf die Teufelskanzel, oder, wie sie hier genannt wurde, auf das "Ohr des Teufels", an dem wir vorbeigekommen waren, als der Medizinmann uns den Schleierfall zeigte. Es stimmte in jeder Beziehung, daá dieser Ort mit der geheimnisvollen, groáen H”hle in Verbindung stand. Wer weiá, was fr wichtige Zusammenh„nge vor Jahrtausenden hier oben und da unten stattgefunden hatten. Darum war es jetzt fr mich, der ich diesen Zusammenh„ngen nachsprte, sehr wohl geraten, dies so diskret wie m”glich zu tun und keinen Menschen in das Vertrauen zu ziehen, der dieses Vertrauen nicht verdiente. Dies war der Grund, weshalb ich nur den altbew„hrten, treuen Intschu-inta mitgenommen hatte. Als wir die betreffende Stelle erreichten, an der ich eine Abzweigung des schmalen Weges vermutete, blieben wir stehen, um die am Boden liegenden Steine zu untersuchen. Auch sie waren nicht Stalagmiten, sondern Stalaktiten, also nicht hier an Ort und Stelle entstanden, sondern zu irgendeinem Zweck hergeschafft. Wir beseitigten so viele von ihnen, wie n”tig war, um Einsicht zu gewinnen, und entdeckten da nun allerdings sehr bald den offenen Pfad, der hinter ihnen aufw„rts fhrte. Meine Vermutung hatte mich also nicht get„uscht. Es fragte sich nur noch, wo er oben mndete. Wir muáten ihm folgen. Wir ruhten zun„chst einige Augenblicke von der Anstrengung aus, welche uns das Beiseiteschaffen der schweren Steine //487// verursacht hatte. Es war fr diese kurze Zeit still, vollst„ndig still um uns, und so h”rten wir ein eigenartiges, prasselndes Ger„usch, welches aus der Ferne zu uns drang, wahrscheinlich aus der Gegend, in welcher unser schmaler Weg vom breiten abzweigte. Was war das, oder wer war das? Befand sich jemand dort? Unsere Sicherheit erforderte, dies schleunigst zu erfahren. Wir nahmen also die Fackeln hoch und eilten nach der Richtung, aus welcher der Schall zu uns gedrungen war. Dort sahen wir, daá es sich nicht um die Anwesenheit von Menschen handelte, sondern um ein Herabbr”ckeln des Deckengesteines, und zwar genau an derselben Stelle, an welcher ich gesessen und den beginnenden Spalt ber mir bemerkt hatte. Dieser Spalt war jetzt breiter und gr”áer als vorher. Es waren ganz betr„chtliche Sinterstcke herabgefallen. jedenfalls lockerte sich etwas da oben. Wer hier vorber wollte, der hatte von jetzt an vorsichtig zu sein. Doch nahm ich diesen Gedanken sehr gleichgltig auf, denn ich hatte nicht die geringste Ahnung von der eigentlichen Ursache dieses Ph„nomens. Wir kehrten zu der Stelle zurck, an der wir besch„ftigt gewesen waren, und folgten von da aus dem neu entdeckten, schmalen Seitengang, dessen Mndung wir noch nicht kannten. Der riesige lntschu-inta war erstaunt. "Es ist, als ob du Winnetou seist", sagte er. "Alles h”rst du; alles siehst du; alles findest du! Wir aber, die wir schon ewig hier wohnen, h”ren nichts, sehen nichts und finden nichts! Du bist wie er, und er war wie du!" Auch dieser Pfad fhrte von H”hle zu H”hle empor, aber viel steiler als der andere. Dann gab es knstliche Stufen, die in hartem Stein gehauen waren. Schlieálich standen wir vor dem Ende. Aber dieses Ende bestand nicht //488// aus einer Tr, einer Mauer, einem Stein, sondern aus unz„hligen Wurzeln und Wurzelfasern, die aus dem Boden traten, der hier nicht aus Stein, sondern aus Erde gebildet war, und die schier undurchdringlich vorw„rts strebten. Da muáten wir unsere Messer zu Hilfe nehmen. Und sie halfen. Indem wir alles, was uns im Wege war, wegschnitten und hinter uns schafften, drangen wir Schritt fr Schritt vor und standen schlieálich nicht mehr vor Wurzeln und lichtscheuen Ranken, sondern hinter einem dichten Gebsch, durch dessen Gezweig hindurch das Tageslicht uns gráte. Wir l”schten die Fackeln aus. Das Gebsch wuchs mit noch anderem Gestr„uch aus einem Steinhaufen heraus, der jedenfalls nicht natrlich entstanden, sondern knstlich hierhergebracht worden war, um den Gang, aus der wir kamen, zu verbergen. Indem wir hindurchkrochen, gaben wir uns Mhe, die Aeste und Zweige so wenig wie m”glich zu verletzten. Dann standen wir - - - wo? Am linken "Ohr des Teufels", also ganz so, wie ich vermutet hatte; das rechte Ohr lag jenseits des Fahrweges grad gegenber. "Uff, uff!" sagte Intschu-inta. "Es geschehen Wunder!" "Die Neuentdeckung von etwas so sehr Altem ist kein Wunder" antwortete ich. "Wir befinden uns an eurer Devils pulpit. " "Deren Geheimnis kein Mensch entdecken kann!" "Nicht? Wirklich nicht!" "Nein. Nicht einmal Winnetou hat es gekonnt!" "So warte! Vielleicht bist du es, der es kann!" "Ich?" fragte er erstaunt. "Ja, du! " "Unm”glich!" "Ganz und gar nicht unm”glich, sondern sogar sehr //489// wahrscheinlich. Willst du schweigen, sogar gegen Tatellah-Satah, wenigstens einstweilen?" "Ich will!" versicherte er, mich erwartungsvoll anschauend. "Gut! Sehen wir uns erst um! Steigen wir hinauf, auf das ,Ohr des Teufels', um seine Verh„ltnisse kennen zu lernen!" Wir stiegen hinauf. Als wir oben waren, befand ich mich fast ganz genau in derselben Lage und in denselben Verh„ltnissen, wie auf der ersten Devils pulpit , wo der "junge Adler" den B„r erlegte und ich mich dann mit dem Herzle von Kanzel zu Kanzel unterhielt. Es gab auch hier zwei Kanzeln, genau wie dort. Und drben ber der Straáe gab es wieder zwei, die in ganz derselben Ausmessung zueinander standen. Fr einen oberfl„chlichen Denker schien es hier also nicht nur eine, sondern zwei Ellipsen zu geben, in deren Brennpunkten man das leise Gesprochene laut h”ren konnte, n„mlich die eine diesseits und die andere jenseits des Fahrweges. Der sch„rfer Denkende aber muáte gleich bei dem ersten Blick sehen, daá es weder hben noch drben eine besondere, wirkliche Ellipse gab, sondern daá diese Figur erst dann zustande kam, wenn man beide Abteilungen durch Verbindungslinien ber den Fahrweg herber vereinigte. Dann gab es allerdings eine groáe Doppelellipse mit vier Brennpunkten, hben zwei und drben zwei, bei deren richtiger Benutzung sich verschiedene Schallexperimente erm”glichten, die dem nicht Eingeweihten als Wunder erscheinen muáten. Das sah man, wie gesagt, schon bei dem ersten Blicke, doch wurde dieser Blick schnell wieder von seinem Gegenstand abgezogen, und zwar durch eine h”chst augenf„llige Ver„nderung, die sich seit unserm letzten Hiersein in der //490// umgebenden Szenerie vollzogen hatte. N„mlich die angefangene Winnetoustatue war inzwischen gewachsen, und zwar in einer Weise, die mir nur dann begreiflich wurde, wenn ich sah, wie groá heut die Zahl der Lastgeschirre war, auf denen die fix und fertig zubereiteten Quader von den Steinbrchen herbeigeschleppt wurden, und wie groá die Zahl der Arbeiter, welche damit besch„ftigt waren, diese Quader zur Figur zusammenzusetzen und mit schon vorgebohrten eisernen Spindeln, Klammern und Bolzen zu befestigten. Die Figur war bereits bis zum Unterleib gediehen; der knstliche Felsen, an den sie sich anzulehnen hatte, war im Entstehen, und die Gerste, auf denen die Monteure zu arbeiten hatten, waren zwar erst heut entstanden, lieáen aber Dimensionen vermuten, die in das Riesenhafte gingen. Als Intschu-inta sah, daá ich meine Aufmerksamkeit jetzt darauf richtete, sagte er: "Sie arbeiten wie im Fieber. Sie sind ihrer Sache nicht mehr sicher. Sie sehen jetzt t„glich mehr und mehr, daá nicht alle Welt ihrer Meinung ist. Darum soll diese Figur schleunigst fertiggestellt werden, um auf die Tausende von Festgenossen, welche man erwartet, den Eindruck zu machen, den man sich von ihr verspricht. Als ich vorhin die Fackeln holte, erfuhr ich, daá man entschlossen ist, jetzt Tag und Nacht an der Figur zu arbeiten, weil man geh”rt hat, daá auch du dagegen bist. Man hatte geglaubt, dich leicht auf die Seite schieben zu k”nnen." "Ah! Besonders wohl Mr. Okih-tschin-tscha, genannt Antonius Paper? Laá ihn schieben, laá ihn schieben! Wir aber wollen zu unsern jetzigen Pflichten zurckkehren. Es war doch unsere Absicht, zu versuchen, ob du es nicht vielleicht bist, der imstande ist, da Geheimnis eurer Devils pulpit zu entdecken. Wir haben hier zwei Kanzeln. Drben sind auch zwei. Wir befinden uns hier auf der //491// ersten; da bleibe ich jetzt; du aber gehst hinber, auch auf die erste. Da stellst du dich hin und nennst in ganz gew”hnlichem Tone zehn Zahlen. Ich kann das hier hben nicht h”ren, werde dir aber so dieselben Zahlen sagen." "Mir sagen?" fragte er. "H”re ich es denn?" "Ja." "Unm”glich!" "Warte es ab! jetzt geh'! Aber tue geheim! Sag' niemand, w n du gehst und was du dort willst!" Er machte ein sehr ungl„ubiges Gesicht und entfernte sich. Ich schaute ihm nach, ohne mich aber von den Arbeitern und Fuhrleuten, welche auf dem Fahrweg verkehrten, sehen zu lassen. Sie beachteten ihn nicht. Er ging ber den Weg hinber und stieg auf die erste Kanzel. Man kann sich wohl denken, wie gespannt ich darauf war, ob das Experiment gelingen werde. Ich lauschte. Da, Gott sei Dank, da kamen sie, die zehn Zahlen, n„mlich alle geraden der Reihe nach von zwei bis zwanzig. Ich wartete nur einen Augenblick, dann wiederholte ich sie ebenso langsam und deutlich, wie er sie ausgesprochen hatte. "Uff, uff!" h”rte ich ihn dann verwundert rufen. "Bist du das wirklich, oder bist du es nicht?" "Ich bin es", antwortete ich. "Und du hast mich geh”rt?" "So genau wie du jetzt mich. Nun gehst du jetzt auf die andere Kanzel, auf die zweite, und sagst etwas anderes." "Was?" "Irgend etwas. Du sprichst eine Frage aus, und ich antworte dir. Also, jetzt!" "Gut, ich geh'!" //492// Auch ich stieg von meiner Kanzel herab und ging nach der anderen. Da gab es kein Gebsch; ich war also schnell oben. Da h”rte ich ihn drben kommen. Bsche raschelten, Zweige knackten. Dann war er oben und fragte: "Bist du noch dort? H”rst du mich?" "Ja, ich h”re dich", antwortete ich ihm, ohne ihm aber zu sagen, daá ich inzwischen auch meinen Platz gewechselt hatte. "Soll ich vielleicht wieder z„hlen?" "Ja. Zehn andere Zahlen." Er sagte die ungeraden Zahlen von einunddreiáig bis neunundvierzig auf, und ich wiederholte sie ihm. Dann lieá ich ihn wieder nach der ersten Kanzel zurckkehren, um noch weitere zehn Zahlen auszusprechen. Ich sah ihn drben kommen. Er stieg hinauf. Jedenfalls z„hlte er jetzt; ich h”rte aber nichts. Nun wuáte ich alles. Es handelte sich wirklich um eine Doppelellipse. Man konnte h”ren oder nicht h”ren, geh”rt werden oder nicht geh”rt werden, ganz wie es einem beliebte. Es kam nur auf die Orte an, die man w„hlte. Ich stieg von meiner Kanzel herab und ging nach dem Fahrweg zu. Da sah er mich und kam auch. "Du hast beim letztenmal nicht geantwortet", sagte er. "Oder habe ich dich berh”rt? Welch ein Wunder, welch ein Wunder! Uff, uff! Auf so weit kann kein Mensch das gew”hnliche Wort verstehen, und doch habe ich dich verstanden! Wie ist das zu erkl„ren?" "Denke darber nach! Du bist es doch, der das Geheimnis erraten soll!" "Du scherzest! Warum soll ich mhsam erraten, was du genau schon weiát! Denn wátest du es nicht, so h„ttest du mir nicht die richtigen Pl„tze anweisen k”nnen. Werde ich es erfahren?" //493// "Wenn Tatellah-Satah es erlaubt, ja." "Aber jetzt darf ich ihm nichts davon sagen?" "Keinem Menschen! Du k”nntest groáes Unheil anrichten, wenn du es auch nur einem einzigen verrietest. Jetzt komm' hinauf nach dem Schloá; die Sonne geht schon unter!" Der Himmel war, so weit man ihn hier im Tal sehen konnte, von golddurchsichtigen W”lkchen berhaucht. Ein diamantenes Flammenzucken ging von Westen aus. Das blitzte und flimmerte im herrlichen Spiegel des Schleierfalles wider. Wie schade, wie jammerschade, daá die grad vor dem Fall sich erhebende tote steinerne Figur den Genuá dieser Sch”nheit fast unm”glich machte! Wir standen an der Krmmung der Straáe und des Tales, an welcher man, von der oberen Stadt kommend, den Schleierfall zum erstenmal erblickte. Wir waren da stehen geblieben, um seinen Anblick zu genieáen. Und nun st”rte uns diese fatale Figur, die, dem leichten duftigen Schleier entgegengesetzt, so schwer, so belastend, so bedruckend wirkte. Die Holzgerste, welche sich vor diesem Schleier erhoben, taten dem Auge f”rmlich wehe, zumal man sie ohne Lot errichtet zu haben schien. Sie standen schief. Es gab nur einen einzigen Tr„ger, der wirklich senkrecht stand. Diese Beobachtung machte ich nur so nebenbei. Sie erschien mir v”llig unwichtig. Aber im Verlauf der irdischen Ereignisse gibt es nichts wirklich Bedeutungsloses; das sollte ich auch hier bald sehen. Wir gingen nun nach dem Schlosse. Intschu-inta war unterwegs sehr still. Das Ergebnis unserer Nachforschung besch„ftigte ihn innerlich. Oben angekommen, trennten wir uns. Er ging zu Tatellah-Satah, ich aber nach meiner Wohnung, wo ich das Herzle vermutete. Sie war auch da, und zwar nicht allein. Kolma Putschi //494// war bei ihr. Beide saáen nebeneinander, Hand in Hand. Als ich eintrat, standen sie auf und kamen mir entgegen. Ihre Gesichter hatten den Ausdruck tiefer, ernster Rhrung. Der Name Kolma Putschi ist dem Moquidialekt entnommen. Er bedeutet so viel wie Schwarzauge oder Dunkelauge. An diesem Auge, welches seinen Glanz noch immer besaá, erkannte ich sie sogleich wieder, obwohl sie sich brigens se ver„ndert hatte. Sie war bedeutend „lter als ich. Ihre frher elastische Gestalt hatte sich gebeugt. Ihr graugl„nzendes Haar war dnn gewordenen Z”pfen um den unbedecktem Kopf gelegt. Ihr sehr gealtertes Gesicht bestand aus lauter kleinen, winzigen, eng aneinander liegenden F„ltchen. Und doch war es sch”n, dieses Gesicht. besaá jene von innen heraussprechende Sch”nheit, welche man Alterssch”nheit bezeichnet. Sie pflegt das Produkt vielen Leidens und Denkens zu sein. Ganz selbstverst„ndlich war Kolma Putschi nicht mehr m„nnlich, sondern weiblich gekleidet. Sie blieb vor mir stehe schaute mich lange, lange prfend an und sagte dann, in ernstes Gesicht zu l„cheln begann: "Ja, das ist er! Noch ganz wie frher! Trotz der vielen, vielen Jahre, welche vergangen sind, seit wir uns nicht mehr sahen! Darf Shatterhand begráen?" Sie fragte das, ohne mir die Hand entgegenzustrecken. Ich antwortete: "Was g„be es fr einen Grund, dies nicht zu drfen?" "Die Feindschaft!" "Welche Feindschaft? Ich kenne keine." "Auch ich kannte sie nicht; nun aber habe ich sie kennengelernt. Old Shatterhand ist in Beziehung auf das Denkmal unser Gegner!" "Vielleicht Gegner, keineswegs aber Feind. Ich habe //495// Kolma Putschi geachtet, geliebt und bewundert, so lange ich sie kenne, und werde ihr diese Freundschaft bewahren, so lange ich lebe. Ich bitte um ihre Hand, die so khn und tapfer sein konnte und doch so mild und so edel zu gleicher Zeit." Da wurde ihr Gesicht wie heller, warmer Sonnenschein, der aus jedem F„ltchen zu mir ausstrahlte. Wir reichten uns die H„nde. Ich zog sie fest an mich heran und káte sie auf die lieben, guten, einst so tieftraurigen Augen. Dann nahmen wir beieinander Platz, um das durch mein Kommen unterbrochene Gespr„ch fortzusetzen. Da sah und h”rte ich denn, daá Kolma Putschi im Verlauf der letzten Jahrzehnte viel, sehr viel gelernt hatte. Sie war mit Young Surehand und Young Apanatschka, ihren Enkeln, geistig emporgewachsen, aber leider nicht ber die Anschauungen und Ansichten dieser Enkel hinaus. Sie schw„rmte fr die geplante, rein „uáerliche Winnetou-Apotheose, und sie war berzeugt gewesen, daá ich und das Herzle ganz ebenso schw„rmen wrden. Als Meinungsverschiedenheiten und Spaltungen entstanden, hatte sie geglaubt, daá es nur unseres Kommens bedrfe, um diese Konflikte zu l”sen. Sie war in den letzten Tagen nicht hier gewesen und erst mit Old Surehand und Apanatschka zurckgekehrt. Da hatte sie dann alles erfahren, daá wir angekommen seien, daá man uns abstoáend und geringsch„tzig behandelt habe und daá uns aber von Tatellah-Satah die groáe Genugtuung bereitet worden sei, von ihm pers”nlich nach dem Schlosse abgeholt zu werden, um dort als seine besonderen G„ste in seiner N„he zu wohnen. Das hatte die Spaltung zwischen Oberstadt und Unterstadt erweitert. Man befrchtete in der Unterstadt, daá nun grad Old Shatterhand, den man hatte auf die Seite schieben wollen, sich in der Denk- //496// malsfrage [Denkmalsfrage] das entscheidende Wort anmaáen werde, und das hatte Old Surehand und Apanatschka veranlaát, zu erkl„ren, daá sie fest entschlossen seien, mich in meiner Wohnung bei Tatellah-Satah nicht aufzusuchen. Kolma Putschi aber hatte es nicht ber das Herz gebracht, in derselben Weise schroff zu sein. Sie hatte sich bei dem "Bewahrer der groáen Medizin" anmelden lassen, um ihn um die Erlaubnis zu bitten, uns bei ihm besuchen zu drfen, und er hatte sehr gern eingewilligt. Nun hatten die beiden Frauen w„hrend meiner Abwesenheit schon stundenlang beisammen gesessen und inniges Wohlgefallen aneinander gefunden. Das war zwar nur eine kurze Zeit, aber dem Herzle schien es trotzdem schon gelungen zu sein, ihrer Gastin das zu geben, was diese von ihr erwartete. Der Brief, den Kolma Putschi zu uns hinbergeschrieben hatte, schloá bekanntlich mit den Worten: "So komm also, und bring mir Deine Menschenliebe, Deine Herzensgte und - - - Deinen Glauben an den groáen, gerechten Manitou, den ich gern ebenso deutlich fhlen m”chte, wie Du, meine Schwester, ihn fhlst." Diese Liebe, diese Gte und dieser Glaube, sie waren jetzt da. Was ich als Mann in scharfem Tone h„tte sagen mssen, das hatte das Herzle in freundlicher Eindringlichkeit gesagt. Als ich jetzt kam, war Kolma Putschi schon mehr als halb zu unserer Ansicht herberbekehrt, und es bedurfte nur noch weniger Worte, um ihr meine Ansichten und Entschlsse zu pr„zisieren. Als sie mich bat, doch nach der Unterstadt zu kommen und Old Surehand und Apanatschka aufzusuchen, antwortete ich: "Das darf ich nicht. Ich bin Gast Tatellah-Satahs, und wer ihn meidet, den habe auch ich zu meiden." "Steht es so, wirklich so?" fragte sie besorgt. "Ja, so!" best„tigte ich. "Nach den Gesetzen der //497// roten M„nner ist das Haus meines Wirtes auch mein Haus. Wer es verachtet verachtet auch mich!" "Verzeih! Wenn du von Verachtung sprichst, so irrst du dich. Niemand wird es wagen, dich zu verachten!" "Falsch! Nicht ich bin es, der sich irrt. Ich wurde eingeladen, dem Mount Winnetou zu kommen. Ich kam. Man hatte mich zu empfangen, mich zu begráen, mich willkommen zu heiáen. Wer das getan? Niemand kam zu mir. Ich wurde aufgefordert, zu euch kommen, euch nachzulaufen. Nun sollst du die Antwort h”ren, ich euch hierauf erteile." Das Herzle gab mir einen heimlichen Wink, doch nicht in energischen Ton zu sprechen; es war ja doch eine Frau, die ich vor mir hatte. Ich aber wuáte gar wohl, was ich wollte, und fuhr in der Weise fort: "Ich bitte Kolma Putschi, zu Old Surehand und Apanats gehen und ihnen zu sagen, daá ich sie fr morgen zum Mittagessen zu mir einlade, hierher, in meine Wohnung. Es werden auch noch Personen geladen sein, doch wer sie sind, das weiá ich jetzt nicht." Da wurde ihr Gesicht noch ernster, als es so schon war. "Du meinst, daá meine S”hne kommen werden?" fragte sie. "Ich hoffe es!" "Zu Mittag?" "Genau zu Mittag, keine Minute sp„ter." "Und wenn sie nicht kommen?" Bei dieser Frage waren ihre Augen in gr”áter Spannung auf mich gerichtet. Ich antwortete: "So nehme ich das als die gr”áte Beleidigung, die mir widerfahren ist; der Kampfplatz wird sofort abgesteckt, und die Kugeln werden sprechen!" //498// "Zwischen solchen Freunden, wie ihr gewesen seid?" "Ein Freund, der mich beleidigt, ist schlimmer als ein Feind! Sag ihnen das! Teile ihnen mit, daá ich zwar grau geworden, aber noch immer der Alte bin! Wenn sie nicht kommen, schieáen wir uns. Und dann wird euer ganzes Komitee zum Teufel gejagt und ein anderes, wrdigeres gew„hlt. Winnetou war H„uptling der Apatschen. In welcher Weise er zu ehren ist, darber haben nur Apatschen zu bestimmen!" "Wenn Old Shatterhand droht, so ist das, was er droht, so sicher und gewiá, als sei es bereits geschehen. Du sprichst im Ernst?" "Im vollsten Ernst! Weshalb hat Winnetou gelebt? Weshalb ist er gestorben? Etwa um einen jungen Maler und einen jungen Bildhauer berhmt zu machen? Und wie haben diese beiden unerfahrenen Leute ihn dargestellt? Wo ist sein Geist, wo seine Seele? Jeder Cowboy, Runner, Loafer oder Tramp kann genau in derselben Rowdy-Pose stehen wie die t”nerne Figur da unten, von der man uns sagte, daá sie Winnetou bedeute! Bitte, liebes Herzle, zeige ihr einmal einen anderen Winnetou, n„mlich den unseren!" Meine Frau ging, den betreffenden Koffer zu ”ffnen, und brachte die photographischen Abzge, welche sie daheim gemacht hatte. Als ich zu ihr trat, um den betreffenden herauszusuchen, benutzte sie diese Gelegenheit, mir leise zuzuraunen: " Sei doch gut! Nicht so grob! Sie weint ja beinahe! Sie ist doch nicht schuld daran!" "Mehr als du denkst!" antwortete ich ebenso leise. "Sie versteht nichts von Kunst und verg”ttert ihre Enkel. Laá mich nur!" .Ich habe schon frher gesagt, daá ich den Sascha //499// Schneiderschen, zum Himmel strebenden Winnetou mitgebracht hatte. Wir besaáen mehrere Abzge davon. Ich nahm einen und befestigte ihn mit vier Nadeln an die Wand; dann brannte ich die Lampe an, denn es war inzwischen fast dunkel geworden. Das Licht fiel von beiden Seiten auf das Bild. Das Kreuz, welchem Winnetou entgegenschwebt, begann zu leuchten. "Das ist unser Winnetou", sagte ich, "nicht der eurige. Schau dir ihn an!" Sie hob die Augen und sagte nichts. Sie trat n„her hinzu und sagte nichts. Sie trat wieder zurck, Schritt um Schritt, und sagte nichts. Dann, an der gegenberliegenden Wand angekommen, lieá sie sich in sitzende Stellung nieder, hielt ihre Augen unabl„ssig auf das Bild gerichtet und sagte noch immer nichts. Aber in ihrem Gesichte gl„nzte der Schein einer h”heren Freude. Es war etwas seelisch Sch”nes und seelisch Glckliches ber sie gekommen, was sie nicht verstand und nicht zu deuten wuáte. Da bewegte sich der Trvorhang neben ihr, und es trat jemand herein, dessen Kommen wir am allerwenigsten erwartet hatten, n„mlich Tatellah-Satah. Er hatte mir vollst„ndige Freiheit gew„hrt und sich vorgenommen, mich so wenig wie m”glich zu st”ren; nach der heutigen Entdeckung aber und nach dem Bericht, den Intschu-inta ihm h”chstwahrscheinlich erstattet hatte, war es ihm Bedrfnis gewesen, mich aufzusuchen, um N„heres zu erfahren. Er sah das Bild, blieb unter der Tre stehen und beobachtete es mit immer gr”áer werdenden Augen. Dann trat er herein in das Zimmer, schritt langsam n„her und n„her, wich wieder zurck, tat einige Schritte vorw„rts, w„hrend in seinem Gesicht die Gedanken kamen und gingen. Seine Augen leuchteten mehr und mehr. Es kam ein frohes Erkennen ber ihn. //500// "Uff, uff!" rief er endlich aus. "Das ist Winnetou? Der wirkliche Winnetou? Also unser Winnetou?" Ich nickte. "Aber nicht sein K”rper, sondern seine Seele!" fuhr er fort. "Sie schwebt zum Himmel! Ueber ihm das Kreuz! „hnlich dem Passiflorenkreuz, welches er in meinem Haus und in meinem Herzen pflanzte! Seinem Haar entf„llt die H„uptlingsfeder! Das letzte Irdische, was noch an ihm haftete! Nun ist er erl”st! Nun ist er frei! Wie sch”n, wie sch”n!" Er stand wie verzckt. Seine Lippen bewegten sich, doch h”rte man die Worte nicht, die ihnen entschlpfen wollten. Erst nach einiger Zeit sprach er laut: "Das ist er; ja, das ist er! K”nnten wir ihn unsern V”lkern doch so zeigen, wie wir hier ihn sehen! K”nnten wir ihm doch ein Denkmal setzen, welches ihn genauso gibt, wie ich ihn in diesem Augenblick empfinde - als Seele!" "Das k”nnen wir!" antwortete ich. "Wirklich?" fragte er. "Ja! Das k”nnen wir, und das werden wir!" "Unm”glich!" "Warum unm”glich?" "ihn als Seele zu zeigen? In Erz, in Marmor oder in sonstigem Gestein?" "Nicht in Erz und nicht in Stein! Und doch h”her und herrlicher ragend als die steinerne Gestalt, welche sich auf dem Mount Winnetou erheben soll!" "Ich verstehe dich nicht!" "Du wirst mich verstehen. Vielleicht schon morgen. Komm! Setz dich! Ich habe dir noch mehr zu zeigen." Er folgte dieser Aufforderung. Da erhob Kolma Putschi sich von ihrem Platz. Sie hatte ihr erstauntes //501// Schweigen bis jetzt beibehalten; nun aber sagte sie, sich an mich wendend: "Old Shatterhand hat gesiegt, wie immer. Doch nicht allein. Sondern mit seinem Freund und Bruder Winnetou." Bei diesen Worten deutete sie auf das Bild und fuhr dann fort: "Freilich, einen solchen Winnetou bringt weder Young Surehand noch Apanatschka fertig! Ich gehe jetzt. Ich werde deine Einladung zum Mittagessen berbringen, und ich hoffe, sie stellen sich ein, die du zu sehen wnschest. Wrdest du ihnen deinen Winnetou zeigen?" "Wenn sie ihn zu sehen wnschen, ja." "So lebt wohl! Ich wuáte bisher nicht, daá es Bilder gibt, die m„chtiger und eindringlicher predigen, als Worte predigen k”nnen!" Sie ging. Ja, sie hatte bisher nicht geahnt, welche eine Sprache die wahre Kunst besitzt. Ich aber wuáte es. Und darum hatte ich ihr dieses Bild gezeigt, fr dessen Stimme in ihrem Herzen die tiefste Resonanz zu hoffen war. Sie hatte ihn ja pers”nlich gekannt, den es darstellte. Sie hatte ihn verehrt und geliebt. Und sie hatte es ihm zu verdanken, daá ihr einst so freudeloses Leben eine so unerwartete Wendung zum Glck genommen hatte. Da konnte sein Bild ja ganz unm”glich ohne Wirkung auf sie sein. Und diese Wirkung nahm sie jetzt mit sich heim. Meine Strenge war berechnet, und ich erwartete, daá diese Rechnung stimmen werde. Als sie sich entfernt hatte, begann Tatellah-Satah: "Ich komme, um dich ber deine H”hlenforschung zu h”ren und dir sodann die Bibliothek zu zeigen, aus welcher die Karte gestohlen worden ist. Doch sprechen //502// wir vorher erst ber dieses Bild. Hast du vielleicht nur dieses eine? Dann darf ich den Wunsch nicht aussprechen, den ich hege." "Ich besitze mehrere." "So bitte ich dich, mir eines davon zu schenken!" "Nimm dieses hier! Es ist dein!" "Ich danke dir! Ist es nicht sonderbar, daá Old Shatterhand immer der Gebende ist, so oft er zu seinen roten Brdern kommt? Was er von ihnen bekommt, ist wenig, denn sie sind arm. Was aber er gibt, das sind innere Reichtmer, fr die es keine "„uáere Bezahlung gibt. Wenn ich in dieser Weise von Old Shatterhand spreche, so meine ich nicht ihn allein, sondern das Bleichgesicht berhaupt, dem wir von jetzt an nur noch Gutes zu verdanken haben werden. Glaubst du, mit diesem Bild die Gegner zu besiegen?" "Nicht mit Winnetous Bild, sondern durch Winnetou selbst. Das Bild soll nur der Schlssel sein, der mir die Herzen und das Verst„ndnis ”ffnet. W„hrend die da unten am Schleiersee am Monument bauen, lasse auch ich bauen." "Was?" "Auch eine Figur, eine Winnetoufigur. Aber unendlich gr”áer, sch”ner und edler, als sie je ein Knstler herstellen k”nnte." "Und wer baut sie? Du?" "Ich? O nein! Wenn kein Knstler das vermag, so vermag ich es doch noch viel weniger! Der Baumeister, der Bildhauer ist Winnetou selbst! Und sein Werk ist ein Meisterwerk. Es ist schon vollendet. Ich brauche es nur aufzustellen." "Wo hast du es?" "Hier, im Nebenzimmer. Ich grub es aus. Am //503// Nugget-tsil. Es ist sein Verm„chtnis. Es sind die Manuskripte, welche er schrieb. Laá also die Surehands und die Apanatschkas da unten am Wasserfall bauen! Wir bauen auch! Hier oben, bei dir, im Schlosse. Wessen Bau eher fertig wird und welcher der wertvollere ist, das wird sich finden! Ich bitte dich um die Erlaubnis, morgen ein Mittagessen zu geben. Punkt zw”lf. Ich lieá Old Surehand und Apanatschka durch Kolma Putschi laden." "Uff! Die kommen nicht!" "Sie kommen! Denn ich lieá ihnen sagen, daá ich, falls sie mich durch Absage beleidigen, die Kugeln sprechen lassen werde." "So kommen sie!" "Ich lade alle deine H„uptlinge dazu. Auch Athabaska und Algongka, Wagare-Tey, Avaht-Niah, Schako Matto und andere. Nur dich nicht. Denn du hast h”her zu stehen, als alle die, welche ich nannte." "Tue, was dir beliebt: du weiát, daá du Herr hier bist. Sag' Intschu-inta alles, was du brauchst, besonders die Speisen, welche du w„hlst. Er wird dir alles besorgen. Darf ich fragen: Wozu dieses Mittagessen?" "Erstens, um Old Surehand und Apanatschka herbeizuzwingen. Zweitens und haupts„chlich aber, um mit diesen H„uptlingen allen das zu bilden, was die Bleichgesichter als einen Lesezirkel bezeichnen. Sie haben t„glich des Abends hier oben im Schloá zu erscheinen. Du bernimmst den Vorsitz, und ich lese vor, was Winnetou geschrieben und allen roten, weiáen und anderen Menschen hinterlassen hat." "Uff, uff! Vortrefflich, vortrefflich!" rief der "Bewahrer der groáen Medizin" aus. //504// "In diesen Papieren ist sein Geist und ist seine Seele enthalten. W„hrend ich lese, tritt aus ihnen seine klare, reine, edle und wahrhaft groáe Pers”nlichkeit hervor. Im Innern des Zuh”rers bildet sich die seelische, also die wirkliche, die wahrheitstreue Figur meines und deines Winnetou. Und wer diese in sich fhlt, wer sie geistig gesehen und begriffen hat, der ist fr das Komitee und fr Mr. Okih-tschin-tscha alias Antonius Paper verloren. Stimmst du mir bei?" Er reichte mir die Hand und sprach: "Ich bin von ganzem Herzen einverstanden! Zwar kenne ich das, was unser Winnetou geschrieben hat, nicht w”rtlich, aber er hat mich oft einen Blick in diese Gedanken tun lassen, und so vermute ich, daá der von dir vorgeschlagene Weg wahrscheinlich ohne h„álichen Kampf zum Frieden fhrt. Also, ich bin einverstanden." "So nimm dein Bild, und erlaube mir, dir noch ein zweites zu zeigen." Ich gab ihm das erstere und steckte einen groáen Abzug von Marah Durimeh an dessen Stelle. Kaum sah er diesen, so erhob er sich von seinem Sitz und rief aus: "Wer ist das? Bin das ich? Ist das meine Schwester? Ist es meine Mutter? Oder eine Ahne von mir?" "Es ist Marah Durimeh, von der ich dir noch viel erz„hlen werde." "Du sagst Marah Durimeh. Ist das gleichbedeutend mit unserer K”nigstochter Marimeh?" "Ja; doch davon sp„ter. Da wir einmal hier bei den Bildern sind, zeige ich dir noch ein drittes." Ich steckte neben Marah Durimeh einen Abzug von Abu Kital an die Wand. Es war ein ganz eigentmlicher Eindruck, den dieses Portr„t auf Tatellah-Satah //505// machte. Er sah es starr an, schloá hierauf die Augen, dachte nach und sagte dann, ohne die Augen zu ”ffnen: "Den kenne ich! Den hat mir Winnetou beschrieben. Und dabei sagte er mir, er habe diese Beschreibung von dir! Das kann nur der Gewaltmensch sein, dessen bloáer Anblick schon dem Herzen weh tut! Du hast ihn Abukal genannt." "Richtig! Nur der Name ist falsch. Er heiát Abu Kital, nicht Abukal. Ich habe mit Winnetou oft ber ihn gesprochen." "Ich kann ihn nicht ersehen, bitte dich aber doch, ihn sp„ter einmal genau betrachten zu drfen." "Nimm ihn mit. Nimm auch Marah Durimeh mit. Du kannst sie beide behalten; ich habe mehrere Exemplare." "So schlage sie mir ein, und gib sie mir!" Ich tat dies. Erst als er sie in der Hand hatte, ”ffnete er die wieder und sprach: "Ich gehe; ich nehme sie mit, alle drei. Sie halten mich in Gedanken fest. Ich bin ihr Gefangener. Nun fehlt mir fr heut die Zeit, dir die Bibliothek zu zeigen. Ich werde es morgen tun oder sp„ter. Also, sprich mit Intschu-inta ber alles, was du zum Mittagessen brauchst! Ich gehe." Es war ein eigentmliches Gefhl, welches er uns zurcklieá Unsere Photographien hatten gar nicht den Zweck gehabt, in dem Mount Winnetou genommen zu werden, und nun schien uns hier von Wichtigkeit zu sein. Fr das Herzle aber gab es zun„chst noch viel gr”áere Wichtigkeiten, und es versteht sich ganz von selbst daá sich diese alle auf das morgige Mittagessen bezogen. Die Einladung war von mir ausgegangen; darum fhlte sie sich als Wirtin. Sie war der Ansicht, daá sie mit Intschu-inta den Speisezettel besprechen //506// habe. Sie lieá also den riesigen Diener kommen. Das machte mir Spaá. Als er sich einstellte, gab er uns vor allen Dingen die Versicherung, daá von allem, was wir brauchten, Fleisch, Mehl und anderes, mehr als genug vorhanden sei. Das klang so tr”stlich, daá das Herzle Mut bekam. Sie stellte ein Men auf. Eine Suppe Schaumkl”áchen, Huhn, Fisch, Braten, Kochfleisch, Salat, sáe Speise, K„se usw. Vor allen Dingen lag ihr sehr viel an einem Ragout von Wildbret und einem Flammeri von Gries mit Beerensaue. Intschu-inta h”rte and„chtig zu und nickte zu allem. Er hatte alles; er wuáte alles; er kannte alles; und er versprach alles. In Wahrheit ab wurde sein Gesicht immer l„nger und l„nger. Als sie die verschiedenen Gewrze erw„hnte und dabei nach einer Peppermill *) fragte versicherte er, daá mehr als zwanzig Stck vorhanden seien. Da strahlte sie vor Vergngen. "H”rst du, es ist alles, alles da!" jubelte sie. "Das wird ein Essen, mit dem ich Ehre einlege!" "Liebes Herzle, willst du dir diese sch”nen Sachen nicht vielleicht erst einmal zeigen lassen?" fragte ich. "Ja, das werde ich!" antwortete sie. "Aber du darfst nicht dabei sein!" "Warum nicht?" "Ich brauche dich nicht! Topfgucker verderben den Brei?" "So gehe hin und koche! Meine Wnsche begleiten dich bis in die Kche!" "Ich danke dir! Leb' wohl! Ich komme bald wieder." Sie entfernte sich froh-elastischen Schrittes. Intschu-inta folgte ihr. Aber ehe er ganz hinaus war, drehte er sich noch einmal um und warf mir einen derart hilf- ___________________________ *) Pfeffermhle //507// losen [hilflosen] und verlegenen Blick zu, daá ich mir Mhe geben muáte, nicht laut aufzulachen. Nach einer Stunde brachte man mir das Abendbrot. Das Herzle lieá mir sagen, ich solle allein essen; sie k„me noch nicht. Nach wieder einer Stunde schickte sie Intschu-inta und gab mir durch ihn die Nachricht, daá sie noch zwei Stunden brauche, um fertigzu werden. Ich wollte ihn fragen, um N„heres zu erfahren; aber er verschwand so schnell, daá ich gar nicht zu Wort kam. Ich las in Winnetous Manuskripten. Als die zwei Stunden vorber waren, erklang hinter mir von der Tr her die Stimme meiner Frau: "Geh' immer schlafen, wenn du mde bist! Ich habe noch l„ngere Zeit zu tun!" Ich drehte mich schnell nach ihr um, sah aber nur noch den Vorhang wackeln; sie selbst war schon wieder fort. Ich wartete noch eine Stunde; dann ging ich nach Winnetous Schlafzimmer und legte mich nieder. Wie lange ich geschlafen hatte, das weiá ich nicht. Da wachte ich auf. Ich fhlte ihre frische, gesunde K”rperatmosph„re. Sie war da. Sie stand unter der Tr, die von meinem Zimmer nach der Wohnung von Winnetous Schwester fhrte, die jetzt die ihrige war. Ich r„usperte mich. Da fragte sie: "Bist du wach?" "Ja; soeben erst aufgewacht", antwortete ich. "Wieviel Uhr ist es?" "Gleich drei Uhr." "Und so lange warst du in der Kche?" "Ja; aber das ist gar keine Kche, sondern etwas ganz anderes, was ich dir am Tag zeigen muá. Es ist hier alles kolossal -." "Wie steht es mit der Schaumkl”áchensuppe?" "Die gibt es natrlich nicht." //508// "Mit dem Wildbretragout?" "Auch nicht." "Mit dem Griesflammeri in Beerensauce?" "H”re, ich glaube gar, du willst mich h„nseln!" "Und mit den zwanzig Peppermills?" "Bitte, sei still! Du bist ein h”hnischer Charakter! Ein abstoáender, unsympathischer Mensch, vor dem man sich in acht zu nehmen hat! Ist das der Lohn dafr, daá ich mich so redlich plage, um deinem Mittagessen Ehre zu machen? Bedenke doch: Neun Indianerinnen und vier Indianer in dem groáen, riesigen Gew”lbe, welches man hier als Kche zeigt! Was haben die rennen, laufen und arbeiten mssen! Und was werden sie noch zu arbeiten haben, bis das Essen beginnen kann! Es wird groáartig! Ich backe sogar Pfannkuchen. Es ist alles dazu da! Nun aber gute Nacht!" "Auf wie lange?" "Auf nur zwei Stunden. Bis fnf Uhr. Dann muá ich wieder fort Alle dreizehn Personen sind wieder bestellt." "Mein armes Herzle!" "O bitte! Hier gibt es gar nichts zu klagen! Ich fhle mich unendlich glcklich, fr so viele und so berhmte Indianerh„uptlinge kochen, braten und backen zu drfen! Niemals h„tte ich mir das tr„umen lassen! Also, gute Nacht!" Sie zog sich in ihre Wohnung zurck, und ich schlief wieder ein Als ich erwachte, war es schon sp„ter Morgen, und auf meiner Decke lag ein vom Herzle geschriebener Zettel, dessen Zeilen folgendermaáen lauteten: "Ich bin seit 5 Uhr munter. Es geht alles pr„chtig. Das Essen wird groáartig. Du kannst schlafen bis halb 12. Da komm ich, dich zu wecken. Mit dem Speisesaal bin ich //509// fertig; er steht bereit. Solltest du eher aufwachen, so inspiziere ihn, ob vielleicht etwas fehlt. Ueber die G„ste haben wir nichts Bestimmtes besprochen; darum hat ich an deiner Stelle alles eingeladen, was H„uptling heiát. Ist das ein Fehler? Zu essen haben wir genug. Es gibt sogar chinesischen Tee aus ger”steten Erdbeerbl„ttern und einen ganzen Haufen Corn-Salad aus wildgewachsenen Rapunzeln. Dein Herzle." Das war so echt Klara! Alle Sorge nimmt sie mir ab. Ich soll wom”glich nichts weiter tun als essen, trinken und schlafen, damit ich so lange wie m”glich lebe. Ich stand schnell auf und rief Intschu-inta. Als er kam, teilte er mir mit, daá zwei Weiáe da seien, die seit einer Stunde auf mich warteten. "Zwei Weiáe?" fragte ich. "Ich denke, es ist Weiáen verboten, hierher zu kommen!" "Sie sind Freunde von Okih-tschin-tscha. Der hat es ihnen erlaubt." "Ah so! Haben sie ihre Namen genannt?" "Ja; sie sind Brder und heiáen Enters." "Die kenne ich. Wo sind sie?" "Noch im Hof. Soll ich sie heraufbringen?" "Nein. Ich gehe hinunter. Was tut meine Frau? Wo steckt sie jetzt?" "Noch immer in der Kche; da gebietet sie wie eine K”nigin; da strahlt sie wie eine Sonne, und da arbeitet sie wie das „rmste Weib eines Coyoteindianers. Sie hat heute frh eine Gehilfin bekommen, ber die sie sehr glcklich ist." "Wen?" "Aschta, die unvergleichliche Frau Wakons, des berhmten Medizinmannes der Sioux. Diese hatte unten im Lager geh”rt, daá Old Shatterhands Squaw es ber- //510// nommen [bernommen] habe, die Wirtin unserer heutigen G„ste zu sein, und ging sofort herauf zu ihr, um sie zu bitten, ihr helfen zu drfen. Nun werden es zwei Wirtinnen sein, eine europ„ische und eine indianische, die sich vorgenommen haben, die Bedienung der H„uptlinge selbst zu berwachen. Doch schau, wer kommt da unten?" Wir standen am Fenster. Er zeigte nach der Unterstadt. Dort war ein Zug von vielleicht hundert Indianern angekommen, in Leder gekleidet und wie es schien, sehr gut beritten. Welchem Stamm sie angeh”rten, konnten wir nicht erkennen. Sie hielten sich dort nicht auf, sondern wendeten sich nach der oberen Stadt. Eine hochgewachsene, stolz zu Pferde sitzende Gestalt ritt ihnen voran. Ich hatte keine Zeit, sie weiter zu beobachten, denn die Brder Enters warteten auf mich. Als ich in den Hof kam, hatten sie sich um m”glichst wenig beachtet zu werden, in einen abgelegenen Winkel zurckgezogen. Hariman freute sich, mich zu sehen; das war ihm anzumerken. Sebulon war zurckhaltender wie immer. "Ihr seid gewiá berrascht, uns hier zu sehen, Mr. Burton", sagte der erstere. "Wir k”nnen keine langen Reden halten, denn niemand da unten soll wissen, daá wir mit Euch verkehren. Warum habt ihr Euch am ,dunklen Wasser' nicht von uns sehen lassen?" "Weil wir schneller fort muáten, als wir gedacht hatten", antwortete ich. "Sind die vier St„mme noch dort?" "Heut' nicht mehr; sie sind unterwegs. Sie kommen in drei Tagen hier an." "Wie stark?" "Ueber viertausend Reiter." "Wo verstecken sie sich?" "In einem fern von hier liegenden Tal, welches das ,Tal der H”hle' heiát." //511// "Kennt Ihr es?" "Nein. Wir werden es aber heut schon aufsuchen, um sp„ter zu wissen, woran wir sind. Die Hauptsache war, uns bei Euch anzumelden." "Wie kommt es, daá man Euch zugelassen hat? Man wollte doch keine Weiáen hier dulden!" "Wir waren an Mister Antonius Paper empfohlen." "Von wem?" "Von Kiktahan Schonka. Da lieá man uns passieren." "Wo haltet ihr euch jetzt auf?" "Eben bei Antonius Paper, dem Schurken!" "Was? Wie? Schurke? Wie kommt ihr dazu, ihn so zu nennen?" "Weil er einer ist! Wir kamen hierher, um ehrlich gegen ihn zu sein. Wir richteten alles an ihn aus, was uns von Kiktahan Schonka anvertraut worden war. Er tat, als sei er unser allerbester Freund. Er veranlaáte uns sogar, bei ihm zu bleiben. Dann aber belauschten wir ihn im Gespr„ch mit dem Agenten Evening, und da erfuhren wir, daá er der gr”áte Schuft ist, den es geben kann. Denkt Euch, Mister Burton, wir beide sollen von Kiktahan Schonka, Paper und Evening ausgenutzt werden, ohne etwas dafr zu bekommen. ja, noch schlimmer: Wenn man uns nicht mehr braucht, sollen wir auf die Seite geschafft werden und verschwinden. Ist so etwas zu denken?" "Ich denke es mir nicht nur, sondern ich weiá es schon l„ngst. Ich weiá sogar noch mehr. N„mlich Paper und Evening werden von dem alten Kiktahan Schonka ebenso betrogen wie ihr. Auch sie sollen verschwinden, wenn der groáe Streich gelungen ist. Die verbndeten H„uptlinge wollen nichts geben, sondern alles fr sich behalten." //512// " All devils! Da seid Ihr ja der einzige ehrliche Mensch, den es hier gibt! Wir stecken mitten zwischen Lgnern und Verr„tern! Gebt uns guten Rat, Mister Burton; wir brauchen ihn!" Was ich ihnen riet, versteht sich ganz von selbst. Sie sollten bei Paper bleiben, die Augen offen halten und mir alles mitteilen, was sie beobachteten. Das weitere [Weitere] wrde sich dann finden. Als sie fortgingen, war ich ihrer bedeutend sicherer als vorher. Doch ehe sie sich entfernten, fragte Sebulon in etwas zaghafter Weise: "Darf ich erfahren, wie es Mistreá Burton geht?" "Ich danke", antwortete ich. "Sie befindet sich sehr wohl. Sie spricht oft von Euch." "Wirklich, wirklich?" "Ja. Ich glaube sogar, sie hat Euch gern." Da nahm sein Gesicht einen ganz eigentmlichen, glcklichen Ausdruck an, der alles Schlimme, was sonst von ihm zu denken war, vergessen lieá. Seine Lippen bewegten sich, als ob er noch etwas sagen wollte, doch wurde es nicht laut. Als sie zum Tor hinaus wollten, muáten sie zur Seite treten. Ein Reiter kam herein. Ich erkannte den hohen stolzen Mann, der den vorhin angekommenen Indianern vorangeritten war. Er beachtete die Brder nicht, kam bis zu mir herangeritten, schaute mich an und sagte in kurzer, bestimmter Weise: "Noch sah ich dich nie! Aber du bist Old Shatterhand?" "Der bin ich", antwortete ich. "Ich komme direkt zu dir, zu keinem andern. Ich h”rte, daá du hier oben wohnst. Daá meine Squaw bei der deinen sei. Ich kam soeben an. Ich bin Wakon. Ich bringe euch die auserlesene Jugend meines Stammes." //513// In seinem Gesicht strahlte die Freude des Erkennens. Er schwang sich vom Pferd und begráte und umarmte mich wie einen alten, sehr lieben und sehr werten Bekannten. "Ich bin dein Freund", fgte er hinzu. "Laá mich dein Bruder werden. Zeig' mir deine Squaw und auch die meine, damit ich beide begráe!" Ich hatte keine Ahnung, wo die sogenannte Kche zu suchen war. Zum Glck erschien in diesem Augenblick unser riesiger Intschu-inta, der uns nach der richtigen Stelle brachte. Das war im Parterre, hinter einer groáen, offenen Halle. Man sah uns kommen. Da traten sie heraus, die beiden, die wir suchten: das Herzle, die Žrmel aufgeschlagen und die beiden Arme bis an die Ellbogen mit Teig beklebt, und Aschta, die Mutter, auch beide Žrmel aufgeschlagen, die Arme aber gl„nzend von Backfett, Salat und „hnlichen guten Dingen. Wir lachten alle vier. Eine gegenseitige Berhrung war unm”glich. Darum nahm die Begráung einen weniger intimen Verlauf, worauf wir beiden M„nner unsere Frauen ihrem schmackhaften Beruf zurckgaben. Intschu-inta nahm das Pferd des Medizinmannes in Verwahrung. Ich aber hielt mich fr verpflichtet, Wakon zun„chst zu Tatellah-Satah zu fhren. In seinem Haus angekommen, h”rten wir, daá er sich in der Bibliothek befinde. Diese lag im zweiten Haus. Ich bergehe die Begráung dieser hochbedeutenden M„nner, auch die sehr wichtige Konferenz und Aussprache, welche hierauf folgte. Dann geleitete Tatellah-Satah uns durch die s„mtlichen R„ume der Bibliothek und nach dem dritten und vierten Haus, wo wir den Tempel und die weit ausgedehnten R„ume fanden, in denen die geheimnisvollen Zeugen vergangener Jahrhunderte und Jahrtausende untergebracht waren. Eigentlich betrachten konnten wir nichts; //514// dazu war die Zeit zu kurz. Es handelte sich nur um einen schnellen, allgemeinen und nur orientierenden Blick auf all die Reichtmer und Herrlichkeiten, von deren Vorhandensein die Angeh”rigen der auáeramerikanischen Rassen gar nichts ahnten. Wenn ich "Winnetous Testament" ver”ffentliche, werde ich auf diese R„ume zurckkommen und habe dann Zeit, ihrer so ausfhrlich zu gedenken, wie sie es verdienen. Eins nur will ich erw„hnen. N„mlich wir sahen im Tempel die Riesenhaut des "l„ngst ausgestorbenen Silberl”wen", von welcher der Medizinmann der Komantschen im "Haus des Todes" gesprochen hat. Dieser L”we war allerdings ganz bedeutend gr”áer gewesen, als die jetzigen Pumas sind. Die Schrift war noch vorhanden. Daneben hing die Haut des groáen Kriegsadlers, die von dem Medizinmann der Kiowas erw„hnt worden war. Wir waren mit diesem unserem Rundgange noch lange nicht zu Ende, so muáte ich Tatellah-Satah bitten, uns fr heute zu entlassen. Es waren nur noch Minuten, so muáten unsere G„ste erscheinen. Es gab da zwei Punkte, an die ich mit groáer Spannung dachte. Der eine war, ob Old Surehand und Apanatschka erscheinen wrden oder nicht. Hierauf kam sehr viel an. Der andere Punkt betraf das Mahl und das ganze Arrangement dieses sehr wichtigen, festlichen Empfanges. In letzterer Beziehung hatte ich mich auf Intschu-inta verlassen, der von Tatellah-Satah mehr als gengend instruiert worden war. Und in ersterer Beziehung war abzuwarten, ob wir uns mit den Knsten der roten und der weiáen Kchenfee blamieren wrden oder nicht. Ich bat Wakon, mir beim Empfange der G„ste ebenso beizustehen, wie seine Aschta meinem Herzle im Backen und Braten Hilfe leistete. Er war gern einverstanden. //515// Der Empfang fand nicht in demselben Raum statt, in dem sp„ter gegessen werden sollte, sondern in dem, wo die Platte mit den Friedenspfeifen stand. Kaum hatten wir uns da eingestellt, so kamen die ersten G„ste; die anderen folgten schnell hinterher. Die beiden letzten waren - - Old Surehand und Apanatschka. Als sie eintraten, suchten sie mit den Augen nach mir. Sie sahen mich, und da brach alles, alles, was frher gewesen war, durch, und all der gegenw„rtige Zwist war verschwunden. Sie eilten jubelnd auf mich zu, drckten mich wieder und wieder an sich und baten, sich zu meiner Rechten und Linken niedersetzen zu drfen. Wie froh ich war! Ich wuáte nun mit einem Mal, daá ich gewonnen hatte. Die Pfeifen wurden gefllt. Ich hatte die G„ste zu begráen. Ich tat dies in kurzer, doch herzlicher Weise. Die Zeremonie des Rauchens braucht nicht beschrieben zu werden. Ein jeder antwortete. Als das vorber war, galt es, den Hauptgegenstand des heutigen Tages in das Auge zu fassen. Eben wollte ich aufstehen und eine hierauf bezgliche Ansprache halten, da ging die Tr auf, und wer trat herein? Tatellah-Satah, der "Bewahrer der groáen Medizin". Sobald sie ihn sahen, erhoben sich alle Anwesenden ehrerbietig von ihren Pl„tzen. Ich brannte schnell eine Pfeife an und gab sie ihm. Er tat die vorgeschriebenen sechs Zge der Begráung, gab sie mir wieder und sprach so kurz und pr„gnant, wie nur jemand spricht, der zu gebieten versteht: "Ich bin Tatellah-Satah. Ihr seid die Stimmen meines ber alles geliebten Volkes. Ihr sollt erklingen, und ich will h”ren. Der edelste aller M„nner dieses Volkes war Winnetou, der H„uptling der Apatschen. Ihm soll ein Denkmal werden. Was heiát das? Der Gedanke Winnetou soll „uáerlich Gestalt gewinnen. Einige //516// von euch denken sich diese Gestalt von Erz oder Stein. Sie soll auf der kalten, einsamen H”he des Berges stehen. Wir andern denken uns diese Gestalt von Fleisch und Blut, nicht tot, sondern lebend. Ein jeder, der zur roten Rasse geh”rt, soll ein Tropfen dieses warmen, edlen Blutes sein. Der Winnetou der erstgenannten wird geh„mmert, gemeiáelt oder gegossen. Unser Winnetou aber soll sich von innen heraus entwickeln, aus dem Herzen heraus. Die ganze rote Rasse soll sich zu einem einigen Winnetou gestalten, der hoch ber allem, was niedrig ist, auf den lichten H”hen des Lebens steht. Ein Stolz fr uns und eine Freude fr Manitou, den Allergr”áten und Allerreinsten!" Sich nun an Old Surehand und Apanatschka wendend, fuhr er fort: "Ihr und eure S”hne seid fr den steinernen Winnetou. Ob das richtig ist oder falsch, will ich nicht allein bestimmen. Ihr selbst sollt auch mit entscheiden. Ihr laát euern Winnetou am Wasserfall stehen, damit wir ihn sehen und bewundern m”gen. Wohlan, so bitten wir euch, dasselbe tun zu drfen. Er soll nicht nur vor euern Augen, sondern in euch selbst entstehen. Ihr sollt ihn nicht nur sehen, sondern auch fhlen und empfinden. Dann sollt ihr sie beide vergleichen, den eurigen und den unsrigen. Und ist dies geschehen, so werden wir wissen, fr welchen wir uns entscheiden. Wer stimmt mir bei?" "Howgh!" antwortete ich. "Howgh!" fielen alle diejenigen ein, die bisher gleicher Meinung mit mir gewesen waren. "Howgh! " riefen sogar auch Old Surehand und Apanatschka, teils hingerissen von der Erscheinung und der Beredsamkeit des Alten, teils aber auch, weil sie ihn //517// nicht ganz verstanden und darum ihr Projekt noch immer als siegreich betrachteten. Hierauf sprach Tatellah-Satah weiter: "Ich lade euch alle ein, zu mir zu kommen, heute abend, sobald es dunkel geworden ist. Bringt auch Young Surehand und Young, Apanatschka mit, die beiden Knstler, die nur ihren steinernen Winnetou kennen, den andern, den lebendigen, aber nicht. Sie sollen die wahre Kunst kennenlernen, welche nicht darin besteht, das Irdische abzukonterfeien, sondern das Himmlische im Irdischen nachzuweisen. Sie sollen heut abend bei mir den sprechen h”ren, den sie daoben auf dem Berg versteinern wollen. Sie sollen erfahr er von ihnen verlangt. Und haben sie das von ihm geh”rt, so wollen wir sie fragen, ob sie noch darauf bestehen, uns ein totes Bild zu geben, anstatt Leben, Fleisch und Blut. Also, ich erwarte euch alle, alle. Ich habe gesprochen!" Er winkte mit der Hand, drehte sich um und verschwand aus dem Zimmer. Niemand sprach ein Wort, so tief war der Eindruck, den er hervorgebracht hatte. Da erschien Intschu-inta und meldete, daá das Mahl bereitet sei. Das brachte wieder Bewegung in die Versammlung, welche sofort aufbrach, dem Ruf der roten und der weiáen K”chin zu folgen. Das gute Herzle berraschte mich durch zweierlei. Erstens hatte sie ihr indianisches Frauengewand angelegt, aus seidenweicher gefertigt und mit uralten Perlen und Fransen verziert. Und zweitens war das von ihr und Aschta getroffene Arrangement ein so frappantes und gelungenes, wie ich es nicht hatte erwarten k”nnen. Es waren, ohne daá ich es gemerkt hatte, sehr viele H„nde t„tig gewesen, den Raum zu einem indianisch festlichen zu gestalten, und das Mahl war geradezu raffiniert be //518// reitet [bereitet] und zusammengestellt, wenn es auch dabei Gensse gab, ber die ein englischer oder franz”sischer Koch die H„nde ber den Kopf zusammengeschlagen h„tte. Aber grad das, was ich fr am gewagtesten hielt, das aáen die H„uptlinge am liebsten. Wenn mir angst ber ein neues Gericht wurde, ber dessen Unbefangenheit ich sehr im Zweifel war, da griffen sie am schnellsten zu. Sie fanden alles wunderbar. Was vorgelegt wurde, verschwand, als sei es nie dagewesen. Aber es wurde erg„nzt. Es kam immer mehr und mehr. Es wollte gar kein Ende nehmen, bis schlieálich doch der eine und der andere das Messer beiseite legte und ernstlich erkl„rte, daá es ihm am Atem fehle. Der rote Mann iát gern und iát viel. Und grad da, wo alles aufh”ren wollte, wurden noch ganze Berge von Pfannkuchen gebracht, mit allen m”glichen und unm”glichen Dingen gefllt. Das kam von diesem nichtsnutzigen Wesen, dem Herzle, dem es ganz gleichgltig ist, ob man an zu viel Pfannkuchen stirbt oder nicht, wenn sie einem nur gut bekommen. Und sie wurden alle! Und sie bekamen! Dann aber saáen die wrdigen H„uptlinge sehr still und sehr satt nebeneinannder, und es war beiden, sowohl der roten als auch der weiáen K”chin sehr deutlich anzusehen, daá sie sich in diesem Augenblick als Siegerinnen fhlten; wir aber waren die Geschlagenen. Natrlich war die Unterhaltung w„hrend des Essens eine auáerordentlich lebhafte gewesen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, aus was fr Personen und Charakteren sich die Gesellschaft zusammensetzte. Ich saá, wie bereits erw„hnt, zwischen Old Surehand und Apanatschka. Was w„hrend der Zeit, in der wir einander nicht gesehen hatten, mit uns geschehen war, das hatten wir uns sehr bald in groáen, allgemeinen Zgen mitgeteilt. Auch ber //519// die Frage, ob ich in Old Surehands Landhaus vorgesprochen habe und wie ich zu seinen Pferden und Maultieren gekommen sei, wurde verh„ltnism„áig schnell hinweggegangen. Jetzt lag ihnen vor allen Dingen daran, mich wom”glich fr ihr Denkmalsprojekt zu gewinnen, und so bildete dies das einzige Thema fr den ganzen weiteren Verlauf des Essens. Ich aber lieá mich in nichts ein. Ich stritt mich nicht. Aber indem ich ihnen erz„hlte, was wir am Nugget-tsil ausgegraben hatten, bereitete ich, ohne daá sie etwas davon bemerkten, die Wirkung des heutigen Abends vor. Old Surehand und Apanatschka waren krzlich an der Pazific gewesen, von welcher aus die Umgebung des Mount Winnetou zu verproviantieren und mit allen erforderlichen Lebensbedrfnissen zu versehen war. Auch das war ein Gesch„ft, bei dem man viel Geld zu verdienen hoffte. Die Verbindung mit der Bahn muáte durch einen regen Wagen- und Packtierverkehr unterhalten werden. Diesen einzurichten, war die h”chste Zeit, weil die Menschenflut, die man erwartete, hier nun bald einzutreffen hatte. Nach dem Festmahl kehrten alle in ihre Zelte heim. Nur Wakon blieb mit seiner Squaw bei uns. Wir vier hatten uns gegenseitig schnell liebgewonnen. Ihre Tochter war oben im Wachtturm bei den Arbeiterinnen, die von dem "jungen Adler" besch„ftigt wurden. Ich schlug vor, zu ihm hinaufzuspazieren. Aschta war schnell einverstanden und bat, auch den alten, guten Pappermann mitzunehmen. Wakon aber hatte den Wunsch, in Winnetous Zimmer bleiben und dessen "Testament" durchsehen zu drfen. Das gestattete ich ganz selbstverst„ndlich sehr gern. Pappermann wurde gerufen; dann stiegen wir durch den Wald zu dem "Adler" empor. Dieser f reute sich auf richtig, als er uns sah, und //520// fhrte uns auf das platte Dach seiner Wohnung. Dort gab es groáe Heimlichkeiten, von denen ich jetzt noch nichts erz„hlen m”chte. Es handelte sich, soviel sah ich sogleich, um einen Flugapparat, aber um keine der bis jetzt bekannten Konstruktionen. Ich sah fr heute nur zwei eigenartige flordnne Flgel im Entstehen und zwei hohle K”rper, oder sagen wir, zwei enganliegende Gew„nder, welche auáerordentlich kunstreich aus stahlharten aber federleichten Binsen geflochten waren. Es gab hierzu einen kleinen, nicht sehr schweren aber sehr wirkungsvoll len Motor, den er sich aus dem Osten mitgebracht hatte. Das war das Paket gewesen, welches er trug, als er in Trinidad zu uns kam. Die K”rper waren noch nicht fertig. Es wurde noch an ihnen gearbeitet, und zwar schien Aschta, die jngere, sich vorgenommen zu haben, sie g„nzlich fertig zu stellen. Es war eine wunderbare Aussicht hier oben. Darum blieben wir so lange da, bis wir nicht l„nger warten konnten. Dann stiegen wir wieder hinab nach unserer Wohnung, wo wir Wakon so vertieft in seine Lektre fanden, daá er es fast berh”rte, daá wir bei ihm eintraten. Er legte das Heft, in dem er soeben gelesen hatte, beiseite, stand auf und sprach: "Ja, das ist Winnetou, Winnetou selbst! Wenn wir heute abend den vorlesen, wird er sich riesengroá und riesenstark in uns erheben und alle Gegner aus dem Feld schlagen. Ich fhle ihn schon in mir, mild, ernst, rein, keusch und edel, nur aufw„rts strebend zur irdisch m”glichsten Vollkommenheit. Das wird ein herrliches, ein sch”pferisches Entstehen in uns selbst. Davon soll meine Squaw nicht ausgeschlossen sein. Ich nehme Aschta mit!" "Und auch mich!" bat das Herzle. "Oder ist es uns Frauen verboten, mit anwesend zu sein?" //521// "Eigentlich ja", antwortete ich. "Aber niemand wird wagen, euch zurckzuweisen. Es handelt sich nicht um eine H„uptlingsversammlung, denn Young Surehand und Young Apanatschka sind auch geladen. Wo diese sein drfen, drft auch ihr erscheinen." Eben als ich dies sagte, kam Kolma Putschi. Sie sagte uns, daá Old Surehand, Apanatschka und ihre S”hne schon bei Tatellah-Satah seien. Sie habe sich mit ihnen eingestellt, um bei uns anzufragen, ob Aschta und das Herzle gesonnen seien, sich zu beteiligen. Da wnsche sie, sich ihnen anzuschlieáen. Das wurde ihr ganz selbstverst„ndlich gew„hrt. Ich nahm, als wir nun gingen, nur die ersten beiden der Hefte mit, die Winnetou fr mich geschrieben hatte. Als wir bei Tatellah-Satah ankamen, waren schon alle anderen Eingeladenen anwesend. Er hatte sich nach dem herrlichen Passiflorenraum bringen lassen, nach welchem er nun auch uns geleitete. Da waren aus Fellen zahlreiche Sitze bereitet. Hohe, aus dem Wachse wilder Bienen bereitete Kerzen brannten. Damit die k”stliche Bltenluft nicht durch die vielen Lichterflammen verunreinigt werde, stand die in das Freie fhrende Treppentr offen. Fr den Vorleser, der war ich, gab es einen erh”hten Sitz, zu dessen Seiten, um mir das n”tige Licht zu geben, die Kerzen vervielfacht waren. Als wir eintraten, standen die Anwesenden alle auf. Daá wir unsere Frauen mitbrachten, schien ihnen ganz verst„ndlich zu sein. Tatellah-Satah forderte sie durch einen Wink auf, ihre Sitze wieder einzunehmen. Er selbst blieb stehen, um einige Worte des Gruáes und der Einleitung zu sprechen. Er erkl„rte den Zweck unserer heutigen Zusammenkunft und Vorlesung und forderte die Versammelten auf, ihre Augen nach innen zu richten, um die Ankunft //522// dessen, dem dieser Abend gewidmet war, ja nicht zu bersehen. Dann begann die Vorlesung. Die ersten Zeilen lauteten: "Ich bin Winnetou. Man nennt mich den H„uptling der Apatschen. Ich schreibe fr mein Volk. Und ich schreibe fr alle, die da Menschen sind auf Erden. Manitou, der Groáe, der Allgtige, breite seine H„nde aus ber dies mein Volk und ber alle, die es ehrlich mit ihm meinen!" Als diese Worte erklangen, ging eine tiefe, fast m”chte ich sagen, eine heilige Bewegung durch die Versammlung. "Winnetou!" "Winnetou!" "Winnetou!" hauchte es rundum. Ich las weiter. Ein voller, inhaltsreicher Lapidarstil war meinem unvergleichlichen roten Bruder eigen gewesen, wie stets im Sprechen, so auch hier im Schreiben. Das wuchtete. Das hob empor! Und das riá hin! Den Inhalt dessen, was ich vorlas, wird man kennenlernen, wenn das Testament im Druck erscheint. Es entstand die Seele des Knaben Winnetou, die Seele der einstmals jungen, roten Rasse. Sie entwickelte sich; sie wuchs. Die Schicksale Winnetous waren die Schicksale seiner Nation. In dem ersten Heft, aus dem ich vorlas, beschrieb er seine Kindheit, in dem zweiten sein Knabenalter. Ich saá der offenen Tr grad gegenber. Als ich zwischen den Zeilen einmal aufblickte, sah ich eine Gestalt, welche drauáen vor der Tr, im Freien, erschien. Sie kam nicht herein. Sie setzte sich drauáen nieder, um zuzuh”ren. Die Gestalt war jung. Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen. Das Haar hing ihr lang und voll ber den Rcken herab. War es Winnetou? Hatte er sich aus jener anderen Welt herniedergelassen, um dabei zu sein, wenn sein Verm„chtnis laut zu sprechen begann? //523// Die Zuh”rer waren bis tief in ihr Innerstes gefesselt. Ihre Augen hingen an meinem Mund. Sehr h„ufig erklang ein leises oder auch ein lauteres "Uff!" Die Spannung war groá. Sie lieá nicht nach, sondern sie wuchs. Die sitzende Gestalt drauáen vor der Tr regte sich nicht, so gefangen war sie von dem, was sie h”rte. Ich las bis Mitternacht; da wollte ich aufh”ren; aber kein einziger der Anwesenden war damit einverstanden. "Weiter, weiter!" bat man von allen Seiten. Wakon erbot sich, an meiner Stelle fortzufahren. Ich willigte ein. Er las und las, noch stundenlang, bis drauáen der Morgen tagte und man sehen konnte, daá der vor der Tr Sitzende und so aufmerksam Zuh”rende der "junge Adler" war. Da stand ich auf und bat, Schluá zu machen; heute abend sei bessere Zeit als jetzt, in der Vorlesung fortzufahren. Nur in der Hoffnung auf dieses letztere war man einverstanden. Man erhob sich von den Sitzen. Kein einziger sprach ein Wort. Es erschien wie eine Entweihung, jetzt anderes zu sagen. Da deutete Tatellah-Satah hinaus nach dem ”stlichen Horizont und sprach: "Meine Brder m”gen sehen, daá der Tag im Erscheinen ist, der junge Tag, den die Sprache der Menschen den Morgen nennt. Zur selben Zeit ist in mir und, wenn Manitou es will, in ihnen auch ein Tag erschienen, ein neuer, junger, sch”ner Tag, sch”ner als alle die Tage, die vergangen sind. Ich meine den neuen, groáen, herrlichen Tag der roten Nation. Er wurde in diesen unserm Winnetou geweihten Stunden in euch geboren. Fhlt ihr ihn? Und fhlt ihr tief in euch die Seele dessen, um dessen Testament wir uns versammelten, zu erfllen, was er uns in ihm erl„utert und verheiáen //524// hat! Fhlt ihr sein Bild, welches in euch wachsen will?" "Es ist da!" antwortete Athabaska. "Ja, es ist da!" rief Aschta, die Begeisterte. "Es ist da; es ist da!" stimmten auch die anderen bei. Sogar Old Surehand und Apanatschka best„tigten es. Nur ihre S”hne sagten noch nichts. Auch sie fhlten die tiefe Wirkung des Manuskriptes. Aber sie wuáten, daá ihr Plan um so unausfhrbarer wurde, je mehr diese Wirkung sich vertiefte. Darum dr„ngten sie das, was ber ihre Lippen wollte, jetzt noch zurck. "Und kommen meine Brder heute abend wieder?" erkundigte sich Tatellah-Satah. "Ich erwarte sie zu ganz derselben Zeit." "Wir kommen", versicherte Algongka. "Ja, wir kommen", sagte Kolma Putschi, die ganz gewonnen war. "Wir kommen; wir kommen!" riefen alle anderen. Und dieses Mal waren auch die Stimmen der zwei jungen Knstler dabei. So brachen wir auf und gingen heim. Bei uns angekommen, gestand das Herzle, ehe wir zur Ruhe gingen: "Glaubst du, daá ich wirklich ein neues Wesen, eine seelische Gestalt in mir fhle, die vorher nicht vorhanden war?" "Ich glaube es. Doch bitte, sprechen wir ja nicht in R„tseln. Es ist die Gedankenwelt Winnetous, die uns ergriffen hat und uns erobern wird, ob wir m”gen wollen oder nicht. Gute Nacht, Herzle!" "Gute Nacht! Ich glaube, wir siegen!" --- [//525//] Achtes Kapitel. Der Sieg. Die Vorlesung wurde t„glich fortgesetzt. Sie bewirkte Wunder. Ihre gr”áte Wirkung war die, daá Young Surehand und Young Apanatschka stets die ersten waren, die sich einstellten. Sie konnten das Folgende kaum erwarten. So groáe Freude uns dies machte, so taten wir doch, als ob wir gar nicht darauf achteten. Und sie ihrerseits vers„umten trotz dieses groáen Interesses fr unseren seelischen Winnetou doch keineswegs, den Aufbau ihres steinernen Bildes am Schleierfall so viel wie m”glich zu f”rdern. Es wuchs zusehends empor, weil die einzelnen Teile schon fertig behauen waren und nur noch zusammengesetzt zu werden brauchten. Es war, als ob ein Wettstreit herrsche, welche Figur am ersten fertig sein werde, ihre steinerne oder unsere rein geistige, die sich in den Vorleseabenden in immer gr”áerer H”he und Sch”nheit entwickelte. Am Abend des dritten Tages, nachdem die Gebrder Enters bei mir gewesen waren, wurde ich von Hariman, dem einen Bruder aufgesucht. Er hatte, um nicht gesehen zu werden, zu diese heimlichen Visite die sp„te //526// Zeit der Dunkelheit gew„hlt. Es hatte Abend neue Ank”mmlinge gegeben, die in der Unterstadt waren. Nach der Aufregung, die ihre Ankunft dort verursachte, schienen wichtige Personen dabei zu sein, deren Namen wir aber nicht erfahren hatten. Nun kam Hariman Enters, sie uns zu nennen. Ich empfing ihn in Gegenwart meiner Frau. "Wiát ihr, Mr. Shatterhand, wer gegen Abend hier angekommen ist?" fragte er. "Nein", antwortete ich. "Eure Todfeinde, die vier H„uptlinge." "Ah? Wirklich? Allein?" "Mit nicht viel ber dreiáig Mann Begleitung, mehr nicht." "Keine Unterh„uptlinge?" "Nein." "Wie unvorsichtig von ihnen! Daraus ist doch auf das zu schlieáen, was sie vorhaben! Die Unterh„uptlinge geh”ren unbedingt zu ihnen. Fehlen sie, so bedeutet das Gefahr. Sie sind natrlich bei den viertausend Reitern, die man nach dem ,Tal der H”hle' beordert hat?" "Ganz sicher! Aber das ist jetzt Nebensache. Hauptsache ist, daá man Euch morgen zum Zweikampf herausfordern wird." "Uff! H”chst interessant!" Da aber fiel das Herzle schnell ein: "Das ist ganz und gar nicht h”chst interessant, sondern h”chst unversch„mt und h”chst gef„hrlich! Wer ist der Mensch, der sich vorgenommen hat, meinen Mann umzubringen?" Diese Frage war an Enters gerichtet. Er antwortete. "Es ist nicht nur einer, sondern es sind vier." //527// "Wie? H”re ich recht? Vier? Wer sind denn diese vier?" "Kiktahan Schonka, Tusahga Saritsch, Tangua und To-kei-chun." "Wollen sie etwa alle vier zu gleicher Zeit auf einmal auf meinen armen Mann hineinhauen, hineinstechen oder hineinschieáen?" "Nur schieáen, weiter nichts." "So! Weiter nichts! Als ob das gar nichts w„re! Und alle vier zu gleicher Zeit?" "Nein, sondern einer nach dem andern." "Das verbitte ich mir! So hbsch einer nach dem andern! Etwa wie drben in Deutschland beim Scheiben- oder Vogelschieáen! Wenn der eine nicht trifft, trifft der andere! Danke! Da kann doch kein Mensch lebendig davon kommen!" "Das meinen sie eben auch! Old Shatterhand muá unbedingt fallen. Dann ist nicht nur ihrer Rache Genge geschehen, sondern auch der steinerne Winnetou gerettet. Man meint n„mlich, daá er der einzige wirklich gef„hrliche Gegner des Denkmalbaues ist. Ist er tot, so ist mit Hilfe der viertausend Reiter alles durchzusetzen - - -" "Oho! " fiel ihm das Herzle zornig in die Rede. "Er wird aber nicht tot sein! Ehe ich mir ihn erschieáen lasse, schlage ich diese viertausend alle tot, auch einen so ganz hbsch nach dem andern, und dann - - -" Sie hielt inne. Sie bemerkte, was sie da eigentlich gesagt hatte, und brach in ein fr”hliches Gel„chter aus, in welches ich einstimmte. Dadurch gl„ttete sich ihre Erregung, und wir konnten in Ruhe weitersprechen. Es war richtig, daá die vier unvers”hnlichen H„uptlinge beschlossen hatten, mich zu einem echt indianischen Kampf auf Leben und Tod zu fordern. Daá sie dabei //528// ihre Bedingungen derart stellten, daá ich unm”glich entkommen konnte, verstand sich ganz von selbst. Jetzt, heute abend, lieá sich da weder etwas beschlieáen noch etwas tun. Man muáte die Bedingungen kennenlernen. Es war beschlossen, daá Pida, der Sohn Tanguas, mir die Forderung zu berbringen hatte. Er war mir, wie man weiá, freundlich gesinnt, und so lieá sich hoffen, daá es mir mit seiner Untersttzung gelingen werde, alles fr mich Gef„hrliche abzuwenden. Als ich das dem Herzle vorstellte, beruhigte sie sich ganz. Sie erhob sich sogar zu folgender Betrachtung: "Die Sache ist allerdings nicht im geringsten gef„hrlich, sondern einfach l„cherlich. Die vier Halunken werden riesenhaft blamiert. Du brauchst nur Mann zu sein, weiter nichts!" "Hm! Wie meinst du das?" erkundigte ich mich. "Sehr einfach: Du bist doch Duellgegner?" "Sogar sehr!" "Nun also! Wenn diese Kerle dich fordern lassen, sagst du: Ich bin Duellgegner und mache nicht mit! Da schleichen sie davon und mssen sich sch„men!" "Hm, hm!" l„chelte ich. "Und da sagst du, ich h„tte nur Mann zu sein?" "Ja! Oder ist es etwa nicht m„nnlich, seine Duellgegnerschaft offen und ehrlich zu bekennen?" "O gewiá! Ich bin ja auch ganz gern bereit, mich als Mann zu zeigen, sogar als Doppelmann!" "Doppelmann?" fragte sie. "Du, das klingt verd„chtig! Wenn du in dieser Weise kommst, ist ganz gewiá etwas nicht richtig! Ich sch”pfe Verdacht!" "Verdacht? Kannst du nichts Besseres sch”pfen, wenn berhaupt gesch”pft werden muá? Ich werde diesem Pida sehr m„nnlich gestehen, daá ich Duellgegner bin. Und //529// ich werde dann ebenso m„nnlich hinzufgen, daá ich trotzdem sehr gerne bereit bin, mich mit den vier H„uptlingen zu schieáen. Ist das nicht doppelt Mann?" "Nicht doppelt Mann, sondern doppelt falsch! Ich hoffe, daá du scherzt!" "Ich scherze allerdings, und dennoch nehme ich es ernst, beides zugleich. Offen gesagt, ich nehme diese Forderung einfach als Faxe und werde sie als Faxe behandeln, obwohl sie von feindlicher Seite blutig ernst gemeint ist. In welcher Weise ich das tue, und wozu ich mich berhaupt entschlieáe, das kann ich jetzt nicht wissen. Laá Pida kommen, dann wirst du h”ren, was ich ihm antworte!" "Du h„ltst die Sache also nicht fr gef„hrlich?" "Nein." "Und glaubst, heiler Haut davonzukommen?" "Unbedingt!" "Daran haben die H„uptlinge auch gedacht", fiel da Harirman Enters ein. "Sie trauen Eurer List und Findigkeit nicht. Darum lieáen sie mich und meinen Bruder kommen und teilten uns ihren Plan mit, Euch im Zweikampfe umzubringen. Falls Ihr dem Tod in irgendeiner Weise entgehen solltet, bin ich mit meinem Bruder von ihnen beauftragt, Euch auf die Seite zu schaffen, Euch und Eure Frau - - -" "Auch mich?" fiel ihm das Herzle in die Rede. "Seid Ihr darauf eingegangen?" "Ganz selbstverst„ndlich!" "Aber nur zum Schein?" "Nur zum Schein!" nickte er. "Es f„llt uns nicht ein, uns an Euch zu vergreifen. Wir sind Euch treu. Wir werden Euch beschtzen, nicht aber ermorden!" "Das glaube ich Euch!" versicherte sie in schneller, aber aufrichtiger Herzensregung. //530// "Ist es wahr? Glaubt Ihr das wirklich?" fragte er, indem sein Gesicht sich froh erhellte. "Es ist wahr", antwortete sie. "Und Ihr, Mr. Shatterhand?" "Auch ich glaube es", best„tigte ich. "Das freut mich! Das freut mich ungemein! Ich kann Euch sogar beweisen, daá wir es ehrlich meinen. Ich habe dafr gesorgt, daá ich es kann. Ich bringe den Beweis, den unumst”álichen Beweis. Ich habe eine Art von Kontrakt." "Etwa einen geschriebenen?" fragte ich. "Ja." "Unglaublich! Von wem ausgestellt?" "Von den vier H„uptlingen ausgestellt und von Mr. Evening und Mr. Paper als Zeugen unterschrieben. Hier habt Ihr ihn." Er gab ihn mir. Es war kein Kontrakt, sondern ein Zahlungsversprechen, dessen Ausstellung nur dadurch denkbar und m”glich war, daá sowohl die beiden Brder als auch die beiden Unterzeichneten von den H„uptlingen betrogen werden sollten. Daá diese Schrift auf absichtlichem Weg in die H„nde eines Gegners gelangen k”nne, war fr die Aussteller eine Unm”glichkeit gewesen. Sie hatte den Brdern nur fr eine kurze Zeit ausgestellt, dann aber wieder abgenommen werden sollen. Nachdem ich sie gelesen hatte, wollte ich sie Hariman Enters zurckgeben; er aber sagte: "Kann sie Euch ntzen, wenn Ihr sie behaltet?" "Sogar viel", antwortete ich. "So mag ich sie nicht wieder. Betrachtet sie als Euer Eigentum!" "So danke ich Euch. Damit habt Ihr allerdings bewiesen, daá Ihr es ehrlich meint. Warum brachtet Ihr Euren Bruder nicht mit?" //531// "Weil niemand etwas wissen soll und zwei viel eher beobachtet und entdeckt werden als einer. Sobald wieder etwas zu melden ist, mag er es tun. jetzt aber bitte ich, mich zu entlassen." "Er ist wirklich treu", sagte das Herzle, als er fort war "Ob aber auch sein Bruder?" fragte ich. "Ich glaube nicht, daá er mir etwas B”ses zufgt." "Ja, dir! Aber mir? Mich liebt er nicht. Das ist gewiá. Ich fhle mich nur darum vor ihm sicher, weil alles B”se, was er mir zufgen k”nnte, ganz unbedingt auch dich mittreffen muá. Ich stehe also, wie berall, auch hier unter deinem Schutz!" "Den hast du allerdings auch n”tig!" scherzte sie mit. "Besonders morgen, wenn vier H„uptlinge auf dich schieáen, so recht hbsch einer nach dem andern! Sei ja nicht etwa leichtsinnig! Dein Leben muá auf alle F„lle erhalten werden. Du geh”rst nicht dir allein, sondern auch mir!" - Am n„chsten Morgen stellten sich zwei Kiowa-Indianer ein, die mir meldeten, daá Pida, ihr H„uptling, mich zu sprechen habe. Ich solle ihm durch sie mitteilen, wann ich ihn empfangen wolle. Ich bestellte ihn auf Punkt die Mittagszeit. Als sie sich entfernt hatten, lieá ich durch Intschu-inta alle die Person, die zur Vorlesung zu erscheinen pflegten, so einladen, daá sie eine Viertelstunde vor Mittag bei mir einzutreffen hatten. Sie kann ich teilte ihnen in Krze mit, um was es sich handelte. Ich wnschte, daá bei der Forderung soviel Zeugen wie m”glich vorhanden seien. Pida kam in groáer Begleitung angeritten, wurde aber nur allein vorgelassen. Die bei ihm waren, standen nicht im H„uptlingsrang. Er suchte es zu verbergen, aber //532// man sah es ihm doch an, berrascht war, mich nicht allein, sondern so viel andere bei sehen. Das Herzle, Aschta und Kolma Putschi waren auch mit da. Als er eingetreten war, stand ich von meinem Platz auf, ging ich ihm einige Schritte entgegen und sprach: "Pida, der H„uptling der Kiowa, hat einst mein Herz gewonnen besitzt es auch heute noch. Doch weiá ich nicht, ob ich in der Sprache, des Herzens mit ihm reden darf oder nicht. Er sage mir, in welcher. Eigenschaft er zu mir kommt, ob als Gast, mich zu begráen, oder als Bote seines Vaters, der mir den kleinsten Gruá verweigern wrde!" Er war damals Jngling gewesen, jetzt aber ein Fnfziger. Sei Gesicht war jetzt sch„rfer geschnitten als frher, aber noch immer, sympathisch. Sein Auge ruhte mit freundlichem Blick auf mir, doch klang seine Stimme ernst, als er mir antwortete: "Old Shatterhand weiá, ob Pida ihn liebt oder haát. Ich komme als Bote meines Vaters und seiner Verbndeten." "So mag Pida sich setzen und dann sprechen!" Indem ich das sagte, kehrte ich nach meinem Platze zurck und deutete ihm durch eine Handbewegung an, sich vor mir niederzulassen. Er aber lehnte ab, indem er fortfuhr: "Pida muá stehen. Nur der Friede darf sich niederlassen und ruhen. Old Shatterhand sieht in mir den Boten von vier der berhmtesten Krieger. Ich nenne ihre Namen: Tangua, der H„uptling der Kiowa, To-kei-chun, der H„uptling der Racurroh-Komantschen, Tusahga Saritsch, der H„uptling der Kapote-Utahs, und Kiktahan Schonka, der Žlteste H„uptling der Sioux. Es ist lange her, viele Sommer und viele Winter, daá diese H„uptlinge von //533// Old Shatterhand gezwungen wurden danach zu trachten, daá er ausgel”scht werde aus der Reihe der Lebenden. Er entkam ihnen. Er lebt noch. Aber auch seine Schuld besteht noch, sie ist ungeshnt. Er hat sie vergessen. Er hat geglaubt, sie sei auch von ihnen vergessen. Er hat es gewagt, in ihr Land zu kommen und die Pfade zu betreten, die seinem Fuá verboten sind. Dadurch hat er sich ihnen ausgeliefert. Er ist ihr Eigentum. Er muá sterben. Aber die Zeiten des Marterpfahles sind vorbei, und die H„uptlinge gedenken, edel und gtig zu sein. Sie wollen ihm Gelegenheit geben, sich vom wohlverdienten Tod zu erretten. Sie wollen mit ihm k„mpfen. Ich bin gekommen, ihn zu diesem Kampf einzuladen und aufzufordern. Was antwortet er mir?" Da stand ich auf und sprach: "Nicht nur die Zeiten des Marterpfahles, sondern auch die Zeiten der langen Reden sind vorber. Was ich zu sagen habe, ist kurz. Ich bin der Feind keines einzigen roten Mannes gewesen. Ich habe weder Haá noch Tod verdient. Ich wandle auch heute nicht auf verbotenen Wegen und fhle mich den H„uptlingen keineswegs ausgeliefert. Auch die Zeiten der Mordtaten, der Faust- und der Zweik„mpfe sind vorber. Ich bin alt und bedachtsam geworden. Ich verdamme jedwedes Blutvergieáen. Ich bin ein Gegner des Zweikampfes - -" Da stieá mich das Herzle heimlich an und flsterte mir zu: "Recht so, recht so! Sei ein Mann!" Sie konnte das tun, weil ich ganz dicht neben ihr stand. Ich aber fuhr fort: "Aber weil ich die Berhmtheit der H„uptlinge kenne und ihr weiágewordenes Haar achte, will ich es vermeiden, sie durch eine Absage zu beleidigen. Ich bin also bereit, mit ihnen zu k„mpfen." //534// "Bist du toll?" flsterte mir das Herzle zu. Hierauf ergriff Pida wieder das Wort: "Old Shatterhand ist der alte. Er hat nie Furcht gekannt. Aber er sehe sich vor! Die Bedingungen, welche die H„uptlinge stellen, sind scharf, sind unerbittlich. Er wird dann zwar auch die seinigen stellen, aber es steht nicht zu erwarten, daá - - -" "Ich stelle keine", unterbrach ich ihn schnell. "Ich gehe auf alles ein, was die H„uptlinge von mir verlangen." Da sah er mich ungewiá an und fragte: "Spricht Old Shatterhand im Scherz oder im Ernst?" "Im Ernst!" "So sage er das, was ich jetzt h”rte, noch einmal. Vorher aber h”re er, was die H„uptlinge fordern. Die Waffe sei das Gewehr. - - - Er hat mit einem jeden der vier H„uptlinge zu k„mpfen. - - - Die Reihenfolge wird durch das Los bestimmt. --- Geschossen wird im Sitzen. - -Es gibt fr jeden nur einen einzigen Schuá. - - - Die Gegner sitzen einander gegenber, nur sechs Schritte voneinander entfernt. - - - Den ersten Schuá hat stets der „ltere. - - - Der zweite Schuá f„llt genau eine Minute nach dem ersten. - - - Es wird gek„mpft bis zum Tod. - - - Wenn die vier G„nge mit den vier H„uptlingen vorber sind und Old Shatterhand ist noch nicht tot, werden sie von vorn angefangen. Das sind die Bedingungen. Old Shatterhand mag sie erw„gen!" Er hatte immer da, wo die Gedankenstriche stehen, eine Pause gemacht und mich prfend, ja beinahe besorgt angesehen. jetzt antwortete ich: "Sie sind bereits erwogen. Wer kommandiert die Schsse?" //535// "Der erste Vorsitzende des Komitees." "Wie lange hat der zweite Schuá zu warten, wenn der erste nicht f„llt?" "Nicht f„llt? Die H„uptlinge sind „lter als Old Shatterhand, der noch nicht siebzig Jahre z„hlt. Keiner von ihnen wird z”gern. Sie werden schieáen, sobald das Kommando f„llt." "Wer kann das behaupten? Ich sah schon manches, was man fr unm”glich h„lt, m”glich werden. Also, ich frage: Die H„uptlinge haben jeder den ersten Schuá. Ich aber habe den zweiten. Wenn der erste Schuá nicht f„llt, wann darf ich schieáen?" "Genau eine Minute, nachdem der erste h„tte fallen sollen!" "Einverstanden. Wohin soll geschossen werden?" "In das Herz, genau in das Herz." "Nach gar keiner anderen K”rperstelle?" "Nach keiner andern!" "Wo findet der Kampf statt?" "Auf der Scheide zwischen der Oberstadt und der Unterstadt. Der Platz wird abgesteckt." "Wann?" "Eine Stunde, bevor die Sonne hinter dem Mount Winnetou verschwindet." "Wer sorgt dafr, daá diese Bedingungen eingehalten werden?" "Zwei Personen auf jeder Seite. Die H„uptlinge haben hierzu den Agenten William Evening und den Bankier Antonius Paper gew„hlt. Old Shatterhand w„hle ebenso zwei!" "So nenne ich hierzu meinen Freund und Bruder Schahko Matto, den H„uptling der Osagen, und meinen Freund Wagare-Tey, den H„uptling der Schoschonen. //536// Sie werden zu meinen Seiten stehen und jeden H„uptling sofort erschieáen, der sein Wort bricht, indem er nach einer anderen Stelle als nur auf mein Herz zielt. Ist Pida, der Bote meiner Feinde, einverstanden?" "Ich bin es", antwortete er. "Und Old Shatterhand?" "Ich nehme den Kampf an, zu den Bedingungen, welche soeben besprochen wurden." "Um Gottes willen!" raunte mir das Herzle so laut zu, daá alle es h”rten. "Ich gebe es nicht zu! Du bist verloren!" Es war ein Glck, daá sie deutsch gesprochen hatte, so daá niemand es verstand. "Hat Old Shatterhand mir noch etwas mitzuteilen?" erkundigte sich Pida. "Nur daá ich mich mit meinem Gewehr pnktlich einstellen werde, weiter nichts. Pida, der H„uptling der Kiowa, hat seine Botschaft ausgerichtet. Er kann gehen!" Er machte eine gráende Handbewegung und drehte sich um, sich zu entfernen. Aber noch unter der Tr blieb er stehen, besann sich, kehrte um, kam schnellen Schrittes auf mich zu, ergriff meine beiden H„nde und sagte, indem sein Gesicht ein ganz anderes wurde: "Pida liebt Old Shatterhand. Er will nicht, daá Old Shatterhand sterbe, sondern daá er lebe, und daá er glcklich sei. Kann Old Shatterhand an diesem Kampf, der doch unbedingt zu seinem Tod fhren muá, nichts „ndern?" "Ich k”nnte wohl, aber ich will nicht", antwortete ich. "Pida ist mein Bruder, und ich bin der seine. Dieser Kampf wird nicht zu meinem Tode fhren. Old Shatterhand weiá stets, was er sagt. Pida glaube auch jetzt an mich, wie er frher an mich glaubte! Kein //537// Komantsche, kein Kiowa, kein Utah und kein Sioux wird mich t”ten! Nur noch kurze Zeit, so werden sie alle unsere Freunde sein. Ich bitte dich, das zu glauben!" "Ich glaube es, und ich wnsche es", versicherte er. "Old Shatterhand spricht in Geheimnissen; aber jedes Wort hat bei ihm seinen Grund und seine Absicht. Er sieht und h”rt, was andere weder sehend noch h”ren. Darum weiá er voraus, was andere nicht wissen k”nnen. Ich habe gesprochen. Ich gehe!" Ich schttelte ihm die H„nde und káte ihn auf die Stirn. Seine Augen strahlten. Er gráte und schritt erhobenen Hauptes hinaus. Es l„át sich wohl denken, daá ich nun mit Fragen berschttet wurde. Es war mir unm”glich, so zu antworten, wie man wnschte. Wollte ich nicht den ganzen Erfolg auf das Spiel setzen, muáte ich ber das, was ich vorhatte, schweigen. Darum wuchs Spannung der Anwesenden immer mehr und wurde, als sie sich dann entfernten, hinunter in die Stadt getragen und dort verbreitet. Meinem Herzle gegenber durfte ich freilich nicht schweigen. Ich muáte sie beruhigen. Ich sagte ihr, daá ich im Besitz von vier kugelfesten Panzern sei, durch die kein Schuá zu dringen verm”ge. Diese Panzer waren die Medizinen, die wir vom "Haus des Todes mitgebracht hatten. Keinem Indianer kann es jemals einfallen, seine eigene Medizin zu verletzten. Er gibt sich lieber den Tod, als daá dieses tut. Die Medizin des alten Kiktahan Schonka bestand seinem Grtel und aus den Hundepf”tchen, die ich damals auf Stufen gefunden hatte. Was die Medizinen der drei anderen H„uptlinge vorstellten, das konnte man nicht sehen, weil sie in lederne Medizinbeutel eingen„ht waren. Ich knotete die an ihnen vorha nen Riemen //538// derart, daá die Medizinen, wenn ich sie mir um den hing, grad auf das Herz zu liegen kamen. Das war die gar Vorbereitung, die ich fr den so gef„hrlich erscheinenden Zweikampf zu treffen hatte. Als das Herzle das h”rte, war sie sofort beruhigt. sie begann sogar, sich auf dieses "Duell" zu freuen. Nicht lange, so war die Aufregung zu sehen, die sich Lager verbreitete. Man steckte den Kampfplatz ab, und besorgt um Pl„tze fr Hunderte von Zuschauern. Es herrschte sowohl in der Unter- als auch in der Oberstadt eine lebhafte Bewegung. Man suchte einander auf. Man sprach von nichts anderem als bevorstehenden Kampf auf Leben und Tod zwischen Old Shatterhand und den vier berhmten H„uptlingen. Man sagte, daá es von ersterem geradezu wahnsinnig sei, auf so blutrnstige Bedingungen einzugehen - Aber man hielt dem entgegen, daá er oft ganz anders denke und ganz andere Wege gehe als andere Menschen und daá man darum auch jetzt nicht voreilig urteilen drfe, sondern einfach den Ausgang des Kampfes abzuwarten habe. Kurz, das Abenteuer war in aller Mund, und es verstand sich ganz von selbst, daá auch Tatellah-Satah davon h”rte, obwohl ich es unterlieá, ihn zu benachrichtigen. Es war nach dem Mittagessen; da suchte er mich auf. Ich war mit dem Herzle allein. Er setzte sich nicht. Er sagte, er beabsichtige, gleich wieder zu gehen. Er sah mir forschend in das Gesicht und fragte dann: "Du wirst dich mit den H„uptlingen schieáen?" "Nein", antwortete ich. Da ging ein frohes L„cheln ber sein Gesicht, und er fuhr fort: "Ich dachte es! Old Shatterhand ist kein Selbstm”rder! Aber du wirst pnktlich erscheinen?" //539// "Ja." "So frage ich nicht, was du vorhast. Du bist dein eigener Herr und hast keinen anderen Menschen um Erlaubnis zu fragen. Aber ich komme auch!" "Allein? Oder mit deinen Winnetous?" "So, wie du es wnschest." "So komm allein! Man soll erfahren, daá wir nicht durch groáe Kriegerscharen, sondern durch uns selbst zu siegen wissen." "Liest du heute abend vor?" "Ja. Es ist ein Tag wie jeder andere. Das Duell ist eine Faxe, ein Schwank, wenn auch mit sehr ernstem Hintergrund, weiter nichts." "Wnschen wir, daá dieser Schwank nicht anders ende, als du denkst!" Er reichte uns beiden die Hand und ging. Einige Zeit darauf sahen wir ihn unten im Lager. Er nahm den abgesteckten Platz in Augenschein und schien Befehle zu erteilen. Die uns befreundeten H„uptlinge hatten sich ihm zugesellt. Hierauf machte ich mit meiner Frau einen Spaziergang, aber nicht nach der Lagerstadt, sondern nach dem Binnental und dem Schleierfall hinunter. Auch dort gab es ein reges Leben, wenn auch in anderer Weise und zu einem anderen Zwecke. Man schlug hohe Pf„hle ein. Man zog zahlreiche Schnre und Dr„hte. Wir sahen ganze Haufen Papierlaternen liegen. Es gab elektrische Kabel, Lichtbirnen, Tulpen, Kugeln und andere derartige Glasformen. Hier und da hantierte man mit photographischen Apparaten. Ein Ingenieur, aber auch Indianer, schien die Aufgabe zu haben, einen groáen Projektionsapparat am Felsen der Teufelskanzel anzubringen. Das interessierte das Herzle im h”chsten Grad. Sie photographiert so gern. Sie ist da stets bereit, zum //540// Alten Neues hinzuzulernen. Ich aber habe viel weniger Interesse fr die Abbildungen als fr die Gegenst„nde selbst. Darum nehme ich in ihrer photographischen Hochachtung keineswegs eine hervorragende Stelle ein. Sie weiá, sie ist mir ber. Das gengt ihr. Und es ist ihr eine h”chst angenehme Beruhigung, zu wissen, daá ich niemals die Absicht habe, mich in ihre lichtbildnerischen Geheimnisse einzudr„ngen. Sie ist da sehr resolut. Sie tut, als sei ich gar nicht vorhanden. Sie gibt mir da sehr leicht und auch sehr gern Gelegenheit, mich auf mich selbst und auf meine anderen Vorzge zurckzuziehen. So lieá sie mich auch jetzt ganz einfach stehen und eilte in groáen Schritten zu dem Ingenieur hin, um ihn - in das Verh”r zu nehmen, denn anders kann man das bei ihr nicht nennen. Was sie erfahren will, das bringt sie heraus, unbedingt heraus! Ich setzte mich inzwischen fr mich nieder und beobachtete das rege Treiben rund umher. Was hatte das fr einen Zweck? Es war mir, wie schon gesagt, mitgeteilt worden, daá man den steinernen Winnetou beleuchten und illuminieren wolle, um die Zuschauer fr das Denkmalprojekt zu gewinnen. Ich hatte da gesagt, daá das Denkmal viel eher in die Erde versinken werde, als daá ich dazu zu bringen sei, eine solche Entwrdigung meines Winnetou zuzugeben. Sollte das, was ich hier sah, etwa schon die Vorbereitung zu dieser Illumination sein? Aber die Figur war noch gar nicht fertig! Sie war erst bis zur Schulter gediehen. Hals und Kopf fehlten. Und sonderbar! Indem ich das dachte und mein Blick dabei an der Figur auf- und niederglitt, war es mir, als ob sie nicht mehr gerade stehe, sondern schief. Ich legte das Auge an verschiedene Stellen an und kam zu immer demselben Resultate. Man //541// wird sich erinnern, daá ich die Figur am letzten Mal von der Straáenbiegung aus betrachtet hatte. Da war es mir erschienen, als ob alle Gersttr„ger senkrecht gestanden h„tten, nur einer von ihnen nicht. Ich ging jetzt zu dieser Stelle. Wahrhaftig, Gerst und Figur hatten sich bewegt, hatten sich nach der einen Seite gesenkt, wenn auch nicht viel, aber doch so, daá ich es deutlich bemerkte. Es war kein Zweifel m”glich. Der Pfosten, der erst schief gestanden hatte, stand jetzt gerade, und die anderen, welche gerade gestanden hatten, waren ganz zweifellos nach rechts geneigt. Ich erschrak, als ich das sah. Ich dachte an die Risse und Sprnge, die ich da unten an der H”hlendecke bemerkt hatte, an das Streuen, Sieben und Niederbr”ckeln des Gesteins. War die Last der Figur fr die ausgeh”hlte Erdunterlage zu groá? Konnte diese Unterlage das so viele Zentner schwere Bild nicht tragen? Welch eine Katastrophe stand uns da allen bevor! Indem ich das dachte, kam das Herzle zurck. Sie hatte den Ingenieur ausgefragt. Es handelte sich einstweilen nur um eine Probebeleuchtung, die morgen abend vorgenommen werden sollte. Man hatte vor, alle Anwesenden hierzu zu laden. "Und was sollte der riesenhafte Projektionsapparat?" fragte ich. "Er enth„lt die Bilder von Young Surehand und Young Apanatschka, welche auf der Spiegelfl„che des Wasserfalles zu beiden Seiten des Denkmales erscheinen sollen. Die Sch”pfer der Winnetougestalt, rechts und links neben ihrem Werk!" "Das dulde ich nicht!" rief ich aus. "Was willst du dagegen machen?" fragte sie. "Es verbieten! Das gengt!" //542// "Ja, allerdings! Selbst wenn man deinen Willen nicht respektieren wollte, wrdest du ihm Nachdruck zu geben verstehen. Aber bedenke, es ist nur erst zur Probe! Ist es nicht ratsam, diese Probe ungest”rt vorber zu lassen, um zu warten, bis sie zur wirklichen Ausfhrung kommen soll?" "Ja, vielleicht ist das richtiger. Aber ich glaube, wir haben diese Sache nicht mehr in unseren H„nden. Es hat sich eine Gewalt ihrer angenommen, der wir nicht gewachsen sind." "Wie meinst du das?" "Schau genau hin, und sag: Steht die Figur gerade oder schief?" Sie prfte und antwortete dann: "Sie steht gerade. Man wird sie doch wohl nicht schief aufstellen!" "Absichtlich gewiá nicht. Aber sie steht dennoch schief. Du merkst das nicht, weil dein Auge nicht so gebt ist wie das meine und weil die Abweichung von der senkrechten Linie noch nicht so bedeutend ist, daá sie dir notwendigerweise auffallen máte. Vergleiche einmal genau mit der Fallrichtung des Wassers, und sag mir - - -" Da fiel sie mir in die Rede: "Sie steht schief, ja sie steht schief! Herrgott! Welch ein Gedanke! Meinst du, daá sie versinkt?" "Ob ja oder nein, das kann man jetzt noch nicht sagen. Man hat abzuwarten, ob und wie sehr die Abweichung steigt. Heut habe ich keine Zeit. Aber morgen werde ich hinunter in die H”hle steigen, um nachzusehen, ob die Decke noch br”ckelt." "Ist das nicht lebensgef„hrlich?" "Nein." //543// "Aber du h„ltst es doch fr m”glich, daá alles zusammenbricht!" "Nicht nur fr m”glich, sondern sogar fr wahrscheinlich. Aber so schnell, daá der Zusammenbruch schon heute oder morgen erfolgt, geschieht das nicht. Da máte die Senkung vorher eine bedeutend gr”áere werden. Aber bitte, halte alles geheim!" "Gegen jedermann?" "Ja." "Auch gegen Tatellah-Satah?" "Auch gegen ihn. Ich m”chte diese Situation allein beherrschen. Es soll mir kein anderer dreinkommen und mich st”ren oder die Sache gar verderben!" "Weiát du aber, was du da auf dich nimmst?" "Ja. Es ist viel, sehr viel. Aber ich glaube, es verantworten zu k”nnen. Doch nun komm, Herzle! Wir mssen heim. Ich darf kein Minute zu sp„t zum Kampf erscheinen." "Leider bin ich da nicht ganz ohne alle Sorge!" seufzte sie. "Das ist berflssig, vollst„ndig berflssig. Du hast viel mehr Veranlassung, zu l„cheln, als bange zu sein!" Als wir droben auf dem Schloá angekommen waren, lieá Tatellah-Satah uns sagen, daá er uns abholen werde. Von den H„uptlingen kam ein Bote, der mir meldete, daá auch sie sich einstellen wrden, um mich hinunter zu begleiten. Ich lieá sie aber bitten, dies nicht zu tun, die Sache sei einer solchen Mhe gar nicht wert. Ich war verpflichtet, bei dieser Gelegenheit den H„uptlingsanzug zu tragen und lud den Henrystutzen, obgleich ich annahm, daá es wahrlich zu keinem einzigen Schuá kommen werde. Die vier Medizinen //544// durfte ich nicht tragen. Das Herzle nahm sie in ihren Reisepompadour. Sie wollte, an meiner Seite sitzend, in dieser Weise an dem Zweikampf teilnehmen. Ich hatte nichts dagegen. Als die Zeit da war und wir in den Hof kamen, wo Intschu-inta unsere Pferde bereit hielt fanden wir den "jungen Adler" und unseren alten Pappermann vor, die es sich nicht nehmen lieáen, mich nach dem Platz meines hoffentlichen Sieges zu begleiten. Zu gleicher Zeit erschien Tatellah-Satah auf seinem weiáen Maultiere, ganz allein. Da setzten wir uns in Bewegung. Der "Bewahrer der groáen Medizin", das Herzle und ich voran, der "junge Adler" und Pappermann hintendrein. Wir sahen schon von oben, daá alles, was in der Ober- und der Unterstadt bisher zerstreut gewesen war, sich jetzt um den Kampfplatz eng zusammengezogen hatte. Es war eine Versammlung vieler, vieler Menschen, doch gab es keine Spur jener bekannten Unzutr„glichkeiten, die bei Zusammenh„ufungen sogenannter "zivilisierter" Mengen unvermeidlich zu sein scheinen. Jedermann war schon da. Kein einziger, der hatte kommen wollen, fehlte. Wir waren die letzten, die allerletzten. Meine vier Gegner saáen bereit. Als wir in den Kreis traten, standen sie auf - Nur Tangua blieb sitzen, denn er konnte nicht stehen. Tatellah-Satah hatte seinen Sitz so bestellt, daá er dann grad hinter mir saá und die vier H„uptlinge scharf im Auge hatte. Es wurde mir gesagt, daá der erste Vorsitzende des Komitees eine Rede halten werde. Hierauf werde jeder der vier H„uptlinge auch eine Rede halten. Zuletzt habe meine Rede zu kommen, worauf dann der Kampf beginnen k”nne. Da trat ich vor und „uáerte mich so laut, daá jedermann, der im Kreis saá, es h”ren konnte: //545// "Old Shatterhand ist nicht gekommen, um zu reden, sondern um zu k„mpfen. Wenn die Gefahr naht, reiát nur die Furchtsamkeit den Mund weit auf; der Mutige aber schweigt und handelt. Von all diesen Reden ist zwischen mir und Pida kein Wort erw„hnt worden. Ich gestatte nur das, worauf ich eingegangen bin!" Da vollfhrte der "erste Vorsitzende des Komitees" eine groáe, imponierend sein sollende Armbewegung und begann: "Es wurde vom Komitee beschlossen, daá ich zu sprechen habe, und was vom Komitee beschlossen worden ist, das werde ich - - -" "Schweig!" donnerte ich ihn an. "Beschlossen worden ist nur zwischen Pida und mir! Euer Komitee ist fr mich nicht vorhanden. Dich dulde ich nur. Ich habe erlaubt, daá du die Schsse der H„uptlinge und genau eine Minute darauf auch die meinigen kommandierst. Mehr ist dir nicht gestattet!" "Aber ich stehe doch nicht etwa hier, um - -" "Wenn du nicht stehen willst, so setz dich!" unterbrach ich ihn, indem ich schnell auf ihn zuschnitt und ihn mit einem Griff und einem Druck auf die Erde niedersetzte, wo er ganz erschrocken eine Weile sitzen blieb. Dann fuhr ich in demselben lauten, energischen Ton fort: "Ich habe mit Pida meine berhmten Brder Schahko Matto und Wagare-Tey gew„hlt, sich die Bedingungen des Kampfes genau zu merken und darauf zu sehen, daá sie ehrlich eingehalten werden. Sie m”gen jetzt sprechen und diese Bedingungen aufz„hlen!" Sie standen von ihren Sitzen auf und taten dies. Zwar hatten meine vier Gegner ihren William Evening und ihren Antonius Papper [Paper] zu dem gleichen Zweck gew„hlt, aber es fiel mir gar nicht ein, dazu beizutragen, //546// daá diese berhaupt in Aktion zu treten hatten. Darum lieá ich durch Schahko Matto und Wagare-Tey auch gleich die Lose besorgen, und die vier H„uptlinge fgten sich dem allem mit innerem Behagen, weil sie berzeugt waren, daá dies doch sicher meine allerletzte Willensverschwendung in diesem Leben sei. Das Los ergab, daá meine Gegner in folgender Reihe auf mich zu schieáen hatten: Tusahga Saritsch, To-kei-chun, Kiktahan Schonka und Tangua. Sie nahmen in dieser Reihenfolge in einem Halbkreis meinem Sitz gegenber Platz. Sie waren alle mit Doppelgewehren versehen, und in ihren Minen gl„nzte das Bewuátsein des sicheren Sieges. Ehe ich meinen Platz einnahm, ging ich nach der Stelle, wo Avaht-Niah, der hundertundzwanzigj„hrige H„uptling der Schoschonen, saá. Ich beugte mich zu ihm nieder, káte ihm die alte Hand und sprach: "Du bist der Žlteste von allen, die hier atmen. Auf deinem Haupt ruht der Segen und die Liebe des groáen Geistes, der dich nicht hierher geleitet hat, um das Blut derer, die dir lieb sind, flieáen zu sehen. Du bist der Weiseste und der Erfahrenste von uns allen. Du wirst der erste sein, der aus dem Kampf, zu dem ich hier gezwungen werde, ersieht, daá jeder Kampf zwischen den Menschenkindern nichts weiter als eine Torheit ist, ber die man lachen k”nnte, wenn ihre Folgen nicht so traurig w„ren." Er zog als Gegengruá nun auch meine Hand an seine Lippen und antwortete: "Old Shatterhand mag uns diese Torheit zeigen, damit die, welche nach uns kommen, nicht mehr tun, was ihre Ahnen taten. Der Sieg sei dein! " Nun ging ich zu der mir angewiesenen Stelle und setzte mich. Das Herzle lieá sich neben mir nieder. Da brauste Kiktahan Schonka zornig auf: //547// "Was soll die Squaw unter Kriegern? Fort, fort mit ihr!" "Frchtest du dich vor einer Squaw?" antwortete ich. "Dann geh! Sie aber frchtet sich nicht; sie bleibt!" "Ist Old Shatterhand ein Weib geworden, daá er die Beleidigung nicht fhlt, die ich als Krieger fhle?" fragte er. "Als Krieger? Pshaw! Du fragst, was meine Squaw unter Kriegern solle? Glaubst du wirklich, daá ihr Krieger seid? Alte Weiber seid ihr, weiter nichts! Darum habe ich alle eure Bedingungen angenommen, ohne sie genauer zu betrachten. Es f„llt Old Shatterhand nicht ein, mit euch zu k„mpfen, denn er ist ein Mann. Er brachte euch seine Squaw, von der eine einzige Handbewegung gengt, einen jeden von euch zu vernichten. Frchtet ihr euch vor ihr, so geht!" "Sie bleibe!" rief Kiktahan Schonka ergrimmt. "Aber meine erste Kugel gilt dir, meine zweite ihr!" "Ja, sie bleibe, sie bleibe! Sie falle und sterbe mit ihm!" stimmten die drei anderen bei. "Der Kampf beginne!" Wir fnf Duellanten saáen in der Mitte des abgesteckten Platzes. Unsere Beigeordneten befanden sich in n„chster N„he. Tatellah-Satah saá, wie schon erw„hnt, direkt hinter mir. Den ersten groáen Kreis um uns bildeten die anwesenden H„uptlinge. Auch die zw”lf Apatschenh„uptlinge waren da. Hinter ihnen kamen die Unterh„uptlinge und sonstigen Personen, welche eine Art von Rang besaáen. Und weiter hinaus gab es die gew”hnlichen Leute. Unter diesen fielen besonders die schon einmal erw„hnten Arbeiter auf, welche in den Steinbrchen und am Denkmalbau besch„ftigt waren. Sie hatten ihre Arbeit verlassen, um das Schauspiel des //548// Kampfes zu genieáen, und betrugen sich als echte Rowdies, obgleich sie in Gegenwart so vieler H„uptlinge es nicht wagten, besonders laut zu werden. Bei den H„uptlingen saáen neben Kolma Putschi und den beiden Aschtas noch zwei andere Frauen, deren Gegenwart mir wichtig war, n„mlich Pidas Frau und ihre Schwester, die jetzt weibliche Kleidung trug. Beide hatten es also durchgesetzt, mit nach dem Mount Winnetou genommen zu werden. Daá sie sich mit hier befanden, war fr mich der sicherste Beweis, daá die viertausend Reiter sich unten in dem "Tal der H”hle" eingestellt hatten. Daá die Augen aller dieser Menschen mit gr”áter Spannung auf uns gerichtet waren, versteht sich ganz von selbst. Der Herr "Vorsitzende des Komitees", den ich niedergesetzt hatte, besann sich jetzt seines Amtes. Er stand auf und stellte sich bereit, die Schsse zu kommandieren. Schahko Matto und Wagare-Tey zogen ihre Revolver, spannten sie und versicherten drohend, daá sie jeden meiner vier Gegner, der etwas Nichterlaubtes tue, augenblicklich niederschieáen wrden. Sie waren fest entschlossen, diese Drohung auszufahren. Und nun ergriff auch Tatellah-Satah das Wort. Er sprach: "Jeder Teil des vierfachen Kampfes kann erst dann beginnen, wenn ich die Hand erhebe, eher nicht. Wer die Schsse kommandiert, darf dies nicht eher tun, als bis er mein Zeichen gesehen hat. Der erste ist Tusahga Saritsch, der H„uptling der Kapote-Utahs. Ist er bereit?" Der Gefragte spannte sein Gewehr und antwortete: "Ich bin bereit. Nun mag Old Shatterhand beweisen, daá eine einzige Handbewegung seiner Squaw gengt, einen jeden von uns zu vernichten. Sie tue das!" Ich nickte dem Herzle zu. Schnell nahm sie die Medizin //549// dieses meines ersten Gegners aus dem Reisepompadour und hing sie mir um den Hals. Mein Herz wurde von ihr bedeckt. Hierauf meldete ich dem "Bewahrer der groáen Medizin": "Auch ich bin bereit. Der Kampf kann beginnen. Tusahga Saritsch mag schieáen! Eine Minute sp„ter dann ich!" Alles war still. Jedermann schaute auf den Beutel, den meine Frau mir umgeh„ngt hatte. Niemand wuáte sogleich, warum dies geschehen war. Da befahl Tatellah-Satah: "Die Zeit ist da. Es beginne!" Sofort erscholl das Kommandowort des Komiteevorsitzenden. Aber Tusahga Saritsch schoá nicht. Er hatte das Gewehr zur Hand, aber er hielt es gesenkt. Seine weit aufgerissenen Augen waren mit dem Ausdruck des Schreckens und der wachsenden Angst auf meine Brust gerichtet. "Meine Medizin! Meine Medizin!" stammelte er. "Schieá!" rief ich ihm zu. "Auf meine eigene Medizin schieáen?" jammerte er. "Wo hast sie her? Wer gab sie dir?" "Frag nicht, schieá!" forderte ich ihn zum zweiten Mal auf. Da ging es wie ein lauter, erl”sender Atemzug ber die Menge hin, in deren Mitte wir saáen. Man konnte zwar noch nicht begreifen, aber man sah nun doch, daá ich keineswegs so schutzlos war, wie man angenommen hatte. Die Gesichter meiner Freunde erhellten sich zusehends. Und die Stimme Tatellah-Satahs klang hell und froh, als er, die Hand zum zweiten Mal erhebend, sagte: "Warum schieát Tusahga Saritsch nicht? Und warum //550// wird das Kommando fr Old Shatterhand nicht gegeben? Er hat nur eine einzige Minute zu warten, l„nger nicht! Beginnen wir noch einmal! Old Shatterhand ergreife sein Gewehr!" Das tat ich. Das Kommando fr meinen Gegner erscholl zum zweiten Mal. Er schrie auf: "Ich kann nicht schieáen! Ich darf nicht schieáen! Wer seine eigene Medizin erschieát, erschieát sein ewiges Leben!" "Die Minute ist vorber!" rief Tatellsah-Satah. Da ert”nte das Kommando fr mich. "Tusahga Saritsch, fahre in die ewigen Jagdgrnde! " sagte ich und richtete den Lauf meines Stutzens auf seine Brust. "Uff, uff!" brllte er, so laut er brllen konnte, sprang auf und rannte davon. "Gott sei Dank!" raunte mir das Herzle zu. "Nun wird mir erst wieder wohl! Ich glaubte an dich und hatte trotzdem Angst!" Es war l„cherlich, den alten H„uptling mit der Schnelligkeit eines jungen Burschen davonspringen zu sehen; aber niemand lachte. Nach den alten, frher geltenden Gesetzen der Pr„rie war er nun ehrlos. Er h„tte sich von mir erschieáen lassen mssen. Mein n„chster Gegner war To-kei-chun. Der machte ein ganz eigenartiges, gar nicht zu beschreibendes Gesicht. Er wuáte, daá und wo die vier Medizinen zusammengelegen hatten. Hatte ich die eine, so hatte ich h”chstwahrscheinlich auch die andern, also auch die seine. Ich lieá ihn auch gar nicht lange in Ungewiáheit. Ich lieá mir vom Herzle seine Medizin ber die vorige h„ngen und meldete dann: "To-kei-chun, der H„uptling der Racurrah-Komantschen, ist am Schuá. Ich bin bereit!" //551// Ich sah, daá ihm vor Entsetzen der Atem ausging, Er schnappte nach Luft. Seine Augen wurden klein und naá. "Ist To-kei-chun fertig?" fragte Tatellah-Satah. "Nein! Ich bin nicht fertig!" schrie der Gefragte, sprang auf und eilte ebenso schnell davon wie Tusahga Saritsch vorher. Jetzt begann man schon zu l„cheln. "Nun kommt Kiktahan Schonka, H„uptling der Sioux", sagte ich. Der aber fuhr mich in seinem grimmigsten Ton an: "Old Shatterhand ist ein r„udiger Hund, ein Schuft, ein Schurke. Er stiehlt Medizinen! Hat er auch die meine?" "Ja", antwortete ich und lieá sie mir von meiner Frau auf die beiden anderen h„ngen, doch nur den Grtel. Er sah das, grinste mich h”hnisch an und fragte: "Glaubt Old Shatterhand etwa, daá auch ich ausreiáe? Meine Kugel wird ihn sicher treffen, denn halbe Medizinen wirken nicht. Die H„lfte fehlt." "Die Medizinen, die ich habe, sind nicht halb, sondern ganz", behauptete ich. "Nein!" widersprach er. "Sie fehlt!" "Sie fehlt nicht! Sie ist hier! Kiktahan Schonka mag sich berzeugen! " Ich lieá mir die Hundepf”tchen geben, hielt sie so, daá er sie deutlich sehen konnte, und hing sie dann dahin, wohin sie geh”rten. Er war zun„chst starr vor Schreck. Dann zischte er mich in unbeschreiblich geh„ssiger Weise an: "Sind r„udige Hunde allm„chtig? Wer gab dir das, was ich verloren habe?" "Niemand gab es mir. Ich habe es gefunden." //552// "Wo?" Auf der Teufelskanzel, auf welcher die H„uptlinge der Sioux und der Utahs sich ber ihren Zug nach dem Mount Winnetou besprachen. Sie warteten dort auf Old Shatterhand, um ihn zu fangen. W„hrend sie miteinander sprachen, erscholl die Stimme des groáen Geistes. Sie erschraken und ergriffen die Flucht. Auf dieser Flucht verlorst du deine Skalppercke und deine halbe Medizin. Die Percke wurde dir nachgetragen. Die halbe Medizin aber steckte ich zu mir, um sie nun jetzt zur anderen H„lfte zu fgen." "So hast du uns belauscht? Dort auf der Teufelskanzel?" "Ja." "Uff, uff!" Er sah aus, als ob er sterben wolle. Er sank in sich zusammen, zwar so sehr, daá sein Gesicht auf die Kniee zu liegen kam. "Ich bin bereit zum Kampf", meldete ich dem "Bewahrer groáen Medizin". Dieser fragte: "Ist Kiktahan Schonka auch bereit?" Da hob der Genannte den Kopf empor, schaute nach seinen Leute aus und gab ihnen einen Wink. Zwei von ihnen kamen herbei. "Hebt mich auf und fhrt mich fort!" befahl er ihnen. Sie taten es, halfen ihm auf sein Pferd und schritt nebenher, um ihn zu sttzen. Nun war nur noch Tangua, der Vater Pidas, brig, der allergrimmigste und unvers”hnlichste meiner Feinde. Er saá gel„hmt an der Erde und hielt die Augen geschlossen, das Doppelgewehr in der Hand.Kein Zug //553// seines Gesichtes verriet, was er dachte. Da sagte ich: "Tangua, der „lteste H„uptling der Kiowa, lieá mir schreiben: ,Hast Du Mut, so komm herber nach dem Mount Winnetou! Meine einzige Kugel, die ich noch habe, sehnt sich nach Dir!' Ich bin gekommen. Hier sitze ich. Wo ist deine Kugel?" W„hrend ich das sagte, lieá ich mir vom Herzle seine Medizin umh„ngen. Er ”ffnete die Augen, schaute sie an und sprach: "Ich dachte es! Auch die meinige ist da! Ich schieáe nicht auf sie! Laá kommandieren! Ich verzichte auf meinen Schuá. Dich aber bitte ich: Gib mir nach deiner Minute eine Kugel in das Herz! Und bin ich tot, so leg mir meine Medizin in das Grab! Willst du das tun?" "Nein!" antwortete ich. "So habe ich mich in dir geirrt. Ich hasse dich, wie ich nie einen andern Menschen haáte. Ich will deinen Tod. Ich wrde alles tun, alles, alles, ihn herbeizufhren. Aber ich habe dich fr einen ehrlichen Feind gehalten!" "Du irrst. Ich bin ehrlich, aber nicht dein Feind. Ich werde nicht auf dich schieáen. Ich will nicht deinen Tod. Ich habe also nichts in dein Grab zu legen, auch nicht deine Medizin." "Was hat du mit ihr vor? Was soll mit ihr geschehen? Willst du sie vernichten?" "Nein. Eure Medizinen geh”ren mir nicht. Ich behalte sie nicht. Aber wem ich sie gebe, das kann ich jetzt noch nicht sagen. Das werdet ihr selbst entscheiden." "Wir selbst? Wir vier?" "Ja. Ich werde euch prfen. Seid ihr es wert, //554// so bekommt ihr eure Medizinen wieder. Seid ihr es nicht wert, so bergebe ich sie Tatellah-Satah. Er ist der Bewahrer der Medizinen und wird sie seinen Sammlungen einverleiben, damit die Kinder eurer Kindeskinder erfahren, was ihre Urv„ter fr t”richt b”se Menschen waren. Also: Ich schenke dir dein Leben; aber ich schenke dir nicht deine Medizin. Verdiene sie dir! Ich habe gesprochen. Howgh!" Ich stand auf. Das Herzle ebenso. Da erhob sich auch Tatellah-Satah und verkndete laut: "Der Kampf ist zu Ende! Old Shatterhand hat gesiegt! Ein Sieg ohne Blut! Und darum ein zehnfacher Sieg!" Wir gingen zu unsern Pferden und stiegen auf. Doch ehe wir den Platz verlieáen, ritt ich noch mal zu Tangua hin und sprach zu ihm: "Ich bin der Freund von Tangua, dem H„uptling der Kiowa, ganz gleich, ob er mich haát oder mich liebt. Aber um seinetwillen wnsche ich, daá er mir freundlicher gesinnt werde, als er es bis heute gewesen ist. Hat er mir hierber nichts zu sagen?" "Ich hasse dich und werde dich hassen, ohne aufzuh”ren!" antwortete er. "Ich werde dich verfolgen bis zu deinem Ende!" "Oder bis zu dem deinigen!" "Ganz gleich!" "So bitte ich dich, auch wieder nur um deinetwillen, wenigstens nicht mit dem Komitee zum Denkmal verbunden zu bleiben und nichts gegen die, welche es bek„mpfen, zu unternehmen!" "Das verspreche ich nicht, sondern grad das Gegenteil!" "Ich sage dir, das fhrt zu deinem Verderben und zum Untergang deines Stammes!" //555// Da richtete er sich so hoch auf, wie er konnte, nahm sein Gewehr zur Hand und rief in drohendem Ton: "Schweig! Und entferne dich! Wenn du das nicht sofort tust, jage ich dir beide Kugeln durch den Kopf!" "Wage es, das Gewehr nur anzuschlagen, so bist du eine Leiche!" antwortete ich, auf Pappermann deutend, der schnell zu ihm getreten war und ihm den Lauf seines Revolvers vor die Nase hielt. "Erst habt ihr euch untereinander verbunden, um gegen das Denkmal zu sein, und nun gesellt ihr euch zu dem Komitee, um gegen dessen Gegner zu sein. Ist das eines H„uptlings wrdig? Handelt so ein ehrlicher Mensch? Du willst mein Verderben; ich aber warne dich trotzdem in herzlicher Aufrichtigkeit: Hte dich vor dem ,Tal der H”hle' und vor allen Dingen vor der H”hle selbst!" Da duckte er sich zusammen wie eine Katze, fauchte mich mit flackernden Augen an und fragte: "Was ist mit der H”hle? Und was ist mit ihrem Tale?" "Frage dich selbst. Du bist mir einst entgegengetreten und hast es báen mssen, durch eigene Schuld! Dein Leben ist das eines Krppels gewesen, nicht das eines H„uptlings, durch eigene Schuld! Nun trittst du mir am Schluá dieses deines elenden Lebens wieder entgegen, um Schuld zur Schuld zu h„ufen. Bedenke die Folgen! Du bist nicht Herr fr dich! Die Folgen, welche deine Person treffen, magst du verantworten k”nnen; aber die Folgen, welche deinen Sohn, deine Familie und deinen Stamm treffen, wird Manitou dir vorhalten, wenn du in jenem anderen Leben erscheinst, welches ihr die ewigen Jagdgrnde nennt. Man wird dich dort nach deiner Medizin fragen. Was kannst du antworten? So! Nun bin ich fertig. Howgh!" //556// Nun ritt ich fort, in derselben Begleitung, in der ich gekommen war. Die Freunde riefen mir von allen Seiten jubelnd zu. Die Feinde verhielten sich still. Nur als wir an der Menge der Arbeiter vorberkamen, h”rte ich Worte erklingen, welche sehr geeignet waren, meine Aufmerksamkeit zu erregen. "Old Shatterhand! Schuft! Eindringling! Hund! Coyote! Feind! Rache! Erwrgen! Totschlagen!" das waren so einige der Drohungen, die ich da zu h”ren bekam. Das verwundene mich. Das hatte ich nicht fr m”glich gehalten. Ich ersah keinen Grund zu solchem Haá. Als ich mich hierber zu Tatellah-Satah und dem "jungen Adler" „uáerte, erkl„rte unser alter Pappermann: "Ja, die Arbeiter hassen Euch, Mr. Shatterhand. Sie sind ergrimmt ber Euch, vom ersten bis zum letzten. Und sie machen gar kein Hehl daraus. Sie wissen, daá besonders Ihr gegen den Bau des Denkmales seid. Sie behaupten, daá Ihr sie um ihre lohnende Arbeit, um ihre Existenz bringen wollt. Sie halten seit einigen Tagen heimliche Versammlungen ab, in denen beraten wird, in welcher Weise man sich von Old Shatterhand und Tatellah-Satah befreien kann. Und bei diesen Versammlungen sind die Herren vom Komitee zugegen!" "Ah! So! Das ist wichtig, hochwichtig! " gestand ich ein. "Woher wiát Ihr das?" "Von Sebulon Enters!" "Nicht von Hariman?" "Nein, von Sebulon. Ich weiá, Ihr traut diesem noch viel weniger als seinem Bruder. Aber seit er erfahren hat, daá er nur betrogen werden soll, ist er Euch sicherer als jeder andere. Die Brder kommen des Abends heimlich zu mir. Ich berate mit ihnen - --" "Ohne mich zu fragen?" fiel ich ein. //557// "Habt keine Sorge!" antwortete er. "Es gilt jetzt nur, Fhlung mit ihnen zu behalten. Sobald ich etwas Positives oder berhaupt Wichtiges h”re, stelle ich mich ganz von selbst bei Euch ein. Am meisten wird ber Euch in der Kantine gesprochen." "In welcher Kantine?" "Ein Blockhaus bei den Steinbrchen, in dem sich die Arbeiter verpflegen." "Kennt Ihr es, Mr. Pappermann?" "Ja." "Ich noch nicht. Ich muá es sehen, und zwar sofort, noch ehe es Nacht wird. Reiten wir miteinander hin!" "Im H„uptlingskostm?" fragte das Herzle. "Ja. Ich kann nicht erst mit nach dem Schloá, um mich umzukleiden. Den Federschmuck lege ich ab. Du nimmst ihn mit heim. Auch den Henrystutzen." "Ich denke, ich reite mit?" "Diesesmal nicht, liebes Kind. Es handelt sich um eine kurze, sehr schnelle Rekognoszierung, die dich zu sehr anstrengen wrde." "Ist Gefahr dabei?" "Keine Spur!" "So sei es dir erlaubt!" Sie sagte das so ernst, daá ich diese "Erlaubnis" fast selbst auch ernst genommen h„tte. Ich gab ihr den Federschmuck, dem "jungen Adler" das Gewehr, verabschiedete mich von Tatellah-Satah und bog dann mit dem alten Pappermann von unserem Weg ab, um an dem Schleierfall vorber auf einem wenig betretenen Umweg nach den Steinbrchen zu reiten. Die Sonne war l„ngst hinter dem Mount Winnetou verschv doch hatte es noch nicht begonnen, zu //558// dunkeln. Wir ritten Galopp, kamen durch ein Seitent„lchen aus dem Innental heraus und ritten dann am „uáeren, n”rdlichen Fuá des Mount Winnetou Steinbruchs- und verschiedenen anderen Anlagen dahin, mit denen der herrlichen Natur hier so rcksichtslos Gewalt angetan worden war. Die Brche sahen wie unheilbare Wunden aus, die man dem Brerg geschlagen hatte. Und die h„álichen Gerste, Mauern, Drahtseile und Balken, mit denen man den jugendlichen Wasserfall eingefangen und gefesselt hatte, um seine Kraft in Elektrizit„t zu verwandeln, konnten nichts als nur das Gefhl des Bedauerns erwecken. Dort standen schmutzige Pferdeschuppen mit Reihen von schweren Lastwagen. Eine tannenm”rderische S„gemhle kreischte. Zerfetzte Zelte krochen an der Erde hin. Niedrige Baracken lagen ordnungslos umher gestreut. Pappermann zeigte mir ein groáes, langgestrecktes Blockhaus. "Das ist die Kantine", sagte er. "Der Wirt ist ein Riese. Er wird ,der Nigger' genannt." "Das ist fr einen Indianer ein Schimpfwort, eine Beleidigung!" bemerkte ich. "Er ist es gewohnt. Er nimmt es nicht bel, ist aber sonst ein sehr roher, gewaltt„tiger Mensch. Er ist kein reiner Indianer. Man sagt, daá seine Mutter eine Negerin gewesen sei. Die Brder Enters verkehren bei ihm." "O weh! Warum?" "Um ihn auszuhorchen. Er ist der eigentliche Fhrer der hiesigen Arbeiterschaft. Man sagt, daá sogar gewisse H„uptlinge ihm ihr Vertrauen schenken. Gewiá aber ist, daá er ein Liebling der Herren ,vom Komitee' ist. Man sagt, daá Mr. William Evening und Mr. Antonius Paper ganze N„chte lang im Trunk und Spiel bei ihm sitzen. Wollt Ihr ihn vielleicht einmal sehen?" //559// "Wenn es m”glich w„re, ja." "Es ist m”glich. Nur noch einige Minuten, dann ist es dunkel, und ich fhre Euch an die besondere Stube, zu der nur seine Vertrauten Zutritt haben. Lassen wir uns nicht sehen! Reiten wir diese kurze Zeit spazieren!" Wir waren bisher einem Gebsch gefolgt, welches uns sehr gut verbarg. Wir konnten sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Nun ritten wir unter derselben Deckung weiter, doch nicht, um noch ferneres zu entdecken, sondern nur, um die Zeit bis zur Dunkelheit vergehen zu lassen. Das dauerte nicht mehr lange. Die D„mmerung kam schnell. Sie ging ebenso schnell vorber. Dann war es dunkel, vollst„ndig dunkel, denn wir standen im neuen Mond, und die Sterne besaáen jetzt, so kurz nach Tag, noch keine leuchtende Kraft. Wir lenkten nach der Gegend um, in welcher die Baracke lag. Bei den letzten Bschen hielten wir an, stiegen ab, hobbelten unsere Pferde fest und geboten ihnen, sich zu legen. Sie taten es. Dann gingen wir vorsichtig dem Blockhaus zu, um unbemerkt an seine hintere Seite zu gelangen. Das war nicht schwer. Dort angekommen, bemerkten wir Kisten und F„sser, welche l„ngs der Hinterwand standen. Das gab uns gute Gelegenheit, uns, wenn es sein muáte, zu verstecken. Aber es wurde glcklicherweise nicht n”tig. Im Innern der Baracke brannte Licht. Das lieá erkennen, daá sie aus mehreren R„umen bestand, einem sehr groáen und mehreren kleinen. Nach einem der letzteren wurde ich von Pappermann gefhrt. Es gab da nur eine einzige Fensterluke, die nicht zu war, sondern offen stand. Unter ihr gab es eine schwere, starke Kiste, auf die man getrost steigen konnte, ohne befrchten zu mssen, daá sie ein //560// verr„terisches Ger„usch von sich gebe oder gar zusammenbreche. Im Innern erklangen Stimmen. "Das ist die Stube des Niggers", sagte Pappermann leise. "Ich kenne sie. Die Enters haben sie mir genau beschrieben. H”rt Ihr, daá man drin spricht?" "Ja. Ich steige auf die Kiste und schaue nach." "Gut. Ich halte Wacht!" Als ich mich hinaufgeschwungen hatte, konnte ich ganz bequem in die Stube sehen. Da standen zwei rohe Brettertische mit ebenso rohen Sitzen. Die Sprechenden waren fnf M„nner, von denen ich vier sofort erkannte, n„mlich die beiden Enters, Tusahga Saritsch und To-kei-chun. Man denke sich mein Erstaunen darber, daá auch diese beiden letzteren sich hier befanden; der fnfte war jedenfalls der Wirt. Ein Riese von Person, mit indianischen Gesichtszgen, aber aufgestlpter Negernase und echter Mohrenhaut. Einen treffenderen Typ der Brutalit„t als ihn konnte man sich wohl kaum denken! Das Gespr„ch war ein sehr lebendiges, erregtes. Grad als ich den ersten Blick vom Fenster hinunter in die Stube warf, sagte der Nigger: "Ich glaube, sie wissen es da oben selbst jetzt noch nicht, daá die beiden Medizinm„nner entflohen sind. Verdammt sei dieser Old Shatterhand, daá er die Karte der H”hle erwischte! Glcklicherweise aber brauchen wir sie nicht. Die Medizinm„nner wissen genug, um den Weg zu finden. Dieser Shatterhand ist trotz alledem ein Dumm.kopf. Als er nach dem Kampfplatz kam und sich mit den gestohlenen Medizinen brstete, ahnte er nicht, daá seine Gefangenen sich schon wieder in Freiheit befanden und daá der Plan fr morgen schon fertig war. Sein angeblicher Sieg heute ntzt ihm nichts. Er hat einen Tag Zeit gewonnen, weiter nichts! Morgen //561// abend ist er mit seinem Weib tot! Ihr haltet doch Wort?" Diese Frage war an die Brder Enters gerichtet. "Was wir versprochen haben, geschieht?" antwortete Hariman. Und Sebulon fgte hinzu: "Eine gr”áere Rechnung, als wir mit diesem Mann und seiner Frau haben, kann es gar nicht geben. Es f„llt uns gar nicht ein, sie ihnen zu schenken!" "Wrde euch auch keinen Segen bringen!" drohte der Nigger. "Denn ich sage euch: Zwei sterben morgen ganz unbedingt, entweder dieses deutsche Ehepaar oder die Brder Enters! Darauf k”nnt ihr euch verlassen! Ich traue euch n„mlich noch nicht ganz! Es handelt sich um unsere Arbeit, um unsere Existenz, um die vielen Tausende, die wir hier verdienen wollen und k”nnen. Darum habe ich den H„uptlingen meine ganze Arbeiterschaft fr morgen zur Verfgung gestellt, und darum drcke ich darauf, daá alles ganz genau so geschieht, wie wir besprochen haben. Wer sein Wort nicht h„lt, wird abgeschossen oder abgestochen! Dabei verbleibt es!" Da stand To-kei-chun, der H„uptling der Racurreh-Komantschen, auf und sprach: "Ja, dabei bleibt es! Wir sind alle zum Fest geladen. Wir kommen. Wir kennen die Pl„tze, die uns angewiesen werden. Unsere viertausend Krieger werden von den Medizinm„nnern durch die H”hle gefhrt. Sie werden nicht reiten, sondern gehen. Sie werden ihre Pferde im Tal zurcklassen, weil wir nicht wissen, ob der letzte Teil des unterirdischen Weges auch wirklich geritten werden kann." ,.Inzwischen stelle ich hier oben meine Arbeiter auf", fiel der Nigger ein, und die beiden Enters haben sich //562// an Old Shatterhand und seine Frau gemacht. Sobald eure Krieger den Schleierfall hier oben erreicht haben, zeigen sie uns durch einen Schuá, daá sie da sind. Sobald dieser Schuá f„llt, wird Old Shatterhand mit seiner Frau von den Enters abgestochen, und ich werfe mich mit meinen Arbeitern auf die ganze andere Bande, um euren Kriegern freien Weg und freie Arbeit zu machen." Jetzt stand auch Tusahga Saritsch auf und sagte: "So ist es richtig! So hat es zu geschehen! Soll etwas hieran ge„ndert werden. so sagen wir es dir oder senden einen Boten. Wir gehen." Sie entfernten sich, und der Wirt geleitete sie hinaus. Die beiden Enters waren allein. Sie sahen einander bedenklich an. "Das kann schlimm werden", sagte Sebulon. "Wieso?" fragte Hariman. "Wir haben erfahren, was wir erfahren wollten. Morgen frh gehen wir beide zu Old Shatterhand, um es ihm zu erz„hlen und ihn zu warnen. Was kann da Schlimmes daraus werden?" "O, um mich und dich ist es mir nicht; wir kommen durch. Aber dieses Blutvergieáen dann hier oben! Denn einen solchen Angriff ohne Kampf abschlagen, das bringt selbst ein Shatterhand nicht fertig. Ich denke berhaupt weniger an ihn als vielmehr an seine Frau. Wenn alle sterben sollen, aber nur diese nicht!" Ich wuáte genug und sprang von der Kiste herab. "Habt Ihr etwas Wichtiges geh”rt?" fragte Pappermann. "Etwas unendlich Wichtiges!" antwortete ich. "Man máte hier wohl an Wunder glauben. Es ist, als ob wir grad in diesem Augenblick hierhergefhrt worden seien, um den Schluá dieses Gespr„ches h”ren zu mssen. Ich werde es Euch unterwegs erz„hlen. Eins aber muá //563// ich Euch sofort sagen, n„mlich, daá die beiden Medizinm„nner, die wir am Eingang der H”hle gefangengenommen haben, entflohen sind." "Unm”glich! "Ja, doch!" "Wann?" "Heut' frh wahrscheinlich! Ohne daá wir es wissen. Sie haben sofort ihre H„uptlinge aufgesucht und mit ihnen den Plan besprochen, den ich soeben erfahren habe. Kommt schnell! Wir mssen nach Hause!" Wir schlichen nach unsern Pferden, hobbelten sie los, stiegen auf und ritten fort. Unterwegs erz„hlte ich dem alten, treuen Kameraden, was ich erfahren hatte. Er wuáte, daá ein sehr zuverl„ssiger Indianer ganz ausschlieálich mit der Bewachung der beiden Medizinm„nner betraut worden war. Dieser wohnte im Parterre von Tatellah-Satahs groáem Vorderhaus, und da lag auch der Raum, in dem die Gefangenen untergebracht worden waren. Wir gaben unsere Pferde ab und gingen zun„chst nach seiner Wohnung. Er war nicht da. Er war ein alleinstehender Mann, wohnte allein, und niemand konnte Auskunft ber ihn geben. Dann suchten wir das Gef„ngnis auf. Das lag weit ab, wo niemand wohnte und selten jemand hinkam. Es war eine Art von Keller. Wir fanden die Tr von auáen verriegelt. Kaum schickten wir uns an, zu ”ffnen, so wurde von innen geklopft, und es erklang eine Stimme, die uns bat, ja m”glichst schnell zu machen. Als wir die Riegel zurckgeschoben hatten - wer kam heraus? Der Gef„ngnisw„chter! Als er heut' frh den beiden Gefangenen das Essen und Wasser gebracht hatte, waren sie pl”tzlich ber ihn hergefallen. Sie hatten ihm mehrere Schl„ge versetzt, die ihm die Besinnung raubten. Als er zu sich kam, fand //564// er sich im finstern Keller eingeriegelt; sie aber waren weg. Er hatte dann fast ohne Unterlaá gerufen und L„rm gemacht, jedoch vergeblich. Es war niemand gekommen, der ihn h”rte. Er befrchtete eine strenge Strafe und bat, mich bei Tatellah-Satah fr ihn zu verwenden. Ich versprach es ihm und lieá ihn laufen. Dann begab ich mich nach meiner Wohnung. Das Herzle war nicht da. Sie hatte einen Zettel zurckgelassen, durch den sie mir mitteilte, daá sie, weil ich mich nicht rechtzeitig eingestellt hatte, zu Tatellah-Satah gegangen sei und die Manuskripte mitgenommen habe. Wakon werde vorlesen; ich aber solle nachkommen. Das tat ich denn. In der Wohnung des "Bewahrers" angekommen, ging ich bis in sein Schlafzimmer. In dem daneben liegenden Passiflorenraum war es Augenblick still. Darum ”ffnete ich die Tr nur leise. Grad als ich das tat, erklang die Stimme Old Surehands: "Ja, wahrhaftig, er war gr”áer, viel gr”áer, als wir alle! Viel gr”áer, als wir dachten!" "Und ist darauf noch gr”áer und gr”áer geworden, ohne daá wir es bemerkten!" stimmte Apanatschka bei. "Wie steht es da mit Eurem Bild?" fragte Athabaska. "Es ist zu klein, viel zu klein fr ihn, und bauten wir es noch so hoch!" rief Kolma Putschi aus. Und Aschta, die Mutter, fgte hinzu: "Wir wollen kein Bild von Stein! Wir wollen ihn selbst, ihn selbst in unsern Herzen! Die k”stlichen Worte, die er soeben zu uns sprach, indem sie vorgelesen wurden, sollen in der Seele unserer Nation erklingen, fort und fort, fr alle Zeit!" Da sah man mich unter der ge”ffneten Tr. //565// "Du kommst zur rechten Zeit!" begráte mich Tatellah-Satah. "Wir machten eine Pause; wir konnten nicht weiter; wir waren zu tief ergriffen; wir lasen seine Beschreibung deines Sieges ber ihn und dann seinen Sieg ber die s„mtlichen H„uptlinge der Apatschen. Seine groáe Umkehr vom Kriegsgedanken zum Friedensgedanken, vom Haá zur Liebe, von der Rache zur Verzeihung. Das hat uns alle emporgehoben. Das hat den Vorhang aufgerollt. Nun sehen wir, was hinter ihm und hinter unsern winzigen Taten liegt. Das hat sogar Old Surehand, Apanatschka und ihre S”hne aufgerttelt - - -" "Nicht aufgerttelt", fiel Young Apanatschka ein, "aber sehend gemacht, wenn auch noch nicht ganz. Ein Schleier ist gefallen. Ob der andere auch noch f„llt, das wissen wir nicht. Man sagt uns, daá unsere Kunst eine „uáere sei, eine Kunst ohne Seele und Gedanken, genauso wie unser Bild. Wir haben euch eingeladen, am morsenden Abend am Wasserfall unsere G„ste zu sein. Dort werden wir versuchen, den Stein durch Licht zu beleben. Gelingt es, dann gut; gelingt es nicht - -" "Es gelingt!" fiel ihm Young Surehand siegesgewiá in die Rede. Ich sah, daá ihm gleich einige widersprechen wollten, darum ergriff ich schnell das Wort: "Er hat recht; warten wir es ab!" "Ja, warten wir es ab!" stimmte Athabaska mir bei. "Aber selbst wenn es gel„nge, wrde es nur ein belebter Rowdy sein, den wir zu sehen bekommen. Ein Rowdy, zum Angriff vorgehend, mit dem Revolver in der Hand; hier aber hat man einen andern, einen wirklichen Winnetou, der Geist, Gemt und Adel besitzt, und Geist, Gemt und Adel von uns fordert. So wie er //566// sollen auch wir nach oben streben, wir, seine ganze Rasse. Er nimmt uns mit; er zieht uns f”rmlich hinauf." Indem er dies sagte, zeigte er auf das Winnetou-Portr„t, welches wir Tatellah-Satah gegeben hatten. Dieser hatte es hier an das weiáe Passiflorenkreuz geheftet und zu beiden Seiten die Bilder von Marah Durimeh und Abu Kital, dem Gewaltmenschen, aufgestellt. Das hatte, als die Anwesenden kamen und es sahen, einen groáen, tiefen Eindruck gemacht, und diesem Eindruck war es unbedingt mit zuzuschreiben, daá die heutige Vorlesung eine so ungew”hnliche Wirkung hervorgebracht hatte. Es h„tte eigentlich weitergelesen werden sollen; aber man hatte nun einmal aufgeh”rt und kam nicht recht wieder in die erforderliche innere Ruhe hinein. Darum beantragte Old Surehand, fr heut' Schluá zu machen, zumal von seiner Seite fr den morgenden wichtigen Tag noch sehr viel vorzubereiten sei. Man ging darauf ein. Hierauf entfernten sich alle, und nur ich blieb mit dem Herzle bei Tatellah-Satah zurck. "Es war heut ein Sieg, ein groáer Sieg", sagte der letztere. "Als sie kamen und Euern nach dem Tod auf steigenden Winnetou sahen, war das Schicksal des steinernen Bildes besiegelt. Selbst die beiden jungen Knstler nebst ihren V„tern und Kolma Putschi k”nnen sich dem nicht entziehen. Und sie sind ehrlich. Sie leugnen es nicht. Sie werden morgen am Schleierfall versuchen, ihre Idee zu retten; aber sie fhlen es schon heut und selbst nur zu gut, daá auch diese ihre gr”áte Anstrengung vergeblich sein wird. Du rittest mit Pappermann nach den Steinbrchen. Du kamst so sp„t zurck. Das l„át vermuten, daá ihr nicht umsonst geritten seid." "Allerdings", antwortete ich. "Das Resultat ist mehr als befriedigend, wenn auch nicht erfreulich. Wir //567// haben sehr viel erfahren; zum Beispiel, daá die beiden Medizinm„nner der Kiowa und der Komantschen entflohen sind." "Uff, uff!" rief er erschrocken aus. Das Herzle war nicht weniger berrascht. Ich fuhr fort: "Das ist noch nicht das Schlimmste. Es kommt noch Schlimmeres. Setzen wir uns. Ich will erz„hlen." Ich berichtete, was ich zu berichten hatte. Als ich fertig war, sagte Tatella-Satah: "Ich wrde wohl in aufgeregter Besorgnis sein, wenn ich nicht s„he, daá du so ruhig bist! Warum hast du das nicht erz„hlt, als die H„uptlinge noch da waren?" "Muáten sie es wissen? Brauchen wir sie dazu?" fragte ich. "Ich pflege das, was ich allein tun kann, keinem anderen zu bertragen." "Du glaubst, allein fertig werden zu k”nnen?" "Ja." "Mit allen diesen viertausend Feinden?" "Ja." Da sah er mich groá an, schttelte den Kopf und fuhr fort: "Jetzt begreife ich an Winnetou, was ich frher, als er noch lebte, nicht begreifen konnte, n„mlich sein unbeschreibliches Vertrauen zu dir. Heut' fhle ich es selbst, dieses Vertrauen. Und so sag': Was gedenkst du, gegen das alles, was uns droht, zu tun?" "Das einfachste, was es gibt: Ich verlege ihnen den Weg durch die H”hle! Ich sperre sie sodann im Tal der H”hle ein, bis sie vor Hunger um Erbarmen bitten mssen. Und ich nehme ihre H„uptlinge gefangen, um sie als Geiseln zu benutzen. Wieviel bewaffnete ,Winnetous' stehen dir zur Verfgung?" //568// "Heut ber dreihundert; bis morgen abend k”nnen es fnfhundert sein und sp„ter noch weit mehr." "Das ist bergengend. Fr jetzt brauche ich ihrer nur vielleicht zwanzig und unsern treuen Intschu-inta dazu. Ich gehe jetzt zu mir, mich umzuziehen, weil ich das indianische Gewand noch trage. Dann komme ich wieder und steige mit ihnen durch die verborgene Treppe hier in die H”hle hinab, um die Stalaktiten wieder derart aufzustellen, daá die beiden Medizinm„nner, wenn sie mit ihren Scharen kommen, sich nicht weiterfinden k”nnen." "Und wenn sie den Weg, den du ihnen verbergen willst, aber doch entdecken? Wenn sie die Steine ebenso wegr„umen, wie du sie wegger„umt hast?" "Das k”nnte h”chstens am breiten Weg geschehen, dessen Ausgang ich ihnen aber hinter dem Schleierfall derart verlegen werde, daá sie nicht herausk”nnen. Damit ist fr heut und morgen alles vorbereitet. Zum Einschlieáen der Feinde im Tale ist bermorgen noch Zeit." Hierauf schickte ich mich an, zu gehen; aber das Herzle hatte vorher erst noch etwas anderes zu erledigen. Sie bat n„mlich den alten "Bewahrer der groáen Medizin" um die Erlaubnis, ihn morgen photographieren zu drfen. Ich erschrak fast. Das war eine Khnheit, die ich mir niemals gestattet h„tte. Er aber l„chelte gtig und fragte: "Darf ich wissen, fr wen oder wozu das Bild sein soll?" "Das ist Geheimnis", antwortete sie mit ungeminderter Verwegenheit. "Aber ein liebes, gutes und sehr ntzliches Geheimnis, welches vielen, vielen groáe Freude machen wird." "So ist es mir unm”glich, der Squaw meines Bruders Shatterhand ihren lieben, guten und sehr ntzlichen //569// Wunsch abzuschlagen. Sie mag kommen, wann sie will; ich bin bereit." Als wir hierauf gingen, fragte ich sie unterwegs, wozu sie die Photographie wohl brauche. Sie antwortete: "Sag', wer ist hier am Mount Winnetou die maágebende Pers”nlichkeit: Du oder Tatellah-Satah?" "Ganz selbstverst„ndlich er!" "Sch”n! Er hat sich begngt, zu fragen, ohne eine Antwort zu erhalten. VerIangst du mehr als er?" "Ja." "Mit welchem Recht?" "Sag', wer ist in unserer Ehe die maágebende Pers”nlichkeit, ich oder Tatellah-Satah?" "Ganz selbstverst„ndlich er!" lachte sie. "Well! So muá ich mich bescheiden! Ich bin besiegt! Du kannst das Geheimnis behalten!" "Und ich steige jetzt mit in die H”hle hinab." "Nein." "Warum nicht?" "Erstens bist du da unten kein brauchbarer Gegenstand, und zweitens bin ich nun nicht mehr maágebend genug, dir diesen Wunsch zu erfllen. Ich kann nichts tun, als dir ,gute Nacht' sagen." "Das kr„nkt mich schwer! Weiát du, ich teile dir lieber mein photographisches Geheimnis mit und darf dich dann begleiten. Denn schlafen kann ich doch nicht, wenn ich dich da unten weiá." "Gut! Einverstanden! Also? Das Geheimnis?" "Ich will das Bild unseres alten, berhmten Freundes fr den Projektionsapparat." "In welcher Weise?" "Heut abend sollen doch bekanntlich die Bilder der beiden Knstler zu beiden Seiten des Denkmales auf dem //570// Wasserfall erscheinen. Ich habe dieselbe Idee fr unsern aufstrebenden Winnetou mit den Bildern von Tatellah-Satah und Marah Durimeh zu beiden Seiten. Was sagst du dazu?" "Die Idee ist gut, sehr gut. Du brauchst da verschiedene Apparate, verschiedene Linsen - - -" "Ist da, ist alles da!" fiel sie schnell ein. "Wo?" "Bei dem Ingenieur, mit dem ich schon gesprochen habe." "Du denkst, daá er es tut?" "Mit Vergngen!" "Und nichts vor der Zeit verr„t?" "Gewiá nicht! Ich garantiere!" "So bin ich einverstanden." "Und nimmst mich jetzt mit nach der H”hle?" "Ja. Ich bin verpflichtet, alles zu tun, was du befiehlst!" "Daá du das tust, sind wir einander schuldig!" Als wir nach einiger Zeit wieder zu Tatellah-Satah kamen, stand Intschu-inta schon mit seinen zwanzig Mann bereit. Sie hatten sich genugsam mit Fackeln und mit einigem Werkzeug versehen. Wir ”ffneten den Treppenstein und stiegen in den Gang, welcher uns nach unten fhrte. Dort angekommen, suchten wir zun„chst die Stelle auf, an welcher der schmale Weg von dem breiten abzweigte. Dort hatten wir durch die Beseitigung der Stalaktiten Raum geschafft. Sie wurden wieder herbeigeholt und an ihre frhere Stelle gebracht. Wir trugen auch noch eine Menge anderer Stcke hinzu, die wir derart auf stellten, daá die Maserung des Weges unm”glich mehr entdeckt werden konnte. Der Gang war von unten bis oben vollst„ndig zugefllt, und zwar in so natr- //571// licher [natrlicher] Weise, daá der Gedanke an eine knstliche Nachhilfe ausgeschlossen erschien. W„hrend dieser Arbeit sah ich mich an der Stelle um, die mir schon vorher verd„chtig vorgekommen war. Aus dem einen Riá in der Decke waren mehrere geworden. Am Boden lagen schon eine ganze Menge herabgestrzter Steintrmmer. Und ein Regen von zerriebenern Kalksinter siebte ununterbrochen aus den klaffenden Spalten hernieder. Zuweilen h”rte man ein leises, aber scharfschneidiges Ger„usch, wie wenn gleichzeitig zwei Glastafeln aneinander gerieben werden. Das klang unheimlich. Hier und da ert”nte es irgendwo, wohin man nicht schauen konnte, als ob Felsen prasselten und Steine aus der H”he in die Tiefe fielen. Das gab ein so ungewisses, be„ngstigendes Gefhl. Ich muáte mich sehr berwinden, um still an Ort und Stelle bleiben zu k”nnen. Ich hatte eine ununterbrochene Sorge, pl”tzlich zerschmettert zu werden, und war froh, daá unsere Arbeit endlich fertig war und wir uns entfernen konnten. Und das betraf nicht nur mich, sondern das Herzle sagte, indem wir gingen: "Gott sei Dank, daá das vorber ist! Mir war zuletzt ganz „ngstlich zu Mute." "Warum?" fragte ich. "Weil es scheint, als ob hier alles zusammenbrechen soll!" "Hattest auch du dieses Gefhl?" "Gleich sofort, als wir kamen. Ich habe nichts gesagt, um dich nicht zu beunruhigen. Was gibt es hier ber uns, zu unsern H„uptern?" "H”chstwahrscheinlich die schwere Winnetoufigur. Wenigstens denke ich es. Genau kann ich es nicht sagen." Da schrie sie auf: //572// "Du, die bricht zusammen!" "Still, still! Laá das keinen Menschen h”ren!" "Also darum, darum steht sie schief?" "Und stellt sich immer schiefer und schiefer!" "H„ltst du diese Katastrophe fr m”glich?" "Fast fr unvermeidlich!" "Wann?" "Die Zeit l„át sich nicht bestimmen. Um dies zu k”nnen, máte man die Felsenunterlage genau untersuchen. Ich hoffe aber, daá es erst sp„ter geschieht, nicht etwa schon dieser Tage." H„tte ich gewuát, wie nahe uns dieses gr„áliche Ereignis stand, so h„tte mich nichts abhalten k”nnen, die hier zu erwartenden viertausend Indianer zu warnen. Wir gingen nun auf dem schmalen Weg zurck, bis nach der Stelle, wo der steile Pfad nach der Teufelskanzel abzweigte. Auch diese Mndung maskierten und verbarrikadierten wir derart, daá niemand hier einen verborgenen Abweg suchen konnte. Von da ging es weiter aufw„rts bis dahin, wo der Aufstieg nach dem Passiflorenraum begann. Wir versperrten ihn ebenso sorgsam, doch nicht von unten, sondern von oben her, weil wir uns ja hinter der Sperre befinden muáten, um nach dem Schloá zurckkehren zu k”nnen. Als wir dort anlangten, graute fast schon der Tag. Tatellah-Satah war nicht da. Wir verschlossen die geheimnisvolle Treppe und trennten uns dann von unsern indianischen Begleitern, um heimzugehen und noch einige Stndchen zu schlafen. Als wir erwachten, wartete Intschu-inta schon auf uns, um uns zu melden, daá die Gebrder Enters schon l„ngere Zeit hier seien und uns zu sprechen wnschten. Wir lieáen sie kommen und empfingen sie freundlich. Sie zeigten sich verlegen. Sie wuáten nicht, wie sie be- //573// ginnen [beginnen] sollten. Da zerhaute ich den Knoten, indem ich sagte: "Ihr kommt, um uns zu sagen, daá wir heut abend sterben sollen?" Nun erschraken sie gar; ich aber fuhr ruhig fort: "Die beiden Medizinm„nner sind entflohen. Sie wollen die viertausend Feinde heut abend durch die H”hle fhren, um uns zu berfallen. Die Arbeiter stehen unter ihrem Anfhrer, dem "Nigger", bereit, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. Die Roten geben, sobald sie hinter dem Wasserfall angekommen sind, das Zeichen durch einen Schuá. Sobald dieser Schuá f„llt, haben die Brder Enters mich und meine Frau zu ermorden, und die Arbeiter werfen sich auf die H„uptlinge und sonstigen Freunde von uns!" Sie sahen mich starr und stumm an. Sie sagten zun„chst kein Wort, so groá war ihr Erstaunen. "Nun?" fragte das Herzle. "Wie gef„llt euch das? Gebt ihr es zu? Oder wollt ihr es bestreiten?" Da antwortete Sebulon: "Bestreiten? Nein! Wir sind ja nur deshalb gekommen, um es euch zu sagen, um euch zu warnen. Wir sind nur so betroffen, weil ihr schon alles wiát. Und so genau! Es soll ja das tiefste Geheimnis sein!" "Geheimnis? Pshaw!" fiel ich ein. "Wir haben stets alles gewuát, und zwar viel besser als ihr. Das habt ihr wohl nun endlich eingesehen! Und so wissen wir auch das. Wir wissen sogar, daá ihr gestern abend in der Kantine, als Tusahga Saritsch und To-kei-chun fort waren, beschlossen habt, heut frh hierher zu kommen und uns alles zu erz„hlen." "Wie ist das m”glich? Ihr k”nnt doch nicht unter den Tischen oder Sitzen gesteckt haben!" //574// "O nein! So unbequem brauchen wir es uns gar nicht zu machen! Die Leute, die unsere Feinde zu sein scheinen, erz„hlen es uns selbst. Seid froh, daá ihr es ehrlich meint! Denn w„re dies nicht der Fall, so wrdet ihr die ersten sein, die unter unseren Kugeln fallen." "Oh, was das betrifft, so wrden wir wahrscheinlich gar nicht b”s darber sein, uns morgen tot zu wissen! Es gibt bei uns weder Glck noch Stern. Das ist der Fluch, der vom Vater auf die S”hne erbt." "Nicht der Fluch, sondern der Segen!" widersprach ich ihm. "Wieso?" fragte er. "Der Segen, welcher darin liegt, Geschehenes gutzumachen und dadurch den Vater erl”sen zu k”nnen." "Und daran glaubt Ihr, Mr. Shatterhand?" "Ja." "Wirklich? Wirklich? Ich bitte Euch, sagt es mir aufrichtig!" "Gewiá und wirklich!" "Gott sei Dank! So gibt es also doch noch einen Zweck fr uns! Wir wollen es fernerhin tragen! Ihr wiát also nun, daá wir heute abend angewiesen sind, uns in eure N„he zu machen?" "Ja." "Wollt Ihr uns das erlauben?" "Gern." "Und uns dennoch nicht miátrauen?" "Wir sind berzeugt, daá ihr es ehrlich meint." "Gott segne Euch fr dieses Wort! Habt Ihr einen Befehl fr uns?" "Jetzt noch nicht. Vielleicht heute abend. Wahrscheinlich kommt es gar nicht zu einem Kampf. Der šberfall wird auf alle F„lle vermieden." //575// "So nehmt Euch aber, mag es gehen wie es will, vor dem "Nigger" in acht. Er haát Euch glhend. Er schreibt alles auf Eure Schuld. Wenn er die Wahl hat, Euch eine Kugel zu geben oder keine, so gibt er Euch sicherlich zwei! Jetzt mssen wir gehen. Wir haben schon so lange gewartet, und doch soll niemand wissen, daá wir hier verkehren." Sie entfernten sich. "Sie tun mir leid, unendlich leid!" sagte das Herzle. "Sie sind ganz anders als frher. Ich wollte, sie h„tten ein recht, recht glckliches Leben vor sich liegen!" Als wir dann bei unserem versp„teten Kaffee saáen, stellten sich zwei andere Personen ein, die uns aufzusuchen kamen. Das waren die Squaw des H„uptlings Pida und "Dunkles Haar", ihre Schwester. Sie wurden ganz selbstverst„ndlich in der herzlichsten Weise aufgenommen. Das Herzle setzte gleich noch einmal Kaffee an, um sie an unserem Frhstck teilnehmen zu lassen. Wir erfuhren von ihnen, daá gestern abend die Frauen der Komantschen und der Kiowas hier angekommen waren. Sie hatten sich sofort mit den Frauen der Sioux unter deren Fhrerin Aschta vereinigt, um bei den Denkrnalsberatungen auch ihre Stimmen zur Geltung zu bringen. Heute frh waren sie alle nach dem Geb„ude gezogen, in dem die beiden jungen Knstler ihr Rundgem„lde und das Modell zur Winnetoufigur sehen lieáen. Sie hatten es ganz entt„uscht verlassen. Was ihnen da gezeigt worden war, hatte nichts mit dem herrlichen Winnetou zu tun gehabt, den man liebt und verehrt, so weit die Zungen der roten V”lker erklingen. Nein! Den Winnetou, den sie da gesehen hatten, den lehnten sie ab. Den wollten sie nicht haben. Und mir das sofort zu sagen, waren sie gekommen. //576// Aber es galt, mir noch eine andere Mitteilung zu machen, die weit schwieriger war. Sie wuáten nicht so recht, wie sie es anzufangen hatten, mich gengend zu warnen, ohne einen Verrat gegen ihre eigenen Krieger zu begehen. Ich machte ihnen Mut, indem ich ihnen erkl„rte, daá ich bereits alles wisse. Ich sagte ihnen, daá die viertausend Indianer heute durch die groáe H”hle ziehen wrden, um den unsinnigen Plan der alten, gegen uns verschworenen H„uptlinge zur Ausfhrung zu bringen. Das machte es ihnen m”glich, aufrichtig zu sein. Ich erfuhr von ihnen, daá Pida, ihr Mann und Schwager, heut frhzeitig nach dem "Tal der H”hle" geritten sei, weil man ihn ausersehen hatte, den unterirdischen Marsch zu kommandieren. Nun stand fr sie die Sache folgendermaáen: Siegte er, so muáte ich zugrunde gehen, und siegte ich, so war es um ihn geschehen. In dieser Herzensangst hatten sie es fr das Beste gehalten, mich aufzusuchen und sich mit anzuvertrauen. Ich versprach ihnen Verschwiegenheit und gab ihnen die Versicherung, daá weder mir noch Pida irgend etwas B”ses geschehen werde. Als sie uns nach einiger Zeit verlieáen, waren sie vollst„ndig beruhigt. Hierauf ging das Herzle zu Tatellah-Satah, um ihn zu photographieren. Ich begleitete sie. Als die Aufnahme vorber war, verlieá sie uns. Es trieb sie zum photographierenden Ingenieur. Wir aber machten einen Spaziergang nach dem Wartturm, um den "jungen Adler" aufzusuchen. Dieser schien von dem Kommen unseres ehrwrdigen Freundes und Beschtzers unterrichtet zu sein, denn er rief uns, als wir dort anlangten, von der H”he seines Daches aus zu: "Kommt herauf! Es ist alles bereit. Mein ,Adler' ist fertig!" //577// Wir traten in den Turm und stiegen die vielen Stufen bis zum platten Dach hinauf. Da stand auf vier Beinen ein groáes, vogel„hnliches Gebilde mit zwei Leibern, zwei ausgebreiteten, m„chtigen Flgeln und zwei Schw„nzen. Die beiden Leiber vereinigten sich vorn durch ihre H„lse zu einem einzigen Kopf, zu einem Adlerkopf. Sie waren aus federleichten, aber auáerordentlich festen Binsen geflochten. Was sie enthielten, sah man nicht, h”chstwahrscheinlich den Motor. Im brigen bestand der Apparat aus fast gewichtslosen Stoffen, die aber unzerreiábar waren und groáe Tragf„higkeit besaáen. Die Schw„nze waren h”chst eigenartig gestaltet. Zwischen den Leibern war ein bequemer Sitz angebracht, welcher Platz fr zwei Personen gew„hrte. Es gab verschiedene Dr„hte, deren Bestimmung nicht gleich beim ersten Blick zu erkennen war, doch konnte man sich denken, daá sie zur Beherrschung und Lenkung des groáen Vogels dienten. Auáer dem "jungen Adler" waren noch unser alter Pappermann und Aschta, die jngere, da. Es ist mir nicht erlaubt, eine Beschreibung des Apparates zu geben, doch darf ich versichern, daá, als der "junge Adler" uns alles erkl„rt hatte, wir beide, Tatellah-Satah und ich, von der Sicherheit und der Verl„álichkeit des Apparates derart berzeugt waren, daá in uns sofort der Wunsch aufstieg, uns seiner einmal bedienen zu drfen. "Und er fliegt, er fliegt!" versicherte Pappermann. "Ich habe es selbst gesehen!" "Wann?" fragte ich. "Heute frh", antwortete er. "Als Jedermann noch schlief und nur die erste Spur des Morgengrauens vorhanden war. Denn niemand sollte es sehen. Ich kam //578// herauf, um zu helfen. Da stieg der ,junge Adler' auf den Sitz und zog an einem Draht. Sofort wurde es in den beiden Leibern lebendig. Der Vogel begann, zu atmen. Noch ein Draht, und die Schw„nze breiteten sich aus. Die Flgel bewegten sich. Zwei, drei Schl„ge, und der Vogel stieg auf, verlieá das Dach des Turmes und flog ein Stck hinaus, hoch ber die Ebene. Er stieg h”her und h”her, schlug einen Bogen, kehrte wieder zurck und lieá sich langsam, ohne daá es einen Stoá gab, wieder auf das Dach herab. Er steht noch genauso da, wie er angekommen ist!" "Und das ist wahr? Wirklich wahr?" fragte ich den "jungen Adler". Er nickte mir l„chelnd zu. Dieses L„cheln war kein stolzes, aber ein unendlich glckliches! Tatellah-Satah schaute vom Dach in die Weite hinaus. Fast war es, als ob sein Antlitz leuchten wolle. "Kommt!" erklang es erst nach l„ngerer Zeit aus seinem Munde. Er sagte das zu mir und dem "jungen Adler" und ging zur Treppe, um wieder vom Turm hinabzusteigen. Unten angekommen, fhrte er uns in den Hochwald. Er schritt voran; wir folgten hintendrein. Keiner sprach ein Wort. Er fhrte uns nach der anderen Seite des Berges, bis zu einer Stelle, von welcher aus wir hinber nach dem See und hinunter nach dem Schleierfall schauen konnten. Jenseits des Sees ragte der domartige Hauptberg des Mount Winnetou hoch empor, und hinter diesem waren die gewaltigen Kuppen der benachbarten Giganten zu sehen, unter ihnen einer, der seinen Gipfel so stolz und steil, so scharf und senkrecht erhob, als ob es nie einem menschlichen Wesen gestattet worden sei, seinen Scheitel zu betreten. Auf ihn deutend, sagte der Alte: //579// "Das ist der ,Berg der K”nigsgr„ber'. Bevor die Rasse der Indianer sich in winzige St„mme aufl”ste, wurde sie nicht von kleinen H„uptlingen, sondern von gewaltigen Kaisern und K”nigen regiert, die alle auf der m„chtigen, hoch ber den Wolken liegenden Plattform dieses Berges begraben worden sind. Die Gr„ber sind von Stein gemauert. Sie bilden zusammen eine Totenstadt mit Straáen und Pl„tzen, auf denen es keine Spur von Leben und Bewegung gibt. Sie enthalten nicht nur die Leichen der verstorbenen Herrscher, sondern in jeder Gruft liegen, in goldenen K„sten unzerst”rt erhalten, die Bcher ber jedes Jahr der Regierung dessen, der hier seine letzte irdische Wohnung fand. Hier sind also nicht nur alle die groáen Herrscher der roten Rasse begraben, sondern ihre ganze Geschichte und s„mtliche Berichte und Dokumente ihrer langen, vieltausendj„hrigen Vergangenheit. Aber man kann nicht zu ihnen gelangen. Man kann nicht hinauf. Als der letzte K”nig begraben worden war, vernichtete man die Felsenstraáe, die hinauf zu den K”nigsgr„bern fhrte, so daá es keinem Sterblichen mehr m”glich war, hinauf zu ihnen zu gelangen. Es soll zwar einen steilen Nebenpfad geben, der damals nicht mit vernichtet worden ist, aber niemand hat ihn bisher gefunden. In einem meiner „ltesten Bcher steht geschrieben, daá der Schlssel zu diesem Pfad vorhanden sei, aber er liege hoch oben auf dem ,Berg der Medizinen', genau am Fuá der letzten, h”chsten Felsennadel, unter einem Stein, der die Gestalt einer halben Kugel habe. Der ,junge Adler', auf den die roten M„nner schon seit langen, langen Jahren warten, wird, wie auf der Haut des groáen Kriegsadlers zu lesen ist, dreimal um den Berg fliegen und bei diesem Stein anhalten, um ihn zu heben und den Schlssel hervorzunehmen. Ist //580// dies gelungen, so kann der Berg der K”nigsgr„ber bestiegen werden, und die Berichte und Dokumente der verschwundenen Urzeiten drfen ihre Stimmen erheben, um die Geheimnisse unserer Vergangenheit zu enthllen." Er schaute nach jener Felsennadel hinauf, an deren Fuá der Schlssel liegen sollte. Und er schaute hinber nach der Bergeskuppe, auf welcher die roten Kaiser und K”nige begraben lagen. Dann fuhr er fort: "Das alles wuáte ich. In meiner Brust war die ganze, glhende Sehnsucht unserer Rasse vereint. Da saá ich vor meiner Tr, und vor meinen Fáen landete aus hohen Lften der verwegene Knabe, der den m„chtigsten der V”gel gezwungen hatte, ihn ber die Abgrnde des Todes zur sicheren Erde herabzutragen. Er wurde von nun an der ,junge Adler' genannt. War er der Verheiáene, der Vorherverkndigte? Ich glaubte es. Ich nahm ihn zu mir. Ich erzog ihn. Er war ein Verwandter meines Winnetou. Ich legte ihm die Sehnsucht, fliegen zu lernen, in das Herz. Als ich h”rte, daá drben in Kalifornien die ersten Flugversuche gemacht worden seien, beschloá ich, ihn zu den Bleichgesichtern zu senden, damit er das Fliegen von ihnen lerne. Er ging und tat, was ich von ihm begehrte. Jetzt ist er zurckgekehrt. Er behauptet, ein Flieger geworden zu sein. Er sagt, daá er einen eigenen Adler erfunden habe, auf dessen Flgel er sich verlassen k”nne. Ich glaube es ihm, denn er ist mein erster und oberster Winnetou, und es kam noch nie ein unwahres Wort ber seine Lippen. Dennoch frage ich ihn heut und jetzt, in diesem wichtigen Augenblick: Getraust du dich, da hinaufzufliegen und nachzusehen, ob wirklich ein Stein vorhanden ist, unter dem der Schlssel zu den Gr„bern der K”nige verborgen liegt?" //581// Der "Junge Adler" antwortete sofort und in zuversichtlichem Ton: "Ich getraue es mich nicht nur, sondern es ist sogar leicht, sehr leicht." "Und wann kannst du es tun?" "Sobald du es wnschest. Jetzt oder sp„ter. Die Zeit, die du bestimmst, ist mir gleich!" "Dann jetzt noch nicht. Der heutige Tag hat seine Aufmerksamkeit auf anderes zu richten. Aber ich danke dir fr deine Zuversicht. Sie macht mich fest in meinem Zukunftsglauben! Wir werden die Grfte der toten Kaiser und K”nige ”ffnen. Wir werden die Bcher finden und die Seele unserer Rasse, die in ihnen schlummert, aus dem tausendj„hrigen Schlaf auferwecken. Sie wird wachsen und groá werden, wie die Seelen der anderen Rassen groá geworden sind, und niemand wird uns mehr hindern, die H”hen zu gewinnen, die uns von Manitou zur Wohnung angewiesen sind!" Unser Blick reichte, wie bereits gesagt, von da aus, wo wir uns jetzt befanden, bis hinunter nach dem Schleierfall. Da sahen wir jetzt das Herzle mit dem Ingenieur und einigen Indianern, welche photographische Apparate trugen. Sie befand sich also in voller T„tigkeit und hatte, wie es schien, den Ingenieur fr sich gewonnen. Wir aber kehrten nach dem Turm und von da nach dem Schloá zurck, wo ich dadurch berrascht wurde, daá ich Old Surehand und Apanatschka auf mich wartend fand. "Wundert euch nicht, daá ihr uns bei euch seht", redete mich der erstere an. "Es ist eine etwas unklare, aber, wie es scheint, h”chst wichtige Sache, die uns zu euch fhrt. Kennt ihr den sogenannten ,Nigger', der die Arbeiterkantine bewirtschaftet?" "Ich habe ihn einmal gesehen," antwortete ich. //582// "Mit ihm gesprochen?" "Nein." "Habt ihn also nicht beleidigt?" "Nie." "Dennoch hat er einen frchterlichen Haá auf euch. Weshalb, das k”nnt ihr euch wohl denken. Er steht auf unserer Seite. Wir k”nnen ihm also nicht zrnen. Aber er ist ein h”chst unbedachtsamer, j„hzorniger und gewaltt„tiger Mensch und meint jetzt mit seinem Haá gegen euch zu weit gehen zu wollen. Er war vorhin in einer gesch„ftlichen Angelegenheit bei uns und hat bei dieser Gelegenheit in einer Weise von euch gesprochen, welche uns in Besorgnis versetzt. Er sagte, heut sei euer letzter Lebenstag; es wrden auch noch andere daran glauben mssen; heut habe es sich zu zeigen, wer Herr und Meister am Mount Winnetou sei. Er schien betrunken zu sein. Wir haben ihn bisher fr treu gehalten; diese Redensarten aber erregen unser Bedenken. Wir sind gekommen, euch zu warnen. Es scheint etwas gegen euch unterwegs zu sein, doch konnten wir leider nicht erfahren, was." "Ich danke euch!" antwortete ich. "Ich bin bereits gewarnt." "Wirklich? Das soll uns freuen! Ihr seid noch immer der alte. Ihr wiát immer mehr als wir! Sagt also, ist unsere Vermutung richtig? Hat man etwas gegen euch vor?" "Nicht nur gegen mich, sondern auch gegen euch." "In der Tat? - Was?" "Man will mich und euch, berhaupt uns alle, beiseite schaffen. Ich bin von allem unterrichtet und wollte nicht eher davon sprechen, als bis alles vorber ist. Aber da ihr so ehrlich seid, mich, euern Gegner, zu warnen, so will ich euch in das Vertrauen ziehen." //583// Ich erz„hlte ihnen fast alles, was ich wuáte. Die Wirkung l„át sich denken. Sie wollten sofort mit allen vorhandenen Kr„ften nach dem "Tale der H”hle" ziehen, um den Feinden in die H”hle zu folgen und sie da drin niederzumetzeln. Zum Glck aber hatte ich ihnen von der Beschaffenheit der H”hle und daá ich ihre Ausg„nge kannte, nichts mitgeteilt. Es kostete mich groáe Mhe, sie zu beruhigen und ihnen das Versprechen abzuringen, die Leitung dieser Angelegenheit einzig und allein in meiner Hand zu lassen. Eines aber konnte ich nicht verhten, n„mlich, daá sie sofort hinaus nach der Kantine wollten, um den "Nigger" zur Rede zu stellen und sich seiner Person zu bem„chtigen. Es konnte mir dadurch sehr leicht ein Strich durch alle meine Berechnungen entstehen, und so muáte ich wohl oder bel mit ihnen reiten, um wenigstens noch das zu verhten, was noch zu verhten war. Als wir w„hrend dieses Rittes am Schleierfall vorberkamen, gab es dort eine auáerordentlich rege T„tigkeit. Die Vorbereitungen zur Brillantbeleuchtung heut abend nahmen alle Kr„fte in Anspruch. Als ich einen forschenden Blick auf die neu eingegrabenen Masten warf, war es mir, als ob die Figur heut nicht unbedeutend schiefer stehe als vorher und als ob sich auch die Gerste schon geneigt h„tten. Ich sagte aber nichts. Bei der Kantine angekommen, fanden wir das Herzle mit dem Ingenieur. Sie photographierten. Die beiden Enters waren dabei. Sie hatten, wie ich sp„ter erfuhr, in der Kantine gesessen und waren herausgekommen, um zuzusehen. Grad als wir bei ihnen von den Pferden stiegen, kam der "Nigger" aus dem Haus. Old Surehand und Apanatschka nahmen ihn sofort in Beschlag. Sie machten weder Einleitungen noch lange //584// Umst„nde. Old Surehand fiel gleich mit der Tr in das Haus: "Wir sind gekommen, dich zu arretieren!" sagte er. "Du kommst uns grad so recht!" "Arretieren? Mich?" fragte der "Nigger". "M”chte den sehen, der das fertig br„chte! Darf ich fragen, warum?" "Wegen des Theaters, welches heut abend gespielt werden soll." Der Mensch erschrak, faáte sich aber schnell. Er machte nicht den geringsten Versuch, zu leugnen. Er lachte laut auf und rief: "Dafr, daá ich euch eure Gegner vom Hals schaffen will, wollt ihr mich arretieren? Well! Ist das Dankbarkeit?" "Glaubst du, uns zu t„uschen?" fragte Apanatschka. "Wir wissen sehr genau, daá es sich nicht nur um unsere Gegner handelt, sondern auch um uns selbst! Nicht nur sie, sondern auch wir sollen abgeschlachtet werden! Wir wissen es!" "Von wem?" Die Augen des "Niggers" funkelten, indem er diese Frage tat. Apanatschka antwortete: "Waren To-kei-chun und Tusahga Saritsch etwa gestern abend nicht bei dir? Ist da nicht deutlich genug davon gesprochen worden, was geschehen soll? Saáen nicht die beiden Enters auch dabei?" Das war ein unverzeihlicher Fehler, den Apanatschka da beging. Die Folgen stellten sich augenblicklich ein. Der "Nigger" griff mit der Hand in seine Tasche, jedenfalls nach seinem Revolver. Er richtete seine Gestalt hoch auf, sah einen nach dem andern von uns an und sagte, indem er die Worte wie pfeifend zwischen den Z„hnen hervorstieá: //585// "Also verraten! Alles verraten! Doch schadet das nichts! Was werden soll, wird doch!" Das Herzle war an meine Seite geeilt. Sie glaubte mich in Gefahr. Auch die beiden Enters hatten sich uns gen„hert. Sie standen jetzt grad neben dem "Nigger". Dieser betrachtete sie mit einem tiefver„chtlichen Blick und fuhr fort: "Und wiát ihr, wer es verraten hat? Ihr, ihr, ihr! Denn die beiden H„uptlinge werden sich doch nicht selbst verraten! Eigentlich sollte ich euch sofort niederschieáen! Aber ihr kommt erst an zweiter Stelle! An erster Stelle steht dieser fremde, deutsche Hund mit seiner Squaw, die ich sofort durchl”chern werde, um - -" Er riá den Revolver aus der Tasche, spannte ihn und richtete ihn auf mich und meine Frau. Da aber wurde er von den beiden Enters gepackt, so daá er nicht schieáen konnte. Old Surehand und Apanatschka zogen ihre Revolver rasch auch. Das Herzle stellte sich vor mich, um mir als Schild zu dienen; ich aber schob sie hinter mich und warnte sie: "Keine Torheit! Es geschieht uns nichts!" Der "Nigger" versuchte, die Brder von sich abzuschtteln. Sie lieáen nicht los. "Du sollst Old Shatterhand nicht schieáen; schieá lieber mich!" rief Hariman Enters. "Nicht diese Frau sollst du treffen; nicht sie, nicht sie, sondern mich!" stimmte Sebulon bei. Da gelang es dem "Nigger", seine Rechte frei zu machen. "Wohlan, wohlan!" brllte er. "Also zun„chst ihr beide, damit ich euch los werde! Dann aber um so sicherer die beiden andern!" Er richtete den Lauf seiner Waffe blitzschnell auf Sebulon und dann auf Hariman. Die Schsse krachten. //586// Zugleich aber fielen noch zwei andere Schsse, n„mlich aus den Revolvern Apanatschkas und Old Surehands. Diese Kugeln drangen dem Riesen mitten in die Stirn. Er drehte sich halb um sich selbst, begann zu wanken und strzte dann mit den beiden Enters, die in die Brust geschossen waren, zu Boden. Apanatschka und Old Surehand warfen sich schnell auf ihn, um seine Todeszuckungen unsch„dlich zu machen. Das Herzle kniete bei Sebulon und ich bei Hariman nieder. Beide waren nur zu gut getroffen. Hariman ”ffnete noch einmal die Augen. "Ich war euer ,Winnetou', seit jenem Abend am Nugget-tsil", flsterte er. "Ist mir vergeben?" "Alles, alles!" antwortete ich. "Auch meinem Vater?" "Auch ihm!" "So - sterbe - ich froh - !" Diese Worte hauchte er nur noch. Dann war er tot. Sebulon lag still; aber seine geschlossenen Augenlider zitterten. Auch er war dem Tod verfallen. Das Herzle weinte. Sie strich ihm leise die Wangen. Da ”ffnete er ganz pl”tzlich die Augen, richtete sich auf dem einen Ellbogen halb auf, sah sie an und fragte mit scheinbar ganz gesunder Stimme: "Ihr weint, Mrs. Burton? Und ich bin so glcklich!" Er l„chelte und zog mit letzte Kraft ihre Hand an seine Lippen. "Lest den Namen unter meinem Winnetoustern!" bat er. Sie nickte. Nach kurzer Pause fuhr er mit leiser werdender Stimme fort: "Glaubt Ihr - - daá mein Vater - - nun erl”st ist - - - erl”st?" //587// "Ich glaube es", antwortete sie. "Dann - - Gott sei Dank - - ist es doch nicht umsonst - - umsonst!" Er sank zurck und streckte sich. Dann war auch er erl”st. Wir standen auf. Der riesige "Nigger" lag mit toten, aber starr ge”ffneten Augen zwischen seinen Opfern. "Muáte das sein?" fragte das Herzle. "Nein!" antwortete ich fast zornig. "Ja, es muáte nicht sein", stimmte Old Surehand bei. "Wir konnten es umgehen. Wir waren zu schnell; wir waren unbesonnen!" "Wie so oft, wie so oft in frherer Zeit," stimmte ich bei, denn es war mir unm”glich, mit meinem Tadel ganz zurckzuhalten. Sie nahmen ihn ruhig hin. "Was soll nun werden?" fragte ich. "Glaubt ihr, die Verschw”rung der Arbeiter durch den Tod ihres Anfhrers beseitigt zu haben? Oder wird nicht grad dieser Tod das, was wir verhten wollen, zum schnelleren Ausbruch bringen?" "Hm", brummte Old Surehand verlegen. "Richtig, richtig! Was ist zu tun?" Sie sahen einander an, fanden aber keine Antwort auf diese Frage. "Wie lange dauert es, bis ein Dutzend eurer Kanean-Komantschen hier an dieser Stelle sein k”nnen?" erkundigte ich mich. "Wenn ich sie hole, h”chstens eine Viertelstunde", antwortete Apanatschka. "Noch weiá niemand, was hier geschehen ist. Die Arbeiter sind jetzt nicht hier, sondern bei den Steinbrchen und am Wasserfall. Holt treue Leute, die den //588// ,Nigger' fortschaffen und einstweilen verstecken. Dann wird man h”ren, er habe im Streit die Gebrder Enters erschossen und sich der Strafe durch die Flucht entzogen. So wissen die Arbeiter nicht, woran sie sind, und es steht zu erwarten, daá sie sich ruhig verhalten." "Das ist ein Gedanke!" stimmte Old Surehand bei. "Schnell fort, und hole die Leute!" Diese Aufforderung galt Apanatschka, welcher sofort davongaloppierte und nach wenig ber zehn Minuten die Komantschen brachte, welche den toten "Nigger" auf ein Pferd banden und sich mit ihm entfernten. Zwei von ihnen blieben als Totenwache bei dem erschossenen Brderpaar zurck. Das Herzle war tief erschttert. Sie verlangte heim. Darum ritt ich mit ihr nach dem Schlosse, welches sie erst am Nachmittag, als sie sich beruhigt hatte, wieder verlieá, um mit dem bereitwilligen Ingenieur ihre photographischen Studien fortzusetzen. Sie kam erst gegen Abend wieder heim, um zu melden, daá man unten schon beginnt, sich auf dem Festplatz am Schleierfalle einzustellen. Nach dem Essen stiegen wir mit dem "Bewahrer der groáen Medizin" und dem "jungen Adler" hinab. Pappermann, Intschu-inta und andere waren schon vorausgegangen. Tatellah-Satah hatte alles, was n”tig war, mit mir besprochen und daraufhin seine Anweisungen erteilt. Die Arbeiter hatten am Denkmal zu bleiben. Die gew”hnlichen Zuschauer waren nach dem groáen Platze vor der Figur gewiesen, welcher Tausende von Menschen faáte. Dieser Platz zog sich bis nach den beiden "Teufelskanzeln" zurck, welche nur von den H„uptlingen und Unterh„uptlingen besetzt werden durften. Zwischen den Arbeitern und den Zuschauern gab es eine dreifache Reihe von "Winnetous", welche alle mit Revolvern bewaffnet waren //589// und dafr zu sorgen hatten, daá die ersteren, also die Arbeiter, sofort berw„ltigt werden konnten, wenn es ihnen etwa einfallen sollte, nach dem Plan des "Niggers" und der verbndeten vier H„uptlinge zu verfahren. Zu erw„hnen ist, daá im Verlauf des heutigen Tages die ersten Wagenzge angekommen waren, mit deren Hilfe die hier zu erwartende Menschenmenge von der Bahn aus verproviantiert werden sollte. Mit diesen Wagen hatten sich zugleich auch mehrere Scharen neuer Mount-Winnetou-Pilger eingestellt, die mit Wonne vernahmen, daá sie schon am heutigen Abende das Glck haben wrden, die herrlich erleuchtete Gestalt ihres geliebten Winnetou zu sehen. Sie waren nun auch schon da, und so kam es, daá der Zuschauerraum als "vollbesetzt" bezeichnet werden konnte. Die H„uptlinge waren, wie bereits erw„hnt, um und auf die "Teufelskanzeln" verteilt, und zwar in folgender Weise: Links vom Fahrwege lagen die Kanzeln 1 und 2, rechts von ihm die Kanzeln 3 und 4. Die Kanzel 1 korrespondierte mit der Kanzel 3, die Kanzel 2 mit der Kanzel 4. Wer auf Kanzel 1war, der h”rte, was auf Kanzel 3 gesprochen wurde. Wer sich auf Kanzel 2 befand, der vernahm alles, was auf der Kanzel 4 zur Rede kam. Und so auch umgekehrt: der Schall von 1 kam nach 3, der Schall von 2 ging nach 4. Da ich nun alles zu h”ren wnschte, was von den uns feindlichen vier H„uptlingen und ihrem Anhang gesprochen wurde, so hatte ich sie auf die Kanzel 3 plazieren lassen, w„hrend wir die Kanzel 1in Anspruch nahmen. Sie h”rten freilich auch alles, was wir redeten, doch wuáten wir das, und so brauchten wir nur das, was sie h”ren sollten, laut zu sprechen, alles andere aber leise zu flstern. Von den Kanzeln 2 und 4 war nur die 4 besetzt; die 2 behielten wir fr uns leer. //590// Als wir auf dem Festplatze anlangten, war er nur erst notdrftig erleuchtet, und zwar nicht mit ™l, sondern ausschlieálich elektrisch, auch die Laternen. Das war bei der gewaltigen Menge der hier erzeugten Elektrizit„t ungemein bequem und billig. Man machte uns Platz, nach unserer Kanzel 1 zu kommen. Das war dieselbe, von deren Fuá aus der geheime Gang in die H”hle fhrte. Dort wurden wir von den uns befreundeten H„uptlingen empfangen. Sie waren alle da, sogar auch Avaht-Niah, der Hundertundzwanzigj„hrige. Ich hatte ihnen sagen lassen, daá sie die Kanzel ja nicht betreten, sondern sich einstweilen am Fuá derselben lagern sollten. Sie hatten das getan, ohne den Grund zu kennen. jetzt beeilte ich mich, ihnen diesen mitzuteilen. Wie erstaunten sie, als sie h”rten, daá es sich hier um die L”sung dieses alten, sagenhaften Geheimnisses handelte! Ich sagte ihnen, daá sie nun auf die Kanzel steigen, dort aber ganz leise und mit vor den Mund gehaltenen H„nden sprechen sollten; ich aber wrde jetzt zu unsern Gegnern gehen, um mit diesen zu reden. Es werde jedes Wort hier zu verstehen sein. Ich ging. Der alte Kiktahan Schonka saá mit seinem Anhang schon oben auf Kanzel 3. Diese Kanzel war rundum von einer Schar bewaffneter "Winnetous" besetzt; das hatte ich so angeordnet. Ich sagte ihnen, daá sie alle Obensitzenden als Gefangene zu betrachten und keinen von ihnen ohne meine besondere Erlaubnis fortzulassen h„tten. Darauf stieg ich hinauf. "Old Shatterhand!" rief der alte Tangua, der mich zuerst sah und erkannte. "Ja, ich bin es", antwortete ich laut. "Ich komme, um euch Wichtiges mitzuteilen, damit ihr nicht vergeblich wartet. Wiát ihr, das der ,Nigger', euer Verbndeter, geflohen ist?" //591// "Wir wissen es", antwortete To-kei-chun. "Aber er ist nicht unser Verbndeter." "Er ist es!" behauptete ich. "Ich stand gestern am offenen Fenster der Kantine, als ihr mit ihm und den beiden Enters den Plan fr den heutigen Abend bespracht!" "Uff, uff!" rief er erschrocken aus. Ich fuhr fort: "Nun sind die Enters tot, und er ist auch tot. Old Surehand und Apanatschka haben ihn erschossen!" "Uff, uff! Uff, uff!" ert”nte es rundum. "Und Pida, der nach dem ,Tale der H”hle' geritten ist, um die viertausend Sioux, Utahs, Kiowa und Komantschen durch die H”hle nach dem Wasserfall zu fhren, wird nicht kommen, um uns zu berfallen. Wir haben ihm die Wege verlegt und nehmen ihn mit allen seinen Kriegern gefangen." "Uff, uff!" "Und euer Komitee ist aufgel”st! Die Brder Enters haben mir die Schrift gebracht, die von euch unterzeichnet worden ist. Eure ganze Betrgerei und euer Trachten nach meinem Leben ist bekannt! Die Strafe folgt! Ihr seid hier gefangen! Dieser Ort hier ist von unsern ,Winnetous' umstellt. Sie haben euch festzuhalten. jeder von euch, der es wagt, zu entfliehen, wird augenblicklich erschossen!" Jetzt rief niemand uff, uff. Sie waren zu Tode erschrocken. Die vier "Herren vom Komitee" befanden sich auch mit hier. Auch sie waren still. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Da war es, als ob die Erde unter uns wanken wollte. Ich fhlte und h”rte ein kurzes, aber scharfes Zittern und Knirschen unter mir. Ich hatte mich zu beeilen, von hier fortzukommen. "H”rt ihr es?" fragte ich. "Das war die Stimme //592// der H”hle, in der sich eure unglcklichen Krieger befinden! Sie sind verloren!" Nach diesen Worten stieg ich schnell von der Kanzel hinab und beeilte mich, dorthin zu kommen, wohin ich geh”rte. Es herrschte rundum tiefe Stille. Jedermann war darber, daá der Boden gewankt hatte, erschrocken. Da ert”nte die laute Stimme Old Surehands. Er befahl, daá die Illumination beginne. Der Ingenieur gehorchte; er ”ffnete den Projektionsapparat. Die Winnetoufigur wurde tageshell erleuchtet, und ihr zu beiden Seiten erschienen auf dem Spiegel des Schleierfalles die vielvergr”áerten Gesichtszge Young Surehands und Young Apanatschkas. Hatte Old Surehand etwa Beifall erwartet? Es erfolgte keiner. Jedermann blieb still. Die kopflose Steinfigur machte nicht den geringsten Eindruck, und die Portr„ts der beiden jungen Knstler hatten so wenig Charakteristisches an sich und so wenig tieferen Sinn, daá sie jedermann vollst„ndig gleichgltig lieáen. jetzt war es, wo ich meine Kanzel erreichte. Ich gab den Anwesenden das Zeichen, ja nicht laut zu sprechen, und fragte leise: "Habt ihr alles geh”rt?" Sie nickten. "Auch das Beben der Erde?" "Auch das", antwortete das Herzle flsternd und die Hand an den Mund haltend, um die Luftwelle abzuhalten, den Weg der Ellipse zu gehen. "Die Katastrophe scheint nicht warten zu wollen", fuhr ich fort. "Ich vermute, sie ist da!" Wieder grollte es in der Erde. Dann war es, als ob irgendwo etwas zusammenbreche. Da erscholl Old Surehands Stimme zum zweiten Male. Der Ingenieur schloá den Apparat und drehte die Leitungskurbel. Die //593// Bilder verschwanden - dafr aber begannen alle vorhandenen Lichter, groáe und kleine, zu leuchten, von der kleinsten Laternenbirne bis, hinauf zu den Riesenkugeln auf hoch emporstrebenden Masten. Aber auch das machte keinen Eindruck. Das Licht war kalt, und das Steinbild blieb dasselbe. Man hatte es am Tage gesehen und sah es jetzt nicht anders. Und doch! Ich sah es anders, ich! Ich sah, daá es sich noch mehr zur Seite geneigt hatte, und zwar ganz betr„chtlich, so betr„chtlich, daá das Herzle erschrocken meine Hand ergriff und mir zuraunte: "Um Gotteswillen! Sie strzt, sie strzt, die Figur!" Und kaum war das gesagt, so rollte es unter uns; es stob und knallte und puffte. Die Figur neigte sich nach links, wankte nach vorn und bog sich nach rechts; ein Donner rollte unter uns hin - - ein Krach, als ob die ganze Welt untergehen wolle - - - "Flieht, flieht! Rettet euch!" brllten die Arbeiter, indem sie von der Figur fortstrzten. Kaum war das geschehen, so gab es ein unbeschreibliches Get”se, ein Poltern, Prasseln, Knattern, Platzen, Bersten, Schmettern, Brausen und Dr”hnen. Der Boden ”ffnete sich. Ein Abgrund g„hnte. Die Figur drehte sich mit ihrer ganzen, gewaltigen Unterlage langsam um sich selbst und verschwand dann mit einem Schlag, als ob uns die Ohren platzen sollten, in der Tiefe. Und nicht nur die Figur, sondern auch alles, was sich in der N„he befand, die Gerste, die Stangen, die Balken, die Masten mit den Beleuchtungsk”rpern, alles, alles wurde mit hinabgerissen. Im n„chsten Augenblick herrschte tiefste Dunkelheit. Tausende von Stimmen vereinten sich zu einem einzigen, groáen Schrei des Entsetzens. Dann gab es fr einige Sekunden eine lautlose Stille, aus //594// welcher sich nur die verzweifelte Stimme des alten Tangua erhob: "Pida, Pida! Mein Sohn, mein Sohn! Er ist verloren!" Dann aber wurden alle die tausend Stimmen wieder laut. Sie vereinigten sich zu einem L„rmen, Brllen und Zetern, welches klang, als ob diese ganze groáe Menge pl”tzlich wahnsinnig geworden sei. Niemand wollte auf seinem Sitze bleiben. Alles dr„ngte fort, zum Tal hinaus. Die Katastrophe konnte sich ja wiederholen und weitergreifen. Auch unsere H„uptlinge waren schnell von der Kanzel gestiegen und berieten sich eiligst, was zu tun oder zu lassen sei. Nur drei waren oben geblieben, n„mlich Tatellah-Satah, das Herzle und ich. Der erstere bat mich: "Laá keinen wieder herauf! Nur wir drei wollen h”ren, was da drben auf der andern Kanzel gesprochen wird." "Nicht wir drei, sondern nur ihr zwei", antwortete ich. "Ich habe jetzt keine Zeit, zu lauschen. Hier gilt es, zu retten, was vielleicht noch zu retten ist!" Ich schickte Intschu-inta und Pappermann nach dem Schlosse, um Fackeln zu holen. Und ich suchte Old Surehand und den Ingenieur auf, um zu fragen, ob es nicht m”glich sei, schnell wieder elektrisches Licht zu machen. Sie versprachen, dies zu tun; Leitungsdr„hte und Glhk”rper seien genug vorhanden. Sodann beauftragte ich sechs von den zw”lf Apatschenh„uptlingen, mit ihren Leuten sofort, trotz des n„chtlichen Dunkels, nach dem "Tal der H”hle" zu reiten und m”glichst schnell Bericht zu erstatten, wie es dort stehe. Und kaum hatte ich das getan, so nahte die Gefahr in neuer Gestalt. Der Wasserfall verschwand nicht mehr vollst„ndig in die Tiefe. //595// Die hinabgestrzten Erd- und Steinmassen hatten sich in den Abfluá gelegt, und so stieg das Wasser in dem entstandenen Riesenloche immer h”her und h”her. Nicht lange, so muáte es das Tal berschwemmen, und dann war es nicht mehr m”glich, den in der H”hle wahrscheinlich Verschtteten von hier aus Rettung zu bringen. Glcklicherweise aber kam es nicht so weit. Die Gewalt des Wasser war gr”áer als das Gewicht der Erdmassen. Die aufsteigenden Fluten, von denen es schien, als ob sie einen See bilden wollten, begannen zu mahlen, zu drehen und zu gurgeln. Sie hatten neuen Weg gefunden. Es bildete sich ein wirbelnder Trichter, der mit den Wasser in der Tiefe verschwand und dann nicht wieder erschien. Nun kamen Intschu-inta und Pappermann vom Schloá. Sie brachten die gewnschten Fackeln. Ich nahm zu den beiden Genannten noch einige zuverl„ssige Winnetous und stieg mit ihnen, von andern unbemerkt, in den Gang, der unter der Kanzel mndete. Die Fackeln brannten wir nicht schon auáen, sondern erst drinnen an; dann folgten wir den abw„rts fhrenden Stufen. Dabei sahen wir, daá die Erschtterung bis hierher gereicht hatte. Es waren Steine von den W„nden und der Decke des Ganges gefallen, und zwar um so mehr, je weiter wir kamen. Oft waren es ihrer so viele, daá wir sie wegzur„umen hatten, um weitergehen zu k”nnen. Darum kamen wir nur langsam vorw„rts. Da, wo unser Gang in den andern, nach den Passiflorenraum fhrenden, mndete, sah es ziemlich arg aus. Zu den Stalaktiten, die wir da aufgeh„uft hatten, war eine Menge anderes Ger”ll gekommen, so daá wir fast eine Stunde brauchten, uns den freien Weg zu bahnen. Von da ging es dann nach der Stelle, an welcher der schmale Weg mit dem //596// breiten zusammenstieá, der hinter dem Schleierfall mndete, also nach dem Punkte, an dem ich den ersten Riá in der Decke und das Abbr”ckeln des Gesteins bemerkt hatte. Sie war verschttet, vollst„ndig verschttet; wir konnten nicht bis ganz hin. Aber wir trafen auf zwei Personen, die nebeneinander tief an der Erde saáen und sich nicht rhrten, als wir uns ihnen n„herten. Eine ausgel”schte, halbe Fackel lag neben ihnen. Es waren die beiden entflohenen Medizinm„nner, die an der Spitze unserer viertausend Gegner durch die H”hle marschiert waren. Sie bewegten sich nicht und kannten uns kaum. Der Schreck und die berstandene Todesangst hatten ihnen die Sinne verwirrt. Sie starrten angstvoll vor sich hin und waren nur schwer zum Sprechen zu bringen. Es kostete uns viele Zeit und groáe Mhe, aus ihren verworrenen Antworten uns zusammenzusetzen, was geschehen war. Sie hatten die Pferde unter Aufsicht im Tal gelassen und waren zu Fuá in die H”hle eingedrungen. Da sie Zeit hatten, rckten sie nur langsam vorw„rts. Als die Katastrophe hereinbrach, befanden sie sich grad am Ende des breiten Reitweges, glcklicherweise nicht im Mittelpunkt, sondern an der Peripherie des Zerst”rungsbereiches. Es gab einen Luftstoá, der s„mtliche Fackeln ausl”schte. Die W„nde zitterten, der Boden bebte, die Decke krachte. Viele, viele wurden von dem herabstrzenden Gestein verletzt. Es brach eine ungeheure Panik aus. Man ergriff die Flucht. Aber wohin? Die einen dr„ngten vorw„rts, die andern rckw„rts. Alles schrie und brllte. Einer riá den andern nieder. Einer trat und stampfte auf dem andern herum. Da versiegte pl”tzlich der Fluá. Bald aber kam er um so st„rker wieder. Das war, als droben ein See entstehen wollte, der aber schnell wieder zusammenwirbelte //597// und verschwand. Das ergab unten in der H”hle eine gewaltige Hochwelle, die alles berflutete und einen jeden, der keinen festen Halt fand, mit sich fortzureiáen drohte. Diese Flutwelle hatte eine solche Gewalt, daá sie groáe, schwere Felsenstcke mit sich fortschleppte und unten an der Mndung in solcher Menge absetzte, daá eine undurchdringliche Barriere entstand, welche den Roten die Flucht aus der H”hle in das freie Tal zurck unm”glich machte. Die H”hle war also nach unten vollst„ndig verstopft, so daá kaum noch das Wasser abflieáen konnte. Den Indianern blieb also nur noch der Weg, sich nach oben hinaus zu retten. Diejenigen von ihnen, welche zurckgeflohen waren, kehrten also wieder um und dr„ngten nach oben. Aber dort war der Weg ja auch verschttet. Die gewaltigen Massen, welche da niedergestrzt waren, lieáen nur eine kleine, schmale Lcke frei, welche vorsichtig zu untersuchen war, wie weit und wohin sie fhrte. Das zu tun, unternahmen die beiden Medizinm„nner, denen es infolge der durchn„áten Feuerzeuge nur schwer gelang, eine Fackel anzuznden. Die Lcke erwies sich als gangbar; aber kaum war sie passiert, und die beiden Fhrer wollten zurckkehren, um die ihrigen zu benachrichtigen, so tat es einen neuen, donner„hnlichen Krach; die Erde bebte und die ganze Umgebung schien in Bewegung zu sein und zusammenbrechen zu wollen. Die beiden strzten, um sich zu retten, in wahnsinnigem Entsetzen vorw„rts, bis sie bereinander niederfielen und, ihrer Gedanken nicht mehr m„chtig, ganz einfach sitzen blieben, bis wir kamen und sie fanden. Hieraus wurde mir klar, daá die Rettung der Verschtteten nur nach oben m”glich war, nicht aber nach dorthin, wo die H”hle unten in das Tal mndete. Es galt, Arbeiter mit Hacken, Schaufeln, Lichtern und allen //598// andern Dingen zu holen, die sich als n”tig erwiesen. Wir zwangen also die Medizinm„nner, die partout sitzen bleiben wollten, aufzustehen und mit uns zu gehen, und kehrten durch den Gang ins Freie zurck, zur Teufelskanzel, wo es dem Ingenieur und seinen Leuten inzwischen gelungen war, eine neue, wenn auch keine brillante, aber doch gengende Beleuchtung herbeizuschaffen. Die Medizinm„nner faáte ich, hben und drben einen, an den Armen und fhrte sie nach der Kanzel, auf der Tangua mit seinen Genossen gefangen saá. "Gerettet!" rief er aus, als erdie beiden erkannte. "Gerettet! Diese sind die Fhrer! Wenn sie mit dem Leben davongekommen sind, so ist auch Pida, mein Sohn, nicht tot!" Ich antwortete nicht, schob sie zu ihm hin und entfernte mich, um mit Old Surehand das Rettungswerk zu besprechen, denn er war es, dem die Arbeiter, die wir brauchten, zur Verfgung standen. Diese Leute dachten gar nicht mehr an Emp”rung. Sie waren schnell bereit, in die H”hle niederzusteigen und einen Weg durch die niedergestrzten Massen zu bahnen. Da zeigte sich nun das elektrische Licht von hohem Wert. Es konnte mit Hilfe der vorhandenen Dr„hte ganz bequem in den Gang geleitet werden, so daá die dster brennenden und rauchenden Fackeln vollst„ndig berflssig wurden. Die Arbeit begann. Sie war eine sehr schwere und nicht ungef„hrliche. Es galt, ganz gewaltige Gesteinsmassen zu beseitigen. In welcher Zeit dies zu erm”glichen war, das konnte man nicht sagen, es muáte abgewartet werden. Tatellah-Satah stieg auch einmal mit in die H”hle nieder, um diese Arbeit in Augenschein zu nehmen. Sonst aber blieb er am liebsten still auf seiner Kanzel, von welcher aus er alles bersehen und beobachten konnte. Am inter- //599// essantesten [interessantesten] war es ihm, auf seinem Sitz jedes Wort, welches von den feindlichen H„uptlingen gesprochen wurde, ganz deutlich zu vernehmen. Er hatte schon die ganze Zeit lang zugeh”rt und wollte auch noch l„nger h”ren. Er kam da nicht nur hinter alles, was verschwiegen worden war, sondern er gewann auch einen klaren Einblick in die Wirkung, welche die Katastrophe auf jeden einzelnen dieser Leute hervorgebracht hatte. Hiernach konnte er dann sein Verhalten richten. Das Herzle bekam viel Arbeit. Sie hatte sich mit Aschta, Kolma Putschi und ihren anderen roten Freundinnen auf den Empfang der Geretteten vorzubereiten. Von diesen waren wohl viele verletzt. Man konnte sogar auf Tote rechnen. Auch Hunger war zu stillen. Da gab es viel zu berlegen und viel zu tun. Es dauerte gar nicht lange, so waren alle am Mount Winnetou vorhandenen Frauen in regster T„tigkeit. Auch wir M„nner durften nicht feiern. Wir konnten zwar die Rettung der Gef„hrdeten nicht beschleunigen, denn die ging ihren sicheren, ruhigen Weg; aber es galt, ber das innere und „uáere Geschick von viertausend Menschen Beschluá zu fassen, fr ihre Unterbringung und Ern„hrung zu sorgen und sie wom”glich aus Feinden in Freunde zu verwandeln. Diese Verwandlung der Feinde in Freunde war brigens schon recht gut im Gang, nicht nur unten, bei den Untergebenen, sondern noch viel mehr auch oben, bei den Vorgesetzten. Das bemerkte ich zu meiner Freude, als ich w„hrend dieser Nacht einmal zu Old Surehand und Apanatschka trat, die mit ihren S”hnen im Gespr„ch beieinander standen. Mein Kommen schien sie zun„chst etwas verlegen zu machen; Old Surehand aber berwand dieses Gefhl sehr schnell und sagte: "Gut, daá Ihr kommt, Mr. Shatterhand, grad jetzt, //600// wo wir einen Augenblick ungest”rt unter uns sind. Wir berieten uns gerade darber, ob wir Euch ein offenes Gest„ndnis schuldig sind oder nicht. Ich meine, wir sind es Euch schuldig, Euch und dem alten, pr„chtigen Tatellah-Satah, dem wir so viel Kummer und Žrger bereitet haben. Wir bereuen es sehr. Bitte, sagt ihm das!" "Ja, bitte, sagt es ihm!" fiel Apanatschka ein. "Wir sind gern bereit, es wieder gut zu machen. Das mit dem Riesendenkmal war kein sehr geistreicher Gedanke von uns! Eure Vorlesungen haben da viel und tief gewirkt. Und was von dieser Dummheit trotzdem in uns sitzen blieb, das wurde augenblicklich weggefegt, als wir unser sogenanntes Kunstwerk pl”tzlich in die Erde verschwinden sahen. Das war eine ganz gewaltige Ohrfeige fr uns! Und wir geben zu, wir haben sie verdient! Freilich ist der Spaá, den wir uns gestattet haben, kein sehr billiger. Unsere S”hne bezahlen ihn mit einem guten Teil ihres knstlerischen Selbstbewuátseins, und was uns, die beiden V„ter betrifft, so haben wir Summen an die Sache gewendet, die nicht unbedeutend sind und die wir leider nun als verloren betrachten mssen - - - !" "Verloren?" fragte ich. "Keineswegs!" "O doch!" "Nein! Und auch das verletzte knstlerische Selbstbewuátsein ist schnell zu heilen. H„tten die beiden jungen Herren damals, als dieser Plan in euch entstand, mehr Vertrauen zu mir, ihrem alten, aufrichtigen Freund gehabt, so w„ren eure Gedanken in ganz andere Bahnen gelenkt worden, und ihr h„ttet jetzt nicht mit Verlusten zu rechnen, die eigentlich keine Verluste sind, weil sie einen groáen inneren Gewinn fr euch bedeuten. Und der ist nicht zu teuer bezahlt!" "Wirklich nicht?" fragte Old Surehand. //601// "Nein! Laát das Denkmal, wie wir es meinen, immerhin ber das, wie Ihr es meintet, den Sieg davongetragen haben; der andere Teil Eures Planes bleibt doch. Und er ist der pekuni„r eintr„glichere!" "Welcher Teil!" "Die Grndung der Stadt Winnetou." "Ihr meint nicht, daá sie rckg„ngig wird, nun, nachdem wir mit unserer Riesenfigur so abgefallen sind?" "Gewiá nicht! Ich bin ganz im Gegenteil der allererste, der mit gr”átem Nachdruck auf diese Grndung dringt." "Wenn das w„re!" rief er erfreut aus, und: "Wenn das w„re!" stimmten auch die drei anderen ein. "Es wird!" versicherte ich. "Wenn wir wnschen, daá die Seele der roten Rasse erwache, gengt es nicht, nur allein fr ihre geistige Zukunft zu sorgen, sondern wir mssen ihr auch eine „uáere St„tte bereiten, aus welcher sie die n”tige Erdenkraf t zu ziehen vermag. Das soll und wird die Stadt Winnetou sein, die Ihr geplant habt, ohne an die Volksseele, der sie als Residenz zu dienen hat, zu denken. Fragt euch, was fr Straáen, fr Pl„tze, fr Hauser, fr Geb„ude wir da brauchen! Ein Stammeshaus fr jeden einzelnen roten Stamm! Einen Heimpalast fr jeden einzelnen Clan, den gr”áten und sch”nsten fr den neugegrndeten Clan Winnetou'! Wieviel Monumentalbauten ergibt schon das allein! Denkt euch hierzu das Schloá hoch ber der Stadt in wrdiger Weise ausgebaut! Denkt euch ferner, daá der ,Berg der K”nigsgr„ber' sich ”ffnen wird und ihr die Sch„tze, die er euch sendet, in der Weise unterzubringen habt, wie man es solchen unvergleichlichen Reichtmern schuldig ist! Das ist nur einiges, was ich euch fr jetzt und einstweilen sagen kann. Verlangt ihr mehr?" //602// "Nein, nein!" antwortete Old Surehand. "Ihr ”ffnet uns da Perspektiven, von denen wir bisher keine Ahnung hatten! Und das alles, alles soll beraten werden?" "Ja." "Und wir drfen dabei sein?" "Ganz selbstverst„ndlich!" "Dann danken wir Euch! Wir danken!" rief er ganz begeistert aus. "Das ist ja mehr, als wir jemals hoffen konnten! H„tten wir doch frher mehr an Euch gedacht!" "Holt das Vers„umte nach; noch ist es Zeit!" riet ich ihm. "An den Projekten, die ich euch jetzt andeutete, k”nnen eure S”hne sich noch ganz anders knstlerisch bet„tigen als an der unglckseligen Figur, an welcher ihr alle eure Kr„fte umsonst verschwendet habt! Jetzt gibt es keine Zeit mehr; wir sprechen weiter hierber!" Sie waren entzckt ber das, was sie geh”rt hatten, und ich durfte berzeugt sein, sie hiermit ganz fr unsere h”here und richtigere Anschauung gewonnen zu haben. Gegen Morgen, grad als ich mit dem "jungen Adler" sprach, kam ein Bote der Apatschenh„uptlinge, die wir nach dem "Tal der H”hle" geschickt hatten, und meldete uns, daá sie dort glcklich angekommen seien und einen Teil der Hter der Pferde berrumpelt h„tten; den anderen Teil werde man nach Tagesanbruch berw„ltigen. Das war ziemlich ungengend. In den frheren kriegerischen Zeiten h„tte sich wohl niemand zur šberbringung einer so halben Nachricht bereit gefunden. Ich hielt es zwar nicht fr n”tig, den Boten durch einen Tadel zu kr„nken, aber der "junge Adler" sah es mir doch an, daá ich nicht befriedigt war. Er fragte, als wir wieder allein waren: "Ich m”chte gern bessere Nachricht bringen. Darf ich?" //603// "Ich danke", wehrte ich ab. "Fr solche Botenritte sind Andere da, die man sonst nicht brauchen kann." "Botenritt? - Ich will nicht reiten!" "Was sonst?" "Fliegen!" "Ah! Wirklich?" fragte ich berrascht. "Ja. Ich brauche nur eine halbe Stunde, um dort zu sein." "Das w„re freilich h”chst vorteilhaft; aber die Gefahr - die Gefahr!" "Es gibt keine!" l„chelte er. "Und wenn! Es ist mir doch zu waghaft, es zu erlauben!" "So will ich nur fragen: Ist es mir verboten?" "Verboten? Nein. Du bist dein eigener Herr!" "Ich danke dir! Und noch eines, da es sich um den fliegenden Adler handelt: Du versprachst mir im ,Hause des Todes', mir die vier Medizinen zu geben, sobald ich dich um sie ersuche. Darf ich dich hieran erinnern?" "Ja. Willst du sie haben?" "Brauchst du sie noch?" "Nein. Fr mich haben sie ihre Arbeit getan." "Fr mich noch nicht. Ich soll der Mann sein, der die Medizinen, die du uns genommen hast, wiederbringt." "Du sollst sie haben!" "Gleich jetzt?" "Gleich jetzt! Komm mit mir nach meiner Wohnung auf dem Schloá!" Wir gingen hinauf, sogleich, obwohl es noch dunkel war. Dort nahm ich die Medizinen aus dem Verschluá und gab sie ihm. Er hing sie sich um den Hals. //604// "Ich danke dir!" sagte er. "Ich kann sie den H„uptlingen geben, wenn ich will?" "Ganz nach deinem Belieben!" "Sie ihnen einstweilen bloá zeigen?" "Auch das! Diese deine Frage sagt mir, daá du meine Absichten kennst und nichts tun wirst, was nicht mit ihnen zu vereinigen ist. Ich bin beruhigt." "So habe ich noch einen Wunsch. Du sollst von mir sehen, wie leicht und wie sicher und ungef„hrlich das Fliegen ist, wenn man den richtigen Apparat besitzt. Bitte, begleite mich nach meinem Turm!" Ich war einverstanden. Wir gingen hinauf. Oben angekommen, blieb ich am Fuá des Turmes zurck. Ich setzte mich auf eine Bank; er aber stieg nach der Plattform hinauf. Im Osten begann es leise zu d„mmern. Nun noch einige Minuten, so ging der lichte Streifen auch nach dem Sden ber. Die unter uns liegende Landschaft wurde sichtbar und schaute erwachend zu mir herauf. Da h”rte ich ber mir ein leises Surren. "Jetzt! Ich komme!" erklang die Stimme meines jungen Freundes von oben. Ich schaute auf. Der Vogel erschien. Er tat wie einen Sprung. Von der Plattform des Turmes in das Luftmeer hinaus. Er schlug einige Male die Flgel. Dann begann er, zu gleiten, zu schweben, abw„rts und aufw„rts, nach rechts und nach links, ganz wie der "junge Adler" es wollte. Dieser saá zwischen den beiden K”rpern auf bequemem Sitz und lenkte seinen Flieger wie ein sicher gehendes, „uáerst gehorsames Pferd. Er glitt einige Male in Bogen- oder Schlingenform vor mir hin und her. Dann rief er mir zu: "Jetzt geht es in die Ferne hinaus, nach Sden, nach dem Tal der H”hle. - Lebe wohl!" //605// Er wendete sich in die von ihm angegebene Richtung, stieg mehrere hundert Fuá h”her und entfernte sich so schnell, daá er schon nach kurzer Zeit meinem Auge als kleiner Punkt entschwand. Das versetzte mich in eine ganz eigenartige Stimmung. Ich fhlte mich als Mensch so stolz, und doch auch wieder so klein, so auáerordentlich klein! Es lag in mir wie ein Sieg ber alles Hemmende und Niedrige und doch auch zugleich wie eine Angst, ob das Groáe, was wir uns vorgenommen hatten, wohl auch gelingen werde. So stieg ich wieder nach dem Schleierfall hinab, wo es inzwischen vollst„ndig hell geworden war, so daá wir die Zerst”rung nun sichtbar vor uns liegen hatten. Es h„tte keinen Zweck, sie zu beschreiben. Auch das eigenartige, sorgenvolle Regen und Treiben an der Unglcksst„tte will ich nicht schildern. Es sah wst um den groáen Abgrund, der gerissen worden war, aus, und es gab jetzt noch keinen, der den zwecklosen Mut besaá, sich an seinen Rand heranzuwagen, um hinabsehen zu k”nnen. Menschen kamen und gingen. Sie alle wurden von der Frage bewegt, wann die ersten Geretteten wohl erscheinen wrden. Leider handelte es sich hierbei nicht nur um Stunden. Der Gang, in dem gearbeitet werden konnte, war sehr schmal; es konnten also nicht zahlreich vereinte Kr„fte in T„tigkeit gelangen. Darum schritt das Rettungswerk so langsam vor sich, daá mehr als ein voller Tag vergehen konnte, bis man zu den Verschtteten gelangte. Zuweilen erklang ber den weiten Platz der Jammeruf des alten Tangua: "Pida, - mein Sohn - mein Sohn!" Oder man h”rte einen der anderen H„uptlinge klagen: "Meine Komantschen! Meine Utahs! Meine Sioux!" Pl”tzlich aber gab es einen Augenblick, wo jeder- //606// mann [jedermann] rief und jedermann schrie und jedermann nach oben in die Lfte deutete: "Ein Vogel! Ein Vogel! Ein Riesenvogel!" Das war nicht ganz zwei Stunden, nachdem der "junge Adler" fortgezogen war. jetzt kam er wieder. Er wuáte, wo ich zu suchen war. Er beschrieb einen weiten Bogen hoch ber uns, verengte ihn nach und nach und kam in einer Schraubenlinie langsam und mit erstaunlicher Sicherheit zur Erde herab. Er faáte genau zwischen den Kanzeln, mitten auf der Fahrstraáe, Fuá. "Der ,junge Adler', der junge ,Adler' ist es!" rief es berall. jedermann dr„ngte herbei, um ihm n„her zu kommen. Da aber ert”nte die m„chtige Stimme Athabaskas: "Zurck! - Gebt Raum! - Er ist der verheiáene ,Adler', der dreimal um den ,Berg der Geheimnisse' fliegt und euch die verlorengegangenen Medizinen wiederbringt!" Da stockte der Zudrang. Man staunte. Man hielt sich fern. "Der verheiáene Adler - - - dreimal um den ,Berg der Geheimnisse' - - - die Medizinen wiederbringt!" so erklang es berall und durcheinander. Tatellah-Satah stieg von seiner Kanzel herab und schritt zu dem khnen Flieger hin; ich mit ihm. "Du fliegst, ohne mich zu fragen?" tadelte er. Aber auf seinem alten, wunderlieben Gesicht gl„nzte eine groáe, stolze Freude, denn nun war es ja erwiesen, daá der "junge Adler" fliegen konnte. "Ich flog nicht fr dich oder mich", entschuldigte sich dieser, "sondern fr Old Shatterhand." "Wohin?" "Nach dem Tal der H”hle." //607// "Wie steht es dort?" "Die Hter der Pferde sind alle gefangen. Man wird sie und die Pferde noch heut hierherbringen. Der Eingang der H”hle ist derart mit heruntergeschwemmten Felsen versperrt und verrammelt, daá kein Mensch von dort aus zu den Verschtteten zu kommen vermag. Ich habe es selbst gesehen. Sie k”nnen nur von hier oben ausgerottet werden. Wann befiehlst du, Tatellah-Satah, daá ich dreimal um den Berg fliegen und nach dem Schlssel zu dem Berg der K”nigsgr„ber suchen soll?" "Heut", antwortete der Gefragte. "Ich danke dir! Es wird genau zur Mittagszeit geschehen, wenn die Sonne ber unsern H„uptern steht. Aber ich darf nicht allein hinauf. Es muá noch jemand dabei sein, sonst fliegt mir der Adler, w„hrend ich nach dem Schlssel suche, fort." Er schaute sich bei diesen Worten unter uns um, sah Wakon mit anderen H„uptlingen in seiner N„he stehen und sprach, seine Worte an diesen richtend, weiter: "Mit mir da hinaufzufliegen, ist eine Verwegenheit, die ich von niemand fordern kann, der sie mir nicht anbietet. Aschta, deine Tochter, hat mich gebeten, sie mit hinaufzunehmen. Erlaubst du es?" Wakon sah ihm mit einem langen, sehr ernsten Blick ins Gesicht und antwortete: "Du bist khn? Weiát du, was du von mir forderst?" "Ja", antwortete der "junge Adler" ebenso ernst. "Kennst du die Folgen fr dich und sie, wenn sie sich dir auf diesem Flug zugesellt?" "Sie sind mir bekannt. Aschta hat mein Weib zu werden!" "Und kennst du ihren Wert? Kennst du die Gr”áe der Gabe, nach welcher du verlangst?" //608// Da zog der "junge Adler" die Brauen leicht zusammen und antwortete: "Wrde ich mir diese Gabe wnschen, wenn ich ihren Wert nicht zu sch„tzen wáte? Bin ich weniger wert als sie?" Da ging ein L„cheln ber Wakons sch”nes Angesicht, und er entschied mit lauter Stimme, so daá alle es h”rten: "Du bist der erste ,Winnetou', und du wirst deinem Volk das Fliegen lehren. Du wirst ein groáer, berhmter H„uptling sein. Ich erlaube, daá mein Kind dich hinauf gen Himmel begleite!" Ein lauter Jubel rundum. Der "junge Adler" griff in die Dr„hte seines Apparates, lieá die Flgel schlagen, stieg ein Stck in die H”he und rief herab: "Wir danken dir, sie und ich. Ich hole mir sie zum Flug. Vorher aber habe ich ein Wort mit den H„uptlingen zu reden, die unsere Gefangenen sind." Er stieg noch weiter empor, flog zum Erstaunen aller dreimal rund um den Platz, kam dann in Windungen wieder nieder und erreichte die Erde grad vor der Kanzel, auf welcher Kiktahan Schonka mit seinen Verbndeten saá. Er trug die vier Medizinen, die ich ihm gegeben hatte. Sie sahen sie sofort, und To-kei-chun rief ihm zu: "Unsere Medizinen! - Her damit! - Wer sie beh„lt, ist ein Dieb!" "Ja, es sind eure Medizinen", antwortete der "junge Adler". "Wir stahlen sie nicht, sondern wir bewahrten sie nur auf. Es wird Gericht ber euch gehalten werden, wobei es sich zu zeigen hat, in welcher Weise sie mit euch vernichtet werden. Old Shatterhand nahm sie euch. Er //609// erlaubte mir, sie euch zurckzugeben. Nun wir euch aber als Lgner, R„uber und M”rder erkennen, nehme ich sie wieder mit!" "Uff, uff ! Uff, uff riefen sie erschrocken und streckten die H„nde nach ihm aus. Er aber beachtete das nicht. Er flog wieder auf, schwebte wieder dreimal um den Platz und verschwand dann hinter dem "Berg der Medizinen", um sich auf seinem Wartturm niederzulassen. Grad und genau zur Mittagszeit erschien er wieder, mit Aschta, seiner Braut, neben sich auf dem Sitz. Tausende standen rundum und schauten erwartungsvoll zu ihm auf. Die Herzen bebten ber die Khnheit des jungen, sch”nen, wagemutigen Paares. Er flog in weitem Kreis und ruhiger, sicherer Haltung erst die vorgeschriebenen drei Male um den Berg. Dann stieg er steil und hoch zur Spitze empor, um am Fuáe der Felsennadel zu landen. Er selbst blieb sitzen, um den Apparat in eigener Gewalt zu behalten. Aschta aber stieg aus. Das sahen wir trotz der sehr bedeutenden H”he. Sie verschwand. Nach einiger Zeit kehrte sie zurck und stieg wieder ein. Der Riesenvogel trennte sich vom Felsen, schwebte vom Berg ab und in Bogenlinien tiefer, immer tiefer, flog abermals dreimal um unsern Platz und lieá sich dann genau auf denselben Punkt der Fahrstraáe, wo er schon einmal gestanden hatte, nieder. Wir befanden uns in gr”áter Spannung und eilten alle hin - Tatellah-Satah mit. "Habt Ihr gefunden?" fragte der letztere. "Ja", antwortete der junge Adler'. "Den Stein, und unter ihm diese beiden Teller." Er gab sie unserem alten Freund. Es waren zwei kleine, uralte, irdene Teller, deren R„nder mit einem sehr harten Bindemittel vereinigt waren. Wir muáten //610// sie zerbrechen, um zu dem Gegenstand zu kommen, der sich zwischen ihnen befand. Dieser Gegenstand war ein zusammengelegtes, weiágraues Stck Zeug mit Nesselglanz. Nachdem wir es auseinandergeschlagen hatte, sahen wir, daá es eine Karte war, eine Wegesroute, mit einer sehr dauernden, farbigen Flssigkeit gezeichnet. Kaum hatte Tatellah-Satah einen Blick auf diese Zeichnung geworfen, so rief er im Tone der Genugtuung aus: "Er ist es! Er ist es, der Schlssel! Das ist der genaue Weg von dem ,Berg der Medizinen' bis auf die Spitze des ,Berges der K”nigsgr„ber'! Wir haben gewonnen! Es ist ein Sieg, ein unendlich groáer und unendlich wichtiger Sieg ber die Schatten, mit denen die Geschichte der roten Rasse bisher zu k„mpfen hatte! Es wird hell um uns werden, hell, klar und warm! Wir werden schon morgen oder bermorgen einen Entdeckungszug nach den hochgelegenen K”nigsgr„bern veranstalten! Es soll Freude sein von heute an! Freude, Hoffnung und Zuversicht fr alle, denen es ein Bedrfnis ist, sich an dem groáen Aufstieg nach den H”hen der Menschheit zu bet„tigen!" Von jetzt an gab es trotz der ernsten Lage der Verschtteten eine frohe Feststimmung rund um den Mount Winnetou. Es litt uns, n„mlich Tatellah-Satah und mich, nicht unten an dem Wasserfall, sondern wir stiegen nach dem Schlosse hinauf, um in der Bibliothek den so glcklich gewonnenen "Schssel" mit anderen vorhandenen Karten zu vergleichen und die Passierbarkeit des Weges zu studieren. Inzwischen war das Herzle mit dem Ingenieur und seinen photographischen Apparaten besch„ftigt, bis sie gegen Abend kam und mir mitteilte, daá nun alles in Ordnung sei. //611// "Wer oder was ist in Ordnung?" fragte ich. "Unser Winnetou", antwortete sie, "nicht der versunkene, der steinerne. Er wird so sch”n, wie du es dir kaum denken kannst, auf dem Spiegel des Schleierfalles erscheinen, zu beiden Seiten von ihm die charakteristischen Portr„ts von Marah Durimeh und TatellahSatah. Aber ich werde diese Bilder erst dann erscheinen lassen, wenn wir ber das Schicksal der Verschtteten beruhigt sein k”nnen. Unser herrlicher Winnetou soll nicht Angst und Sorge, sondern Erl”sung und Glck bedeuten. Ist dir das recht?" "Alles, was du in dieser deiner Lieblingsatmosph„re tust, ist mir recht. Laá uns Abendbrot essen und dann hinuntergehen! Ich muá in die H”hle, nachschauen, warum noch kein Erfolg vorhanden ist." Dann sp„ter in der H”hle angekommen, sah ich, daá mit auáerordentlichem Eifer gearbeitet worden war; aber es gab eine so groáe Menge von Gestein und Erde zu bewegen, daá noch immer nicht ersehen werden konnte, wann es ein Ende nehmen werde. Es vergingen noch mehrere Stunden. Die Pferde der Verschtteten waren inzwischen angekommen. Man nahm das ohne groáe Aufregung hin. Die allgemeine Aufmerksamkeit war einzig und allein auf die Rettungsarbeiten gerichtet. Und endlich kam die Kunde, daá man den Gesuchten so nahe gekommen sei, daá man ihr fernes Klopfen h”ren k”nne. Es war anzunehmen, daá wenigstens noch eine Stunde vergehen werde, bis man die Klopfenden erreiche, und so rief ich s„mtliche befreundete H„uptlinge zusammen, um unter dem Vorsitz Tatellah-Satahs ber das Schicksal unserer Gefangenen zu beraten. Diese Beratung fand auf unserer Kanzel statt, denn sie sollte von denen, ber deren Schicksal wir bestimmten, geh”rt //612// werden. Ich gab die Weisung, m”glichst streng zu verfahren, und so kam es, daá die Sitzung einen sehr ernsten Verlauf nahm. Das Urteil lautete: Simon Bell und Edward Sommer werden aus dem Komitee entlassen. William Evening und Antonius Paper werden fortgejagt. Kiktahan Schonka, Tusahga Saritsch, Tangua und To-kei-chun kommen an den Marterpfahl, bis sie tot sind, ihre Medizinen aber werden verbrannt. Ihre Unterh„uptlinge werden erschossen. Ihren viertausend Kriegern werden die Waffen, die Haarsch”pfe und die Medizinen genommen; dann k”nnen sie laufen, wohin sie wollen! Das hatte einen harten Klang, war aber nur gut gemeint. Wir wuáten ja alle, daá keiner von uns die Ausfhrung dieses Urteils wirklich wnschte. Alle die Genannten hatten sich da drben auf ihrer Kanzel, obwohl sie jedes Wort unserer Beratung deutlich h”rten, vollst„ndig still verhalten. Wir hatten keinen einzigen Laut von ihnen vernommen. Nun aber das Urteil verkndet war, gab es bei ihnen eine nicht mehr zu unterdrckende Aufregung und einen L„rm, der uns der beste Beweis dafr war, wie ernst sie uns und unsere Aussprche nahmen. Nur allein Tangua beteiligte sich nicht an diesem L„rm. Er lieá auch jetzt nichts weiter als sein klagendes: "Pida, mein Sohn!" h”ren. Er muáte diesen Sohn auáerordentlich lieb haben. Er war der achtbarste unter allen, die wir soeben verurteilt hatten; ja, er begann sogar mir sympathisch zu werden. brigens taten wir so, als ob wir den L„rm da drben gar nicht h”rten. Und nun kam aus der H”hle die Botschaft, daá die Verschtteten erreicht worden seien und daá ihr Anfhrer Pida mit Old Shatterhand zu sprechen wnsche. Ich gab die Weisung, ihn heraus zu mir zu bringen, aber //613// nur ihn allein, denn sie alle seien als unsere Gefangenen zu betrachten. Es dauerte nicht lange, so kam er, ohne Waffen; man hatte sie ihm abgenommen. Ich reichte ihm die Hand und sagte: "Pida ist mein Gefangener, aber mein Freund. Er wird uns nicht entfliehen?" "Nein!" antwortete er stolz. "Er gehe zu seinem Vater, um sich mit ihm zu besprechen. Dann komme er wieder zu mir! Je schneller er das tut, um so rascher werden seine verunglckten Krieger aus der H”hle befreit!" Ich gab ihm einen Fhrer mit. Er ging. Als er drben angekommen war, h”rten wir jedes Wort, welches nun dort verhandelt wurde. Dann kehrte er zurck. Ich tat so, als ob wir nichts geh”rt h„tten und nichts wáten, und fragte ihn: "Was hat Pida zu berichten?" "Die H„uptlinge wnschen, mit Euch zu verhandeln." "Worber?" "Ueber ihr Schicksal." "Kennen sie es?" "Ja." "Von wem? - Wer hat es ihnen mitgeteilt?" "Niemand. Sie haben es geh”rt. Ihr habt beraten. Sie verstanden jedes Wort. Es geschehen Wunder hier am Mount Winnetou!" "Ja, es geschehen hier Wunder!" stimmte ich bei. "Und das gr”áte dieser Wunder ist, daá wir gesonnen sind, Gnade walten zu lassen. Aber nur in Beziehung auf Eure Krieger! Wir wollen ihnen ihre Medizinen lassen. Aber ihre Waffen haben sie in der H”hle abzulegen. Sie drfen einzeln kommen, einer nach dem anderen. Die Hungrigen werden gespeist, die Durstigen //614// getr„nkt und die Verletzten verbunden. Wenn Pida uns sein Wort verpf„ndet, daá alle diese Krieger sich dankbar und friedlich verhalten, ist es sogar m”glich, daá wir auch gegen die H„uptlinge nachsichtig sind!" "Ich gebe dir dieses Wort. Aber dann muá ich in die H”hle zurck, um diese Leute anzuweisen, wie sie sich zu verhalten haben!" "So geh und komme bald wieder!" Er wollte gehen, besann sich aber und sagte in etwas w„rmerem Ton: "Tangua, mein Vater, h”rte von mir, daá du dich selbst jetzt noch als meinen Freund betrachtest. Er beauftragte mich, dir hierfr Dank zu sagen. Er hat mich lieb. Seine Angst um mich war groá!" Nun entfernte er sich. Das Herzle war bis jetzt bei ihren Freundinnen gewesen, welche sich mit ihren Scharen bereit hielten, die aus der H”hle Entlassenen mit Speise, Trank und Verbandzeug zu empfangen. jetzt kam sie, um zu fragen, wann der erste Gerettete erscheine. "Der war schon da!" antwortete ich. "N„mlich Pida. Er ist in die H”hle zurck, wird aber sofort wiederkehren. Und dann erscheinen sie alle, einer nach dem andern." "So ist es ja die h”chste Zeit! Ich habe mich zu beeilen! Ich muá zum Ingenieur! Nun die Geretteten kommen, soll auch unser Winnetou erscheinen!" Sie entfernte sich schnell. Es hatten bis jetzt nur einige wenige elektrische Glhlichter gebrannt, so daá von einer Beleuchtung des ganzen, groáen, von Menschen wimmelnden Platzes keine Rede gewesen war. jetzt kam Pida zurck, und grad als er wieder bei mir stand, ”ffnete der Ingenieur seinen Apparat, und sofort erschien //615// auf der grandiosen, herabstrzenden Wasserfl„che unser zum Himmel emporstrebender Winnetou, mit wehendem Haar und zur Erde zurckkehrender H„uptlingsfeder. Infolge der abw„rts gehenden Bewegungen des Wassers hatte es den Anschein, als ob die Gestalt sich in Wirklichkeit nach oben bewege, was einen Eindruck hervorbrachte, der gar nicht zu beschreiben ist. "Das ist Winnetou! Mein Winnetou! Unser Winnetou!" rief Tatellah-Satah ber die in diesem Augenblick todesstille, kaum atmende Menschenmenge hin. Und da h”rte man Wakons sonore, weithin schallende Stimme: "Ja, das ist Winnetou! Das ist seine Seele!" Und nun l”ste sich die allgemeine šberraschung, das Staunen, die Bewunderung in tausend laute, begeisterte Freudenrufe auf, bis der m„chtige Brustton des riesigen Intschu-inta erklang: "Tatellah-Satah! Unser Tatellah-Satah!" Das galt dem Kopf, den man zu Winnetous rechter Seite erblickte. "Tatellah-Satah! Unser Tatellah-Satah!" jubelte die Menge. "Der andere Kopf ist Marimeh, die K”nigin der Sage, die Freundin aller unserer Ahnen!" Der "Junge Adler" war es, der das rief. "Marimeh! Die K”nigin! Die Freundin!" ging es wiederholend von Mund zu Mund. Eine Magik sondergleichen fr das Auge und fr das Herz, so lag der Schleierfall vor uns! Niemand dachte in diesem Augenblick an die gestern versunkene Figur. Niemand achtete des g„hnenden Abgrundes, in dem die Pl„ne und die Hoffnungen unserer Gegner vollst„ndig verschwunden waren. Aller Augen und aller //616// Sinne und Gedanken waren nur von dem wie lebend erscheinenden Bild gefesselt, von dem kein Blick sich wenden zu k”nnen schien. Und da kamen die ersten Geretteten aus der Mndung des unterirdischen Ganges. Sie blieben stehen, von dem strahlenden Anblick, der nach so langer und tiefer Dunkelheit sich ihnen jetzt bot, wie fasziniert. Aber vorw„rts, vorw„rts! Sie muáten weiter, immer weiter! Denn es kamen hinter ihnen andere, die ebenso entzckt stehen blieben und doch ebenso auch weiter muáten! Unsere Winnetous bildeten ein Spalier, durch welche die dem Tod Entgangenen nach den fr sie reservierten Teilen des Tales geleitet wurden, wo sie einstweilige Unterkunft und Verpflegung fanden. Das ging so stundenlang. Es hatte ungef„hr um Mitternacht begonnen, und es endete erst gegen Morgen, als der Tag zu grauen begann. Inzwischen hatte Pida nicht die H„nde in den Schoá gelegt. Er war zwischen mir, dem Beauftragten von unserer Seite, und Tangua, dem Sprecher von jener Seite, fast ununterbrochen hin- und hergegangen und hatte sich alle m”gliche Mhe gegeben, das ber die H„uptlinge ausgesprochene Urteil m”glichst zu mildern. Wir sahen das sehr gern, taten aber so, als ob uns an diesen neuen Verhandlungen gar nichts liege. Darum lieá ich zun„chst nur in Beziehung auf die gew”hnlichen Krieger unsere Bestimmungen fallen. Sie durften frei sein, vollst„ndig frei, ihre Medizinen und ihre Pferde behalten und sich entfernen, sobald sie wollten. Als sie das h”rten, gab es einen groáen Jubel unter ihnen. Ihre Lage gestaltete sich, den Verh„ltnissen angemessen, so vorteilhaft, wie sie es noch vor einigen Stunden gar nicht hatten ahnen k”nnen. Sie hatten trotz der Gef„hrlichkeit der Katastrophe keinen einzigen Toten gehabt. Die //617// Verletzungen, welche meist in Quetschungen bestanden, waren zwar schmerzhaft, aber nicht gef„hrlich. Sie wurden von den Frauen verbunden, und die Herren Patienten fhlten sich in der ihnen gewidmeten Frsorge auáerordentlich wohl. Sie fanden es ganz angenehm, nun jetzt die Freunde derer zu sein, die sie noch gestern hatten vernichten wollen. Sie sahen die Sterne, welche ihre Wohlt„ter und Wohlt„terinnen trugen. Sie fragten nach dem Sinn, nach der Bedeutung dieser Sterne. Man erkl„rte sie ihnen. Man zeigte auf die herrliche Gestalt unseres Winnetou. Man sagte ihnen, daá es sich nicht mehr um die Aufstellung eines toten, steinernen Bildes handle, sondern um die Sch”pfung eines groáen, edlen, lebendigen Winnetouk”rpers, eines sich ber ganz Amerika und auch darber hinaus verbreitenden "Clan Winnetou", der von seinen Gliedern weiter nichts verlangt, als edle Menschen zu sein, die nur Liebe geben, weil nur diese allein den Menschen edel macht. Bald h”rte man die belehrende Stimme des "jungen Adlers" erschallen. Er war "der erste Winnetou" und gesellte sich jetzt zu ihnen, um ihnen zu predigen, was ihnen, zumal in ihrer jetzigen Lage, f”rderlich und heilsam war. An anderen Stellen h”rte man die Stimmen anderer "Winnetous". Sie gingen, um mich eines biblischen Ausdruckes zu bedienen, "Menschen fangen". Als Pida das sah, freute er sich und sagte: "Es ist ein wunderbarer Samen, den Old Shatterhand in das Herz seines Bruder Winnetou legte. Dieser Same trug k”stliche Frchte. Die Blten duften weiter und weiter, und die K”rner keimen weiter und weiter. Es wird nicht mehr Stunden, sondern nur noch Minuten dauern, so werden alle diese eure Feinde verlangen, in den Clan Winnetou' aufgenommen zu werden. W„re ihnen diese Bitte zu erfllen?" //618// "Gewiá! Sehr gern!" antwortete ich. "Auch mir?" "Auch dir!" "Auch uns?" Er deutete bei diesen Worten nach der gegnerischen Kanzel hinber. Ich antwortete l„chelnd: "Mein Bruder Pida ist ein sehr, sehr kluger Vermittler. Wenn ich die Wahrheit sage, daá auch die gefangenen H„uptlinge in den Clan aufgenommen werden k”nnen, muá ich sie freigeben und ihnen alles verzeihen!" "Wenn du das tust, bist du ein ,Winnetou', sonst aber nicht! Erlaubst du mir, zu meinem Vater zu gehen?" "Geh!" sagte ich, aber erst nach einer Weile. "Doch kehre bald zurck. Der Morgen ist schon unterwegs." Er ging. Als er bei den Seinen angekommen war, h”rten wir hier hben wieder alles, was er drben sagte. Er war auch dort ein vortrefflicher Vermittler. Die in der H”hle ausgestandene Angst, der liebevolle Empfang von unserer Seite, der unvergleichliche Eindruck der heutigen Beleuchtung und unserer Winnetoufigur, das alles wirkte zusammen, den jungen H„uptling der Kiowa zu untersttzen, seinen Zweck zu erreichen. Er kehrte zu mir zurck und meldete: "Tangua, mein Vater, der H„uptling der Kiowa, wurde zu dir kommen, aber er kann nicht gehen. Er m”chte dich um Verzeihung bitten, sich mit dir vers”hnen!" "So bleibe er!" antwortete ich froh. "Ich gehe zu ihm. Ich bitte dich, mich zu ihm zu bringen!" Ehe ich mich mit ihm entfernte, bat ich die H„uptlinge, hier sitzen zu bleiben, zu lauschen und, falls ich von drben herber darum bitten sollte, mir zu antworten. Am Fuá unserer Kanzel erschien gerade jetzt der "junge //619// Adler", um irgendeine Frage an mich zu richten. Ich lieá ihn gar nicht zu Wort kommen, sondern sagte: "Die H„uptlinge sollen sofort ihre Medizinen erhalten. Wie lange dauert es, bis du sie bringen kannst?" "Mit dem Vogel?" fragte er. "Wenn es m”glich ist, ja." "Eine halbe Stunde." "Das ist mir recht. Es wird dann, gerade so wie gestern, d„mmern. Das ist die rechte Zeit. Bitte, geh sogleich!" Als ich mit Pida drben ankam, stand seine Frau mit ihrer Schwester an der Kanzel. Wir stiegen hinauf. Pida setzte sich zu den H„uptlingen nieder, ich aber blieb stehen. Tangua ergriff das Wort. Er sagte, daá er gern aufstehen m”chte, um zu mir zu sprechen, leider aber k”nne er sich nicht erheben. Ich lieá ihn nicht weiterreden, sondern fiel ihm in das Wort. Ich sagte, wenn hier um Verzeihung gebeten werden solle, so sei gewiá nicht der Indianer, sondern das Bleichgesicht zuerst und zumeist hierzu verpflichtet, und dieses Bleichgesicht sei ich. Hierauf griff ich in die Vergangenheit und erz„hlte, wie das Bleichgesicht ber das Meer gekommen sei, um seinem "roten Bruder" alle seine "Medizinen" zu rauben. Ich ging hierauf der Geschichte nach. Ich bertrieb nichts und bem„ntelte nichts. Ich erz„hlte die Wahrheit, nackt und ungeschminkt, wie sie wirklich, wirklich war. Ich sprach von den Fehlern der roten Rasse, von ihren Tugenden, von ihren Leiden, vor allen Dingen von ihrer bisherigen Zukunftslosigkeit. Das alles habe man vornehmlich dem Bleichgesicht zu verdanken. Aber dieses Bleichgesicht sei zur besseren Erkenntnis gekommen. Es wnsche, daá sein roter Bruder leben bleibe und zum Volke werde, wie es ihm von Anfang an beschieden sei. //620// Dieses Bleichgesicht sei bereit, alle seine Irrtmer einzugestehen und wiedergutzumachen. Es fhle vor allen Dingen, daá es verpflichtet sei, sein Herz und sein Gewissen zu reinigen, indem es seine roten Brder um Verzeihung bitte. Indem ich dies sagte, trat ich zu ihnen hin und streckte meine H„nde aus, sie ihnen zur Abbitte zu reichen. Einige Augenblicke lang waren alle still; dann aber wurden mir alle H„nde entgegengereicht, und alle St„mme versicherten mir, daá sie ebenso gesndigt und ebenso um Verzeihung zu bitten h„tten wie ich, das Bleichgesicht. "Einander verzeihen! Ihr uns und wir euch!" rief Tangua. "Und dann einander helfen! Ich habe dich gehaát, nun aber werde ich dich lieben! Wenn ich sterbe, soll Friede sein ber meinem Grabe! Sind wir noch eure Gefangenen?" "Nein!" erklang die Stimme Tatellah-Satahs. "Uff!" rief Kiktahan Schonka. "Wer spricht da?" "Der Bewahrer der groáen Medizin." "Wo?" "Drben auf der anderen Teufelskanzel." "So sind wir hier auch auf einer Kanzel?" "Ja. Ich belauschte euch auf der n”rdlichen Teufelskanzel, die man Tscha Manitou, das Ohr Gottes, nennt. Dort h”rt der gute Mensch, was die b”sen Menschen sagen, und kann sich darum retten. Und nun belauschten wir euch hier auf der sdlichen Teufelskanzel, die man Tscha Kehtikeh, nennt. Da h”ren die b”sen Menschen, was die guten sagen, und sehen sich dann gerettet. Der H„uptling Tangua hat gefragt, ob ihr noch gefangen seid. Er mag weiter fragen!" //621// Das lieá er sich nicht zweimal sagen, sondern tat es sofort: "Kommen wir an den Marterpfahl?" "Nein", antwortete Tatellah-Satah von drben herber. "Wir mssen also nicht sterben?" "Nein." "Wir behalten unsere Waffen und unsere Pferde?" "Ja." "Drfen hier bleiben und ,Winnetous' werden?" "Ja." "Sind alle eure H„uptlinge einverstanden?" "Alle, alle, alle, alle!" ert”nten so viele Stimmen, wie H„uptlinge sich jetzt bei Tatellah-Satah befanden. "Und was wird mit unseren Medizinen?" "Schau zum Himmel auf! - Wen siehst du da?" Es d„mmerte jetzt so, daá der Ingenieur den Apparat schloá. Winnetou verschwand vom Schleierfall. Dafr aber erschien hoch oben der "Junge Adler", lieá sich tiefer und tiefer herab, flog dreimal um den Platz und landete dann so, daá er genau vor der Kanzel den Boden berhrte. Da stieg er aus, kam herauf und sprach: "Old Shatterhand gibt euch durch mich eure Medizinen zurck. Ihr seid also frei!" Wie hastig sie zugriffen, um sie sich umzuh„ngen! Sie jubelten laut, und dieser ihr Jubel verbreitete sich weiter und weiter. Dazwischen hinein aber rief Tatellah-Satah zu ihnen herber: "Ihr seid unsere Freunde! Morgen wird ein neues Komitee gebildet, welches ber den ,Clan Winnetou' zu beraten hat. Und bermorgen reiten s„mtliche H„uptlinge und Unterh„uptlinge nach dem ,Berg der K”nigs- //622// gr„ber [K”nigsgr„ber], um nach der Geschichte unserer Vergangenheit zu suchen. Howgh!" Durch diese Nachricht wurde der Jubel verdoppelt. Der "junge Adler" flog wieder nach seinem Turm zurck. Ich aber beschloá, mit meinem Herzle einen Rundgang durch das Tal und alle die verschiedenen Gruppen, die sich da gebildet hatten, zu machen. Wir kamen da bis hinauf nach der Kantine, in deren N„he die Brder Enters noch lagen, sorgf„ltig zugedeckt und von zwei Komantschen bewacht. Niemand hatte Zeit gehabt, sich mit ihnen zu besch„ftigen. Nun aber war es unsere Pflicht, in ernster, humaner Weise fr ihr Begr„bnis zu sorgen. Wir erfllten ihren letzten Willen: wir suchten nach den Namen in ihren Winnetousternen. Hariman hatte meinen Namen, Sebulon den Namen meiner Frau geschrieben. So waren sie, die uns erst nach dem Leben trachteten, durch innere Wandlung zu unsern Beschtzern geworden und fr uns in den Tod gegangen! - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Das ist der Schluá dieses vierten Bandes. Indem ich ihn jetzt, Ostern 1910, beende, kommt das Herzle und legt mir eine deutsche Zeitung vom 23. M„rz dieses Jahres vor, in welcher unter dem Titel "Ein Denkmal fr die Indianer" folgendes zu lesen ist: "Aus New York wird berichtet: Das groáe Standbild der Columbia in der New Yorker Hafeneinfahrt wird voraussichtlich in kurzer Zeit ein Gegenstck erhalten. Am Hafen der amerikanischen Metropole soll ein groáes, m„chtiges Denkmal entstehen, das bestimmt ist, kommenden Generationen die Erinnerung an die rote Rasse aufrecht zu erhalten, die vielleicht in wenigen Menschenaltern als solche ausgestorben sein wird. Der Plan dieses Denkmales geht auf Mr. Rodman Wanamaker zurck und //623// hat im ganzen Land sofort lebhaften Widerhall gefunden. Auch Pr„sident Taft hat der Idee zugestimmt. An der Hafeneinfahrt soll das Standbild eines riesigen Indianers errichtet werden als ein Sinnbild dafr, daá das Volk Amerikas trotz aller der roten Rasse zugefgten Ungerechtigkeiten die edlen Eigenschaften der Ureinwohner Amerikas vollauf wrdigt. Es soll die Schuld des Landes gegen die aussterbende Rasse der ,ersten Amerikaner' symbolisieren und knftigen Geschlechtern die sch”nen Charakterzge der roten Rasse vor Augen fhren. Der Indianer wird mit ausgestreckten H„nden dargestellt, wie er die ersten weiáen M„nner willkommen hieá, die Amerikas Kste betraten." Ich frage: Ist das nicht interessant?